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Das Portal ließ mich ein paar Meilen außerhalb der Bostoner Innenstadt bei einer kleinen Kirche raus. Sie war alt, heruntergekommen und verlassen. Vor die fleckigen Scheiben waren Spanplatten genagelt, die Tür mit Baugerüsten verbarrikadiert. Ich holte tief Luft, blickte nach oben und sah gerade noch, wie sich das Portal über mir schloss. Damit war der Weg zurück zu Clarence und Zane jetzt blockiert.

Wenigstens hatte ich diesmal Spielzeuge mitbringen dürfen. Eine Armbrust. Ein Schwert. Und eine ganze Ladung Messer. Man hätte mich eine glückliche Kriegerin nennen können.

Ich blieb stehen und sah mich um. Rund um das Gebäude war gelbes Band gespannt, und ich fragte mich, ob der Ort unbewohnt war oder die Dämonen nur unwillkommene Besucher abschrecken wollten.

Ich gehörte mit Sicherheit zu Letzteren, aber die Abschreckungsmethode funktionierte bei mir nicht. So schnell ließ ich mich nicht entmutigen. Meine Füße gierten danach, ein paar Dämonen in den Hintern zu treten.

So unauffällig wie möglich näherte ich mich der Kirche. An der Eingangstür stieß ich auf den ersten Wachposten, einen gelangweilt wirkenden Fettwanst ganz in Schwarz. Ich hob die Armbrust, zielte, schoss und beförderte ihn ins Jenseits, bevor er wusste, wie ihm geschah.

Dass es so leicht ging, gab mir Auftrieb. Allmählich glaubte ich, dass ich es vielleicht doch schaffen könnte.

Ich überlegte, ob ich durch diese Tür in die Kirche eindringen sollte, beschloss dann aber, sie zunächst einmal zu umrunden und eventuelle weitere Wachen aus dem Weg zu räumen. Ich stieß auf vier weitere, die ich genauso lässig erledigte. So viel zum Thema Sicherheit. Ich musste annehmen, dass sie glaubten, der Angriff auf mich sei erfolgreich gewesen. Dass das Gift mich getötet und der Himmel keinen Krieger mehr hatte, der dafür kämpfen würde, dass die Pforte geschlossen blieb.

Während ich am Gebäude entlangschlich, bekam ich ein immer besseres Gefühl für diese Mission. An einem der Fenster hatte sich die Sperrholzplatte gelöst, und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um hindurchzuspähen. In der Mitte eines goldenen Kreises, der mit Kreide auf den Boden gezeichnet war, stand ein Dämon in der Gestalt eines alten, wettergegerbten Mannes. Er war wie ein Priester gekleidet, und ich empfand es wie einen Schlag ins Gesicht, wie er Himmel und Tradition verspottete.

Um ihn herum knieten fünf Dämonen, die alle schwarze Talare mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen trugen.

Ich fuhr mir mit den Fingern durch die Haare und überlegte, welche Möglichkeiten ich hatte. Sechs gegen eine - nicht gerade berauschend, selbst wenn ich ein paar verdammt geile Waffen mit mir rumschleppte und vor Selbstbewusstsein nur so strotzte.

Mist.

Ich holte tief Luft und rief mir in Erinnerung, wieso ausgerechnet ich vor diesem Fenster stand. Weil ich laut der himmlischen Mächte, die über uns wachen, die auserwählte Superkämpferin war, die diese Schweine erledigen konnte. Deren Blut die Schatulle zerstören konnte, die sonst die Pforte zur Hölle öffnen würde. Also verfügte ich ganz offensichtlich über irgend so ein heiliges Dingsbums, das mein Selbstvertrauen eigentlich in ungeahnte Höhen hätte schnellen lassen müssen. Stattdessen stand ich da und fürchtete, wie ein winziger Käfer zerquetscht zu werden.

Nicht sonderlich selbstbewusst, oder?

Wirklich nicht, das muss ich zugeben. Ich zwang mich, meine Angst und mein Zögern abzuschütteln und mich der Tatsache zu stellen, dass ich das hier schaffen konnte. Ich hatte es bereits oft genug unter Beweis gestellt, und mit jeder Aufgabe waren meine Kräfte gewachsen. Ich war vielleicht nicht die eleganteste Kämpferin der Stadt, aber auf der Straße hatte ich mir schon einen Namen gemacht. Außerdem hatte ich ihre Wachmannschaft aus dem Weg geräumt und in Zanes Ring einer Menge Dämonen den Arsch versohlt.

Einer gegen eine - da hätte ich keine Zweifel gehabt.

Aber sechs gegen eine …

Dafür brauchte man mehr als Kraft und geile Waffen. Wenn ich das überleben wollte, musste ich mir was einfallen lassen. Ich schlich über den Hof und suchte nach Dingen, mit denen ich mein Arsenal vergrößern könnte.

Das Grundstück war von einem Eisenzaun umgeben. Zwar gelang es mir nicht, eine der pfeilartigen Spitzen abzubrechen, dafür aber, einen ganzen Pfosten rauszureißen - eine Eisenstange mit einem tödlich spitzen Ende, die mir perfekt in der Hand lag und genau das richtige Gewicht für einen guten Wurf hatte.

Mit meinem behelfsmäßigen Speer in der Hand durchforstete ich das Gelände, sammelte ein paar Steine auf und stopfte sie in die Tasche meiner Jeans. Das musste reichen. Ich ließ meinen Mantel am Fuß einer Engelsstatue liegen, nahm die Armbrust in die eine und den Speer in die andere Hand und schlich mich um das Gebäude herum zum Hintereingang.

Die Tür war nicht verschlossen. Ich öffnete sie und schob mich hindurch, schwer bewaffnet und sehr, sehr gefährlich.

Ich fand mich in einem nicht besetzten Empfangsraum wieder, der voller Stühle und Tische stand. Am anderen Ende des Raums war die Tür, hinter der die entscheidende Zeremonie in vollem Gang war. Die Tür stand offen.

Mir blieb keine Zeit, Pläne zu entwerfen - ich musste mich ranhalten.

Ich tastete mich an der Wand entlang, bis ich mich direkt neben der Tür befand, dann hob ich mein Messer und benutzte seine glänzende Oberfläche als Spiegel, um in den Raum zu sehen, ohne entdeckt zu werden.

Der Dämon im Priestergewand bewegte sich im Kreis und berührte jeden der knienden Dämonen mit einem Silberstab am Kopf. Dabei murmelte er irgendwelche Beschwörungsformeln. Ich wartete, weil ich wusste, dass ich die Schatulle zerstören musste. Noch konnte ich sie nicht sehen, also hielt ich den Atem an und wartete darauf, dass das Herzstück der Zeremonie enthüllt würde.

Lange musste ich nicht warten.

Der Hohepriester hielt die Hand über die Mitte des Kreises, und aus dem Boden schoss eine schlanke blaue Flamme, in deren Zentrum die Schatulle schwebte. Dann erlosch die Flamme, und die Schatulle sank langsam zu Boden.

Showtime! Es war so weit. Ich schnitt mir in die Handfläche, um Blut zur Verfügung zu haben, dann huschte ich durch die Tür. Ich warf den Eisenpfosten, und während mein behelfsmäßiger Speer den Rücken eines der knienden Dämonen durchbohrte, stand ich schon schussbereit mit der Armbrust im Anschlag da. Der Dämon fiel, alle viere von sich gestreckt, zu Boden. Seine Brüder sprangen auf. Ich zielte und schoss, und der Pfeil traf den nächsten Hurensohn direkt ins Auge. Er stolperte, schrie auf und fiel zu Boden. Die drei verbliebenen Vasallen stellten sich schützend vor den Hohepriester, der jetzt die Schatulle in der Hand hielt.

Ich konnte ihn hinter den Dämonen nach wie vor singen hören. Das hier war noch lange nicht vorbei, und ich musste mich verdammt beeilen. Ich legte einen neuen Pfeil in die Armbrust, doch sie wurde mir von einer Lederpeitsche aus der Hand gerissen.

Ich schnappte nach Luft. Meine Hand brannte, und einer der Vasallen sagte mit steinernem Gesicht: »Das wird dir nicht gelingen. Unser Streben ist rechtschaffen.«

»Zur Hölle mit eurem Streben!«, erwiderte ich und holte ein paar Steine aus meiner Tasche. Ich warf sie, was die Vasallen auseinanderstieben ließ, und zog mein Schwert aus der Scheide. Mit dem Schwert in der Rechten und dem blutigen Messer in der Linken stürzte ich mich auf sie. Einem schlitzte ich die Brust auf, und kaum roch ich sein Blut, fing mein Körper an zu vibrieren. Das spornte mich noch mehr an, und ich jagte dem nächsten mein Messer ins Herz. Das Gefühl, dass sein Tod mein ureigener Verdienst war, durchflutete mich wie ein Rausch.

Der letzte der Vasallen war vor seinem Meister stehen geblieben und streckte mir ein Zeremonienmesser entgegen. Aber auf so etwas war ich vorbereitet, und ich würde nicht zögern, ihn notfalls in der Mitte durchzuschneiden, wenn ich anders nicht an seinen Meister rankam - um ihn und die Schatulle zu vernichten.

Ich schwang das Schwert, legte meine ganze Kraft hinein und stieß zu. Doch im nächsten Moment krampfte mein Körper vor Schmerz. Schwert und Messer fielen mir aus der Hand, und als ich an mir herabsah, war vorn in meinem T-Shirt ein Loch, wobei das Blut auf dem schwarzen Stoff kaum zu erkennen war.

Als ich wieder hochsah, ließ der Priester, dem ich die Brust aufgerissen hatte, den Arm sinken, als ob etwas Schweres daran hing. Bevor ich zu Boden ging, blieb mir nur noch Zeit für einen einzigen vernünftigen Gedanken: Schusswaffe.