Andy Warhols verkappte Pornomaschine, ohnmächtig nach dem ersten Kuss
Die nächsten Monate waren ausgefüllt mit Premieren, Interviews und Prominenten. Eine tolle Zeit. Mein erster Amerikaaufenthalt. Nach New York reiste der ansonsten in Amerika politisch unerwünschte Luchino mit. Im »Festival Cinema«, einem Kunstkino, fand die US-Premiere statt. Warner Brothers wollten den Film zuerst nicht am Broadway bringen. Sie hatten Angst vor den Reaktionen. Am nächsten Tag sah mich ganz New York als Marlene Dietrich. Die ganze Stadt war mit Postern tapeziert. Es war herrlich. Wir wohnten im »St. Regis« in der 56. Straße. Luchino bezog die Cecil-Beaton-Suite und ich nebenan die Dalì-Suite. Flora Mastroianni war dabei. Sie wollte uns unbedingt begleiten, auch für sie war es der erste Trip in die Vereinigten Staaten.
Unser Pressemann für die Promotion, Joe Haymes, hatte »Die Verdammten« vorab im Studio gesehen und Warner Brothers davon überzeugt, den Film in den Verleih zu nehmen. Alle anderen internationalen Verleiher waren wegen der skandalträchtigen Szenen über die Familie Krupp und deren Aufstieg im Dritten Reich ängstlich. Ganz besonders das Hollywood-Studio-System, weil die Amerikaner immerhin Krupp im Zweiten Weltkrieg finanziert hatten. Mittlerweile verfilmte Hollywood diesen Krieg nach eigenen Fantasievorstellungen, in denen immer wieder von den »bösen deutschen Schweinen!« die Rede war. Allein aus diesem Grund lehnte ich drei Filmangebote nach meinem Erfolg in »Die Verdammten« aus Amerika ab. Einziges mieses Thema der Drehbücher waren natürlich Nazisäue, die ich spielen sollte.
Die Premiere war ein riesiger Erfolg. Die Leute standen auf. Wir sind raus auf die Empore. Zu uns gewandt wurde minutenlang applaudiert. Ein paar Redner lobten das Kunstwerk. Ich weiß nicht mehr, mit wie vielen Leuten ich später in der Kinohalle geredet habe, aber ganz New York war in der Premiere. Leonard Bernstein, der Modemacher John Halston, Topmodels und Starmodeschöpfer. Diana von Fürstenberg mit ihrem Mann Egon, Andy Warhol und seine ganze Clique, Marisa Berenson und und und.
Im Hotel habe ich mir schnell ein neues Smokinghemd angezogen, ein paar Bloody Marys getrunken und bin zur Premierenfeier mit Luchino gefahren. An unserem Tisch war ein Kommen und Gehen. Andy Warhol und sein Sekretär machten einen Interviewtermin aus, Egon von Fürstenberg kam vorbei. Vieles erledigten auch die Presseleute, die uns abschirmen wollten. Als Luchino sich verabschiedet hatte, begegnete ich das erste Mal Marisa Berenson, mit der ich wilde New Yorker Nächte durchtanzen sollte. Sie zeigte mir ihr New York.
Wenn ich gewusst hätte, wie anstrengend die täglichen Pressetermine waren, wäre mein Tag immer mit Luchino um Mitternacht zu Ende gewesen. Morgens um neun Uhr saß mir der erste Journalist gegenüber, der letzte kam in den Abendstunden. Man glaubt gar nicht, wie viele Zeitungen und andere Medien es gibt. Ich war fick and fucky. Deshalb habe ich mir auch einen Bart wachsen lassen. Wenigstens wollte ich mir morgens das Rasieren sparen.
Egon von Fürstenberg hat mir in dieser Zeit sehr geholfen. Bei vielen Leuten wusste ich doch nicht mehr als ihren Namen. Warum und wofür sie berühmt sind, war mir schlicht ein Rätsel. Zum Beispiel Andy Warhol. Dessen Fabrik am Union Square war ein riesiger Loft ohne Mobiliar, man saß einfach auf dem Boden. Hohe, vollkommen verdreckte Fenster, alles vergammelt und ungemütlich. Das war Warhols »Protest« gegen die amerikanische Society. Die Besucher stoned, während seine Assistenten für später weltberühmte Kunstwerke ständig Polaroids schossen. Ich höre noch ihre leisen Kommandos: zeig deine Hand, deinen Po, deinen Schwanz, deine Brüste! Damals war ich stolz, dachte, mein Schwanz wird auf einer Leinwand aufgeblasen wiedergegeben. Aber heute würde ich die Andy-Warhol-Szenerie als eine verkappte höchst frustrierte Industriemaschinerie für Pornos bezeichnen. Der Gast kam in seine Fabrik und hatte sofort das Gefühl, in einem Freudenhaus mit Prominenten gelandet zu sein, die sich selbst mit Happenings feierten.
Ich fühlte mich wie ein Provinz-Österreicher, als ich so etwas das erste Mal sah und fasziniert war, mich inmitten von Prominenz aus allen Sparten im Range der Kennedys wiederzufinden. Warhol fotografierte auf Polaroid und reproduzierte sie in vier verschiedenen Farben als Siebdrucke. Ein Bild sollte 10 000 Dollar kosten. Ich kommentierte kurz und bündig: »Fuck off and keep it forever!« Er fotografierte mich gerne, wie er sagte, und konnte meine Antwort gar nicht fassen. Denn die wenigsten reagierten so. Sie ließen sich nur zu gern von Warhol beeindrucken und ahnten wohl alle, dass man die Warhol-Polaroids irgendwann Kunst nennen würde. Sehr clever gemacht.
Egon von Fürstenberg wollte mir eines Nachts, nach einem fulminanten Dinner, partout ein ungewöhnliches Etablissement zeigen: »The Glory Hole«, Das strahlende Loch. Ein Club ausschließlich für Männer. Höllisch teuer, höllisch aufregend. Zunächst erhielt man eine Membercard of Glory Hole. Danach ging man durch eine Art Labyrinth, in dem man sich mit allen Raffinessen verwöhnen lassen oder selbst bumsen konnte, ohne jemals in das Gesicht des anderen blicken zu müssen. In den Wänden der Lustwandelgänge befanden sich unterhalb der Gürtellinie Löcher, durch die man bequem seinen Popo oder Schwanz strecken konnte. Und dann wurde einem alles geboten, was einem Mann Spaß machen kann. Die Bläser und Lover blieben anonym. Sehr lustig. Und sehr hygienisch, mit Bademänteln, klinisch sauberen Duschen, vielen Handtüchern und Kleenex, Kondomen und Poppers.
Nachts ging’s hier eher gemütlich zu. Starken Zulauf hatte der Club über Mittag. Verheiratete Stammgäste aus den Büros in der Nachbarschaft konnten mal eben ein Schäferstündchen lang getrost ihrer Neigung nachgehen, ohne dass die Ehefrau etwas ahnte. Egon und ich vergnügten uns mit sämtlichen Variationsmöglichkeiten bis morgens um sechs und tranken zwischendurch viel Champagner.
Tagsüber dann wieder Pressetermine. Ich trat auch – was ja damals noch etwas Besonderes war – in zwei Talkshows auf. Irgendwann wiederholten sich die Fragen der Journalisten, und es begann mich zu langweilen. Am Wochenende fuhren wir auf eine Ranch in Hampshire, Luchinos Idee. Gut essen, gute Weine trinken und ein bisschen Frischluft atmen war ihm nun mal wichtig.
Dann reiste Luchino zurück nach Rom und ich mit meinem PR-Tross nach Chicago. Es war unfassbar: Ein junger österreichische Bub von 25 Jahren bedient mit einem Film und seiner Person die Weltpresse. Marisa Berenson schickte ich Blumen und kleine Liebesnachrichten. Sie war zu Fotoarbeiten in Rio. Es war ein heftiger Flirt. Wir telefonierten stundenlang. Während der Publicitytour stellte ich erstmals fest, wie schwer es mir fällt, allein zu reisen. Es war nicht so, dass ich keinen Menschen kannte, allein die Pressebegleiter waren genug, um mich zu unterhalten, und Joe Haymes, ein fantastischer Kerl, wurde ein guter Freund, während wir sehr erfolgreich die Promotiontour durch Amerika machten.
Nein, ich fühle mich allein ohne eine sehr vertraute Person in meiner Nähe. Das ist das Ärgste, wenn man am Abend allein in seiner Suite sitzt. Nach dem ganzen Rummel des Tages. Also ließ ich meine Salzburger Freundin Ylia Chagall einfliegen, die mich auf meiner Reise nach Philadelphia, Miami, Los Angeles, San Francisco und Rio de Janeiro begleitete.
Der Starfotograf Skrebneski richtete für mich eine ungewöhnlich originelle Party in Chicago aus. Ein Riesensaal, wie ein Bräustüberl eingerichtet, und mittendrin die nachgestellte Orgienszene aus »Die Verdammten« mit umgeworfenen Tischen und Sesseln, rot-weißen Tischtüchern, Bierkrügen und bayerischer Volksmusik. Wir mussten erst Ordnung schaffen, um uns hinsetzen zu können. Während der zünftigen Party fragte er mich, ob er Fotos machen dürfe. Ich hatte nichts dagegen. In seinem Studio bat er Ylia und mich, uns auszuziehen. Kein Problem. Mein lieber Mann, das waren tolle Fotos. Dort entstand der berühmte liegende Akt von mir hinter der kopflosen nackten Ylia.
Weiter an die Westküste. Interviews, Interviews, Interviews. Aber die Presse war sehr fair. Fragten selten Gemeines oder Hinterhältiges. Klatsch um den Film und über mein Leben interessierte sie. Von dort nach Rio und von Rio ins noble Seebad Mar del Plata südlich von Buenos Aires zu den Filmfestspielen. Dort lernte ich Maria Callas kennen, die mit Pasolini die Opernverfilmung »Medea« präsentierte. Sie war sehr nett. Ich glaube, weil sie gern wieder einmal mit Luchino Zusammenarbeiten wollte. Sie liebte seine Inszenierungen, inVerdis »La Traviata« hatte sie 1954 erfolgreich unter Luchinos Regie in der Mailänder Scala gesungen. In Mar del Plata traf ich auch Horst Buchholz. Der »Halbstarke«. Ein doller Schauspieler.
Meine Pressetournee war ein großer Erfolg. Danach ging es wieder nach New York und wieder Boogie-Woogie. Völlig erschöpft, aber glücklich verabschiedete ich mich von Ylia, die nach London fliegen musste, und reiste Mitte Dezember zurück nach Rom. Gott sei Dank konnte ich mich noch erinnern, dass Luchino die amerikanischen Klamotten nicht ausstehen konnte. Er hat nie Jeans oder T-Shirts getragen. Vor allem die fehlende Kultur störte ihn sehr. Er wollte nie in Hollywood arbeiten wie Fellini. Mit dem hätte ich gerne mal einen Film gedreht, aber ich war ihm in meiner Ausstrahlung für einige Projekte zu Deutsch. In einem Brief bestätigte Fellini seinen Wunsch, mich eines Tages für einen seiner Filme zu verpflichten.
Er war ein außergewöhnlicher Filmemacher. Wir trafen uns bei Luchino zum Essen, oder wir besuchten ihn zu Hause. Seine Frau, Giulietta Masina, erinnerte mich in ihrer Art sehr an Maria Schell und auch an meine Mutter – leichte Tränen. Sie weinte bei der kleinsten Gelegenheit los. Wir pflanzten sie oft bewusst, sagten ein paar Dummheiten, um ihr tränenüberströmtes Gesicht zu sehen. Federico lachte mit uns über den Witz des Abends. Ich denke an die Oscar Verleihung, als er in seiner Danksagung an das Publikum auch direkt seine Frau ansprach, die, wie er meinte, jetzt sicher ganz aufgelöst sei und vor Glück furchtbar weinen müsste. Aber eigentlich waren beide ganz lieb miteinander. Auch wenn Fellini öfter fremdgegangen sein soll, wovon ich damals oft hörte.
Luchino schätzte einige amerikanische Schauspieler wie Marlon Brando, Paul Newman und Henry Fonda. Auch Richard Widmark begeisterte ihn. Und ganz besonders Laurence Olivier. Denen zollte er Respekt. Aber nicht dem Leben in Amerika. Ich brachte ihm nur dirty T-Shirts aus Amerika mit.
In Rom erfuhr ich von dem neuen Filmprojekt von Vittorio de Sica »Der Garten der Finzi Contini«. Luchino lud seinen Freund und dessen Frau zu einem Abendessen ein. Vittorio hatte ihn gebeten, uns miteinander bekannt zu machen. Sofort, schon nach wenigen Momenten während des Aperitifs, war er begeistert von mir. Ich sei perfekt. Er schickte mir das Buch, danach musste ich Probeaufnahmen machen lassen.
Meine Schwester in dem Film war noch nicht ausgesucht. Es musste herausgefunden werden, welche der denkbaren Schauspielerinnen am besten zu mir passte. Diesen Test Anfang 1970 werde ich niemals vergessen, so grauenvoll war er.
Dominique Sanda und ich mussten eine Kussszene im Stehen spielen. Ich habe so gezittert, meine Arme bibberten richtig vor Lampenfieber, als ich sie zu küssen versuchte. Als das nicht richtig funktionierte, gab sie mir einen Kuss, und … ich wurde ohnmächtig. Bin einfach umgefallen. So aufgeregt war ich wie bei allen wichtigen Rollen. Und diese wollte ich unbedingt haben. Dominique lacht heute noch schallend über mein Missgeschick.
Aber was sollte ich machen? Mir war ganz schlecht. Die Nacht vorher konnte ich nicht schlafen. Hatte mich tagelang vorbereitet, wegen der Rolle noch ein paar Pfund abgenommen, die Haare blondieren lassen, weiße Anzüge für die Szene probiert. Weiß in Weiß. Es war doch meine zweite wichtige Rolle. Der Film erhielt immerhin den Oscar als bester ausländischer Film des Jahres.
Das ewige Thema meines Lebens hatte meine Sinne schwinden lassen: die Angst, nicht geliebt zu werden. Auch der Erfolg gibt mir Liebe. Capito? Vittorio de Sica war zauberhaft. Er hatte viel Verständnis für meine Nervosität. Ich war erschrockener als er. Immerhin hatte ich ganz Amerika durchgemacht, ohne ohnmächtig zu werden, und gedacht, dass mir im Leben nicht mehr viel passieren könnte. Sie gaben mir ein Glas Wasser und beruhigten mich. Jetzt durfte ich die Szene in einem Sessel sitzend drehen. Vittorio sagte, dass ich mich nicht aufregen sollte. Das Ganze sei ja kein Test für mich, sondern für die Schauspielerinnen, um zu sehen, welche mir am nächsten kam.
Der berühmte liegende Akt mit der »kopflosen« Ylia Suchanek, aufgenommen während der PR-Tour für »Die Verdammten« in Chicago 1970. Das Foto stammt von Skrebneski.