1985
Rosa Rieckmann zerrte den schreienden und zappelnden Jungen von seinem Stuhl. Auf der weißen Plastikdecke, die auf dem Esstisch lag, schwammen Wurststückchen in einer uringelben Suppe und bewegten sich in Richtung Tischkante.
Der Junge stemmte sich mit seiner ganzen Kraft gegen den Körper der Frau, die ihn jetzt an beiden Armen aus der Küche über den Flur in sein Zimmer schleifte. Sie warf ihn in sein Gitterbett, ließ die Stahlrollläden herunter, die das Zimmer in vollkommene Dunkelheit tauchten, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich ab. Der Junge schrie aus Leibeskräften, während Rosa sich die Ohren zuhielt und zurück in die Küche marschierte. Der Boden bebte unter ihren Schritten. Inzwischen hatte die Suppe auf dem Küchenboden eine beachtliche Pfütze hinterlassen, und Rosa wischte fluchend die Schweinerei auf. Dann warf sie den Lappen in die Spüle, holte einen Kochlöffel aus der Schublade und marschierte stampfend zurück in das Zimmer, aus dem immer noch das Geschrei des Jungen zu hören war.
»Lass ihn doch«, sagte ihr Mann Gunther zaghaft und legte seinen Löffel beiseite, sehr darauf bedacht, dass kein Fleck auf der Decke entstand. Er sah zu seinem anderen Sohn, der es nicht wagte, seinen Blick vom Teller zu heben, und der, ohne sein Gesicht zu verziehen, die versalzene Suppe aß.
Schließlich erhob der Mann sich vom Tisch und ging seiner Frau hinterher, die die Kinderzimmertür mit einem solchen Schwung hinter sich zugeknallt hatte, dass aus der Wand kleine Putzstücke auf den durchgetretenen braunen Teppich geflogen waren. Er hob sie auf und blieb vor der Tür stehen.
»Ich werde dich schon lehren zu gehorchen, du kleiner Mistkerl«, hörte er seine Frau keifen. Dann holte sie offenbar aus. Pfeifend sauste der Kochlöffel immer wieder auf den kleinen Körper des Jungen nieder, bis aus dem Geschrei ein Wimmern wurde und schließlich auch das erstarb.
Gunther Rieckmann wusste, dass es Zeit war zu handeln.