NEUNUNDZWANZIG

In dieser Nacht schlief keiner der drei. Grant und Jackson standen abwechselnd auf dem Gang Wache und kämpften mit zahllosen Zigaretten und literweise Kaffee gegen den Schlaf an. Reed hingegen benötigte keine Aufputschmittel. Jede Stunde klopften sie an seine Tür, um nachzusehen, ob der Professor irgendetwas brauchte; jedes Mal verscheuchte er sie mit einer Handbewegung. Wie er da im Schein einer Lampe gebeugt an seinem Schreibtisch saß, einen Morgenrock über der Kleidung, und fieberhaft kritzelte, erinnerte er Grant an eine Gestalt aus einem Märchen – eine Art Rumpelstilzchen, das die Nacht durcharbeitete, um Papier und Ton zu Gold zu spinnen.

Wenn Grant gerade nicht selbst mit Wachehalten an der Reihe war, lag er schlaflos auf seinem Bett, zitternd von dem vielen Koffein, dem Nikotin und der Übermüdung. Er bemühte sich, die Gedanken an Marina zu verdrängen. Wenn ihm das nicht gelang, versuchte er seine Ängste zu unterdrücken, indem er glücklichere Erinnerungen heraufbeschwor. Auch das half nicht. Um drei Uhr früh, nach seiner zweiten Wache, stieg er zur Dachterrasse des Hotels hinauf und ließ den Anblick der nächtlichen Stadt auf sich wirken. Das Hotel lag im Viertel Sultanahmet, im Herzen der Altstadt. Zur Rechten konnte er die Spitze eines Obelisken im alten Hippodrom sehen, ein Stück daneben die Kuppeln der Blauen Moschee und die Minarette der Hagia Sophia. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben empfand er die Schönheit der Geschichte.

Als er wieder hinunterging, war der Gang leer, und die Tür zu Reeds Zimmer stand offen. Grant rannte los, doch dann hörte er aus dem Zimmer vertraute Stimmen und verlangsamte seinen Schritt. Reed war noch dort. Er saß in sich zusammengesunken auf seinem Stuhl, während Jackson über seine Schulter auf etwas auf dem Schreibtisch starrte.

Als Grant eintrat, hob Jackson den Kopf. «Er hat es geknackt.»

Reed wirkte erschüttert – so sehr, dass es nicht allein mit seiner Übermüdung zu erklären war. Er sah aus wie ein Mann, der hinter den Vorhang eines Heiligtums geblickt hatte und von dem, was er dort sah, restlos überwältigt war.

«Jacksons Witz hat sich als die buchstäbliche Wahrheit erwiesen. Die Sprache von Linear B ist Griechisch. Eine sehr primitive, archaische Form, aber erkennbar Griechisch.»

«Hatten Sie nicht gesagt, dass das schon vor Jahren vermutet worden ist?»

«Ja, schon. Aber damals war es eben nicht mehr als eine wilde Vermutung – diese Leute haben versucht, einen Schlüssel zu erraten, dabei hatten sie noch nicht einmal das Schloss gefunden. Es war, als hätte man einen Funkspruch in Enigma-Verschlüsselung aufgefangen und würde vermuten, er sei in Deutsch. Schön und gut, aber damit kann man nichts anfangen, solange man nicht den Code durchschaut hat, seine Grammatik und Syntax und wie er die Sprache wiedergibt. Man muss von unten nach oben arbeiten – erst dann helfen Vergleiche mit anderen Sprachen weiter. In diesem besonderen Fall hatten wir unglaubliches Glück. Es hätte sich auch um eine völlig neue Sprache handeln können oder um eine, die mit den uns bekannten Sprachen nur entfernt verwandt ist. Stattdessen ist es eine der am besten erforschten Sprachen unseres Planeten.»

«Sie haben hervorragende Arbeit geleistet», sagte Jackson mit echter Wärme. «Aber was haben Sie denn nun herausgefunden?»

Reed kratzte sich am Kopf. «Die Folgerungen, die sich daraus ableiten lassen, sind verblüffend. Bisher war sich die Wissenschaft darüber einig, dass die Mykener eine prägriechische Kultur waren, die unterging, ehe die Griechen kamen. Jetzt scheint es, als hätten beide nebeneinander existiert. Das hebt alles, was in den Geschichtsbüchern steht, völlig aus den Angeln.»

«Scheiß auf die Geschichtsbücher – was ist mit der Schrifttafel?»

«Ach ja.» Reed reichte ihm ein Blatt Papier. «Es gibt noch einiges daran zu tun – manche Konstruktionen sind schwer auszumachen, und es gibt mehrere Symbole, die ich bisher nur vorläufig identifizieren konnte. Aber dies hier sollte Ihnen einen groben Einblick verschaffen.»

Jackson und Grant beugten sich über das Blatt.

«Stellen Sie sich nur vor, wir sind wahrscheinlich die ersten Menschen seit fast dreitausend Jahren, die diese Sprache lesen.»

 
DER KÖNIG VON KRETA HAT DEN STEIN DER HERRIN DES LABYRINTHS GEWIDMET. ABER DIE GÖTTIN WAR DEN MÄNNERN VON KRETA NICHT GEWOGEN. DIE SCHWARZEN SCHIFFE KAMEN NACH ZAKROS UND NAHMEN DEN STEIN AUS DEM MAUL DES LÖWEN [DER HÖHLE?]. DER HEERFÜHRER BRACHTE DEN STEIN ZUM TEMPEL DES SCHMIEDES AUF LEMNOS. IN FEUER UND WASSER SCHMOLZEN DIE EINGEWEIHTEN METALL AUS DEM STEIN UND SCHMIEDETEN EINE RÜSTUNG: ZWEI BEINSCHIENEN; EINEN HELM MIT WANGENSTÜCKEN; EINEN BRONZENEN BRUSTPANZER UND EINEN SCHILD AUS BRONZE, SILBER, GOLD UND BLEI. NACH DEM WILLEN DER GÖTTER GABEN SIE DIES DEM HEROS, DESSEN TATEN WOHLBEKANNT SIND …
 

[Die folgenden zwei Zeilen sind durch einen Bruch in der Tafel unleserlich. Wir dürfen annehmen, dass sie vom Tod des Heros (Achilles?) berichten und davon, was anschließend aus seiner Rüstung wurde. – A. R.]

 
DANN SCHWOR UNSER KAPITÄN, DER GUTE SEEFAHRER, DIE TROPHÄEN NICHT ZU BEHALTEN, SONDERN SIE DEM HEROS ZU WEIHEN. NACH DEM WILLEN DER PRIESTERIN FÜHRTEN DIE RUDERER DIE FRACHT ÜBER DIE GRENZEN DER WELT HINAUS. SIE SEGELTEN AN DER KÜSTE ENTLANG UND ÜBERQUERTEN DEN STROM. BALD DARAUF KAMEN SIE ZU DEM GEHEILIGTEN HAFEN, WO WEIDEN UND PAPPELN UND SELLERIE WACHSEN. DORT, IN DEN BERGEN JENSEITS DES SEES, ERBAUTEN SIE DAS HAUS DES TODES. SIE BRACHTEN BRANDOPFER UND TRUGEN GABEN HINEIN, DIE RÜSTUNG UND DEN SCHILD UND AUCH VIELE BECHER UND GEFÄßE AUS GOLD UND SILBER. DANN SEGELTEN SIE UNTER VIELEN ABENTEUERN HEIMWÄRTS.
 

«Dann müssen wir also nur noch herausfinden, welchen Strom sie überquert haben, und von dort aus den nächstgelegenen Berg suchen.»

«Die meisten Quellen sprechen im Zusammenhang mit der Weißen Insel von einem Fluss», erinnerte sich Grant. «Aber sie sind sich nicht einig, welcher es ist. Der Dnjepr, der Dnjestr, die Donau …»

«Und vermutlich sind sowieso alle diese Angaben nicht korrekt. Vergessen Sie nicht, der Ort liegt wahrscheinlich irgendwo nahe der Meerenge von Kerc, dem Durchfluss vom Asowschen zum Schwarzen Meer.»

Jackson schaute den Professor überrascht an. «Habe ich etwas verpasst?»

«Ich werde es Ihnen erklären», sagte Reed. «Aber wir könnten nicht vielleicht zuerst eine Landkarte auftreiben?»

«Ich habe noch den Schwarzmeerlotsen, den wir benutzt haben, um die Schlangeninsel zu finden. Er liegt in meinem Zimmer.»

Grant holte das Buch, in dessen hinterem Deckel eine gefaltete Karte steckte. Er breitete sie auf dem Bett aus und starrte darauf. Die Linien verschwammen vor seinen müden Augen, eines war jedoch eindeutig zu erkennen. «Da gibt es keine Inseln. Es gibt nicht einmal einen Fluss in der Gegend.»

«Es muss einen geben», beharrte Reed. «Der eine Punkt, in dem sämtliche Texte übereinstimmen, ist der, dass es in der Nähe der Weißen Insel einen Fluss gibt. Das ist ja gerade das Entscheidende – sie müssen den Okeanos überqueren, um in die jenseitige Welt zu gelangen.»

«Ich dachte, sie sind übers Meer gekommen», wandte Grant ein. «Auf dem Meer kann man keinen Fluss überqueren. Das tut man an Land, von einem Ufer zum anderen. Es sei denn, es bedeutet, dass sie an einer Flussmündung vorbeigesegelt sind. Aber es gibt auch keine … Was ist?»

Er brach ab, denn Reed starrte ihn mit einem seltsamen Ausdruck an – nicht mit seiner gewohnten Ungeduld, sondern mit wahrer Ehrfurcht in den Augen. «Das ist es.»

«Was denn?»

«Versuchen Sie das Ganze mal aus Odysseus’ Sicht zu betrachten.» Das Alter und die Erschöpfung schienen von Reed abzufallen, während er sprach. «Sie haben von den Schlachtfeldern Trojas eine kostbare Fracht die Dardanellen hinauf und durch den Bosporos ins Schwarze Meer gebracht. Sie haben sich dicht an der Küste gehalten – über das offene Meer zu segeln war in der damaligen Zeit zu gefährlich –, aber auch dort lauern allerlei Gefahren. Ihre Schiffe wurden von Kannibalen angegriffen, von Stürmen beinahe zerstört. Sie sind wie Marlow in Herz der Finsternis: Sie haben die Grenzen ihrer Welt überschritten und sind in die weißen Bereiche am Rand der Landkarte vorgedrungen. Sie kommen am Land der Kimmerer vorbei, und da – gerade wo sie es erwarteten – gelangen sie in eine Flussmündung. Nicht irgendeine; es ist ein gewaltiger Strom, neun Meilen breit und – wenn sie bei der Überquerung stromaufwärts Ausschau gehalten haben – kein Ende in Sicht. Der Okeanos.»

Endlich begann Grant zu begreifen. «Die Meerenge.»

«Die Strömung aus dem Asowschen ins Schwarze Meer muss den Seefahrern den Eindruck vermittelt haben, dass es sich um einen gewaltigen Strom handelte. Außerdem haben diese Menschen natürlich das gesehen, was sie erwarteten. Und sie haben ihn überquert.» Reed tippte an der Ostseite der Meerenge auf die Karte. «Und hier, am anderen Ufer der Welt, fanden sie die Weiße Insel. Das muss es sein.»

«Das muss es sein?», echote Jackson. «Vor drei Tagen musste es noch die Schlangeninsel sein. Wir hätten uns beinahe ein Ticket einfacher Fahrt für die Transsibirische Eisenbahn eingehandelt, und dann stellte sich heraus, dass wir uns nur geirrt hatten.»

«Die Annahme basierte auf den falschen Texten. Bei Philostratus liegt der Fall anders – er war ein Priester des Hephaistos auf Lemnos, um Himmels willen. Und sein Bericht stimmt mit Homer überein.»

«Natürlich tut er das», konterte Jackson. «Wahrscheinlich hatte er Homer auf dem Schreibtisch liegen, als er sein eigenes Buch schrieb.»

«Aber darum geht es ja gerade: Heroikos war ein bewusster Versuch, Homer zu ‹berichtigen›. Philostratos stimmte nicht mit dessen Schilderungen überein, es sei denn, ihm blieb nichts anderes übrig – das untergräbt ja seine literarische Intention. Philostratos muss etwas gewusst haben, das ihn veranlasste, die Insel gerade dort zu verorten.»

«Vielleicht wusste er aber nicht genug», wandte Grant ein. «Das ändert schließlich nichts an der Tatsache, dass es an der Küste östlich der Meerenge von Kerc keine einzige Insel gibt.»

Reed schwieg.

«Was ist mit der Meerenge selbst?», fragte Jackson und deutete vage auf die Karte, dort, wo zwei Landausläufer sich einander annäherten und so die Meerenge bildeten. Die Westseite wirkte ziemlich massiv, der östliche Ausläufer hingegen glich einem mottenzerfressenen Stofffetzen, so voller Seen und Lagunen, dass er aus mehr Wasser als Land bestand. «Diese ganze Gegend sieht aus wie eine versandete Inselkette.»

«Hier steht, sie sind alle flach und sumpfig», stellte Grant fest, der im Lotsen nachgelesen hatte. «Auf der Schrifttafel ist aber von einem Berg die Rede.»

«Und es ist davon die Rede, dass sie an dem Fluss vorbeigesegelt sind. Selbst wenn diese Landzunge jemals in Inseln unterteilt war, müssten die Seefahrer damals sie für Inseln im Okeanos – der Meerenge – gehalten haben. Wir müssen weiter östlich suchen.»

«Da gibt es aber keine Inseln», wiederholte Grant.

«Vielleicht ist es gar keine Insel.»

Die beiden starrten Reed an, als habe er den Verstand verloren. Angesichts seines wirren Haars und der tief geränderten Augen war diese Vorstellung nicht einmal abwegig.

Sehr langsam sagte Jackson: «Wollen Sie mir etwa erzählen, dass die Weiße Insel schließlich und endlich gar keine Insel ist?»

Reed besaß den Anstand, ein verlegenes Gesicht zu machen. Grant erkannte jedoch, dass das nur eine Maske war, die er automatisch aufgesetzt hatte, während dahinter sein Verstand fieberhaft arbeitete. Er blätterte in seinem Notizbuch. «Da haben wir es. Sie erinnern sich noch an die Chrestomathie in Athen?»

«Das verlorengegangene Gedicht. Die Fortsetzung zu Homer.»

«Nun, Proklos’ Zusammenfassung davon, ja. Nach Achills Tod legen sie ‹die Leiche des Achilleus aufs Totenlager. Seine Mutter, die Meeresnymphe Thetis, kommt mit den Musen herbei und wehklagt um ihren Sohn. Dann entführt sie ihn vom Scheiterhaufen und trägt seinen Körper zur Weißen Insel.›»

«Das widerlegt nicht gerade die Inseltheorie, oder?»

Reed beachtete den Einwand nicht. «Nun, die griechischen Wörter, mit denen Proklos die Weiße Insel bezeichnet, lauten Λεϑχην νησον – Leuken neson.» 

«Und was heißt das?»

«‹Leuken› heißt ‹weiß› und ‹neson› bedeutet ‹Insel›.»

Jackson verdrehte die Augen. «Führt das alles noch irgendwohin?»

«Unter gewissen Umständen kann neson aber auch Halbinsel bedeuten. An anderen Stellen im Epenzyklus wird beispielsweise die peloponnesische Halbinsel als neson bezeichnet.»

«Warum? Hatten die kein eigenes Wort für Halbinsel?»

«Die griechische Dichtung ist metrisch – das heißt, die Wörter müssen in ein bestimmtes Silbenschema passen. Es gibt Wörter, die sich niemals in den Rhythmus fügen, und chersonesos – der korrekte Terminus für Halbinsel – ist ein solches Wort. Während also ein Prosaautor chersonesos geschrieben hätte, konnte ein Dichter das unmöglich tun. Er musste ein Synonym finden, das ins Metrum passte.»

«Aber ist die Chrestomathie denn ein Gedicht? Das, was Sie daraus vorgelesen haben, klang nicht sehr poetisch.»

«Es ist eine Prosazusammenfassung, aber von einem epischen Gedicht. Es ist durchaus denkbar, dass Proklos einfach Formulierungen aus der Originaldichtung übernommen hat, als er seine Kurzfassung schrieb.»

«Sie meinen also, die Weiße Insel ist in Wirklichkeit die Weiße Halbinsel?» Jackson musste trotz allem lachen. «Klingt wirklich nicht so poetisch, das muss ich zugeben.»

«Und bisher ist noch nie jemand auf diesen Gedanken gekommen?»

«Nicht dass ich wüsste.» Reed zuckte die Schultern. «Es ist wie mit Wasser, das einen Berg hinunterfließt. Sobald der erste Tropfen seinen Weg nach unten gefunden hat, folgt der Rest auf demselben Weg. Mit jedem Tropfen strömt es schneller, die Rinne wird immer tiefer ausgewaschen, der Weg wird immer eindeutiger. Und irgendwann denkt niemand mehr daran, die Richtung zu hinterfragen.»

«Klar, wenn Sie es sagen.» Jackson hatte keinen Sinn für Metaphern. Er wandte sich wieder der Karte zu und strich sie glatt. «Wir suchen also nach einer Halbinsel mit Felsenklippen, irgendwo östlich der Meerenge.» Er fuhr mit dem Finger die Küstenlinie entlang. «Hier gibt es ein kleines Kap.»

«Sieht nicht sehr beeindruckend aus», bemerkte Grant skeptisch.

«Das braucht es auch nicht. Es soll gar nicht besonders groß sein.»

Reed konsultierte den Lotsen. Sein Blick glitt rasch über die Seite – und dann blieb er plötzlich an etwas hängen. «Wie heißt diese Stelle?»

«Kap Rusyaeva.»

«‹Kap Rusyaeva›», wiederholte Reed. «‹Hohe, schroffe Klippen am Fuß einer verwitterten Bergkette, durch zahlreiche schmale Täler unterteilt. Unterhalb davon Kiesstrände; am Westufer eine Fabrik für Fischkonserven, wahrscheinlich stillgelegt. Die Klippen sind von auffallend weißer Farbe.›» Er schlug das Buch mit einem Knall zu. «‹Sieht aus der Entfernung aus wie eine Insel.›»

Sekundenlang verarbeiteten sie schweigend diese Information.

«Es scheint alles zu passen», stellte Grant schließlich fest.

«Die Weiße Halbinsel.» Jackson schüttelte ungläubig den Kopf. «Alle Achtung, Professor, diesmal haben Sie sich wirklich selbst übertroffen.»

«Das heißt noch nichts», wandte Grant ein, jedoch ohne wirkliche Überzeugung. «Selbst wenn es die richtige Stelle auf der Landkarte ist, haben wir es immer noch mit einem Küstenabschnitt von mehreren Kilometern zu tun. Und dieser Küstenabschnitt liegt zufällig in der Sowjetunion», fügte er trocken hinzu.

«Ein Grund mehr, dass wir uns schleunigst auf den Weg machen.»

«Was ist mit Marina? Jetzt, nachdem wir wissen, wo der Tempel ist, können wir die Schrifttafel doch eintauschen.»

Reed nickte, Jackson hingegen beobachtete Grant mit einem seltsamen, beunruhigenden Blick, und sein Gesicht nahm einen kalten Ausdruck an. «Wir geben den Kommies überhaupt nichts – nicht ehe dieser Schild sicher in Tennessee ist. Und verdammt nochmal ganz bestimmt nicht, solange er noch in einer Höhle irgendwo auf sowjetischem Territorium liegt.»

Grant starrte ihn fassungslos an. «Sie werden Marina nicht im Stich lassen. Nicht nach allem, was sie für uns getan hat.» Er machte einen Schritt auf Jackson zu.

Der hob die Hände zum Zeichen, dass er kapitulierte. «Schon gut, schon gut. Ich sage ja nur, wir müssen diese Sache durchdacht angehen. Nicht voreilig unsere Asse verspielen für eine Königin.»

«Sie ist keine Spielkarte, Jackson. Was immer die Russen ihr antun – ich werde dasselbe mit Ihnen machen, das können Sie mir glauben.»

«Okay.» Jackson atmete tief durch und setzte sich auf einen Stuhl. «Wir sollten nicht vergessen, dass wir alle auf derselben Seite stehen – und alle dasselbe wollen.»

«Tun wir das?»

«Ja. Ich will auch, dass Marina freikommt, ganz ehrlich. Sie ist ein gutes Mädchen. Aber glauben Sie mir, wenn die Russen diesen Schild in die Hände bekommen, dann werden Sie es erfahren, und zwar auf die grauenhafteste Weise, die Sie sich vorstellen können. Wir müssen also beides haben, Marina und den Schild. Wie spät ist es?»

Grant schaute wieder einmal auf die Uhr. «Kurz nach vier Uhr früh.»

«Und heute Abend um sechs sollen wir uns mit Kurchosow treffen, nicht wahr?» Er beugte sich über die Karte und maß die Entfernung mit Daumen und Zeigefinger. «Vierhundertfünfzig Meilen. Wir haben noch Kurchosows Flugzeug hier. Wenn wir jetzt aufbrechen, können wir bei Tagesanbruch dort sein. Das Bismatron wird uns helfen, den Schild aufzuspüren, sofern er dort ist. Wir werden ihn ihnen vor der Nase wegschnappen und schon wieder über alle Berge sein, ehe sie Wind davon bekommen. Dann kommen wir schnellstmöglich wieder her und sind noch rechtzeitig zurück, um Kurchosow die Tafel als Lösegeld für Marina zu geben.»

«Und wenn wir es nicht schaffen, rechtzeitig wieder hier zu sein?»

Jackson zuckte die Achseln. «Dann ist das Treffen mit Kurchosow unsere geringste Sorge.»

Der vergessene Tempel
titlepage.xhtml
Der_vergessene_Tempel_split_000.html
Der_vergessene_Tempel_split_001.html
Der_vergessene_Tempel_split_002.html
Der_vergessene_Tempel_split_003.html
Der_vergessene_Tempel_split_004.html
Der_vergessene_Tempel_split_005.html
Der_vergessene_Tempel_split_006.html
Der_vergessene_Tempel_split_007.html
Der_vergessene_Tempel_split_008.html
Der_vergessene_Tempel_split_009.html
Der_vergessene_Tempel_split_010.html
Der_vergessene_Tempel_split_011.html
Der_vergessene_Tempel_split_012.html
Der_vergessene_Tempel_split_013.html
Der_vergessene_Tempel_split_014.html
Der_vergessene_Tempel_split_015.html
Der_vergessene_Tempel_split_016.html
Der_vergessene_Tempel_split_017.html
Der_vergessene_Tempel_split_018.html
Der_vergessene_Tempel_split_019.html
Der_vergessene_Tempel_split_020.html
Der_vergessene_Tempel_split_021.html
Der_vergessene_Tempel_split_022.html
Der_vergessene_Tempel_split_023.html
Der_vergessene_Tempel_split_024.html
Der_vergessene_Tempel_split_025.html
Der_vergessene_Tempel_split_026.html
Der_vergessene_Tempel_split_027.html
Der_vergessene_Tempel_split_028.html
Der_vergessene_Tempel_split_029.html
Der_vergessene_Tempel_split_030.html
Der_vergessene_Tempel_split_031.html
Der_vergessene_Tempel_split_032.html
Der_vergessene_Tempel_split_033.html
Der_vergessene_Tempel_split_034.html
Der_vergessene_Tempel_split_035.html
Der_vergessene_Tempel_split_036.html
Der_vergessene_Tempel_split_037.html
Der_vergessene_Tempel_split_038.html
Der_vergessene_Tempel_split_039.html
Der_vergessene_Tempel_split_040.html
Der_vergessene_Tempel_split_041.html
Der_vergessene_Tempel_split_042.html