14
 
»Fahren Sie los!« Demon kletterte in die Kutsche, ein Stallknecht schloss die Tür hinter ihm. Die Kutsche holperte aus dem Hof des Angel.
»Bist du sicher, dass Gillies alles unter Kontrolle halten kann?«, fragte Flick ihn. »Es ist nicht nötig, dass du mich bis nach Hillgate End begleitest.«
Demon setzte sich neben sie, sah sie an und lehnte sich dann in die Kissen. »Gillies ist sehr gut in der Lage, Bletchley zu beobachten und ihm dann zurück nach London zu folgen.«
Demon war nach unten gegangen und hatte Frühstück für Flick bestellt, dabei hatte er Gillies getroffen, der an der Eingangstür wartete. Bletchley, so erfuhr Demon, war schon unterwegs zu dem Feld, auf dem der Preiskampf ausgetragen werden sollte.
»Ich habe gehört, wie er den Gastwirt gefragt hat, wo dieses Feld ist«, hatte Gillies Demon erklärt. »Er hat sich auch nach einer besonderen Kutschverbindung von London hierher erkundigt.«
Nachdem in der vergangenen Nacht nichts weiter geschehen war, schien es so, als hätte Bletchley sich in Newmarket nur die Zeit vertrieben, um sich dann den Preiskampf anzusehen, aber … sie konnten nicht sicher sein, dass er nicht doch noch ein Treffen arrangiert hatte, das inmitten der Menschenmenge um den Ring stattfinden sollte. Weder er noch Gillies glaubten zwar daran – eine Diskussion über einen Betrug beim Pferderennen in einer Menschenmenge, in der es so viele aufmerksame Zuhörer gab, schien dumm zu sein, und bis jetzt hatte das Syndikat nicht den Anschein erweckt, Fehler zu machen. Gillies war Bletchley nicht gefolgt, er hatte auf Befehle von Demon gewartet.
»Er ist heute Morgen mit der gleichen Gruppe losgezogen, mit der er sich auch gestern Abend unterhalten hat. Sie sind alle direkt zu dem Kampf gegangen.«
Es gab die vage Möglichkeit, dass das Treffen nach dem Kampf stattfinden würde, obwohl auch das sehr unwahrscheinlich schien, wenn man bedachte, was für ein Durcheinander nach dem Kampf herrschen würde. Und dennoch …
Demon hatte seine Pläne geändert. Gillies sollte Bletchley beobachten und ihm folgen, sogar bis nach London, wenn das notwendig wäre.
»Gillies weiß, mit wem er sich in London in Verbindung setzen muss – wir werden dafür sorgen, dass Bletchley ständig beobachtet wird. Er wird sich schon sehr bald mit seinen Auftraggebern treffen müssen.«
Flick stieß ein ungeduldiges Geräusch aus, doch Demon ignorierte es. Er war erleichtert, dass Bletchley nach Süden reisen würde. Wenn er erst einmal verschwunden wäre, wäre auch die Gefahr, dass Flick sich Hals über Kopf in ein Abenteuer stürzte, wesentlich geringer.
Da Gillies bei dem Boxkampf war, hatte Demon sich einen Kutscher gesucht, der die Kutsche zurück nach Hillgate End fahren würde, dann hatte er in aller Ruhe gefrühstückt und Flicks Rechnung beglichen, ohne dafür dem Wirt eine Erklärung zu geben. Danach war er nach oben gegangen, um sie hinunter zu der Kutsche zu begleiten. Sie trug den weiten Umhang und den Schleier.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Boxkampf bereits begonnen, es war also niemand da, der ihre Abreise aus dem Gasthof hätte beobachten können. Der einzige Nachteil in ihrem Plan war Ivan der Schreckliche, der hinten an der Kutsche angebunden war.
Ivan hasste es, angebunden zu sein – ganz besonders hinter einer Kutsche. Er würde sehr schlecht gelaunt sein, wenn Demon auf ihm von Hillgate End nach Hause reiten würde.
Doch Demon war nicht in der Stimmung, sich Sorgen um Ivan zu machen, denn noch ehe er nach Hause reiten würde, hatte er eine ganze Anzahl wichtiger Dinge zu erledigen. Das Wichtigste saß gleich neben ihm und betrachtete gelassen die Landschaft vor dem Fenster, und in ihrem engelhaften Gesicht zeigte sich nicht die leiseste Unruhe.
Und das überraschte ihn wirklich.
Er war einunddreißig und hatte mit unzähligen Frauen geschlafen – sie war gerade zwanzig und hatte ihre erste Nacht mit einem Mann verbracht. Mit ihm. Und dennoch war sie völlig gelassen. Sie war aufgeregt genug gewesen, als er sie in ihrem Zimmer zurückgelassen hatte, um nach unten zu gehen und sich um das Frühstück zu kümmern. Doch als er zurückgekommen war, war sie vollkommen ruhig, hatte ihre übliche Selbstsicherheit wieder gefunden. Natürlich war sie zu dem Zeitpunkt auch schon angekleidet gewesen.
Sie hatte ihren Schleier abgelegt, als sie aus Bury hinausgefahren waren. Ein schneller Blick zeigte Demon ihr gelassenes Gesicht, ein kleines Lächeln lag in ihren Mundwinkeln und ihren sanften Augen. Als würde sie sich an die Ereignisse der Nacht erinnern und diese Erinnerungen genießen.
Demon rückte ein Stück zur Seite, dann sah er aus dem Fenster – und dachte noch einmal über seinen Plan nach.
Flick war in Gedanken wirklich bei den Ereignissen der letzten Nacht und des heutigen Morgens. Sie überlegte, wie sehr sie alles genossen hatte. Sie fühlte sich noch immer eigenartig entrückt – als würde ihr ganzer Körper glühen, bis hin zu den Zehenspitzen. Wenn das Befriedigung war, dann gefiel sie ihr ausnehmend gut. Und das machte sie nur noch entschlossener.
Es schien deutlich zu sein, dass Demon sie wirklich lieben könnte – dessen war sie ganz sicher. Jetzt musste sie nur noch dafür sorgen, dass er es auch tat, ehe sie zustimmte, ihn zu heiraten.
Sie musste ihn dazu bringen, sich in sie zu verlieben. Noch vor einem Monat hätte sie über diesen Gedanken gelacht und ihn für unmöglich gehalten, doch mittlerweile waren die Aussichten recht gut. Wenn die letzte Nacht und der heutige Morgen ein Anzeichen dafür waren, war er bereits auf dem besten Weg.
Er machte sich etwas aus ihr – ging sehr vorsichtig mit ihr um, und er genoss es deutlich, sie glücklich zu machen. Er hatte sie auf vielerlei Arten unendlich glücklich gemacht. Und danach war er noch immer besorgt und liebevoll gewesen, auf seine übliche anmaßende Art.
Sie verbrachte die Fahrt in angenehmen Erinnerungen, doch als die Kutsche durch Newmarket rollte, riss sie sich zusammen und ermahnte sich, nicht länger an diese Dinge zu denken. Sie würde in den nächsten Tagen nur wenig Freude haben – wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, bis er sie liebte.
Sie warf ihm einen schnellen Blick von der Seite zu, dann sah sie weg und ging in Gedanken noch einmal ihre Pläne durch.
Als sie durch das Tor von Hillgate End fuhren, brach Demon das Schweigen.
»Falls du dir Gedanken machst – ich habe vor, dem General zu erklären, dass wir beide durch einen unvermeidlichen Zufall in der letzten Nacht zusammen in einem Zimmer im The Angel gesehen wurden, von einem der schlimmsten Klatschmäuler der gehobenen Gesellschaft, und dass du demzufolge zugestimmt hast, mich zu heiraten.«
Flick wandte den Kopf und begegnete seinem Blick. »Das habe ich nicht getan.«
Sein Gesicht wurde hart. »Du hast seit dem gestrigen Abend eine ganze Menge getan – was genau ist es also, das du glaubst, noch nicht getan zu haben?«
Seine Stimme klang entschlossen, die Worte waren abgehackt. Doch Flick ignorierte die Warnung. »Ich habe noch nicht zugestimmt, dich zu heiraten.«
Das Geräusch, das aus seinem Mund kam, klang ärgerlich. Abrupt setzte er sich gerade hin. »Flick, diesmal bist du wirklich und gründlich kompromittiert worden. Du hast gar keine andere Wahl als …«
»Ganz im Gegenteil.« Sie hielt seinem Blick stand. »Ich kann noch immer Nein sagen.«
Demon starrte sie an, seine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Aber warum solltest du Nein sagen?«
»Ich habe meine Gründe.«
»Und was sind das für Gründe?«
Sie betrachtete ihn. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mehr brauche als nur gewisse Umstände, damit ich davon überzeugt bin, dass wir heiraten sollten. Was du in der letzten Nacht getan hast, hat mir nicht gereicht.«
Er runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf. Sein Gesicht war grimmig verzogen. »Lass mich meine Absicht deutlich machen. Ich werde dem General das erzählen, was ich dir eben gesagt habe, und wenn du dann noch immer nicht einverstanden bist, mich zu heiraten, werde ich ihm auch noch den Rest erzählen: dass ich die ganze Nacht in deinem Bett verbracht habe – und die halbe Nacht in dir.«
Sie zog die Augenbrauen hoch, betrachtete ihn eingehend, dann sah sie wieder weg. »Du weißt selbst, dass du ihm das niemals erzählen wirst.«
Demon starrte sie an, sah ihr Profil, ihr Kinn, das sie so entschlossen vorgereckt hatte, ihre Stupsnase – und widerstand dem Wunsch, seine Hände nach ihr auszustrecken.
Sie hatte natürlich Recht – er würde niemals etwas tun, das ihre Beziehung zu dem General gefährden könnte, einer der wenigen Menschen, an dem ihm etwas lag. Der General würde sehr wahrscheinlich verstehen, warum er so gehandelt hatte, aber er würde nicht verstehen, warum sie sich weigerte, Demon zu heiraten. Genauso wenig wie Demon selbst das verstand.
Er zwang sich, sich zu entspannen, sank in die Polster zurück und starrte aus dem Fenster. Die Pferde trotteten ungerührt weiter.
»Welche Geschichte hast du dir denn ausgedacht, um deine Reise nach Bury zu erklären?« Er hatte diese Frage gestellt, ohne Flick anzusehen. Er fühlte ihren Blick einen Moment auf sich, ehe sie antwortete.
»Ich habe gesagt, ich würde Melissa Blackthorn besuchen – ihre Familie lebt ein Stück hinter Bury. Wir besuchen einander oft, ohne unseren Besuch vorher anzukündigen.«
Demon dachte nach. »Also gut. Du hattest du Absicht, Miss Blackthorn zu besuchen – Gillies hat angeboten, dich dorthin zu fahren, in der Hoffnung, sich dadurch den Boxkampf ansehen zu können, aber als du Bury erreicht hast, war die Straße vom Verkehr blockiert, und du wurdest in dem Durcheinander gefangen und konntest nicht weiterfahren. Es wurde dunkel, und du warst noch immer dort. Da du von dem Boxkampf nicht au fait warst, hast du Zuflucht im Angel gesucht.« Er warf Flick einen Blick zu. »Hoffentlich wird niemand etwas von deiner Verkleidung erfahren, denn sonst fliegt deine Geschichte auf.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Bury ist weit genug weg – keiner der Dienstboten hat Verwandte, die dort wohnen.«
Demon stieß ein unwilliges Geräusch aus. »Wir können nur hoffen. Also – du warst im Angel, als ich dort ankam, in der Absicht, mir den Boxkampf anzusehen. Ich habe dich getroffen … und dann hat Lord Selbourne uns beide zusammen gesehen. Ich habe dich also heute Morgen sofort nach Hause gebracht, damit wir die Situation besprechen können.« Er wandte sich Flick zu. »Klingt die Geschichte plausibel, oder gibt es Lücken?«
Sie schüttelte den Kopf und verzog dann das Gesicht. »Ich hasse es, den General anzulügen.«
Demon sah aus dem Fenster. »Wenn man bedenkt, dass es uns bis jetzt gelungen ist, weder Dillon noch das Syndikat zu erwähnen, sehe ich keinen Grund dafür, jetzt darüber zu reden.« Es würde den General nur aufregen, wenn er wüsste, dass die augenblickliche verzwickte Lage das Ergebnis von Flicks Bemühungen war, Dillon zu beschützen.
Die schattige Einfahrt zum Haus lag hinter ihnen, vor ihnen erstrahlte das Haus im Sonnenschein. Die Kutsche hielt an, Demon öffnete die Tür, stieg aus und half Flick beim Aussteigen. Jacobs öffnete die Haustür, als sie anklopften, und Demon führte Flick ins Haus.
Mrs. Fogarty kam und bemühte sich um Flick, die ihren Fragen geschickt auswich. Sie warf Demon einen fragenden Blick zu – doch sein Gesicht verriet nichts von seinen Gedanken. Einen Augenblick lang runzelte Flick die Stirn, doch dann ließ sie sich von Mrs. Fogarty ablenken. Die Haushälterin folgte Flick, als diese zu ihrem Zimmer ging.
Demon sah ihr nach, seine Mundwinkel zogen sich ein wenig nach oben. Herausforderungen – noch mehr Herausforderungen. Er wandte sich auf dem Absatz um und ging in die Bibliothek.
 
»Also … mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe.«
In dem Sessel hinter seinem Schreibtisch lehnte sich der General zurück und legte die Finger gegeneinander. »Du und Felicity wurdet wieder einmal in einer offensichtlich kompromittierenden Lage entdeckt, nur hat euch diesmal jemand gesehen, dem es eine große Freude machen wird, Felicitys guten Namen zu ruinieren. Du hingegen bist bereit, das Mädchen zu heiraten, aber sie erweist sich als störrisch und will nicht. Also, anstatt sie zu dieser Ehe zu zwingen, schlägst du vor, dass ich sie zu deiner Mutter schicke, zu Lady Horatia, damit sie die Freuden einer Saison in London genießen kann. Unter den Fittichen deiner Mutter wird man, auch ohne eine förmliche Erklärung, annehmen, dass sie deine Zukünftige ist, aber das Zwischenspiel wird Felicity Zeit geben, sich an diese Stellung zu gewöhnen und den Heiratsantrag anzunehmen, weil es vernünftig ist, dich zu heiraten.« Er sah zu Demon auf. »Ist das so richtig?«
Demon stand vor dem Fenster und nickte. »Wenn sie natürlich während der Zeit in London einen anderen Gentleman kennen lernt und eine Beziehung eingeht, die erwidert wird, dann gebe ich Ihnen mein Wort, dass ich sie ohne jegliche Einschränkung gehen lasse. Es ist ihr Glück – ihr Ruf -, der mir wichtig ist.«
»In der Tat. Hm.« Die Augen des Generals blitzten. »Also, es gibt keinen Grund, warum sie die Reise nach London ablehnen sollte. Es wird ihr sowieso gut tun, all das zu erleben, was sie bisher vermisst hat, weil sie hier bei einem alten Mann geblieben ist.«
Der Gong zum Mittagessen ertönte, der General lachte leise und stand auf. »Großartige Idee. Wir wollen gehen und es ihr erzählen, wie?«
Demon lächelte lässig und schlenderte neben dem General zum Esszimmer.
 
»London?« Flick starrte Demon an, der ihr am Esstisch gegenübersaß.
»Hm – die Hauptstadt. Meine Mutter würde sich freuen, dich bei ihr begrüßen zu können.«
Es war alles so durchsichtig. Flick sah nach rechts, wo der General saß und milde nickte. Er nahm sich gerade von den Erbsen. Er schien sich wegen ihres Rufs keine Sorgen zu machen, und dafür war sie Demon auch dankbar. Sie hätte es nicht ertragen können, wenn der liebe alte Kerl sich aufgeregt hätte. Dennoch war sie ziemlich sicher, dass er nur deshalb so guter Laune war, weil er glaubte, dass sie in London, unter den Fittichen von Lady Horatia, ihre Meinung vielleicht ändern und seinen Protegé zu ihrem Ehemann nehmen würde, weil ihr Ruf, wenn auch nicht vollkommen zerstört, so doch recht mitgenommen war. Und es bestand immerhin die Möglichkeit, dass er Recht hatte.
Außerdem gab es eine ganze Reihe guter Gründe, warum sie Demons Plan gutheißen sollte. Und einer davon war die Tatsache, dass Bletchley nach London gegangen war. Und auch wenn sie nie zuvor Interesse an den Vergnügungen der gehobenen Gesellschaft gehabt hatte, musste sie, wenn sie Demon heiraten wollte, auf diesem Gebiet Fuß fassen. Sie war plötzlich neugierig, wie und mit wem er seine Tage in London verbrachte.
Abgesehen von allem anderen: Wenn sie wollte, dass er sich in sie verliebte, dann musste sie bei ihm sein.
Sie sah ihm tief in die Augen, dann nickte sie. »Ja – ich glaube, das würde mir gefallen.«
Er lächelte. »Gut. Gleich morgen werde ich dich hinbringen.«
 
»Wie, um alles in der Welt, ist das nur passiert?«
Früh am nächsten Morgen, auf ihrer Fahrt nach London, wandte Flick sich auf dem Sitz des Zweispänners um und sah zu Gillies, der hinten auf dem Wagen stand. »Ich dachte, Sie würden ihm folgen.«
Gillies sah sie gequält an, und an seiner Stelle antwortete Demon. »Wir haben geglaubt, dass Bletchley die Absicht hatte, mit einer der besonderen Kutschen von Bury zurück nach London zu fahren – Gillies hat gehört, dass er sich danach erkundigt hat, wo er diese Kutschen finden könnte. Nachdem er Bletchley während des ganzen Kampfes beobachtet und nichts erfahren hat, ist Gillies schließlich zu der Straße gegangen, die nach Bury führt, und hat darauf gewartet, dass Bletchley vorüberkäme. Aber er ist nicht gekommen.«
»Oh?« Noch einmal sah Flick zu Gillies.
Der verzog das Gesicht. »Er muss mit einem anderen Wagen zurück nach Newmarket gefahren sein.«
»Und dort hat er ein Pferd gemietet und kam kühn über die Einfahrt zum Herrenhaus geritten.« Demon biss die Zähne zusammen. Das hatte ihm gar nicht gefallen – doch glücklicherweise hatte Bletchley weder Flick noch ihn gesehen.
Flick lehnte sich in ihrem Sitz zurück. »Ich hätte beinahe eine Vase fallen lassen, als Jacobs erwähnt hat, dass er dem Haus einen Besuch abgestattet und sich nach Dillon erkundigt hat.«
»Gott sei Dank hat Jacobs ihn weggeschickt.« Demon lenkte die Pferde an einem Bauernwagen vorbei und ließ dann die Zügel wieder locker. »Bletchley ist zurück zum Rutland Arms geritten und hat von da aus die Abendkutsche nach London genommen.«
»Also haben wir ihn verloren.«
Demon warf Flick einen schnellen Blick von der Seite zu und stellte erleichtert fest, dass sie die Stirn nur ein wenig gerunzelt hatte. »Für den Augenblick. Aber wir werden ihn wieder finden, keine Sorge.«
»London ist sehr groß.«
»Das ist wahr, aber es wird möglich sein, die Plätze zu beobachten, an denen sich Bletchley vermutlich mit einer Gruppe von Gentlemen treffen wird. Die Gesellschaft in London mischt sich nicht bei vielen Gelegenheiten. Er wird sich bei Limers, Tattersalls und in ein paar anderen, weniger einladenden Gasthäusern aufhalten.«
»Aber ist es nicht dennoch so, als würde man eine sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen suchen?«
Demon zögerte einen Augenblick, dann verzog er das Gesicht. »Es könnte auch noch eine andere Möglichkeit geben, Mitglieder des Syndikats zu identifizieren, ganz unabhängig von einem Treffen Bletchleys mit seinen Auftraggebern. Und das würde alles viel einfacher machen, falls es dieses Treffen wirklich gibt.«
»Und welche Möglichkeit wäre das?«
Flick sah ihn aufmerksam an. Den Blick auf seine Pferde gerichtet, erzählte er ihr von seiner Begegnung mit Heathcote Montague und davon, was sie beide zu erreichen versuchten.
Am Ende seiner Erklärung lehnte sich Flick zurück. »Gut. Wir haben also unseren Plan, Dillon zu helfen, noch nicht aufgegeben – es ist nur so, dass unsere Nachforschungen jetzt in eine andere Richtung gehen.«
»Da wir gerade von Dillon sprechen – weiß er überhaupt, dass du Newmarket verlassen hast?«
»Ich habe ihm durch Jiggs eine Nachricht geschickt – er sollte Dillon sagen, dass wir eine Spur in London verfolgen und dass ich noch nicht wüsste, wann wir zurückkommen. Aber er soll solange in seinem Versteck bleiben. Ich habe ihm versprochen, ich würde ihm schreiben und ihm mitteilen, was wir herausgefunden haben. Jiggs wird ihm die Briefe geben.«
Demon nickte. Auf jeden Fall würde diese Reise nach London Flick von Dillon fern halten – solange sie in London war, konnte sie sich ausschließlich auf ihn, Demon, konzentrieren. Er war sicher, dass seine Mutter sie in allem unterstützen würde, während sie gleichzeitig Flick – eine junge Dame, die ihrer Fürsorge anvertraut worden war – davon abhalten würde, Bletchley, das Syndikat oder sonst irgendwelche Bösewichte zu verfolgen. Trotz der Tatsache, dass sowohl Bletchley als auch die Mitglieder des Syndikats in London waren, fühlte er keine Unsicherheit, Flick dorthin zu bringen.
Und was die Gefahr betraf, die Lord Selbourne für sie bedeuten würde, die war, wenigstens für den Augenblick, abgewendet, denn Seine Lordschaft war nach dem Boxkampf sofort nach Norfolk gereist, um dort seine Schwester zu besuchen.
Der Zweispänner fuhr durch den hellen Morgen, die Räder rollten leicht über den Schotter. Obwohl sie Bletchley verloren hatten und Demon seine Pläne der Widerspenstigkeit eines gewissen Engels anpassen musste, so fühlte er sich doch eins mit der Welt. Der Weg, den sie eingeschlagen hatten, schien der richtige zu sein – dies war offensichtlich die richtige Art, Flick dazu zu bringen, Ja zu sagen. Sie gehörte fraglos bereits ihm, aber wenn sie wirklich noch förmlich umworben werden wollte, dann war er damit zufrieden, jetzt nach London zu reisen. Immerhin war das seine Heimat. Er freute sich schon darauf, ihr alles zu zeigen – und sie herumzuzeigen. Der Blick aus ihren großen, unschuldigen Augen erfreute ihn noch immer, und durch ihre Augen sah er die Welt, die er schon seit langem als langweilig abgetan hatte, in einem ganz anderen Licht.
Er warf ihr einen schnellen Seitenblick zu. Der leichte Wind spielte mit ihren Locken und wehte die Bänder ihrer Haube hoch. Ihre Augen waren weit geöffnet, sie blickte nach vorne, ihre weichen roten Lippen waren sanft geschwungen. Sie sah zum Anbeißen aus.
Schnell richtete er den Blick wieder nach vorne, die Erinnerungen daran, wie sie geschmeckt hatte, überfluteten ihn. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, sich abzulenken. Er würde in der nächsten Zukunft seine Dämonen in Schach halten müssen – es hatte keinen Zweck, sie zu locken. Das war ein Nachteil seines Plans, sie unter die Fittiche seiner Mutter zu schicken: Sie würde vor allen anderen sicher sein, allerdings auch vor ihm, selbst wenn sie es sich anders wünschte. Er dachte über die Möglichkeiten nach, kitzelte mit der Peitschenschnur die Ohren seines Leitpferdes und drängte es zu einer schnelleren Gangart.
Neben ihm betrachtete Flick die Landschaft, die an ihr vorüberrollte. Mit jeder Meile wurde ihre Vorfreude größer – es fiel ihr schwer, äußerlich ruhig zu bleiben. Schon bald würden sie London erreichen, und sie würde die andere Seite von Demon kennen lernen, würde das Milieu erleben, in dem er sich bewegte. Sie wusste, dass man ihn für einen außergewöhnlichen Schwerenöter hielt, doch sie konnte sich sehr gut vorstellen, dass sein Benehmen in der gehobenen Gesellschaft ganz anders sein würde als das, was sie von ihm kannte. Während die Meilen dahineilten, verbrachte sie die Zeit damit, sich einen anmutigeren, eleganteren, kraftvolleren Demon vorzustellen, mit einem Deckmantel, unter dem er seinen wahren Charakter verbarg, der ihr sehr vertraut war.
Sie konnte es kaum erwarten, ihn so zu erleben.
Obwohl sie Bletchley verloren hatten, war es unmöglich, ernst zu bleiben. Ihre Laune war überschwänglich, ihr Herz leicht – sie freute sich auf ein Leben in einer völlig anderen Umgebung, die sie nicht erwartet hatte.
Eine Ehe mit Demon – das war ein berauschender Gedanke, ein Traum, den sie nie zu träumen gewagt hatte. Und jetzt sah sie diesem Abenteuer entgegen. Dabei war es nicht so, dass sie an einem Erfolg zweifelte. In ihrer augenblicklichen Stimmung war das völlig unmöglich.
Nach allem, was sie über London gehört hatte, würde es die beste Umgebung für ihren Plan sein – mit den besten Möglichkeiten -, um Demon dazu zu bringen, ihr sein Herz zu schenken. Dann wäre alles perfekt, und ihr Traum könnte Wahrheit werden.
Sie saß mit nur mühsam verhüllter Ungeduld neben ihm und wartete darauf, dass endlich die Stadt in Sicht kam.
Als es schließlich so weit war, blinzelte sie. Und rümpfte die Nase. Sie zuckte bei den groben Schreien zusammen. Die Straßen waren voller Wagen und überfüllt mit Menschen. Sie hätte sich nie eine solche Menschenmenge vorstellen können und fand den Anblick beunruhigend. Von allen Seiten wurden sie von Menschen bedrängt. Und erst der Lärm. Und der Gestank. Und die Kinder – sie waren überall.
Sie hatte im Haus ihrer Tante nur kurze Zeit in London gelebt. An einen solchen Anblick wie jetzt konnte sie sich nicht erinnern, aber das war ja auch schon lange her. Während Demon sich auf seine Pferde konzentrierte und sie geschickt durch den dichten Verkehr lenkte, rückte sie näher an ihn heran, bis sie die Wärme seines Körpers durch ihren Umhang fühlte.
Zu ihrer Erleichterung stellte sich heraus, dass die vornehme Gegend schon eher so war wie in ihrer Erinnerung – ruhige Straßen mit eleganten Häusern und ordentlich eingezäunten Gärten. In der Tat war dieser Teil von London besser, sauberer und noch schöner als in ihrer Erinnerung. Ihre Tante hatte in Bloomsbury gelebt, bei weitem nicht so elegant wie der Berkeley Square, wohin Demon sie brachte.
Er ließ seine Braunen vor einem großen Herrenhaus anhalten, das so beeindruckend war wie nur wenige der Häuser, die sie bis jetzt gesehen hatte. Und als Gillies dann die Zügel nahm und Demon ausstieg, starrte Flick an der Fassade des Hauses hoch und wusste plötzlich, wie es war, sich nicht wohl zu fühlen.
Doch dann nahm Demon ihre Hand und beruhigte sie. Sie rutschte vom Sitz und ließ sich von ihm aus der Kutsche helfen. Sie umklammerte fest den Griff ihres Sonnenschirms, dann nahm sie den Arm, den er ihr bot, und ging neben ihm her die Treppe zum Haus hinauf.
Wenn das Haus schon beeindruckend und ein wenig beängstigend war, so war der Butler, Highthorpe, noch viel schlimmer. Er öffnete die Tür, nachdem Demon angeklopft hatte, und sah sie hochmütig an.
»Ah, Highthorpe – wie geht es dem Bein?« Mit einem freundlichen Lächeln für den Butler führte Demon Flick über die Schwelle. »Ist die Lady zu Hause?«
»Meinem Bein geht es viel besser, danke, Sir.« Highthorpe hielt die Tür weit auf und verbeugte sich ehrfürchtig, dann schloss er hinter ihnen die Tür und wurde ein wenig lockerer. »Die Lady ist in ihrem Heiligtum, glaube ich.«
Demons Lächeln wurde noch eine Spur freundlicher. »Das ist Miss Parteger, Highthorpe. Sie wird eine Weile bei Mama bleiben. Gillies bringt ihr Gepäck.«
Vielleicht war es nur ein Sonnenstrahl, der durch das Oberlicht über der Tür hereinfiel, doch Flick hätte schwören können, dass es Interesse war, das plötzlich in Highthorpes Augen aufblitzte. Er lächelte und verbeugte sich noch einmal vor ihr. »Miss. Ich werde Mrs. Helmsley sagen, dass sie sofort ein Zimmer für Sie vorbereitet – Ihr Gepäck werde ich gleich dorthin bringen lassen. Zweifellos möchten Sie sich nach der Reise frisch machen.«
»Danke.« Flick erwiderte sein Lächeln – Highthorpe schien plötzlich gar nicht mehr so schlimm zu sein. Demon zog sie weiter.
»Ich lasse dich im Salon zurück und hole Mama.« Er öffnete eine Tür und schob sie in das Zimmer.
Ein Blick in den eleganten Raum, der ganz in Blau und Weiß eingerichtet war, genügte, und Flick wandte sich zu ihm um. »Bist du wirklich sicher, dass das ein so guter Gedanke ist? Ich könnte doch auch bei meiner Tante wohnen …«
»Mama wird erfreut sein, dich kennen zu lernen.« Er sprach diese Worte aus, als hätte sie gar nichts gesagt. »Ich bin in ein paar Minuten wieder da.«
Er ging und schloss die Tür hinter sich. Flick starrte auf die weiß gestrichene Tür – doch er kam nicht zurück. Seufzend sah sie sich um.
Sie betrachtete das mit weißem Damast bezogene Sofa, dann sah sie an ihrem schlichten, wahrscheinlich sehr altmodischen Umhang hinunter. Sich in diesem Umhang auf das Sofa zu setzen, schien ihr wie ein Sakrileg. Daher blieb sie stehen, strich sich die Röcke glatt und versuchte vergeblich, die Falten unter ihrem Umhang zu verstecken. Was würde Lady Horatia – die Lady, die über ein so elegant eingerichtetes Wohnzimmer herrschte – von ihrem unmodernen Aufzug halten?
Doch die Antwort darauf blieb ihr erspart.
Die Tür öffnete sich weit, und eine große, beeindruckend elegante Frau betrat das Zimmer.
Sie kam mit einem breiten Lächeln und strahlenden Augen auf sie zu, und Flick konnte sich nicht vorstellen, was sie getan hatte, um das zu verdienen. Aber an der Wärme, mit der Lady Horatia sie umarmte, gab es keine Zweifel.
»Meine Liebe!« Lady Horatia legte ihre Wange an die von Flick, dann richtete sie sich wieder auf und hielt Flick auf Armeslänge von sich ab, nicht um ihren etwas ärmlichen Umhang zu betrachten, sondern um ihr ins Gesicht zu sehen. »Ich bin ja so erfreut, dich kennen zu lernen und dich in diesem Haus willkommen zu heißen. In der Tat« – sie warf Demon einen schnellen Blick zu – »habe ich erfahren, dass ich das Glück haben werde, dich in die Gesellschaft einzuführen.« Lady Horatia strahlte Flick an. »Das macht mich wirklich sehr froh!«
Flick lächelte dankbar.
Lady Horatias Lächeln wurde noch breiter, und ihre blauen Augen, die denen von Demon so ähnlich waren, blitzten. »Jetzt können wir Harry wegschicken und uns miteinander bekannt machen.«
Flick blinzelte, dann erst begriff sie, als Lady Horatia sich zu Demon wandte, dass sie ihn meinte.
»Du darfst zum Abendessen kommen.« Lady Horatia zog eine Augenbraue hoch – eine Geste, die höchst spöttisch war. »Ich nehme an, du hast nichts anderes vor?«
Demon – Harry – lächelte. »Natürlich.« Er wandte sich an Flick. »Wir sehen uns dann um sieben.« Er nickte ihr und seiner Mutter noch einmal zu, dann ging er lässig zur Tür und schloss sie leise hinter sich.
»Nun!« Lady Horatia wandte sich zu Flick um und lächelte strahlend. »Endlich!«