VIERUNDZWANZIG
Eine Woche später endete das Fest von Opet, und es begann unter dem Vorsitz von Pharaos höchstem Beamten und Richter die Verhandlung.
Ramses-Sethherchepeschef hatte diesen Mordanschlag als so brisant eingestuft, dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem abgeschirmten Teil des Palastes stattfand. Neben dem Wesir als Kläger und Richter des Königs bestand die Mehrzahl der Beisitzer aus engen Vertrauten des Pharaos.
»Im Jahr eins, am einundzwanzigsten Tag des dritten Monats der Überschwemmung, unter der Herrschaft Seiner Majestät, der von der Biene und von der Binse, Usermaatre Achenamun Ramses-Sethherchepeschef Meriamun, dem es gewährt sein möge, wie sein Vater Re ewig zu leben, und im Namen der Göttin Maat eröffne ich diese Verhandlung.« Senbi ließ seinen Blick durch den Raum schweifen.
»Diesen zwei Angeklagten wird zur Last gelegt, einen Anschlag auf das Leben des Pharaos geplant und in Auftrag gegeben zu haben. Es handelt sich um Amunhotep, den ehemaligen Hohepriester des Osiris, und um Hekaib, Priester im Tempel des Osiris in Abydos und Amunhoteps Haushofmeister. Derjenige, der den Auftrag ausgeführt hat, hat sich in der Zwischenzeit selbst gerichtet und damit seine Schuld eingestanden. Er wurde heute Morgen in seiner Zelle tot aufgefunden.« Senbis Blick heftete sich auf Amunhotep und Hekaib, die mit auf dem Rücken gefesselten Händen vor seinem Richterstuhl knieten. »Als Beisitzer wurden durch mich folgende Würdenträger berufen, die über die Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu befinden haben.«
Er stellte jeden Einzelnen vor und fragte, ob Amunhotep oder Hekaib gegen einen der Beisitzer Einwände hätten.
Beide Angeklagten verneinten.
Es schien ihnen bewusst zu sein, dass ihr Urteil bereits feststand. Zudem konnten sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Ramses-Sethherchepeschef seinem Wesir bei der Wahl der Beisitzer hilfreich unter die Arme gegriffen hatte. Viele von ihnen verdankten dem Pharao ihr neues Amt.
Ramses-Sethherchepeschef hatte neben Prinz Chaemwaset den Dritten Propheten des Amun-Re als Vertreter des Königs der Götter in die Pflicht genommen. Diese Aufgabe wäre eigentlich den ersten beiden Gottesdienern zugekommen, doch beide waren mit Amunhotep verwandt. Der Hohepriester des Ptah und der des Re waren zugegen sowie eine Priesterin der Göttin Mut. Prinz Merenptah sowie der Oberste Richter von Theben, der Verwalter der königlichen Insignien, eine Dame des Hofes und der Leibarzt des Königs komplettierten die Reihe der Beisitzer. Diese zehn Menschen hatten über die Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu befinden.
»Hauptangeklagter ist Amunhotep, der seines Amtes enthobene Erste Prophet des Großen Gottes Osiris«, begann Senbi mit der Verlesung der Klageschrift. »Er wird beschuldigt, den Anschlag auf das Leben Seiner Majestät geplant und in Auftrag gegeben zu haben. Motiv für dieses abscheuliche Verbrechen ist Rache.
Angeklagt ist Hekaib, der neben seinen Pflichten als Osiris-Priester seinen Dienst als Haushofmeister des Hauptbeschuldigen Amunhotep verrichtet. Ihm wird zur Last gelegt, den Mörder gedungen zu haben.
Weiterhin war ein bereits mehrfach wegen Diebstahls verurteilter Dieb namens Eje an dem Komplott beteiligt. Er hat sich, nachdem er ein umfangreiches Geständnis abgelegt hatte, heute Nacht in seiner Zelle erhängt.«
Verwundert tauschten Amunhotep und Hekaib einen knappen Blick, während Senbi unbeirrt fortfuhr: »Dieser Eje hat ausgesagt, dass er von einem Mann wertvollen Schmuck erhalten hat. Dafür sollte er während der Beisetzung der Zweiten Prophetin des Osiris einen Felsbrocken den Abhang hinunterstürzen, um den Pharao zu töten. Auf die Frage, ob er den Namen des Mannes kennen würde, der ihm den Auftrag gab, verneinte er. Er gab aber zu Protokoll, dass es sich um den Hausverweser eines reichen und mächtigen Mannes gehandelt habe. – Schreiber, verlese den Anwesenden die Mitschrift des Verhörs.«
Der Beamte zu Füßen des Wesirs griff nach einem Papyrus und entrollte ihn. »Auf die Frage, ob der Mann einen Grund genannt habe, warum er den Mord an Seiner Majestät in Auftrag geben wollte, hat der Festgenommene Eje geantwortet: Ja, Herr. Er sprach davon, dass Seine Majestät seiner Gemahlin nachstellen würde und sie ihm nehmen wolle.
Frage des Beamten, der das Verhör geleitet hat: Er hat gesagt, dass der Herr der Beiden Länder ihm seine Gemahlin wegnehmen will? – Glaubst du wirklich, dass Seine Majestät so etwas tun würde?
Der Festgenommene hat das verneint.«
Der Schreiber sah von den Aufzeichnungen hoch, während sich Senbi Hekaib zuwandte.
»Stimmt es, was der Steinhauer ausgesagt hat!«
Amunhoteps Haushofmeister kniete zusammengesackt neben seinem Gebieter. Sein Rücken wies eindeutige Male des Verhörs auf. Vehement hatte er alle Anschuldigungen abgestritten, und er blieb auch jetzt bei seiner Aussage, nichts von alledem zu wissen oder etwas damit zu tun zu haben.
»Warum bist du so verstockt, Hekaib?«, tadelte Senbi ihn und schüttelte den Kopf. »Deine Schuld steht eindeutig fest. Du hast Ejes Aussage gehört. Er sprach davon, dass es sich um einen reichen und mächtigen Mann gehandelt hat, der behauptet, dass der Pharao ihm die Frau wegnehmen wolle. Mir will einfach niemand anderes als Amunhotep einfallen, der solchen Unfug immer behauptet hat. Natürlich auch seine Gemahlin, die aber nicht mehr unter uns weilt. Es stimmt doch, was ich sage, oder nicht?«
Es war unter den Beisitzern unruhig geworden. Nicht jedem schien bekannt zu sein, dass es zwischen Ramses-Sethherchepeschef und Amunhotep Spannungen gegeben hatte, deren Ursache Meritusir gewesen war.
Senbis drohender Blick ließ sie sofort verstummen.
»Dein Gebieter und Meritusir haben immer behauptet, Ramses-Sethherchepeschef wolle die Zweite Prophetin zu seiner Gemahlin machen«, wandte er sich wieder dem Haushofmeister zu. »Antworte mir, Hekaib!«
»Davon weiß ich nichts, Tjati«, erwiderte Hekaib und sah dem Wesir fest in die Augen. »Weder mein Gebieter noch meine Gebieterin haben je mit mir über solche Dinge geredet. Sie sind mir auch nie zu Ohren gekommen.«
»Das glaube ich dir nicht«, blaffte Senbi. »Meritusir ist Seiner Majestät stets aus dem Weg gegangen, und dass Amunhotep und er nicht gerade sonderlich miteinander befreundet sind, ist am ganzen Hof bekannt.«
»Ich diene aber nicht am Hof, sondern im Haus meines Gebieters in Abydos«, kam die schnippische Antwort des Hausverwesers. »Und selbst wenn deine Behauptung stimmen sollte, hätte mein Herr nie den Auftrag erteilt, den Pharao zu töten. So etwas würde er niemals tun.«
Senbi stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Treibe es nicht zu weit«, drohte er, »oder ich nehme dir die lästernde Zunge wegen Missachtung des hohen Gerichts!« Er musterte Hekaib verärgert und wandte sich Amunhotep zu. »Was hast du zu den Anschuldigungen zu sagen, die gegen dich vorgebracht worden sind?«
»Nichts, da ich unschuldig bin.«
»Du bist unschuldig«, wiederholte der Wesir seine Worte, während die Binse seines Schreibers flink über den Papyrus huschte, um sie festzuhalten. »Also bestreitest du, den Auftrag zur Ermordung des Königs gegeben zu haben?«
»Allerdings.«
»Dann erkläre mir und den Beisitzern, warum dieser Anschlag genau am Tage der Beisetzung deiner Gemahlin geschah!«
»Um ihn mir besser anlasten zu können?« Amunhotep lachte verächtlich auf. »Ich kann dir auf deine Frage keine Antwort geben. Befrage den, der das Attentat befahl. Ich war es nicht. Ich möchte dir aber eine Gegenfrage stellen: Warum sollte ich versucht haben, Seine Majestät zu töten? – Meine Gemahlin weilt nicht mehr unter uns. Sie ist zu den Göttern gegangen. Pharao kann nichts dafür, ich ebenso nicht und niemand sonst. Selbst wenn es stimmen sollte, dass ich Seine Majestät bezichtigt hätte, mir meine Frau nehmen zu wollen ... Dafür ist es nun zu spät! Sie ist für jeden unerreichbar geworden. Warum also sollte ich den Tod des Königs wünschen?«
»Weil du ihn abgrundtief hasst. Zudem, nicht du stellst hier die Fragen, sondern ich«, fuhr Senbi ihn an, und sein Blick verfinsterte sich.
»Sicher, du bist der Richter, ich der Angeklagte«, gab Amunhotep dem Wesir recht. »Wäre es aber nicht für die Urteilsfindung der Geschworenen vonnöten, wenn sie wüssten, warum ich es getan haben sollte? Denn Hass war es sicher nicht, Senbi, oder fällt dir kein besseres Motiv dazu ein?«
Amunhotep grinste seinem Ankläger frech ins Gesicht, und Senbi kochte vor Wut.
Es wurde ihm bewusst, dass Amunhotep kein Blatt mehr vor den Mund nehmen würde. Dem ehemaligen Hohepriester schien klar zu sein, dass man ihn zum Tode verurteilen würde. Es gab für ihn keinerlei Grund mehr, ihn, den mächtigsten Mann nach dem Pharao, mit Respekt zu behandeln.
Verärgert knirschte er mit den Zähnen.
»Du kannst viel behaupten, Amunhotep«, blaffte er zurück. »Egal, ob es Hass oder Wut über den unerwarteten Verlust deiner Gemahlin waren, deren plötzliches Verschwinden bisher ebenfalls noch ungeklärt ist ... Wir sind hier zusammengekommen, um die Frage zu klären, ob du den Auftrag gabst, den Pharao zu töten! Einer muss es getan haben. Von alleine ist Eje nicht auf diesen Einfall gekommen. Seine Aussage belastet dich schwer.«
»Schade, dass er nicht mehr am Leben ist«, meinte Amunhotep und erinnerte sich an eine Bemerkung von Meritusir, die sie ein paar Jahre zuvor zu Ramses gesprochen hatte.
Damals war der Bauplan der Sarkophagkammer in Theben aufgetaucht, und Ramses hatte ihnen mitgeteilt, dass der vermeintliche Zeuge auf seinem Heimweg überfallen und getötet worden war ...
Er schmunzelte und sah zu Senbi auf. »Vor allem sehr praktisch«, wiederholte er ihre Worte, und der Wesir schnappte nach Luft.
»Was soll das heißen?«, empörte er sich. Sein Gesicht war inzwischen dunkelrot angelaufen.
»Du weißt, was ich damit sagen will. Aber egal, dieser Mann wird dadurch nicht wieder lebendig.« Amunhotep seufzte leise. »Ich denke, das Urteil über mich ist bereits gefällt. Diese Verhandlung ist nur da, um den Schein der Rechtmäßigkeit zu wahren. Es ist alles nur ein Vorwand, um gegen mich das Todesurteil zu sprechen! Warum aber muss mein Hausverweser mit in diese Sache hineingezogen werden?«
Senbi ballte die Fäuste, während die Beisitzer verstört die Luft anhielten.
Chaemwaset und Nachtanch sowie der Dritte Prophet des Amun-Re gaben Amunhotep in ihrem Innersten recht. Selbst Ramose schaute betreten vor sich hin und wagte nicht, Amunhotep ins Gesicht zu sehen, wohingegen sich einige andere über diese Beschuldigung zu empören begannen. Einzig Ptahhotep grinste amüsiert.
»Du bist dreist, Amunhotep!«, stellte Senbi fest. »Du unterstellst dem Gericht, dass es nicht im Sinne der Maat richtet. Das ist ein schweres Vergehen. Es ist jedoch nicht ungewöhnlich«, wandte er sich seinen Beisitzern zu, »dass die Angeklagten ihre Schuld vehement bestreiten. Wir haben die belastende Aussage des Eje vernommen. Zudem ist sein Selbstmord Eingeständnis genug. Ich glaube somit, dass die Schuldfrage eindeutig geklärt sein dürfte. Es ist völlig einerlei, welcher Dämon von Amunhoteps Herzen Besitz ergriffen hat. War es Hass oder Zorn? Wer weiß das schon. Es zählt einzig und allein die Tatsache, dass er sich von seinen niederen Gefühlen leiten ließ, ein hinterhältiges Attentat auf Seine Majestät in Auftrag zu geben. Hinzu kommt, dass er zwei weitere Menschen mit in diese schreckliche Sache verwickelt hat. Befinden sich die Beisitzer in der Lage, ein Urteil zu fällen?«
Unbehaglich rutschten die Befragten auf ihren Hockern hin und her. Nur zögernd erfolgte ihr Nicken. Um die Wankelmütigen zu überzeugen, schenkte Senbi ihnen einen strengen Blick, der einige bedeutend eifriger nicken ließ. Dennoch waren nicht alle eingeschüchtert.
Der Oberste Richter Thebens und Prinz Merenptah stimmten für unschuldig. Diesem Urteil schlossen sich Prinz Chaemwaset und sein Amtskollege, der dritte Amun-Prophet, an. Die anderen sechs Beisitzer hingegen befanden sowohl Amunhotep als auch seinen Haushofmeister für schuldig im Sinne der Anklage und forderten ihren Tod.
Der Wesir stimmte ihnen zu und ordnete an, dass die Leiber in die westliche Wüste geschafft werden sollten, wo sich die Raubtiere um sie kümmern würden. Zudem sollten die Namen der Verurteilten aus allen Inschriften und Dokumenten getilgt werden.
Doch es kam noch schlimmer.
»Seine Majestät ist aufgebracht und zornig«, fuhr Senbi fort, »dass ihr euch an seiner göttlichen Person vergehen wolltet. Er befahl mir, die volle Härte des Gesetzes auszuschöpfen, damit es zukünftig jeden anderen davon abhalten wird, die Hand gegen den Herrn der Beiden Länder zu erheben.«
Er sah von einem Angeklagten zum anderen, und sein Blick verweilte auf Hekaib. »Aus diesem Grund werden deine Frau und deine Kinder zu lebenslanger Zwangsarbeit und Leibeigenschaft im Dienste des Pharaos verurteilt. Sie sollen auf die Güter des Landes verteilt werden, auf dass sie sich nie mehr wiedersehen. Nach ihrem natürlichen Tod werden auch ihre Leiber der Zerstörung preisgegeben, sodass die Götter sie nicht finden können.«
Gequält heulte Hekaib auf und sackte in sich zusammen.
»Und nun zu dir, Amunhotep«, fuhr Senbi fort. »Du bist der schlimmste Frevler. Dein Herz ist vergiftet von den bösen Dämonen, die von ihm Besitz ergriffen haben. Du gabst den Befehl, den lebenden Horus zu töten. Allein deine Macht und dein Reichtum brachte über andere Menschen Unglück und Leid. Verblendet von seinem Gehorsam dir gegenüber, verging sich dein Haushofmeister an Seiner Majestät. Geblendet von deinem Gold ließ Eje den Felsbrocken ins Tal stürzen, der um ein Haar den Pharao getötet hätte. Das sind die Gründe, warum deine Familie die härteste Strafe ereilen wird.«
Senbi straffte die Rückenmuskeln und saß schnurgerade auf seinem Stuhl. Es freute ihn ungemein, dass er Amunhotep seine Macht vor Augen führen konnte. Er hatte es nicht geschafft, sich an Meritusir zu rächen. Sollten ihr Mann und ihr Bastard nun dafür leiden.
»Im Jahr eins, am einundzwanzigsten Tag des dritten Monats der Überschwemmung, unter der Herrschaft Seiner Majestät, der von der Biene und von der Binse, Usermaatre Achenamun Ramses-Sethherchepeschef Meriamun, dem es gewährt sein möge, wie sein Vater Re ewig zu leben, und im Namen der Göttin Maat ergeht folgendes Urteil.
Usirhotep, der Sohn des Hauptbeklagten und für schuldig befundenen Amunhotep wird zum Tode verurteilt. Sein Körper soll den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen werden, sein Name und seine Bildnisse werden getilgt, damit er niemals von den Göttern gefunden wird.
Alle Urteile werden durch mich dem Pharao zur Bestätigung vorgelegt. Erst dann sind sie rechtsgültig und dürfen vollstreckt werden.«
Entsetztes Raunen wehte durch den Saal, durch das Amunhoteps gequälter Aufschrei klang.
»Du Wahnsinniger!«, brüllte er und sprang auf die Beine. Weit kam er nicht. Sofort waren zwei Soldaten an seiner Seite und zwangen ihn erneut vor dem Wesir auf die Knie. »Du vergehst dich an einem Kind! Mein Sohn ist erst fünf Jahre alt. Selbst wenn ich mit all dem etwas zu tun hätte, so ist er durch sein Alter von jeglicher Schuld befreit.«
»Schweig, Amunhotep!«, donnerte Senbi. »Usirhotep ist dein Sohn. Er ist ein Teil von dir. Und da du zu solch abscheulichen Taten fähig bist, kann niemand ausschließen, dass er es nicht auch sein wird, wenn er erst einmal alt genug ist.« Senbi ballte die Fäuste und atmete schwer. »Es wird niemand Hand an ihn legen. Genau wie dir erspare ich ihm die Schande der öffentlichen Hinrichtung. Du bekommst drei Tage Frist, das Urteil selbst zu vollstrecken. In dieser Zeit werdet ihr beide in einer kleinen Zelle im Bereich des Palastes untergebracht werden, wo dir, entsprechend deinem ehemaligen Rang, alle Annehmlichkeiten in Bezug auf Speisen und Trank zugestanden werden. Doch nach Ablauf dieser Frist wirst du das Urteil an dir und deinem Sohn vollstrecken oder die Soldaten Seiner Majestät werden es tun!«
»Du willst mich zwingen, meinen eigenen Sohn zu töten?« Amunhotep war rasend vor Wut und Schmerz.
»Entscheide dich, wie du willst, Amunhotep, aber bevor Re am Abend des dritten Tages von Nut verschluckt wird, werdet ihr beide sterben! Die Verhandlung ist beendet. Die Gefangenen werden bis zur Bestätigung der Urteile durch den Pharao in ihre Zellen zurückgebracht.«
Senbi umfasste seinen Amtsstab und klopfte dreimal auf den gefliesten Boden, während kräftige Hände die beiden Verurteilen packten, um sie aus dem Saal zu zerren.
* * *
Noch am selben Tag begab sich der nach Theben geeilte Netnebu zum Palast des Königs und bat um eine Audienz, die ihm der Pharao gewährte.
»Bitte, Majestät«, flehte der Dritte Prophet des Großen Gottes Osiris, »du darfst diese Urteile nicht unterzeichnen. Amunhotep hätte niemals gewagt, die Hand gegen dich zu erheben. Er ist ein gehorsamer und treuer Untertan Deiner Majestät. Er hat auch nicht seine Gemahlin getötet. Du weißt, wer sie war. Das hast du mir bei unserem Gespräch in Abydos selbst gesagt«, versuchte er den Herrscher umzustimmen.
Ramses-Sethherchepeschef nickte bedächtig. »Ich weiß, was damals gesprochen wurde.«
Erleichtert atmete Netnebu auf. »Dann bitte ich dich, Majestät, wende das harte Urteil von Amunhotep, seinem Sohn und seinem Hausverweser ab.«
»Es ist bereits von mir unterschrieben worden«, entgegnete Ramses-Sethherchepeschef, und Netnebu erblasste.
»Majestät, du bist der Herr der Beiden Länder. In deiner Macht steht es, hart zu strafen, aber auch Gnade walten zu lassen. Nimm die Urteile zurück oder mildere sie wenigstens ab.«
»Mit welcher Begründung sollte ich das tun?«
»Du bist niemandem eine Begründung schuldig, Majestät. Du bist der lebende Gott. Was du tust und sagst, ist richtig. Niemand wird sich dagegen auflehnen.«
»Das stimmt nicht ganz, Netnebu. Ich bin den Göttern Rechenschaft schuldig. Sie richten über mich, so wie ich über euch Sterbliche richte. Niemand entgeht seiner gerechten Strafe. Deshalb kann ich deinen Freund nicht begnadigen. Er ist schuldig, den feigen Anschlag auf das Leben Meiner Majestät befohlen zu haben.«
Dem Osiris-Priester stockte der Atem. Er glaubte nicht, was er soeben gehört hatte. Was veranlasste den Pharao anzunehmen, Amunhotep hätte ihn töten wollen? Zudem fragte er sich, ob sich Sethi in die Hand eines Gottes begeben hatte. Er sprach von Rechenschaft den Ewigwährenden gegenüber und von gerechter Strafe. Amunhotep war unschuldig. Das stand für Netnebu außer Frage. Und selbst wenn er sich über all die Jahre in der Ehrbarkeit seines Freundes getäuscht haben sollte, so durfte dessen Sohn nicht mit dem Tode bestraft werden.
Ihn fröstelte.
»Majestät«, wagte er verzweifelt einzuwenden, »warum sollte er das getan haben?«
»Weil er wütend auf mich ist, dass ich ihm seine Gemahlin nehmen wollte.«
»Meritusir ist zu den Göttern zurückgekehrt«, erinnerte Netnebu den Pharao. »Es ist völlig egal, ob du sie begehrt hast oder nicht. Sie ist fort. Ihre Zeit auf Erden ist abgelaufen. Das ist dir bekannt.«
»Ach ja?«
Netnebu hob verwundert die Brauen. »Du hast in Abydos gesagt, dass auch du das glaubst. Deshalb wolltest du Amunhotep nicht bestrafen. Er ist nur aus Liebe seiner Gemahlin gefolgt. Auch versprachst du mir, dass du dich nicht an ihm rächen wirst, nachdem du nun wüsstest, dass Meritusir eine Gesandte der Götter ist. Bitte vergiss das nicht. Berücksichtige es bei deiner Urteilsfindung«, gemahnte er den König, der verschlagen grinste.
»Das hat mit alledem überhaupt nichts zu tun. Amunhotep wurde wegen des Attentats auf meine Person verurteilt und nicht, weil Meritusir verschwunden oder er ihr gefolgt ist. Das Urteil über ihn wurde gesprochen und von mir bestätigt. Ich entsinne mich, was damals in Abydos gesprochen wurde, Netnebu. Erinnerst du dich an das Versprechen, das ich dir gab?«
Verwirrt sah Netnebu zum Pharao. »Wovon sprichst du, Majestät?«
»Ich sicherte dir zu«, half Ramses-Sethherchepeschef Netnebus Erinnerung auf die Sprünge, »dass nie jemand von unserer Unterredung erfahren würde. Sie hat überhaupt nicht stattgefunden ... genau wie jene, die wir gerade führen.« Er schmunzelte über den entsetzten Gesichtsausdruck des Osiris-Priesters und fügte hinzu: »Und ich pflege, mich an meine Versprechen zu halten.«
Der Dritte Prophet stand wie von einem Blitz des Großen Gottes Seth gerührt und konnte sich nicht bewegen. Er glaubte, seine Ohren hätten ihm soeben einen Streich gespielt, doch des Pharaos verschlagene Miene bestätigte das Gehörte.
»Majestät ...«, hauchte er und war unfähig, weiterzusprechen.
»Ich habe noch eine erfreuliche Nachricht für dich«, wechselte Ramses-Sethherchepeschef das Thema. Er griff neben sich, um die Schriftrolle, den Ring und den Amtsstab zu nehmen, die auf dem Tisch zu seiner Rechten lagen. »Ich ernenne dich vom heutigen Tage an zum Zweiten Propheten des Großen Gottes Osiris.«
Er drückte dem bestürzten Netnebu alles in die Hand und entließ ihn mit einer Kopfbewegung.