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Vignette

Vor dem Ziehbrunnen im Hof hockte Henry und schlief. Er war im Sitzen eingeschlafen, hatte die Arme um die Knie geschlungen, den Kopf seitlich an die Mauer gelehnt und schnarchte leise. Ohne sein Schnarchen wäre Bess in der Dunkelheit vermutlich gar nicht auf ihn aufmerksam geworden, doch so weckte sie ihn, indem sie ihn unsanft an der Schulter packte, und befahl: »Komm!«

Es dauerte eine Weile, bis er begriff, wo er war. Dann fragte er: »Wohin?«

»Willst du etwa die ganze Nacht hier draußen schlafen?«

Henry reckte die steifen Glieder, gähnte und schüttelte den Kopf.

»Mach schon!« Bess ging zur Hintertür voraus, öffnete sie, horchte ins Innere und gab Henry mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass die Luft rein war. Sie stiegen leise die Treppe hinauf, vergewisserten sich im Obergeschoss, dass nirgendwo Licht brannte und niemand sie sah, und verschwanden schließlich im Zimmer mit der Nummer zehn.

Es war stockfinster im Raum. Der Mond war inzwischen untergegangen, und durch das Fenster fiel kein Licht ins Innere. Bess entledigte sich der Schuhe, zog die Strümpfe aus, öffnete das Mieder, nahm das Seidentuch aus dem Dekolleté, schlüpfte aus dem Kleid und legte sich im dünnen Unterrock ins Bett.

»Wo bist du?«, flüsterte Henry.

»Hier«, antwortete sie, »im Bett.«

»Und wo soll ich schlafen?«

Sie klopfte neben sich auf die Bettdecke.

Stille.

»Nun hab dich nicht so! Ich beiße nicht.«

Rascheln. Dann ein leises Poltern und ein unterdrückter Schmerzensschrei.

»Verdammt! Hast du kein Licht?«

»Du brauchst Licht, um dich auszuziehen?«

»Ja, nein, schon gut.« Wieder ein Rascheln und Rumpeln. Und dann spürte sie seinen Körper neben sich. Er war eiskalt, und als seine Füße ihre Waden berührten, stieß sie einen spitzen Schrei aus.

»’tschuldigung. War ganz schön kalt da draußen.«

»Kannst dich ruhig an mir wärmen.«

»Nicht nötig. Geht schon.«

»Unfug! Zier dich nicht so! Bist ja ganz durchgefroren.«

Sie drehte ihm den Rücken zu, streckte ihm den Po entgegen, und als er sich an sie schmiegte, spürte sie etwas Hartes an ihrem Steiß.

Bess lachte und fragte: »Willst du mit mir schlafen?«

»Was? Warum? … Ach so, nein.« Er rückte ein wenig von ihr ab, was wegen der Enge des Bettes kaum möglich war. »Tut mir leid.«

»Muss dir nicht leidtun. Ich nehm’s als Kompliment. Also? Willst du mit mir schlafen?« Sie drängte sich erneut an ihn. »Musst auch nicht dafür bezahlen. Geht aufs Haus.«

Sie hörte, wie er schluckte, und merkte, wie seine Erregung wuchs. Doch dann räusperte er sich und sagte: »Kann ich nicht einfach nur neben dir schlafen?«

»Weil ich eine Hure bin?«

»Nein, Bess.«

»Sondern?«

»Weil ich dich mag.«

»Versteh einer die Kerle«, sagte sie betont abfällig und versuchte, nicht zu erkennen zu geben, dass seine Antwort sie in höchstem Maß erfreut hatte. Am liebsten hätte sie ihm einen Kuss gegeben, doch stattdessen nahm sie seine kalte Hand, legte sie sich auf den Bauch und sagte: »Gute Nacht, Henry.«

»Schlaf gut, Bess.«

Sie wartete, bis sie sein Schnarchen hörte. Und dann fielen ihr die Augen zu.