EPILOG
»Bitte, meine Herrschaften, wenn Sie sich jetzt wieder zum Ausgang begeben würden.« Mit einer einladenden Handbewegung forderte Achmed die Touristen auf, ihm zu folgen.
»Es erscheint mir dennoch sehr fragwürdig, dass diese Inschriften stimmen sollen«, meldete sich die jüngere Touristin erneut zu Wort.
Sofort verharrten all jene, die sich schon dem aufsteigenden Korridor zugewandt hatten, und drehten sich ihr und Achmed zu.
Auch der Fremdenführer blieb überrascht stehen. »Ach ja?«, fragte er.
»Ja«, antwortete sie. »Warum wurde dieser Tempel der Millionen Jahre denn noch nicht gefunden? Selbst wenn er halb zerfallen wäre, müsste es doch irgendwo Überreste von ihm geben.«
»Vielleicht hat ein Beben ihn komplett zusammenstürzen lassen«, mutmaßte eine Frau Mitte vierzig. »Und nun ruht alles unter dem Sand der Wüste.«
»Könnte gut möglich sein«, gab ihr Gatte ihr recht. »Nicht zu vergessen, dass die Hinterlassenschaften der Pharaonen über die Jahrtausende hinweg ständig als Steinbrüche für spätere Bauten missbraucht wurden.«
»Die Totenhäuser der anderen Pharaonen sind auch noch alle da«, widersprach die junge Frau und sah Zustimmung heischend zu Achmed.
»Das ist richtig«, bestätigte der Fremdenführer. »Allerdings ist die Zeit der 20. Dynastie bei Weitem nicht so gut dokumentiert wie beispielsweise die der vorhergehenden, und Ramses VII. gehört nicht gerade zu den bekanntesten und erfolgreichsten Pharaonen. Niemand weiß, wo dieser Tempel errichtet worden sein soll. Es gibt keinerlei Aufzeichnungen darüber; zumindest wurden bisher keine gefunden. Es wird gemutmaßt, dass er entweder hier in Theben-West gestanden hat oder womöglich in Abydos. Letztere Annahme basiert auf den Inschriften hier im Grab, in denen die Dame Meritusir anmerkt, Ramses ruhe unter dem Schutz des Osiris.« Er hob die Schultern. »Aber das sollten ja bekanntlich alle Pharaonen tun.«
»Und es gibt fast gar keine Hinterlassenschaften oder Erkenntnisse über diesen Herrscher?«, fragte ein älterer Herr zweifelnd.
»Leider nein«, bestätigte Achmed. »Die 20. Dynastie ist der Zeitpunkt, von dem an das ägyptische Reich dem Niedergang geweiht war. Ramses III. war der letzte bedeutende Pharao. Über seinen Enkel, also unseren Ramses VII., ist fast nichts bekannt. Wir wissen, dass er der Sohn seines Vorgängers, Ramses VI., und dessen Königin Nubchesbed war. Er hat ungefähr sieben oder acht Jahre lang regiert und hinterließ anscheinend keinen männlichen Nachkommen, denn nach ihm trat sein Onkel Sethherchepeschef die Regierung an. Es muss allerdings einen Sohn namens Ramses gegeben haben, der, einer Inschrift nach, sehr früh verstarb. Und es gab auch noch Halbbrüder, denn nach der sehr, sehr kurzen Herrschaft des Onkels setzte sich ein Halbbruder namens Chaemwaset als Ramses IX. auf den Thron.« Achmed räusperte sich. »Vielleicht gab es Querelen und Machtkämpfe um den Thron. Wer weiß das schon. Auch Ramses’ bauliche Hinterlassenschaften sind sehr spärlich. Von einem Totentempel war allerdings bisher nirgendwo die Rede gewesen. Er hat ein Grab hier im Tal der Könige, das sehr bescheiden ist. Zudem lässt es keinerlei Rückschlüsse auf seine weiteren Heldentaten zu.«
»Weiß man denn, wie er gestorben ist?«, fragte eine Touristin und sah Achmed neugierig an.
»Das ist nicht bekannt, denn die Mumie von Ramses VII. wurde bis heute nicht gefunden. – So, meine Damen und Herren, nun müssen wir aber los. Die Zeit drängt. Ich habe Ihnen versprochen, dass wir uns noch das Grab von Sethos I. ansehen. Es kommt nur selten vor, dass es besichtigt werden darf. Lassen wir uns diese Möglichkeit nicht entgehen.« Er wies abermals den Korridor hinauf zum Ausgang.
Schwatzend und diskutierend setzten sich die Touristen in Bewegung. Achmed blieb zurück, um keinen aus seiner Reisegruppe zu verlieren.
Auch die letzten Nachzügler strebten nun endlich dem aufsteigenden Gang entgegen. Nur eine junge Frau Anfang, Mitte zwanzig stand noch immer in der Vorkammer und starrte auf die zerstörten Bildnisse an den Wänden.
Plötzlich eilte sie in die Grabkammer zurück und blieb vor der dem Eingang gegenüberliegenden Wand stehen.
Gezwungenermaßen folgte Achmed ihr und räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. »Bitte kommen Sie, die anderen warten schon auf uns.«
Die Frau nahm keinerlei Notiz von ihm. Wie hypnotisiert starrte sie die Bilder an.
Achmed trat auf sie zu und berührte sie sacht an der Schulter. »Bitte, wir müssen gehen.«
Widerwillig wandte sie den Blick ab, drehte sich um und trat an Achmed vorbei aus der Sarkophagkammer hinaus. Dabei bemerkte der Fremdenführer, dass ihre Augen tränenfeucht waren.
Seltsame Frau, dachte Achmed und blickte ihr ratlos hinterher.
Sie hatte sich verändert, nachdem sie bei der Besichtigung von Abu Simbel hingefallen war und kurzzeitig das Bewusstsein verloren hatte. Irgendwie erschien sie ihm seither ständig abwesend und betrübt zu sein.
Kopfschüttelnd folgte er ihr den Korridor hinauf.
Da er hinter ihr ging, konnte er nicht ihre Tränen sehen, die ihr ungehemmt über das von roten Locken eingerahmte Gesicht liefen. Die Finger ihrer rechten Hand umschlossen derweil fest eine goldene Osirisfigur mit einer Atef-Krone aus Lapislazuli.
Ende des dritten Teils
Ende der Trilogie