Siebentes Kapitel – Unfreiwilliges Intermezzo

1810–1815

Das dritte Exil Joseph Fouchés hat begonnen. In seinem herrlichen Schloß zu Aix residiert der seines Dienstes enthobene Staatsminister, der Herzog von Otranto, wie ein souveräner Fürst. Er ist nun zweiundfünfzig Jahre alt, er hat alle Spannungen und Spiele, alle Erfolge und Widrigkeiten des politischen Lebens, den ewigen Wechsel von Ebbe und Flut im Wellenspiel des Schicksals, bis zur Neige erfahren. Er hat die Gunst der Mächtigen gekannt und die Verzweiflung der Verlassenheit, er ist arm gewesen bis zur Sorge um die tägliche Brotkrume und unermeßlich reich, beliebt und verhaßt, gefeiert und geächtet – nun darf er endlich rasten an goldenem Strand, Herzog, Senator, Exzellenz, Staatsminister, Staatsrat, vielfacher Millionär, niemand Untertan als dem eigenen Willen. Gemächlich fährt er in seiner livrierten Karosse spazieren, macht Besuche in den Häusern des Adels, empfängt laute Huldigung aus seiner Provinz und heimlich flüsternde Sympathieen aus Paris; er ist enthoben der ärgerlichen Mühe, sich täglich mit törichten Beamten und einem despotischen Herrn abzuplagen. Dürfte man seinem zufriedenen Gehaben trauen, so fühlt der Herzog von Otranto sich procul negotiis wohl. Aber wie trügerisch diese Zufriedenheit vorgespielt ist, verrät die (zweifellos echte) Stelle in seinen (sonst sehr bezweifelbaren) Memoiren. Ich habe mich in dieser Studie so gut wie niemals auf die 1824 in Paris erschienenen Memoiren des Herzogs von Otranto bezogen, denn sie sind zweifellos von fremder Hand zusammengestellt, allerdings mit teilweise authentischem Material. Inwieweit der immer Doppelseitige bei ihrer Vorbereitung selbst die Finger im Spiel hatte, beschäftigt noch heute vergeblich die Wissenschaft, und bis auf weiteres gilt noch immer von ihnen Heinrich Heines heiteres Wort, der von dem »bekannt falschen Mann« Fouché schrieb, er habe »die Falschheit so weit getrieben, noch nach seinem Tode falsche Memoiren zu veröffentlichen«. »Die eingefressene Gewohnheit, von allem zu wissen, verfolgte mich, und ich unterlag ihr noch mehr in der Langweile eines durchaus angenehmen, aber eintönigen Exils.« Und den »charme de sa retraite« bildet nach seinem eigenen Geständnis nicht die milde Landschaft der Provence, sondern ein Zettelwerk von Berichten und Spionagen aus der Großstadt. »Mit Hilfe sicherer Freunde und treuer Boten richtete ich mir einen geheimen Briefwechsel ein, den mehrere regelmäßige Berichte aus Paris unterstützten, die einer den andern ergänzten. Mit einem Wort, ich hatte in Aix meine Privatpolizei.« Was ihm als Dienst verweigert ist, treibt der Ruhelose jetzt als Sport, und wenn er die Ministerien nicht mehr betreten darf, so gelüstet es ihn, wenigstens mit fremden Augen durch die Schlüssellöcher zu blicken, mit fremden Ohren an den Beratungen teilzunehmen und vor allem auszulauschen, ob nicht endlich eine Gelegenheit sich ergebe, sich wieder anzubieten, sich wieder anzudrängen an den Spieltisch der Zeitgeschichte.

Aber er wird noch lange im Abseits warten müssen, der Herzog von Otranto, denn Napoleon bedarf seiner nicht. Er steht auf der Höhe seiner Macht, er hat Europa bezwungen, ist Schwiegersohn des Kaisers von Österreich, er ist – erfüllter Wunsch seiner Wünsche! – Vater eines Königs von Rom. Demütig wedeln vor ihm sämtliche deutsche und italienische Fürsten, dankbar für die Gnade, daß er ihnen ihre Kronen und Krönchen zu lassen geruhte; schon schwankt und wankt der letzte und einzige Feind: England. Dieser Mann ist so stark geworden, daß er auf so behende und so wenig verläßliche Helfer wie Joseph Fouché lächelnd verzichten kann; jetzt erst, da ihm so reichlich Zeit gegeben wird, ruhig und gemächlich nachzudenken, mag der Herr Herzog die ganze rasende Überheblichkeit erkennen, die ihn getrieben, sich mit diesem mächtigsten aller Männer zu messen. Nicht einmal die Ehre seines Hasses gönnt ihm der Kaiser – von der ungeheuren Höhe, auf die ihn das Schicksal gestellt und emporgeschwungen, bemerkt er gar nicht mehr das kleine bissige Insekt, das einst in seinem Pelz genistet und das er mit einem einzigen kräftigen Ruck herausgeschüttelt hat. Er beachtet weder seine Zudringlichkeit noch seine Abwesenheit, Fouché ist für ihn erledigt. Und nichts zeigt deutlicher dem Gestürzten, wie wenig Napoleon ihn jetzt achtet und fürchtet, als daß er schließlich wieder auf sein Schloß nach Ferrières zurückkehren darf, zwei Stunden von Paris. Näher freilich läßt ihn der Kaiser nicht heran, Paris und die Tuilerien bleiben dem Manne verschlossen, der ihm Trotz zu bieten gewagt hat.

Nur ein einziges Mal in diesen zwei leeren Jahren wird Joseph Fouché in den Palast gerufen. Napoleon bereitet den Krieg gegen Rußland vor: dies eine Mal soll, da alle andern abreden, auch Fouché seine Meinung äußern. Er äußert sich, wenn man ihm glauben darf, leidenschaftlich warnend, er überreicht sogar (wenn er es nicht post festum gefälscht hat) jenes Memorandum, das in seinen Erinnerungen zu finden ist; aber Napoleon will längst nur noch seinen eigenen Willen bestätigt hören, er begehrt nur noch blinde Zustimmung für seine Worte. Wer ihm vom Kriege abrät, scheint seine Größe zu bezweifeln. So wird Fouché frostig zurückgeschickt auf sein Schloß, in sein müßiges Exil, indes der Kaiser aufbricht mit sechshunderttausend Mann, der kühnsten und irrwitzigsten seiner Taten, Moskau entgegen.

Ein sonderbarer Rhythmus waltet in diesem merkwürdigen und abwechslungsreichen Leben Joseph Fouchés. Wenn er steigt, gelingt ihm alles; wenn er fällt, wendet sich das Schicksal gegen ihn. Jetzt, da er vergrämt, verbittert im Schatten der Ungunst, in seinem abgelegenen Schloß außerhalb der Bannmeile der Geschehnisse untätig warten muß, gerade jetzt, wo seine Enttäuschung seelischer Hilfe bedürfte, treuer Aussprache, zärtlicher Tröstung, gerade jetzt verliert er den einzigen Menschen, der ihn durch zwanzig Jahre liebevoll, ausdauernd und bestärkend auf allen seinen gefährlichen Wegen begleitet hat, verliert er seine Frau. Im ersten Exil, in jener Mansarde waren die ersten beiden Kinder gestorben, die er über alles liebte, im dritten Exil geht die Gefährtin von ihm. Dieser Verlust trifft den scheinbar Fühllosen in der innersten Seele. Denn ungetreu und launenhaft gegen alle Parteien und Ideen, war dieser undurchdringliche Mann zärtlichst getreu seiner häßlichen Frau, der aufmerksamste Gatte, der besorgteste Vater; wie hinter der Maske des trockenen Schreibstubenmenschen der nervöse intrigante Geistspieler, so verbirgt sich scheu und unsichtbar hinter dem Gefährlichen und Unverläßlichen ein treubürgerlicher, provinzfranzösischer Ehegatte, ein einsamer Mensch, der sich nur sicher und wohl fühlt im engsten Kreise seiner Familie. Was tief verschattet an geheimer Güte und Rechtlichkeit in diesem verschlagenen Diplomaten lebte, hat er heimlich und mit einer verschwiegenen Liebe dieser Gefährtin zugewandt, die nur für ihn lebte, niemals bei Hoffesten, Banketten und Empfängen erschien, nie sich in seine gefährlichen Spiele mengte. Ganz verborgen im unzugänglichen Grund seines Privatlebens wirkte da ein Gegengewicht dem Fahrigen, Spielhaften und Wandelbaren seiner politischen Existenz entlastend entgegen; und dieser Halt reißt gerade jetzt durch, da er am meisten einer Hilfe bedarf. Zum erstenmal fühlt man bei diesem steinkalten Menschen eine wirkliche Erschütterung, zum erstenmal hört man aus seinen Briefen einen sehr warmen, sehr echten, sehr menschlichen Ton. Als die Freunde ihn drängen, nach der rasenden Dummheit seines Nachfolgers, des Herzogs von Rovigo, der sich bei dem lächerlichen Putsch eines Halbnarren zum Gelächter von ganz Paris willenlos einsperren ließ, das Polizeiministerium wieder anzustreben, lehnt er jede Rückkehr in die politische Welt ab: »Mein Herz ist allen diesen menschlichen Torheiten verschlossen. Die Macht hat keinen Anreiz mehr für mich, die Ruhe ist nicht nur ein passender Zustand in meiner gegenwärtigen Situation, sondern der einzig notwendige. Die öffentlichen Geschäfte gewähren mir nur das Bild eines Tumultes, der Verwirrung und der Gefahren.« Zum erstenmal scheint an der Lehre des Schmerzes der Kluge wahrhaft klug geworden. Ein tiefes Bedürfnis nach Ruhe, nach innerlicher Entspannung hat nach einer Zeit ewiger sinnloser Ehrgeizigkeiten den alternden Mann überkommen, seit er die Gefährtin zwanzig furchtbarer Jahre an seiner Seite sterben sah. Alle Lust an der Intrige scheint in ihm für immer erloschen, der Wille zur Macht endlich, endlich gebrochen, in diesem vielumgetriebenen, ruhelos begehrenden Geist.

Aber tragische Ironie! Dieses einzige und erste Mal, da Fouche, der sonst Ruhelose, nur noch Ruhe will und kein Amt, drängt sein Gegenspieler Napoleon es ihm gewaltsam auf.

Nicht aus Liebe, nicht aus Zuneigung, nicht aus Vertrauen fordert noch einmal Napoleon Fouché in seinen Dienst, sondern aus Mißtrauen, aus einer jähen Unsicherheit. Zum erstenmal ist der Kaiser als Besiegter heimgekehrt. Nicht an der Spitze einer Armee, hoch zu Roß, fahnenumschwungen, reitet er durch den Triumphbogen in Paris ein, sondern, den Pelz über das Kinn geschlagen, um nicht erkannt zu werden, ist er bei Nacht zurückgeflüchtet. Die herrlichste Armee, die er jemals geschaffen, liegt erfroren im russischen Schnee, und mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit sind alle Freunde entflohen. Alle die Kaiser und Könige, die gestern und vorgestern noch mit krummen Rücken vor ihm buckelten, besinnen sich vor dem besiegten Kaiser mit peinlicher Plötzlichkeit ihrer Würde. Eine Welt in Waffen steht gegen ihren harten Herrn auf. Von Rußland reiten die Kosaken heran, aus Schweden stößt der alte Nebenbuhler Bernadotte als Feind vor, der eigene Schwiegervater Kaiser Franz rüstet in Böhmen, das geplünderte, geknechtete Preußen erhebt sich mit rachedurstiger Begeisterung – die Drachensaat unzähliger leichtfertiger Kriege, nun bricht sie aus der verbrannten, zerfurchten, gequälten Erde Europas, und sie wird in diesem Herbste auf den Feldern von Leipzig reifen. Überall wankt und knistert das gigantische Gebäude, das zehn Jahre dieses einzigen Weltwillens aufgerichtet; aus Spanien, Westfalen, Holland und Italien flüchten die verjagten bonapartischen Brüder. Nun gilt es für Napoleon, die äußerste Energie zu entfalten. Mit herrlichem, hellseherischem Blick, mit zehnfach übersteigerter Arbeitskraft bereitet er alles für den letzten Entscheidungskampf vor. Wer noch einen Tornister tragen oder auf einem Pferde sitzen kann, wird aus Frankreich herausgeholt; von überall, aus Spanien, aus Italien werden die bewährten Truppen zurückgezogen, um wettzumachen, was der russische Winter mit seinen eisigen Kinnbacken zermalmte. Tag und Nacht arbeiten Tausende in den Fabriken an Säbeln und Kanonen, Gold wird gemünzt aus den verborgenen Schätzen, die Ersparnisse aus den Geheimkammern der Tuilerien werden geholt, die Festungen instand gesetzt und, während von Ost und West die Armeen schweren Schrittes auf Leipzig losrücken, gleichzeitig nach allen Richtungen diplomatische Netze geworfen. Nirgends darf eine schwache und unsichere Stellung bleiben, nirgends eine Lücke in diesem eisernen Stacheldraht, der Frankreich umzäunen soll; jede Möglichkeit muß durchdacht und ebenso wie die Front muß auch der Rücken gesichert sein. Denn nicht ein zweites Mal darf, wie während des russischen Feldzuges, ein Narr oder ein Böswilliger das Vertrauen des Volkes zu Napoleon erschüttern oder verwirren. Kein Unsicherer darf zurückbleiben, kein Gefährlicher unbewacht.

An jeden Machtfaktor denkt der Kaiser vor dieser letzten Entscheidungsschlacht, an jede Möglichkeit, an jede mögliche Gefahr. So denkt er auch an den einen, der gefährlich werden könnte, an Joseph Fouché. Man sieht, er hat ihn nicht vergessen, er hat ihn nur mißachtet, solange er selbst stark war. Nun, da Napoleon unsicher wird, muß er sich wieder sichern. Kein möglicher Feind darf in seinem Rücken, darf in Paris zurückbleiben. Und da Napoleon Fouché nicht zu seinen Freunden zählt, beschließt er: Fouché muß weg von Paris.

Freilich, verhaften und in eine Festung stecken, damit dieser unruhige intrigante Geist keine Ränke spinnen kann, dazu liegt kein greifbarer Anlaß vor. Aber frei darf er gleichfalls nicht bleiben. So am besten, man bindet ihm die spiellüsternen Hände fest an ein Amt und womöglich an eines, das weit abliegt von Paris. Vergebens sucht man inmitten des Tumults der Geschäfte und der kriegerischen Vorbereitungen im Hauptquartier von Dresden nach einer derartigen Stellung, die gleichzeitig ehrenvoll scheint und Sicherung bietet; sie will sich so rasch nicht finden. Aber Napoleon ist schon ungeduldig, diesen Schattengänger aus Paris weg zu haben. Und da man keine Stellung für Fouche findet, so erfindet man ihm eine, man verleiht ihm nämlich ein Amt in Wolkenkuckucksheim: die Verwaltung der besetzten Gebiete von Preußen. Eine schöne Stellung, eine würdige, eine erstklassige Stellung ohne Zweifel, die leider nur den kleinen Fehler hat, an ein »Wenn« gebunden zu sein, nämlich daß diese Regentschaft erst beginnen kann, wenn Napoleon Preußen erobert hat. Und davon lassen die kriegerischen Ereignisse bisher wenig spüren, denn Blücher drückt den Kaiser bereits bedenklich in seine sächsische Flanke, und es ist daher nichts als possenhafte Belehnung mit einem luftigen Posten, wenn der Kaiser am zehnten Mai an den Herzog von Otranto schreibt: »Ich habe Ihnen mitteilen lassen, daß es meine Absicht ist, Sie sofort, wenn ich in das Gebiet des Königs von Preußen einrücke, zu mir rufen zu lassen und Sie an die Spitze der Regierung dieses Landes zu stellen. Davon darf in Paris nichts verlauten. Es muß den Anschein haben, als ob Sie sich auf Ihr Landgut begeben würden, während Sie in Wahrheit schon hier sein werden, indes man Sie daheim glaubt. Nur die Kaiserin hat Kenntnis von Ihrer Abreise. Ich begrüße die Gelegenheit, von Ihnen bald neue Dienste und neue Beweise Ihrer Anhänglichkeit zu empfangen.« So schreibt der Kaiser, gerade weil er seiner »Anhänglichkeit« so ganz und gar nicht traut, an Joseph Fouché. Und unwillig, mißtrauisch, die innerste Absicht seines Herrn sofort durchschauend, macht sich der Herzog von Otranto auf den Weg nach Dresden. »Ich war mir sofort klar«, bemerken seine Memoiren, »daß der Kaiser nur aus Furcht vor meinem Verbleiben in Paris mich als Geisel in der Hand haben wollte, indem er mich zu sich berief.« Demgemäß beeilt sich der zukünftige Regent von Preußen nicht allzusehr, zum Staatsrat nach Dresden zu kommen, weil er weiß, daß man in Wahrheit nicht seinen Rat im Staate will, sondern ihm die Hände binden. Erst am 29. Mai trifft er ein, und das erste Wort, mit dem ihn der Kaiser begrüßt, ist: »Sie kommen spät, Herr Herzog.«

Von dem komödienhaften Vorwand, ihm die Regierung von Preußen zu geben, wird in Dresden selbstverständlich kein Wort mehr gesprochen; die Zeit ist zu ernst geworden für dergleichen Scherze. Aber man hat ihn jetzt sicher in der Hand, und glücklicherweise findet sich ein anderer herrlicher Posten, um ihn weit weg vom Schauplatz der Geschehnisse abzuschieben, nicht gerade wie der frühere, hoch oben in Wolkenkuckucksheim oder im Monde, aber doch Hunderte von Kilometern weit von Paris: die Statthalterschaft von Illyrien. Der alte Kamerad Napoleons, der General Junot, der diese Provinz verwaltet, ist plötzlich wahnsinnig geworden, eine Zelle für Ungebärdige also frei. So händigt mit kaum verhaltener Ironie der Kaiser diese kurzlebige Herrschaft Joseph Fouché ein, der wie immer sich nicht wehrt, sich gehorsam verbeugt und bereit erklärt, sofort abzureisen.

Illyrien, der Name klingt nach Operette, und tatsächlich, was für einen scheckigen Staat hat man da bei dem letzten Gewaltfrieden zusammengeschneidert aus den Fetzen von Friaul, Kärnten, Dalmatien, Istrien und Triest! Ein Staat ohne einheitliche Ideen, ohne Sinn und Zweck, mit einer winzigen kleinbäuerlichen Provinzstadt Laibach als Residenz, ein zwitterhaftes unlebensfähiges Unding, von betrunkenem Herrscherwillen und blinder Diplomatie gezeugt. Fouché findet dort nichts als schlecht gefüllte Kassen, ein paar Dutzend gelangweilter Beamter, sehr wenig Soldaten und eine mißtrauische Bevölkerung, die nur auf den Abmarsch der Franzosen wartet. Überall bröckelt es schon im Gebälk dieses zu rasch aufgemörtelten Kunststaates, ein paar Kanonenschüsse, und das ganze schwanke Gebäude muß zusammenkrachen. Diese Kanonenschüsse feuert nun der eigene Schwiegervater, Kaiser Franz, gegen seinen Schwiegersohn Napoleon baldigst ab, und sofort geht es mit der illyrischen Herrlichkeit zu Ende. An einen ernstlichen Widerstand kann Fouché mit seinen paar Regimentern nicht denken, die, meist aus Kroaten zusammengesetzt, bereit sind, beim ersten Schuß zu ihren alten Kameraden überzugehen. So bereitet er vom ersten Tage an eigentlich nur den Rückzug vor, und um ihn geschickt zu maskieren, hält er nach außen an der großen Gebärde eines unbesorgten Herrschers fest, gibt Bälle und Gesellschaften, läßt bei Tag die Truppen stolz paradieren, während nachts schon die Kassen, die Regierungspapiere heimlich nach Triest geschafft werden. Seine ganze Leistung als Herr und Herrscher kann sich nur darauf beschränken, vorsichtig und Schritt um Schritt mit möglichst geringen Verlusten das Land zu räumen, und bei diesem strategischen Rückzug bewährt sich seine alte Kaltblütigkeit, seine rasch zugreifende Energie wieder absolut meisterhaft. Nur Schritt auf Schritt weicht er und ohne Verlust, von Laibach nach Görz, von Görz nach Triest, von Triest nach Venedig: beinahe vollzählig bringt er alle seine Beamten, die Kasse und viel kostbares Material aus seinem kurzlebigen Illyrien zurück. Aber was zählt der Verlust dieser lächerlichen Provinz! Denn in den gleichen Tagen verliert Napoleon die wichtigste und letzte seiner großen Schlachten in diesem Kriege, die Völkerschlacht bei Leipzig, und damit die Herrschaft der Welt.

Nun hat sich Fouche seiner Aufgabe entledigt, und zwar in tadellosester, ehrenhaftester Art. Jetzt, da es kein Illyrien mehr zu verwalten gibt, fühlt er sich wieder frei und will selbstverständlich nach Paris zurück. Aber so war es von Napoleon nicht gemeint. Um keinen Preis darf gerade jetzt ein Fouché nach Paris zurück: »Fouché ist ein Mann, den man unter den gegenwärtigen Umständen nicht in Paris lassen darf«, das Wort, in Dresden ausgesprochen, gilt nach Leipzig doppelt und siebenfach. Er muß weg, weit weg und um jeden Preis. Mitten in der ungeheuren Aufgabe der Abwehr einer fünffachen Übermacht sinnt sich der Kaiser eilig eine andere Mission für den Unbequemen aus, wieder eine, die ihn für die Dauer des Feldzugs unschädlich machen soll. Nur ihm jetzt etwas zu diplomatisieren und zu intrigieren in die Hand geben, nur nicht seine kribbeligen Finger nach Paris greifen lassen! So beauftragt ihn Napoleon, zunächst sich nach Neapel zu begeben (Neapel ist weit), um Murat, den König von Neapel, den Schwager Napoleons, der mehr für sein eigenes Königreich besorgt ist als für das Kaiserreich, zur Pflicht zurückzurufen und ihn zu bewegen, mit einer Armee dem Kaiser zu Hilfe zu kommen. Wie Fouché diesen Auftrag ausführte – ob er den alten Reitergeneral Napoleons wirklich zur Treue bereden wollte oder ihn in seiner Abtrünnigkeit bestärkt hat –, das ist in der Geschichte nicht deutlich geworden. Jedenfalls, der Hauptzweck des Kaisers ist erreicht, nämlich Fouché vier Monate jenseits der Alpen, tausend Meilen weit festzuhalten in unablässigen Verhandlungen. Während die Österreicher, Preußen und Engländer schon auf Paris marschieren, muß er fortwährend und eigentlich zwecklos zwischen Rom und Florenz und Neapel, zwischen Lucca und Genua hin und her pendeln, wieder an eine unlösbare Aufgabe seine Zeit und Energie verschwenden. Denn auch hier rücken die Österreicher unaufhaltsam vor; nach Illyrien geht auch Italien, das zweite ihm zugewiesene Reich verloren. Schließlich, Anfang März, hat der Kaiser Napoleon kein Land mehr, wohin er den Unbequemen abschieben kann, und außerdem auch im eigenen Frankreich nichts mehr zu verbieten und zu befehlen. So kehrt am 11. März Joseph Fouché über die Alpen in seine Heimat zurück, vier Monate unwiederbringlich durch die geniale Voraussicht des Kaisers ferngehalten von jeder politischen Zettelei innerhalb Frankreichs. Und als er sich endlich von der Kette losreißt, ist es genau um vier Tage zu spät.

In Lyon erfährt Fouché, daß die Dreikaisertruppen auf Paris marschieren. In wenigen Tagen also wird Napoleon gestürzt, eine neue Regierung gebildet sein. Selbstverständlich verzehrt sich sein Ehrgeiz vor Ungeduld, »d’avoir la main dans la pâte«, die Finger im Brei zu haben und sich dabei die dicksten Rosinen herauszuholen. Aber der gerade Weg nach Paris ist durch die vordrängenden Truppen schon versperrt, er muß den langwierigen Umweg machen über Toulouse und Limoges; endlich, am 8. April rollt sein Postwagen durch die Schranken von Paris. Auf den ersten Blick erkennt er: er ist zu spät gekommen. Und wer zu spät kommt, behält unrecht. Alle seine heimlichen Spiele und Streiche hat ihm Napoleon noch einmal vergolten durch die meisterhafte Voraussicht, daß er ihn ferne hielt, solange noch etwas im trüben zu fischen war, Jetzt hat Paris bereits kapituliert, Napoleon ist abgesetzt. Ludwig der Achtzehnte König und schon die neue Regierung vollzählig gebildet unter der Führung Talleyrands. Dieser verfluchte Hinkefuß war rechtzeitig zur Stelle gewesen und hat rascher die Front gewechselt, als er, Fouché, es vermochte. Bereits wohnt der Zar von Rußland in Talleyrands Haus, der neue König verhätschelt ihn mit Beweisen des Vertrauens, er hat nach seinem Gutdünken alle Ministerplätze besetzt und niederträchtigerweise keinen reserviert für den Herzog von Otranto, der inzwischen sinnlos und zwecklos Illyrien verwaltete und in Italien herumdiplomatisierte. Niemand hat auf ihn gewartet, niemand kümmert sich um ihn, niemand will etwas von ihm, niemand wünscht von ihm Rat und Hilfe. Wieder einmal ist Joseph Fouché, wie so oft in seinem Leben, ein erledigter Mann.

Lange will er nicht glauben, daß man ihn so gleichgültig fallen läßt, ihn, den großen Gegner Napoleons. Er bietet sich an, offen und im geheimen; man sieht ihn im Vorzimmer Talleyrands, bei dem Bruder des Königs, beim englischen Gesandten, in den Sitzungssälen des Senats, überall. Und doch hört keiner auf ihn. Er schreibt Briefe, einen an Napoleon, dem er den Rat gibt, nach Amerika auszuwandern, und schickt gleichzeitig eine Abschrift davon an König Ludwig XVIII., um sich bei ihm einzuschmeicheln. Aber er bekommt keine Antwort. Er petitioniert bei den Ministern um eine würdige Anstellung – sie empfangen ihn höflich, kalt, aber fördern ihn nicht. Er läßt sich vorschieben durch Frauen und anempfehlen durch alte Schützlinge, aber vergeblich, er hat den unverzeihlichsten Fehler der Politik begangen: er ist zu spät gekommen. Alle Plätze sind schon besetzt, und kein Würdenträger denkt daran, freiwillig aufzustehen, um aus Liebenswürdigkeit dem Herzog von Otranto seine Stellung einzuräumen. So bleibt dem Ehrgeizigen nichts anderes übrig, als wieder einmal seine Koffer zu packen und sich auf sein Schloß nach Ferrières zurückzuziehen. Nur eine Helferin hat er jetzt noch, da seine Frau gestorben ist: die Zeit. Sie hat ihm bisher noch immer geholfen, sie wird ihm auch diesmal helfen.

In der Tat: sie hilft ihm auch diesmal. Bald spürt Fouché, daß die Luft wieder nach Pulver schmeckt. Wenn man feine Ohren hat, so hört man auch von Ferrières aus, wie ein Thronsessel knackt und knistert. Der neue Herr, Ludwig der Achtzehnte, begeht Fehler über Fehler. Ihm beliebt es, die Revolution zu ignorieren und zu vergessen, daß nach zwanzig Jahren Bürgertums sich Frankreich nicht wieder vor zwanzig Adelsgeschlechtern ducken will. Er mißachtet ferner die ganze Gefährlichkeit der Prätorianergilde der Offiziere und Generale, die, auf Halbsold gesetzt, unzufrieden murren über diese niederträchtige Knickerigkeit des Gurkenkönigs. Ja, wenn Napoleon zurückkäme, dann gäbe es gleich wieder den guten, herrlichen Krieg. Dann könnte man gleich wieder losziehen und die Länder ausplündern, Karriere machen und straff die Zügel in die Hand kriegen! Schon gehen verdächtige Botschaften von einer Garnison zur andern, schon bereitet sich in der Armee allmählich eine Verschwörung vor, und Fouché, der keineswegs und zu keiner Zeit die Nabelschnur zwischen sich und seinem Geschöpf, der Polizei, völlig durchgeschnitten hat, horcht und hört mancherlei, was ihm zu denken gibt. Leise lächelt er in sich hinein: der gute König hätte allerlei erfahren, wenn er den Herzog von Otranto zum Polizeiminister genommen hätte. Aber wozu diese Hofschranzen warnen? Bisher hat immer nur der Umsturz Fouché hoch gebracht, der umspringende Wind. Darum hält er still, versteckt sich und rührt sich nicht und zieht den Atem ein wie ein Ringer vor dem Kampf.

Am 5. März 1815 stürmt ein Kurier in die Tuilerien mit der verblüffenden Botschaft, Napoleon sei von Elba ausgebrochen und mit sechshundert Mann am 1. März in Fréjus gelandet. Lächelnd und verächtlich nehmen die königlichen Höflinge die Nachricht auf. Natürlich, sie haben es ja immer gesagt, daß dieser Napoleon Bonaparte, von dem man so viel Aufhebens macht, nicht recht bei Sinnen sei. Mit sechshundert Mann – parbleu, man muß wirklich lachen! – will dieser Narr den König bekämpfen, hinter dem die ganze Armee und Europa stehen! Also nur keine Aufregung, keine Sorge – mit einer Handvoll Gendarmen wird man diesen erbärmlichen Abenteurer schon bändigen. Der Marschall Ney, der alte Waffengefährte Napoleons, bekommt den Befehl, sich seiner zu bemächtigen. Großmäulig verspricht er dem König, den Ruhestörer nicht nur anzufangen, sondern sogar in »einem eisernen Käfig im Lande herumzuführen«. Ludwig XVIII. und seine Getreuen promenieren behaglich ihre Unbesorgtheit durch Paris, wenigstens die ersten acht Tage lang, und der »Moniteur« stellt die ganze Sache unentwegt heiter dar. Aber bald mehren sich unangenehme Nachrichten. Nirgendwo hat Napoleon Widerstand gefunden, jedes gegen ihn ausrückende Regiment verstärkt, statt ihm den Weg zu sperren, seine anfänglich winzige Armee, und derselbe Marschall Ney, der ihn einfangen und im eisernen Käfig herumführen sollte, geht mit fliegenden Fahnen zu seinem früheren Herrn über. Schon ist Napoleon in Grenoble eingezogen, schon in Lyon – eine Woche noch, und seine Prophezeiung ist erfüllt, und der kaiserliche Adler läßt sich auf den Türmen von Notre-Dame nieder. Jetzt bricht am königlichen Hofe Panik aus. Was tun? Welche Dämme dieser Lawine entgegensetzen? Zu spät erkennen der König und seine gräflichen und fürstlichen Ratgeber, wie töricht es gewesen, sich dem Volke zu entfremden und künstlich vergessen zu wollen, daß zwischen 1792 und 1815 so etwas wie eine Revolution in Frankreich bestanden hatte. Also jetzt rasch sich beliebt machen! Auf irgendeine Weise dem dummen Volk zeigen, daß man es wahrhaft liebt, daß man seine Wünsche und Rechte achtet, rasch republikanisch, rasch demokratisch regieren! – immer, wenn es zu spät ist, entdecken ja die Kaiser und Könige gern in sich ein demokratisches Herz. Aber wie die Republikaner gewinnen? Nun, sehr einfach: indem man einen von ihnen in das Ministerium holt, irgendeinen recht Radikalen, der sofort dem Lilienbanner einen roten Aufputz gibt! Aber wo ihn finden? Man denkt nach und erinnert sich plötzlich an einen gewissen Joseph Fouché, der noch vor ein paar Wochen in allen Vorzimmern seine Aufwartung gemacht und den Tisch des Königs und seiner Minister mit Vorschlägen überschwemmt hat. Ja, das ist der Richtige, der Einzige, der immer und zu allem zu gebrauchen ist – also rasch ihn heraufgeholt aus der Versenkung! Immer wenn eine Regierung in Schwierigkeiten ist, ob Direktorium, ob Konsulat, ob Kaisertum oder Königreich, immer wenn man einen rechten Mittler, einen Ausgleicher braucht, einen Ordnungsmacher, wendet man sich an den Mann mit der roten Fahne, an den unzuverlässigsten Charakter und verläßlichsten Diplomaten, an Joseph Fouché.

So erlebt der Herzog von Otranto die Genugtuung, daß eben dieselben Grafen und Fürsten, die ihn vor ein paar Wochen noch kühl abgefertigt und ihm die kalte Schulter gezeigt, sich jetzt mit respektvollster Dringlichkeit an ihn wenden und ihm ein Ministerportefeuille anbieten, ja geradezu in die Hand pressen wollen. Aber der alte Polizeiminister kennt zu genau die wirkliche politische Lage, um sich jetzt noch in dreizehnter Stunde für die Bourbonen zu kompromittieren. Er spürt, die Agonie muß schon gekommen sein, wenn man ihn so dringlich als Arzt beruft. So lehnt er höflich ab unter allerhand Vorwänden und läßt zart durchblicken, man hätte sich etwas früher an ihn wenden sollen. Je näher aber die Truppen Napoleons anrücken, desto mehr schmilzt das Ehrgefühl am königlichen Hofe. Immer dringlicher mahnt und drängt man Fouché, die Regierung zu übernehmen, sogar der eigene Bruder Ludwigs des Achtzehnten bittet ihn zu geheimer Unterredung. Aber diesmal bleibt Fouché fest – nicht aus Charakterüberzeugung, sondern weil er sich für faule Fische wenig begeistert und sehr behaglich auf der Schaukel fühlt zwischen beiden, zwischen Ludwig XVIII. und Napoleon. Jetzt sei es zu spät, beruhigt er den Bruder des Königs, der König möge sich nur selbst in Sicherheit bringen, das ganze Napoleonische Abenteuer sei nicht von langer Dauer, und er werde inzwischen alles tun, um dem Kaiser entgegenzuwirken. Man möge ihm nur vertrauen. So behält er einen Stein im Brett und kann, wenn die Bourbonen siegreich bleiben, sich als ihren Helfer ausspielen. Und andererseits, wenn Napoleon siegt, kann er stolz darauf pochen, das Angebot der Bourbonen ausgeschlagen zu haben. Zu oft hat er das bewährte System der Rückversicherung nach beiden Seiten erprobt, daß er es diesmal nicht von neuem versuchte: gleichzeitig als der getreue Diener zweier Herren, des Kaisers und des Königs, zu gelten.

Aber diesmal soll es noch heiterer kommen – immer wieder verwandelt sich gerade in den entscheidenden Schicksalswendungen im Leben Fouchés die tragische Szene zur Komödie. Etwas haben die Bourbonen inzwischen schon von Napoleon gelernt, nämlich, daß man einen Mann wie Fouché in gefährlichen Zeiten niemals im Rücken lassen solle. So bekommt die Polizei am drittletzten Tage vor der Abreise des Königs, während Napoleon schon scharf auf Paris losrückt, den Auftrag, Fouché, weil er sich weigere, Minister des Königs zu werden, sofort als verdächtig zu verhaften und von Paris wegzutransportieren.

Der derzeitige Polizeiminister, dem die Ausführung dieses unerfreulichen Verhaftungsbefehls zufällt, heißt – die Geschichte liebt wahrhaftig aparte Überraschungen – Bourrienne. Er ist der intimste Jugendfreund Napoleons, sein Kamerad aus der Kriegsschule, sein Gefährte in Ägypten, sein langjähriger Sekretär gewesen, er hat alle seine Vertrauten gekannt, so kennt er – gründlichst auch Fouché. Deshalb erschrickt er ein wenig, als der König ihm den Auftrag gibt, Fouché, den Herzog von Otranto, zu verhaften. Ob das wirklich ratsam sei, erlaubt er sich zu bemerken. Und wie der König energisch den Befehl wiederholt, schüttelt er abermals den Kopf: das werde nicht so leicht sein. Dieser alte Hecht ist, er weiß es, durch zuviel Reusen und Schleusen geschwommen, als daß er sich am lichten Tag mit der Schlinge fangen ließe; zu solcher Menschenfischerei benötige man doch mehr Zeit und ein gerütteltes Maß von Geschicklichkeit. Aber immerhin, er gibt den Auftrag. Und tatsächlich, am 16. März 1815 um 11 Uhr vormittags, umringen die Polizisten auf dem offenen Boulevard den Wagen des Herzogs von Otranto und erklären ihn auf Grund des Befehls von Bourrienne für verhaftet. Fouché, der nie seine Kaltblütigkeit verliert, lächelt verächtlich: »Man verhaftet einen ehemaligen Senator nicht auf offener Straße.« Und ehe die Agenten, die allzulange seine Untergebenen waren, sich von ihrer Überraschung erholen können, hat er dem Kutscher schon zugeschrieen, scharf auf die Pferde einzuhauen, – und die Karosse saust nach seiner Wohnung zurück. Verblüfft stehen mit aufgerissenem Mund die Polizisten und schlucken den Staub der wegrollenden Kutsche. Bourrienne hat recht gehabt: es ist nicht so leicht, einen Mann zu fangen, der einem Robespierre, einem Konventsbefehl und einem Napoleon heil entkommen war.

Wie nun die genarrten Polizisten ihrem Minister Bericht erstatten, daß Fouché ihnen entwischt sei, zieht Bourrienne sofort die Zügel schärfer an: jetzt geht es um seine Autorität; derart darf er nicht mit sich spaßen lassen. Sofort läßt er das Haus in der Rue Cerutti von allen Seiten umstellen und das Tor bewachen – eine starke bewaffnete Abordnung steigt die Treppe empor, um den Flüchtling zu fassen. Aber Fouché hat noch einen zweiten Spaß für ihn bereit, einen jener herrlichen und einzigen Meisterstreiche, wie sie ihm fast immer nur in der schwierigsten, gespanntesten Situation gelingen. Gerade in der Gefahr, man hat es ja oft gesehen, überfällt ihn diese Lust an Spaß und toller Irreführerei der Menschen. Der gerissene Mystifikator empfängt also die Beamten, die ihn verhaften wollen, mit viel Höflichkeit und nimmt Einsicht in den Verhaftungsbefehl. Jawohl, er sei gültig. Und selbstverständlich denke er nicht an Widerstand gegen einen Befehl Seiner Majestät des Königs. Die Herren möchten nur hier im Salon Platz nehmen, er habe nur noch einige Kleinigkeiten zu ordnen, dann folge er ihnen sofort. So versichert Fouché aufs höflichste und tritt ins Nebenzimmer. Die andern warten respektvoll, bis er seine Toilette beendigt hat, – schließlich, man kann doch nicht einen Senator, einen ehemaligen Minister und Hofwürdenträger wie einen Taschendieb hart am Ärmel fassen oder ihm Handschellen anlegen. Sie warten respektvoll, sie warten einige Zeit, bis die Zeit ihnen doch verdächtig lang erscheint. Dann, als er noch immer nicht zurückkommt, treten sie in den Nebenraum und entdecken – eine echte Komödienszene inmitten des politischen Tumultes –, daß Fouché ihnen durchgebrannt ist. Der Sechsundfünfzigjährige hat ganz wie im damals noch nicht erfundenen Kino im Garten eine Leiter an die Wand gestellt und ist, während die Polizisten auf ihn ehrerbietig im Salon warteten, mit einer für sein Alter erstaunlichen Behendigkeit einfach hinübergeklettert in den Nachbargarten der Königin Hortense und hat sich von dort in Sicherheit gebracht. Am Abend lacht ganz Paris über den gelungenen Streich. Lange freilich kann ein solcher Spaß nicht anhalten – der Herzog von Otranto ist zu stadtbekannt, als daß er sich auf die Dauer verbergen könnte. Aber Fouché hat wieder einmal richtig gerechnet, nämlich, daß es diesmal nur auf ein paar Stunden ankam, denn jetzt müssen der König und seine Getreuen sich schon damit befassen, nicht selber von der vordringenden Kavallerie Napoleons festgenommen zu werden. Schleunigst werden die Koffer in den Tuilerien gepackt, und mit seinem grimmigen Verhaftungsbefehl hat Ludwig XVIII. nichts anderes erreicht, als Fouché ein öffentliches Zeugnis für seine (nie vorhandene) Treue zum Kaiser auszustellen, eine Treue, an die freilich Napoleon nicht glauben wird. Aber als er vom gelungenen Trick dieses politischen Künstlers hört, muß er doch lachen und sagt mit einer Art zorniger Bewunderung: »II est décidement plus malin qu’eux tous.« »Er ist doch der Gerissenste von allen!«

Stefan Zweig - Gesammelte Werke
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