VIERZEHN

 

 

 

 

 

 

 

»Was wirst du nach Pharaos Beisetzung und deiner Krönung tun?«, wollte Amuni von Hori wissen und stützte sich auf den Ellenbogen seines rechten Arms.

Nachdem die Truppen den feindlichen Tross besiegt hatten, war er auf Befehl seines Vaters sofort ins Delta aufgebrochen, um seinem Cousin und nun auch Regenten im Kampf gegen die Seevölker beizustehen. Zusammen mit seinem Onkel Prehi hatte es auch ihn ziemliche Überredungskunst gekostet, Hori davon zu überzeugen, nach Per-Ramses aufzubrechen, um rechtzeitig zum Trauergefolge hinzuzustoßen.

Dann hatte sie ein Bote mit einer Nachricht von ihrem Großonkel erreicht, in der Sethherchepeschef Hori mitgeteilt hatte, dass er nicht mehr so lange warten wolle, bis der Prinz endlich Per-Ramses erreicht habe. Die Trauerzeit neigte sich dem Ende zu; die Priester des Anubis waren mit der Einbalsamierung beinahe fertig. Sethi empfahl in seinem Schreiben, dass sich Hori vom Delta aus direkt nach Abydos begeben solle. Dabei würde er unterwegs auf das Trauergefolge stoßen, das auf seinem Weg in den Süden in verschiedenen Städten entlang des Flusses Station machen würde, damit die Mumie des zu Osiris gewordenen Herrschers den wichtigsten Tempeln einen letzten Besuch abstatten konnte.

Hori hatte daraufhin seinen Aufbruch um ein paar Tage verschoben, was wiederum Prehi einigermaßen beunruhigt hatte. Amuni kannte den Grund dafür nicht. Dennoch hatte auch er seinen Cousin bedrängt, nicht zu lange zu zögern.

Nun befanden sie sich mit einem kleinen Gefolge eine Tagesreise von Memphis entfernt und hatten es sich an Bord unter einem Sonnensegel gemütlich gemacht. Sie tranken gekühltes Bier, das die Dienerschaft am Vorabend frisch zubereitet hatte, und unterhielten sich angeregt. Unweit von ihnen, jedoch außer Hörweite, wiegten sich junge, nur spärlich bekleidete Mädchen zu den Klängen einer Laute und kicherten, wenn einer der beiden zu ihnen hinübersah.

»Wenn bis dahin die Nachricht von unseren Truppen kommt, dass sie gesiegt haben, werde ich nach Theben weiterreisen, um mich dort krönen zu lassen«, erwiderte Hori nachdenklich. »Und dann werde ich, wie alle meine Vorfahren, meine Reise durch die Beiden Länder beginnen.« Er richtete sein Augenmerk auf die vorbeiziehende Landschaft.

Es war die Zeit der Überschwemmung, die hier im Norden noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. Solange sie im wasserreichen, weit verzweigten Delta gereist waren, waren sie gut vorangekommen. Je näher sie jedoch Memphis kamen, umso stärker wurde die Strömung. Die Ruderknechte hatten schwer zu tun, gegen die Wassermassen anzukämpfen.

»Dieses Jahr wird das Hochwasser optimal sein«, sinnierte er und wandte sich wieder Amuni zu. »Die Ernte wird besser ausfallen als in den vergangenen Jahren.«

»Das ist ein sehr gutes Vorzeichen für deine Thronbesteigung«, erwiderte sein Cousin.

»Allerdings, doch erst im kommenden Jahr wird das Volk davon profitieren. In diesem werden sie noch hungern, denn die Speicher sind fast leer, obwohl mein Vater alles getan hat, um diese zu füllen. Es gibt einfach zu viele Beamte und Priester, die lieber in ihre eigenen Taschen wirtschaften, als sich um das Wohl ihrer Mitmenschen zu sorgen.« Gedankenverloren spielte Hori mit dem vergoldeten Becher in seiner Hand. »Mein Großvater und mein Vater haben versucht, das zu ändern, doch noch immer scheint in einigen Amtsstuben und Tempeln das Chaos die Oberhand zu haben.« Er stellte den Becher auf die Planken des Schiffes und wechselte das Thema. »Ich freue mich schon darauf, meine Liebste wiederzusehen. Noch bevor mein Vater in seinem Haus für die Ewigkeit beigesetzt werden wird, werde ich sie zu meiner Gemahlin machen. Sie soll neben mir auf dem Horusthron sitzen und mich vor Unglück bewahren, so wie meine Mutter meinem Vater über all die Jahre treu zur Seite gestanden hat. Sie wird mir die Kraft geben, die Beiden Länder gerecht zu regieren.« Er lächelte verträumt, und Amuni schmunzelte.

»Auch ich freue mich, meine geliebte Titi wieder in die Arme zu nehmen und küssen zu können.« Er strahlte Hori beglückt übers ganze Gesicht an. »Und wenn ich an meinen Sohn denke, wird mir warm ums Herz. Du musst unbedingt Kinder zeugen, Hori. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als Kinder. Du bist inzwischen siebzehn Jahre alt. Dennoch erfüllt kein fröhliches Kindergeschrei dein Haus.«

Der Regent lachte. »Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher, Amuni. Ich verrate dir jetzt ein kleines Geheimnis.« Verschwörerisch beugte er sich dem Prinzen zu. »Am Tag unseres Aufbruchs in den Krieg kam meine zukünftige Frau zu mir und erzählte, dass ihre letzten beiden Reinigungen ausgeblieben wären. Das hat zwar nicht sicher zu bedeuten, dass sie schwanger ist, doch ich habe seitdem jeden Tag gebetet, dass es so sei.«

Amuni stand vor Überraschung der Mund offen, während Hori vergnügt lächelte. »Warum hat sie es dir nicht schon früher gesagt?«

»Sie meinte, damit ich einen Grund hätte, wohlbehalten aus dem Krieg zurückzukehren. – Als ob ich das nicht so oder so getan hätte.« Er haute dem verdutzt dreinschauenden Amuni freundschaftlich auf die Schulter. »Was sagst du nun, mein Freund?«

»Es hat mir glatt die Sprache verschlagen«, antwortete Amuni. »Hat Ramses es gewusst?«

Hori schüttelte den Kopf und senkte betrübt den Blick. »Nein. Ich habe es bisher niemandem erzählt, weil ich keine Gewissheit habe. Hätte ich jedoch geahnt, dass mein Vater zu den Göttern befohlen wird, hätte ich es ihm gesagt.« Seine Augen füllten sich mit Tränen.

Betreten blickte nun auch Amuni zu Boden. »Das tut mir leid zu hören.«

»Es lässt sich nicht mehr ändern. Der zu Osiris gewordene Horus wird es trotzdem erfahren. Eines Tages wird er neben den allwissenden Göttern sitzen und selbst einer von ihnen sein. Sein Ba wird die Gestalt eines Vogels annehmen und zu seiner Familie nach Per-Ramses geflogen kommen. Dort wird er sich in einem Baum niederlassen und sehen, wie glücklich wir alle sind.« Hori hob wieder den Blick und versuchte zu lächeln. »Er hat es geschafft, Amuni. Er wird schon bald ein Gerechtfertigter sein und zu seinem göttlichen Vater Re in die Barke steigen.«

»Ja, Majestät.« Es kam selten vor, dass Amuni den zukünftigen Pharao in aller Förmlichkeit anredete, vor allem, wenn sie alleine waren, aber nun hielt auch er es für angebracht. »Und du wirst ihm auf den Thron der Lebenden folgen, so wie er seinem Vater gefolgt ist. Eines Tages wirst auch du in der Sonnenbarke fahren, doch bis dahin mögen tausend mal tausend Sed-Feste deinen königlichen Ka erneuern.« Er neigte den Kopf.

»Ich habe dich selten so reden hören, Amuni, doch es beweist mir, dass aus dir ein erfahrener Beamter geworden ist, dem ich vertrauen kann. Deshalb erlaube ich dir vom heutigen Tage an, mich auch weiterhin bei meinem Namen zu nennen und dich nicht in den Staub werfen zu müssen wie alle anderen.«

»Danke, Majestät, für die Ehre, die du mir zuteilwerden lässt.«

»Höre jetzt damit auf«, lachte der Regent. »Ich weiß auch so, dass du dich vor dem Pharao zu benehmen weißt. Derzeit bin ich noch nicht gekrönt. Zudem befinden wir uns nicht im Thronsaal von Per-Ramses, sondern auf einer Barke mitten auf dem Nil. Du trägst wie ich einen durchgeschwitzten Schurz. Wir trinken das gleiche Bier und haben zusammen Seite an Seite gekämpft. Heute unterliege ich noch nicht den Zwängen, die mir nach meiner Krönung auferlegt sein werden. Lass uns diese Fahrt genießen und fröhlich sein, auch wenn der Grund unserer Reise nicht so erfreulich ist, doch jeder von uns wird einmal diesen Weg gehen müssen.« Er hob seinen Becher. »Auf den zu Osiris gewordenen Pharao. Möge der Richter der Unterwelt, der Große Gott Osiris, ihn gnädig in seinem Reich aufnehmen.« Er prostete Amuni zu und trank den Becher bis zur Neige. Dann stellte er ihn wieder vor sich auf die Planken und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

Die Sonnenscheibe hatte sich in der Zwischenzeit rot verfärbt und versank in Nuts Rachen. Die Schiffsführer riefen sich zu, dass es an der Zeit wäre, einen geeigneten Platz für ein Nachtlager zu suchen, denn es war Neumond und bei der herrschenden Strömung zu gefährlich, weiterzufahren.

Sie steuerten das Ufer an, wo Horis Leibwache das Gebiet nach möglichen Gefahren für ihren Herrn abzusuchen begann, bevor das Lager errichtet wurde.

Alles war ruhig.

Die Diener begaben sich an die Arbeit und begannen mit der Zubereitung des Abendmahls, während sich die Ruderknechte ein gemütliches Plätzchen am Ufer suchten, um zu entspannen, denn der Tag war anstrengend und heiß gewesen.

Hori und Amuni blieben in der Zwischenzeit an Bord und warteten darauf, dass man ihnen ihr Essen bringen würde. Anschließend nahmen sie ein Bad im Fluss und streckten sich auf den warmen Planken des Schiffes aus, um den Sternenhimmel zu betrachten und zu plaudern.

Als Amuni vor Müdigkeit die Augen zufielen und er leise zu schnarchen begann, erhob sich Hori und ging von Bord. Er lief die Planke hinunter ans Ufer und ließ seinen Blick durch das kleine Lager schweifen.

Überall waren Feuerstellen, an denen noch ein paar Männer saßen und schwatzen. Die Mehrzahl hatte sich bereits zur Ruhe begeben und war wie Amuni im Reich der Träume.

Hori hingegen war noch hellwach. Ziellos begann er, im Lager auf und ab zu wandern, doch nach einer Weile wurde ihm das zu eintönig. Er lief ein Stück den Fluss entlang, um sich die Beine zu vertreten und schläfrig zu werden. Die beiden Getreuen, die ihm folgen wollten, befahl er ins Lager zurück. Was sollte ihm hier schon geschehen?

Sie befanden sich fernab eines Dorfes. Die Nacht war dunkel und mild. Hori fürchtete keinen Überfall.

Plötzlich drang ein Geräusch an seine Ohren.

Er blieb stehen und lauschte.

Was war das?

Es kam aus dem Unterholz am Ufer des Nil.

Angestrengt starrte Hori in die Richtung, aus der er das Geräusch vernommen hatte, doch es war zu dunkel, als dass er etwas hätte wahrnehmen können.

Da! – Er hörte es erneut.

Seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt, um besser sehen zu können, und tatsächlich konnte er einen Schatten erkennen, der sich langsam auf ihn zubewegte.

Was war es nur?

Schemenhaft konnte er den Umriss eines Tieres ausmachen, das die Größe eines wilden Hundes hatte.

Es kam näher und näher.

Hori tastete nach dem Dolch in seinem Gürtel. Bestürzt stellte er fest, dass er nicht da war, wo er hätte sein sollen. Wahrscheinlich hatte er nach dem Baden vergessen, ihn wieder an sich zu nehmen.

Vorsichtig wich er ein paar Schritte zurück, doch das Tier hielt weiterhin auf ihn zu, bis es schließlich ein paar Ellen von ihm entfernt verharrte.

Hori konnte in der Dunkelheit erkennen, dass es sich in der Tat um ein hundeartiges Wesen mit schakalartiger Schnauze handelte, dessen Augen ihn aufmerksam musterten. Es hatte die Zähne gefletscht und gab ein leises Knurren von sich.

»Was willst du von mir?«, rief er dem Tier zu und tat einen Schritt in seine Richtung. »Bist du der Große Gott Anubis und gekommen, um mich zu holen?« Er lachte verunsichert auf. »Hast du nicht gerade meinen Vater und meinen Bruder zusammen mit Hunderten tapferen Männern vor das Gericht des Osiris geführt? Reicht das nicht? Soll nun auch ich dem Herrscher über das Totenreich gegenübertreten?«

Das Geschöpf mit der spitzen Schnauze setzte sich auf die Hinterbeine. Sein Knurren hörte auf. Obwohl seine Augen noch immer fest auf den Thronfolger geheftet waren, schien es ihm zuzuhören.

»Dann komm und hole mich!« Hori breitete die Arme aus.

Erschrocken zuckte das Tier zusammen und sprang auf die Pfoten. Mit wenigen Sätzen hatte es den Regenten erreicht und setzte zum Sprung an.

Schützend riss Hori die Arme vor den Kopf. Durch die Wucht des Aufpralls taumelte er zwei Schritte rückwärts, stolperte über eine Baumwurzel und fiel zu Boden. Sofort war das hundeartige Wesen über ihm und packte ihn mit seinen scharfen Zähnen an der Gurgel.

Verzweifelt versuchte Hori sich zu befreien. Die Zähne seines Angreifers bohrten sich tief in sein Fleisch. Vergeblich versuchte der Regent, um Hilfe zu rufen. Mehr als ein paar gurgelnde Laute entrangen sich nicht seiner Kehle.

Panik ergriff ihn, als etwas Warmes seinen Hals hinunterzulaufen begann und er den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund spürte. Mit letzter Kraft griff er mit beiden Händen in das kurze Fell des Tieres und riss und zerrte an ihm. Er presste seinem Widersacher die Fäuste in den Körper, verpasste seiner Schnauze mehrere Faustschläge, doch nichts half. Das Wesen ließ nicht von ihm ab.

Mit der Zeit wurde Horis Widerstand schwächer. Als er gänzlich gebrochen war und seine Arme kraftlos am Boden lagen, ließ das Tier endlich von ihm ab.

Zusammengekrümmt lag der junge Mann am Boden. Das Blut lief ihm pulsierend aus dem zerfetzten Hals. Seine Augen waren starr auf den Leben spendenden Fluss gerichtet, der ihm und seinem Volk zu jenem Wohlstand und Reichtum verholfen hatte, wie keinem anderen Land in seiner Zeit. Mühsam versuchte er, mit letzter Kraft den Kopf zu drehen, um zum sternenübersäten Himmel zu blicken, wo seine Vorfahren als silbern strahlende Punkte, als die Gefolgsleute des Osiris, weiterlebten.

Vater, dachte er sterbend, heute Nacht folge ich dir und Nebu.

Dann schloss Hori die Augen, um sie in dieser Welt nie wieder aufzutun.

 

* * *

 

Die Nachricht von Horis grausigem Tod erreichte Sethherchepeschef kurz vor Achetaton, der verwaisten Stadt von Osiris Echnaton. Sethi musste sich geradezu beherrschen, um nicht vor Freude laut zu jubeln, als ihm ein Bote die traurige Mitteilung überbrachte.

Der Thronfolger war tot, ohne dass Sethi einen Finger hatte rühren müssen.

Er war sofort nach Beendigung der Einbalsamierungsriten in Per-Ramses aufgebrochen und hatte außer in Heliopolis und Memphis nirgendwo eine längere Rast eingelegt. Um jeden Preis musste er vor Hori Abydos erreichen. Seine Eile war bei vielen Würdenträgern auf Unverständnis getroffen. Er hatte es einfach ignoriert. Trotzdem hatte er jeden Tag zu seinem Schutzgott Seth gebetet, dass der Regent es nicht rechtzeitig schaffen würde, in der heiligen Stadt des großen Totengottes einzutreffen.

Sethherchepeschef machte ein betrübtes Gesicht, wischte sich pflichtschuldig über die Augen und entließ in geheucheltem Kummer den Unglücksboten, um alleine mit sich und seiner Trauer zu sein, wie er ihm sagte.

Nachdem der Mann gegangen war, befahl er seinem Leibdiener, ihm einen Krug Wein zu holen, damit er den Schmerz um den Verlust seines geliebten Verwandten im Rausch ertränken könne.

Gehorsam kam der Mann dem Befehl seines Gebieters nach und zog sich anschließend leise zurück, um den Prinzen nicht weiter zu stören.

Wenig später erschien Sethis Haushofmeister und fragte, ob der Prinz gewillt wäre, Ramose zu empfangen.

Unwillig nickte Sethi. »Wenn er der Meinung ist, sein Anliegen sei so wichtig, dass er mich in meiner Trauer und meinem Schmerz um den Verlust des zukünftigen Pharaos stören müsse, so soll er eintreten.«

Verlegen verneigte sich der Hausverweser und bat den ehemaligen Hohepriester des Re in die Kajüte des Prinzen.

»Majestät«, hob Ramose salbungsvoll an und verneigte sich ehrerbietig, »nun steht deiner Thronbesteigung nichts mehr im Weg. Ich bin gekommen, um dir zu gratulieren. Hori ist seinem Vater gefolgt. Wenn nun du Ramses zu seinem Ewigen Haus begleitest, wird niemand daran zweifeln, dass du sein rechtmäßiger Nachfolger bist.«

Sethi nickte und konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. »Ja, Ramose. Nun wird mir auch Nesamun ohne zu zögern beide Kronen aufs Haupt setzen, und vielleicht bin ich dann auch gewillt, ihn weiterhin in seinem Amt zu belassen. Er stand immer treu zu Ramses. Warum also sollte er nicht auch mir treu zu Diensten sein?«

»Er wird vor Deiner Majestät im Staube liegen und sich glücklich schätzen, wenn er den Boden vor deinen Füßen küssen darf«, erwiderte Ramose bissig.

Sethi schmunzelte. »Ich glaube, nicht nur er. Alle werden mich als den Herrn der Beiden Länder akzeptieren und sich demütig vor mir im Staube wälzen.« Er musterte Ramose streng. »Das gilt auch für einen Hohepriester des Osiris und des Re. Oder hattest du gedacht, dass du mir gleichgestellt bist, wenn du diese Ämter inne hast?«

Verdattert schüttelte der alte Mann den Kopf. »Mitnichten, Majestät, mitnichten.«

»Gut für dich, denn vergesse nicht: Du hast mir zwar geholfen, mein Ziel zu erreichen, und ich halte dafür mein Versprechen. Nach meiner Krönung ernenne ich dich zum Hohepriester von Heliopolis und Abydos. Ich werde aber stets der Herr sein, während du immer mein Diener bleiben wirst!«

»Natürlich, Majestät. Etwas anderes hätte ich mir nie angemaßt.« Ergeben senkte Ramose den Blick.

»Dann bin ich beruhigt, und nun lass mich allein. Immerhin ist der Regent zu den Göttern gegangen. Ich muss zumindest den Schein wahren, darüber todunglücklich zu sein.«

 

* * *

 

Eine Woche später erreichte der königliche Konvoi die heilige Stadt des Großen Gottes Osiris. Widerwillig trat Amunhotep Sethherchepeschef entgegen, um ihn zu begrüßen, doch der Prinz brachte die Mumie des Pharaos, und Amunhotep war es Ramses schuldig, persönlich den Trauerzug zu begrüßen.

Hoheitsvoll nahm Sethi Amunhoteps Gruß entgegen und begab sich sofort in den königlichen Palast, ohne ein weiteres Wort mit dem Ersten Propheten zu wechseln. Flüchtig glitt sein Blick dabei über die versammelten Priester und blieb an Meritusir hängen, die mit gesenktem Kopf unweit ihres Gemahls stand.

Als er sie nach gut zwei Jahren wiedersah, konnte er kaum die Augen von ihr lassen. Meritusir war noch schöner geworden, obwohl auch sie die Dreißig bereits überschritten hatte. Sie trug das vorgeschriebene weiße Leinengewand der Priester und hatte ein Leopardenfell als Zeichen ihrer hohen Priesterwürde über die Schulter gelegt. Ihre Haut schimmerte seidig weich. Am liebsten wäre Sethi auf sie zugetreten und hätte sie gestreichelt, doch er bezwang diesen Wunsch. Stattdessen riss er den Blick von ihr und setzte seinen Weg zum Tempel fort, um Amunhotep nicht argwöhnisch zu machen, der knapp hinter ihm ging.

»Ist alles für Pharaos Beisetzung bereit?«, wandte er sich herrisch an ihn, und der Hohepriester bejahte. »Dann werde ich morgen Ramses in sein Ewiges Haus bringen.« Ohne Amunhotep eines Blickes zu würdigen, schritt Sethherchepeschef weiter in Richtung Tempel. »Ist der Nomarch des thebanischen Gaus schon eingetroffen?«

»Nein, Hoheit. Prinz Chaemwaset wird noch erwartet.«

»Schade, doch egal, ob er rechtzeitig erscheint oder nicht. Morgen wird Ramses beigesetzt.«

»Wie du befiehlst, Hoheit.«

»Majestät, Priester, denn ich war es, der in Horis Abwesenheit die Regentschaft ausgeübt hat. Nun ist auch er auf tragische Weise zu den Göttern gegangen. Also bin ich der rechtmäßige Regent!« Sethi war stehen geblieben und hatte sich zu Amunhotep umgedreht. »Oder hast du etwas dagegen einzuwenden?« Kalt funkelten seine Augen Amunhotep an, während er ihm die Worte förmlich ins Gesicht spie.

»Nein, Majestät. Du bist der Herr und ich dein gehorsamer Diener.«

Sethi grinste. »Gut für dich, Amunhotep, dass du das begriffen hast.«

Er wandte sich wieder um und war kurz darauf im Palastbereich verschwunden, der dem Osiris-Tempel angegliedert war.

Wütend blickte Amunhotep ihm hinterher. Dann trat er auf Meritusir zu, die den beiden Männern zusammen mit den anderen der Priesterschaft in gebührendem Abstand gefolgt war.

»Du hast recht behalten, Meritusir. Sethi wird die Mundöffnung an Ramses’ Mumie vornehmen und sich damit für den Doppelthron legitimieren.« Beunruhigt sah er seiner Gemahlin in die grünen Augen.

»Das ist das Ende der Maat«, hauchte sie. »Erst Ramses und nun auch noch Hori. Warum strafen die Götter die Beiden Länder nur so hart?«

»Sie werden dafür ihre Gründe haben, die uns Sterblichen verborgen bleiben.«

Meritusir nickte wortlos. Gemeinsam mit ihrem Mann begab sie sich an ihre täglichen Pflichten im Tempel zurück.

Sethherchepeschef hingegen ließ sich den Rest des Tages nicht mehr blicken. Der Prinz betete, dass Chaemwaset es nicht mehr schaffen würde, rechtzeitig in Abydos zu erscheinen. Der Halbbruder von Ramses VII. war der Einzige, der ihm noch die Doppelkrone streitig machen konnte, denn Amuni war nach dem tragischen Tod des Regenten mit der Leiche seines Cousins nach Per-Ramses gefahren, um sie den dortigen Einbalsamierern zu übergeben. Blieb also nur noch Chaemwaset, der auf sein Recht pochen konnte, die Mundöffnung an Ramses vorzunehmen.

 

* * *

 

In den Strahlen der himmelwärts steigenden Sonnenbarke formierte sich der Trauerzug vor dem westlichen Pylon des Osiris-Tempels, um dem zu den Göttern gegangenen Pharao das letzte Geleit zu geben.

Sethi hatte sich ein Leopardenfell über die Schulter gelegt und stolzierte dem von Ochsen gezogenen Schlitten mit der Mumie des Königs voraus. Er zeigte damit allen Anwesenden, dass er der zukünftige Herrscher über das Schwarze und das Rote Land sein würde. Chaemwasets Barke hatte zwar im Morgengrauen am Tempelanleger von Abydos festgemacht, doch der Nomarch des thebanischen Gaus hatte nichts unternommen, um ihn am Ritual der Mundöffnung zu hindern. Sethi frohlockte innerlich.

Isis und Nubchesbed schritten gefolgt vom Rest der königlichen Familie hinter dem Sarg. Nubchesbed konnte man ihren Zorn ansehen, der neben ihrem Schmerz über den Verlust ihres Sohnes und ihrer beiden Enkel die Oberhand gewonnen hatte. Erbost starrte sie auf Sethherchepeschefs Rücken und drehte sich anschließend zu Chaemwaset um, um ihm einen fragenden und zugleich wütenden Blick zuzuwerfen.

Der Prinz ignorierte ihn.

Es wusste, was Nubchesbed von ihm erwartet hatte, und er fragte sich, ob er richtig daran tat, sein Anrecht auf den Doppelthron nicht zu fordern. Er war Ramses’ Halbbruder und hatte dessen Schwester zur Frau genommen. Ihm stand genau wie Sethi die Herrschaft zu. Doch sein Onkel hatte in Horis Abwesenheit über die beiden Länder gewacht, die ohnehin durch die Missernten der letzten Jahre geschwächt waren. Hatte er, Chaemwaset, das Recht, Kemi durch einen zermürbenden Kampf um den Doppelthron noch näher an das Chaos heranzuführen?

»Nein!«, murmelte er kaum hörbar vor sich hin. Bereits auf der Fahrt nach Abydos hatte er für sich entschieden, das nicht zu tun.

Amunhotep und Meritusir flankierten den Sarg zusammen mit dem obersten Ka-Priester und dem Verwalter des Totentempels.

Meritusir konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, als Amunhotep ihr einen knappen Blick zuwarf. Dabei versuchte er, ihr aufmunternd zuzulächeln, doch es wollte ihm nicht gelingen. Dort auf dem Schlitten lag die kalte steife Hülle seines Freundes, des Pharaos, den er geliebt und verehrt hatte. Er wandte den Blick wieder nach vorn und dachte wehmütig an Ramses zurück.

Ihm fiel das Trinkgelage anlässlich der Geburt von Ramses’ erstem Sohn ein und der letzte Abend, den er zusammen mit ihm verbracht hatte. Er musste an die Expedition in die nubische Wüste denken und an ihre Suche nach geheimen Zauberformeln in der Halle des Thot, die Ramses’ Mumie und sein Grab vor Schändung bewahren sollten. Er sah Ramses an seinem edlen Schreibtisch sitzen, während dessen Augen ihn und Meritusir finster gemustert hatten, weil die Zeichnung seiner Sarkophagkammer kurz vor dem Fest von Opet in Theben aufgetaucht war. Er erinnerte sich an Ramses’ Krönungstag, als dieser nach seiner Thronbesteigung mit der Doppelkrone auf dem Kopf aus dem Tempel von Opet-sut getreten war, um sich seinem Volk zu zeigen. Er konnte aber auch nicht die Erinnerung verdrängen, als der erstgeborene Sohn seines Freundes von den Krokodilen zerfleischt worden war. Dennoch hatte dieses schlimme Ereignis auch etwas Positives gebracht: Ramses hatte ihm an jenem Tag vor acht Jahren eine leibeigene Dienerin anvertraut, die nun seine Gemahlin war.

»Ja, mein König, Majestät«, formten seine Lippen, »du warst der Herr der Beiden Länder und ich nur dein Diener. Doch auch wenn du der lebende Gott gewesen bist und ich nur ein Sterblicher, so hast du mich doch deinen Einzigen Freund genannt.« Die Tränen traten ihm in die Augen, und verstohlen fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht.

Sie hatten den Tempel der Millionen Jahre erreicht.

Im Vorhof wurde der Sarg des Königs aufgerichtet und der Deckel abgenommen, damit die heiligen Rituale an Ramses’ Mumie durchgeführt werden konnten.

Amunhoteps Blick glitt hoch zu den Gesichtern der beiden Granitstatuen des zu Osiris gewordenen Pharaos, und er lächelte ihnen zu. Dann trat er zu Sethherchepeschef, um ihm den heiligen Dechsel zu reichen, mit dem der Prinz Nase, Augen, Ohren und Mund der Mumie berühren und somit öffnen würde.

Nachdem der mumifizierte Leichnam mit Weihrauch beräuchert worden war, setzten sich alle im Vorhof nieder, um das Festmahl zu genießen, zu dem nur die engsten Familienmitglieder sowie die obere Priesterschaft des Osiris und die anwesenden Propheten der anderen Götter zugelassen waren. Der Rest des Trauergefolges hatte am Rande der Wüste zurückbleiben müssen.

Als sich der Horizont glutrot färbte, wurde der Sarg verschlossen und in das Innere des Tempels getragen.

Ramses hatte nach der Weihung seines Heiligtums verfügt, dass ihn auf diesem letzten Weg nur seine Große Königliche Gemahlin Isis, seine Mutter sowie der Thronfolger und die beiden obersten Propheten des Osiris begleiten durften. Dass sein Onkel Sethherchepeschef dabei sein würde, hätte er sich sicher nie träumen lassen.

Neugierig blickte sich Sethi im Tempel um. Er war ziemlich beeindruckt von dem, was er sah. Als sie durch den linken Zugang vom Säulensaal in die Halle des Osiris traten, nahm sein Gesicht jedoch einen verwunderten Ausdruck an.

War das Heiligtum in den vorderen Bereichen wunderschön und erhaben, so sah es in diesem Teil wie auf einer Baustelle aus. Zwar waren die Wände und Säulen kunstfertig mit heiligen Zeichen und Darstellungen verziert, das Dach aber war noch offen, und im Fußboden klaffte ein tiefes Loch.

Verständnislos sah Sethi zu Amunhotep, der sich ein Grinsen verkneifen musste.

Bedächtig schritt die kleine Prozession auf dieses Loch im Boden zu und stieg hinab in das Haus der Ewigkeit. Überall entlang der Gänge waren Öllampen aufgestellt, die die Dunkelheit erhellten und die Malereien in ein warmes, mildes Licht tauchten.

Der Türsturz des Eingangs wurde von einer Sonnenscheibe beherrscht, die von den Göttinnen Isis und Nephthys flankiert wurde. Im oberen absteigenden Korridor folgten in leuchtendem Blau auf weißem Untergrund die Texte aus dem Buch der Pforten, während sich im nächsten Gang der König an der Seite des sonnengestaltigen Gottes Harachte-Atum-Chepre und des Gottes der Unterwelt Ptah-Sokar-Osiris präsentierte. Die Wände waren mit den heiligen Texten aus dem Buch der Höhlen geschmückt, während die Bilder die göttliche Wiedergeburt des Pharaos als Osiris zeigten.

Nach dem dritten Gang schritt die kleine Prozession durch die Brunnenkammer, deren Decke durch vier Pfeiler getragen wurde. Auch hier hatten Ramses’ Steinmetze die heiligen Zeichen kunstfertig aus dem Felsen geschlagen, und die Maler hatten sie in leuchtenden Farben bemalt. Es folgte der letzte absteigende Korridor, der zum Säulensaal führte und von dort zur Vor- und Hauptkammer des Grabes. Wie sein Vater schon, so hatte auch Ramses diesen Bereich mit Szenen und Texten aus den Unterweltsbüchern dekorieren lassen, wohingegen die Decke mit Darstellungen aus den Himmelsbüchern geschmückt worden war.

Doch am schönsten war seine große Sarkophagkammer.

Sethis Blick wanderte die Wände entlang, die mit Auszügen aus dem Buch der Erde verziert waren. Als er zur Decke sah, stockte ihm vor Bewunderung der Atem. Die Göttin Nut breitete ihre Flügel aus, während verschiedene Sternenkonstellationen sie umgaben. Sethi erinnerte sich, dass er diese Darstellung bereits im Grab seines Bruders hatte bewundern dürfen.

»Wunderschön!«, murmelte er überwältigt.

Sein Blick glitt hinüber zur hintersten Kammer, wo auf der dem Eingang zugewandten Seite Ramses in der Halle der Wahrheit vor Osiris zu sehen war. Anubis hatte ihn an die Hand genommen und vor den obersten Richter der Unterwelt geführt. Es ging darum, dass sein Herz gegen die Feder der Göttin Maat gewogen werden sollte. Gleich neben der Waage hockte Ammit, die Fresserin, die all jene Herzen verschlang, die schwerer als die göttliche Feder waren.

Sethi erschauerte leicht und richtete seine Aufmerksamkeit den Trägern zu, die im Begriff waren, den goldenen Sarg des Königs in den vergoldeten inneren Holzsarg zu legen, der wiederum in der Sarkophagwanne im Boden der Kammer eingelassen stand. Dann schlossen sie ihn und legten den Deckel des äußeren Holzsarges auf, um zum Schluss das Ganze mit einer Platte aus schwarzem Granit zu bekrönen.

Unter Verneigungen zogen sie sich still zurück und überließen die königliche Familie und die beiden obersten Propheten ihrem Abschiedsschmerz von ihrem geliebten Herrscher.

Isis stand zwischen Nubchesbed und Sethi und schluchzte leise, während Nubchesbed keinerlei Gefühle zeigte. Die alte Königin blickte mit erstarrter Miene auf den schwarzen Stein, unter dem ihr Sohn zur letzten Ruhe gebettet worden war und auf seine Reise zu den Göttern wartete. Sethi zeigte ebenfalls keinerlei Anzeichen von Trauer, und selbst Amunhoteps Tränen waren versiegt. Einzig Meritusir konnte ihren Schmerz nicht verbergen.

Durch einen Schleier aus Tränen blickte sie auf den Sarkophag, während ihre Lippen Worte murmelten, die die anderen nicht hören konnten. Sie bat den Großen Gott Osiris, den toten König gnädig in seinem Reich aufzunehmen, und beschwor den göttlichen Barkenführer Mahaef, nicht zu lange zu warten, bis er Ramses von der Erde abholen würde, damit er zu Re in dessen Barke steigen konnte.

Als schließlich einer nach dem anderen vortrat, um seine Blumen auf Ramses’ Sarkophag zu legen, fiel sie auf die Knie und berührte vor dem steinernen Sarg mit der Stirn den Boden der Halle.

»Majestät«, wisperte sie, »ich habe dereinst deine Göttlichkeit verleugnet, weil ich sie nicht erkennen konnte. Heute nun weiß ich, dass du der lebende Gott gewesen bist. Verzeihe mir meinen Unglauben und steige hinauf in den Himmel. Ich habe alles in meiner Macht stehende getan, damit der Wunsch des Re erfüllt werden kann.«

Sie küsste den Boden und erhob sich wieder, um ihre Blumen auf den Deckel zu legen. Dann trat sie zurück und verließ mit den anderen die letzte Ruhestätte von Ramses VII.