Siebenundzwanzig

 

 

Nachdem der Schlangenroboter Auger verarztet hatte, trug er sie in die Passagierkabine des ramponierten Schiffes. Floyd war bereits eingestiegen und hatte sich auf dem rechten Sitz angeschnallt, wo er das Gespräch mit Skellsgard fortsetzte. Drinnen sah das Schiff zumindest wie neu aus, auch wenn es von außen einen ganz anderen Eindruck machte. Die Sitze waren klobige Gebilde aus schwarzem Polstermaterial mit großen Gurten und Haltenetzen und Kopfstützen. Vor jedem Sitz befand sich eine komplizierte Anordnung aus Kontrollen und Bildschirmen, die sich hochklappen ließen, bis der Insasse Platz genommen hatte, und die wesentlich robuster ausgelegt waren als alles, was Floyd bisher gesehen hatte. Es gab sehr kleine Fenster, die von weiteren Kontrollen, Lämpchen und Schirmen umgeben waren. Hinter den gepolsterten Sitzen führte ein sehr enger Gang zu mehreren Staufächern neben einer Toilette, die die Ausmaße einer kleinen Hundehütte hatte, und einer noch kleineren Küche, die gleichzeitig eine Erste-Hilfe-Kabine war. Das wusste er, weil das Symbol des Roten Kreuzes auf einer weißen Ausrüstungskiste an der Wand angebracht war. Der Rest des Schiffes war vom Passagierbereich aus nicht zugänglich. Dort befanden sich vermutlich die Maschinen und Treibstoffvorräte oder womit das Schiff auch immer betrieben wurde. Pumpen und Generatoren tuckerten und summten, und gelegentlich war das Klacken oder Surren eines verborgenen Mechanismus zu hören.

»Wie viel hat Auger Ihnen verraten?«

»Verdammt wenig.«

»Was hat sie gesagt, wohin dieses Schiff sie bringen wird?«

»Gar nichts.«

»Aha.« Das schien die Frau ohne Ende zu amüsieren. »Was haben Sie sich zusammengereimt, wohin die Reise gehen könnte?«

»Ich vermute, dass wir uns durch so etwas wie einen unterirdischen Tunnel bewegen werden. Vielleicht kommen wir im Atlantik heraus und legen den Rest der Strecke per U-Boot zurück. Ich halte es aber auch für denkbar, dass wir von einer Staffel fliegender Schweine abgeholt werden.«

»Irgendetwas sagt mir, dass Sie nicht ganz frei von Zweifeln sind.«

»Ich möchte keineswegs pingelig erscheinen«, sagte Floyd, »aber ich kann mich dunkel erinnern, dass vor einer Weile Erde und Mars erwähnt wurden.«

»Das waren Codewörter, Sie dummer kleiner Junge.«

»Ach so! Natürlich.«

»Also gut. Hören Sie mir jetzt genau zu. Ich sage Ihnen, was Sie unbedingt wissen müssen, wenn Auger nicht mehr handlungsfähig sein sollte. Sie werden dreißig Stunden lang mit diesem Ding unterwegs sein, egal, was kommt. Es wird ein harter Ritt. Wie hart, hängt davon ab, wie viel Glück Sie haben und ob der Roboter dafür sorgen kann, dass Sie einen guten Start hinlegen. Aber wenn ich Sie wäre, würde ich mir keine allzu große Hoffnungen machen.«

»Ich habe eine schwache Blase.«

»Erklären Sie Floyd die manuellen Kontrollen«, sagte Auger, als der Roboter sie auf den linken Sitz dirigierte, wobei er seinen Körper verbog, um sich im Schiff bewegen zu können.

»Floyd«, sagte Skellsgard, »ich möchte, dass Sie die Konsole vor Ihrem Sitz herunterklappen und über Ihrem Schoß positionieren. Dann können Sie sie einrasten lassen.«

»Schon passiert«, sagte Floyd.

»Legen Sie die Hand um den Joystick. Drücken sie ihn. Die Anzeige rechts von Ihnen müsste jetzt ein grün-rotes Belastungsenergiegitter darstellen.«

Floyd führte ihre Anweisungen aus. »Ich sehe ein Gitter«, sagte er. »Aber ich sehe noch viel mehr als nur das.«

»Das ist gut. Sehen Sie die blaue karoförmige Markierung zwischen den zwei gelben Klammern?«

»Ich sehe mehrere Karos.«

»Bewegen Sie den Joystick seitlich hin und her. Das Symbol, das sich jetzt bewegt, ist das einzige, dem Sie Ihre Aufmerksamkeit schenken müssen. Ignorieren Sie vorläufig die fixierten Markierungen und machen Sie sich keine Gedanken über all die vielen verwirrenden Zahlen.«

»Das Gitter verändert sich. Es sieht aus, als hätte man es auf heißem Karamell gezeichnet und würde mit einem Löffel darin herumrühren.«

»Sie haben das Prinzip verstanden. Jetzt klappen Sie den roten Deckel auf der Rückseite des Joysticks hoch und legen Sie den Daumen auf den rechten Druckknopf. Den rechten, nicht den linken. Drücken Sie ganz leicht und sagen Sie mir, was mit dem Gitter passiert.«

»Es bewegt sich. Alles bewegt sich, und zwar nach links.«

»Das ist völlig richtig. Was Sie sehen, ist eine Darstellung der Tunnelgeometrie vor dem Schiff, schätzungsweise eine Lichtmikrosekunde von der Mündung entfernt. Das System zeigt Ihnen eine Vorhersage Ihres Kurses, der auf der Basis dieser Geometrie berechnet wird.« Floyd öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Skellsgard kam ihm zuvor. »Zerbrechen Sie sich nicht Ihren hübschen kleinen Kopf über die Einzelheiten. Der entscheidende Punkt ist, dass die Geometrie nicht stabil ist, und wenn wir das Schiff selbsttätig fliegen lassen, wird es ständig die eine oder andere Seite des Tunnels touchieren. Das sollten Sie vermeiden, da die Gezeitenbelastung exponentiell zunimmt, je näher Sie den Wänden kommen. Die Ausleger des Schiffes können grundsätzlich leichte Kollisionen mit den Wänden abfangen, aber wenn ich mir von hier aus die Telemetriedaten ansehe, scheint mir, dass das Schiff während des Hinflugs einiges einstecken musste. Die Panzerung der Hülle sieht ebenfalls ziemlich zerknautscht aus.«

»Die Telemetriedaten stimmen«, sagte Auger. »Ich bin mir nicht sicher, ob das Schiff die Reise überstehen wird, auch wenn es keinen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt wird.«

»Auf unserer Seite werden wir Ihnen alle Daumen drücken. Das heißt, wir werden sogar alles drücken, was wir haben.« Anscheinend fügte sich Skellsgard in das Unvermeidliche, als ihre Stimme plötzlich gedämpfter und geschäftsmäßiger klang. »Wichtig ist, dass die zusätzlichen Software-Ergänzungen auch mit der veränderten Geometrie ziemlich gut zurechtkommen müssten, sodass Sie das Schiff nicht über die Gesamtstrecke von Hand steuern müssen.«

»Das klingt gut«, sagte Floyd. »Ich glaube nicht, dass ich es schaffe, dreißig Stunden lang am Steuerknüppel zu sitzen.«

»Trotzdem müssen Sie sich gelegentlich über das Leitsystem hinwegsetzen. Unsere Simulationen haben ergeben, dass die Automatik nicht sehr gut mit abrupten Veränderungen in der Tunnelgeometrie klarkommt, vor allem wenn die Scherwinkel größer als siebenhundertzwanzig Grad werden.«

»Was heißt ›nicht klarkommen‹?«, wollte Floyd wissen.

»Sie stürzt ab.«

»Das Schiff stürzt ab?«

»Die Software?«

»Die Was-ware?«

Auger mischte sich ein. »Sie meint, das automatische Leitsystem wird ohne Vorwarnung plötzlich nicht mehr funktionieren.«

»Kann ich es danach wieder in Betrieb nehmen?«

»Ja«, sagte Skellsgard. »Sie müssen einen sofortigen Neustart initiieren. Das ist der leichte Teil – Auger kann Ihnen zeigen, wie man das macht. Der schwierige Teil ist, dass Sie das Schiff wieder auf Kurs bringen müssen, bevor Sie an den Tunnelwänden entlangschrammen.«

»Schrammen klingt recht schmerzhaft. Und was ist das für ein Winkel, der nicht größer als siebenhundertzwanzig Grad werden darf?«

»Wenn ich Ihnen das erkläre, bekommen Sie nur Kopfschmerzen, also lassen wir es lieber bleiben.«

Floyd bewegte wieder den Joystick hin und her, um ein Gefühl dafür zu bekommen. »Wie viel Zeit habe ich, uns wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, bevor wir etwas schrammen?«

»Das hängt davon ab. Zehn, vielleicht fünfzehn Sekunden. Das dürfte genug Zeit sein, um die Kontrolle zu übernehmen und die Flugbahn zu korrigieren. Wenn das Leitsystem abstürzt, gibt es einen deutlich hörbaren Alarmton, der Ihnen sagt, dass Sie kurz darauf nur noch ein Schmierfleck an der Innenseite des Tunnels sein werden.«

»Muss ich sonst noch etwas wissen?«

»Ungefähr alles, was man innerhalb einer Lebensspanne lernen kann, aber leider geht es nicht anders. Behalten Sie einfach das Gitter im Auge und versuchen Sie, die Driftgradienten vorherzusehen, bevor sie Ihnen Ärger machen können. Sie müssten die Stauchung der Gitterlinien erkennen können. Die Reaktionszeit des Schiffs ist recht langsam, also beschränken Sie sich auf kleine und feine Korrekturen, damit das Schiff Zeit hat, darauf zu reagieren, bevor sie weitere Korrekturen vornehmen.«

»Jetzt sprechen Sie eine Sprache, die ich beinahe verstehe.«

»Sind Sie jemals mit einem Transatmosphärenschiff geflogen?«

»Ich glaube nicht«, sagte Floyd.

»Er ist früher mit Trawlern gefahren«, sagte Auger. »Ich glaube, davor war er mit irgendwelchen Lastkähnen unterwegs. Das sind Schiffe, die auf Wasser fahren«, fügte sie hinzu.

»Konnte man mit diesen Kähnen eine Haarnadelkurve fahren?«, fragte Skellsgard.

»Nein«, antwortete Floyd. »Man brauchte ungefähr eine nautische Meile, um sie abzubremsen. Auf eine Flussbiegung musste man schon reagieren, wenn sie noch gar nicht in Sicht war.«

»Sonst hätte man die Ufer geschrammt«, sagte Skellsgard und nickte zufrieden. »Dann müssen Sie sich dieses Schiff nur als großen alten Lastkahn vorstellen, der ein paar besondere Eigenschaften aufweist. Und die Tunnelwände sind die Uferböschungen, die man auf gar keinen Fall streifen möchte. Kriegen Sie das irgendwie in Ihren Kopf hinein?«

»Ich werde es versuchen«, sagte Floyd.

»Dann schaffen Sie es vielleicht doch, das Baby heil nach Hause zu bringen.«

Floyd zuckte die Achseln und ließ den Joystick auf die Ausgangsposition zurückkehren. Skellsgard gab sich alle Mühe, optimistisch zu klingen, aber ihre Fröhlichkeit war nur oberflächliche Tünche. »Wie ist das eigentlich?«, sagte er. »Wenn Sie jetzt mit uns reden, könnten Sie das doch auch die ganze Zeit machen, während wir unterwegs sind. Sie wissen schon, wie in den Filmen, wenn der Pilot einen Herzinfarkt hatte und die Jungs im Tower irgendeinem Idioten im Cockpit erklären, wie er die Maschine runterbringen soll.«

»Wir verlieren den Kontakt, sobald wir ein Schiff in den Tunnel schießen«, sagte Auger. »Wir können erst wieder mit ihr reden, wenn wir am anderen Ende angekommen sind.«

»Aber ich werde hier auf Sie warten«, sagte Skellsgard. »Ich kann weiterhin den Zustand der Verbindung überwachen, auch wenn ich mich nicht mit Ihnen unterhalten kann. Ich glaube kaum, dass irgendjemand von uns in den nächsten dreißig Stunden allzu viel Schlaf bekommt.«

»Machen Sie sich keine Sorgen um uns«, sagte Auger. »Wir werden unversehrt nach Hause kommen. Achten Sie nur darauf, dass Sie hellwach sind, wenn wir auf Ihrer Seite aus dem Tunnel fallen. Ich brauche ein neues Schiff, das sofort zurückfliegen kann, und einen Roboter, der es steuern kann.«

»Ich dachte, Sie müssten dringend medizinisch versorgt werden.«

»Ich rede nicht von mir. Floyd kann nicht auf unserer Seite bleiben. Wir müssen ihn nach Paris zurückbringen.«

Skellsgard nickte. »Ja, wir sollten versuchen, den Schaden möglichst gering zu halten, nicht wahr?«

»Ich bin auf jeden Fall für Schadensbegrenzung«, stimmte Auger ihr zu.

»Ich auch«, sagte Floyd. »Aber wieso habe ich das Gefühl, dass ich der Schaden bin?«

»Skellsgard«, sagte Auger. »Hören Sie mir zu. Ich glaube, ich weiß, warum Susan sterben musste. Die Sache, die sie in Deutschland gebaut haben – ich glaube, es waren Komponenten für eine Gravitationswellen-Resonanzantenne.«

»Hmm«, erwiderte sie stirnrunzelnd. »Erzählen Sie mir mehr.«

»Drei Kugeln, die über Europa verteilt, fast auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt und darauf kalibriert sind, zu vibrieren, wenn sie von Gravitationswellen getroffen werden.«

»Sie sagen, dass es drei von diesen Dingern gibt?«

»Eine in Berlin, eine in Mailand, eine in Paris. Ich glaube, sie benutzen drei Stück, um den Hintergrundlärm auszufiltern. Jedes Signal, das von allen drei registriert wird, muss signifikant sein.«

»Mit drei Kugeln könnte man auch die Richtung bestimmen, wenn an allen Standorten exakt gehende Uhren vorhanden sind.«

»Vielleicht gibt es auch die.«

»Trotzdem wäre es eine schwierige Angelegenheit, Auger. Man muss diese Dinger im Vakuum aufhängen und sie an verdammt empfindliche akustische Verstärker anschließen, bevor man auch nur hoffen darf, einigermaßen brauchbare Ergebnisse zu gewinnen.«

»Aber zumindest ist die Sache mit E2-Technologie und ein paar Verfeinerungen machbar. Viel einfacher als ein Laserinterferometer oder eine orbitale Testmasse, wenn bisher noch niemand Laser oder künstliche Satelliten erfunden hat.«

»Das ist ein Argument. Haben Sie von Weber gehört? Das ist jemand aus der gleichen Epoche wie E2. Er hat einen Detektor gebaut, der bei Zimmertemperatur arbeitet, und dazu solide Aluminiumzylinder benutzt. Das gleiche Grundprinzip.«

»Hat es funktioniert?«

»Nicht ganz. Das Ding war nicht empfindlich genug. Aber das Prinzip hatte Hand und Fuß, und es war der Wegbereiter für die supergekühlten Resonanzdetektoren, die etwa fünfzig Jahre später tatsächlich funktionierten.«

»Hier hat jemand die Geschichte überholt«, sagte Auger. »Sie haben ein solches Ding gebaut und es vielleicht sogar in Betrieb genommen.«

»Was glauben Sie, wer dahintersteckt?«

»Die Slasher. Dieselben, die während der Besetzung von Phobos durchgekommen sind. Zumindest haben sie einen Anteil daran.«

»Aber warum? Was ist der Sinn dieser Aktion? Wir können unsere Gravitationswellenastronomie nicht in der Nähe der Erde durchführen.«

»Es geht nicht um Astronomie«, sagte Auger. »Ich glaube, es geht um eine Triangulation.«

»Ich kann Ihnen nicht mehr folgen, Auger.«

»Denken Sie nach. Keine elektromagnetische Strahlung dringt durch die Hülle der AGS, was bedeutet, dass es keine Möglichkeit gibt, die wahre Position von E2 in der Galaxis zu bestimmen. Aber mit der Gravitation sieht es anders aus. Sie sickert immer durch. Genauso ist es mit Neutrinos, aber der Bau eines Neutrinodetektors, der sich zur Richtungsbestimmung nutzen lässt, ist mindestens genauso schwierig wie die Errichtung einer Gravitationswellenantenne, aber nicht so leicht vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.«

»Aber warum … ach so, Moment! Jetzt verstehe ich. Man setzt dieses Ding zusammen und sucht nach bekannten Quellen für Gravitationswellen. Helle Binärsysteme mit schneller Rotation, doppelte Degenerierte auf der Todesspirale und solche Sachen.«

»Ja«, sagte Auger. »Ihre Resonanzfrequenzen sind so einzigartig wie Fingerabdrücke. Dann misst man die Stärke, und mit drei Kugeln lässt sich berechnen, aus welcher Richtung sie kommen. Man bringt alle Daten zusammen, wertet sie aus, und schon hat man …«

»Die räumlichen Koordinaten der AGS«, hauchte Skellsgard.

»Vielleicht haben sie diese Daten längst«, sagte Auger.

»Aber warum? Aus welchem Grund sollte sich jemand diese Mühe machen?«

»Weil sie verzweifelt danach suchen«, sagte Auger. »Nach dem Zugang von außen.«

»Mein Gott!«, sagte Skellsgard. »Was wollen sie praktisch mit dieser Information anfangen?«

»Das ist der Punkt, der mir Sorgen macht. Vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber aus irgendeinem Grund hat Susan das Wort ›Silberregen‹ auf einer der Postkarten erwähnt, die sie an Caliskan schicken wollte.«

Skellsgard schwieg für ein paar Sekunden. »Gott im Quadrat! Sind Sie sich sicher?«

»Ich könnte mir vorstellen, dass sie versuchen wollen, es in die AGS zu injizieren. Es ist eine Nano-Waffe, also kann sie nicht durch den Zensor gebracht werden. Damit bleibt nur noch eine Möglichkeit übrig: Man macht die AGS ausfindig und bohrt von außen ein Loch hinein.«

Skellsgard stieß die angehaltene Luft durch geschürzte Lippen aus. Ihr waren die Kraftausdrücke und Schimpfwörter ausgegangen. »Wen soll ich darüber informieren? Sie haben die Vermutung geäußert, dass Susan gewisse Zweifel hatte, wem sie noch vertrauen kann.«

»Ich glaube, ihre Zweifel waren berechtigt. Ich gehe natürlich schon ein Risiko ein, wenn ich mit Ihnen darüber spreche. Jetzt bin ich bereit, ein weiteres Risiko einzugehen und Ihnen vorzuschlagen, dass sie mit diesen Informationen so schnell wie möglich zu Caliskan gehen.«

»Ich werde tun, was ich kann. Wie ich bereits andeutete, auf unserer Seite herrscht nicht gerade der Normalzustand.«

»Ich habe Sie verstanden – Sie werden sich alle Mühe geben. In der Zwischenzeit könnten Sie die Plausibilität meiner Theorie überprüfen. Vielleicht habe ich etwas übersehen. Vielleicht kann es aus irgendeinem Grund gar keine Gravitationswellenantenne sein.«

»Ich kümmere mich darum«, sagte Skellsgard. »Wenigstens habe ich dann etwas, das mich von den schlechten Neuigkeiten ablenkt.«

»Es freut mich, dass ich etwas Gutes für Sie tun kann.«

»Passen Sie auf sich auf, Auger. Ich bin Ihnen immer noch einen Gefallen schuldig.«

Dreißig Minuten später hatten sie das Schiff startklar gemacht – wie Auger es ausdrückte – und waren abflugbereit. Das Gestell hatte das Gefährt um 180 Grad gedreht, sodass der Blick durch die vorderen Kabinenfenster nun auf den gläsernen Schacht fiel, der von der Hauptsphäre aus der Höhle führte. Hinter dem Schacht waren die Wände verspiegelt. Sie verloren sich zwar nicht in der Unendlichkeit, aber sie liefen zu einer Iris zusammen. Der Roboter war ausgestiegen und schlängelte sich mit madenhaften Wellenbewegungen des Perlenkettenkörpers davon. Floyd konnte ihn nicht mehr sehen, aber Auger versicherte ihm, dass die Maschine den Ablauf ihres Aufbruchs überwachen und sich gleichzeitig um mehrere Kontrollkonsolen kümmern würde.

»Skellsgard?«, sagte Auger vom Sitz auf der linken Seite der Kabine. »Sind Sie noch da?«

»Ich höre Sie …« Für einen Moment zerbrach ihre Stimme in ein Klirren von Scherben, als würden sie die Übermittlung nicht in der richtigen Reihenfolge hören. »Aber vielleicht sollten Sie möglichst bald die Leinen losmachen. Die Bedingungen werden zunehmend suboptimal.«

»Wäre es vielleicht besser, noch etwas zu warten, bis sich die Situation gebessert hat?«, fragte Auger.

»Für Sie dürfte es einigermaßen sicher sein, sobald Sie die Mündung hinter sich gelassen haben.«

»Warum erfüllen mich diese Worte nicht mit Zuversicht?«, fragte Floyd.

»Es wird schon klappen«, sagte Auger. »Roboter: ist die Penetrationssequenz bereit?«

Die pfeifende Stimme der Maschine versicherte ihr, dass alles nach Plan lief. »Die Mündungsstabilität ist lokal optimal«, sagte sie, was immer das bedeuten sollte.

»Bist du angeschnallt, Floyd?«

»Ich bin bereit.«

»Mach dich darauf gefasst, dass es einen ziemlich heftigen Ruck geben wird.« Dann hob sie die Stimme. »Okay, Roboter, wir sind für die Penetration bereit.«

»Penetration in fünf Sekunden«, sagte die Maschine.

Vor ihnen öffnete sich die Iris. Floyd kniff die Augen zusammen, als er den grellen, brodelnden Schein sah, der hindurchdrang. Das Licht floss in seltsamen, sichelförmigen Mustern durch den verspiegelten Schacht. Irgendwo hinter dem Schiff wurden die mechanischen Geräusche intensiver, und er hörte eine Abfolge von stampfenden und klackenden Lauten, als würde sich eine gigantische Uhr zum Schlagen bereitmachen.

»Drei Sekunden«, sagte der Roboter. »Zwei. Eins. Penetration.«

Floyds angeschlagene Wirbelsäule schickte einen brüllenden Protestschrei in sein Gehirn. Er kam sich vor, als würde eine Gorillafamilie auf seinen Wirbeln Xylophon spielen. Er wollte etwas sagen, irgendein sinnloses animalisches Stöhnen von sich geben, doch er stellte fest, dass er einfach nicht die Kraft zum Sprechen fand. Selbst seine Lungen fühlten sich an, als würden sie wie Blasebälge zusammengedrückt werden. Sein Kopf und Hals wurden nach hinten gebogen, und er spürte, wie ihm Seiber über das Kinn lief. Sein Sichtfeld verdunkelte sich rund um einen zentralen Fleck aus Helligkeit.

Sie bewegten sich.

Sie bewegten sich so schnell, dass sie schon gar nicht mehr in der Höhlenkammer waren. Sie hatten längst den gläsernen Schacht und den verspiegelten Teil des Tunnels hinter sich gelassen und sausten nun ins Herz der sich öffnenden Iris, hinein in den unvorstellbaren Wahnsinn des Lichts, das dahinter wogte.

Danach wurde es richtig holprig.

 

Die Kraft, die ihn gegen die Rückenlehne des Sitzes drückte, hatte nachgelassen und war einem eigenartigen Gefühl gewichen, als wäre sein Magen leichter geworden, als würde er fallen. Doch das Schiff wurde nun seitlich hin und her geschüttelt, und jede heftige Bewegung war von einem Rattern gequälten Metalls begleitet, das durch Mark und Bein ging. Floyd dachte, dass es sich so anfühlen musste, mit einem Ozeandampfer an einem Eisberg entlangzuschrammen. Er stellte sich vor, wie Stücke vom Rumpf des Schiffes abbrachen und im hellen Inferno dessen verschwanden, was immer das war, durch das sie flogen.

Er hielt es nicht mehr für sehr wahrscheinlich, dass es ein Tunnel unter Paris war. Nicht einmal ein Tunnel unter dem Atlantischen Ozean.

»Ich schließe jetzt die Läden«, sagte Auger. »Was da draußen zu sehen ist, hilft uns nicht mehr viel. Und nach zehn Stunden schon gar nicht.«

Sie berührte eine Taste über ihrem Kopf, und eiserne Augenlider schoben sich über die Bullaugen. Die Innenbeleuchtung ging an und tauchte alles in einen gedämpften Schimmer. Floyd beobachtete das Gittermuster und hielt sich bereit, nach dem Joystick zu greifen.

»Ich werde mich vorläufig darum kümmern«, sagte Auger und übernahm ähnliche Bedienungselemente auf ihrer Seite. »Du kannst zuschauen und lernen.«

»Ich muss dir jetzt unbedingt ein paar Fragen stellen, Verity«, sagte Floyd.

»Gut«, sagte Auger. »Ich denke, du hast dir ein paar Antworten verdient.«

»Wohin führt dieser Tunnel?«

»Zum Mars. Genauer gesagt, zu Phobos, einem der zwei natürlichen Monde des Mars.«

»Also war es doch kein Codewort.«

»Nein«, sagte sie.

»Das hatte ich mir bereits gedacht. Aber ich glaube nicht, dass du eine Marsianerin bist.«

»Richtig.«

»Aber aus Dakota kommst du auch nicht.«

»Auch richtig. Dakota war eine Lüge. Aber ich stamme aus den Vereinigten Staaten.« Sie sah ihn mit einem nervösen Lächeln an. »Allerdings nicht die Staaten, an die du denkst, obwohl man sie wohl als entfernte politische Verwandte bezeichnen könnte.«

»Und dein Name?«

»Dieser Teil stimmt. Ich heiße Verity Auger, und ich bin eine Bürgerin der Vereinigten Erdnahen Staaten. Ich arbeite als Forscherin für das Antiquitätenministerium. Ich wurde in der Orbitalgemeinschaft von Tanglewood geboren, im Jahr 2231. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt und geschieden. Ich habe zwei Kinder, die ich nicht so oft sehe, wie ich sollte.«

»Das Seltsame daran ist«, sagte Floyd, »dass ich keinen Moment lang an deinen Worten zweifle. Ich meine … schließlich ist es die einzige logische Erklärung.«

»Du scheinst es sehr gelassen zu nehmen«, sagte sie.

»Wenn ich alles berücksichtige, was ich gesehen habe, muss ich zwangsläufig zur Schlussfolgerung gelangen, dass du eine Zeitreisende bist.«

»Das ist das Problem«, sagte Auger. »Ich meine, diese Sache hat definitiv etwas mit Zeitreisen zu tun, aber es läuft nicht ganz so ab, wie du glaubst.«

»Nein?«

»Nein. Aber zur Hälfte hast du Recht. Denn eine von den zwei Personen in diesem Schiff unternimmt tatsächlich eine Zeitreise. Aber es handelt sich nicht um mich. Möchtest du, dass ich fortfahre?«

»Für einen Moment habe ich gedacht, ich hätte die Sache durchschaut.«

»Eins nach dem anderen«, sagte Auger. Dann kam von einem Teil der Instrumentenkonsolen ein lautes Kreischen, und mehrere rote Lampen blinkten in synchronem Rhythmus. Auger biss sich auf die Lippe und schob ihren Joystick zur Seite. Floyd spürte, wie das Schiff ausscherte. Es war ein unangenehmes Gefühl, als würde ein Auto über Eis schlittern.

»War das ein … wie hat sie es genannt? Ein Sturz?«

»Die Software ist abgestürzt, ja«, sagte Auger. Sie betätigte mehrere Schalter, dann klappte sie eine gläserne Abdeckung auf und drückte einen großen roten Knopf. »Und das ist die Neustart-Sequenz. Also gib gut Acht.«

»Wir sind doch eben erst losgeflogen.«

»Ich weiß«, sagte sie. »Wir haben immer noch gute dreißig Stunden vor uns. Ich glaube, der Heimflug wird wesentlich interessanter, als ich gehofft hatte.«