Neunundzwanzig
Irgendwann schaffte Auger es, den akustischen Alarm abzustellen. Floyd stieß einen erleichterten Seufzer aus, als der Lärm verstummte und nur noch das gewohnte Rauschen der Hintergrundgeräusche in der Kabine zu hören war. Dieses Rauschen hatte etwas Maritimes, das auf seltsame Weise besänftigend wirkte. Es erinnerte ihn an den Maschinenraum eines normalen Schiffes, an das ferne, beruhigende Tuckern eines Dieselmotors.
»Es wäre schön gewesen, wenn man mir gesagt hätte, wie ich diesen Mist interpretieren soll«, sagte Auger. Ihre Stirn hatte sich in tiefe Falten der Konzentration gelegt, während sie auf die wandernden Zahlenkolonnen starrte. »Es sieht fast so aus, als würde das verdammte Echo näher kommen. Aber das kann doch gar nicht sein, nicht wahr?«
»Ich kann dazu gar nichts sagen«, erwiderte Floyd mit einem hilflosen Achselzucken.
»Wenn es ein Trümmerstück wäre, dürfte es nicht näher kommen. Das meiste hätten wir verlieren müssen, als wir durch den Eintrittskanal gerast sind. Und wenn man bedenkt, wie oft das Schiff unkontrolliert mit der Tunnelwand zusammengestoßen ist, müsste es relativ zu uns langsamer und nicht schneller werden. Außerdem dürfte zu diesem Zeitpunkt kaum noch etwas vorhanden sein.«
»Dann würde ich die Trümmertheorie streichen. Vielleicht haben diese Zahlen etwas ganz anderes zu bedeuten. Oder vielleicht stimmt etwas nicht mit dem Schiff. Könnte es einen Grund geben, warum es sich nur einbildet, dass etwas hinter uns herfliegt, obwohl da gar nichts ist?«
»Daran würde ich wirklich sehr gerne glauben«, sagte sie.
»Vielleicht regst du dich wegen nichts auf. Außerdem entnehme ich dem wenigen, das du mir erzählt hast, dass wir sowieso kaum etwas anderes tun können, als uns zurückzulehnen und den Flug zu genießen. So in etwa ist es doch, oder?«
»Irgendwie schon, aber das macht es nicht unbedingt leichter, damit zu leben.«
»Dann werde ich versuchen, deine Gedanken abzulenken, bis dir eine Erklärung einfällt, was diese Zahlen bedeuten könnten. Wir hatten über mich gesprochen, glaube ich. Und zwar darüber, dass ich eigentlich gar nicht existiere.«
»Vielleicht sollten wir dieses Thema lieber ruhen lassen, Floyd.« Auger konnte den Blick einfach nicht von der verwirrenden Sturzflut aus Zahlen losreißen. Sie starrte weiter mit gespannter Wachsamkeit darauf, wie jemand, der hoffte, in einem Gebirgsbach etwas Goldenes aufblitzen zu sehen. »Es war ein Fehler, dass ich darüber gesprochen habe.«
»Tut mir Leid, Mädchen, aber du hast diese Konservendose schon aufgemacht. Es kann verdammt unheimlich sein, wenn man von jemandem erzählt bekommt, dass man schon vor vielen Jahren gestorben ist. Willst du diesen Punkt freiwillig ausführen, oder muss ich meinen Charme in die Waagschale werfen?«
»Erspare mir den Charme, Floyd. Ich glaube nicht, dass ich so etwas jetzt ertragen könnte.«
»Dann erzähl mir mehr über die Gerüchte meines Dahinscheidens. Wann genau hat man meine Kiste zugenagelt?«
»Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich kann dir nicht einmal sagen, ob du in den Genuss eines anständigen Sarges gekommen bist. Ich fürchte, Wendell Floyd hat einfach nicht genug Eindruck auf die Weltgeschichte gemacht, um dieses Detail zu einer historisch überlieferten Tatsache zu erheben. Sag mir noch mal, wie alt du bist, Floyd – vierzig, einundvierzig?«
»Neununddreißig. Du hast es wirklich drauf, einem Mann zu schmeicheln.«
»Also wurdest du wann geboren? Etwa im Jahr 1920?«
»Volltreffer.«
»Damit wäre Floyd am Ende des Jahrhunderts genau achtzig gewesen. Aber die Chancen stehen nicht sehr hoch, dass er das Jahr 2000 tatsächlich noch erlebt hat. Vielleicht ist er sogar schon während des Zweiten Weltkriegs gestorben. Oder er führte ein glückliches und friedliches Leben und schied im hohen Alter im Kreis liebevoller Familienmitglieder dahin. Oder er beendete sein Leben als griesgrämiger, menschenfeindlicher Mistkerl, auf dessen Tod alle, die ihn kannten, mit großer Erleichterung reagierten.«
»Ich hatte schon immer etwas für griesgrämige, menschenfeindliche Mistkerle übrig«, sagte Floyd.
»Auf jeden Fall war es ein Menschenleben. Er wurde geboren, er lebte, er starb. Wahrscheinlich hat er ein paar Leute glücklich und ein paar unglücklich gemacht. Wahrscheinlich hat man sich in den Jahrzehnten nach seinem Tod an ihn erinnert. Danach war er nur noch ein Gesicht auf alten Fotos – wie man sie ausgräbt, wenn man Frühjahrsputz macht und nicht mehr weiß, woher sie stammen oder was für Leute darauf zu sehen sind. Und das war es dann. Wendell Floyd. Er hat gelebt. Er ist gestorben. Ende der Geschichte.«
»Wieso habe ich auf einmal das Gefühl, als wäre gerade jemand über mein Grab getrampelt?«
»Weil es vielleicht gerade jemand getan hat«, sagte Auger. »Was allerdings nicht sehr wahrscheinlich ist, weil dein Grab unter einer mehrere hundert Meter hohen Eisschicht liegt.«
»Wo kommt plötzlich das Eis her?«
»Ich habe dir doch erzählt, dass auf der Erde alles drunter und drüber ging. Aber mach dir keine Gedanken um das Eis. Der Punkt ist der, dass irgendwann in den späten dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts etwas mit Wendell Floyd passiert ist.«
»In dieser Zeit sind eine Menge Dinge passiert«, sagte Floyd.
»Aber das wichtigste Ereignis ist eins, an das du dich gar nicht erinnerst. Niemand erinnert sich daran. Das Seltsame ist aber, dass es allen Menschen im gleichen Augenblick passiert ist, und es war das wichtigste Ereignis im Leben aller Menschen, die zu diesem Zeitpunkt existierten. Doch niemand ist sich dessen bewusst.«
»Es ist allen passiert?«
»Jedem, der in diesem besonderen Augenblick gelebt hat. Genauso jedem Tier und jeder Pflanze auf dem Planeten. Und sämtlichen unbelebten Dingen, jedem Sandkorn an jedem Strand, jedem Grashalm, jedem Wassertropfen in allen Ozeanen, jedem Sauerstoffmolekül in der Atmosphäre, jedem Atom in jedem Stein, bis hinunter zum Mittelpunkt der Erde.«
»Und was war das für ein unglaubliches Ereignis?«
»Es war wie eine Fotografie«, sagte sie. »Wie der Moment, in dem es blitzt und sich das Bild auf die Platte brennt. Nur dass es kein normales Bild war. Es war dreidimensional, das Bild einer erstaunlichen Komplexität, die unser Verständnis übertrifft. Eine Fotografie des gesamten Planeten, bis hinunter zum Quantenhorizont der Information. Vielleicht geht es sogar noch über Heisenberg hinaus … wer weiß? Unsere Physik gibt uns nicht den leisesten Hinweis, wie sie es gemacht haben könnten. Wir sprechen von einem Quantenschnappschuss, aber das heißt nicht, dass wir eine Vorstellung hätten, mit welchen Mitteln er erstellt wurde. Mit diesem Namen verschleiern wir nur unsere Unwissenheit.«
»Aber es gibt niemanden, der so etwas getan haben könnte«, sagte Floyd. »Wir hätten davon gehört. In allen Zeitungen wäre darüber berichtet worden.«
»Es war niemand, der auf der Erde existiert oder existiert hat. Der Schnappschuss wurde von einer externen Macht erstellt. Wesen von einem anderen Planeten, aus einer anderen Dimension oder einer anderen Zeit. Wir haben keine Ahnung, wer sie waren oder aus welchem Motiv sie es getan haben. Wir wissen nur, dass es geschehen ist.«
»Schon wieder Marsianer?«
»Nein, keine Marsianer. Eher etwas, das wir vermutlich gar nicht als intelligente Lebensform erkennen würden. Sie müssen uns sehr weit voraus sein, Floyd. Wir dürften für sie ungefähr das sein, was für uns Schwämme oder Käfer sind. Sie sind in jeder Hinsicht gottähnlich.«
»Und sie sind vorbeigekommen und haben dieses Foto von uns gemacht…«
»Den Schnappschuss. Wie sie es gemacht haben, wissen wir nicht. Vielleicht haben sie etwas um den gesamten Planeten gebaut, innerhalb weniger Stunden oder so. Eine raffinierte Vorrichtung, die irgendwie in der Lage war, innerhalb eines Lidschlags alle Daten aufzuzeichnen, ohne dass irgendjemand etwas bemerkt hat – und, was viel wichtiger ist, ohne dass der Planet selbst davon auf spürbare Weise betroffen war. Oder sie haben die Erde nur mit etwas berührt, ein Objekt, das sich mit der Quantenidentität des Planeten verschränkt hat, das alle Informationen in codierter Form enthält, sodass sie irgendwann ausgelesen werden können. Über das Wie könnten wir ewig spekulieren und würden der Wahrheit keinen Schritt näher kommen. Etwas mehr Erfolg hätten wir vielleicht mit der Frage nach dem Warum. Wir glauben, dass sie aus prinzipiell gutartigen Motiven handelten. Sie wollten bewahren, indem sie eine Aufzeichnung der Erde erstellten, die man zu einer Rekonstruktion benutzen kann, falls der Planet bei einer künftigen Katastrophe vernichtet wird. Das bezeichnen wir als die ›Backup-Theorie‹. Demnach wären die Wesen, die dafür verantwortlich sind, so etwas wie kosmische Archivare oder Systemadministratoren. Sie durchstreifen die Galaxis und besuchen Welten, die sich in einem empfindlichen Stadium der Evolution befinden, und fertigen nach der Quantenschnappschussmethode Kopien davon an.«
»Und was passiert dann mit diesen ›Kopien‹?«, fragte Floyd.
»Das ist die große Frage. Verschiedene Erkenntnisse stützen die Vermutung, dass die Kopien über die ganze Galaxis verteilt wurden, nachdem man sie in einer Art Speichermedium abgelegt hat. Stell dir dieses Speichermedium wie die Behälter in Bankschließfächern vor, in denen sich jeweils eine Fotografie befindet. Eine davon könnte das Bild der Erde zu einem bestimmten Zeitpunkt in den späten dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts sein. Ein anderes könnte die Erde vor fünfundsechzig Millionen Jahren oder den historischen Schnappschuss eines ganz anderen Planeten zeigen. Wir glauben, dass wir ein paar dieser Behälter gefunden haben. Wir bezeichnen sie als Anomal Große Strukturen oder als AGS-Sphären. Es sind Objekte von stellaren Ausmaßen, die offenbar von außerirdischen Intelligenzen geschaffen wurden. Die gepanzerten Sphären sind groß genug, um komplette Planeten innerhalb eines beträchtlichen Raumvolumens enthalten zu können.«
»Habt ihr einen Blick in eine dieser Sphären werfen können?«
»Bisher ist es nur gelungen, ein sehr verschwommenes Bild vom Innern einer solchen Sphäre zu erhalten. Im geometrischen Zentrum ist ein dichtes Objekt mit dem gleichen Neutrino-Absorptionsmuster eingebettet, wie man sie von einem Felsplaneten erwarten würde. Aber ein Planet mit der entsprechenden Dichte und Größe ist uns nicht bekannt.«
Floyd riskierte eine Spekulation. »Der Schnappschuss einer fremden Welt?«
»Ja. Innerhalb des Gebildes festgehalten, wie eine perfekte dreidimensionale Fotografie. Natürlich würden wir irgendwann das Original finden – die Welt, von der diese Kopie angefertigt wurde –, wenn wir die Galaxis mit entsprechender Gründlichkeit durchforsten würden. Vorausgesetzt, wir würden sie wiedererkennen.«
»Sag mir, wie all das zusammengehört. Warum sollte jemand Kopien von Planeten machen und sie in riesigen Eierschalen deponieren? Und was, zum Teufel, hat das alles mit mir zu tun?«
»Hast du es dir noch nicht zusammengereimt?«, sagte sie mit verärgertem Knurren. »Floyd wurde kopiert, genauso wie jedes andere Lebewesen auf dem Planeten. Nach diesem Schnappschuss führte er sein Leben weiter, wie auch immer es ausgesehen haben mag. Die Historie nahm ihren Lauf, und im Jahr 2077 ging die Welt unter. Das wäre eigentlich das Ende der Geschichte gewesen. Doch nun wurde auf irgendeine Weise Floyds Kopie wiederbelebt, mehrere hundert Jahre später, und in diesem Augenblick spreche ich mit dieser Kopie und versuche ihr zu erklären, dass sie nicht das ist, was sie zu sein glaubt.« Sie sprach jedes »sie« und »ihr« mit bewusster, verletzender Betonung aus.
»Ich kann keine Kopie sein«, sagte Floyd. »Ich erinnere mich an alles. Ich weiß, was ich als Kind getan habe, und alles, was danach geschehen ist, bis jetzt.«
»Das beweist nichts. Du wurdest mit Floyds gesamten Erinnerungen kopiert, bis zum winzigsten Detail.«
»Einen Moment. Wenn die Kopie vor ein paar Jahrhunderten gemacht wurde, warum ist sie dann nicht längst gestorben?«
»Du wärst tot, wenn die Kopie unmittelbar nach der Aufnahme des Schnappschusses weitergelebt hätte. Aber die Kopie – das komplette dreidimensionale Bild der Erde und ihrer Bewohner – scheint erst vor dreiundzwanzig Jahren aktiviert worden zu sein, nachdem sie die ganze Zeit in einer Art erstarrtem Quantenzustand gehalten wurde.« Floyd sah, wie sie die Augen schloss und nach einem anschaulichen Vergleich suchte. »Wie ein nicht entwickelter fotografischer Film«, sagte sie.
»Und dann kam jemand vorbei und hat ihn entwickelt.«
»Ja. Derartige Quantenzustände sind sehr fragil, und eine Kopie eines gesamten Planeten muss extrem fragil sein – wie ein Kartenhaus, das nur darauf wartet, beim leisesten Hauch zusammenzufallen. Aber irgendwie konnten jene, die sie geschaffen haben, die Kopie gut genug isolieren, um sie eine Zeit lang unverändert aufzubewahren. Die schwachen Strahlungssignale, die durch die Schale drangen – die Gravitations- und Neutrinoemissionen – genügten offenbar nicht, um die Stasis zu stören oder wie auch immer man diesen Zustand nennen will. Trotzdem muss es irgendeinen Auslöser gegeben haben. In deinem Kalender schrieb man das Jahr 1959, als wir uns begegneten, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wir wissen auch – aus dem Studium der historischen Ereignisse auf deiner Zeitlinie –, dass in deiner Welt bis Ende der dreißiger Jahre alles mehr oder weniger richtig abgelaufen ist. Ende 1940 hat sich alles geändert, nachdem die deutsche Invasion im Mai jenes Jahres scheiterte, und das deutet darauf hin, dass sich über mehrere Jahre kleinere Ereignisse summiert haben, die schließlich eine große Wirkung zeigten. Wahrscheinlich fand der Schnappschuss irgendwann um 1936 statt, nach deinen Begriffen also vor 23 Jahren.«
»Wenn du es sagst«, brummte Floyd widerstrebend, ohne irgendetwas einzugestehen.
»Jetzt schau dir die gleiche Zeitspanne in unserer Chronologie an. Wir wissen, dass die Zeit in deiner Welt mit der gleichen Geschwindigkeit abläuft wie in meiner. Wir haben jetzt 2266. Zieh 23 Jahre ab, dann wären wir bei 2243, was ungefähr die Zeit war, als die Slasher den Mars und seine Monde einschließlich Phobos besetzt hatten.«
»Wohin wir jetzt unterwegs sind«, fügte Floyd hinzu, nicht zuletzt, um zu zeigen, dass er aufgepasst hatte.
»Ja. Und ich glaube einfach nicht, dass das ein Zufall ist. Meine Vermutung geht dahin, dass der Schnappschuss wieder in den Zeitablauf eintrat, als die Slasher das Portal auf Phobos öffneten. Etwas vom externen Universum muss wieder in die AGS eingesickert sein, wodurch das Bild wieder zu einem normalen Materiezustand kollabierte. Der Schnappschuss erwachte zum Leben.«
Vor seinem geistigen Auge sah Floyd plötzlich ein schreckliches Bild. Er stellte sich eine Theaterbühne vor, auf der erstarrte mechanische Tänzer standen, reglos wie Statuen, in den Staub von zwanzig Jahren gehüllt. Dann setzten sie sich in Bewegung, zuerst wie in Zeitlupe, in der Choreographie der Musik aus einem quälend langsamen Leierkasten. Im gleichen Maß, wie die pfeifende, keuchende Musik an Tempo gewann, wurden auch die Tänzer schneller, wirbelten und rotierten in Kreisbahnen und Epizyklen. Floyd versuchte das Bild zu verdrängen, doch die kleinen Figuren tanzten immer weiter, immer schneller.
»Selbst wenn das wahr wäre«, sagte Floyd, »selbst wenn ich und alle anderen Menschen, die ich kenne, während all dieser Jahre geschlafen haben – mehrere Jahrhunderte lang – müssten wir uns nicht daran erinnern?«
»Ihr würdet euch an gar nichts erinnern«, sagte Auger. »Die etwa 300 Jahre habt ihr zwischen zwei Herzschlägen übersprungen, Floyd. Vielleicht hattet ihr einen winzigen Déjà-vu-Moment oder etwas, für das ihr Franzosen einen anderen Begriff habt, aber das wäre auch schon alles gewesen.«
»Jeder auf dem Planeten hätte es gespürt?«
»Vielleicht. Aber wie viele von euch wären auf die Idee gekommen, auch nur ein Wort darüber zu verlieren?«
»Du kannst nicht erwarten, dass ich das einfach so akzeptiere«, sagte er.
»Floyd, ich erwarte nicht von dir, dass du irgendetwas akzeptierst.« Für einen Augenblick schien er ihr unendlich Leid zu tun. Als er diesen Unterton in ihrer Stimme hörte, machte er sich umso mehr Sorgen, dass sie vielleicht doch die Wahrheit sagte.
»Ich bin keine Kopie von Wendell Floyd!« Panik schwang in seinen Worten mit, obwohl er sich bemühte, sich zusammenzureißen. »Ich bin Wendell Floyd!«
»Du bist eine perfekte Kopie. Du musst es so empfinden.«
»Und was heißt das konkret? Dass ich eine Art Gespenst bin, eine Art Nachbildung oder Fälschung?«
»So könnten es manche Leute sehen.«
»Siehst du es genauso?«
»Nein«, sagte sie, nachdem sie ein wenig zu lange gezögert hatte. »Ganz und gar nicht.«
»Jetzt weiß ich, weshalb du dir so große Sorgen gemacht hast, dass ich nicht durch diesen Zensor komme.«
»Ich hatte einfach keine Ahnung, was passieren würde. Bis zu diesem Zeitpunkt hat niemand versucht, jemanden aus E2 herauszuholen.«
»Er hat mich wie jedes andere menschliche Wesen behandelt. Genügt dir das immer noch nicht?«
»Doch«, sagte sie. »Das scheint Beweis genug zu sein. Aber du musst dir eins klar machen, Floyd. Du wirst nie zu meiner Welt gehören. Deine Welt ist Paris, ob es sich nun um das reale oder ein anders geartetes Paris handelt.«
»Keine Sorge«, sagte er. »Ich habe die feste Absicht, so schnell wie möglich dorthin zurückzukehren.«
Etwas weckte ihre Aufmerksamkeit, der Schimmer einer Bedeutung in den stürzenden Zahlen auf den Anzeigeschirmen. Auger drückte ein paar Tasten und starrte erneut auf die Ziffern. Ihr Gesicht war eine Maske der intensiven, besorgten Konzentration.
»Kommt es immer noch näher?«, fragte Floyd.
»Das gefällt mir überhaupt nicht. Es sieht beinahe so aus, als ob …« Doch dann schüttelte sie den Kopf, als wollte sie damit den lästigen Gedanken vertreiben, der sich darin eingenistet hatte. »Das kann nicht sein.«
»Was kann nicht sein?«
»Möglicherweise liege ich mit meiner Vermutung völlig daneben«, sagte sie.
»Auf dieses Risiko lasse ich mich ein. Was hat dich so sehr erschüttert?«
»Ich glaube, was ich da hinter uns sehe, ist das Ende des Tunnels. Es verhält sich wie eine reflektierende Oberfläche, die unsere Signale zurückwirft.«
»Aber wir haben Paris doch schon vor vielen Stunden verlassen.«
»Ich weiß. Und ich glaube, dass unmittelbar nach unserem Abflug etwas Schlimmes passiert sein muss. Die Zahlen erwecken den Eindruck, dass der Tunnel kollabiert, dass er sich hinter uns schließt.«
»Kann so etwas passieren?«
»Ich denke schon. Skellsgard hat mehrfach gesagt, dass es ein Problem geben könnte, wenn sich die Mündung nach einer Penetration zu schnell wieder schließt. Vielleicht konnte der Roboter den Ablauf nicht korrekt steuern. Oder er war darauf programmiert, die einzige Lösung zu finden, mit der wir von Paris wegkommen, auch wenn er dafür die Verbindung und sich selbst opfern musste …«
»Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, dass wir durch eine Röhre schlittern, die ständig kürzer wird, wobei das sich schließende Ende uns langsam einholt.«
»Irgendwie klingt das nach meinem Gefühl nicht so gut.«
»Ich kann dir nicht widersprechen.« Auger tippte mit einem Finger gegen eine andere Anzeige. »Aber diese Zahlen stützen meine Vermutung. Sie stehen für die Geschwindigkeit, mit der wir uns durch das Hypernetz bewegen, und für unsere geschätzte Ankunftszeit auf Phobos. Wir werden allmählich schneller und werden einige Stunden früher als geplant eintreffen.«
»Das wäre doch gut, oder nicht?«
»Nein. Weil es nicht am Schiff liegt. Es kann auch kein zweites Schiff oder ein Trümmerhaufen hinter uns sein. Es kann nur daran liegen, dass sich etwas Fundamentales im Hypernetz verändert. Ich glaube, es ist die Feldgeometrie der Wände, die uns vorantreibt. Während das kollabierte Ende immer näher kommt, werden wir immer schneller durch die enger werdenden Wände gequetscht.« Sie drehte sich zu Floyd um. »Aber das Schiff ist nicht für so hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Und ich weiß nicht, was geschieht, wenn die Krümmung sehr stark wird und wir schließlich ins Ende des Tunnels gedrückt werden.«
»Gibt es irgendetwas, das wir dagegen machen könnten?«
»Nicht viel«, sagte Auger. »Ich könnte die Steuerdüsen feuern lassen, um zu versuchen, uns von dem wegzudrängen, was uns folgt. Aber die Düsen sind nicht für den Dauerbetrieb konstruiert. Wir könnten ein paar Minuten gewinnen, vielleicht eine halbe Stunde.«
»Wir stecken also ganz schön in der Scheiße, wie?«
»Ja«, sagte Auger. »Und ich bin angeschlagen und fühle mich nicht gerade in Bestform. Aber wir kommen hier schon irgendwie raus. Mach dir keine Sorgen.«
»Dessen scheinst du dir ziemlich sicher zu sein.«
»Ich lasse nicht zu, dass ich den langen Weg umsonst zurückgelegt habe«, sagte sie mit einem entschlossenen Stirnrunzeln. »Ich lasse mir nicht von kleinen Schwierigkeiten mit der Raumzeit die Laune verderben.«
»Warum ruhst du dich nicht ein wenig aus«, schlug Floyd vor. »Damit du etwas geschlafen hast, wenn die Sache richtig holprig wird? Ich glaube, im Moment komme ich ganz gut allein mit dem Schiff klar.«
»Bist du ein guter Autofahrer, Floyd?«
»Nein«, sagte er. »Ich bin ein miserabler Fahrer. Custine sagt immer, ich fahre wie eine Großmutter am Sonntag.«
»Das erfüllt mich mit Zuversicht«, sagte sie und übergab widerstrebend die Kontrolle an Floyd, um zu versuchen, sich ein wenig zu entspannen.
Floyd ergriff den Joystick und spürte den winzigen Ruck, als er das Schiff übernahm. Vielleicht war es nur Einbildung, aber der Flug kam ihm schon jetzt unruhiger vor. Es war, als hätten sie ein Stück gute Straße hinter sich gelassen und würden nun über einen Feldweg holpern. In der Kabine wirkten die Instrumente und Anzeigen leicht verschwommen. Er blinzelte, aber dadurch gelang es ihm nicht, wieder klarer zu sehen. Irgendwo hinter der Metallverkleidung erzeugte etwas einen schrillen, blechern vibrierenden Ton, als würde sich etwas lösen wollen. Floyd griff den Joystick fester und fragte sich, wie schlimm es noch werden mochte, bis es wieder besser wurde.