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In einem Brief an Hana Komarova berichtete Bertram, was zwischen Malvina und ihm und gegen seinen ursprünglichen Entschluß vorgefallen war. Er schrieb offen darüber und teilte ihr seine Entscheidung mit, sein weiteres Leben mit Malvina zu verbringen. Trotz seiner Bemühung um trockene Sachlichkeit machte er sich zum Schluß Selbstvorwürfe. Bewegt bat er sie um Verzeihung.
Noch in derselben Woche erhielt er eine Antwort von Hana. In diesem Brief versuchte sie ihn davon zu überzeugen, daß er sich nicht zu schämen brauchte. Seine Entscheidung, seinen Weg an der Seite dieser bewundernswerten Frau fortzusetzen, sei richtig; sie, Hana, mit ihrem entwurzelten Leben, könne keinem Vergleich mit ihr standhalten.
In diesem Brief erreichte Hanas Natur ihre wahre Größe; auch sie versuchte sachlich zu bleiben, nur überstieg offensichtlich ihr Selbstverzicht ihre Kräfte. Am Schluß verriet sie ihm ein Geheimnis: »Was ist sie doch für eine beneidenswerte Frau, Deine Malvina. Natürlich kenne ich sie. Sie hat mich hier aufgesucht, kurz nach dem Besuch Deines Freundes Professor Thimm. Wir haben uns ausgesprochen. Sie hat mich nie darum gebeten, es Dir zu verschweigen. Ich habe es Dir nicht erzählt, weil ich glaubte, daß es nur eine Sache zwischen zwei Frauen sei, die denselben Mann lieben. Malvina liebt Dich. Sie ist ein Mensch von großer Geradlinigkeit. Sie hat mir viel von sich erzählt, wir verstanden uns vollkommen. Ich wünschte, ich hätte diese Kraft, Dich so zu lieben …«
Nur am Rande erwähnte Hana, sie würde aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Stelle wechseln und sich um eine andere Klinik bemühen, hier seien die Erinnerungen noch sehr frisch und schmerzlich. Sie beendete den Brief mit einem Wort in ihrer Muttersprache, das er von früher her kannte und dem Sinn nach mit ›mein Allerliebster‹ übersetzte.
Diesen Brief erwähnte er mit keinem Wort vor Malvina. Erst Jahre später wurde ihm bewußt, daß dieser Brief ein leidenschaftliches Liebesbekenntnis war und kein Abschied.