KAPITEL 26
Die Zapphirne waren über ihnen, bevor sie überhaupt die Möglichkeit hatten, sich zu wehren.
Franklin schloss die Augen in der Erwartung, in Stücke gerissen zu werden. Der Schmerz in seinem Kopf war so heftig, dass er den Tod beinahe willkommen hieß. Sein Herz schlug in einem unregelmäßigen Galopprhythmus und er klammerte sich an die Oberfläche des Felsens, während er sich fragte, ob er sich nicht besser wieder über die Kante in die Schlucht hinabstürzen sollte.
Die Zapphirne wiederholten noch immer Robertsons klagendes »Warum?«, wobei sie es nicht mehr einfach dehnten, sondern mit unterschiedlichen Längen spielten, als ob es sich um verschiedene Instrumente in einem Orchester des Wahnsinns handelte.
Aber während die Horde sich zwischen ihnen bewegte, wurde Franklin klar, dass die Zapphirne sie nicht angriffen. Schließlich öffnete er die Augen und sah, dass sie sich um die Leichen der beiden Soldaten sowie um Robertson und seine Tochter versammelt hatten. Jorge saß verblüfft und reglos da, offenbar nicht willens, nach der Waffe zu greifen, die drei Meter von ihm entfernt auf dem Boden lag.
Sie ignorieren uns.
Drei Zapphirne hoben einen der toten Soldaten hoch, als würde es sich um einen Sack Getreide handeln, und mühten sich damit ab, ihn auf ihren Schultern zu platzieren. Ein weiteres Zapphirn, männlich mit einem langen, strähnigen Bart und faltigem Gesicht, kam ihnen zur Hilfe. Sie waren alle schmutzig und ihre Kleidung war verdreckt und zerrissen, aber sie bewegten sich präziser und koordinierter als die Zapphirne, denen Franklin zuvor begegnet war.
Robertson packte seine Tochter fester, als die Zapphirne an ihr zu ziehen begannen. »Verpisst euch, ihr Scheißmutanten«, sagte er und trat nach einem von ihnen. Robertsons Stiefel traf das dürre Zapphirn am Schienbein und es hörte damit auf, »Warum, warum, warum« zu wiederholen.
Das hättest du nicht tun sollen, Partner.
Die Augen des Zapphirns fingen an zu glitzern. Sie funkelten so hell, dass Franklin die Veränderung sogar im hellen Sonnenlicht wahrnehmen konnte. Das Zapphirn griff nach Robertsons Fuß und drehte ihn, bis Robertson vor Schmerzen grunzte. Das versetzte die Zapphirne sofort in einen Grunz-Rausch, bis sie sich wie ein Stamm Gorillas anhörten. Franklins Blick traf den von Jorge, der auf seine Waffe schielte.
»Nein«, sagte Franklin, darum bemüht, die Aufmerksamkeit der Zapphirne nicht auf sich zu ziehen. Er hatte kein gutes Gefühl, was einen Nahkampf mit Zapphirnen anbetraf, vor allem nicht, nachdem er die Reaktion auf Robertsons Tritt gesehen hatte. Das Zapphirn, das den Stiefel festhielt, drehte ihn mit aller Macht weiter, wodurch Robertson schon fast auf dem Rücken gelandet war.
Robertson trat mit seinem anderen Fuß zu und schleuderte so das Zapphirn von sich weg. Zwei andere, die mit dem zweiten gefallenen Soldaten beschäftigt gewesen waren, wandten sich Robertson zu. Die Zapphirne, die Shays Leiche hielten, begannen an ihr zu ziehen und zu zerren, als handle es sich um eine Stoffpuppe. Robertson schlug mit der Faust nach einem der Zapphirne und traf die Frau im Gesicht. Ihre Backe platzte auf, Blut strömte daraus hervor.
Zumindest ist ihr Blut noch rot. Ein letzter Rest von Menschentum.
»Robertson«, sagte Franklin und wiederholte den Namen des Mannes, als dieser nicht reagierte. Er hob die Stimme, weshalb ihn einige der Zapphirne anblickten. »Wehren Sie sich nicht.«
Aber Robertsons Trauer war zu Wut geworden und er stieß mit einem Arm die Zapphirne weg, während er mit dem anderen Shay umklammert hielt.
Franklin kroch zu Robertson in der Hoffnung, ihn beruhigen zu können. Eines der Zapphirne trat zu ihm – eine Frau mittleren Alters, die aussah, als ob sie in einem früheren Leben Anwältin gewesen wäre, auch wenn ihr Hosenanzug jetzt zerfasert war und ihrer Bluse die Knöpfe fehlten. Er erstarrte und wartete auf ihre Reaktion. Sie hielt ebenfalls an und beobachtete ihn mit funkelnden Augen.
Schließlich bewegte sich auch Jorge entgegen Franklins Anweisung langsam in Richtung des Gewehrs. Vielleicht hatte er genug Munition, um diese kleine Gruppe von Zappern zur Strecke zu bringen, aber Franklin vermutete, dass sich weitere durch den Wald näherten, weil er ihr Geplapper hören konnte. Schüsse würden nur noch mehr von ihnen anziehen, und sie würden niemals in der Lage sein, sich durch die gesamte Zapphirn-Nation, die nun aus ihren Löchern und Verstecken hervorgekrochen kam, hindurchzuschießen.
Die Zapphirne, die den ersten Soldaten hochgehoben hatten, ließen ihre Last fallen und gingen auf Robertson zu. Nun zog ein halbes Dutzend an ihm und Shay, während Robertson so gut er konnte um sich schlug und trat, während er sich gleichzeitig an seine blutüberströmte Tochter klammerte.
»Verschwindet, verschwindet«, stöhnte er beinahe heulend. »Lasst sie in Frieden.«
Franklin kannte den Schmerz, den der Verlust eines Kindes verursachte, obwohl seine Verluste eher emotional als physisch gewesen waren, Opfer von Franklins libertärer Besessenheit und nicht von Schusswaffen. Aber er hatte damals Zeit gehabt, sich der Flut des Schmerzes zu stellen – über Robertson war sie plötzlich wie eine Lawine hereingebrochen. Robertson küsste Shays Stirn, während er gleichzeitig die ehemaligen Menschen verfluchte, die an ihr zerrten und zogen.
»Robertson, geben Sie sie frei«, sagte Franklin.
Robertson blickte ihn mit rotumränderten, feuchten Augen an. »Sie ist alles, was ich habe.«
»Sie ist tot. Auch wenn Sie sich selbst töten lassen, wird sie das nicht zurückbringen.«
»Ist mir egal. Die werden sie nicht bekommen.«
Jorge sprang zu seinem Gewehr und packte den Schaft mit einer Hand, aber bevor er es hochheben konnte, warf sich ein Zapphirn auf das Gewehr und bedeckte es mit seinem Körper. Ein gedämpfter Donner ertönte, als das Zapphirn zuckte und eine Blutfontäne aus der Oberseite seines Schädels hervorschoss.
Die anderen Zapphirne schienen nicht zu verstehen, dass eines von ihnen getötet worden war, aber sie verstummten infolge des plötzlichen Lärms. Völlig unpassend krächzte eine Krähe irgendwo in den Baumspitzen, wodurch sich mehrere Zapphirne ermutigt fühlten, als Antwort ebenfalls zu krächzen.
Während sich Jorge damit abmühte, die Waffe unter dem toten Zapphirn hervorzuziehen, setzte Robertson den Kampf fort. Er war aufgestanden und hielt seine Tochter, als ob es sich um eine Ballettaufführung handelte. Sie hing unterhalb der Hüfte schlaff herab; ihr blutbefleckter Oberkörper war auf Franklin gerichtet. Dann plumpste ihr Rumpf nach vorne, das Haar fiel ihr ins Gesicht und sie wäre fast dem krampfhaften Griff ihres Vaters entglitten.
Zapphirne drangen von allen Seiten auf Robertson ein und konnten Shays Leiche schließlich davonzerren. Robertson schrie und sprang auf den Rücken des nächsten Zapphirns, und beide gingen um sich schlagend zu Boden. Das Zapphirn war größer und kräftiger als Robertson, und Franklin stürzte sich in die Auseinandersetzung mit dem Ziel, Robertson in Sicherheit zu bringen.
»Shay ist tot«, sagte Franklin, als er an Robertsons Hemd zog. »Sie nicht. Also kommen Sie.«
Robertson schwang seinen Arm herum und traf Franklin an der Seite seines Kopfes, wodurch seine schlummernde Gehirnerschütterung wie ein brüllender roter Drache zu neuem Leben erwachte. Franklin dröhnten die Ohren. Als er wieder zu Sinnen kam, befand sich Robertson in einem erbitterten Kampf mit drei Zapphirnen, während zwei andere Shay von dem Felsvorsprung wegtrugen.
Jorge kämpfte nun mit zwei Zapphirnen und versuchte noch immer, das halbautomatische Gewehr zu befreien. Einer seiner unnatürlichen Gegner, ein Jugendlicher, der nur einen dunkelblauen Strickpulli und schmutzige Boxershorts trug, griff mit klauenartigen Händen nach Jorges Wunde, als ob er darin nach Eingeweiden wühlen wollte. Franklin kam zu dem Schluss, dass sie doch nicht mit dem Leben davonkommen würden.
Kann genauso gut kämpfend untergehen. Es ist egal, ob ich von diesen Hurensöhnen umgebracht werde oder Sarges Bande mich erschießt.
Aber ihm wurde auch klar, dass es einen Unterschied zwischen den beiden Auseinandersetzungen gab: Während Robertson zuschlug und zutrat, rang Jorge und schubste.
Und die Zapphirne antworteten auf diese beiden Kampfstile in jeweils derselben Weise. Die Zapphirne bei Robertson wollten ihm mit den Fäusten gegen den Kopf schlagen, aber er war zunächst in der Lage, sich unter ihren ungeschickten Hieben hinwegzuducken. Es schien, als ob die Zapphirne noch nie zuvor mit den Fäusten zugeschlagen hätten und es gerade erst lernten. Was ihnen an Geschick fehlte, machten sie jedoch durch Entschlossenheit und Ausdauer wett, und schon bald trommelten ihre Fäuste gegen Robertsons Nacken und Schultern.
Sie traten ihm auch mit ihren Schuhen – oder schmutzigen blanken Füßen, wenn sie keine Schuhe trugen – gegen die Beine. Er war unfähig, sich gegen die Angriffe aus allen Richtungen zu wehren, und ging unter der Raserei der Meute zu Boden.
Aber war es wirklich Raserei? Die Zapphirne führten die Schläge in einer geistesabwesenden Haltung aus, so als ob sie ihre Zeit bei einem Job mit Minimalgehalt absaßen. Frühere Zapper-Angriffe hingegen waren von tobender, chaotischer Gewalttätigkeit geprägt gewesen, mit wilden Bewegungen und einem beinahe wimmernden Geräusch des Vergnügens, das aus ihren Kehlen kam.
Franklin entschied, dass Robertson verloren war, und taumelte zu Jorge, um diesem zu helfen. »Hören Sie auf zu kämpfen!«, rief er. »Lassen Sie Ihren Körper schlaff werden.«
Jorge raufte noch für ein paar Sekunden, wurde aber reglos, als Franklin seinen Namen rief. Die Zapphirne brachen in einen Chor aus »Hor-che, hor-che« aus, stellten jedoch die Angriffe ein. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie ihre Aufmerksamkeit auf Robertson richteten.
Franklin bedeckten die Ohren mit seinen Händen, als aus Robertsons Grunzlauten ein Jaulen wurde, das schließlich in Schreie mündete, während die Meute von Zapphirnen über ihm wie ein Meer von Ratten wogte.