SIEBZEHN
»Sollen wir uns Satra vornehmen, mein Gebieter?« Ein hinterhältiges Grinsen umspielte Abischemus Lippen.
Senbi verneinte. »Satra gibt es nicht mehr. Sie heißt jetzt Meritusir und ist die Zweite Prophetin des Osiris. Ich hingegen bin nun Wesir, ein gehorsamer und gesetzestreuer Diener Seiner Majestät. Ich kann euch nicht einfach befehlen, diese Tochter des Seth zu töten, selbst wenn sie es verdient hätte«, fügte er hinzu. »Ramses-Sethherchepeschef hat mir zu verstehen gegeben, dass ihm etwas an dem Miststück liegt und dass ich euch von ihr fernhalten soll.«
»Schade«, wagte Raija zu erwidern und machte ein enttäuschtes Gesicht. »Es hätte mir große Freude bereitet, sie so lange auszupeitschen, bis sie winselnd zu meinen Füßen liegt und mir diese leckt.«
»Dieses Vergnügen muss ich dir leider verwehren, doch Amunmose, dieser elendigen kleinen Ratte, könnte solches widerfahren.« Bei dem Gedanken an seinen treulosen Haushofmeister knirschte Senbi vor Wut mit den Zähnen. »Seine Leiche darf nur nicht auftauchen, damit niemand Verdacht schöpfen kann.«
»Dein Wunsch ist uns Befehl, mein Herr«, erwiderte Raija und warf seinem Kumpan einen blutrünstigen Blick aus seinen dunklen Augen zu. »Wenn du es befiehlst, werden wir auch das beenden, was Satra oder Meritusir, wie sie nun heißt, vor acht Jahren nicht fertiggebracht hat.«
»Du meinst Ibiranu vergiften?« Senbi winkte ab. »Nein, Raija. Ihr lasst die Finger von ihm! Das erledige ich auf meine Weise.« Er lachte boshaft. »Immerhin bin ich der mächtigste Mann nach dem Pharao.« Mit einer Handbewegung gab er seinen beiden Gehilfen zu verstehen, dass sie sich zurückziehen durften.
Nachdem Raija und Abischemu verschwunden waren, schlenderte Senbi hinaus in den wundervollen Garten seines neuen Anwesens in Per-Ramses, welches er vom Pharao als Geschenk erhalten hatte.
Duftende Blumenrabatten mit Lilien, Mohn und Rosen, hohe, Schatten spendende Oleanderbüsche und Spaliere von Wein, an denen pralle saftige Trauben hingen, waren wohlgepflegt. Der Rasen hatte ein sattes Grün und wurde jeden Abend von den Gärtnern gewässert. Es gab einen Teich, in dem sich Fische mit silbrigen Rücken tummelten, Akazien und Sykomoren, die zum Verweilen einluden. – Ja, es hatte sich gelohnt, dass er Sethherchepeschef bei seinem Machtkampf geholfen hatte. Der Prinz war nun Pharao, und er, der Sohn von syrischen Einwanderern, bekleidete das höchste Amt im Land. Die Götter, die sich dereinst von ihm abgewandt hatten, waren ihm wieder wohlgesonnen.
Wehmut überkam ihn, wenn er daran zurückdachte, dass er die vergangenen acht Jahre außerhalb Kemis hatte verbringen müssen.
Nachdem ihm seine Gehilfen von dem missglückten Attentat auf den syrischen Holzhändler Ibiranu berichtet hatten, hatte er überstürzt aus den Beiden Ländern fliehen müssen, um einem drohenden Todesurteil zu entgehen. Er war ein angesehener thebanischer Kaufmann gewesen, der die höchsten Kreise mit seinen kostbaren Waren beliefert hatte. Von einem Moment auf den anderen war er zu einem gesuchten Verbrecher auf der Flucht geworden. Erst viel später hatte er erfahren, dass er von seinem Haushofmeister Amunmose an seinen Rivalen verraten worden war.
Wie es ihm und seinem kleinen Gefolge überhaupt hatte glücken können, den Häschern des Pharaos zu entgehen, war Senbi bis heute ein Rätsel. Vielleicht war es der Fingerzeig eines gnädigen Gottes gewesen, der ihm noch eine letzte Chance hatte einräumen wollen.
Unbehelligt war er in Byblos angekommen und hatte sich dort mit dem Wenigen, was er bei seiner überstürzten Flucht hatte mitnehmen können, eine neue Existenz aufgebaut. Nur mit dem Land am Nil hatte er keinen Handel mehr treiben können, ein Umstand, der Senbi stets betrübt hatte.
Obwohl Senbi syrischer Abstammung war, hatte er sich fast täglich nach dem Leben spendenden Fluss gesehnt, der während der Zeit der Überschwemmung tosend dahinströmte und über seine Ufer trat, bis er sich schließlich wieder in sein Bett zurückbegab und in der Zeit der Ernte fast träge und langsam von Süden nach Norden kroch. Er hatte die warmen Abende in seinem wunderschönen Garten in Theben vermisst, die Bootsfahrten in den Strahlen der sinkenden Sonnenbarke, wenn der Nil wie pures Gold schimmerte. Wehmut hatte ihn ergriffen, wenn er sich des fröhlichen Lachens der Frauen und Mädchen erinnerte, die leicht bekleidet durch die Straßen und Gassen der alten Königsstadt streiften, wenn er an den majestätischen Tempelkomplex des Amun-Re zurückdachte, der weithin sichtbar alles überragte, was sich innerhalb der Mauern des hunderttorigen Thebens befand. Er hatte die rauschenden Feste vermisst, zu denen er stets geladen worden war, oder die prachtvollen Prozessionen, die alljährlich zwischen Opet-sut und Opet-resut stattfanden. Täglich hatte er sich zurück an das Ufer des Flusses gesehnt, zurück in das Land, das seine Heimat war. Senbi war kein Kemiter; seine Eltern waren fremdländischer Abstammung. Dennoch war es in all den Jahren für ihn der schlimmste Gedanke gewesen, außerhalb der Beiden Länder sterben zu müssen und bestattet zu werden.
Er hielt auf den Teich zu und ließ sich bequem im Gras nieder, um den lauen Abend im Delta zu genießen. Ein dienstbeflissener Untergebener eilte herbei und brachte ihm einen Krug mit gekühltem Wein aus den Oasen und dazu kleine, mit Honig verfeinerte Gebäckstücke, Datteln, Trauben und Granatäpfel.
»Sage meiner Dienerin, dass sie kommen und für mich tanzen soll!«, befahl Senbi ihm in herrischem Ton.
Der Mann verneigte sich und verschwand lautlos, wie er gekommen war.
Senbi hingegen erinnerte sich, wie alles damals begonnen hatte. Er hatte über seinen Handelsauflistungen gesessen, als es mit einem Mal an der Tür seines Arbeitszimmers geklopft hatte ...
* * *
»Herein!«
Die Tür ging auf, und Senbis Hausverweser trat mit einer Verneigung in den Raum. »Verzeih, Gebieter. Ein Mann wünscht dich zu sprechen.«
»Ein Mann?«
»Ja, mein Herr. Er sagt, es sei wichtig.«
Mürrisch gab Senbi seinem Verwalter mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er den Unbekannten hereinführen solle.
Wenig später stand ein mittelgroßer, wohlgenährter Mann in mittleren Jahren vor ihm, bei dessen Anblick dem syrischen Kaufmann der Schreck in die Knochen fuhr.
Ein Kemiter!, durchzuckte es ihn. Unweigerlich duckte er sich.
Hatten ihn Pharaos Schergen aufgespürt, um ihn aus Syrien nach Kemi zu verschleppen und das Todesurteil zu vollstrecken, das man über ihn und seine beiden Gehilfen gesprochen hatte?
Der Mann verneigte sich knapp. »Mein Name ist Hapu. Ich komme aus Kemi und bin im Auftrag meines Gebieters unterwegs. Ich bin auf der Suche nach einem erfahrenen Verwalter für die Kornspeicher meines Herrn, die dieser sich in und um Byblos zuzulegen gedenkt. Zudem sollte sich derjenige mit den Beiden Ländern verbunden fühlen und unsere Sprache beherrschen.«
»Und warum kommst du zu mir?«, fragte Senbi. Er war auf der Hut.
»Weil du der richtige Mann sein könntest. Ich habe mich im Händlerviertel umgehört. Du wurdest mir empfohlen. Zudem scheint es zu stimmen, dass du die Lebensweise der Menschen des Schwarzen Landes magst.« Demonstrativ ließ Hapu den Blick durch den Raum schweifen, der neben syrischen Kostbarkeiten auch mit Dingen aus dem Land am Nil vollgestopft war.
»Ich bin aber kein Verwalter, sondern Händler«, gab Senbi mürrisch zurück und rümpfte die Nase. »Du bist bei mir falsch.«
»Das denke ich nicht. Zudem verspricht dir mein Gebieter einen hohen Lohn für deine Arbeit.«
»Wer ist dein Gebieter?«, fragte Senbi und ließ Hapu nicht aus den Augen. Er war neugierig geworden, sein Interesse war geweckt.
»Ein einflussreicher Mann«, gab Hapu einsilbig zurück, und Senbi kräuselte die Stirn.
»Hat er auch einen Namen?«
»Sicher. – Er möchte seine Erträge in Syrien einlagern«, ging Hapu nicht weiter auf Senbis Frage ein. »Fürs Erste benötigt er zwei oder drei Kornspeicher. Mit der Zeit werden noch weitere hinzukommen. Du sollst über sie wachen und Sorge dafür tragen, dass das Korn nicht verdirbt oder gestohlen wird.« Hapu nestelte in den Falten seines Schurzes und zog aus einer unscheinbaren Tasche eine kleine Schriftrolle heraus, die er Senbi reichte. »Hier steht verzeichnet, was du für deine Dienste erhalten wirst, wenn du sie zur Zufriedenheit meines Gebieters erledigst.« Er reichte dem Syrer das Schriftstück.
Zaghaft griff Senbi nach der Rolle und legte sie behutsam vor sich auf den Tisch.
»Lass dir ruhig Zeit«, meinte der Kemiter schmunzelnd. »Ich werde morgen erneut zu dir kommen, um mir deine Antwort abzuholen.« Er verneigte sich knapp und wollte gehen, doch Senbi hielt ihn zurück.
»Und was ist, wenn mich das Angebot deines Herrn nicht überzeugt?«
»Das wird es, da bin ich mir sicher.« Mit diesen Worten verschwand Hapu aus dem Raum.
Nachdem er gegangen war, starrte Senbi auf den kleinen, zusammengerollten Papyrus und öffnete ihn schließlich. Die Schätze, die darauf verzeichnet standen, ließen ihm beinahe die Augen aus den Höhlen quellen.
Wer war dieser Mann, der ein solch riesiges Vermögen investieren wollte, damit er, Senbi, für ihn als Verwalter arbeitete? – Senbi wusste keine Antwort darauf. Ihm war unbehaglich zumute.
Obwohl die Gier drohte, die Oberhand zu gewinnen, zwang Senbi sich zu einem kühlen Kopf. Er musste vorsichtig sein. Dieser Hapu hatte bei ihm zwar einen harmlosen Eindruck hinterlassen; dennoch sagte ihm sein Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmen konnte.
Er hatte sein ganzes Leben in Kemi verbracht. Die Leute des Schwarzen Landes waren ein Völkchen für sich. Sie lebten in einem fruchtbaren Tal, das durch den Nil gespeist wurde und mit Reichtum und Nahrung im Überfluss gesegnet war. Nie wäre ein Kemiter auf die Idee gekommen, seine Ernten in der Fremde einzulagern. Irgendwas stimmte da nicht. Senbi beschloss, dem auf den Grund zu gehen.
Am folgenden Tag um die Mittagszeit wurde ihm Hapu erneut gemeldet.
»Wie lautet deine Antwort?«, kam der Kemiter ohne Umschweife sogleich zur Sache.
»Nicht anders als gestern: Ich bin Händler, kein einfacher Verwalter.«
Hapu schmunzelte. »Zudem ein wegen Mordversuch und Vergewaltigung Verurteilter.«
Senbi wurde blass. »Was fällt dir ein, mir Derartiges zu unterstellen?«, empörte er sich.
»Rege dich nicht auf«, beschwichtigte Hapu ihn. »Als man mir deinen Namen sagte und dich mir empfahl, ahnte ich nicht, mit wem ich es zu tun bekommen würde. Ich habe dich aber sofort wiedererkannt. Es ist zwar schon eine ganze Weile her, doch so eine Verhandlung vergisst man nicht. Zudem war auch ich, wenn auch nur ein Mal, Kunde bei dir.«
»Du willst behaupten, dass du mich kennst?« Fahrig fuhr sich Senbi über seinen gepflegten Kinnbart, während er in seinen Erinnerungen versuchte, den Mann, der ihm gegenüberstand, wiederzuerkennen.
»Allerdings. Aber sorge dich nicht. Niemand wird erfahren, dass ich dich gefunden habe. Für meine Landsleute bleibst du tot und begraben. – Wie lautet deine Antwort?«
»Nicht anders als zuvor.« Senbi setzte eine gelassene Miene auf. »Ich bin reich und nicht auf das, zugegeben, großzügige Angebot deines Gebieters angewiesen. Warum fragst du nicht einen anderen Händler?«
»Weil ich dich äußerst geeignet finde«, entgegnete Hapu schlicht.
Senbi wurde hellhörig. »Wie darf ich das verstehen?«
»Du hast lange in den Beiden Ländern gelebt. Dir sind unsere Sitten und Gebräuche bekannt. Zudem beherrschst du unsere Sprache, was in der Korrespondenz von Vorteil sein dürfte.«
»Und es stört dich nicht, dass ich für deine Leute ein Verbrecher bin?« Fragend zog Senbi eine Augenbraue in die Höhe.
»Wer weiß das schon«, gab Hapu zurück und zuckte mit den Schultern.
Nun stand für Senbi fest, dass etwas an der Sache faul war. »Wer, sagtest du, ist noch mal dein Herr?«
Hapu schmunzelte. »Ich sagte gar nichts. Zudem ist das nicht von Belang.«
»Für mich schon«, gab Senbi betont beleidigt zurück und griff zu einer List. »Wenn ich für deinen namenlosen Gebieter den Verwalter spielen soll, fordere ich eine angemessene Gegenleistung.«
»Werde jetzt nicht ausverschämt«, empörte sich Hapu und schnappte nach Luft. »Hast du nicht gesehen, welches Vermögen du für deine Arbeit erhalten wirst?«
»Schon, doch ich will etwas mehr.« Senbi faltete die Hände vorm Gesicht und blickte seinem Gegenüber fest in die Augen, der geräuschvoll die Luft einsog und seinem Blick widerstand. »Ich fordere völlige Straffreiheit, sollte ich wieder nach Kemi zurückkehren.«
Hapu schluckte schwer und stieß die Luft wieder aus.
Senbi sah ihm an, dass er angestrengt überlegte, was er ihm für eine Antwort geben sollte. Allein der Umstand, dass er darüber nachzudenken schien, machte Senbi klar, dass sein Ansinnen zwar ungeheuerlich, aber nicht unmöglich war.
Schließlich nickte Hapu. »Ich denke, das ließe sich einrichten. Du hast mein Wort, dass ich deinen Wunsch meinem Gebieter vortragen werde. Du hörst von mir.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Arbeitsraum.
Senbi saß wie von einem Blitz des Großen Gottes Seth getroffen da und glaubte nicht, was Hapu soeben zu ihm gesagt hatte. Nun stand für ihn eindeutig fest, dass es sich um eine sehr mächtige Persönlichkeit handeln musste, die dem Herrn der Beiden Länder auf keinem Fall wohlgesonnen war. Ramses selbst hatte das Todesurteil unterschrieben und würde es niemals aufheben, denn das verstieße gegen die göttliche Maat. Wer also war dieser mächtige Mann, der sich das Recht herauszunehmen schien, einem verurteilten Verbrecher Straffreiheit zu gewähren?
»Jemand, der sich gegen den Pharao gewandt hat und ihn stürzen will, um selbst nach Krummstab und Geißel zu greifen«, beantwortete er sich selbst seine Frage und erschauerte ...
* * *
Wochen später hatte Senbi die Zusage erhalten, dass ihm sein Wunsch zu einem späteren Zeitpunkt gewährt werden würde. Für Senbi war das die eindeutige Bestätigung, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Dennoch hatte er nicht damit gerechnet, dass sein Auftraggeber Prinz Sethherchepeschef persönlich war, Sohn des großen Ramses III., Bruder des zu Osiris gegangenen Pharaos Ramses VI. und Onkel des regierenden Herrschers, Ramses VII.
Nachdem ihm das bekannt geworden war, hatte er dem machthungrigen Sethi noch ein paar weitere Zugeständnisse abgerungen. Zudem hatte Senbi für sein Schweigen und seine Mithilfe das höchste Amt in den Beiden Ländern gefordert, und der Prinz hatte dem zugestimmt.
Warum also sollte Senbi das alles für eine Frau aufs Spiel setzen, an der Ramses-Sethherchepeschef so viel lag, dass er gegen seinen Vorgänger Intrigen angezettelt hatte? Sollte dieses Miststück ruhig weiterleben; ihre Strafe wartete bereits auf sie. Schon bald würde der Pharao sie aus den Armen des geliebten Mannes reißen. Warum also sollte er sich die Hände schmutzig machen? Ramses-Sethherchepeschef begehrte Meritusir, doch zuvor hatte sie schon unzählige Male ihm und seinen beiden Gehilfen gehört.
Senbi grinste bei diesem Gedanken schadenfroh und sah der jungen Frau entgegen, die sich ihm mit gesenktem Blick näherte.
Sie war schätzungsweise fünfzehn Jahren alt mit langem, blondem Haar und blauen, angsterfüllten Augen. Ein Perlengürtel war alles, was sie trug. Hinzu kamen goldene Reife an den Arm- und Fußgelenken, die bei jeder ihrer Bewegungen leise klimperten.
»Tanze!«, befahl Senbi barsch, und die Dienerin begann, sich im Rhythmus einer Melodie zu wiegen, die nur sie zu hören schien.
Lüstern glitten seine Augen über den jungen, schlanken Körper und blieben an der goldbehaarten Scham hängen. Diese Frau war anders als die rothaarige Satra, die am Anfang noch aufmüpfig gewesen war, bevor Abischemu und Raija ihren Willen gebrochen hatten. Die Blonde war bereits hörig gewesen, als sie zu ihm gekommen war, und hatte ihm bereits viele Stunden seiner ausgesprochen abartigen Bedürfnisse erfüllt.
Senbi hatte sie in Byblos von Seeräubern erworben, die sie auf einem ihrer Beutezüge auf dem Großen Grün gefangen genommen hatten, um sie für viel Gold zu verkaufen. Damals war sie dreizehn Jahre alt gewesen und gerade zur Frau gereift, doch erst Senbi hatte sie noch am selben Abend zur Frau gemacht.
Unwillkürlich spürte er, wie sein Verlangen wuchs, als er an diese Nacht zurückdachte.
Sie hatte geweint und ihn unter Tränen angefleht, ihr nichts zuleide zu tun, doch gerade das hatte seine Lust entfacht. Sie hatte sich in Schmerzen unter ihm gewunden, aber das hatte ihr nichts genutzt. Er hatte sie hart und erbarmungslos genommen.
Inzwischen tat sie alles, was er von ihr verlangte. Einzig seinen beiden Gehilfen hatte er sie verweigert. Sie gehörte ihm. Weder Raija noch Abischemu durften sie anrühren, außer wenn er sie bestrafen wollte. Dann durften sie sie mit Stock und Peitsche züchtigen.
»Komm her zu mir!« Er streckte die rechte Hand nach ihr aus, während er mit der linken sanft über sein erigiertes Glied strich, das sich unter seinem Gewand deutlich abzeichnete. »Was ist los? Warum heute so schüchtern?«, fragte er grinsend und griff nach ihrer Hand, um sie zu sich hinunter ins Gras zu ziehen. »Liebst du mich denn gar nicht mehr?«
»Doch, mein Gebieter«, erwiderte die Dienerin mit dünner Stimme und kniete sich vor Senbi hin.
»Dann beweise es mir!« Seine Hand glitt zwischen ihre Schenkel.
Ergeben ließ sich die junge Frau sanft auf den Rücken fallen und spreizte die Beine, während Senbis Augen lüstern ihre Scham taxierten.
»Verzeih mir, Gebieter.« Verlegen trat Senbis Haushofmeister von einem Bein auf das andere und hielt den Blick gesenkt.
»Was willst du?«, fuhr Senbi wütend hoch. »Siehst du nicht, dass ich beschäftigt bin?« Seine Augen funkelten den Mann ärgerlich an.
»Vergib mir, Herr«, entschuldigte sich der Hausverweser erneut. »Es wartet ein königlicher Bote auf dich, der dich zum Pharao bringen soll.«
Schlagartig flaute Senbis Zorn ab. »Sag ihm, dass ich gleich bei ihm bin.« Er wandte sich wieder der jungen Frau zu. »Und du, verschwinde und geh dich baden. Hinterher warte auf mich in meinem Schlafgemach!« Er gab ihr einen derben Klaps auf die Innenseite ihres Oberschenkels und stand auf, um seinem Hausverweser zu folgen.
Als Senbi die Vorhalle betrat, verneigte sich der Bote unterwürfig vor ihm und bat ihn, ihn zum Palast des Herrschers zu begleiten, wo Ramses-Sethherchepeschef ihn umgehend sehen wollte.
Ohne zu zögern, folgte Senbi.
Eine halbe Stunde später befand er sich allein mit Ramses-Sethherchepeschef in dessen Arbeitszimmer.
»Ich habe dich rufen lassen, weil ich will, dass du dich schon morgen nach Abydos und Theben begibst, um dich über den Fortgang der Arbeiten am Tempel der Millionen Jahre meines Vorgängers und an meinem Haus für die Ewigkeit zu informieren. Du erhältst von mir ein Schreiben, das dir erlaubt, das Heiligtum meines zu Osiris gegangenen Neffen zu betreten, da ich mir denken kann, dass der Hohepriester es dir verwehren wird. Überprüfe, ob die Arbeiten voranschreiten oder ob man mit Absicht die Vollendung des Tempels in die Länge zieht, weil ... Amunhotep wird ahnen, dass ich ihm seine Gemahlin nehmen werde, wenn die Arbeiten beendet sind. Anschließend fahre nach Theben. Begebe dich ins Königstal, um dich dort von der Arbeit der Handwerker zu überzeugen. Ich will, dass alles so ausgeführt wird, wie ich es befohlen habe. Zum Schluss überprüfe im Heiligtum meines zu Osiris gegangenen Vaters, ob die Königszeichen an die Figuren meiner beiden Brüder und an die Meiner Majestät gemeißelt wurden. Danach kehrst du umgehend nach Per-Ramses zurück und wachst in meiner Abwesenheit über Recht und Ordnung im Land.«
Senbi verneigte sich zum Zeichen, dass er verstanden hatte. »Also gedenkst du, deine Reise durch das von den Göttern geliebte Land zu beginnen?«
Ramses-Sethherchepeschef bejahte. »Es ist meine heilige Pflicht, den Göttern in ihren Tempeln zu danken und mich meinem Volk zu zeigen. Ich bin jetzt der Herr über Kemi. Nur mir ist es vergönnt, die Gnade der Ewigwährenden zu erflehen. Mein Volk erwartet das von mir, und ich werde es nicht enttäuschen.«
Etwas verunsichert hatte Senbi diesen Worten gelauscht. Bisher hatte er immer geglaubt, Sethi ginge es nur um diese Frau. Anscheinend hatte er sich da getäuscht.
Unbeirrt fuhr Ramses-Sethherchepeschef fort: »Du wirst dafür Sorge tragen, dass das Getreide aus den syrischen Lagerhäusern nach Kemi gebracht wird, wo es an die Gaue verteilt werden soll, die es dringend benötigen. Die nächste Ernte ist noch fern, und die Menschen leiden bereits Hunger. Das soll sich ändern. Öffne ihnen meine Speicher, damit sie sich satt essen und mir danken können!«
»Wie du befiehlst, Großer Horus. Es soll alles so geschehen, wie du es wünschst.«
»Dann geh, Tjati, und bereite dich auf deine morgige Abreise vor!«
Abermals verneigte sich Senbi, machte seinen Kniefall und kehrte in sein Haus zurück. Dort befahl er seinem Hausverweser, alles für den morgigen Aufbruch bereitzumachen. Er selbst verschwand in seinem Schlafgemach, um sich seiner blonden Dienerin zu widmen.
* * *
Am Folgetag bestieg Senbi in aller Frühe seine Barke, die mit den Zeichen seiner neuen Würde geschmückt war, und brach in Richtung Süden auf. Unterwegs machte er in der heiligen Stadt des Großen Gottes Re Halt, um sich mit Nacht zu treffen.
»Es ist mir eine Ehre, den neuen Wesir der Beiden Länder in meinem Haus begrüßen zu dürfen«, schleimte der Zweite Prophet, als sich die beiden Männer gegenüberstanden. »Wir haben lange miteinander zu tun gehabt, ohne uns jemals kennengelernt zu haben.«
»Das stimmt«, erwiderte Senbis und machte es sich in dem Sessel bequem, der dem von Nacht gegenüberstand. »Du warst für mich allerdings nie ein Unbekannter. Ich hatte dich bereits zweimal bei einer Prozession zu Ehren des Re gesehen. Leider wolltest du niemals etwas von meinen wunderschönen Stoffen oder Vasen kaufen. Anderenfalls wären wir uns schon viel früher begegnet.«
Verlegen senkte Nacht den Blick. »Wahrscheinlich war ich von den Waren anderer Kaufleute zu geblendet, sodass ich dich nicht wahrgenommen habe, Herr.«
»Sorge dich deswegen nicht. Ich werde es dir nicht nachtragen.« Senbi grinste. »Doch nun will ich zum eigentlichen Grund kommen, weshalb ich dich aufgesucht habe. – Ist dir ein Händler namens Ibiranu bekannt?«
Nachdenklich zog der Zweite Prophet die Stirn in Falten und schüttelte schließlich den Kopf. »Womit handelt er denn?«
»Mit Holz. – Ich weiß, dass er auch schon des Öfteren den Tempel des Re beliefert hat, genauer gesagt, war es das letzte Mal vor gut einem Monat.«
Grübelnd kniff Nacht die Augen zusammen und dachte angestrengt nach, bis ihm dämmerte, von wem Senbi sprach. »Ja, jetzt entsinne ich mich. Er stammt aus Syrien, wohnt aber seit Jahren in der südlichen Königsstadt, wo er ein prachtvolles Anwesen erworben haben soll.« Fragend blickte er zu seinem Gast. »Was ist mit ihm?«
»Warst du mit dem Holz zufrieden, das er dir geliefert hat, oder gab es irgendwelche Beanstandungen?«
»Nicht, dass ich wüsste. Der Aufseher der Lagerhäuser bestätigte mir stets, dass es sich um sehr gute Ware gehandelt hat.«
»Auch bei der letzten Lieferung? Bist du dir da ganz sicher?« Senbis Blick ruhte fest auf dem Priester.
»Ja«, erwiderte Nacht, doch seine Stimme klang verunsichert.
Was wollte Senbi von ihm? Wollte er hören, dass Ibiranus Holz von schlechter Qualität gewesen sei?
Grübelnd kratzte er sich an der Wade.
Nacht war inzwischen bekannt, wer Senbi war und weswegen er vor mehr als acht Jahren Kemi fluchtartig hatte verlassen müssen. Wollte er sich jetzt an seinem Widersacher rächen?
»Könnte es möglich sein, dass dich deine Erinnerung trügt?«, unterbrach Senbi Nachts Überlegungen.
Verstört blickte der Zweite Prophet ihn an, fing sich schnell und schmunzelte. Warum sollte er nicht dem Wesir einen Gefallen tun?
»Nun, Tjati, wenn ich es mir genau überlege, könntest du recht haben«, lenkte er grinsend ein. »Ich entsinne mich, dass es Klagen vonseiten der Möbeltischler gab, die sich über die Güte des gelieferten Holzes beschwert haben. Wenn ich mich nicht täusche, stammte es aus Ibiranus Lieferung.«
Senbi erwiderte das Grinsen und nickte hoheitsvoll. »Dann stimmen also meine Informationen. Es wäre gut, wenn mir darüber eine schriftliche Beschwerde vorliegen würde.«
Verstehend nickte der Zweite Prophet. »Bevor du morgen abreisen wirst, wird dir ein Tempelschreiber diese übergeben.« Er neigte den kahlen Kopf.
Senbi bedankte sich zufrieden und begab sich zu Ramose, um dem Ersten Propheten eine Nachricht von Ramses-Sethherchepeschef zu überbringen. Anschließend zog er sich in den Gästebereich des Palastes zurück, um am darauffolgenden Tag seine Reise Richtung Abydos fortzusetzen.