KAPITEL 10
Als Campbell die Küche betrat, folgten ihm drei Zapphirne wie fleischgewordene Schatten.
Er öffnete die Schublade neben der verdreckten Spüle und studierte die Utensilien. Welche Art von Klinge eignete sich am besten für eine Amputation? Das Einzige, worauf er bauen konnte, waren Erinnerungen an alte Kriegsfilme, in denen Sanitätssoldaten ihr entsetzliches Werk mit Hackmessern und Eisensägen ausübten. Würde eine Klinge mit Wellenschliff der Aufgabe gewachsen sein oder sollte er zum feinstgeschliffenen Messer greifen, um einen saubereren Schnitt zu erwirken?
In der Hoffnung, die Zapphirne ablenken zu können, warf Campbell ein paar der Gerätschaften auf den Boden. Dann kniete er nieder, um sie einzusammeln, und die Zapphirne begannen sofort, ihn nachzuahmen. Während sie sich auf ihre Aufgabe konzentrierten, warf Campbell eine der Utensilien in die Spüle. Die Zapphirne sorgten für einen gewaltigen Lärm, als sie es ihm gleichtaten.
Campbell wiederholte das Spiel, und als sie sich zum zweiten Mal niederbeugten, zog er ein langes Fleischermesser aus der Schublade, schob es an seiner Hüfte in den Bund seiner Jeans und bedeckte den Griff mit dem Ende seines Hemds.
Sollten wir nicht Wasser aufkochen und Handtücher zusammensammeln, oder gilt das nur für Geburten? Egal, wir brauchen auf jeden Fall ein Desinfektionsmittel.
Er hatte die Küche noch nicht genauer unter die Lupe genommen, weil er es vorzog, den Professor ihr einfaches Essen zubereiten zu lassen. Der Professor hatte Freude daran, diese menschlichen Spottdrosseln zu unterrichten, obwohl sie kaum der Nahrungsaufnahme zu bedürfen schienen. Aber nun öffnete Campbell die Küchenschränke, wohl wissend, dass die drei Zapphirne ihn imitieren würden. Im ersten befanden sich Konservendosen mit Schweinefleisch und Bohnen, Schachteln mit getrockneten Körnern und Nudeln, eingelegtes Gemüse sowie ein Tüte Mehl, die aufgerissen inmitten von Hügeln weißen Pulvers zurückgelassen worden war.
Im zweiten Schränkchen befanden sich Gewürze, eine Dose mit Schweinefett und Kochgeschirr, aber auf der oberen Ablage fand Campbell, wonach er gesucht hatte. Er kletterte auf die Anrichte, um die Flaschen erreichen zu können, und sein Blick fiel auf eine Flasche Smirnoff Wodka, die mit ihren 50 Prozent Alkoholgehalt stärker als die noch versiegelten Flaschen Rum und Whiskey war. Der Besitzer des Farmhauses hatte sich offenbar ab und zu gerne ein Schlückchen gegönnt, aber die erschwerte Zugänglichkeit der Flaschen ließ vermuten, dass es sich eher um einen Gelegenheitstrinker als um einen ausgewachsenen Alkoholiker gehandelt hatte.
Die Flasche ließ ihn an seinen Freund Pete denken, der in Taylorsville einem Heckenschützen zum Opfer gefallen war. Zumindest hatte Pete diese Welt in einem Zustand freudiger Benommenheit verlassen, eine Verfassung, in der er sich sowieso fast immer während seines Wachzustandes befunden hatte. Mit ein wenig Glück würde der Wodka die Qualen lindern, denen sich Rachel bald ausgesetzt sehen würde, und darüber hinaus ein paar der mörderischen Keime abtöten, von denen es bei der brutalen Operation nur so wimmeln würde.
Und wenn das Blut und die Schreie unerträglich werden, werde ich auch ein wenig flüssige Amnesie gebrauchen können.
Spontan nahm er die beiden vollen Schnapsflaschen aus dem Schrank. Er schraubte den Verschluss von der Whiskeyflasche, um das Siegel zu brechen, und verschloss sie dann wieder. Während er das obere Flaschenende mit seinen Fingern verbarg, führte er die Flasche an den Mund, hob sie an und imitierte laut Schluckgeräusche. Dann nahm er geschickt den Verschluss ab und überreichte die Flasche dem nächsten Zapphirn, einem glupschäugigen Mann, der aussah, als ob seine Brille verlorengegangen wäre. Der Mann schob sich die Flasche in den Mund und begann hingebungsvoll zu trinken. Süße bernsteinfarbige Flüssigkeit rann an seinen Mundwinkeln herab.
Campbell war sich sicher, dass das Zapphirn würgen würde, aber es nahm mehrere tiefe Schlucke aus der Flasche, bevor es die Öffnung mit einem feuchten Blopp von seinem Mund löste. Das nächste Zapphirn machte sich eifrig an die Arbeit, und Campbell verließ die Küche, als sie begannen, um die Flasche zu kämpfen.
Töten, sexuelle Folter, Saufen. Sehr bald werden sie sich alle menschlichen Sünden zu eigen gemacht haben.
Im Wohnzimmer stand der Professor über Rachel gebeugt, die noch immer halb bewusstlos auf dem Sofa lag. Die Zapphirne knieten um sie herum wie bei einem korrumpierten Krippenspiel, und Campbell wurde zum ersten Mal klar, dass der Professor vermutlich bewusst den Jesus des Gemäldes im ersten Stock imitierte – seit Taylorsville hatte er sich einen Bart wachsen lassen und seine Haare waren lang und wellig geworden.
Legte der Professor die Zapphirne mit Absicht herein, um sie gefügig zu machen, oder war er dabei, so wahnsinnig zu werden wie ein Prophet aus dem Alten Testament? Was auch immer der Grund war, die Zapphirne waren glücklich, ihre Hände in einem stillen Gebet falten zu dürfen. Dadurch entstand eine unheimliche Szene, die Campbell fast in verrücktes Gelächter ausbrechen ließ. Aber Rachels blasses, schweißbedecktes Gesicht und der fürchterliche Zustand ihres Beins sorgten dafür, dass er sich des Ernstes der Lage nur zu genau bewusst blieb.
Vielleicht werden wir hier sterben, aber bis dahin kämpfe ich für die gute Sache. Ich muss daran glauben, dass wir besser sind als die.
Er überreichte die Wodkaflasche dem Professor, der zustimmend nickte. Dann zog er das Messer aus seinem Versteck. Er schauderte, als die Klinge seine bloße Haut berührte. Nachdem er neben Rachel niedergekniet war, gab er vor, wie die Zapphirne zu beten, schob dann aber die Spitze des Messers unter den zerrissenen Stoff an der Wunde.
»Nein«, flüsterte der Professor. »Zieh sie aus.«
Campbell versteckte das Messer unter den Sofakissen und langte nach den Knöpfen von Rachels Jeans. Obwohl sie wegen des Fiebers nicht bei klarem Bewusstsein war, errötete Campbell aus Furcht und Verlegenheit. Es erschien ihm wie ein zu persönliches Vordringen, selbst wenn es aus medizinischen Gründen geschah. Trotzdem knöpfte er ihre Hose auf, schob den Reißverschluss nach unten und fing an, die Hose ihre Beine entlang hinunterzuschieben. Er war froh, dass sie Unterwäsche trug. Einen blauen Slip.
Sorgfältig darauf bedacht, die Wunde nicht mehr als unbedingt nötig zu berühren, zog er ihr die Jeans ganz aus. Er griff nach dem Wodka, um den oberen Bereich ihrer Wade mit Schnaps zu tränken. Er konnte sich nicht vorstellen, wie der Professor die dicken Knorpel und Sehnen an ihrem Knie durchdringen würde, angenommen, dass das der Ort war, an dem er ihr Bein amputieren wollte. Campbell wischte sich den Schweiß von der Stirn und fing an sich zu fragen, ob der Professor wirklich so viel von menschlicher Physiologie verstand, wie er vorgab.
Das Laken hob und senkte sich mit jedem der angestrengten, rastlosen Atemzüge Rachels. Campbell war sich sicher, dass sie einen Schock erleiden würde, sobald die Klinge in ihr Fleisch eindrang. Vielleicht würde er selbst auch einen Schock erleiden.
»Was ist mit dem Blut?«, flüsterte Campbell.
»Was soll damit sein?«
Campbell nickte in Richtung der versammelten Zapphirne, die in unheimlicher Andacht niedergebeugt waren. »Was ist, wenn sie ... auf komische Ideen kommen?«
»Wir müssen einfach schnell und sauber arbeiten.«
Campbell konnte sich nicht vorstellen, wie das auch nur ansatzweise auf eine improvisierte Operation mit Küchenutensilien zutreffen sollte. Die Augen des Professors strahlten mit zuversichtlicher Gelassenheit, was in keiner Weise dazu beitrug, Campbells Besorgnis zu mildern. Er war sich nicht sicher, ob er im Zimmer sein wollte, wenn die Zapphirne die Metzgerarbeit bemerkten, aber er konnte Rachel nicht im Stich lassen. Jemand musste sie festhalten.
»Bist du sicher, dass wir das tun müssen?«, sagte Campbell. »Können wir nicht abwarten, um zu sehen, ob es besser wird?«
»Sie würde es nicht bis zum morgigen Sonnenaufgang schaffen«, antwortete der Professor. Er schien sich in seiner Nacktheit absolut behaglich zu fühlen und stand da wie der Führer eines Kults bei der Vorbereitung auf ein rituelles Opfer.
»Okay, gut. Bringen wir es hinter uns.«
Campbell goss Wodka auf die offene Wunde und den Bereich, wo der Professor den ersten Einschnitt machen wollte. Die Empfindung des plötzlichen Schmerzes ließ Rachel stöhnen, aber sie erwachte nicht völlig. Er überlegte sich, ihr ein wenig Wodka in den Mund zu schütten, entschied dann aber, dass kein Alkohol der Welt ausreichen würde, den Schmerz zu lindern, der Rachel bevorstand.
Der Professor massierte Rachels Bein in der Nähe der Wunde, wodurch funkelnder gelblicher Eiter austrat und am Bein herablief. Einige der betenden Zapphirne wurden unruhig, und mehrere Augenpaare öffneten sich. Das seltsame Glitzern in ihnen steigerte Campbells Besorgnis.
»Beeil dich«, sagte Campbell, obwohl er sich nicht sicher war, wie man den kommenden Albtraum beschleunigen konnte.
»Ich muss herausfinden, wo die Haut gesund ist«, sagte der Professor.
»Wenn du nicht bald anfängst zu schneiden, wirst du ungefähr zwanzig eifrige Helfer haben. Und ich vermute, dass sie im Unterschied zu dir nicht Biologie am College studiert haben. Vielleicht haben sie an den Leichen oben studiert, aber Rachel ist immer noch in einem Stück.«
»Auf geht’s.« Der Professor zog das Fleischermesser unter dem Sofakissen hervor, während er mit der linken Hand noch immer den entzündeten Bereich rieb. Die Klinge schien auf absurd anmutende Weise für den ihr zugedachten Zweck ungeeignet und Campbell fragte sich einmal mehr, ob der Professor durch die Gefangenschaft nicht völlig dem Wahnsinn anheimgefallen war.
Campbell hatte sich noch nie zuvor so hilflos gefühlt. Er verfügte nicht über genug Wissen, um die Entscheidung des Professors in Frage zu stellen – er hatte bestenfalls mittelmäßige Noten in den naturwissenschaftlichen Fächern erzielt –, und Rachel würde zweifellos eines furchtbaren Todes sterben, wenn sie gar nichts taten. Aber bevor der Professor die Klinge zum Einsatz bringen konnte, öffnete das am nächsten knieende Zapphirn seine gefalteten Hände und legte sie auf Rachels verletztes Bein. Das Zapphirn daneben tat es ihm gleich, und die anderen, die sich in der Nähe des Sofas befanden, drängten nach vorne und streckten ihre eigenen Hände aus.
Sie rieben Rachels Haut in einer Nachahmung der massierenden Bewegungen des Professors, und die Haut erzitterte unter ihren Berührungen. Noch mehr Eiter trat aus, nunmehr durch Blut rosa gefärbt. Die Zapphirne beteten nicht länger; stattdessen versammelten sie sich immer enger um das Sofa herum.
Campbell fühlte sich durch die Menge erdrückt, aber er weigerte sich, Rachels Hände loszulassen. Er lag auf ihrem Oberkörper und machte sich nur so schwer, wie es nötig war, um sie unten zu halten, ohne sie zu erdrücken. Rachels ungleichmäßiger, angestrengter Atem schoss an seinem Ohr vorbei.
»Herrgott, steck das Messer weg«, zischte er den Professor an.
Die Zapphirne drängten sich so sehr um sie, dass der Professor Schwierigkeiten hatte, seine Hand in der Nähe der Wunde zu behalten. Immer mehr Zapphirne beteiligten sich und rieben und streichelten Rachels nacktes Bein mit all der Hingebung, die sie kurz zuvor bei ihrer Nachahmung des Betens zur Schau gestellt hatten. Sie murmelten im Chor, aber es waren keine Worte, die aus ihren Mündern kamen. Die Töne verschmolzen miteinander und verflachten zu einer einzigen Schallschwingung, fast wie das Mantra von meditierenden Mönchen.
Campbell versuchte, die Hände wegzuschieben. Er war den Tränen nahe. Wie lange würde es dauern, bis sie anfingen, in die Wunde zu greifen und Stücke verrotteten Fleisches herauszureißen?
»Gib mir das Messer!«, herrschte er den Professor an, der sich von der bizarren Szene zurückgezogen hatte. Campbell wollte sich in die Menge werfen und sich den Weg zurück zur geistigen Gesundheit schneiden, hacken und stechen, obwohl er sich bewusst war, dass die Gewalt nur Gegengewalt erzeugen würde.
Aber bevor der Professor reagieren konnte, sah Campbell etwas noch viel Sonderbareres und seltsam Entsetzlicheres – die Haut an den Rändern von Rachels Wunde wechselte die Farbe von grünlich-rot zu hellem Rosa und die Eiterbläschen begannen, einzutrocknen und zu schrumpfen. Der süßliche, verdorbene Geruch der Wunde verflüchtigte sich. Während die vielen Hände über das Bein strichen und es glätteten, begann die Wunde, sich zu schließen.
Die Zapphirne heilten sie mit ihren Berührungen.