Rückkehr

1

Bertram versuchte, die Geschäftigkeit der beginnenden Adventszeit zu ignorieren, die beherrscht wurde von Geschenkebesorgungen, von Pelzen und Parfum und vom Schnee, der auf den Straßen gleich matschig wurde.

In der Klinik drängten viele Patienten auf ihre Entlassung, andere wiederum ließen sich aufnehmen. Es waren immer die gleichen alten einsamen Menschen, die die Feiertage zu Hause fürchteten.

Bertrams zerstritten sich und versuchten sich wieder zu vertragen. Inzwischen hatten sie es sich angewöhnt, nur keine weiteren Fragen zu stellen, nett zueinander zu sein, bis morgen zu warten. Morgen würde es anders werden. Am nächsten Tag war es das gleiche. Malvina starrte von ihrem Platz aus durch die Fensterscheibe in die Dunkelheit, er dachte gequält: ›Warum ist alles so gekommen? Doch nicht, weil ich ihr wegen Karen unrecht getan habe. Jedes andere Mißverständnis hätte ebenfalls diese Reaktion ausgelöst. Ihre Empörung kann über die eigentliche Ursache nicht hinwegtäuschen. Wir haben plötzlich entdeckt, daß wir unglücklich sind.‹

Wenn sie nicht gerade stritten, verliefen ihre Abende eintönig. Schweigen. Starren ins Leere.

Hatten sie nicht alles erreicht, was man sich nur wünschen konnte? Es stimmte zwar, doch das Leben hatte ihnen nichts gegeben, ohne dafür etwas zu fordern.

Malvina sagt: »Findest du nicht, daß du zuviel trinkst?«

»Das tue ich immer, wenn ich nachdenken möchte.«

Er wälzt sich schlaflos im Bett, steht auf, geht in die Bibliothek und schenkt sich einen Cognac ein. Nach langem Suchen nimmt er aus seinem Bücherregal die Bibel, blättert umständlich in ihr, dann findet er, wonach er sucht. Der erste Johannesbrief: »Wenn wir behaupten, wir hätten keine Sünde, dann täuschen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.«

Der Bauunternehmer, der das Kerckhoffsche Haus vor ihnen besaß, hatte eine Reihe geschmackloser Umbauten vorgenommen. Um sie zu beseitigen, gaben Bertrams Unsummen aus. Das einzige, was sie beließen, war eine mit technischen Raffinessen und protzigem Luxus ausgestattete Schwimmhalle, die mit dem Haus durch einen beheizten Gang verbunden war.

Bertram war zwar ein Frühaufsteher, dennoch gehörte er nicht zu den Menschen, die gleich nach dem Aufstehen an körperliche Ertüchtigung dachten. Er schwamm nicht. Noch im Stehen trank er die erste Tasse Kaffee und nutzte die frühe Morgenstunde, um zu arbeiten. Nur in seltenen Fällen bestellte er zu dieser Zeit jemand zu sich.

An diesem Morgen, um sechs Uhr dreißig, erschien der Kriminalbeamte Peppinhege. Umständlich entschuldigte er sich, daß er Bertrams Zeit in Anspruch nähme, und kam, ohne Übergang, auf das Wesentliche. »Ich möchte Ihnen eine Frage stellen: War die Gräfin Kerckhoff reich?«

»Gewiß doch. Warum fragen Sie?«

»Wir haben kein Testament gefunden.«

»Sprechen Sie darüber mit ihrem Rechtsanwalt.«

»Sie hatte keinen.«

»Sie muß doch einen Vermögensverwalter haben oder eine Bank.«

Daraufhin zuckte Herr Peppinhege bedauernd die Schultern.

»Was ist mit der Versicherungsgesellschaft?« fragte Bertram.

»Ihr Schmuck war nicht versichert. Wir fragten auch Ihre Frau danach.«

»Meine Frau?«

»Sie kannte die Gräfin, es wäre denkbar, daß sie darüber Bescheid wußte.«

»Sie kannten sich kaum. Ich war früher mit ihrer Tochter verlobt. Es ist natürlich, daß sie und meine Frau kein sehr inniges Verhältnis … Haben Sie weitere Fragen?«

»Nur eine, die ich ungern stelle: Schuldeten Sie der Gräfin Geld?«

»Was veranlaßt Sie zu dieser Frage?«

»Die Überweisungen für die Krankenhausrechnungen der Gräfin sind von einem Ihrer Konten erfolgt.«

»Barer Unsinn«, sagte Bertram gereizt. »Wenn Sie nachgeforscht hätten, wüßten Sie, daß ich für die Behandlung meiner persönlichen Freunde keine Rechnungen stelle.«

»Darum geht es nicht, Herr Professor. Ich spreche von den Krankenhausrechnungen, die den Pflegesatz beinhalten. In der ersten Klasse Ihrer Privatstation macht es immerhin mehrere tausend Mark im Monat.«

»Sie irren, das kann unmöglich ohne mein Wissen geschehen. Die Gräfin beglich ihre Rechnungen selbst.«

Der Kriminalbeamte sagte: »Ich habe den Dauerauftrag gesehen. Er trägt die Unterschrift Ihrer Frau.«

Ein Gespräch nach diesem Besuch.

Malvina: »Wir streiten nur noch.«

Er schrie sie an. »Schweig! Du hast unser Leben auf Lügen aufgebaut.«

»Du bist zornig und ungerecht. Elisabeth wollte nicht, daß du es erfährst. Hatte ich trotzdem das Recht, es dir zu erzählen?«

»Was meinst du damit, sie wollte nicht? Was sollte ich nicht wissen?«

»Sie war arm.«

»Unsinn. Elisabeth hatte nie Geldsorgen. Sie besaß amerikanische Aktien in der Schweiz, mehrere Grundstücke in der Stadt und das Haus …«

»Sie war hoffnungslos verschuldet. Die Aktien existierten nicht, sie erzählte es jedem, um ihr Gesicht zu wahren. Sie hat vom Erlös der Grundstücke gelebt, die sie hintereinander verkaufte. Mit einem Teil des Geldes vom letzten Grundstück hat sie deine Japanreise finanziert. Dann starb Karen, das Geld war alle, das Haus mit Hypotheken belastet. Elisabeth verstand nichts von Geld, sie war eine Dame.«

»Hast du ihr Geld gegeben, Malvina?«

»Nur eine monatliche Unterstützung, nicht sehr viel, als eine Art Gegenleistung für das Haus. Der Bauunternehmer hatte sie betrogen, und die Bank war an ihr nicht mehr interessiert.«

»Ihr blieb immer noch ihr Schmuck, ihr Brillantkollier zum Beispiel …«

»Der Schmuck war unecht, das Brillantkollier war eine Nachahmung eines Kolliers, das sie schon vor dem Kriege verkauft hatte. Karens Vater hat aus ihr Unsummen herausgeholt. Es tut mir leid, Hannes.«

»Ich brauche kein Mitleid.«

Wieder ist ein Wochenende vergangen. Und nichts gelöst. Seine täglichen Aufgaben – fast zu Reflexen geworden – beanspruchen seine Gedanken kaum. Ihm scheint, daß sie in ihren Qualen bald eine merkwürdige Befriedigung finden, ihr Leben wird zerlegt und Tag für Tag analysiert.

Es ist zermürbend. Sein aufflackernder, kraftloser Zorn ist Balsam für seine gekränkte Würde.

Aber auch Malvinas unerschöpfliche Geduld scheint sich dem Ende zu nähern. Sie läßt sich von ihm provozieren, es kommt zu heftigen Gefühlsausbrüchen. Eines Tages sagt sie matt: »So kann es nicht weitergehen. Wir müssen uns trennen.«

Es war ausgesprochen.

Der Chefarzt
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