18
Noch ein Ball –
Flick wünschte sich so sehr, dass sie wieder in Hillgate End, dass
Demon auf seinem Gestüt und das Leben wieder einfach
wäre.
»Miss Parteger,
Framley hat eine umwerfende Ode an Ihre Augen geschrieben. Sind Sie
sicher, dass Sie sie wirklich nicht hören wollen?«
»Ganz sicher.« Flick
sah Lord Henderson ernst an. »Sie kennen doch meine Gefühle, wenn
es um Poesie geht.«
Seine Lordschaft sah
angemessen beschämt aus. »Ich dachte nur, vielleicht, weil es
gerade Ihre Augen sind …«
Flick zog eine
Augenbraue hoch und schenkte ihre Aufmerksamkeit dem nächsten
Mitglied ihres jugendlichen Hofstaates, das versuchte, sie zu
bezaubern. Bei ihrer Unterhaltung mit den vielen Bewunderern, die
sie so mühelos um sich versammelte, versuchte sie angestrengt,
nicht unfreundlich zu sein, aber sie waren alle noch so jung, so
harmlos, und unfähig, ihr Interesse zu wecken.
Das hatte ein
anderer Mann getan, sehr effektiv, und dann hatte er sie verlassen.
Sie fühlte, wie sich ihre Augenbrauen zusammenzogen. »In der Tat,
Sir.« Sie nickte zustimmend zu Lord Bristols Bemerkung über den
Regen. Dann setzte sie eine Miene höflichen Interesses auf und tat
so, als würde sie dem Geplauder lauschen, während sie sich in
Gedanken auf die große, schlanke Gestalt konzentrierte, die lässig
an der Wand von Lady Hendersons Ballsaal lehnte. Sie konnte ihn aus
den Augenwinkeln sehen, wie immer, direkt neben einer attraktiven
Lady, die ihm schöne Augen machte – auch wie immer. Zugegeben, die
Ladys hatten an jedem Abend ein anderes Gesicht, aber das zählte
für sie nicht, es änderte nichts. Sie sah diese Frauen als
Herausforderung an – sie mussten besiegt und ausgelöscht
werden.
Er wollte sie
heiraten – heute Morgen, als sie so lange im Bett gelegen hatte,
hatte sie sich entschieden, dass sie ihn heiraten wollte. Und das
bedeutete, dass er würde lernen müssen, sie zu lieben, ganz gleich,
was Celeste, Tante Scroggs oder sonst irgendwelche alten Weiber
dachten. Er hatte ihr ihren Traum vor die Nase gehalten. Sie hatte
ihn gepackt und hatte nicht die Absicht, ihn je wieder
loszulassen.
Sie konnte ihre
Gefühle nicht zeigen, indem sie ihn wütend anstarrte. Sie spielte
mit dem Gedanken, etwas Unerwartetes zu tun. Zum Beispiel könnte
sie warten, bis ein Walzer begann, und dann durch den Raum gehen,
seine Lady dieses Abends beiseite schieben und verlangen, dass er
den Walzer mit ihr tanzte.
Was würde er wohl
tun? Wie würde er reagieren?
Ihre Fantasien
wurden von einem Gentleman unterbrochen, der in einem geschickten
Manöver Lord Bristol von ihrer Seite verdrängt hatte.
»Meine liebe Miss
Parteger – es ist mir eine Freude.«
Flick reichte ihm
die Hand, und er hielt sie viel länger als nötig. Er war älter als
ihre anderen Bewunderer. Sie entzog ihm ihre Hand. »Ich fürchte,
Sir, dass Sie mir gegenüber im Vorteil sind.«
Er lächelte. »Philip
Remington, meine Liebe, zu Ihren Diensten. Wir sind uns in der
letzten Woche kurz bei Lady Hawkridge begegnet.«
Flick senkte ein
wenig den Kopf. Auf dem Ball von Lady Hawkridge hatte er sie kaum
bemerkt und hatte auch kein besonderes Interesse an ihr gezeigt.
Sein Blick hatte einen Augenblick lang auf ihrem Gesicht geruht,
ehe er mit einem höflichen Nicken seines Kopfes weitergegangen war.
Doch jetzt war sein Blick viel eindringlicher, nicht erschreckend,
aber ganz sicher konnte sie ihn nicht mit den unreifen Jungen
vergleichen, die um sie herumstanden.
»Ich habe eine
Frage, meine Liebe, wenn ich so kühn sein darf. Ich fürchte, die
gehobene Gesellschaft macht es sich viel zu leicht, eine Mutmaßung
zur Wahrheit zu erheben. Verwirrung ist ein Wort, das das Leben nur
unnötig kompliziert macht.«
Er hatte seine Worte
mit einem verschwörerischen Lächeln unterstrichen, das Flick
bereitwillig erwiderte. »In der Tat, ich finde diese Art oft sehr
verwirrend. Was wollen Sie denn wissen?«
»Es ist eine etwas
delikate Angelegenheit, aber … wenn ich Sie nicht frage, wie werde
ich es dann je erfahren?« Er hielt ihren Blick gefangen. »Ich
möchte wissen, meine Liebe, ob das Gerücht stimmt, dass Sie und
Harry Cynster verlobt sind.«
Flick zog scharf den
Atem ein, dann hob sie das Kinn. »Nein, Mr. Cynster und ich sind
nicht verlobt.«
Remington verbeugte
sich lächelnd. »Danke, meine Liebe. Ich muss zugeben, es freut
mich, das zu hören.«
Was er mit Worten
nicht aussprach, sagten seine Augen. Flick fluchte innerlich,
obwohl sie stolz war über seine Reaktion. Remington war ein sehr
gut aussehender Mann.
Ihre Worte hatten
die Aufmerksamkeit anderer Gentlemen geweckt, die in dem Kreis
standen, und genau wie Remington waren sie älter als die anderen
Verehrer. Einer schob sich an ihre Seite und drängte Lord Henderson
beiseite. »Framlingham, Miss Parteger. Wir haben Sie im Haushalt
der Cynsters gesehen und, nun ja – wir haben ganz einfach
angenommen, Sie wissen schon.«
»Ich bin eine
Freundin der Familie«, erwiderte Flick. »Lady Horatia war so
freundlich, mir die Stadt zu zeigen.«
»Ah!«
»In der
Tat?«
Andere Gentlemen
gesellten sich zu ihnen und schoben ihre jungen Verehrer an den
Rand des Kreises. Flick erstarrte, aber mit Remington, der sie zu
beschützen schien, und dem etwas barschen Framlingham in ihrer Nähe
wurde ihr sehr schnell klar, dass ihre neuen Verehrer wesentlich
unterhaltsamer waren.
Es dauerte nur
Minuten, dann lachte sie laut auf. Zwei andere junge Ladys
gesellten sich zu ihnen, die Unterhaltung bewegte sich auf einer
völlig anderen Ebene und wurde zu einem vor Geist sprühenden
Schlagabtausch.
Flick unterdrückte
ein Kichern über eine von Remingtons spöttischen Bemerkungen, dann
glitt ihr Blick durch den Ballsaal – Demon, das wusste sie, hätte
dieser Spaß gefallen.
Er blickte in das
Gesicht von Celeste.
Flick stockte der
Atem, schnell schaute sie wieder zu Remington. Nach einem
Augenblick atmete sie langsam aus, dann holte sie tief Luft, reckte
sich, hob das Kinn und lächelte ihre neuen Verehrer
an.
Als am nächsten
Morgen die Kutsche von Lady Horatia auf der Avenue anhielt, war sie
sogleich umringt.
»Euer Ehren. Lady
Cynster.« Als Erster einer Gruppe von sechs Gentlemen und zwei
Ladys verbeugte sich Remington vor Helena und Horatia, dann wandte
er sich mit einem warmen Lächeln zu Flick und verbeugte sich auch
vor ihr. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, wandte er sich
an Horatia. »Könnten wir Sie überreden, Ma’am, Miss Parteger zu
erlauben, in unserer Gesellschaft einen Spaziergang über die Wiese
zu machen?« Er sah zu Flick. »Natürlich nur, wenn Sie mit uns
kommen wollen?«
Wäre Demon irgendwo
in der Nähe gewesen, wäre Flick in der Kutsche sitzen geblieben und
hätte gehofft, dass er mit ihr reden würde – aber er war nicht da.
In der letzten Woche war er überhaupt nicht im Park aufgetaucht.
Heute Morgen hatte sie Dillon noch einen beruhigenden Brief
geschrieben, weil sie sich immer mehr Sorgen machte, dass er die
Dinge selbst in die Hand nehmen und sich an die Verfolgung von
Bletchley machen würde und dabei erwischt werden könnte. Der
General wäre am Boden zerstört. Doch leider war es nicht Demon, der
vor ihr stand, um sie zu beruhigen. Es war Remington, der von ihrem
Leben keine Ahnung hatte. Dennoch, wenn sie mit Remington einen
Spaziergang machte, könnte sie sich wenigstens ein wenig die Beine
vertreten. Sie erwiderte sein Lächeln und sah dann zu Horatia.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, Ma’am.«
Horatia, die sich
die Gruppe vor ihr auf der Wiese genau angesehen hatte, nickte.
»Unbedingt, meine Liebe. Ein Spaziergang wird dir gut
tun.«
»Wir werden in
Sichtweite der Kutsche bleiben«, versicherte Remington
ihr.
Horatia nickte und
sah dann zu, als Remington Flick aus der Kutsche half. Flick wandte
sich um und knickste, dann legte sie die Hand auf Remingtons Arm
und ging zu den anderen hinüber.
»Hm.« Neben Horatia
beobachtete Helena die Gruppe, die sich langsam entfernte. »Glaubst
du, das ist klug?«
Horatia bewunderte
Flicks blonde Locken, dann lächelte sie grimmig. »Das weiß ich
nicht, aber es sollte eigentlich ein wenig Aufmerksamkeit erregen.«
Sie sah Helena mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Findest du nicht
auch?«
Wie es seit einigen
Wochen für ihn Gewohnheit geworden war, verbrachte Demon seinen Tag
bei Whites. Montague und die Leute, die er eingestellt hatte, um
Bletchley zu beobachten, hatten ihn dort aufgesucht – er agierte
wie ein General, der ihre Suche koordinierte. Doch trotz all ihrer
Bemühungen hatten sie nur wenig Erfolg. Sowohl das Geld als auch
Bletchley mussten irgendwo sein – doch sie hatten noch nichts
herausgefunden. Und die Zeit wurde knapp.
Demon machte sich
Sorgen, und es gefiel ihm gar nicht, sich geschlagen geben und das
Komitee über die Rennen des Spring Carnival informieren zu müssen,
bei denen betrogen worden war, denn das würde gleichzeitig
bedeuten, dass er ihnen Dillon ohne jegliche Beweise ausliefern
müsste, um seine Geschichte zu untermauern. Er sank in einen Sessel
im Lesesaal, griff nach einer Zeitung, öffnete sie und begann zu
lesen.
Und versuchte, sich
zu entspannen. Wenigstens ein wenig.
Er seufzte, seine
Nerven waren viel zu angespannt, genau wie alle Muskeln in seinem
Körper. Eine ernsthafte Krankheit hatte ihn gepackt, und
verantwortlich dafür war ein Botticelli-Engel. Die Medizin dagegen
war offensichtlich, aber wenn er ihr augenblickliches Verhältnis
zueinander bedachte, so würde er wohl noch wochenlang leiden
müssen.
Noch immer hatte er
keine Ahnung, warum sie sich so sehr aufgeregt hatte. Sie schien
sich jedoch ein wenig erholt zu haben. Doch leider lag jetzt eine
gewisse Kühle in ihrem Benehmen ihm gegenüber. Sie schien ihn
abschätzend zu betrachten. Und das ergab überhaupt keinen Sinn. Sie
kannte ihn schon seit Jahren – sie kannte ihn sogar im wahrsten
Sinne des Wortes -, was wollte sie also noch mehr über ihn
herausfinden?
Er unterdrückte ein
verächtliches Schnauben und schüttelte die Zeitung aus. Sein
größtes Bemühen musste es sein, dieses viel zu offensichtliche
Leuchten in ihrem Gesicht zu unterdrücken. Einige würden darin
vielleicht nur eine Ermunterung von ihrer Seite sehen, aber nur
diejenigen, die nicht richtig hinsahen. So, wie die Dinge jetzt
standen, war sie davor geschützt, sich selbst zu verraten. Und um
ihre frühere Beziehung wiederherzustellen, brauchte er sie nur in
die Arme zu nehmen und sie bis zur Besinnungslosigkeit zu küssen,
wenn sie sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hatte, ihn zu
heiraten. Darum brauchte er sich keine Sorgen zu
machen.
Es gab keinen Grund,
die Richtung zu ändern und damit zu beginnen, sich ständig um sie
zu bemühen. Das Beste war, so weiterzumachen wie bisher und den
Abstand zu ihr weiterhin aufrechtzuerhalten. Genau so, wie er es an
den letzten beiden Abenden gemacht hatte.
Er biss die Zähne
zusammen und zwang sich, die Zeitung zu lesen.
»Hm –
interessant.«
Demon blickte auf;
Chillingworth stand neben seinem Sessel und betrachtete ihn
fragend.
»Ich muss zugeben,
ich beneide Sie sehr, wegen der Art, wie Sie auch unter Feuer kühl
bleiben.«
Demon blinzelte,
seine Muskeln spannten sich an. »Was für ein Feuer?« Er sah
Chillingworth fragend an.
Chillingworth zog
die Augenbrauen hoch. »Also, ich meine natürlich das
außergewöhnliche Interesse an Ihrer süßen Unschuld. Haben Sie denn
noch nichts davon gehört?«
»Was soll ich gehört
haben?«
»Dieser Remington –
Sie haben doch sicher auch erfahren, dass seine Ländereien bis zum
Rand mit Hypotheken belastet und seine Taschen vollkommen leer
sind?«
Demon
nickte.
»Offensichtlich hat
er das Unerhörte gewagt. Mitten in einem Ballsaal hat er Ihre
liebste Freundin gefragt, ob sie mit Ihnen verlobt
ist.«
Demon
fluchte.
»Genau. Zusammen mit
der Tatsache, dass angeblich sehr gut informierte Kreise behaupten,
dass sie ein Einkommen von nicht weniger als zehntausend Pfund im
Jahr hat, und, nun ja …« Demon blickte auf, und Chillingworth hielt
seinem Blick stand. »Ich wundere mich, mein lieber Junge, dass Sie
noch Zeit haben, Zeitung zu lesen.«
Demon sah ihn noch
einen Augenblick ruhig an, dann fluchte er unflätig. Er zerknüllte
die Zeitung, stand auf und drückte sie Chillingworth in die Hand.
»Ich bedanke mich.«
Lächelnd nahm
Chillingworth die Zeitung. »Gern geschehen, lieber Junge. Ich freue
mich sehr, einem aus Ihrer Familie zu helfen, wenn er in einer
Mausefalle sitzt.«
Demon hörte die
Worte zwar, aber er wollte lieber nicht darauf antworten – es gab
jemanden, mit dem er unbedingt reden musste.
»Warum, zum
Teufel, hat sie – oder du – oder
irgendjemand mir nicht gesagt, dass sie
eine verdammte Erbin ist? Zehntausend im
Jahr!« Demon lief unruhig im Wohnzimmer seiner Mutter hin
und her und warf ihr einen Blick zu, der mit kindlicher Zuneigung
nicht viel zu tun hatte.
Horatia, die auf der
chaise saß und Seidentücher sortierte,
bemerkte den Blick nicht. »Da dies eine armselige Summe ist,
verglichen mit dem Geld, das du besitzt, sehe ich keinen Grund,
warum dich das interessieren sollte.«
»Weil jeder
Mitgiftjäger in der Stadt jetzt hinter ihr her ist!« Horatia
blickte auf. »Aber …« Sie runzelte die Stirn. »Ich hatte den
Eindruck, dass du dir mit Felicity einig bist.«
Demon knirschte mit
den Zähnen. »Das bin ich auch.«
»Also.« Horatia
beschäftigte sich wieder mit ihren Tüchern.
Demon ballte die
Hände zu Fäusten und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er begriff,
dass seine Mutter ihn aufs Glatteis führen wollte. »Ich will sie
sehen«, stieß er hervor. Erst jetzt wurde ihm klar, dass es
eigenartig war, Horatia zu dieser Tageszeit ohne Flick anzutreffen.
Ein eisiger Schauer rann über seinen Rücken. »Wo ist
sie?«
»Die Delacorts haben
sie zu einem Picknick in Merton eingeladen. Sie ist mit Lady
Hendricks’ Kutsche hingefahren.«
»Du hast sie
allein dorthin gehen
lassen?«
Horatia sah auf.
»Gütiger Himmel, Harry! Du kennst diese Leute doch. Sie sind alle
jung, und auch wenn Lady Hendricks und Mrs. Delacort vielleicht
beide Söhne haben, die eine reiche Frau suchen, was kann es denn
schaden, wenn du dir mit Flick einig bist?«
Sie sah ihn mit
ihren blauen Augen herausfordernd an, um ihn dazu zu bringen, ihr
die Wahrheit zu sagen.
Er biss die Zähne so
fest zusammen, dass seine Kiefer schmerzten, dann nickte er knapp,
drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Er konnte, verdammt,
nichts dagegen tun – gegen die vielen Einladungen zu Picknicks,
Mittagessen im Freien und Tagesausflügen, mit denen die
jugendlichen Mitglieder der gehobenen Gesellschaft sich die Zeit
vertrieben.
Die Arme vor der
Brust verschränkt, lehnte er an der Wand in Lady Moncktons Ballsaal
und betrachtete die Leute, die sich um Flick versammelt hatten. Nur
mit Mühe gelang es ihm, die Männer nicht wütend anzustarren. Es
hatte ihm schon genügt, eine Gruppe hilfloser Jungen zu beobachten,
die um ihre Röcke schwirrten, doch die Gentlemen, die sich jetzt um
sie versammelt hatten, waren von einem anderen Kaliber. Viele waren
begehrenswerte Junggesellen, einige besaßen Titel, die Mehrheit von
ihnen brauchte jedoch Geld. Und sie waren alle einige Jahre jünger
als er. Sie konnten ihr, mit dem Segen der Gesellschaft, ihre
Aufmerksamkeit schenken, ihr sogar den Hof machen, indem sie sie zu
all den Picknicks und unschuldigen Veranstaltungen einluden – alles
Dinge, die er ihr nicht bieten konnte.
Wer hatte je davon
gehört, dass man zu einem Picknick seinen eigenen Wolf mitnahm? So
etwas passierte ganz einfach nicht.
Zum ersten Mal in
all den Jahren, in denen er in der gehobenen Gesellschaft
verkehrte, fühlte Demon sich wie ein Außenseiter. Der Kreis, in dem
Flick sich jetzt bewegte, war ein Kreis, der ihm verschlossen war.
Und sie konnte auch nicht zu ihm kommen. Dank ihrer
unverbrüchlichen Ehrlichkeit vergrößerte sich der Abstand zwischen
ihnen immer mehr.
Und er war hilflos
dagegen, er konnte es nicht verhindern.
Er war zuvor schon
nervös gewesen. Aber jetzt …
Jetzt war es
unmöglich, auch nur zwei Tänze mit ihr zu tanzen. Er hatte sich für
den Ländler nach dem Essen entschieden, der auf den Walzer folgte,
der gerade begonnen hatte. Ihr augenblicklicher Partner, stellte
Demon grimmig fest, war Remington, einer von den Gentlemen, denen
er am wenigsten traute. Flick teilte seine Meinung nicht, sie
tanzte oft Walzer mit diesem Kerl.
Er machte sich nicht
länger etwas daraus, dass die Leute bemerkten, wie er sie
beobachtete, doch er war dennoch dankbar für die Marotte der
gehobenen Gesellschaft, dass nur ein überfüllter Ballsaal ein
Zeichen für eine erfolgreiche Gastgeberin war. Am heutigen Abend
war das Fest bei Lady Monckton ein unerhörter Erfolg, und das bot
ihm ein wenig Deckung.
Der Gedanke, diese
Deckung zu nutzen, um Flick aus der Menge wegzuholen, sie in seine
Arme zu nehmen und zu küssen, kam ihm in den Kopf. Zögernd gab er
ihn wieder auf – das war auch eines der Dinge, die er nicht
riskieren durfte. Wenn jemand sie sah, dann würden trotz seiner
äußersten Vorsicht Fragen gestellt werden.
Ohne nach etwas
Besonderem zu suchen, entdeckte er in der Menge der Tänzer ihr
leuchtend blondes Haar. Als er sie genauer betrachtete, sah er, wie
sie lachte und Remington anlächelte. Demon biss die Zähne zusammen,
und plötzlich musste er wieder an sein Versprechen dem General
gegenüber denken. Wenn nun …
Sein Blut gerann –
er konnte diesen Gedanken nicht einmal zu Ende denken, durfte nicht
zulassen, dass er sich überhaupt in seinem Kopf formte. Der
Gedanke, Flick zu verlieren, lähmte ihn.
Abrupt holte er tief
Luft und schob diesen Gedanken beiseite – schnell erinnerte er sich
an das Haus in der Clarges Street, das Haus, das er an diesem
Morgen besichtigt hatte. Es war perfekt für ihn und Flick. Es hatte
gerade die richtige Anzahl von Zimmern, war nicht zu groß
…
Als er dann wieder
zu Flick sah, stockten seine Gedanken genau in dem Augenblick, als
auch die Musik aufhörte. Auf der anderen Seite des Raumes blieben
Flick und Philip Remington stehen. Anstatt sich zu der chaise zu wenden, auf der Horatia saß, warf
Remington einen schnellen Blick in die Runde und führte Flick dann
durch eine Tür aus dem Ballsaal hinaus.
Demon reckte sich.
»Verdammt!«
Zwei Matronen hinter
ihm warfen ihm böse Blicke zu, doch er machte sich nicht die Mühe,
sich bei ihnen zu entschuldigen. Leichtfüßig und offensichtlich gar
nicht in Eile, ging er durch den Raum. Er kannte die Bedeutung von
Remingtons schnellem Blick sehr gut. Was glaubte dieser Kerl
eigentlich, wer er war?
»Ah – Liebling.«
Celeste vertrat ihm
den Weg. Ihre dunklen Augen blitzten, sie hob eine Hand
…
Mit einem einzigen
Blick brachte er sie dazu, innezuhalten. »Guten Abend, Madam.« Mit
einem kurzen Nicken ging er um sie herum und setzte seinen Weg
fort. Hinter sich hörte er einen unflätigen Fluch auf
Französisch.
Er kam gerade noch
rechtzeitig in den Flur hinter dem Ballsaal, um zu sehen, wie sich
am anderen Ende eine Tür schloss. Er hielt inne und versuchte, sich
an die Räume im Monckton House zu erinnern – das Zimmer am Ende des
Flurs war die Bibliothek.
Er ging mit
schnellen Schritten den Flur entlang, doch noch ehe er an der Tür
angekommen war, blieb er stehen. Er würde nichts gewinnen, wenn er
Flick rettete, ehe ihr überhaupt bewusst wurde, dass sie gerettet
werden musste.
Er öffnete die Tür
des Zimmers neben der Bibliothek und ging hinein. Sehr schnell
hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und er
durchquerte das Zimmer, öffnete die Terrassentür und trat auf die
Terrasse hinaus.
Flick stand mitten
in der Bibliothek und betrachtete die Bilder an den Wänden, dann
sah sie ihren Begleiter an. »Wo sind denn die
Kupferstiche?«
Die Bibliothek war
mit dunklem Holz verkleidet, Regale mit vielen Büchern standen an
den Wänden, und im Kamin brannte ein kleines helles Feuer. Auf
einem Tisch neben dem Sofa stand ein Kerzenleuchter, der einen
warmen Schein in den Raum warf; die Flammen der Kerzen flackerten
in dem leichten Wind, der durch die geöffnete Terrassentür wehte.
Noch einmal betrachtete Flick die Bilder an den Wänden. »Aber das
sind ja alles Gemälde.«
Remington lächelte.
Sie sah, wie er die Hand bewegte, dann klickte der Riegel der Tür.
»Meine süße Unschuld.« Ein sanftes Lachen lag in seiner Stimme, als
er auf sie zukam. »Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, dass es
hier Kupferstiche gibt, oder?«
»Natürlich habe ich
das geglaubt. Sonst wäre ich nicht mitgegangen. Ich liebe
Kupferstiche …« Ihre Stimme wurde leiser, als sie den Ausdruck auf
seinem Gesicht sah, dann erstarrte sie und hob das Kinn. »Ich
denke, wir sollten in den Ballsaal zurückgehen.«
Remington lächelte
gewinnend. »O nein. Warum denn? Lassen Sie uns doch eine Weile hier
bleiben.«
»Nein.« Flick sah
ihn eindringlich an. »Ich möchte zu Lady Horatia
zurück.«
Remingtons
Gesichtsausdruck wurde hart. »Leider, meine Liebe, möchte ich das
gar nicht.«
»Keine Sorge,
Remington, ich werde Miss Parteger zu meiner Mutter
begleiten.«
Demon lehnte an der
Terrassentür und genoss die Reaktion der beiden. Flick wirbelte
herum, und Erleichterung machte ihre Züge weich. Remington starrte
ihn mit offenem Mund an, dann schloss er ihn schnell und warf ihm
wütende Blicke zu.
»Cynster!«
»In der Tat.« Demon
reckte sich und verbeugte sich spöttisch vor Remington. Sein Blick
war stahlhart, genau wie der Unterton in seiner Stimme. »Da Sie
nicht in der Lage sind, Miss Parteger die Kupferstiche zu zeigen,
die Sie ihr versprochen haben, würde ich vorschlagen, dass es
besser wäre, wenn Sie jetzt gehen? Nicht nur aus diesem Zimmer,
sondern aus dem Haus.«
Remington schnaufte
verächtlich, doch er sah ihn gleichzeitig unsicher an. Und das war
auch besser so, denn Demon würde ihn bei der kleinsten Provokation
liebend gern auseinander nehmen. »Ich bin sicher, Sie begreifen,
dass es so besser wäre.« Er schlenderte zu Flick und sah Remington
an, der ihn vorsichtig beäugte. »Wir möchten doch nicht, dass
geflüstert wird – denn wenn das so wäre, würde ich erklären müssen,
dass Sie Miss Parteger hinters Licht geführt und ihr gesagt haben,
in der Bibliothek des Monckton House gäbe es Kupferstiche.« Er zog
die Augenbrauen hoch. »Es ist schwierig, eine reiche Frau zu
finden, wenn man nicht länger zu den Bällen eingeladen wird«,
meinte er dann gedehnt.
Remington gelang es
nicht, seine Wut zu verbergen. Aber er war ein ganzes Stück kleiner
als Demon und auch leichter. Also schluckte er seinen Zorn
hinunter, nickte, verbeugte sich knapp vor Flick, wandte sich dann
auf dem Absatz um und ging zur Tür.
Flick stand neben
Demon. Sie war ihm dankbar, dass er den Mann so eingeschüchtert
hatte. Doch jetzt sah sie mit gerunzelter Stirn zur Tür, die sich
hinter Remington schloss. »Ist er ein Mitgiftjäger?«
»Jawohl!« Mit einem heftigen Fluch hob Demon beide
Hände, dann schien er allerdings nicht zu wissen, was er mit ihnen
anfangen sollte. Noch einmal fluchte er, dann wandte er sich ab und
lief unruhig in dem Zimmer hin und her. »Das
ist er! Die Hälfte der Kerle, die um dich herumscharwenzeln,
sind das – einige mehr, die anderen weniger.« Der Blick seiner
blauen Augen war eindringlich. »Was hast du dir denn vorgestellt,
was passieren würde, wenn du verrätst, wie viel du wert
bist?«
Flick blinzelte.
»Wert?«
»So unschuldig kannst du doch wohl nicht sein.
Jetzt, wo die Neuigkeit überall bekannt ist, dass du zehntausend im
Jahr zu deiner Verfügung hast, hängen sie alle an deinen Röcken. Es
ist ein Wunder, dass du in dem Gedränge noch nicht untergegangen
bist!«
Langsam begann sie
zu begreifen, doch dann verlor sie die Fassung und wirbelte zu ihm
herum. »Wie kannst du es wagen!« Ihre
Stimme zitterte, und sie holte tief Luft. »Ich habe niemandem irgendetwas von meinem Vermögen gesagt. Ich habe
über so etwas überhaupt nicht geredet.«
Demon blieb stehen.
Die Hände in die Hüften gestützt, wandte er sich zu ihr. Dann trat
ein finsterer Ausdruck in sein Gesicht. »Nun, mich brauchst du
nicht anzusehen. Ich würde wohl kaum eine Peitsche für meinen
eigenen Rücken machen.« Erneut begann er, unruhig hin und her zu
laufen. »Also, wer hat diese Nachricht verbreitet?« Er sprach
zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Verrate es mir, damit wir
demjenigen den Hals umdrehen können.«
Flick wusste ganz
genau, wie er sich fühlte. »Ich denke, es muss meine Tante gewesen
sein. Sie will, dass ich eine gute Partie mache.« Sie wollte, dass
sie Demon heiratete, also hatte ihre Tante jeden wissen lassen,
dass sie eine Erbin war. So habgierig, wie sie war, nahm sie an,
dass diese Neuigkeit ihn dazu bringen würde, sie sich zu schnappen,
ganz gleich, wie reich er selbst auch sein mochte.
»War es das, was sie
damals auf dem Ball gesagt hat, als du dich so aufgeregt
hast?«
Sie zögerte, dann
zuckte sie mit den Schultern. »In gewisser Weise
schon.«
Demon sah sie wütend
an. Zuerst seine Mutter, jetzt ihre Tante. Ältere Ladys machten ihm
das Leben schwer. Jedoch war das nicht der Grund für die
übermächtige Wut, die ihn erfüllte und die noch schlimmer wurde
durch das Wissen, was geschehen wäre, wenn er sie nicht so
aufmerksam beobachtet hätte.
»Was auch immer –
wer auch immer.« Gepresst kamen diese
Worte aus seinem Mund. Die Hände in die Hüften gestützt, stand er
vor ihr. »Schlimm genug, dass du von einer Meute von Mitgiftjägern
umgeben bist, aber das entschuldigt dein Benehmen heute Abend
nicht. Du weißt verdammt genau, dass du nirgendwo mit einem Mann
allein hingehen sollst. Was, zum
Teufel, hast du dir eigentlich dabei gedacht?«
Flick reckte sich
und hob das Kinn. Ihre Augen blitzten warnend. »Du hast es doch
gehört. Zufällig mag ich Kupferstiche.«
»Kupferstiche!« Er biss die Zähne zusammen, um
nicht wütend loszubrüllen. »Weißt du denn nicht, was das
bedeutet?«
»Kupferstiche sind
Drucke von einer Metallplatte, auf die jemand mit einer Nadel
gezeichnet hat.«
Sie begleitete ihre
Bemerkung damit, dass sie hochmütig die Nase in die Luft reckte.
Demons Hände pressten sich fester auf seine Hüften, und er
widerstand dem Wunsch, sie zu packen. Er beugte sich vor und
brachte sein Gesicht nahe vor ihres. »Zu deiner Information, wenn
ein Gentleman einer Lady anbietet, ihr Kupferstiche zu zeigen, dann
ist es das Gleiche, als würde er ihr anbieten, ihr den
Familienschmuck zu zeigen.«
Flick blinzelte;
verwirrt sah sie ihm in die Augen. »Na und?«
»Aaargh!« Er wandte sich ab. »Es ist eine Einladung
zu Intimitäten!«
»Wirklich?«
Er wandte sich
wieder zu ihr um und sah, dass sich ihre Mundwinkel
hochzogen.
»Das sieht der
gehobenen Gesellschaft ähnlich, ein vollkommen unschuldiges Wort so
zu missbrauchen.«
»Remington war
darauf aus, dich zu
missbrauchen.«
»Hm.« Mit
versteinertem Gesicht sah sie zu ihm auf. »Aber ich mag
Kupferstiche wirklich. Hast du welche?«
»Ja.« Die Antwort
war ihm herausgerutscht, noch ehe er richtig nachgedacht hatte. Als
sie anzüglich die Augenbrauen hochzog, gab er brummend zu: »Ich
besitze zwei Bilder von Venedig.« Sie hingen zu beiden Seiten
seines Bettes. Wenn er eine Lady einlud, seine Kupferstiche zu
betrachten, meinte auch er es in zweideutigem Sinn.
»Ich nehme nicht an,
dass du mich einladen wirst, sie mir anzusehen?«
»Nein.« Nicht,
solange sie nicht zustimmte, ihn zu heiraten.
»Das dachte ich
mir.«
Er blinzelte und sah
sie dann mit finsterem Blick an. »Was soll das heißen?« Ihre
rätselhaften Bemerkungen machten ihn verrückt.
»Es soll heißen«,
erklärte Flick, und ihre Stimme klang genauso überdeutlich wie
seine, »dass es mir immer klarer wird, dass du mich nur als ein
schmückendes Ornament haben willst, eine passende, akzeptable Frau,
die bei all den Familienfeiern an deiner Seite ist. Du willst mich
gar nicht wirklich! Und das beeindruckt
mich überhaupt nicht – und dein Benehmen in letzter Zeit
beeindruckt mich noch weniger.«
»Oh?«
In diesem einzelnen
Wort lag Gefahr, doch Flick ignorierte den Schauer, der ihr über
den Rücken lief. »Du bist niemals da – du bist nie in meiner Nähe!
Du lässt dich nicht einmal dazu herab, mit mir einen Walzer zu
tanzen – und nur ein einziges Mal hast du mich zu einer Ausfahrt im
Park eingeladen!« Mit geballten Fäusten stand sie vor ihm und ließ
ihrem Zorn freien Lauf. »Du warst
derjenige, der darauf bestanden hat, mich nach London zu bringen –
wenn du geglaubt hast, dass dies der beste Weg ist, mich dazu zu
bringen, dich zu heiraten, dann hast du dich gründlich
geirrt!«
Ihre Augenbrauen
hatten sich zusammengezogen. »In der Tat hat mir diese Reise nach
London die Augen geöffnet.«
»Du meinst, sie hat
dir gezeigt, wie viele junge Hunde und Mitgiftjäger du haben
kannst, die dir zu Füßen liegen.«
Er hatte so leise
geantwortet, dass sie sich konzentrieren musste, ihn überhaupt zu
verstehen. Ihre Antwort war ein süßes Lächeln. »Nein«, meinte sie,
und der Ton ihrer Stimme klang so, als müsse sie einem Dummkopf
eine ganz einfache Sache erklären. »Ich will keine jungen Kerle
oder Mitgiftjäger – das habe ich damit nicht gemeint. Ich meine,
ich habe dich erst jetzt im richtigen Licht gesehen!«
»In der Tat?«
Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch.
»Oh, in der Tat!«
Flick gestikulierte heftig. »Deine Frauen – Ladys, da bin ich
sicher, ganz besonders Celeste.«
Er erstarrte.
»Celeste?«
Seine Stimme klang
fordernd, aber es lag auch eine Warnung darin. Flick achtete nicht
darauf. »Du musst dich doch an sie erinnern – dunkles Haar, dunkle
Augen. Enorme …«
»Ich weiß, wer Celeste ist.« Seine harte Stimme ließ sie
innehalten. »Was ich wissen will, ist, was du über sie
weißt.«
»Oh, nicht mehr als
jeder andere auch, der Augen im Kopf hat.« Ihre eigenen Augen
blitzten wütend und verrieten ihm ganz genau, wie viel das war.
»Aber Celeste ist nebensächlich. Wenigstens wird sie das sein
müssen, sollten wir jemals heiraten. Das ist mein wichtigster
Punkt.«
Sie blieb direkt vor
ihm stehen und sah in sein Gesicht, dann zischte sie: »Ich bin nicht eine deiner Cousinen, die man beobachten
muss, auf die Art, wie man einen Hund am Futternapf
beobachtet!«
Er öffnete den Mund,
um etwas zu sagen, doch sie hob schnell einen Finger. »Wage es nicht, mich zu unterbrechen – hör mir
einfach zu!«
Er schloss den Mund
wieder, und die Art, wie er die Lippen zusammenpresste, sagte ihr,
dass er ihn so bald nicht wieder öffnen würde. Sie holte tief Luft.
»Wie du weißt, bin ich kein
unschuldiges Mädchen von achtzehn Jahren mehr.« Ihr Blick riet ihm,
ihr nicht zu widersprechen. Seine Lippen wurden noch schmaler, doch
er schwieg.
»Ich möchte mich
unterhalten, spazieren gehen, Walzer tanzen und ausfahren – und
wenn du wirklich mich heiraten
möchtest, dann sorge besser dafür, dass ich all das mit
dir tue!«
Sie wartete, doch
noch immer schwieg er. Sie hatte das Gefühl, viel zu nahe an etwas
Gefährlichem zu sein, an etwas, das nur sehr schwer unter Kontrolle
gehalten wurde. Sie holte tief Luft und sah ihm unverwandt in die
Augen, die im schwachen Schein des Kerzenlichtes sehr dunkel waren.
»Und ich werde dich nicht heiraten, bis
ich davon überzeugt bin, dass es für mich das Richtige ist. Ich
werde mich von dir nicht moralisch unter Druck setzen und auch
nicht drängen lassen.«
Demon hörte ihre
Worte durch einen Nebel des Zorns. Die Muskeln in seinen Schultern
bewegten sich, seine Hände kribbelten. Die Ungerechtigkeit in ihren
Worten traf ihn. Er hatte nichts anderes getan, als sie zu
beschützen. Sein Körper stand kurz vor einer Explosion, und nur die
reine Willenskraft hielt ihn noch zurück, doch die schwand immer
mehr.
Sie hatte aufgehört
zu sprechen und betrachtete fragend sein Gesicht, dann richtete sie
sich kerzengerade auf. »Ich werde mich nicht von dir leiten
lassen.«
Ihre Blicke hielten
einander lange gefangen, und absolutes Schweigen senkte sich über
sie. Keiner von ihnen bewegte sich, sie atmeten kaum. Das Feuer in
seinem Inneren loderte immer höher, er biss die Zähne zusammen und
ertrug es.
»Ich weigere mich …«
Er streckte die Hand
aus und zog sie in seine Arme, erstickte ihre weiteren Worte mit
seinen Lippen, und dann gab er sich diesem Kuss ganz hin, nahm
alles, was sie ihm zu geben hatte, und verlangte noch
mehr.
Er zog sie fest an
seinen unnachgiebigen Körper. In seinem Kopf wirbelten die Gefühle
– Wut mischte sich mit brennender Leidenschaft und anderen, viel
elementareren Gefühlen. Er zerbrach – wie ein Vulkan, der langsam
ausbricht, dessen äußere Wände unter einer Macht zusammenbrechen,
die viel zu lange zurückgedrängt worden war. Nur schwach erinnerte
er sich daran, dass er sie nur zum Schweigen hatte bringen wollen,
dass er sie bestrafen wollte – doch das wollte er jetzt nicht
mehr.
Jetzt beherrschte
ihn nur noch das Verlangen nach ihr.
Es war ein
Verlangen, das so ursprünglich war, so primitiv und mächtig, dass
es ihn erschütterte. Remington hatte den letzten Anstoß gegeben, er
hatte diese diffuse Furcht noch größer gemacht – die Furcht, was er
wohl tun würde, wenn sie sich in einen anderen verliebte. Wie würde
er das ertragen können?
Er hatte angenommen,
dass er das, was in ihm brodelte, unter Kontrolle halten könnte –
die Gefühle, die nur sie in ihm weckte. In diesem bebenden
Augenblick wusste er, dass er sich geirrt hatte.
Mit letzter
Willenskraft zwang er sich, seinen Griff zu lockern, gerade so
viel, damit sie sich ihm entziehen und vor ihm fliehen konnte.
Selbst in dieser extremen Situation wollte er ihr nicht wehtun.
Wenn sie sich wehrte, selbst wenn sie passiv blieb, könnte er gegen
sich ankämpfen, sich zurückhalten, es ertragen und am Ende seine
Dämonen wieder zügeln.
Sie ergriff die
Chance und zog ihre Arme weg, die zwischen ihren Körpern gefangen
waren, und etwas in seinem Inneren brüllte auf. Er bereitete sich
darauf vor, dass sie ihn von sich schieben würde, zwang sich, sie
freizugeben …
Sie legte die Hände
um sein Gesicht. Ihre Lippen auf den seinen wurden fordernder, sie
vergrub die Finger in seinem Haar.
Ihr Kuss war
hungrig. Wild. So verlangend wie der seine.
Alles in seinem Kopf
drehte sich. Das Verlangen wurde übermächtig. Er war
verloren.
Genau wie sie – sie
war jetzt kein Engel mehr, sondern eine wilde Frau, fordernd und
erregend …
Es war
Wahnsinn.
Er hielt sie
gefangen – befreite sie.
Flick genoss dieses
Gefühl, lebendig zu sein. Sie genoss es, seinen harten Körper an
ihrem zu fühlen. Sein Oberkörper war hart wie Stein, als er sich
gegen ihre schmerzenden Brüste drängte, seine Schenkel wie Pfeiler
aus Marmor. Seine Lippen pressten sich schmerzhaft auf ihre, und
alles in ihr jubelte. Seine kräftigen Hände hielten sie fest, hoben
sie hoch – und sie wollte nichts anderes, als ihm noch näher zu
sein.
Es verlangte sie
mehr nach ihm als nach ihrem nächsten Atemzug. Sie legte die Arme
um seinen Hals und schmiegte sich in seine Umarmung, klammerte sich
fest an ihn, sodass ihre Gesichter einander ganz nahe waren,
beinahe auf gleicher Höhe. Seine Hände schlossen sich um ihren Po,
er hielt sie fest an sich gedrückt, und sie fühlte seine Erregung
an ihrem Bauch.
Sie wollte ihn in
sich haben. Hier. Jetzt. Sofort. Noch immer küsste er sie voller
Leidenschaft, sein Mund war fordernder als je zuvor – doch ihr
fehlte der Atem, um ihm das zu sagen. Ihre Röcke waren gerade weit
genug, damit sie ihre Schenkel um seine Hüften legen konnte, das
tat sie und drängte sich noch näher an ihn.
Sein Atem stockte
einen Augenblick, seine Muskeln spannten sich an, dann rann ein
Schauer durch seinen Körper. Sie bewegte sich erneut, und er hielt
den Atem an und küsste sie weiter voller Leidenschaft. Mit einer
Hand hielt er sie fest, mit der anderen hob er den Saum ihres
Kleides. Dann glitt zuerst die eine und dann auch die andere Hand
unter ihr Kleid und legte sich um ihren nackten Po.
Ihr dünnes Hemdchen
war kurz – kein Hindernis für ihn. Flick zog scharf den Atem ein,
ihre Schenkel schlossen sich noch fester um seine Hüften, und sie
bewegte sich unruhig.
Er verstand – seine
Hände glitten voller Verlangen über ihren Po und ihre gespreizten
Schenkel, dann hielt er sie mit einer Hand fest, mit der anderen
erforschte er die weichen, feuchten Falten zwischen ihren
Schenkeln.
Er fand den Eingang,
und sein Finger drang tief in sie ein. Sie keuchte auf und hob sich
ihm entgegen. Er zog den Finger wieder heraus, dann schoben sich
einen Augenblick später zwei Finger in sie hinein, tief, er zog sie
zurück und stieß dann wieder zu, einmal, zweimal, hart und
tief.
Sie konnte nicht
mehr atmen, ihr Körper schien zu brennen. Sie zitterte, bereit, den
Höhepunkt zu erreichen. Doch das war es nicht, was sie
wollte.
Sie ließ einen Arm
um seinen Hals und schob die andere Hand zwischen ihre Körper – so
tief, dass sie seine Erregung fühlte, die pulsierte und so hart war
wie Stahl. Sie schloss die Finger darum, so weit sie konnte
…
Er stöhnte auf. Ein
Schauer rann durch seinen Körper. »Himmel
…!«
Stimmen drangen an
ihre Ohren. Schritte näherten sich der Bibliothek. Schwer atmend
wandte Flick den Kopf und starrte zur Tür, die nicht mehr
verschlossen war.
In Gedanken sah
Demon wieder Remington vor sich, wie er den Raum verließ und die
Tür hinter sich zuzog. Er sah das Bild, das er und Flick boten, für
jeden, der die Bibliothek betreten würde. Sie waren beide zerzaust
und atmeten schwer, und es würde Flick niemals gelingen, sich
rechtzeitig von ihm zu lösen – und auch ihm nicht.
Mit drei großen
Schritten eilte er an die Tür zur Terrasse, mit zwei weiteren
Schritten war er draußen.
Die Tür der
Bibliothek öffnete sich.
Er drehte Flick zur
Wand und drückte sie in die weichen Pflanzen, die an der Wand
emporrankten – der Duft von Jasmin hüllte sie ein. Schwer atmend
lehnte er sich gegen sie, sein ganzer Körper sehnte sich nach der
Erfüllung seiner Lust. Alles in ihm hatte sich darauf konzentriert,
nur eines zu tun – tief in sie einzudringen.
Stimmen aus der
Bibliothek drangen zu ihnen, er konnte die Geräusche nicht
unterscheiden, in seinen Ohren dröhnte es.
Er versuchte zu
denken, doch auch das gelang ihm nicht. Er versuchte, sich von
diesem weichen Körper zurückzuziehen, den er gegen die Wand mit den
Ranken drückte. Doch er schaffte es nicht. Nur an diesen sanften
Körper zu denken brachte ihn zurück zu diesem Vulkanausbruch des
Verlangens.
Die Sehnsucht nach
ihr überwältigte ihn, lähmte seine Sinne und seinen
Willen.
Er atmete schwer,
dann hob er langsam den Kopf, öffnete die Augen und sah in ihr
Gesicht. Er erwartete, einen schockierten Ausdruck in ihrem Gesicht
zu sehen – sogar Angst -, sicher hatte er sie erschreckt. Selbst
die Angst, entdeckt zu werden, eine Möglichkeit, die noch immer
bestand, würde ihm schon reichen, um ihn davon abzuhalten, das zu
tun, was er tun wollte.
Doch er sah nur ein
Gesicht, aus dem ihm das Verlangen entgegenleuchtete. Er sah, wie
sich ihre Lippen öffneten und die Zungenspitze über die Unterlippe
glitt. Sie fühlte seinen Blick und sah auf – einen kurzen
Augenblick schaute sie tief in seine Augen, dann hob sie das Kinn.
»Jetzt.«
Der Befehl drang an
seine Ohren, nicht mehr als ein befehlendes Flüstern. Ihre
Mundwinkel zogen sich ein wenig nach oben – er hätte schwören
können, es war ein Lächeln des Triumphes. Dann fühlte er erneut
ihre Hand, die noch immer zwischen ihren beiden Körpern gefangen
war.
Ihre Hand hielt ihn
fest, ihre Finger streichelten ihn – er schloss die Augen, und ein
Schauer rann durch seinen Körper. Sie lachte leise, und er fühlte
ihren warmen Atem auf seinen Lippen, dann glitten ihre Finger
langsam höher, zum Verschluss seiner Hose. Sie selbst hatte schon
Männerkleidung getragen, und es dauerte nur Sekunden, bis sie die
Knöpfe geöffnet hatte. Und dann hielt sie seinen Penis in ihrer
Hand, der bereit war zu explodieren.
Mit einem leisen
Stöhnen, das er nur mit Mühe unterdrückte, griff er zwischen ihre
Körper, fasste ihre Hand und zog sie weg. Er biss die Zähne
zusammen, als die kühle Seide ihres Rockes über sein erhitztes
Fleisch strich.
Sie sahen einander
tief in die Augen. Wäre es ihm gelungen, sie wütend anzusehen, er
hätte es getan. Doch sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, und
es war ihm nicht möglich, diesen Ausdruck zu verändern. All seine
Muskeln waren angespannt, er zitterte, bewegte sich nahe am Abgrund
…
Sie sah ihn
herausfordernd an. »Tu es!«, zischte sie an seinen Lippen. Dann
küsste sie ihn voller Leidenschaft.
Die Unterhaltung in
der Bibliothek war noch immer zu hören. Nur wenige Meter davon
entfernt, auf der Terrasse, war das Verlangen übermächtig. Es
dauerte eine Sekunde, bis es ihm gelungen war, ihre Röcke zu heben.
Dann glitt sein Glied zwischen ihre Schenkel, und sie hielt ihn
fest und zog ihn an sich.
Er drang tief in sie
ein – bis zum innersten Kern eines überwältigenden
Verlangens.
Seines Verlangens –
und ihres.
Das Ergebnis war zu
übermächtig für sie beide, es nahm sie gefangen, trieb sie weiter.
Ihre Körper bebten, sie strebten zueinander, suchten verzweifelt
nach der Erfüllung. Sie waren gefangen in einem Kampf, in dem es
keinen Feind gab.
Ihre Lippen pressten
sich aufeinander, um jegliches Geräusch zu unterdrücken, sie nahmen
alles, was sie bekommen konnten, klammerten sich an jeden
einzelnen, kostbaren Augenblick – dort an der Wand im
Mondlicht.
Die Geräusche aus
der Bibliothek erreichten sie und erhöhten ihr Bewusstsein der
Hitze, dort, wo sie miteinander verbunden waren, der Haut, die viel
zu sehr brannte, des wilden Verlangens in ihrem Blut, der
Vereinigung ihrer Körper.
Die zerdrückten
Blüten verströmten ihren Duft – es war ein verlockender Duft,
genauso intim wie ihre Vereinigung. Keuchend atmete Flick diesen
Duft tief ein. Demons Hüften bewegten sich, er stieß tief in sie
hinein. Sein Mund erstickte ihren Schrei. Wieder und wieder füllte
er sie aus. Sie hielt ihn voller Liebe umfangen und genoss die
Macht, die sie über ihn hatte – die Macht, die sie beide
antrieb.
Ihr Rhythmus war
wild – wilder, als sie es sich je vorgestellt hatte. Sie klammerte
sich an ihn, ganz benommen vor Glück. Sie näherten sich dem
Höhepunkt – bewegten sich immer schneller, gefangen in einem wilden
Verlangen.
Und dann hatten sie
ihn erreicht – die Hitze um sie herum explodierte und hüllte sie in
ihr Feuer ein.
Nein! Verlass mich nicht!, flehte Flick insgeheim
und klammerte sich noch einen Herzschlag länger an ihn, dann
akzeptierte sie, dass es nicht anders ging, seufzte auf und
lockerte ihren Griff.
Er zog sich aus ihr
zurück, und sie schloss die Augen wegen dieses plötzlichen Gefühls
der Leere. Kühle Luft umwehte sie, strich über ihre erhitzte Haut.
Sie hielt sich an seiner Schulter fest, als er sie langsam an sich
hinuntergleiten ließ, bis ihre Füße wieder auf der Erde
standen.
Die Kälte der Steine
unter ihren Füßen drang durch ihre dünnen Schuhe, und er strich ihr
die Röcke glatt. Sie blickte an sich hinunter und war erstaunt –
sie waren nur ein wenig zerdrückt. Er zog sich nicht von ihr
zurück, hatte einen Arm noch immer um sie gelegt, und seine
Schulter berührte die ihre, während er seine Kleidung
richtete.
Aus der Bibliothek
war das Murmeln der Stimmen zu hören, und als das Rauschen in
Flicks Ohren nachließ, konnte sie verstehen, wie sich zwei ältere
Männer Geschichten von Schlachten erzählten, die schon lange Zeit
zurücklagen. Die Türen standen weit offen, und das Licht der Kerzen
warf einen blassen Schein auf die grauen Steine der Terrasse. Wenn
jemand bis an die Schwelle gekommen wäre …
Glücklicherweise war
das nicht passiert.
Ihr war noch immer
heiß. Sie fühlte sich sowohl berauscht als auch enttäuscht – und
verwirrt.
Demon hielt sie fest
und führte sie dann über die Terrasse zum nächsten Zimmer, dessen
Türen auch geöffnet waren. Ohne ein Wort traten sie in den dunklen
Raum.
Ihr Herz schlug
heftig, sie zwang sich zur Ruhe. Was dachte sie sich nur? Nur weil
sie sich noch immer danach sehnte, ihn in ihren Armen zu halten,
seinen nackten Körper an ihrem zu fühlen, seinen Herzschlag an
ihrem Ohr zu hören, sich an ihn zu schmiegen – an ihn zu klammern
-, nur weil sie all das wollte, bedeutete es noch lange nicht, dass
sie es auch haben konnte. Um Himmels willen, schließlich waren sie
auf einem Ball!
Er zog sich ein
wenig von ihr zurück, schob sein Hemd in die Hose, rückte seine
Krawatte und seine Jacke zurecht. Atemlos und ein wenig benommen,
mit noch immer laut klopfendem Herzen, schüttelte sie ihre Röcke
aus und strich sie noch einmal glatt, rückte ihr Hemdchen zurecht
und richtete die Rüschen um ihren Ausschnitt und ihre
durchsichtigen Ärmel.
Als sie aufblickte,
stellte sie fest, dass Demon sie beobachtete. Voller Verlangen sah
sie ihn an. Sie wollte die Hand ausstrecken und ihn berühren, ihn
in ihren Armen halten. Und auch wenn ihr Körper noch immer von den
Nachwirkungen der Liebe bebte, so fühlte sich doch ein anderer Teil
von ihr … leer. Sie sehnte sich nach ihm.
Auch in dem
schwachen Licht erkannte Demon das Verlangen in ihrem Blick und
fühlte es in seinem Körper. Er räusperte sich. »Wir müssen
zurück.«
Sie zögerte, doch
dann nickte sie.
»Weißt du, wo der
Ruheraum ist?« Er flüsterte, damit man ihn im Raum nebenan nicht
hören konnte.
»Ja.«
»Geh hin – und wenn
jemand etwas sagt, weil du aus der verkehrten Richtung kommst, dann
sagst du, dass du durch die andere Tür gegangen bist und dich
verlaufen hast.« Er betrachtete sie kritisch. »Du musst deine
Lippen mit kaltem Wasser kühlen.« Er streckte die Hand aus und
schob ihr eine vorwitzige Locke hinters Ohr. Dabei unterdrückte er
den Wunsch, mit der Hand über ihre Wangen zu streichen, sie in
seine Arme zu nehmen und festzuhalten. »Ich gehe direkt
zurück.«
Sie nickte, und er
öffnete die Tür, sah hinaus und ließ sie zuerst gehen. Er zog sich
zurück in die Dunkelheit des Zimmers und wartete, bis sie nicht
mehr zu sehen war.
Er musste mit ihr
reden, musste ihr die Dinge erklären, aber das konnte er jetzt
nicht tun – nicht heute Abend. Er konnte nicht mehr klar denken,
und daran war nur seine Lüsternheit schuld, und auch die ihre – und
außerdem mussten sie zu dem Ball zurück.