Die große Tragik meines Lebens: Mit 32 Jahren Witwe
Ein Jahr später, an Luchinos erstem Todestag, dem 17. März 1977, wollte ich ihm in den Tod folgen. Ich glaubte und hoffte, ihn zu treffen in seiner neuen Welt. Was sollte ich ohne ihn hier auf Erden?
Meine Vorbereitungen waren perfekt. Ich sammelte sämtliche Tabletten, die ich kriegen konnte. Heimlich natürlich, denn Freunde und Maria beobachteten mich. Als ich genug Gift zusammenhatte, fühlte ich mich richtig glücklich, die Welt endlich verlassen zu können. Der Zufall rettete mein Leben. Maria, die sonst immer erst nachmittags zum Dienst kam, erschien an diesem Tag schon morgens. Sie fand mich. Ich weiß nicht, ob das eine gute Fügung war oder nicht. Ich weiß es bis heute nicht. Scusi! Meine Gefühle springen von ja auf nein, wie ein Jo-Jo, das sich nicht entscheiden darf.
Einen Tag später wachte ich im Krankenhaus auf. Ich riss mir die Schläuche aus dem Leib, wollte so schnell wie möglich raus. Die Depression war mit dem Erwachen vorbei. So bin ich. Heiß oder kalt. Es hatte nicht geklappt, also auf einen neuen Versuch mit dem Leben.
Interessant war, warum mich die vielen Tabletten nicht getötet hatten. Ein Professor klärte mich auf: Es waren einfach zu viele Schlaftabletten. Eine Dosis von zwölf reicht durchaus, eine Dosis von 18 wird im bewusstlosen Zustand wieder ausgespuckt. Ich hatte zu viele geschluckt. Nichts wie weg aus dem staatlichen Krankenhaus. Sofort in eine Privatklinik.
Ursula Andress und Marisa Mell kümmerten sich zauberhaft um mich. Sie halfen mir, den Belästigungen der Paparazzi auszuweichen. Meine liebe Romy war so sehr besorgt. Sie rief jeden Tag an, wollte auch gleich an mein Krankenbett kommen. Einige Telefonate meiner liebsten Freundin wurden mir allerdings gar nicht erst durchgestellt, was ich später herausgefunden habe. Marisa hatte ihre Eifersucht auf Romy ausgetobt. Ohne Grund – denn mit Romy verband mich kein Verhältnis. Aber doch mit allen Gründen der Welt – denn Romy war mir in jeder Beziehung näher. Uns verband Luchino.
Marisa wohnte neben mir in der Via Guido Banti-Fleming. Ich lernte sie nächtens im »Number One« in Rom kennen, als ihr Exmann, Gian-Luigi Torre, sie finanziell belogen und betrogen hat. Marisa hatte einfach kein Glück mit Männern. Ich schwimme dagegen im Glück mit Männern und Frauen. Außer meiner letzten echten Ehefrau, aber ich sagte schon, das wird der Vatikan für mich erledigen. Marisa kam damals zu mir, um sich auszuweinen. Unsere österreichische Herkunft verband uns ebenfalls.
Ich half ihr, indem ich einen Film mit ihr drehte. Das lenkte sie ab und nützte ihr finanziell. Aber in Bezug auf ihre Karriere brachte der Film sie leider auch nicht weiter. »Der Wilde« hieß die Geschichte um ein Paar, das in Leidenschaften miteinander verstrickt ist. Die Regie führte Sergio Grieco. Wir spielten das, was uns lange Zeit im Leben verbunden hat: Freundschaft und Feindschaft. Küsse und Schläge. Heiß und kalt. Marisa war eine wunderbare Frau mit viel Seele. Immer bereit zu helfen.
Am 11. Juni 1976, knapp drei Monate nach Viscontis Tod, schrieb mir Marisa einen Brief, der mir sehr zu Herzen ging und den ich bis heute aufbewahrt habe. Ein kurzer Auszug daraus zeigt, wie sehr sie sich um mich sorgte und wie gut sie mich kannte: »Ich möchte Dich nicht mehr ›constant agony‹ sehen. Ich weiß, dass Menschen wie Du es schwer haben, weil sie in ständiger Sucht nach neuen ›Sentiments‹ sowie in ständiger Flucht vor dem eigenen ungekannten ›Ich‹ sind – und weil sie weder den Willen noch die Lust dazu haben, sich selber kennenzulernen. Du weißt, wie gerne ich Dir helfen möchte, aber ich weiß auch, dass nur Du allein Deine Probleme lösen kannst, with a little help naturally. Pull yourself together darling, you always can count on the very few friends you have. Bussi, Marisa« – mit einem bisschen Hilfe natürlich. Reiß dich zusammen, Liebling, du kannst immer auf deine wenigen Freunde zählen.
Ihr einziger Fehler war, dass sie sich entschieden hatte, eine Sexbombe bleiben zu wollen. Im Gegensatz zu Brigitte Bardot, die sich weiterentwickelte. Die beiden kannten sich gut. Auch Senta Berger ist nicht hängengeblieben. Sie ist weg von der römischen Dolce vita nach München, um eine Familie zu gründen und sich auch schauspielerisch neu zu orientieren. Marisa Mell zählte zu den Sexbomben der sechziger Jahre, gehörte mit Brigitte Bardot, Senta Berger, Pascale Petit, Marina Vlady, Jacqueline Sassard oder Barbara Valentin zu den Darlings der Busen-Freunde.
Ich bin oft nach dem Testament von Luchino gefragt worden. Die Familie sagte mir, dass sein Letzter Wille verschwunden sei. Sein Butler in der Via Fleming erzählte mir dagegen später, dass die Kommode, in der sich das Testament von Luchino befunden haben soll, nach seinem Tod aufgebrochen worden sei. Auch Luchinos Sekretär wusste von einem neu verfassten Testament. Aber ich war so unglücklich nach seinem Tod, dass ich keinen Skandal machen wollte. Auch nicht wegen seines Namens. Visconti sollte nicht in den Schmutz gezogen werden. Dazu fühlte ich mich Luchino gegenüber verpflichtet. Immerhin habe ich zwölf Jahre mit ihm gelebt. Nach italienischem Recht, wie auch in der amerikanischen Rechtsprechung, wird ein Lebenspartner nach acht Jahren Gemeinsamkeit wie ein Ehepartner anerkannt. Aber ich bestand nicht darauf.
Entgegen der Auffassung von vielen, die mich nicht kennen, war ich weder geldgierig noch besitzergreifend. Die, die etwas anderes behaupten, sind getrieben von Neidgefühlen mir gegenüber. Ich bin stolz auf meine Zeit mit diesem Genie und wundervollen Mann. Seine Drehbücher, die er zum Teil nicht mehr verfilmen konnte, hüte ich wie einen Schatz.
Nur manchmal spüre ich neben der ständigen tief verdrängten Hoffnungslosigkeit auch Traurigkeit über den Verlust unseres schönen Ferienhauses in Castelgandolfo, an dem ich zur Hälfte beteiligt bin. Das gehörte mit Sicherheit zu meinem Erbe. Aber was soll’s. »C’est la vie!« würde Romy sagen. Erledigt, basta!
Denken wir groß. Die Mittelmäßigkeit hat mich nie interessiert. Große Rollen wollte ich weiter spielen. Eine bot »Die Gefräßigen« von Sergio Gobbi, in dem ich einen jungen Croupier des Spielcasinos in Cannes spiele, der vom großen Reichtum träumt. Eine dolle Rolle für mich.
Danach bekam ich in Spanien eine Hauptrolle in »Vittoria«. Regie führte Antonio Ribas. Eine politische Geschichte über die Probleme zwischen Madrid und Barcelona, dem Zentrum des nach Autonomie strebenden Kataloniens. Der Film war ein Riesenerfolg, obwohl er dreimal zwei Stunden dauerte. Gleich danach drehte ich »Entebbe« über eine Flugzeugentführung in Uganda. Ich spielte einen deutschen Terroristen, der später erschossen wird. Ein großer Hollywood-Film mit Liz Taylor, Richard Dreyfuss, Kirk Douglas, Burt Lancaster und Linda Blair.
Linda und ich verstanden uns nicht nur im Film gut. Sie war wirklich solch ein Satansbraten wie in ihrem Teufelsaustreiberfilm »Der Exorzist«. Wir erlebten einen wilden, schnellen Hirt. Während unserer Affäre im beliebten Künstler-Hotel »Chateau Marmont« in Hollywood ging ich auch mit Lindas Bruder in die Horizontale. Er verführte mich. Es war eine Familyaffair. Ich hoffe, Gott wird mich nicht verdammen.
Mit Marisa Mell 1991 in Rom.