Ernste Gespräche mit Cocteau, kein Käse für die Beatles
Kitzbühel war eine schöne, fröhliche Abwechslung für mich, denn Luchino war im Grunde seines Herzens ein ernster Mann. Seine Welt war die Arbeit. In den gelegentlichen Pausen hörte er gern klassische Musik. Oder er dinierte mit Freunden, wobei dann oft über seine Arbeit gesprochen wurde, und zwar sehr ernsthaft. Kein Wunder bei Freunden wie Jean Cocteau, Jean Marais und Jean Renoir. Von Renoir zitierte er gern eine Lebensweisheit, der er sich mit Leib und Seele verschrieben hatte: »So wie ein Forscher sich niemals ohne Begleitung in den Dschungel vorwagen würde, so könne auch ein Regisseur sich nur dann mit sicheren Schritten in der Welt des Films bewegen, wenn er sich von einer Anzahl Gleichgesinnter umgeben weiß.« Der Regisseur Renoir engagierte Visconti 1936 als Assistenten für den idyllischen Film »Une partie de Campagne« nach einer Novelle von Guy de Maupassant. In seiner Heiterkeit kam der Film dem Impressionismus des großen Malers Auguste Renoir nahe, dem Vater vonJean.
Luchino war privat und in seinen Filmen ein Meister des Erzählens. Große Literatur wurde von ihm weder verändert noch interpretiert, sondern er ließ sie in der Überhöhung hervortreten. Nicht die Reduktion auf das Wesentliche, sondern die Ausweitung auf die Räume, Schönheit und Pracht war sein Thema. Er war der Romancier des Films, und ihn interessierten die Wahrheiten der Gefühle, die sich natürlich am besten im Melodram darstellen ließen. Wieder fällt mir »Der Tod in Venedig« ein. Da bereicherte er die Buchvorlage Thomas Manns um Passagen aus anderen Werken des Dichters und um eigene Lebensweisheiten und steigerte das alles in Farben und Musik.
So verstand jeder sofort die Welt des Schriftstellers, auch wenn nicht jeder Zuschauer mitbekam, dass die platonische Liebesaffäre zwischen Thomas Mann und Gustav Mahler mitverfilmt und als tiefe Zuneigung identifiziert worden war. Luchino machte Feste des Sehens und Hörens aus Büchern. Schade, dass er nicht mehr den »Zauberberg« verfilmen konnte. Ein Traum von ihm, den sein Schlaganfall 1976 vereitelte. Auch darüber bin ich traurig. Es wäre sicher ein weiterer Höhepunkt seines Schaffens geworden, ein Denkmal für ihn. Und für mich.
Wenn Luchino, wie fast immer, umgeben war von seinen Filmfreunden, mit denen er die Drehbücher schrieb, die Kostüme entwickelte oder Drehorte recherchierte, wurde mir oft bewusst, wie sehr er in seiner Entwicklung als ernsthafter Mensch und genialer Künstler längst vollendet war. Glücklicherweise blieb er nie zu lange mit einer Sache verhaftet. Er war neugierig wie ich, aber nie kompromissbereit. Er kannte mich und meine Verrücktheiten genau. Da war meine Sucht nach Rock und Pop, die er nicht verstehen konnte, aber respektierte.
Ich besuchte sämtliche Popkonzerte und erzählte ihm davon. Von den Stones, deren Lebenseinstellung der meinen sehr nahe kommt: sich engagieren und verausgaben mit der gesamten Kraft, sich aber auch genauso fallen lassen in das volle Leben und dessen Möglichkeiten. Capito? Ich bin ein Fan von Bob Dylan, den ich seit meiner Londoner Zeit kenne. Mir gefällt seine Aufgeschlossenheit. Er erneuerte sich ständig. Konnte nie genug Wissen erfahren. Zum Beispiel hat er seine Religion aus Überzeugung gewechselt. Konvertierte vom jüdischen Glauben zum Katholizismus. Oft diskutierten wir hinter der Bühne über das Leben und dessen eigentlichen Sinn. Das hat mir gut gefallen.
Ganz anders empfand ich Joan Baez, die ich 1974 in Wien auf der Bühne sah und später in ihrer Garderobe besuchte. Sie war in ihren Anti-Kriegs-Ideologien festgefahren. Anti-Vietnam, Pro-Frieden, Flower-power, schön und gut, aber der Vietnamkrieg war 1974 längst vorbei, der Frieden zumindest in der westlichen Hemisphäre gesichert, und die Blumenkinder studierten längst über den Hausaufgaben ihrer lieben Kleinen. Joan kam mir irgendwie oberlehrerhaft vor, obwohl ich sie in ihrer Anfangszeit in den sechziger Jahren wirklich schätzen gelernt hatte. Was soll's. Erledigt. Die Zeit hatte Joan überholt.
Als die Beatles 1967 in Rom auftraten, wollte mir Luchino eine Freude machen und sie zu einem privaten Abendessen einladen. Ich war natürlich begeistert. Sein Sekretär schickte eine persönliche Einladung an die Konzertveranstalter. Das Beatles-Ereignis fand in der Freilichtbühne Odeon in Rom vor 50 000 Zuschauern statt, man durfte rauchen und trinken wie in den englischen Kinos.
Ich ging nach dem Konzert hinter die Bühne direkt zu der Gruppe. Wir umarmten uns. Ich schwärmte von der Show. Die Beatles sind einfach unerreicht. Die Fans sind halb verrückt geworden: solch eine Hysterie, ein solches Chaos, ein solches Geschrei mit etlichen Ohnmächten – Wahnsinn!
Wir fuhren dann gemeinsam in einer riesigen Mercedes-Limousine in die Via Salaria 366. Ohne die Ehefrauen der Beatles, nur die Sekretärinnen waren dabei. An der Haustür wartete schon der Butler und führte uns in den Salon zu Luchino. Bei einem Drink machten wir Small talk, zum Dinner gingen wir in den Speisesaal, einen besonders schönen Raum mit vielen Antiquitäten und voller alter Meister und Picassos an den Wänden. Die Köche boten gebeizten Lachs, Spaghetti Carbonara, dann ein Sorbet zur Verdauung, Chateaubriand, verschiedene Eissorten und als Abschluss eine mächtige Sahnetorte. Kein Käse! Der ist zu schwer und wurde nur mittags serviert. Zum Dinner kredenzten die Servierer aus dem Angestelltenstab, die Teller und Gläser nur mit weißen Handschuhen anfassen durften, Weiß- und Rotwein namens »Cardinale« aus Luchinos eigenen Weinbergen.
Unsere Gespräche drehten sich natürlich um Musik. Luchino fragte die vier, ob sie nicht Lust hätten, in London mal ein ganz anderes Konzert zu geben. Die Beatles mit Bernstein als Dirigenten. Die Moderne mit der klassischen Musik als Symbiose. Und das Ganze in der berühmten Albert-Hall. Ein revolutionärer Gedanke. Alle waren begeistert, denn damals wagte noch kein Mensch, Unterhaltung und Klassik miteinander zu vermischen. Die Manager der Beatles haben die Realisierung dieses Plans später leider vereitelt. Das war für sie wohl doch zu utopisch.
John Lennon war sehr intellektuell. Unabhängiger als die anderen in seiner Freiheit und Reife. Später, mit seiner Frau Yoko Ono, auch sexuell freier. Paul McCartney beteiligte sich an unseren Gesprächen sehr zurückhaltend. Ich vermute aus einer gewissen Schüchternheit heraus. Ein ungemein sympathischer Mann. Auch George Harrison war eher introvertiert, ansonsten ein richtiger Kerl, geradeheraus und ehrlich. Ein Macho wie aus dem Lehrbuch war der Drummer Ringo Starr. Mit ihm freundete ich mich an. Er war witzig, ausgeflippt, seriös. Ähnlich wie ich. Große Freundschaft bis heute.
Die Gruppe hatte sich nach dem Konzert extra in Krawatte und dunklen Anzug geschmissen. Aus Respekt vor Luchino Visconti. Der strahlte Autorität aus, die alle etwas nervös machte. Nervosität erzeugten bei den Beatles auch die vielen Gabeln und Messer und die vielen Gläser auf dem Tisch. Die feinen Essensgepflogenheiten waren den Jungs aus Liverpool wohl fremd. Ganz erschrocken wichen sie zur Seite, als von rechts serviert wurde. Luchino erzählte von seinen geliebten Opern, welche Motivationen ihn dazu trieben, Verdi, Rossini und Mozart zu inszenieren. Er sagte damals auch, dass ihm Wagner zu schwer sei in der Umsetzung – 1973 fand er dann bei »Ludwig II.« doch den rechten Umgangston mit dessen Lieblingskomponisten.
Die Konversation wurde in Englisch geführt. Luchinos Perfektionismus zeigte sich auch hier. Bei Unsicherheiten – er beherrschte die Muttersprache der Beatles nicht fließend – wurde von den dazugeladenen Sekretärinnen übersetzt. Er erzählte italienisch, sie übersetzten englisch. Luchino beherrschte auch hier den Abend völlig. Ich glaube, die Beatles langweilten sich bei soviel Kultur und Klassik irgendwann. Ihre Mitarbeiterin Wendy deutete das später einmal an. Trotzdem ging das Abendessen bis in die Früh um sechs Uhr. Eine Ausnahme für Luchino, der normalerweise um Mitternacht schlafen ging.
Zum Abschied wurden wir von den Beatles mit Schallplatten und Autogrammfotos mit Unterschriften beschenkt. Ich merkte sofort – aber nur weil ich ihn gut kannte wie Luchino darüber dachte. Er fand das einfach unmöglich und plump. Mir hat’s gefallen. Luchino zeigte mir mit dieser Einladung und der langen Nacht, dass er mich und meine Interessen besser verstehen wollte und nicht nur an seinen seriösen, superfeinen Tischeinladungen festhielt. Sehr lieb und schick.
Später erzählte er, wie ihn die langen Haare der vier geschockt hätten, und fragte mich: »Wieso schneiden die sich nicht die Haare?« Seine Ansichten waren manchmal etwas puritanisch. Auf die Frage wusste ich keine Antwort. Lange Haare wünschte ich mir auch, aber das hatte mir Luchino strikt verboten.
Die Autogrammkarte der Beatles mit einer Widmung für Helmut Berger, die sie ihm 1967 in Rom nach einem gemeinsamen Abendessen im Hause Viscontis schenkten.