23. April, Morgen
Er hatte beschlossen auszuschlafen. Der Wecker klingelte um zehn, aber Sebastian blieb noch eine ganze Weile im Bett. Nur um einen Kaffee auf- und eine Schale Müsli anzusetzen, war er aufgestanden und hatte sich dabei gleich die Fernbedienung für den Fernseher geschnappt, bevor er sich wieder ins Bett gelegt hatte.
Mittags rief Lannert an. Den Vorschlag des Anwalts, Christian Raabes Beerdigung zu organisieren, nahm Sebastian dankbar an. Sie sollte drei Tage später auf dem Westfriedhof stattfinden.
Nach dem Telefonat zog Sebastian sich an, warf sich seine Jacke über die Schulter und verließ die Wohnung, um sich in einem kleinen chinesischen Takeaway in der Nähe mit Verpflegung zu versorgen. Take away, take away – das klang ja richtig chinesisch.
Er fühlte sich nicht besonders gut – und obwohl er den Vormittag im Bett verbracht hatte, war er erschöpft. Sein Fuß tat noch immer weh. Er humpelte über das Kopfsteinpflaster hinüber zur Imbissbude an der Schwanthalerstraße und kaufte eine Schale voll undefinierbarer Substanzen, die im Geschmack entfernt an Huhn und Curry erinnerten.
Schließlich fasste Sebastian einen Entschluss. Er verließ den Imbiss und versuchte die Straße zu überqueren, ohne von einem Radfahrer überfahren zu werden, seine Jacke anzuziehen und gleichzeitig die erste Telefonnummer in sein Handy zu tippen, die auf Sareah Anderwalds Karte stand. Ein kalter Wind fuhr unter seinen Kragen und machte ihm eine Gänsehaut. Der gewünschte Teilnehmer war unter dieser Nummer zurzeit nicht erreichbar. Als er die zweite Nummer wählte, meldete sich ein Anrufbeantworter mit der leicht verzerrten Stimme einer jungen Frau. Sie erinnerte ihn an die Stimme, die ihn im Institut gefragt hatte: »Wie ich heißen sollte, muss ich wahrscheinlich nicht erklären, oder?«
»Hier ist Sebastian Raabe«, sprach er auf das Band. »Der Typ, den du interviewt hast.« Er stockte. Was wollte er ihr denn eigentlich sagen?
»Tja, vielleicht – vielleicht könnten wir uns noch mal treffen. Ich bin heute Abend ab neun im Last Experience, Amalienstraße in Schwabing. Ich würde mich freuen, wenn du kommst.« He, das war ja richtig mutig. »Wenn du nicht kommst, dann ruf ich dich einfach später noch einmal an oder so.« Oder so. Klasse, dachte er. Echt cool. »Also dann . . . vielleicht bis dann.«
Das, dachte er, war ja wohl die blödeste Einladung der Welt gewesen. Wenn sie je Lust gehabt hatte, ihn zu treffen, dann würde sie ihr mit diesem Anruf bestimmt vergangen sein.
Als er das Telefon ausschalten und wegstecken wollte, meldete sich wieder die Mobilbox.
»Sareah Anderwald hier. Sebastian, können wir uns bald sehen?«
Sebastian war überrascht. Da hätte er sich seinen verkrampften Anruf ja sparen können. Ewig hatte er nun kein Date mehr gehabt, und jetzt wollte sich die Frau seiner Träume unaufgefordert mit ihm treffen? Aber die ehrgeizige Journalistin trieb ihm seine Flausen gleich wieder aus dem Kopf: »Ich hätte da noch ein paar Fragen.«
Er fühlte sich geschmeichelt und verwirrt zugleich. Sollte er gleich noch einmal versuchen, Sareah anzurufen? Aber sie würde ja seine Einladung für den Abend abhören, und . . . vielleicht würde sie ja kommen, und sei es nur, um eine Antwort auf ihre Fragen zu bekommen.
Eine halbe Stunde später rief Sareah an und sagte ab. Immerhin: Sie schlug vor, ihn am übernächsten Vormittag zu besuchen.
Dann nahm er einen neuen Anlauf.
»Und wie sieht’s morgen Abend aus – mit der privaten Sareah Anderwald, nicht der Journalistin? Ich treffe mich mit ein paar Freunden.«
Sie lachte. »Mal sehen. Ruf morgen noch mal an, okay?«