EINUNDZWANZIG
Amunhotep hatte seinen Ruderknechten alles abverlangt, doch erst fünf Tagesreisen hinter Theben konnte er seine Frau einholen, denn auch Meritusir hatte ihre Männer zur Eile getrieben.
»Herrin, es nähert sich uns eine Barke«, wandte sich Maiherperi an die Priesterin, die am Bug des Schiffes stand und in die Ferne starrte. »Sie folgt uns schon seit geraumer Zeit. Inzwischen bin ich mir sicher, dass es sich um deinen Gemahl handelt.«
Erstaunt sah Meritusir zu dem nubischen Leibwächter. »Du meinst, Amunhotep ist uns gefolgt? – Dann sage dem Schiffsführer, dass er das Ufer ansteuern und das Nachtlager aufschlagen soll. Wenn es mein Gemahl ist, wird er zu uns kommen.«
Sie lächelte, und Maiherperi bemerkte seit Tagen das erste glückliche Strahlen in den grünen Augen seiner Gebieterin, das er seit ihrem Aufbruch aus Abydos so schmerzlich vermisst hatte.
Das Boot hielt kurze Zeit später auf das linke Ufer zu. Die Soldaten sprangen an Land, suchten alles ab und gaben anschließend ein Zeichen, dass die anderen ihnen folgen sollten.
Meritusir verblieb an Bord und setzte sich in das Heck der Barke, um dem herannahenden Schiff entgegenzusehen.
Sie hatte Amunhotep gebeten, ihr nicht zu folgen. Innerlich hatte sie gebetet und gehofft, dass er es dennoch tun würde, und die Götter hatten ihre Gebete erhört.
Ein Fünkchen Hoffnung begann sich in ihr zu regen, dass die Ewigwährenden vielleicht Mitleid mit ihr haben würden und sie hier in dieser Zeit bleiben dürfte. Doch sie unterdrückte diesen Hoffnungsschimmer, um nicht zu sehr enttäuscht zu sein, wenn er nicht in Erfüllung ging.
Als sich die beiden Priester endlich gegenüberstanden, fielen sie sich in die Arme. Meritusir konnte ihre Tränen nicht zurückhalten und schluchzte, während Amunhotep ihr zärtlich die Wange tätschelte.
»Ich bin so glücklich, dass du gekommen bist«, stammelte sie unter Tränen. »Ich habe dich so schmerzlich vermisst.«
»So wie ich dich. Ich konnte nicht anders«, wisperte er ihr ins Ohr. »Dafür liebe ich dich zu sehr.«
* * *
Als die beiden in den Felsen gehauenen Tempel von Osiris Ramses II. in Sicht kamen, hielten Meritusir und Amunhotep den Atem an. Es war soweit. Ihre Reise näherte sich dem Ende.
Betreten wechselten sie einen Blick, und Meritusir schmiegte sich ganz eng an den Körper ihres Mannes.
»Ob die Priester mir erlauben werden, das Innere des Heiligtums zu betreten?«, fragte sie und sah zu ihm auf.
»Aber sicher, Meritusir. Du bist eine Prophetin des Osiris. Warum sollten sie es dir verwehren?«
»Dann will ich zum Abschluss meiner Reise noch dieses gigantische Bauwerk besuchen. Ich bin gespannt, wie es einmal ausgesehen hat.« Sie löste sich aus Amunhoteps Armen und trat vor an den Bug des Schiffes, um besser sehen zu können.
Majestätisch erhob sich die aus dem Felsen gehauene Fassade des Haupttempels vor ihren Augen. Die drei riesigen Sitzstatuen von Ramses II. blickten erhaben über den Fluss und auf die Neuankömmlinge auf ihren winzigen Barken. Der Kopf der vierten Figur lag zu ihren Füßen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn wieder anzufügen oder beiseite zu räumen.
Meritusirs Blick schweifte hinüber zum kleineren Tempel, den der vor noch nicht einmal einhundert Jahren zu Osiris gegangene Pharao seiner geliebten Nefertari zum Geschenk gemacht hatte. Nefertari, für die die Sonne scheint – so hatte sie ihr Gemahl genannt. Ihr zu Ehren hatte er diesen Tempel errichten lassen und ihr zudem erlaubt, sich in derselben Größe wie er den Menschen zu präsentieren.
»Unglaublich schön«, murmelte sie, und überrascht sah Amunhotep sie an. »Wie groß muss seine Liebe zu dieser Frau gewesen sein, dass er ihr ein so erhabenes Meisterwerk schenken wollte?« Sie riss den Blick los und wandte sich Amunhotep zu. »Würdest du mir auch einen solchen Tempel zum Geschenk machen, wenn es in deiner Macht stehen würde?«
Amunhotep nahm sie in den Arm und lachte. »Wenn ich es könnte, Meritusir, würde ich dir die Pyramiden von Giseh zu Füßen legen, doch ich bin nicht der Pharao. Dennoch schwöre ich dir, dass ich nach meiner Rückkehr nach Abydos die siebzigtätige Trauerzeit einhalten und dich anschließend symbolisch in unserem Haus für die Ewigkeit bestatten werde. Senbi hat mir meinen Sarkophag geraubt; das ist mir egal. Ich bin wohlhabend genug, um mir selbst einen anfertigen zu lassen. Es schmerzt zwar mein Herz, dass nun Ramses-Sethherchepeschefs Mumie in ihm ruhen soll, denn ich habe ihn von Osiris Ramses zum Geschenk erhalten, doch es sei, wie es ist. Du, meine liebe Schwester, wirst symbolisch mit allen Ehren in dem anderen ruhen. Ich werde noch einmal genau überprüfen, ob auch wirklich alle deine Erfolge und Verdienste an den Wänden unseres Westlichen Hauses verzeichnet sind. Die Nachwelt und die Götter müssen davon erfahren.«
Meritusir sah Amunhotep mit Tränen in den Augen überwältigt ins Gesicht. »Danke, mein geliebter Gemahl.« Mehr brachte sie in diesem Moment nicht heraus. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf den Mund. »Du bist ein guter und liebevoller Mann.«
Sie hielten auf die beiden Tempelanlagen zu und machten in den Strahlen der untergehenden Sonnenbarke fest. Amunhotep begab sich sofort zum obersten Priester und sprach mit ihm, worauf dieser zustimmte, Meritusir die beiden Tempel von Abu-Simbel zu zeigen.
Gemeinsam streiften sie durch die Hallen der beiden Komplexe. Meritusir konnte sich an den wundervollen Malereien und Reliefs nicht sattsehen, die von Ramses’ Taten zeugten. Sie hatte das alles schon einmal gesehen. Das war vor dreitausendeinhundert Jahren – in der Zukunft.
Als sie sich zum Allerheiligsten begaben, wo der verstorbene Herrscher zwischen den Göttern Ptah, Re-Harachte und Amun-Re saß, fiel ihr wieder ein, dass sie kurz vor dem Sanktuar gestolpert und in der Vergangenheit gelandet war. Nun sollte sie wieder in ihre Zeit zurückkehren.
Sie schloss die Augen und unterdrückte den aufkommenden Abschiedsschmerz.
In dieser letzten Nacht machten beide Priester kein Auge zu. Sie gaben sich der Liebe hin, tranken Wein und redeten. Bevor Re von Nut wiedergeboren wurde, stiegen sie das Felsplateau hinauf, das sich oberhalb der Tempel befand, und begrüßten mit erhobenen Armen den Sonnengott, als dieser in seiner Barke über den Horizont gefahren kam. Das Licht seiner göttlichen Strahlen breitete sich wärmend aus und überzog die felsige Landschaft mit einem weichen, goldenen Schein.
»Es ist soweit.« Meritusir stand mit Tränen in den Augen neben Amunhotep und konnte den Blick nicht von der blendenden Sonnenscheibe wenden. »Ich muss nun gehen, Amunhotep. Hole die Taube hervor und töte sie.«
Amunhotep bückte sich und griff nach dem Sack, der neben ihm auf dem Boden lag. Er holte das kleine Tier heraus, das ängstlich gurrte. Dann griff er nach dem Messer in seinem Gürtel und schnitt ihm die Kehle durch. Dabei spritzte etwas Blut auf seinen Schurz, doch er ignorierte es. Er verteilte das Blut des Vogels auf Meritusirs Kleid, das diese in der Zwischenzeit abgelegt hatte. Anschließend warf er die Taube fort und zerriss das Kleid, sodass es aussah, als sei sie von einem wilden Tier angefallen worden.
»Und nun geh«, bat Meritusir flehend. Sie drehte sich Amunhotep zu und schlang die Arme um seinen Hals. »Kehre nach Abydos zurück und kümmere dich um unseren Sohn. Wenn er alt genug ist, um alles zu verstehen, erzähle ihm, wer seine Mutter war. Ich liebe euch.«
Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände und gab ihm einen letzten Kuss. Dann drehte sie sich um und eilte der Stelle entgegen, wo sie vor neun Jahren aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war. Sie trug nur Sandalen aus Papyrus, um sich nicht die Fußsohlen auf dem immer heißer werdenden Boden zu verbrennen, und hatte die goldene Osirisfigur mit der Atef-Krone aus Lapislazuli um den Hals. Ansonsten war sie nackt.
Amunhotep sah ihr noch einen Moment hinterher. Dann drehte er sich um, um an das Ufer des Nil zurückzukehren, wo die Boote abreisefertig auf ihn warteten.
Völlig benommen stolperte er den steilen Weg hinab und stieß sich des Öfteren an hervorstehenden Felsvorsprüngen, doch er nahm es nicht wahr. Den körperlichen Schmerz spürte er nicht mehr. Nur der Schmerz um den Verlust seiner geliebten Meritusir beherrschte seinen Leib und schien sein Herz zu zerreißen. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er niemals darüber hinwegkommen würde. Bis in alle Ewigkeit würde die Wunde in seinem Herzen bluten und ihn unempfänglich für jeglichen anderen Kummer machen. Dieses hier war die größte Pein, der größte Verlust, den er sich vorstellen konnte. Meritusir war von ihm gegangen. Nichts würde sie ihm zurückbringen!
Als ihn die Männer in den Barken kommen sahen, allein, mit dem zerrissenen, blutbesudelten Kleid in der Hand, stießen sie entsetzte Rufe aus und sahen ihm fragend entgegen.
»Wir fahren nach Abydos zurück!«, befahl Amunhotep knapp und wollte sich in seine Kajüte zurückziehen, als Maiherperi auf ihn zutrat und sich breitbeinig vor ihm aufbaute.
»Wo ist meine Herrin?«, fragte er. Seine Augen bohrten sich in den Körper des Hohepriesters.
»Sie kommt nicht mehr zurück. Sie wurde ...« Amunhotep fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sah den nubischen Leibwächter mit versteinerter Miene an. »Sie wurde von einem Löwen angefallen und in die Wüste verschleppt. Ich konnte ihr nicht mehr helfen. Und jetzt geh mir aus dem Weg!«
Verstört wich Maiherperi zur Seite.
Amunhotep ging an ihm vorbei und verschwand im Eingang zu seiner Kabine.
Ungläubig sah Maiherperi ihm hinterher. »Wir müssen sie suchen und ihren Körper nach Kemi bringen, damit er mumifiziert werden kann!«, rief er, aber Amunhotep gab keine Antwort.
Es war unter den Ruderknechten und Soldaten laut geworden, sodass sich Hekaib vor die Männer stellte, um sie zum Gehorsam zu gemahnen. Er hatte zwar keine Ahnung, was wirklich vorgefallen war. Es war ihm auch nicht bekannt, dass seine Herrin eine Auserwählte der Götter war. Er konnte jedoch nicht glauben, dass der Hohepriester irgendetwas unversucht lassen würde, wenn er sie hätte retten können. Nie hätte er es zugelassen, dass ihr Leib nicht die vorgeschriebenen Riten erfuhr.
»Ihr habt gehört, was der Gebieter befohlen hat«, fuhr er die Ruderknechte wütend an. »Also tut, was er sagt! Ergreift eure Ruder und bringt die Boote hinaus auf den Fluss! Und ihr«, wandte er sich den Soldaten zu, »gebt ebenfalls Ruhe. Wir kehren nach Kemi zurück.«
Sein Blick und der Tonfall seiner Stimme ließen die Männer verstummen. Gehorsam nahmen sie ihre Plätze ein und begannen, die Barken in die Strömung des Nil zu manövrieren.
* * *
Meritusir schritt geradewegs auf eine Stelle in der Unendlichkeit der Landschaft zu, die ihr als die richtige in Erinnerung geblieben war. Seltsamerweise überkamen sie dabei keine wehmütigen Erinnerungen; vielmehr musste sie an ihre Zukunft denken.
Würde sie wieder dreiundzwanzig Jahre alt sein oder wäre sie bereits zweiunddreißig? Sie wusste es nicht, doch es war ihr einerlei. Sie würde so oder so in ihrem Beruf ein Neuling sein, obwohl sie bereits einen Tempel und das Westliche Haus eines Pharaos geplant und erbaut hatte. Zudem war sie vermählt und Mutter.
Ein amüsiertes Grinsen zeigte sich bei diesem Gedanken auf ihrem Gesicht.
Kurz darauf hatte sie den auserwählten Ort erreicht und fiel auf die Knie. Ihre freudige Stimmung war schlagartig verflogen und hatte Platz für ein wehmütiges, schmerzliches Gefühl gemacht.
Sie drückte die Stirn auf den harten felsigen Boden und dankte dem Großen Gott Osiris, dass sie das alles hatte erleben dürften. Sie flehte ihn an, gleich nach ihrer Rückkehr in ihrer Zeit sterben zu dürfen, damit sie sich in seinem Totenreich mit ihrem Mann und ihrem Sohn wiedervereinen könne. Beide wären dann bereits seit mehr als dreitausend Jahren tot und würden dort auf sie warten.
Die Tränen traten ihr in die Augen, und sie blinzelte, um wieder klar sehen zu können.
Der Wind strich warm über ihren nackten Körper und streichelte sanft ihren kahl geschorenen Kopf. Re fuhr wie jeden Tag hoch oben am Himmel in seiner Barke dahin und sah auf sie und die Menschen hinab. Schon bald würde Osiris Ramses an seiner Seite sein. Es war nur eine Frage der Zeit.
Meritusir betete, dass die Götter nicht zu lange zögern würden, um den Fährmann zur Erde zu senden, der ihn zu seinem göttlichen Vater bringen sollte. Verzweifelt bat sie ein letztes Mal um die Gnade, ihr Leben hier in dieser Zeit und unter diesen Menschen verbringen zu dürfen.
Sie spürte, dass der Augenblick ihrer Rückkehr gekommen war.
Es war nicht ihr Wunsch, zu gehen, sondern der der Götter, und dem Wunsch der Götter konnte und durfte sich kein sterbliches Wesen widersetzen. Meritusir wusste das und nahm ihr Schicksal ergeben an.
Ein letztes Mal hob sie ihren Oberkörper und ließ den Blick über die staubige Einöde der felsigen Wüstenlandschaft gleiten. Sie vernahm das Rauschen des Nil und glaubte, seinen Geruch und den Geschmack seines Wassers in Nase und Mund zu spüren. Dann umfasste sie mit beiden Händen die goldene Osirisfigur und führte sie an die Lippen, um sie zu küssen. Anschließend hob sie den Blick zum Großen Gott Re. Sie streckte ihm anbetungsvoll die Arme entgegen und schloss die Augen, um nicht von seiner strahlenden Schönheit geblendet zu sein.
* * *
Am Vormittag des darauffolgenden Tages kamen die vom Pharao ausgesandten Schiffe denen des Hohepriesters entgegen.
Merenptah, der beauftragt worden war, die beiden Priester wieder nach Kemi zurückzubringen, ging an Bord von Amunhoteps Barke und trat dem Hohepriester mit allen ihm zustehenden Ehren entgegen.
»Was kann ich für dich tun, Prinz Merenptah?«, erkundigte sich Amunhotep. Er hatte eine betrübte Miene aufgesetzt, die dem Prinzen nicht entging.
»Verzeih, dass ich dich so rüde mit den Soldaten Seiner Majestät überfalle. Der Pharao hat befohlen, dich und deine Gemahlin wieder zurück in die Beiden Länder zu bringen.« Verlegen wichen Merenptahs Augen dem ins Verständnislose wechselnden Blick des Ersten Propheten aus.
»Du sollst mich in die Beiden Länder zurückbringen? Aber ich bin dahin unterwegs.«
»Vergib mir, Amunhotep. Ich befolge nur den Befehl Seiner Majestät. Ramses-Sethherchepeschef befahl, euch beide gefangen zu nehmen und unverzüglich zurückzubringen.«
»Gefangen zu nehmen?« Amunhotep machte ein belustigtes Gesicht. »Hat er den Verstand verloren?«, rutschte es ihm heraus.
Merenptah überhörte diese Bemerkung geflissentlich. »Der König glaubt, dass ihr beide vor ihm geflohen seid.«
»So ein Unsinn! Würde ich dann wieder zurückkehren?«
»Sicher nicht« Merenptah trat verlegen von einem Bein auf das andere.
Amunhotep musterte ihn. Es entging ihm nicht, dass dem Prinzen die Situation ziemlich unangenehm war. »Was willst du nun tun, Hoheit?«, fragte er ihn. »Wirst du mich fesseln lassen, damit ich nicht fliehen kann?«
»Bitte, Amunhotep. Es waren nicht meine Worte«, raunte Merenptah ihm zu und warf einen verstohlenen Seitenblick auf seine Soldaten, die weit genug entfernt standen, sodass sie kein Wort der Unterhaltung mitbekommen hatten. »Wo ist deine Gemahlin?«
»Sie ist tot.«
»Sie ist tot?« Erschrocken riss der Prinz die Augen auf.
»Ja, Hoheit. Ein Löwe fiel sie an und tötete sie. Ich konnte ihr nicht helfen. Anschließend hat er sie zu den Felsen geschleift.«
Merenptah war bleich geworden und rang nach Luft. »Das ist schrecklich. Habt ihr nach ihr gesucht?«
»Nein, denn es wäre sinnlos gewesen.«
Verständnislosigkeit machte sich auf Merenptahs Gesicht breit. »Ist das dein Ernst?«
Betrübt nickte Amunhotep. »Der Löwe hat den Brustkorb meiner Frau zerfetzt und begann bereits, sie zu fressen. Als ich versuchte, ihn von Meritusirs Leiche fortzujagen, kam er knurrend auf mich zu, doch ich wich nicht zurück. Plötzlich ließ er von mir ab, packte sie an der Schulter und zog sie mit sich zu den westlichen Felsen.«
»Das ist grauenvoll«, hauchte der Prinz, dem inzwischen sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war. »Unvorstellbar, dass du mit eigenen Augen hast zusehen müssen«
Amunhotep nickte. »In der Tat, Hoheit. Ich werde es mein Leben lang nicht vergessen. Mir blieb von Meritusir nichts weiter als ihr zerrissenes, blutbeflecktes Kleid.« Betrübt senkte er den Blick, und der Prinz wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.
»Es tut mir unsagbar leid, Amunhotep, aber wir müssen an den Ort zurückkehren. Wenn ich ohne Meritusir nach Kemi zurückkehre und Ramses-Sethherchepeschef sage, dass ich nicht nach ihr gesucht habe, werde ich sicher bestraft.«
»Aber natürlich, Hoheit, ich verstehe. Ich möchte sicher nicht dafür verantwortlich sein. Ich werde dich und deine Soldaten zu dem Platz führen, wo es passiert ist. Ich zeige euch auch gerne den Weg, den das mächtige Tier eingeschlagen hat. Allerdings werde ich euch bei eurer Suche nicht behilflich sein, da ich nicht derjenige sein will, der als Nächster von dem Löwen gefressen wird.«
Merenptah schluckte hörbar. »Dafür habe ich Verständnis.«
Er wandte sich seinen Männern zu und bellte ihnen ein paar knappe Befehle zu, während Amunhotep seiner ungläubig schauenden Dienerschaft ein Zeichen gab, dass sie alles tun sollten, was die Soldaten ihnen sagten.
»Darf ich mich wieder zurückziehen und die Trauer um meine Gemahlin fortsetzen?«, fragte Amunhotep.
»Natürlich«, antwortete Merenptah, ohne zu zögern. »Ich muss dir aber zwei Soldaten zur Seite stellen, die dich auf Schritt und Tritt überwachen werden.«
»Keine schlechte Idee«, erwiderte Amunhotep gelassen. »Dann fühle ich mich gleich bedeutend sicherer, wenn wir uns in das Jagdgebiet des Löwen begeben.«
Er drehte sich um und verschwand in seiner Kabine.