VIER

 

 

 

 

 

 

 

Zwei Tage später legte die königliche Barke in den Strahlen des anbrechenden Tages vom thebanischen Palasthafen ab. An Bord befanden sich neben dem königlichen Paar und dem Thronfolger nur ein paar engste Familienmitglieder sowie die beiden Osiris-Priester, die neben ihrem Sohn auch Moses mitgebracht hatten. Der inzwischen vierzehnjährige Nubier war nicht nur Meritusir, sondern auch Amunhotep ans Herz gewachsen.

Ein großes Sonnensegel war gespannt worden, um die erlauchten Gäste vor Res heißen Strahlen zu schützen. Fröhlich schwatzend machten es sich alle darunter bequem, nur Meritusir begab sich an den Bug des Schiffs und sah hinaus auf den Nil.

Das Wasser glitzerte, und unwillkürlich kniff sie die Augen zusammen, hob das Gesicht der Sonne entgegen und genoss die warmen Strahlen und den kühlen Wind auf ihrer Haut. Sie fühlte sich seit dem Aufstehen nicht wohl. Nun war ihr auch noch leicht übel, doch Amuns Atem verschaffte ihr etwas Besserung.

Plötzlich trat Hori von hinten auf sie zu und stellte sich neben sie.

»Es ist herrlich«, bemerkte Meritusir. »Ich könnte hier ewig stehen und mir den Wind um die Nase wehen lassen.«

»Das würde dir auf Dauer aber nicht sehr gut bekommen«, erwiderte Hori. »Bald schon wird Res Hitze alles verbrennen, was sich ungeschützt in seinen Strahlen aufhält.«

»Hm«, murmelte sie gedankenverloren und sah wieder hinaus auf den Fluss.

»Es hat mich unglaublich beeindruckt, was ich in Abydos gesehen habe«, lobte der Prinz. »Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass eine Frau so etwas kann.«

»Warum denn nicht, Hoheit? Ist eine Frau etwa dümmer als ein Mann?«

Verlegen zuckte Hori mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich noch nie einer Frau wie dir begegnet bin. Schon damals auf dem Weg nach Memphis war ich von dir und deinem Wissen fasziniert. Du weißt so vieles. Man kann sich mit dir über Dinge unterhalten, über die man normalerweise nur mit Männern reden kann. Du bist eine Frau, Meritusir, eine wunderschöne zudem, doch du birgst ein Wissen in deinem Herzen, das dem eines Mannes gleichkommt.«

»Danke, Hoheit, ich fühle mich geschmeichelt.«

»Das musst du nicht, denn ich habe das völlig ernst gemeint. Ich bewundere und respektiere dich.«

»Trotzdem danke.« Meritusir wandte ihm den Blick zu und lächelte ihn freundlich an. »Auch ich habe dich vom ersten Moment an respektiert, Hoheit. Das mag jetzt sicher anmaßend klingen, doch du warst damals noch ein Knabe. Dennoch warst du geistig deinen Altersgenossen um einiges voraus.« Sie musterte ihn. »Heute bist du ein attraktiver junger Mann, dem die jungen Frauen sicher reihenweise zu Füßen liegen, doch vor allem bist du ein sehr gebildeter Mann. Du wirst ein würdiger Nachfolger auf dem Thron der Beiden Länder sein, Hoheit, wenn dereinst dein Vater zu den Göttern gegangen ist.«

Nun war es an dem Prinzen, sich zu bedanken. Er tat es mit einer leichten Verneigung. Hori war inzwischen sechzehn Jahre alt, wirkte aber verklärt und erhaben wie ein weit Älterer. »Ich bete, dass bis dahin der Fluss noch unzählige Male über seine Ufer tritt«, entgegnete er und sah zu Meritusir. Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Was die jungen Frauen allerdings betrifft, hast du sicher recht. Bisher habe ich aber noch keine gefunden, mit der ich für immer zusammenleben will, obwohl ... Es gibt da eine, die mein Interesse geweckt hat«, verriet er ihr und schmunzelte.

Die Priesterin erwiderte sein Grinsen. »Wer ist es, Hoheit? Kenne ich sie?«

»Nein, Meritusir. – Auf keinen Fall ist es jedoch meine Schwester Titi«, raunte Hori ihr zu. »Ich liebe sie, aber ich wollte sie niemals heiraten, so wie es mein Vater geplant hatte. Also war ich gar nicht so böse, als Amuni sein Interesse für sie entdeckte.« Er grinste erneut, dieses Mal verschmitzt.

»Könnte es möglich sein, dass du vielleicht ein klein wenig sein Interesse an deiner Schwester geweckt hast?«

»Mitnichten, was denkst du von mir?«, empörte sich Hori.

Meritusir entging nicht, dass seine Entrüstung nur gespielt war. Verschwörerisch beugte sie sich ihm zu. »Mir kannst du es sagen, Hoheit, oder glaubst du, ich laufe sofort zu deinem königlichen Vater und plaudere alles aus?«

Der Prinz schüttelte den Kopf. »Das nicht, aber ich habe wirklich nichts damit zu tun.« Mit Unschuldsmiene sah er sie an.

Nachdenklich zog Meritusir die Augenbrauen hoch und musterte Hori genau. »Gehört Lügen nicht auch zu den verwerflichen Eigenschaften?«

Hori konnte seinen treuherzigen Gesichtsausdruck nicht länger aufrechterhalten. »Du hast mich durchschaut, Meritusir, doch ...«, er näherte sein Gesicht dem ihren und sprach im gedämpften Ton weiter, »... sage trotzdem niemandem ein Wort darüber, auch nicht Amunhotep.« Bittend ruhte sein Blick auf der Priesterin, die lächelnd nickte.

»Keine Bange, Hoheit. Wenn Pharao mich nicht direkt danach fragt, wird er es auch niemals von mir erfahren. Doch nun sage mir, wer die Beneidenswerte ist, die es geschafft hat, dein Herz zu erobern.«

»Du wirst sie nicht kennen. Sie ist die jüngste Tochter des Vizekönigs von Kusch. Ich habe sie im vergangenen Jahr zum Thronjubiläum meines Vaters kennengelernt, und sie geht mir seitdem nicht mehr aus dem Sinn.« Seine Augen leuchteten verträumt, doch als er Meritusirs schmunzelnde Miene bemerkte, senkte er verlegen den Blick. »Ihr Vater hat Pharao gebeten, sie an den Hof von Per-Ramses schicken zu dürfen, und der Große Horus hat dem zugestimmt.«

»Das freut mich für dich. Dann bietet sich dir die Gelegenheit, sie besser kennenzulernen. Vielleicht ist sie die Frau, mit der du durchs Leben gehen willst.«

Hori seufzte. »Ihr Vater hat versprochen, sie zum Ende des Schönen Tal-Fests nach Theben zu schicken, damit sie zusammen mit dem König ins Delta reisen kann.« Er drehte sich um und sah zu den anderen, die unter dem Sonnensegel in kleinen Grüppchen zusammensaßen.

Ramses unterhielt sich mit Amunhotep und Chaemwaset, während sich Isis und Chaemwasets Gemahlin Bakenwerel um Usirhotep kümmerten. Der Knabe war sich der Aufmerksamkeit der beiden Frauen voll bewusst und alberte aus Leibeskräften herum. Er machte Faxen und schnitt Grimassen, worüber die beiden Frauen schallend lachten. Nubchesbed, die Mutter des Pharaos, saß derweil mit Merenptah etwas abseits und war mit Isis’ Bruder in eine Partie Senet vertieft.

»Es ist so schön, alle miteinander so friedlich vereint zu sehen«, stellte der Prinz fest und lächelte. »Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass auch mir eine solche Harmonie beschieden sein wird, wenn ich einmal herrschen werde.«

»Deine Familie wird immer zu dir stehen, Hoheit«, ermunterte ihn Meritusir, die sich ebenfalls umgewandt hatte. »Und wenn du eine liebevolle Gemahlin gefunden und mit ihr Kinder gezeugt hast, wirst auch du diese Harmonie finden.«

Plötzlich sah Ramses zu den beiden herüber und winkte sie heran.

Gehorsam folgten sie seinem Wunsch und traten auf die drei Männer zu.

Ramses forderte sie auf, Platz zu nehmen. Nachdem sie sich gesetzt hatten, erkundigte er sich, worüber sie getuschelt und gelacht hätten.

Unschuldig zuckte Hori mit den Schultern und warf Meritusir einen verstohlenen Blick zu, doch die Priesterin verzog keine Miene.

»Über dies und das, Majestät. Es war eine völlig belanglose Unterhaltung.« Meritusir war erstaunt, dass sie Ramses nicht auf seine Frage antworten musste. Wahrscheinlich sagten sich die Götter, dass es nun einmal sei wie es sei und es nicht gegen die Maat verstieße, dass Titi den Sohn von Ramses’ Halbbruder Chaemwaset geheiratet hatte.

Eine Dienerin erschien und brachte für die Priesterin und den Prinzen Wein.

Dankend lehnte Meritusir ab, denn es war inzwischen drückend heiß, und ihr war immer noch nicht ganz wohl.

Ramses musterte sie kritisch. »Geht es dir nicht gut?«

»Doch, Majestät, mir ist nur etwas übel. Ich muss mir wohl den Magen verdorben haben.«

Um Ramses’ Mundwinkel zuckte ein Grinsen. »Das dachte Isis auch. Neun Monate später wurde unser erster Sohn geboren.« Die Männer lachten, doch Meritusir winkte ab.

»Nein, Majestät, das ist es nicht. Ich wünschte, es wäre so, doch die Götter scheinen nicht zu wollen, dass erneut Leben in mir zu wachsen beginnt.« Betrübt sah sie zu ihrem Gemahl. »Sie werden schon ihre Gründe haben.« Der Versuch eines Lächelns misslang.

Besorgt stand Amunhotep auf und ging neben ihr in die Hocke, um sie in den Arm zu nehmen. »Du hast gesagt, es würde dir wieder besser gehen«, schalt er sie sanft und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Wir wären sonst zu Hause geblieben.«

»Aber Amunhotep, du hast dich so auf diesen Ausflug gefreut. Ich wollte dir nicht die Freude verderben«, hielt Meritusir dagegen und sah ihn liebevoll an. »Außerdem kannst du nicht so einfach eine Einladung des Großen Horus absagen«, flüsterte sie, doch die anderen hatten ihre Antwort verstanden und schmunzelten amüsiert.

»Amunhotep kann und darf«, meinte Chaemwaset gut gelaunt.

Ramses hingegen reckte den Hals und sah hinüber zu seiner Dienerschaft, die sich außer Hörweite im Heck des Schiffes aufhielt. »Ich werde eine Dienerin rufen, die dir ein bequemes Lager herrichten wird, damit du dich hinlegen kannst.«

»Aber nein, Majestät«, protestierte Meritusir. »Ich bin doch nicht krank. Mir ist nur ein wenig übel. Doch nun werde ich erst einmal die Große Königliche Gemahlin und die Prinzessin von unserem Quälgeist befreien.« Sie wollte sich erheben, aber Ramses winkte ab.

»Ich glaube, meine Gemahlin und meine Schwester haben an Usirhotep Gefallen gefunden. Lass sie ruhig noch ein wenig ihre Muttergefühle ausleben, doch du, du wirst mir jetzt gehorchen und dich einen Moment hinlegen, Meritusir. Dein Wohl liegt mir ebenso am Herzen wie das meines Volkes.« Er winkte nach einer Dienerin und befahl ihr, für die Priesterin ein weiches Lager unter einem Sonnensegel am Bug des Schiffes herzurichten.

Gegen Mittag ging es Meritusir besser, und sie verschlang mit Heißhunger das Mahl, das Moses ihr brachte.

»Geht es dir wieder gut, Herrin?«, erkundigte sich der Nubier, der zum Mann gereift war und dem Amunhotep seine Jugendlocke abgeschnitten hatte.

Meritusir nickte.

Moses war seit einem Jahr bei den Steinmetzen in Abydos in der Lehre und machte auch dort gute Fortschritte. Überhaupt schien dem Vierzehnjährigen alles in den Schoß zu fallen. Alles, was er begann, gelang ihm sofort. Dieser Umstand brachte ihm eine Menge Neider unter den anderen Lehrlingen ein, doch Moses war nicht bang. Er schlug sich durchs Leben, das er als Sohn einer zu lebenslanger Leibeigenschaft und Zwangsarbeit verurteilten Feldarbeiterin begonnen hatte. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben, und niemand wusste, wer der Vater war. Doch die Götter hatten es gut mit ihm gemeint. Er war in den Tempel des Osiris gebracht worden, und später hatte ihn Amunhotep in seinen Haushalt aufgenommen. Dank seines netten und freundlichen Auftretens und der Freundschaft zu Meritusir war er sehr schnell auch dem Hohepriester ans Herz gewachsen, der ihn inzwischen wie einen eigenen Sohn behandelte und ihm die Freiheit geschenkt hatte.

»Ich fühle mich wieder frisch und erholt und werde nach dem Essen aufstehen«, erwiderte sie und biss genussvoll in die gebratene Entenbrust. »Meinem Magen scheint es auch wieder gut zu gehen«, stellte sie kauend fest. »Er knurrt vor Hunger, und ich habe mächtigen Appetit.«

»Das wird sowohl deinen Gemahl als auch Seine Majestät freuen zu hören«, entgegnete Moses ehrlich erleichtert und grinste.

»Dann geh, Moses, und sage es deinem Herrn.«

Der Nubier sprang auf, verneigte sich und lief zum hinteren Teil der Barke, wo sich die anderen zum Essen versammelt hatten.

Kurz darauf erschien Amunhotep und setzte sich neben Meritusir auf die Planken des Schiffs. »Moses sagt, dass du dich wieder besser fühlst? Das freut mich, doch du solltest noch ein klein wenig ruhen.«

Überrascht sah sie ihn an. »Warum? Ich bin ausgeruht und will mich auch ein wenig amüsieren.« Sie zog einen Flunsch. »Anderenfalls hätte ich in der Tat zu Hause bleiben können.«

»Da gebe ich dir recht, aber nach dem guten Essen, das uns Pharaos Köche serviert haben, bin ich müde und schläfrig geworden.« Er lächelte Meritusir vielsagend zu.

»Ich hoffe, das war jetzt nicht dein Ernst.« Kopfschüttelnd sah sie ihn an. »Allerdings werde ich gern mit dir kuscheln, aber nur, wenn du brav an meiner Seite liegst.«

»Das genügt mir schon.« Er gab ihr einen Kuss, bevor er sich wieder zu den anderen begab, um kurze Zeit später zu ihr zurückzukehren.

Auch Pharaos übrige Gäste gönnten sich nach dem Mittag etwas Ruhe. Erst als Re tiefer am Himmel stand, fanden sie sich wieder zusammen, um die Fahrt bei Plauderei, Scherzen und gutem Wein zu genießen.

Als es dunkel zu werden begann, ließ Ramses die beiden Priester zu sich kommen, um mit ihnen abseits der anderen ungestört zu reden.

»Ihr hattet mich um eine Audienz gebeten?«, begann er das Gespräch, und Amunhotep und Meritusir bejahten.

»Wir wollten dir unsere Freude über den guten Ausgang dieses erneuten Attentatsversuches kundtun«, erwiderte Amunhotep.

»Weißt du schon, ob noch jemand dahinter steckt außer diesem Senenmut?«, fragte Meritusir.

»Nein, doch ich glaube nicht, dass Senenmut alleine gehandelt hat. Mir fällt kein Motiv ein für seine Tat. Es muss noch einen Menschen geben, dem ich im Wege bin.«

»Mir würde da jemand einfallen«, murmelte die Priesterin leise vor sich hin.

»Ich weiß, dass du auf Sethherchepeschef nicht gut zu sprechen bist, doch es gibt keinerlei Beweise, dass er hinter all dem steckt. Im vergangenen Jahr wurde er auf Schritt und Tritt überwacht, zudem stand er unter Arrest. Und auch Chaemwaset, der, wie dir bekannt sein dürfte, der Fürst des thebanischen Gaus ist, hat mir nie zu verstehen gegeben, dass sich mein Onkel wider die Maat verhält. Sethi mag sich zwar verändert haben, aber das ist auch schon alles.«

»Ja, Majestät, Sethi hat sich verändert«, hielt Meritusir dagegen. »Die unerwiderte Liebe zu mir hat aus ihm einen anderen Menschen gemacht. Ich will nicht behaupten, sein früheres Wesen zu kennen, aber Amunhotep bestätigt ebenfalls, dass er nicht mehr der freundliche und offene Prinz ist, der er war, bevor er mich zur Gemahlin wollte. Ich muss immer wieder an seine Worte denken, dass er alles dafür tun würde, um mich zu bekommen. In diesen Worten lag eine solche Entschlossenheit, dass ich seitdem sein plötzliches Interesse für Regierungsangelegenheiten aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachte.«

»Und aus welchem?«

»Ich denke, sein Interesse ist echt, doch seine Beweggründe sind nur vorgetäuscht. Von Amunhotep weiß ich, dass Sethherchepeschef der Meinung war, sich endlich um wichtigere Dinge als sein unbeschwertes Leben als verwöhnter Pharaonenspross zu kümmern. Löblich, Majestät, doch kam diese Einsicht zu einem denkbar ungünstigen oder besser verdächtigen Zeitpunkt, nämlich nachdem Amunhotep und ich geheiratet hatten und ich somit unerreichbar für ihn war.«

Ramses schwieg. Diese Überlegung hatte er noch nicht angestellt.

»Bedenke vor allem eines, Majestät«, fuhr Meritusir unbeirrt fort, »Senenmut war sein Schwiegervater.« Sie musste unvermittelt grinsen. »Obwohl er zwei Jahre jünger war als Sethi.«

»Soll ich etwa Sethi wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen verurteilen?«, fragte Ramses aufgebracht.

»Nein, Majestät, obwohl mir bekannt ist, dass auch die Familie eines Verbrechers verurteilt werden kann, aber das steht hier nicht zur Debatte. Mir stellt sich aber die Frage, warum ausgerechnet der Vierte Prophet des Amun-Re zwei Mordversuche gegen dich unternommen haben soll? Was hätte er für Vorteile gehabt, wenn du zu den Göttern gehst? Nach dir käme Hori auf den Horusthron. Ich glaube kaum, dass dein Sohn Amunhoteps Vater absetzen würde, nur um Senenmut zum Hohepriester zu ernennen. Warum also lag dem Vierten Propheten etwas an deinem Tod?« Fragend glitt ihr Blick von Ramses zu Amunhotep, doch beide Männer zuckten ratlos mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht«, gestand Ramses ein.

Meritusir schmunzelte. »Ich ebenfalls nicht«, bestätigte sie und wurde wieder ernst. »Es sei denn, es hat ihm jemand etwas versprochen, etwas, das nur der Herr der Beiden Länder ihm geben kann. Und was sollte sich Senenmut wohl wünschen? Er war mit Mitte dreißig bereits der vierte Diener des Amun-Re, seine Tochter ist mit einem Prinzen vermählt, Senenmut ist angesehen und reich. Was also wollte er? Wonach hat er gestrebt? – Nach noch mehr Reichtum? Nach einem noch höheren Amt als jenem, das er bereits bekleidete?

Genau das muss es gewesen sein, Majestät! Es kann sich nur um das Amt des Hohepriesters handeln, das er sich gewünscht hat, aber das kann ihm nur der Pharao übertragen. Prinz Hori würde es mit Sicherheit nicht tun. Wer also dann? – Die Antwort lautet: ein anderer Pharao! Und ich vermute, dass es jemand ist, der nicht in der Thronfolge berücksichtigt ist, der aber den Thron der Beiden Länder besteigen will. Wie du selbst sagtest: Es muss noch einen weiteren Menschen geben, der dich töten will. Und wer fällt mir da nur ein? – Sethherchepeschef!

Er ist der Einzige, der einen triftigen Grund hätte, sich die Doppelkrone aufs Haupt setzen zu wollen, und dieser triftige Grund bin ich. Sethi kann mich nur bekommen, wenn er Pharao wird, denn dann hält er die absolute Macht in Händen. Was er sagt, ist Gesetz. Niemand darf sich dem widersetzen. Nur als Herr der Beiden Länder wird es ihm gelingen, mich an seine Seite zu befehlen.«

»Das wäre gegen die Maat!«, protestierte Ramses entsetzt. »So etwas würde kein Pharao tun! Eine verheiratete Frau darf selbst der Herr der Beiden Länder nicht anrühren!«

»Möglich, Majestät, ich denke allerdings, dass sich Sethi darum wenig scheren würde. Er wird bereits gegen alle göttlichen Regeln verstoßen haben, wenn er endlich auf dem Horusthron sitzt, sodass ihn das auch nicht mehr abhalten würde. Ihm ist sicher bewusst, dass sein Herz so oder so dem Ungeheuer Ammit gehört.«

Nachdenklich starrte Ramses vor sich hin. Auch Amunhotep sagte kein Wort und blickte nur gedankenversunken zu den Lichtern am Ufer des Flusses, die warm zu ihnen herüberschienen.

»Du bist nicht davon abzubringen, dass mir mein Onkel nach dem Leben trachtet«, sagte Ramses nach einer Weile. »Selbst deine Erklärung klingt nachvollziehbar. Dennoch, ich kann Sethi nichts nachweisen. Ich habe ihm in der Zwischenzeit sogar erneut mein Vertrauen ausgesprochen. Er darf sich wieder frei bewegen und ist sogar mit nach Theben gereist.«

»Was, Sethi ist hier?«, platzte Meritusir heraus und bemerkte, dass auch Amunhotep einigermaßen überrascht war.

»Ja, Meritusir. Es wäre gegen die Maat, wenn ich ihn länger in seinem Haus festgesetzt hätte, ohne einen einzigen triftigen Beweis in der Hand zu haben.«

»Das war ein Fehler, Majestät.« Meritusir schnappte nach Luft.

»Du wagst es, mir einen Fehler zu unterstellen?«

»In der Tat, Majestät. In deiner Zeit ist das sicher eine Ungeheuerlichkeit. In meiner allerdings müssen sich Herrscher so etwas gefallen lassen, auch wenn sie in den seltensten Fällen ihr Versagen ehrlich eingestehen.«

»Ich warne dich, Meritusir«, drohte Ramses. Seine Stimme hatte sich merklich abgekühlt. »Treibe es nicht zu weit.« Er warf ihr einen erbosten Blick zu. »Woher nimmst du die Überzeugung, mein Onkel sei an allem schuld und trachte mir nach dem Leben?«

»Wenn du auf Osiris anspielst, von ihm weiß ich es nicht«, erwiderte Meritusir. »Es ist auch nicht mein Wissen um die Vergangenheit, die deine Zukunft ist. Es ist einfach nur so ein Gefühl ...«

»Ein Gefühl?«

»Ja, Majestät.« Unentschlossen zuckte Meritusir mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll – vielleicht ist es weibliche Intuition.«

Ramses schmunzelte, obwohl ihm nicht im Geringsten zum Lachen zumute war. »Weibliche Intuition«, sinnierte er. »Das sollte ich mir merken, wenn Isis wieder mit sonderbaren Gedanken und Einfällen zu mir kommt.« Er strich sich über das Gesicht, als wolle er die aufkommende Müdigkeit vertreiben. »Ich habe meinem Onkel mein Vertrauen ausgesprochen und werde es nicht aufgrund deiner Intuition zurücknehmen. Trotzdem werden deine Worte nicht in Vergessenheit geraten, selbst wenn mir das Herz schwer wird bei der Vorstellung, du könntest recht haben.«

Er seufzte und sah betrübt zu Amunhotep, der sich die ganze Zeit herausgehalten hatte. Vertrat er dieselbe Meinung wie seine Frau? Ramses wusste es nicht und beließ es dabei.

»Doch nun lasst uns zu den anderen zurückgehen. Ich habe euch eingeladen, um zusammen mit mir einen erholsamen Tag auf dem Nil zu genießen.« Er lächelte und begab sich mit den beiden Osiris-Priestern zum Rest seiner Gäste.

 

* * *

 

Am folgenden Tag besuchten die beiden Osiris-Priester mit ihrem Sohn Amunhoteps Eltern.

Nesamun stand die Sorge um seine Gemahlin ins Gesicht geschrieben, als er Amunhotep mit ausgebreiteten Armen entgegenging. Die beiden Männer umarmten sich. Dabei fiel der Blick des älteren Priesters auf die hübsche Frau, die hinter seinem Sohn den Raum betreten hatte und einen kleinen Jungen an der Hand hielt.

»Meritusir!«, rief Nesamun überrascht aus und trat an Amunhotep vorbei auf sie zu. »Du bist ebenfalls hier?« Die Freude war ihm anzusehen. »Komm her, meine Tochter.« Er nahm Meritusir in die Arme. Anschließend beugte er sich dem Jungen zu, der ihn aus großen Augen fragend ansah, und strich ihm liebevoll über den Kopf. »Und das muss mein Enkel Usirhotep sein. Wie groß er schon ist und dazu so hübsch. Er kommt ganz nach seiner Mutter.«

»Nein«, widersprach Meritusir, »er ist ganz der Vater. Einzig die Augenfarbe hat er von mir.«

Nesamun lachte und strich dem Knaben liebevoll über seinen kahl rasierten Kopf. »Kommst du zu mir auf den Arm?« Er ging etwas schwerfällig in die Knie.

Usirhotep zögerte. Nach einem fragenden Blick zu seiner Mutter streckte er schließlich die Ärmchen aus, um sie Nesamun um den Hals zu legen, der den Knaben auf den Arm nahm.

Beglückt drückte Nesamun seinen Enkel an sich und humpelte zu einem bequemen Stuhl, um sich zu setzen.

Meritusir fiel auf, wie sehr er gealtert war und dass er große Schwierigkeiten hatte, ohne seinen Stock zu gehen. »Wie geht es deinem Bein, Vater?«, erkundigte sie sich.

»Es schmerzt in letzter Zeit sehr häufig, und das Laufen fällt mir schwer. Ich würde aber beide Beine hergeben, wenn dadurch meine Frau wieder genesen würde.«

»Wie geht es Mutter?«, hakte Amunhotep mit besorgter Miene nach.

»Ach, mein Sohn, sie scheint bereits im Reich des Osiris zu weilen. Es gibt Momente, da erkennt sie mich nicht einmal mehr.« Betrübt senkte Nesamun den Blick, um die aufkommenden Tränen zu verbergen.

Schnell trat Meritusir zu ihm und kniete zu seinen Füßen nieder, um ihm Trost zu spenden. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und streichelte ihn sanft. »Es tut mir leid, dass zu hören, Vater. Doch wenn es ihr wirklich so schlecht geht, ist es vielleicht besser, wenn sie zu den Göttern geht.«

Sie wollte weitersprechen, Nesamun mit ihren Worten trösten, doch es schnürte ihr die Kehle zu. Auch wenn Amunhoteps Mutter sich ihr gegenüber sehr zurückhaltend, beinahe schon abweisend verhalten hatte, so war sie doch Amunhoteps Elternteil.

Nesamun nickte nur und schwieg, während Amunhotep betreten abseits stand und ebenfalls kein Wort herausbrachte. Einzig Usirhotep war aufgetaut und begann seine Späßchen zu machen, sodass die Erwachsenen bald ihren Schmerz verdrängt hatten und lauthals lachten.

»Usirhotep«, ermahnte Meritusir ihn nach kurzer Zeit, »nun reicht es aber.«

Nesamun hingegen winkte ab und gab dem Knaben einen Kuss auf seine gebräunte Wange. »Lass ihn nur. Er ist noch ein Kind und versteht nicht unseren Schmerz.« Er sah freundlich lächelnd zu Meritusir, die ihm wie eine Tochter ans Herz gewachsen war.

»Sollten wir nicht zu Mutter gehen«, meldete sich Amunhotep zu Wort, doch sein Vater schüttelte den Kopf.

»Sie schläft. Ich will sie nicht stören. Ihre Dienerin wacht bei ihr und sagt mir Bescheid, wenn sie erwacht.« Er hob den Knaben von seinem Schoß und setzte ihn auf den Boden, wo Usirhotep sich sofort in die Arme seiner Mutter flüchtete, um zu kuscheln. »Lasst uns in den Garten gehen. Mein Haushofmeister hat ein schmackhaftes Mahl und kühlen Wein bereitgestellt.« Mühevoll kam Nesamun von seinem Stuhl hoch. Er griff nach seinem Amtsstab und strebte der Tür zu, die hinaus in den schattigen Garten führte.

Betrübt sah Amunhotep seinem Vater hinterher. »Der Schmerz um Mutter hat ihn in kürzester Zeit um Jahre altern lassen«, raunte er Meritusir zu, als er ihr beim Aufstehen half.

»Das stimmt«, pflichtete sie ihm bei. »Ich habe ihn das letzte Mal vor über drei Jahren gesehen. Als er vorhin auf mich zutrat, war ich richtig erschrocken. Es tut mir so leid.« Sie seufzte und schmiegte sich an Amunhotep.

Usirhotep fing an zu quengeln, da seine Eltern keinerlei Anstalten machten, ihn auf den Arm zu nehmen und zu tragen. Er tobte zwar den ganzen Tag durch Haus und Garten, doch wenn sein Vater oder seine Mutter in der Nähe waren, schien er unfähig, auch nur einen einzigen Schritt allein zu tun. Immer wollte er auf den Arm genommen werden und schmusen.

»Was jammerst du?«, fragte Amunhotep mit einem verstimmten Seitenblick auf Usirhotep. »Du hast die ganze Zeit bei Großvater auf dem Schoß gesessen und deiner Mutter am Hals gehangen. Wir hätten uns lieber ein Kätzchen zulegen sollen als einen Sohn wie dich. Auch eine Katze braucht ihre Streicheleinheiten. Man muss sie jedoch nicht ständig auf dem Arm umhertragen.« Er reichte Usirhotep die Hand, die dieser beleidigt ergriff, um mit seinem Vater in den Garten zu gehen.

Nach dem Essen erschien eine dunkelhäutige Dienerin und meldete Nesamun, dass die Herrin erwacht sei. Sofort begaben sich die drei Priester und der Knabe in ihr Schlafgemach, wo Amunhoteps Mutter kraftlos und abgemagert auf ihrem kostbaren Bett aus Sykomorenholz lag, während ihr eine Dienerin mit einem Wedel etwas Kühlung zufächelte.

Nesamuns Gemahlin hatte die Augen geöffnet, doch ihr Geist weilte nicht mehr in dieser Welt. Er war bereits in das Reich der Toten eingetreten, Herz und Körper hatten es jedoch noch nicht bemerkt.

Nur mit Mühe konnte Amunhotep die Tränen unterdrücken, als er seine Mutter so dahinsiechen sah. Er hatte den inzwischen eingeschlafenen Knaben auf dem Arm und zeigte ihn ihr, doch sie registrierte es nicht.

Eine Woche sollte sie so dahindämmern, bis sie endlich von ihren Leiden erlöst wurde und Anubis sie zu sich rief.

Während der siebzig Tage dauernden Trauerzeit blieben Amunhotep, Meritusir und Usirhotep bei Nesamun auf dessen Anwesen vor den Toren von Theben. Nesamuns jüngerer Bruder Amenophis übernahm in dieser Zeit die Aufgaben des trauernden Hohepriesters in Opet-sut so wie Netnebu die von Amunhotep und Meritusir in Abydos.

Als die Mumie schließlich in ihrem Haus für die Ewigkeit in den westthebanischen Bergen zur letzten Ruhe gebettet worden war, kehrten die beiden Osiris-Priester wieder nach Abydos zurück, doch zuvor besuchten sie ihr eigenes Westliches Haus im Königstal, in dem die Arbeiten beinahe vor dem Abschluss standen.

Ein riesiger Sarkophag aus Granit wartete bereits auf einem der beiden Sockel auf seinen Besitzer, der zweite war noch nicht fertiggestellt. Es hatte unter den Arbeitern in den Granitsteinbrüchen Unruhen gegeben, weil die Nahrungsmittellieferungen verspätet und in zu geringen Mengen eingetroffen waren. Das hatte zu Verzögerungen geführt. Inzwischen war die gewohnte Ruhe und Ordnung wieder eingekehrt.

 

* * *

 

Zwei Tage vor ihrer Abreise bat Meritusir Nesamun um die Erlaubnis, sich den Tempel des Amun-Re ansehen zu dürfen.

»Dein Wunsch sei dir gewährt.« Aufmunternd nickte Nesamun ihr zu. »Ich stelle dir einen Priester zur Seite, der den Tempel sehr gut kennt.« Sein Blick glitt lächelnd zu Amunhotep.

»Danke, Vater«, sagte Meritusir und verneigte sich leicht. Sie ergriff Amunhoteps Hand, und zusammen begaben sie sich aus Nesamuns Amtsstube.

Sie benötigten den gesamten Tag, um alle Hallen, Höfe und Sanktuarien zu durchstreifen. Der Amun-Tempel war der größte in den Beiden Ländern. Seit Jahrhunderten war er stetig verschönert und vergrößert worden. Die Pylone und Statuen verblichener Herrscher, die Obelisken und Säulengänge – Meritusir konnte sich einfach nicht sattsehen. Am meisten beeindruckt war sie vom Großen Säulensaal mit seinen einhundertvierunddreißig riesigen Pfeilern. Er war von den Handwerkern von Sethos I. begonnen und von denen von Ramses II. fertiggestellt worden und übertraf alles, was sie bisher gesehen hatte.

Der Osiris-Tempel hatte Meritusir schon tief beeindruckt, der des Amun-Re raubte ihr den Atem. Dagegen war das abydonische Heiligtum nur eine Miniaturausgabe und das nicht nur in seiner Größe, sondern auch in seiner Pracht. In Theben waren alle Räume mit dünn getriebenen Blechen aus Gold, Silber, Elektrum oder Bronze verkleidet. Überall funkelten kostbare Edelsteine an den Wänden und Decken. Die Farbenpracht war schier erdrückend. Sie kam aus dem Staunen einfach nicht heraus.

Das konnte nicht das Werk von unterdrückten, gepeinigten Menschen sein, wie viele das in ihrer Zeit glaubten. Kein bis aufs Blut gepeitschter Gefangener oder, um das Wort aus ihrer Sprache zu verwenden, Sklave hätte je so viel Schönheit und Erhabenheit erschaffen können. Das hier war das Werk von kunstfertigen Handwerkern, denen es ein tiefes inneres und religiöses Bedürfnis gewesen war, für ihren Gott ein solches Heiligtum zu errichten. Es war weder Prunksucht noch Größenwahn der Pharaonen, die solche Wohnstätten der Götter befahl. Es war einzig und allein die Liebe und der tiefe Glaube eines Volkes an jene Wesen, denen sie ihren Ursprung und ihr Leben in Harmonie, Frieden und Wohlstand verdankten, und die sie deshalb ehrlich und aufrichtig verehrten.

Tief beeindruckt zog sich Meritusir an jenem Abend allein in ihre Gemächer zurück, um das, was sie gesehen hatte, für immer tief in ihrem Gedächtnis zu bewahren.