Bei Fassbinder nicht wohl gefühlt, beim deutschen Zoll in die Hose gemacht
1978 drehte ich im Ruhrgebiet »Das fünfte Gebot«. Regie führte Duccio Tessari. Der Film erzählt die Geschichte der Gangsterbrüder Heidger, die in den zwanziger Jahren bei Banküberfällen kleine Vermögen erbeuteten. Sie konnten damit im Überfluss leben, bis sie auf der Flucht von der Polizei erschossen wurden. Ich spielte einen der Gewaltverbrecher, die nicht vor Mord und Totschlag zurückschreckten. Die Dreharbeit im Ruhrpott war interessant, die Pause an den Wochenenden fad, die Gegend wenig inspirierend. Meine Freunde weit weg.
Schon die Ankunft in Deutschland zeigte mir überdeutlich deutsche Gründlichkeit. Als ich einen Zöllner bat, einem dringenden Bedürfnis nachkommen zu dürfen, wollte der mich nicht aus seinem Bannkreis entlassen. Sogar als ich die Hinterlegung meiner Papiere anbot, verweigerte er mir den Gang zur Toilette. »Was soll ich tun?« fragte ich drängend. »Es ist nicht erlaubt«, antwortete er lakonisch. »Von mir aus können sie in die Hose pinkeln.« Was ich dann auch zu seiner Überraschung tat. Ich wickel’ mir bestimmt keinen Knoten hinein, weil ein blöder Bürokrat unsinnige Paragraphen über menschliche Bedürfnisse stellt.
Ich langweilte mich an den Wochenenden in Essen. Sentimentale Stimmungen wechselten mit Hochphasen und Depressionen. Um mich aufzumuntem, rief ich meine Freunde in aller Welt an. I möcht leben. Verstehn’s? Es ist furchtbar, in ein fremdes Hotelzimmer zu kommen und draußen immer unter dem Vergrößerungsglas der Presse zu liegen. Ich bereitete mich schon für das Ende der Arbeit im Ruhrpott vor. I wollt meine Leut’ Wiedersehen, mich wieder zu Hause fühlen. Das konnte ich in allen großen Städten der Welt, aber nicht im Ruhrgebiet. Nein, danke. Ich buchte einen Trip nach Los Angeles und organisierte Skilaufen in St. Moritz.
Aber zunächst musste ich noch zu Filmbesprechungen nach München. Dort lernte ich Holde Heuer kennen. Wir verstanden uns auf Anhieb, sind Seelenverwandte in der Auffassung von Sein und Schein. Eine Frau mit Format. Neben ihrer journalistischen Arbeit war sie damals für die Hilton-Promotion zuständig. Schon in den ersten 24 Stunden meines Aufenthalts rettete sie mich vor meinem sicheren Rausschmiss aus dem Hotel, wo ich nach Ankunft aus L. A. durch den Jetlag nicht so comme il faut war, wie sich ein versnobtes Hotel seine Gäste wünscht.
Holde schützte mich. Auch vor dem Münchner Unkraut rettete sie mich. Dem schlechten Einfluss der billigen Drogenszene. Sie wurde ein richtiger Kumpel für mich und warnte mich auch vor der Clique um Rainer Werner Fassbinder. Die war hinter ihr her wie der Teufel hinter der armen Seele.
Holde weiß wie ich, dass die Welt nicht nur rund ist. Was ja sonst nur wenige ihrer Kollegen wissen.
Oder Michael Graeter, der mir während meiner »Denver«-Dreharbeiten in Hollywood im Hotel »Chateau Marmont« eine faszinierende Idee erzählte. Er und Helmut Dietl hätten vor, ihre geplante Fernsehserie »Kir Royal« als internationale Produktion aufzuziehen. Gleich alles in Englisch zu drehen, mit mir als dem Klatschkolumnisten Baby Schimmerlos und Stars wie Linda Evans und anderen »Denver«-Kollegen. Denn die Eitelkeit, um die es in dieser Serie geht, ist international. Leider musste ich aus Termingründen ablehnen.
Seit 20 Jahren sind Holde und ich gute Freunde. Wir haben viel zusammen erlebt, über manches schrieb oder talkte sie mit mir. Wenige Menschen kennen mich so gut wie sie. Und noch weniger Menschen können meine Widersprüche in den Gefühlen und Gedanken so identisch nachempfinden und formulieren.
Amüsante Sachen unternahmen wir bei jedem meiner München-Besuche. Sie zeigte mir die neueröffnete Boutique des Gründers der Kofferfirma MCM, Michael Cromer. Dabei wurden auch ein paar Fotos geschossen, die Cromer gern für Werbezwecke haben wollte. Sollte er. Ein netter Kerl und sehr großzügig. Mit einem VW-Bus voller Koffer und Accessoires von MCM kam ich ins Hotel zurück. Am nächsten Tag schickte ich einen Chauffeur zu Cromer, um die weiß-blaue Lederware gegen schwarze zu tauschen.
Als ich merkte, dass ich meine Kreditkarten in Rom vergessen hatte, lieh mir meine neugewonnene Freundin sogar Geld. Für neue Fetzen, für neue Loden und Trachten, für Weißwürste und Brezen. Ich konnte doch nicht ohne die typischen Münchner Mitbringsel heimkommen. Koffer hatte ich für all das ja genug.
Für Bunte wurde eine Serie über mich geschrieben: »EinKerl wie Samt und Seide«. Ich wurde zum Interview nach München gebeten. Außer Honorar verlangte ich für die Tour einen Ferrari mit Stereo, den mir der einfallsreiche Fotochef Michael Dahlke organisierte. Mit dem Ding zeigte mir Holde dann München von der richtigen Seite. Wir feierten auch bei Michael Dahlke und seiner französischen Frau Odile im Vorort Baldham. Was haben wir dort gelacht.
Legendäre Mittagessen erlebten Holde und ich im »Hilton Grill«. Ich saß dort eines Mittags – wie immer umnebelt von Bloody Marys – mit Maria Schell, Curd Jürgens, der Agentin Steffi Jovanovics, Werner Herzog, John James aus »Denver-Clan« und Hiram Keller aus Fellinis »Satyrikon« zusammen. Wir aßen 60 Austern, danach Tafelspitz mit Spinat und als Dessert köstliche Profiteroles. Keller und Herzog wollten unbedingt Filme mit mir machen. Ein doller Lunch, leider ohne Ergebnis. Die Projekte konnten nicht realisiert werden, aber ich zahlte die enorme Rechnung.
Auch ein Projekt mit Rainer Werner Fassbinder kam nicht zustande. Er wollte mit mir arbeiten. Ich saß pünktlich im Café der Bavaria-Film in München und wartete, wie verabredet, auf ihn. Eine Stunde später kam er endlich mit einem Freund. Gerade, als ich gehen wollte. Er war vollgekokst bis obenhin. Ich erklärte, dass unter diesen Umständen kein Gespräch lohnte. Und ging. Fassbinder bot mir danach noch zwei weitere Rollen an, die ich dankend ablehnte. Einmal kam er eigens nach Sardinien gereist. Immer ohne Drehbuch, er skizzierte seine Ideen nur in ein paar Worten. Er bot mir Rollen in »Lola« und »Querelle« nach dem Roman von Jean Genet an. Seine dritte Offerte betraf einen Film, der noch keinen Titel hatte. So unzuverlässig, schmuddelig, unrasiert und ungepflegt in Leder und Ketten, wie mir Fassbinder begegnete, wollte ich nicht mit ihm arbeiten. Das ist nicht mein Stil. Ich muss mich mit den Menschen auch während der Dreharbeiten wohl fühlen. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen. Dennoch erkenne ich Fassbinders Erfolge an.
Der Ärger anlässlich des Films »Das fünfte Gebot« war noch nicht ausgestanden. Erst die Tristesse des Ruhrpotts, dann keine pünktliche Zahlung. Leider musste ich meinen damaligen Anwalt, Dr. Detlef Wunderlich, den Ehemann der großen Geigerin Anne-Sophie Mutter, einschalten, denn die Produktion schuldete mir noch 60 000 Mark. Wenn man als Schauspieler gute Arbeit abgeliefert hat, ist es empörend, wenn die Produktion den Vertrag nicht einhält und man seine Gage einklagen muss. Ich hätte statt »Das fünfte Gebot« für ordentliche Dollar den amerikanischen Film »Eyes« mit Faye Dunaway machen können, nun musste sich mein Anwalt wegen der paar tausend Mark herumschlagen. Kriminell. Wir sind keine Kühe, die im Schlachthof verhökert werden.
Nach dem Tod von Wunderlich löst heute selbst die kniffligsten Filmfragen für mich mein Münchner Anwalt Dr. Jürgen Burkhardt, dessen Sozietät auf vier Kontinenten vertreten ist. Ich erwähne das deshalb, weil bei zwei bis drei Filmen pro Jahr schon mal Schwierigkeiten mit den verschiedenen Filmfirmen auftreten können. Die Verträge sind mittlerweile so dick, dass ein Künstler wie ich da nicht mehr durchblickt. Fachmännischer Rat ist dringend notwendig. Hinzu kommen die Verhandlungen um prozentuale Beteiligungen und Verwertungsrechte. Meine römische Agentin Paula Bonelli kann davon ein Lied singen. Wegen der einzelnen Modalitäten fetzen wir uns stundenlang. Ich beschimpfe sie bei jedem neuen Filmprojekt, sollte sie meine Bedingungen nicht komplett durchsetzen. Zehn, 50, 100 Probleme wie die Air-condition im Wohnwagen, die Farben meines Schminkraumes, das Essen und so weiter können sehr wichtig werden. Immerhin lebt der Schauspieler wochenlang wie auf einer Insel, während des Drehs oft sogar an verschiedenen Orten. Dafür braucht er ein wenig Heimatgefühl. Klappen die Verträge nicht auf Anhieb, beschimpfe ich Paula mit »Stronzo, stronzo!«, bis sie weint. Aber in dem Fall kenne ich kein Pardon. Was sein muss, muss sein: lieber streiten und sich dann wieder in die Augen sehen können, als Ärger nachzutragen.
Riesenspaß machte mir die Rolle des Superverbrechers »Fantomas«, die ich 1980 spielte. Der große Regisseur Claude Chabrol wusste genau, wie er diese Reprise umsetzen wollte. Er hatte mich während der Dreharbeiten für Luchinos »Ludwig II.« gesehen und war begeistert. »Ich sah niemals zuvor einen Schauspieler, der sich so total auf die jeweilige Zeitepoche und seine Rolle einfühlt wie Helmut Berger. Schon damals wollte ich ›Fantomas‹ verfilmen. Mit Helmut Berger in der Hauptrolle. Endlich kann ich jetzt meine Idee mit Berger realisieren«, sagte Chabrol einer Zeitung. Und fuhr fort: »Medien berichten doch fast ausschließlich über seine Skandale, Kokaingelage, Prügeleien, Hausverbote, aber wie diszipliniert und vorbereitet er arbeitet, das schreiben sie nicht. Gute Nachrichten sind wohl keine Nachrichten. Pünktlich zählt er zu den ersten morgens, seinen Text beherrscht er blind, obwohl ›Fantomas‹ sehr textintensiv ist, aber wir mussten für Helmut Berger keinen einzigen Take nachdrehen. Berger ist ein wahrer Überzeugungstäter. Und verantwortungsbewusst. Die Rolle hatte er längst vor Drehbeginn verinnerlicht. Ich möchte bald wieder einen Film mit Helmut Berger machen, so inspirierend waren die Dreharbeiten mit ihm.«
Chabrols Komplimente machten mich richtig verlegen, aber ich denke, auch sie gehören in dieses Buch. Für mich war es die erste Fernsehrolle, eine vierteilige Serie. Die Entscheidung dafür fiel mir dennoch schwer. Fernsehen bedeutete damals für einen Filmschauspieler auch eine Gefahr, irgendwie verheizt zu werden. Aber immerhin war mein Vorgänger in derRolle des »Fantomas« der große Franzose Jean Marais. Welch herrliche Charakterstudie dieser »Fantomas« darstellt: ein Verwandlungskünstler. Er raubt, entführt, erpresst, er versteckt sich hinter 1000 Masken, narrt die Polizei und narrt die ganze Welt. Wunderbar. Die vielen Masken übten einen zusätzlichen Reiz auf mich aus. Und die Arbeit mit Claude Chabrol interessierte mich. Auch das Bühnenbild, in dem optisch die goldenen zwanziger Jahre wiederauflebten. Schönes Dekor und schöne Menschen. »Fantomas« wurde ein großer Erfolg.
In »Meine Frau ist eine Hexe« – einem italienischen Film von den Halbbrüdern Castellano und Pipolo, den ich 1980 mit Eleonora Giorgi drehte, damals ein Riesenstar, verheiratet mit dem bedeutenden Verleger und Filmproduzenten Rizzoli – entsprach die Rolle wieder einem Teil von meinem Selbst. Ich spielte einen Teufel, der sich nach dem »Faust-Prinzip« die Seele einer Ehefrau mit schönen Versprechungen kauft und sie damit ins Unglück stürzt. Ein großer Erfolg.
Noch Schlimmeres traute man mir anschließend in Deutschland zu. Als »Die Jäger« von Károly Makk herauskam, wurde der Tierschutzbund aktiv. Er vermutete, dass ich in dem Film mit Barbara Sukowa, die meine Geliebte spielte, und der Münchnerin Gisela Hahn, auch lange Jahre überzeugte Römerin, einen Bären getötet hätte. Die guten Tierschützer fielen auf Szenen aus der typischen Film-Trickkiste herein. Auch wenn es noch so blutig oder gar bestialisch aussieht: Wir murksen nicht ab. Ich stach auch in kein Bärenfell, sondern bloß in einen alten Pelz meiner Freundin Gisela Hahn. Ein Tier könnte ich gar nicht umbringen.
Mit Holde Heuer in München 1991.