Meine drei Ticks: Umräumen, putzen, packen
Am Anfang unserer Beziehung kontrollierte Luchino mich wie ein strenger Zuchtmeister. Und wie ein Liebhaber natürlich. Er war mir Vater und Freund zugleich. Hat mich auch in meinem Zimmer besucht, um zu prüfen, ob alles einer feinen Erziehung entsprach. Correctness war ihm wichtig. Vor Schelte musste ich mich nicht fürchten, Ordnung zählt zu meinen Ticks noch heute. Neben vielen anderen. Oh, là, là, ich bin geplagt von Ticks, meinen kleinen Fluchten aus den alltäglichen Gewohnheiten.
Heute räume ich nächtelang mein römisches Heim um, richte es völlig neu ein. Sortiere mit Äußerlichkeiten meine innerliche Unruhe neu. Dabei fehlt es mir nicht an Fantasie, um von mir und meinen Kapricen abzulenken. Damals, mit 24, wurde ich Viscontis Weltstar, lebte Skandale mit Alkohol- und Kokainproblemen, zeigte der Welt nicht nur in über 60 Filmrollen extreme Selbstdarstellung und Kapriolen.
Ich spinne zum Beispiel völlig mit neuen Wohnungsentwürfen, hänge Bilder von Egon Schiele um, genauso wie die Picassos und Gustav Klimts, die mir nach dem Wohnungsbrand 1992 noch blieben. Noch heute wechseln kostbare Skulpturen den Platz, ich räume alte Bücher aus offenen Regalen in Schränke, lege feines Silber neu auf marokkanischen Tedlacktischen neben antiken Vasen aus. Oder ich stöbere Nippes aus den Schubladen und platziere Sessel und Seidenkissen um.
Aber diese wilden Einrichtungsmanöver sind noch gar nichts gegen meine Putzerei, die schon früh in einen Putzfimmel entartete. Wo auch immer ich wann lebte, meine Räume waren und sind absolut keimfrei! Mein Personal erhält selbst bei der besten Ausbildung von mir noch ein zusätzliches Training. Sehr zur Freude meiner guten Seele Maria, immerhin seit 1968 mein Kindermädchen und meine liebgewordeneHaushälterin. Sie liebt mich wohl fast wie meine Mama. Geradezu heldenhaft. Sie hätte einen Orden verdient. Auch für ihren Mut und ihre Tapferkeit. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft sie schon gekündigt hat und immer wieder zu mir zurückkam. Unschuldig bin ich daran sicher nicht. Ein Streit kann entstehen, wenn ich wieder die ganze Nacht gewaschen habe, einfach weil die edle Bettwäsche es brauchte, und sie die nächsten Tage ausschließlich bügeln muss.
Mein Perfektionismus macht diese Perfektionistin manchmal ganz krank. Und dann flüchtet sie vor mir, und wir hören ein paar Tage nichts voneinander. Bis sie nachgibt. Auf Reisen passt sie auf mich auf. Was ihr natürlich nicht immer gelingt. Manisch werde ich bei meinen Reisevorbereitungen – und ich verreise oft. Allein von 1995 bis 1997 drehte ich in Frankreich fünf Filme.
Zu meinen Ticks gehören auch die Packorgien. Ein Koffer lenkt mich mindestens einen Tag von mir selbst ab. Zarte Duftkissen mit den Aromen von Lavendel, Apfel, Flieder oder Rosenblätter lege ich zwischen die gebügelten und korrekt zusammengelegten Seidensocken, die edlen Unterhosen aus Batist – natürlich auch sie penibel gebügelt – auf die Hemden. Alles ist akkurat gefaltet mit messerscharfen Bügelfalten. Jemand beschrieb das mal als »einen Minikosmos überirdischer Schrankkultur, dem sogar Flüge um die Welt keine Knitterfalte anhaben können«.
Für mich ist das alles selbstverständlich, aber meine Freunde schwärmen davon. Vielleicht, weil sie mich bei Reisen gerne, um Hilfe bitten, wenn keine Bediensteten zur Verfügung stehen. Deshalb erzähle ich davon. Da bin i besser als die Hotelangestellten. Aber alles halb so schlimm. Ich spinne nun mal mit meiner Putzsucht und Ordentlichkeit bei der Garderobe, im Haus und bei mir selbst. Luchino war davon nicht so begeistert. Er kam aus so begütertem Hause, dass er sich nicht vorstellen konnte, solche Arbeiten selbst zu machen. Er zwang mich, für die kleinste Handreichung nach den Hausangestellten zu klingeln. Dieser herrschaftliche Benimm, der für ihn aufgrund seiner standesgemäßen Adelserziehung ganz selbstverständlich war, fiel mir schwer.
Schon im Krabbelalter sortierte ich pingelig meine Welt, erzählt meine Mutti. Bei meiner Putzsucht wundere ich mich, dass ich mein Gesicht morgens nicht glattbügele. Aber denken Sie jetzt nicht, dass ich das Alter fürchte. Im Gegenteil, nur Stillstand im Leben macht mir angst. Die habe ich auch vor mir selbst.
Hilfe beim Psychiater suchte ich nie, ich halte auch nichts von Psychologen. Aber ich probierte Drogen gegen meine Unsicherheiten. Wenn mir heute etwas fehlt, schreie ich, spreche mit Freunden darüber oder räume um, in meiner Wohnung oder in meinem Leben. Ich inszeniere mich eben selbst, denn meine Trickkiste beherrsche ich fast perfekt. Nach Reden, Putzen, Pflegen bleibt mir auch noch das Kochen. Dann schnipsele ich eben Gemüse für eine köstliche Minestrone. Eine natürliche Therapie, um den täglichen Stress zu überwinden – guter Ratschlag an alle nervösen Leute.
Luchino Visconti prüft die Leinenqualität der Filmhandtücher. Der Kommentar stammt von Helmut Berger.