Mitschnitt der Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Spezialkräfte« vom 5. April. Abschrift in Auszügen

Vorsitzender Dr. Reinhard B. (SPD): Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur heutigen Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Spezialkräfte«. Für das Protokoll: Gemäß den Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom 16. und 26. März hat der Ausschuss den folgenden Untersuchungsauftrag: Er soll klären, ob deutsche Soldaten im Rahmen der Operation »Freedom Encouragement« im Sudan an einem Massaker an einheimischen Zivilisten beteiligt waren.
Noch einmal kurz die Fakten zum vorliegenden Fall.
Seit dem 6. Dezember vergangenen Jahres beteiligen sich die deutschen Streitkräfte an der Militäroperation »Freedom Encouragement« im Sudan. Es handelt sich dabei um eine Operation im Rahmen der UN-Friedensmission »International Security Assistance Force Sudan«, kurz ISAS. Der Beteiligung vorausgegangen ist die Zustimmung des Deutschen Bundestages am 19. November letzten Jahres. Der Einsatz steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Grundlage für den Beschluss sind Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen und Artikel 5 des Nordatlantikvertrages. Verfassungsrechtliche Grundlage: Artikel 24, Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Vorgehen im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit regelt. Zugleich hat das Bundeskabinett die Resolutionen 1746 und 1747 des Sicherheitsrates zugrunde gelegt.
Einem Pressebericht zufolge . . . einen Augenblick bitte. Es handelt sich um einen Artikel von Hans Diehm in der Hamburger Wochenzeitschrift ›Global‹ vom 5. Januar dieses Jahres. Darin wird der Vorwurf erhoben, dass Mitglieder der deutschen Streitkräfte im Rahmen der Militäroperation »Freedom Encouragement« im Sudan am 20. Dezember vergangenen Jahres Zivilisten getötet hätten. Die Anschuldigungen sind schwerwiegend und richten sich auch gegen das Verteidigungsministerium. Der Bundestag hat diesen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um den Vorfall aufzuklären. Der heutigen Sitzung ist die Sichtung der Akten aus dem Verteidigungsministerium vorausgegangen, anhand derer die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sich ein Bild der militärischen Situation im Sudan aus Sicht des Ministeriums machen konnten. Der Untersuchungsausschuss hat nun eine Reihe von Zeugen geladen, von denen einige heute aussagen werden. Die Öffentlichkeit wird gemäß Grundgesetz Artikel 44 ausgeschlossen.

Jochen H. (Grüne): Ich möchte hier noch einmal feststellen, dass ich mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit nicht einverstanden bin.

Dr. Reinhard B. (SPD): Wir nehmen das zu Kenntnis. Aber Sie wissen, dass der Einsatz im Sudan in der Öffentlichkeit umstritten ist.
Im Rahmen des Untersuchungsausschusses wollen wir eine Reihe von Zeugen vernehmen, von denen der Erste nun bitte aussagen möge. Es handelt sich um (geschwärzt). Würden Sie sich bitte vorstellen.

Zeuge: Ich heiße (geschwärzt). Ich bin Angehöriger des KSK, des Kommandos Spezialkräfte, stationiert in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw und stehe im Range eines (geschwärzt). Ich bin seit 1998 Mitglied des Kommandos. Dr. Reinhard B. (SPD): Sie sind demnach Offizier beim KSK.
Unseren Informationen zufolge waren Sie während der Zeit, die uns hier interessiert, im Sudan.

Zeuge: Das ist richtig. Während der Operation »Freedom Encouragement« waren etwas mehr als 80 Angehörige des KSK dort im Einsatz. 86, um genau zu sein. Es handelte sich um eine vollständige Kommandokompanie. Wir operierten im Nordosten des Sudan. Das Basislager war bei Port Sudan eingerichtet, am Roten Meer, in der Provinz Ash Sharqiyah.

Dr. Volker N. (PDS): Worin genau bestand Ihre Aufgabe?

Zeuge: Es ging darum, Terroristen-Nester auszuheben. Der Gegner hatte sich in unzugängliches Gebiet zurückgezogen und verschanzt.

Dr. Volker N. (PDS): Und deshalb wurde das KSK gebraucht?
Ist es nicht so, dass Ihre Truppe für reaktionsschnelle und gezielte Aktionen in Ergänzung oder anstelle des Einsatzes herkömmlicher militärischer Kräfte vorgesehen ist?

Zeuge: Ja, aber zu unseren Aufgaben gehören auch der Schutz eigener Kräfte sowie Kampfeinsätze tief im gegnerischen Gebiet.

Dr. Volker N. (PDS): Sind Ihre Einsätze nicht auch häufig militärpolitischer Natur?

Dr. Reinhard B. (SPD): Herr Dr. N., wir verstehen, worauf Sie hinauswollen. Aber bevor Sie versuchen, die Bundesregierung für irgendetwas verantwortlich zu machen, sollten wir zunächst einmal den Vorfall selbst rekonstruieren. Und um weiteren Fragen des Kollegen N. zuvorzukommen: Ich erinnere Sie daran, dass die Situation im Sudan als akute Krise bewertet wurde, bei der die Zeit für eine reguläre parlamentarische Beschlussfassung zum Einsatz des KSK nicht ausgereicht hat. Der Einsatz der Spezialkräfte wurde deshalb in einem Eilverfahren durch die zuständigen Ausschüsse genehmigt.
Herr (geschwärzt), ist es richtig, dass Sie es waren, der mit dem Journalisten Diehm Kontakt aufgenommen und ihn über die Vorfälle informiert hat, über die wir hier zu sprechen haben?

Zeuge: Das ist korrekt. Herr Diehm war zu der Zeit für ›Global‹ im Sudan unterwegs und besuchte am 24. und 25. Dezember das Basislager der Bundeswehr bei Port Sudan. Er plante eine umfangreichere Reportage. Ich hielt mich zur gleichen Zeit dort auf und traf mich mit ihm zu einem Gespräch.
Ich habe ihn heimlich getroffen.

Henning B. (SPD): Ging das auf seine oder Ihre Initiative zurück?

Zeuge: Auf meine.

Dr. Heidrun F. (CDU): Könnten Sie bitte kurz wiederholen, worüber Sie damals mit ihm gesprochen haben?

Zeuge: Ich habe Herrn Diehm den Hinweis gegeben, dass in der Gegend Zivilisten durch Angehörige der deutschen Streitkräfte getötet worden waren. Details habe ich ihm nicht gegeben. Ich hatte gehofft, dass er selbst herausfinden würde, was geschehen war.

Jochen H. (Grüne): Hans Diehm hat die Informationen, die er von Ihnen bekommen hatte, sehr schnell veröffentlicht. Er scheint kaum Zeit auf eine umfassende Recherche verwendet zu haben, richtig?

Zeuge: Es scheint so.

Jochen H. (Grüne): Die Anschuldigungen in seinem Artikel waren recht vage formuliert. Aber Sie können uns mehr dazu sagen?

Zeuge: Das kann ich.

Jochen H. (Grüne): Nun ist Herr Diehm ja kurz nach der Veröffentlichung seines Artikels überraschend verstorben. Vermuten Sie einen Zusammenhang zwischen dem Artikel und seinem Tod?

Zeuge: Ja. Ich kann es aber nicht beweisen.

Dr. Reinhard B. (SPD): Nun, der Tod von Hans Diehm steht hier eigentlich nicht auf der Tagesordnung. Sie haben erklärt, Sie könnten uns mehr über den Vorfall mitteilen, den Sie gegenüber dem Journalisten nur angedeutet hatten.

Zeuge: Ja. Zu der Zeit, als das geschah, hielten wir uns tiefer im Landesinneren auf, westlich von Port Sudan. Wir waren erst wenige Tage zuvor eingetroffen. Unser Einsatzbefehl lautete: Sicherung eines Dorfes, in dem sich nach Informationen der Nachrichtendienste Terroristen aufhalten sollten.
Also sicherten wir das Dorf und identifizierten eine Reihe von verdächtigen Personen.

Jochen H. (Grüne): Was hat diese Personen verdächtig gemacht?

Zeuge: Nun, sie waren männlich und nach unseren Schätzungen zwischen dreizehn und sechzig Jahre alt.

Jochen H. (Grüne): Das . . . Das war alles?

Zeuge: Das sind natürlich nur die ersten Kriterien. Später werden sie durch weitere ergänzt. Waffenbesitz beispielsweise.
Normalerweise werden die Verdächtigen dann auch genauer überprüft. Nicht durch uns, sondern durch andere Teile des Heeres. Aber in diesem Fall . . .
(Pause)

Dr. Reinhard B. (SPD): Ja? Was war in diesem Fall? Fahren Sie bitte fort.

Zeuge: Nun, in diesem Fall gab es später keine Personen mehr, die man hätte überprüfen können.

Henning B. (SPD): Was meinen Sie damit?

Zeuge: Sie wurden alle getötet. Wir . . . haben sie alle getötet: Männer, Frauen und Kinder.

Dr. Reinhard B. (SPD): Meine Damen und Herren. Bitte! Ich bitte um Ruhe. Frau Dr. F., bitte.

Dr. Heidrun F. (CDU): Warum, in Gottes Namen, haben Sie all diese Menschen getötet?

Zeuge: Ich . . . ich weiß es nicht.

Dr. Heidrun F. (CDU): Sie wissen es nicht?
(Pause)

Christian V. (CDU): Wie viele Menschen haben Sie getötet?

Zeuge: Ich weiß es nicht genau. Ich schätze, es waren etwa dreißig.

Dr. Volker N. (PDS): Und Sie können uns nicht sagen, warum Sie dreißig Menschen getötet haben? Das ist doch Wahnsinn!

Zeuge: Ja. Nein. Ich habe diese Menschen nicht allein erschossen. Es waren vier Kommandotrupps mit jeweils vier Mann im Einsatz. Wir hatten Zugstärke, sechzehn Mann unter meiner Führung. Und ich kann Ihnen nicht sagen, warum wir diese Menschen erschossen haben.

Dr. Volker N. (PDS): Hat Ihnen jemand verboten, darüber zu reden?

Zeuge: Nein. Ich kann es nicht sagen, weil ich es nicht weiß.

Dr. Volker N. (PDS): Aber vielleicht beschreiben Sie uns, was passiert ist, an diesem Tag. Der Reihe nach.

Zeuge: Wir sind am frühen Morgen in das Dorf eingedrungen und haben die Hütten durchsucht. Aber wir haben niemanden festgenommen. Einige Menschen wurden sofort erschossen. Andere wurden aus ihren Hütten herausgetrieben und dann auf dem Dorfplatz erschossen.

Dr. Reinhard B. (SPD): Gab es irgendeine Form von Widerstand?

Zeuge: Nein.

Dr. Heidrun F. (CDU): Wurden Sie provoziert?

Zeuge: Nein, niemand, soweit ich weiß. Ich weiß nur, dass es passiert ist. Wir haben es getan, so, wie ich es gerade beschrieben habe.
(Pause)
Ich würde ja selbst gern verstehen, warum wir es getan haben. Das war nicht unser Auftrag. Wir wurden ausgebildet, uns anders zu verhalten. Mehr weiß ich nicht.
(Pause)
Mehr kann ich dazu nicht sagen.