ZWANZIG

 

 

 

 

 

 

 

Der königliche Tross aus prachtvollen Barken und Versorgungsschiffen erreichte am letzten Tag der Aussaat die heilige Stadt des Totengottes.

Überrascht stellte Ramses-Sethherchepeschef fest, dass ihn weder Amunhotep noch Meritusir am Ufer begrüßten, sondern ihm nur der Dritte Prophet am Tempelanleger von Abydos entgegentrat.

»Es ist der gesamten Priesterschaft des Großen Gottes Osiris eine Ehre, dass du uns mit deiner Anwesenheit beehrst, Majestät.« Ehrerbietig verneigte sich Netnebu tief vor dem Pharao, nachdem dieser seinen Untertanen erlaubt hatte, sich wieder zu erheben.

Geschmeichelt lächelte Ramses-Sethherchepeschef. »Auch ich freue mich, wieder in der heiligen Stadt des Osiris zu sein.« Sein Blick schweifte über die versammelten Priester, doch er konnte weder den Hohepriester noch die Zweite Prophetin erblicken. »Warum werde ich nicht von Amunhotep begrüßt?« Seine Stimme klang betont freundlich, doch Netnebu entging nicht der drohende Unterton.

»Verzeih, Majestät, der Hohepriester und seine Gemahlin begaben sich einen Tag, nachdem deine Nachricht uns erreichte, auf eine Reise, die sie schon lange geplant hatten. Ich soll dir von ihnen ausrichten, dass es ihnen unsagbar leid tut, dass sie nicht persönlich anwesend sein können, um dich zu begrüßen. Sie hatten mit Deiner Majestät erst in gut einem Monat gerechnet. Deshalb hatten sie reinen Gewissens der Priesterschaft in Edfu schon vor Monaten versprochen, am Fest zu Ehren des Horus teilzunehmen.«

Ramses-Sethherchepeschefs Blick verfinsterte sich. »Und das soll ich dir glauben?«

Verständnislosigkeit heuchelnd sah der Dritte Prophet den König an. »Zweifelst du am Wahrheitsgehalt meiner Worte, Majestät?«, wagte er mit Unschuldsmiene zu erwidern und erntete einen strengen Blick.

»Es wird sich zeigen, ob du die Wahrheit gesprochen hast.«

Ramses-Sethherchepeschef wandte sich von Netnebu ab und schritt dem Tempel in Begleitung seiner Großen Königlichen Gemahlin entgegen, die spöttisch lächelte.

»Na, Sethi?«, wisperte sie. »Deine geliebte Meritusir scheint geahnt zu haben, was du vorhast, und ist rechtzeitig mit ihrem Gemahl verschwunden.« Sie kicherte leise.

»Schweig!«, zischte Ramses-Sethherchepeschef und warf Bintanat einen drohenden Blick aus den Augenwinkeln zu.

Sie hatten den Eingangspylon erreicht und traten auf den Vorhof.

Ramses-Sethherchepeschef warf sich vor der Statue des Gottes in den Staub und betete. Anschließend begab er sich in seinen Palast und befahl Netnebu zu sich.

»Ich gedenke, morgen das erste Ritual des Tages durchzuführen«, eröffnete er ihm. »Hinterher werde ich mich in das Heiligtum meines Bruders begeben, um seinem göttlichen Ka ein Opfer darzubringen.« Er musterte den Dritten Propheten, der ergeben nickte. »Wie weit sind die Arbeiten am Tempel der Millionen Jahre meines Vorgängers gediehen? Ist alles fertig, so wie es Amunhotep meinem Wesir versprochen hat?«

»Nein, Majestät«, erwiderte Netnebu kleinlaut und senkte verlegen den Blick. »Wie ich bereits sagte, haben wir dich und dein Gefolge erst in gut einem Monat erwartet. Dennoch sind wir hocherfreut, dass du uns schon heute mit deiner Anwesenheit beehrst.«

»Das will ich für euch auch hoffen«, knurrte Ramses-Sethherchepeschef und warf Netnebu einen flammenden Blick aus seinen mit Kohol umrandeten Augen zu. »Wie weit seid ihr mit dem Bauvorhaben?«

»Das Haus der Ewigkeit wurde verschlossen, und die Statue des Gottes steht an ihrem Platz. Es sind alle Säulen bis hinauf zur Decke aufgeschichtet. Einzig das Dach wurde noch nicht geschlossen.«

»Also könnte man sagen, dass es im Inneren nicht mehr wie auf einer Baustelle aussieht, wenn man das Loch in der Decke vergisst?«

»Ja, Majestät. Alles wurde aufgeräumt, gesäubert und mit dem Wasser aus dem Heiligen Becken besprengt.«

»Dann befehle ich, die Öffnung in der Decke mit Stoffbahnen oder Palmwedeln zu verschließen, damit ich morgen zumindest den Eindruck habe, ich würde mich im geheimsten Teil eines Heiligtums befinden!«

»Es wird alles so geschehen, wie du es befiehlst.«

Aufmerksam musterte Ramses-Sethherchepeschef Netnebu. »Wurde im Gau Abydos noch nicht mit der Ernte begonnen? Ich konnte während meiner Fahrt nicht einen gebeugten Rücken auf den Feldern des Gottes sehen.«

»Das ist richtig, Majestät. Als wir erfuhren, dass du unsere Stadt und das Heiligtum besuchen willst, haben wir gewartet, damit du symbolisch den Schnitt der ersten Ähre vornehmen und den Göttern ein Opfer darbringen kannst. Dann können wir auch im kommenden Jahr mit einer solch guten Ernte rechnen, wie sie in diesem ausfallen wird.«

»Meinetwegen, ich werde es tun.« Geschmeichelt lächelte Ramses-Sethherchepeschef. »Morgen ist der erste Tag des ersten Monats der Ernte. Nach der Opferzeremonie im Tempel meines vergöttlichten Bruders werde ich eigenhändig die erste Ähre schneiden und sie dem Gott Min darbringen. Bereite alles dafür vor!«

»Danke, Majestät, du bist zu gütig.« Netnebu verneigte sich tief vor Ramses-Sethherchepeschef und wartete auf seine Entlassung, doch der Herrscher dachte nicht daran.

»Und nun sage mir, wo die beiden obersten Propheten wirklich sind!«

Verstört sah Netnebu hoch. »Das habe ich dir doch schon erzählt, Majestät.«

»Ich will die Wahrheit von dir hören, Netnebu. Oder würdest du es beschwören, dass Amunhotep und Meritusir zum Fest des Horus nach Edfu gefahren sind?« Aufmerksam taxierte Ramses-Sethherchepeschef Netnebu, und es entging ich nicht, dass dieser blass wurde und seinem Blick auswich. »Überlege dir gut, was du antwortest, und denke über die Folgen einer Lüge nach.«

Das Herz des Dritten Propheten begann zu rasen, während sich seine Gedanken überschlugen.

Was sollte er tun? Amunhotep und Meritusir waren seine Freunde. Zudem hatte er versprochen, dem Pharao einleuchtend zu erklären, dass die beiden dringend verreisen mussten. Ramses-Sethherchepeschef hatte ihn jedoch durchschaut. Netnebu wusste nicht, ob er für seine Freundschaft einen Meineid auf sich nehmen konnte oder lieber doch die Wahrheit sprechen sollte.

»Was ist los, Netnebu? Fällt dir die Entscheidung so schwer?« Der König lächelte vor sich hin. »Wenn es dir bei deiner Entscheidung hilft, sollst du wissen, dass mir inzwischen bekannt ist, wer Meritusir wirklich ist und was die kleine Tätowierung auf ihrem linken Arm für eine Bedeutung hat. – Bist du darüber überrascht?«, fragte er, denn der Dritte Prophet sah ihn erstaunt an. »Ja, Netnebu, ich bin nicht mehr der unwissende Prinz. Ich bin nun der allwissende Pharao. Es gibt keine Geheimnisse mehr, die hinter hohen dicken Tempelmauern vor mir gehütet werden müssen. Macht dir das deine Entscheidung leichter?«

Der Dritte Prophet schloss kurz die Augen und bat Amunhotep und Meritusir, ihm seine Schwäche zu vergeben. Dann öffnete er sie wieder und sah dem Pharao entschlossen ins Gesicht.

»Ich kann diesen Schwur nicht leisten, Majestät, weil es ein Meineid wäre.« Beschämt wandte er den Blick von Ramses-Sethherchepeschef und starrte hinter ihm an die Wand, wo nach der Krönung des neuen Herrschers die Thronnamen in den Kartuschen geändert worden waren.

»Dann sage mir, wo sie sich befinden. Ich gebe dir mein königliches Ehrenwort, dass niemand je etwas über dieses Gespräch erfahren wird. Es hat nie stattgefunden. Also werden auch Meritusir und Amunhotep nie erfahren, dass du es mir erzählt hast.«

Netnebu zögerte noch einen Moment. Was, wenn er beharrlich schweigen würde? Er hatte den beiden Freunden sein Wort gegeben. Auf der anderen Seite, was sollte schon geschehen? Das Priesterpaar hatte einen Vorsprung von ein paar Tagen. Sicher wäre Meritusir bereits zu den Göttern zurückgekehrt, bevor des Pharaos Männer sie erreichen würde.

Er räusperte sich und berichtete wahrheitsgetreu, was sich nach dem Eintreffen der Botschaft zugetragen hatte.

»Und du glaubst wirklich, dass die Zweite Prophetin wieder zu den Göttern befohlen wurde?«, fragte Ramses-Sethherchepeschef.

»Ja, Majestät. Anderenfalls hätte sie den Tempel und ihre Familie nie verlassen.«

Der Pharao schmunzelte. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass dir Amunhotep und Meritusir das alles nur vorgespielt haben könnten? Vielleicht wollten sie, dass du glaubst, sie müsste gehen. Vielleicht sind die beiden geflohen, als sie hörten, dass ich nach Abydos komme. Immerhin gaben sie am Abend zuvor ein Fest, welches man als Abschiedsfest betrachten könnte.«

Verblüfft starrte der Dritte Prophet zum Pharao. »Warum sollten sie das tun?«

»Aber, Netnebu. Du bist doch Amunhoteps Freund. Sicher wirst du wissen, dass der Hohepriester und ich uns nicht sehr gut leiden können, weil wir beide dieselbe Frau begehren. Meritusir hat zudem stets und ständig herumerzählt, dass ich sie noch immer lieben würde und zur Gemahlin wolle.« Er machte eine kurze Pause und musterte den Priester, der ihm interessiert zuhörte. »Ehrlich gestanden hat sie damit sogar recht. Für mich sieht es demnach eher nach einer geplanten Flucht aus. Oder siehst du das anders?«

»Ich weiß es nicht, Majestät, doch glaube ich es nicht. Meritusirs Aufgabe ist in Abydos beendet. Nun kehrt sie zum Großen Gott Osiris zurück.«

»Hat sie das so zu dir gesagt?«

»Nein, Majestät. Sie sagte nur, dass sie dringend verreisen müsste, doch ihre letzten Worte waren: Ich muss gehen.«

»Das sagt noch gar nichts, Netnebu, aber vielleicht hast du recht.« Grübelnd massierte sich Ramses-Sethherchepeschef die Nasenwurzel. »Vielleicht ist Meritusir zu Osiris zurückgekehrt. Wir werden es erfahren, wenn wir Amunhotep gefunden haben. Finde ich allerdings beide, steht fest, dass sie zusammen geflohen sind, denn sie haben ihren Sohn mitgenommen, obwohl er sonst immer in deiner Obhut in Abydos bleibt, wenn die beiden auswärts beschäftigt sind.«

»Usirhotep befindet sich in Theben bei Nesamun«, erwiderte Netnebu kleinlaut und sprach in Gedanken ein kurzes Gebet, dass er damit keinen Fehler begangen hatte.

»In Opet-sut also ...« Ramses-Sethherchepeschef schmunzelte innerlich. Allmählich erfuhr er von Netnebu alles, was er wissen wollte. »Ich werde es nachprüfen, doch nun gehe und bereite alles für die kommenden Tage vor. Ich gedenke, in einer Woche meine Reise in den Süden fortzusetzen. Bis dahin werde ich mich in den Tempel zurückziehen, um zu Osiris zu beten und ihm Opfer darzubringen.«

»Ich bitte dich inständig, verurteile Amunhotep nicht, nur weil er seiner Gemahlin auf ihrer letzten Reise gefolgt ist, und ...« Netnebu schluckte hörbar und nahm all seinen Mut zusammen. »... und bitte, Majestät, räche dich nicht an ihm, weil Meritusir nun für dich unerreichbar ist.«

»Keine Angst, Netnebu. Was denkst du von mir? Ich bin der Pharao, der Wächter der Maat.«

Hoffentlich!, dachte Netnebu, hielt aber den Mund.

Er machte seinen Kniefall und begab sich innerlich aufgewühlt in sein Haus. Seinem Hausverweser befahl er, niemanden vorzulassen. Er wollte ungestört sein, um nachdenken zu können.

Die Worte des Pharaos gingen ihm nicht aus dem Sinn. Er konnte nicht glauben, dass Amunhotep und Meritusir geflohen waren, obwohl Ramses-Sethherchepeschefs Begründungen einleuchtend waren.

Tags zuvor hatte er die Einladung in das Haus seines Freundes erhalten, und freudig hatten er und seine Gemahlin zugesagt. Zudem hatte Amunhotep darum gebeten, dass er seinen jüngsten Sohn mitbringen solle, damit es Usirhotep nicht so langweilig werde würde.

Das war sicherlich nicht ungewöhnlich und kam öfter vor. Gestern Abend jedoch hatte Meritusir mehr als einmal Erlebnisse aus der Vergangenheit angesprochen, sie hatte regelrecht in ihren Erinnerungen geschwelgt. Netnebu war es fast so erschienen, als ginge sie ihr Leben in den Beiden Ländern noch einmal gedanklich durch. Von ihrer Abreise allerdings hatte sie kein Sterbenswörtchen gesagt – nicht einmal Amunhotep schien davon gewusst zu haben. Oder gehörte das alles tatsächlich zu ihrem Plan?

Schnell verwarf er diesen Gedanken. Amunhotep und Meritusir waren seine Freunde. Er konnte und wollte einfach nicht glauben, dass sie ihn so hintergangen hatten. Außerdem hatte selbst Ramses-Sethherchepeschef die Möglichkeit eingeräumt, dass es keine Flucht sein könne. Und er hatte eingestanden, noch immer in Meritusir verliebt zu sein, ein Umstand, der Netnebu zwar vage bekannt war, den er aber nie wirklich hatte glauben wollen.

Er erhob sich von seinem Stuhl, ging zu dem kleinen Schrein in der Ecke des Zimmers und öffnete ihn. Dann kniete er nieder und begann, für die beiden Priester und ihren Sohn zu beten.

Ramses-Sethherchepeschef hingegen ließ sofort den Oberst seiner Leibwache kommen und befahl ihm, dass Prinz Merenptah den beiden flüchtigen Priestern auf einem Schnellsegler folgen sollte, um sie gefangen zu nehmen.

 

* * *

 

Unter dem Gefolge des Pharaos befand sich auch Prinz Prehi, der sich darauf freute, seinen Halbbruder Chaemwaset in Theben wiederzusehen.

Als der Nomarch von der Ankunft des Königs in der südlichen Königsstadt erfuhr, lud er Prehi und dessen Gemahlin zu einem gemütlichen Abend ein. Nach dem gemeinsamen Essen zogen sich die beiden Männer in Chaemwasets Arbeitszimmer zurück, um sich ungestört unterhalten zu können. Es gab Dinge, über die Prehi mit seinem Halbbruder unter vier Augen sprechen musste.

»Was ist los, Prehi?«, hob der ältere der beiden Brüder an, nachdem sich die Tür hinter einer Dienerin geschlossen hatte. »Es scheint mir so, als seiest du bedrückt.«

Prehi nickte. »Das bin ich auch, Chaemwaset.« Er nahm eine dunkle Traube und betrachtete sie von allen Seiten, bevor er sie sich in den Mund schob. »Seit Sethis Thronbesteigung muss ich immer wieder an die Worte der Zweiten Prophetin des Osiris denken. Sie sprach sie, nachdem wir die schreckliche Nachricht erhalten hatten, dass unser Bruder zu den Göttern gegangen ist.« Er griff nach einer weiteren Traube, während sein Blick zu Chaemwaset wanderte, der ihn fragend ansah. »Meritusir stellte die Behauptung auf, dass Ramses ermordet worden sei, wofür sie einen Tadel von mir erhielt, doch irgendwie kann ich ihre Worte nicht vergessen. Was ist, wenn sie tatsächlich recht hat?«

»Du meinst, Ramses wurde ermordet?« Chaemwaset war entsetzt und bestürzt zugleich. »Es ist gefährlich, was du da sagst. – Wer sollte diese frevelhafte Tat begangen haben?« Betroffen fuhr er sich übers Gesicht. »Ich habe nach Ramses’ Tod mit Irinefer gesprochen. Er hat mir bestätigt, dass der Kampf bereits zu Ende war. Ramses ist zu ihm auf den Wagen gestiegen. Seine Leibwache hat ihn dicht umringt. Zugegeben, auch mir ist es bis heute ein Rätsel, wie sich ein feindlicher Krieger so nah an Ramses heranschleichen konnte, ohne dass die Getreuen es bemerkt haben. Dass er aber ermordet wurde, kann ich nicht glauben.«

»Und warum nicht?«

»Weil niemand es wagen würde, die Hand gegen den lebenden Horus zu erheben. Ich war in diesem Kampf dabei, Prehi. Durch den aufgewirbelten Staub konnte man die Hand nicht vor Augen sehen. Auch wenn ich gerade sagte, dass es mir unbegreiflich erscheint, wie sich ein feindlicher Krieger an Ramses heranpirschen konnte, wahrscheinlich war es so. Die Getreuen haben ihn nicht bemerkt.«

»Aber nur vielleicht, und das lässt mich nicht ruhen. Was ist, wenn sich unter Ramses’ Männern ein Verräter befunden hat? Ich habe mit Merenptah gesprochen. Ich wollte von ihm wissen, ob neue Krieger in Pharaos Leibgarde aufgenommen wurden. Er erzählte mir, dass es tatsächlich zwei Männer gab. Sie wurden drei Monate, bevor es zum Krieg gekommen ist, wegen ihrer Tapferkeit und ihres Wagemuts Ramses’ Getreuen zugeteilt.«

»Hast du mit ihnen gesprochen?«, fragte Chaemwaset, dessen Misstrauen geweckt war.

»Nein. Sie haben nach der Thronbesteigung unseres Onkels den Dienst quittiert und sind spurlos verschwunden. Ich habe leider zu spät erfahren, dass es die beiden gibt.«

»Waren es fremdländische Söldner?«

»Ja«, erwiderte Prehi. »Das ist aber nicht ungewöhnlich, wie du weißt. Die meisten Getreuen stammen aus den Fremdländern, doch dass genau diese beiden Krieger nicht mehr auffindbar sind und gleich nach Sethis Thronbesteigung ihren so begehrten Posten aufgegeben haben, gibt mir zu denken.«

»Vielleicht wollten sie nicht unserem Onkel dienen«, gab Chaemwaset zu bedenken.

Prehi widersprach seiner Annahme. »Und warum sind sie fort? Jeder Söldner, der aus Pharaos Leibgarde ausscheidet, erhält Land, Diener und Kriegsgefangene. Damit zeigt der König ihm seinen Dank für seine Dienste. Das gilt auch für einen neuen Herrscher, der die Leibwache des zu den Göttern gegangenen Königs auflöst, wenn er derer nicht mehr bedarf. Warum also sind diese beiden Männer spurlos verschwunden?«

»Das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht gefiel es ihnen nicht in den Beiden Ländern, und sie wollten in ihre Heimat zurück. Es beweist noch lange nicht, dass unser Bruder ermordet wurde, auch wenn eine Priesterin das meint.« Nachdenklich starrte Chaemwaset vor sich auf den Tisch, wo neben einer Schale mit Obst ein Krug Bier und zwei Trinkschalen standen. »Möchtest du?« Er griff nach dem Bier und wollte Prehi einschenken, doch dieser lehnte ab. Also zog es auch Chaemwaset vor, sich zu enthalten.

»Du weißt noch nicht alles«, fuhr Prehi fort und senkte den Blick. »Meritusir verdächtigte unseren Onkel, den Thron an sich reißen zu wollen. Sie beschwor Hori, umgehend nach Per-Ramses zurückzukehren, doch unser Neffe lehnte ab.«

»Das ist doch Unfug«, entrüstete sich Chaemwaset. »Selbst wenn Sethi vorgehabt hätte, den Thron zu besteigen. Woher hätte er ahnen sollen, dass Hori von einem Tier angefallen und getötet wird? Oder willst du behaupten, dass er auch damit etwas zu tun haben könnte?«

Prehi verneinte. »Das sicher nicht. Das war ein tragischer Unfall. Aber Sethi könnte darauf spekuliert haben, dass Hori es nicht rechtzeitig schafft, in Abydos zur Beisetzung seines Vaters zu erscheinen. Und wahrscheinlich hätte er es auch nicht geschafft. Erst als Sethherchepeschefs Botschaft kam, dass er gedachte, sofort nach der Trauerzeit aufzubrechen, ließ sich Hori dazu bewegen, ebenfalls in den Süden zu segeln ...« Eindringlich ruhte Prehis Blick auf Chaemwaset. »Doch wie du weißt, hatte unser Onkel gelogen. Er schrieb, dass er nicht vor Ende des dritten Monats der Überschwemmung Ramses’ Mumie in sein Westliches Haus bringen würde, doch das Ritual der Mundöffnung fand bedeutend früher statt. Du selbst warst dabei.«

Chaemwaset nickte bedächtig. »Auch ich wäre um ein Haar zu spät in Abydos erschienen. Sethi ließ mir eine Nachricht zukommen, in der er mir befahl, sofort nach Buhen aufzubrechen, um mich über die Lage in unseren südlichen Landesteilen zu informieren.« Nachdenklich spielte er mit dem Ring an seiner rechten Hand. »Die Beisetzung sollte in der Tat später stattfinden. So schnell, wie Sethi mit dem Trauergefolge nach Abydos gereist ist, hätte ich es eigentlich niemals schaffen dürfen. Es gelang nur, weil die Überschwemmung länger als sonst gedauert hat. Dank der starken Strömung kehrte ich schnell nach Theben zurück.«

»Schneller, als unserem Onkel lieb gewesen sein dürfte, denn du hast Abydos am Morgen der Beisetzung erreicht.« Prehi machte eine Pause und musterte seinen Bruder. »Seit jenem Morgen frage ich mich allerdings, warum du Sethi nicht daran gehindert hast, die Mundöffnung vorzunehmen. Warum, Chaemwaset?«

Genervt verdrehte der Nomarch des thebanischen Gaus die Augen. »Bitte, Prehi! Bin ich jedem Rechenschaft über mein Handeln schuldig? – Nubchesbed, Nehi, Nesamun, Bakenwerel, meinen Söhnen ... und nun auch noch dir? – Was hättet ihr an meiner Stelle getan?« Chaemwaset hatte die Stimme erhoben, war aufgesprungen und durchmaß mit langen Schritten aufgebracht den Raum. »Sethherchepeschef war nach Horis Tod der rechtmäßige Regent. Hätte ich mich gegen ihn gestellt, wäre Kemi noch tiefer ins Chaos gestürzt worden, allerdings ...«, er blieb stehen und sah seinem Bruder fest in die Augen, »... hätte ich vorher geahnt, was für Männer Sethi in die höchsten Ämter des Landes beruft, hätte ich vielleicht anders gehandelt!« Er setzte sich wieder Prehi gegenüber hin. »Sethherchepeschef hat zum Tode verurteilte Verbrecher begnadigt und sie mit den mächtigsten Ämtern betraut. Ein Frauenschänder ist unser neuer Wesir, der Oberste Schatzmeister unseres erlauchten Pharaos ein Hochverräter.«

»Das stimmt, Chaemwaset«, pflichtete ihm sein Bruder bei. »Dafür mussten gute und treue Beamte wie Nehi, Nefertem, dein Sohn und Thotmose weichen. Und vergiss nicht seine Große Königliche Gemahlin. Bintanat wurde von Ramses wegen falscher Beschuldigungen und Meineid in den Harim Mer-ur verbannt, doch Ramses-Sethherchepeschef hat sie ebenfalls begnadigt, um sich durch sie seine Legitimation für die Doppelkrone zu stärken.«

Chaemwaset nickte zähneknirschend. »Ja, Prehi, doch das hätte ich nicht vorhersehen können.«

Verlegen senkte der General der Ptah-Division den Blick. »Verzeih, wenn es sich so angehört haben sollte, als ob dich die Schuld an allem trifft. Ich habe mich während der Reise in Memphis mit Nehi getroffen. Der ehemalige Wesir erzählte mir, dass alles Korn, welches unser Onkel so freimütig unter das Volk verteilt, aus seinen privaten Lagerhäusern in und um Byblos stammt.«

»Getreide, das den Tempeln gestohlen wurde«, fügte Chaemwaset hinzu. »Soweit mir bekannt ist, hatte unser neuer Schatzmeister die Finger im Spiel.«

»Genau, Chaemwaset, und niemand anderes als unser neuer Wesir war der Verwalter der syrischen Speicher! Ist es deshalb so abwegig, wenn Meritusir behauptet, Ramses wäre ermordet worden?«

»Nachdem ich das nun alles gehört habe und mir daraus ein Gesamtbild zusammenfügen kann, sicher nicht. Zugegeben, ich wusste zwar durch meinen Sohn von der Nachricht, die bei Nacht gefunden wurde und von einem Senbi stammte; dennoch hätte ich niemals geglaubt, dass Ramses ermordet werden soll.«

»Das hat sicher niemand«, stimmte Prehi ihm zu. »Deinen Worten entnehme ich, dass inzwischen auch du die Möglichkeit in Betracht ziehen kannst, dass unser Bruder ermordet wurde?«

Chaemwaset bejahte. »Doch was nutzt uns unser Wissen? Der Großteil der Menschen liebt und verehrt Ramses-Sethherchepeschef. Er gibt ihnen zu essen, wohingegen sie unter Ramses hungern mussten. Kaum jemandem ist bekannt, dass Ramses’ Speicher riesige Löcher hatten, durch die das wertvolle Getreide in die Lagerhäuser unseres neuen Herrschers geflossen ist. Alle sehen in Ramses-Sethherchepeschef den Retter aus der Not. Niemand würde uns glauben, wenn wir erzählen würden, was wir wissen und ahnen. Man würde uns wegen Hochverrats hinrichten und unsere Körper den wilden Tieren zum Fraß vorwerfen.«

»Das widerspricht der göttlichen Ordnung, Chaemwaset. Das ist wider die Maat! Doch ich stimme dir zu: Niemand würde es uns glauben.« Betrübt schüttelte Prehi den Kopf und griff nun doch nach dem Krug, um sich und Chaemwaset Bier einzuschenken. »Weißt du eigentlich, dass sich Amunhotep und seine Gemahlin kurz vor Ramses-Sethherchepeschefs Eintreffen in Abydos auf eine Reise nach Edfu begeben haben?« Um Prehis Mundwinkel begann es zu zucken. Ein schadenfrohes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, während sein Bruder überrascht den Kopf schüttelte. »Netnebu sagt, sie wollten an einem Fest zu Ehren des Horus teilnehmen, doch der Pharao schickte ihnen sofort ein paar Getreue hinterher, die die beiden Priester zurückbringen sollen.«

»Und warum?«

Prehi beugte sich zu seinem Bruder und sprach in gedämpftem Ton weiter. »Es wird am Königshof gemunkelt, dass der Pharao Meritusir zu seiner Gemahlin machen will.«

Bestürzt hielt Chaemwaset die Luft an. »Mir ist zwar bekannt, dass unser Onkel früher in die Zweite Prophetin verliebt war, bevor sie Amunhotep geehelicht hat. Ich hätte aber niemals gedacht, dass er sie noch immer begehrt. Zudem verstößt es gegen Recht und Gesetz, wenn er eine verheiratete Frau zu seiner Gemahlin machen will.« Verzweifelt schüttelte er den Kopf. »Wo habe ich bloß meine Augen gehabt, dass mir das alles entgangen ist? Ramses hatte mich seinerzeit beauftragt, Sethherchepeschef gut zu überwachen. Er hat sich aber nie etwas zuschulden kommen lassen – zumindest war so mein Eindruck. Also sagte ich unserem Bruder, dass er sich getäuscht haben müsse. Ramses schenkte Sethi daraufhin erneut sein Vertrauen.«

»Was beweist, dass auch Ramses Sethi nicht durchschaut hatte und damit sein eigenes Todesurteil unterschrieben hat«, fügte Prehi hinzu.

»Das stimmt«, gab Chaemwaset betrübt zurück. »Wohin soll das noch alles führen?«

»Ich weiß es nicht. Ich bete täglich zu Amun-Re, dass er dem endlich Einhalt gebietet und wieder die Maat über das Chaos setzt. Spätestens dann, wenn Ramses-Sethherchepeschef eine verheiratete Frau, eine Dienerin des Osiris, an seine Seite befiehlt und sie schändet, werden die Götter nicht mehr die Augen verschließen können. Spätestens dann müssen sie über ihn richten.«

»Möge aus deinem Mund die Weisheit um die Zukunft der Beiden Länder fließen!«

»Danke, Chaemwaset, doch diese Ehre sollte dir zuteilwerden, falls der Horusthron wieder einmal verwaist im Königspalast von Per-Ramses steht.« Prehi schenkte seinen Bruder ein schiefes Grinsen und trank ihm zu.