KAPITEL 13
»Nicht einmal eine Narbe«, flüsterte der Professor, während er auf Rachels nacktes Bein starrte.
Campbell legte sanft die Hand auf Rachels Stirn. »Ihr Fieber geht auch zurück.«
Die Zapphirne, die sich immer noch fast ehrfurchtsvoll um sie versammelt hatten, legten in einer Imitation der Geste Campbells ihre Handflächen auf Rachels Körper und berührten ihre Beine, ihren Bauch, ihre Wangen und ihre Brüste. Sie schien ein wenig aus ihrer Benommenheit zu erwachen. Durch die kalte Luft bekam sie Gänsehaut.
Campbell nahm den Rand des Lakens von ihren Oberschenkeln und zog es über ihren Körper, so dass sie bis auf ihren Kopf völlig zugedeckt war. »Wir sollten mehr Decken holen. Es wird bald dunkel werden und die Nächte sind schon sehr kalt. Vielleicht solltest du dir auch etwas anziehen.«
»Du bleibst bei ihr«, sagte der Professor. »Ich gehe nach oben und hole eine der Steppdecken.«
»Aber nicht die mit dem Blut«, sagte Campbell.
»In die haben wir Pamela gewickelt, falls du dich nicht mehr erinnerst.«
Mehrere Zapphirne folgten dem Professor, während sie vor sich hin murmelten. Offenbar war ihnen nicht bewusst, dass sie gerade ein Wunder vollbracht hatten. Campbell war nicht religiös, aber er hatte sehr wohl von der Prophezeiung der Wiederkunft Jesu gehört. Was, wenn Jesus nicht als einzelner Mann auf die Erde zurückkam, sondern als ganze Sippe?
Nein, es muss eine plausible Erklärung dafür geben.
Obwohl er zugeben musste, dass diese Überlegung unter den gegebenen Umständen ebenso plausibel war wie irgendeine andere.
Die Zapphirne um ihn herum waren seit Rachels Eintreffen ruhig geblieben. Campbell hatte bemerkt – und es auch dem Professor mitgeteilt –, dass die Zapphirne allgemein im Laufe der Zeit weniger aggressiv geworden waren. Er wusste nicht, ob der Grund darin lag, dass sie sich an die beiden Menschen unter ihnen gewöhnt hatten, oder ob sich in ihrem Nervensystem noch immer Veränderungen abspielten. Auf jeden Fall waren er und der Professor noch am Leben, auch wenn sie fast wie Haustiere gehalten wurden. Und die Zapphirne hatten Rachel geheilt.
Um weitere Berührungen Rachels durch die Zapphirne zu verhindern, zwang er sich dazu, sich vom Sofa zu entfernen. Die Zapphirne folgten ihm. Den Professor imitierend schloss er die Augen, senkte den Kopf und faltete die Hände zum Gebet. Als er zehn Sekunden später die Augen wieder öffnete, hatten sich alle Zapphirne auf den Boden gekniet.
Für diese Art von Macht hätte die katholische Kirche getötet. Vielleicht hat sie das auch.
Nachdem die Zapphirne zu ihrer Routine zurückgekehrt waren und wieder ruhig und gleichmäßig atmeten, nahm Campbell sich die Zeit, einen genaueren Blick auf Rachel zu werfen. Er versuchte sich einzureden, es zu tun, um sicherzustellen, dass sie keine weiteren Verletzungen aufwies, aber der eigentliche Grund war sein verzweifeltes Bedürfnis nach menschlichem Kontakt.
Sie war noch attraktiver, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. In Taylorsville hatte er sie fast nur im Dunkeln oder im flackernden Licht riesiger, zerstörerischer Freudenfeuer gesehen. Ganz offensichtlich verbrachte sie wenig Zeit mit Körperpflege – der bloße Akt des Überlebens besaß für die Überlebenden eine höhere Priorität –, aber sie hatte eine natürlich sonnengebräunte Haut, dichte Brauen, geschwungene Lippen und einen wohlgeformten Körper. Trotz ihres fettigen Haars und ihres dreckverschmierten Gesichts sah sie fast strahlend aus, anstatt grünstichig dem Tode nahe zu sein. Ihre Genesung hatte weniger als eine Stunde gedauert.
Als der Professor zurückkehrte, hatte er sich ein neues Laken über die Schultern geworfen und trug eine zusammengerollte Decke in seinen Armen. Die betenden Zapphirne erwachten aus ihrem Ruhezustand. Diejenigen, die dem Professor gefolgt waren, mischten sich unter sie und sie begannen, ziellos umher zu gehen. Einige verließen den Raum, andere prallten gegen die Wände.
Als sie die Decke über Rachel ausbreiteten, murmelte Campbell: »Also, irgendwelche Theorien?«
Der Professor schüttelte den Kopf. »Wenn man nicht an Voodoo glauben will, vermute ich, dass es sich um etwas handelt, das sich auf Quantenebene abspielt. In der gleichen Weise, wie eine enorme magnetische Anziehungskraft die Daten auf einer Festplatte löschen kann, speichern die Zapphirne vielleicht eine Art von elektrischer Energie, die sie auf kontrollierte Weise verteilen können.«
»Wie menschliche Batterien?«
»So ungefähr. Es gab eine Lehrstuhlsekretärin an der Uni in Greensboro, die Karpaltunnelsyndrome und Muskelzerrungen heilen konnte. Sie behauptete scherzend, eine Hexe zu sein, aber sie machte immer ein großes Geheimnis darum. Sie hatte Angst davor, die Leute würden wirklich denken, dass sie eigenartig sei, und sie ausgrenzen. Sie rieb die Hände aneinander und bewegte dann eine Hand über den betroffenen Bereich, als ob sie unsichtbare Fäden ziehen würde.«
»Sowas wie Reiki? Ich hab gesehen, wie dabei die Hände über Menschen bewegt werden, als ob man Energie herumschieben würde. Wie Akupunktur ohne Nadeln.«
»Diese Frau berührte niemals die Haut ihrer Patienten, aber die Verletzung begann fast sofort zu heilen. Sie hat mich auf diese Weise von meinem Karpaltunnelsyndrom befreit. Ich würde es nicht glauben, wenn es mir nicht selbst widerfahren wäre.«
»Aber eine Muskelzerrung ist eine Sache. Das hier war eine lebensbedrohliche Wunde. Und sie ist innerhalb von Minuten verheilt.«
Der Professor runzelte die Stirn. »Ich bin nur ein Lehrer, kein Philosoph.«
»Es ist gar nicht so lange her, dass du Chirurg spielen wolltest«, sagte Campbell.
»Wir werden einfach abwarten müssen, wie sie sich entwickelt. Wir wissen nicht, ob ihr Blut durch die Infektion vergiftet wurde.«
»Die Zapphirne wollten, dass sie am Leben bleibt. Das macht es so furchteinflößend. Wir haben sie bekämpft, sie getötet, uns vor ihnen versteckt, wenn sie uns eine Chance gegeben haben. Aber als sie die Gelegenheit hatten, eine von uns sterben zu lassen, haben sie eine Art innerer Kraft beschwört, um sie zu retten.«
»Du übersiehst etwas sehr Wichtiges«, sagte der Professor, während er einen Blick auf die Zapphirne warf, die ziellos im Haus herumspazierten.
»Was? Dass sie nicht mit ihren Fingern in Rachels verfaulte Wunde gegriffen haben und die Teile wie Chili gegessen haben?«
»Sie haben gemeinsam gehandelt. Ohne miteinander zu sprechen oder irgendein anderes Signal zu geben, soweit ich das sehen konnte.«
»Sie haben dich kopiert. Die Art und Weise, wie du deine Hand auf ihr gerieben hast.«
»Ich denke, da war mehr als das.«
Campbell studierte die seltsamen, funkeläugigen Mutanten um sich herum – seine Mitbewohner, seine neue Sippe, seine Gefängniswärter. Trotz all der Zeit, die er gezwungen gewesen war, in ihrer Gegenwart zuzubringen, schienen sie ihm nun sogar noch bizarrer als damals, als sie wahllos alles zerstörten, was ihnen in den Weg kam.
Und noch unheimlicher war, dass er den Sinn dafür verloren hatte, wie das Leben im Davor gewesen war. Er hatte sein Gespür für Normalität und die große psychologische Kuscheldecke der Zivilisation verloren, und das hier war dabei, seine Wirklichkeit zu werden.
»Sag mir nicht, dass diese glitzeräugigen Säcke telepathisch veranlagt sind«, sagte Campbell.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das das richtige Wort ist«, antwortete der Professor. »Du weißt, wie sie unsere Laute und unseren Tonfall nachahmen. Ganz offensichtlich haben sie kein Verständnis von Sprache, zumindest nicht von menschlicher Sprache. Wenn sie wirklich Gedanken lesen könnten, hätten sie bereits die Summe unseres Wissens aufgesaugt, ebenso wie unsere Erinnerungen.«
»Verdammt, sag mir nicht, dass sie von der Penthouse-Ausgabe wissen, die ich aus Versehen im Nähzimmer meiner Mutter liegengelassen habe. Oder von den Zapphirnen, die ich in Taylorsville getötet habe.«
Das Gesicht des Professors nahm wieder einen leeren, versunkenen Ausdruck an. Er wirkte so, als ob er wieder in seinen Messiaskomplex zurückgefallen wäre – der geistige Führer der Seltsam Veränderten, der Christus des Danach.
»Oder vielleicht ist das, was wir zu wissen glauben, nutzlos für sie«, sagte er.
Das kannst du in einen Glückskeks für Verrückte stopfen.
Rachel bewegte sich, und Campbell kniete neben ihr nieder. Was seine nächste Handlung anbetraf, war er sich nicht sicher, ob er sie trösten wollte oder versuchte, sich selbst Mut zuzusprechen.
Aber er wollte etwas Festes in dieser wackeligen, schlabberigen Scheinwelt.
Er nahm ihre Hand und hielt sie, während er beobachtete, wie sich die Decke im Einklang mit ihrem Atmen hob und senkte, bis das Geräusch ihres Ausatmens eine Brise der Hoffnung war, die das verrückte Murmeln der Zapphirnhorden übertönte.