Mitschnitt der Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses »Spezialkräfte« vom 25. April. Abschrift in Auszügen – Fortsetzung

Dr. Reinhard B. (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Verteidigungsministerium hat mich soeben davon unterrichtet, dass für die nächsten Tage eine öffentliche Erklärung geplant ist. Ich möchte Sie also bitten . . .

Jochen H. (Grüne): Das wird aber auch höchste Zeit.

Dr. Reinhard B. (SPD): . . . ich möchte Sie bitten, so lange zu warten, bevor Sie etwas an die Öffentlichkeit geben. Haben Sie Geduld. Die Regierung hofft, dass dieser Ausschuss dazu beiträgt, Erklärungen für diesen grauenhaften Vorfall zu finden. Herr H., es wird Sie hoffentlich befriedigen, zu hören, dass wir Ihrem Vorschlag nachgekommen sind, Herrn Professor Altmann einzuladen.
Professor Christof Altmann ist Emeritus der Harvard University in Cambridge und der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und darüber hinaus ein ehemaliger Kollege von uns. Er hatte vor einigen Jahren das Amt eines Staatssekretärs im Bundesministerium für Gesundheit inne. Vielleicht hat er eine Antwort auf die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Angehörige der Bundeswehr ein Massaker angerichtet haben. Herr Professor Altmann?

Sachverständiger: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, verehrte Ausschussmitglieder. Ich möchte mich herzlich für die Einladung bedanken. Wenn Sie allerdings von mir eine eindeutige Antwort erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen. Ich kann nur versuchen zu helfen, den Ursachen dieser schrecklichen Tat auf die Spur zu kommen. Ich habe mich mein Leben lang mit der Frage beschäftigt, warum Menschen tun, was sie tun. Dabei habe ich mich stets auf bestimmte Gruppen von Menschen und auf eine bestimmte Auswahl von Einflussfaktoren konzentriert. Zu diesen Gruppen gehören Soldaten. Es gibt nun etliche Faktoren, die auf die Angehörigen der Streitkräfte Einfluss haben, und mein verehrter Kollege Leicht hat bereits einige angesprochen. Ich beschränke mich hier auf den Einfluss von psychoaktiven Substanzen. Ein Beispiel einer psychoaktiven Substanz kennen Sie aus eigener Erfahrung: Alkohol. Diese Droge führt vermutlich zu Engpässen bei der Produktion des Hirnbotenstoffes Serotonin. Dieser steht offensichtlich im Zusammenhang mit den kognitiven Prozessen, die in unserem Stirnhirn stattfinden und unter anderem unsere Impulskontrolle organisieren. Bei vielen Menschen versagt diese kognitive Bremse deshalb unter Alkoholeinfluss, und es kommt gelegentlich zu gesteigerter Aggressionsbereitschaft. Auf andere Menschen wirkt Alkohol beruhigend und lässt sie ihre Sorgen vergessen. Aber letztlich wurde diese Droge bislang in jedem Krieg als Mittel eingesetzt, um die Moral der Truppe zu heben. Es gibt etliche historische Quellen, die das belegen. Vor der Schlacht bei Hastings 1066 betranken sich die Soldaten des englischen Königs Harold, bevor sie gegen die Normannen unter Wilhem dem Eroberer antraten. Zumindest einige französische Ritter hatten vor der Schlacht bei Agincourt 1415 ebenfalls stark getrunken. Die Briten bei Waterloo 1815, an der Somme und im Zweiten Weltkrieg, ebenso die US-Amerikaner und die Deutschen tranken vor den Schlachten. Es gibt Berichte über starken Alkoholkonsum in Vietnam, während des Falklandkrieges und so weiter. Alkohol und Krieg, meine Damen und Herren, gehören mehr oder weniger zusammen. So viel zur grundsätzlichen Tatsache, dass psychoaktive Substanzen in bewaffneten Konflikten eine Rolle spielen.
Aber Sie wissen natürlich auch, dass es eine Reihe nicht legaler Drogen gibt, die unsere Wahrnehmung und unser Verhalten temporär oder nachhaltig verändern. Auch diese wurden in Kriegen konsumiert, allen voran Cannabis, LSD oder Heroin. Besonders interessant finde ich allerdings die historischen Berichte über die so genannten Berserker: Wikinger-Krieger, die sich mithilfe von Fliegenpilzen in einen Zustand der Raserei versetzten und den Feind ohne Rücksicht auf die eigene Person angriffen. Auch Aufputschdrogen wie Speed werden immer wieder eingesetzt, um Soldaten wach zu halten. Mindestens zehn Prozent der US-Truppen nahmen während des Zweiten Weltkrieges irgendwann einmal Amphetamine. In Vietnam schluckten sowohl US-Soldaten als auch französische Soldaten Speed. Und es ist bekannt, dass die US-Air-Force am Golf und während des Afghanistankrieges so genannte Go-Pills, Amphetamin-Tabletten, an ihre Piloten ausgab, damit diese während der langen Flugeinsätze wach blieben. Amphetamine sorgen dafür, dass im Gehirn Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt werden, und versetzen den Konsumenten so in eine Art permanenter Alarmbereitschaft. Der so genannte fight/flight/ fright-Urinstinkt wird aktiviert, das heißt, die Körperfunktionen, die zum Kämpfen oder Weglaufen gebraucht werden, also Atmung, Blutdruck und Puls, werden verstärkt. Darüber hinaus senken die Mittel in Stress-Situationen die Schmerzempfindung sowie Hunger und Durst.
In hohen Dosen oder bei häufigem Einsatz können Amphetamine aber auch Aggressionen, paranoide Wahnvorstellungen und akustische Halluzinationen auslösen. Tatsächlich wurde beispielsweise diskutiert, ob der Pilot einer F-16, der 2002 in Afghanistan eine lasergesteuerte Bombe auf kanadische Soldaten abgeworfen hat, unter dem Einfluss von Drogen stand. Der Pilot, der sich auf einem Langstrecken-Einsatz befand, tötete vier Kanadier. Auch drei Mitglieder der US Special Forces, die nach ihren Einsätzen in Afghanistan zu Hause ihre Ehefrauen umgebracht haben, standen möglicherweise unter dem Einfluss von Drogen oder litten unter Entzugserscheinungen.
Sie sehen, Krieg, Gewalt und Drogen stehen in einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Ich würde Ihnen deshalb vorschlagen: Versuchen Sie herauszufinden, ob die an dem Massaker beteiligten Soldaten unter Drogeneinfluss standen.
Es ist eine Möglichkeit, die Sie nicht außer Acht lassen sollten.

Dr. Reinhard B. (SPD): Herr Professor Altmann, haben Sie vielen Dank. Sie haben an unseren Reaktionen sicher schon merken können, dass Ihre Ausführungen uns überrascht haben.

Jochen H. (Grüne): Herr Professor Altmann, Sie haben vorhin bereits die Stellungnahme von Professor Leicht verfolgt. Was halten Sie von seiner Erklärung?

Sachverständiger: Professor Leicht hat in allem, was er gesagt hat, sicherlich Recht. Aber es gibt eine Reihe von Punkten, die seine Erklärung in dem konkreten Fall nicht sehr nahe liegend erscheinen lassen. Herr B. hat das bereits angesprochen. Gerade die besonderen Umstände führen mich zu der Vermutung, dass hier kein dynamischer Prozess abgelaufen ist, der schließlich in diesen Amoklauf mündete. Es scheint mir eher, als sei die Psyche der Betroffenen innerhalb kurzer Zeit verändert worden.

Dr. Heidrun F. (CDU): Herr Vorsitzender, ich schlage vor, die an dem Massaker beteiligten Zeugen nochmals zu befragen. Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass deutsche Soldaten während ihrer Einsätze Drogen genommen haben, wäre das ein ungeheuerliches Vergehen – gemessen an den Folgen.