KAPITEL 1
Unter dem großen Himmel von Montana
Die Geschichte von Stan Falkow ■ Montana und ich ■ Warum zum Anfang ausgerechnet Montana? ■
Die Wirtschaftsgeschichte von Montana ■ Bergbau ■ Forstwirtschaft ■ Boden ■ Wasser ■ Einheimische und eingeschleppte Arten ■ Verschiedene Visionen ■ Einstellungen gegenüber Vorschriften 11 Die Geschichte von Rick Laible ■ Die Geschichte von Chip Pigman ■ Die Geschichte von Tim Huls ■ Die Geschichte von John Cook ■ Montana, eine Welt im Kleinformat
Mein Freund Stan Falkow ist 70 Jahre alt und Professor für Mikrobiologie an der Stanford University nicht weit von San Francisco. Als ich ihn fragte, warum er sich im Bitterroot Valley in Montana ein Ferienhaus gekauft hätte, erzählte er mir, wieso diese Entscheidung zu seiner gesamten Lebensgeschichte passte:
»Ich bin im Bundesstaat New York geboren und dann nach Rhode Island gezogen. Das heißt, als Kind hatte ich keine Ahnung von Bergen. Als ich Anfang zwanzig war und gerade das College abgeschlossen hatte, klinkte ich mich für ein paar Jahre aus der Berufsausbildung aus und arbeitete in der Nachtschicht im Obduktionslabor eines Krankenhauses. Für einen jungen Menschen wie mich, der noch keine Erfahrungen mit dem Tod hatte, war es sehr anstrengend. Ein Bekannter der gerade aus dem Koreakrieg zurückgekehrt war, sah mich an und sagte: ›Stan, du siehst nervös aus: du musst dein Stressniveau vermindern. Versuch es mal mit der Fliegenfischerei!‹
Also fing ich an, mit Fliegen zu angeln und Barsche zu fangen. Ich lernte, wie man selbst Fliegen zusammenbindet, vertiefte mich richtig hinein und ging jeden Tag nach der Arbeit zum Angeln. Mein Freund hatte Recht: Es half tatsächlich gegen den Stress. Aber dann wollte ich in Rhode Island promovieren, und damit war ich wiederum in einer anstrengenden Arbeitssituation. Ein Mitdoktorand erzählte mir, man könne mit Fliegen nicht nur Barsche fangen: Im benachbarten Massachusetts angelten sie damit auch Forellen. Also fing ich mit dem Forellenangeln an. Mein Doktorvater aß sehr gerne Fisch und ermutigte mich zu meinen Angelausflügen: Nur bei diesen Gelegenheiten runzelte er nicht die Stirn, wenn ich mir im Labor einige Zeit frei nahm.
Als ich ungefähr fünfzig war, trat in meinem Leben wiederum eine Stresssituation ein, dieses Mal wegen einer schwierigen Scheidung und anderer Dinge. Damals nahm ich mir nur noch drei Mal im Jahr die Zeit für die Fliegenfischerei. Viele Menschen überlegen anlässlich ihres fünfzigsten Geburtstages, was sie mit dem Teil ihres Lebens, der noch vor ihnen liegt, anfangen wollen. Ich dachte über das Leben meines Vaters nach, und dabei fiel mir ein, dass er mit 58 Jahren gestorben war. In einer Schrecksekunde wurde es mir klar: Wenn ich so lange leben würde wie er, blieben mir bis zu meinem Tod nur noch 24 Angelausflüge - sehr wenig für eine Tätigkeit, die ich so liebte. Nach dieser Erkenntnis dachte ich darüber nach, wie ich in den verbleibenden Jahren einen größeren Teil meiner Zeit den Dingen widmen konnte, die ich wirklich gern tat. Und eines davon war die Fliegenfischerei.
Gerade als ich so weit war, wurde ich gebeten, ein Forschungsinstitut im Bitterroot Valley im Südwesten von Montana zu begutachten. Ich war bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr nie westlich des Mississippi gewesen. Jetzt landete ich auf dem Flughafen von Missoula, nahm mir einen Mietwagen und fuhr nach Süden in die Kleinstadt Hamilton, wo sich das Institut befand. Ungefähr zwanzig Kilometer südlich von Missoula verläuft die Straße über längere Zeit schnurgerade; der Talboden ist dort flach und voller Felder, im Westen erheben sich die schneebedeckten Bitterroot Mountains, und im Osten steigen die Sapphire Mountains abrupt aus dem Tal in die Höhe. Ich war von der Schönheit und Größe der Landschaft überwältigt; so etwas hatte ich noch nie gesehen. Es verschaffte mir ein Gefühl des Friedens und eine ganz andere Sichtweise von meinem Platz in der Welt.
Als ich in dem Institut eintraf, lief mir ein früherer Student über den Weg, der jetzt dort arbeitete und meine Begeisterung für die Fliegenfischerei kannte. Er schlug vor, ich solle nächstes Jahr wiederkommen und in dem Institut ein paar Experimente machen, dann könnten wir auch zum Fliegenangeln an den Bitterroot River fahren, der für seine Forellen berühmt ist. Also fuhr ich im folgenden Sommer erneut hin. Ich wollte zwei Wochen bleiben, am Ende wurde es ein ganzer Monat. Im nächsten Jahr wollte ich einen Monat bleiben und hielt mich den ganzen Sommer dort auf; als er zu Ende ging, kauften meine Frau und ich in dem Tal ein Haus. Seitdem kommen wir immer wieder und verbringen einen großen Teil des Jahres in Montana. Jedes Mal, wenn ich auf der geraden Straße von Missoula ins Bitterroot Valley fahre, erfüllt der erste Anblick der Landschaft mich aufs Neue mit jenem Gefühl der Ruhe und Erhabenheit, und die gleiche Sichtweise für mein Verhältnis zum Universum stellt sich wieder ein. Sich dieses Gefühl zu bewahren, ist in Montana einfacher als irgendwo sonst.«
So wirkt die Schönheit von Montana auf die Menschen: auf jene, die wie Stan Falkow und ich in ganz anderen Gegenden aufgewachsen sind; auf Leute wie meinen Freund John Cook, die in anderen Gebirgsgegenden im Westen der USA groß geworden sind und sich dennoch nach Montana hingezogen fühlen; und auf wieder andere wie die Familie Hirschy, die aus Montana stammen und sich entschlossen haben, dort zu bleiben.
Ich selbst bin wie Stan Falkow im Nordosten der Vereinigten Staaten (Boston) geboren und war bis zu meinem 15. Lebensjahr nicht westlich des Mississippi; erst dann nahmen meine Eltern mich in den Sommerferien für ein paar Wochen mit ins Big Hole Basin unmittelbar südlich des Bitterroot Valley. Mein Vater war Kinderarzt und hatte sich um Johnny Eliel gekümmert, den Sohn eines Ranchers; er litt an einer seltenen Krankheit, und der Kinderarzt der Familie hatte ihm geraten, sich in Boston bei Spezialisten in Behandlung zu begeben. Johnny war der Urenkel des Schweizer Einwanderers Fred Hirschy Sr. der in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts als Pionier in der Big-Hole-Region eine Ranch gründete. Sein Sohn Fred Jr. war zur Zeit meines Besuches 69 Jahre alt; er leitete nach wie vor zusammen mit seinen erwachsenen Söhnen Dick und Jack Hirschy sowie seinen Töchtern Jill Hirschy Eliel (Johnnys Mutter) und Joyce Hirschy McDowell das Familienanwesen. Johnnys Zustand besserte sich durch die Behandlung meines Vaters, und nun luden seine Eltern und Großeltern unsere Familie ein, sie zu besuchen.
Wie Stan Falkow, so war auch ich von der Landschaft des Big Hole Basin sofort überwältigt: Ein weiter Talboden mit Wiesen und gewundenen Bächen, umgeben von Mauern aus Bergen, die je nach der Jahreszeit mit Schnee bedeckt sind und sich abrupt an jedem Horizont erheben. Montana nennt sich selbst »Big Sky State«, und ein »Staat des großen Himmels« ist es tatsächlich. An den anderen Orten, wo ich gewohnt habe, war der Blick auf den unteren Teil des Himmels meist durch Gebäude verdeckt, wenn es sich um Städte handelte, oder es gab zwar Berge, aber das Gelände war zerklüftet und die Täler schmal, sodass man wie in Neuguinea oder in den Alpen nur ein kleines Stück des Himmels sieht. Oder aber man sieht einen weiten Himmel, aber der ist nicht sonderlich interessant, weil sich am Horizont kein charakteristischer Ring aus Bergen erhebt - so ist es in den Ebenen von Iowa und Nebraska. Drei Jahre später, als ich aufs College ging, fuhr ich im Sommer zusammen mit zwei Kommilitonen und meiner Schwester wieder auf die Ranch von Dick Hirschy; wir arbeiteten bei der Heuernte mit.
Nach jenem Sommer 1956 dauerte es sehr lange, bis ich wieder nach Montana kam. Im Sommer hielt ich mich in anderen Gegenden auf, die auf ihre Weise ebenfalls sehr schön waren, so in Neuguinea oder in den Anden. Dennoch konnte ich Montana und die Familie Hirschy nie vergessen. Im Jahr 1998 erhielt ich schließlich durch Zufall eine Einladung des Teller Wildlife Refuge, einer privaten, gemeinnützigen Stiftung, die dort ihren Sitz hat. Es war eine gute Gelegenheit, meinen eigenen Söhnen - sie sind Zwillinge -Montana zu zeigen; sie waren nur wenige Jahre jünger als ich damals bei meinem ersten Besuch in dem Bundesstaat, und ich wollte ihnen auch beibringen, wie man Forellen mit Fliegen angelt. Meine Jungen fanden Gefallen daran: Einer macht jetzt eine Ausbildung zum Fischereiführer. Ich nahm die Verbindung zu Montana wieder auf und besuchte meinen Oberrancher Dick Hirschy mit seinen Geschwistern, die jetzt alle über siebzig und teilweise schon über achtzig waren. Sie arbeiteten immer noch das ganze Jahr, genau wie 45 Jahre zuvor, als ich sie kennen gelernt hatte. Seit jenem Besuch fahre ich mit meiner Familie jedes Jahr nach Montana.
Der große Himmel ist mir ans Herz gewachsen. Nachdem ich so viele Jahre in anderen Gegenden gewesen war, brauchte ich mehrere Reisen nach Montana, um mich an das Panorama dieses Himmels zu gewöhnen; erst allmählich wurde mir klar, wie sehr ich mich darüber freue, diese Landschaft während eines Teils meines Lebens täglich um mich zu haben - und ich entdeckte, wie ich mich dafür öffnen und mich davon zurückziehen konnte, immer in dem Wissen, dass ich jederzeit wiederkommen kann. Los Angeles hat für meine Familie und mich große praktische Vorteile als ganzjähriger Ort für Arbeit, Schule und Wohnen, aber Montana ist unendlich viel schöner und friedlicher. Der schönste Anblick der Welt ist für mich der Blick hinunter auf die Wiesen des Big Hole und hinauf zu den schneebedeckten Gipfeln der Rocky Mountains, wie man ihn von der Terrasse der Ranch von Jill und John Eliel genießen kann.
Montana und ganz besonders das Bitterroot Valley im Südwesten ist ein Land der Widersprüche. Unter den 48 zusammenhängenden Bundesstaaten der USA ist Montana flächenmäßig der drittgrößte, mit der Bevölkerungszahl steht es aber an sechster Stelle von hinten, und deshalb hat es auch die zweitniedrigste Bevölkerungsdichte. Das Tal ist heute üppig grün, ganz im Gegensatz zu seiner ursprünglichen Vegetation, die nur aus Beifuß bestand. Der Kreis Ravalli, zu dem das Tal gehört, ist so schön und zieht so viele Einwanderer aus anderen Teilen der Vereinigten Staaten (auch aus anderen Regionen von Montana) an, dass er zu den am schnellsten wachsenden Kreisen des ganzen Landes gehört; andererseits verlassen aber 70 Prozent der High-School-Absolventen die Gegend, und die meisten davon ziehen auch aus Montana weg. Während die Bevölkerung im Tal wächst, geht sie im Osten von Montana ansonsten zurück, und insgesamt ergibt sich für den Staat eine stagnierende Bevölkerungsentwicklung. Im Kreis Ravalli ist die Zahl der Bürger über fünfzig Jahre in den letzten zehn Jahren steil angestiegen, die Zahl derer zwischen dreißig und vierzig ist dagegen gesunken. Einige neue Bewohner des Tales sind sehr wohlhabend, unter ihnen Charles Schwab, Gründer eines Brokerhauses, und Intel-Präsident Craig Barrett; dennoch gehört Ravalli zu den ärmsten Kreisen in Montana, das wiederum nahezu der ärmste US-Bundesstaat ist. Viele Bewohner des Kreises müssen zwei oder drei Berufe ausüben, um sich ein Leben an der offiziellen Armutsgrenze zu finanzieren.
Normalerweise bringen wir Montana mit Naturschönheiten in Verbindung, und was die Umwelt angeht, ist es vielleicht tatsächlich unter allen 48 zusammenhängenden Staaten am wenigsten geschädigt. Letztlich ist das der wichtigste Grund, warum so viele Menschen in den Kreis Ravalli ziehen. Mehr als ein Viertel der Landflächen in dem Staat und sogar drei Viertel des Kreises sind in Bundesbesitz, überwiegend in der Kategorie der Nationalen Wälder. Dennoch ist das Bitterroot Valley ein Mikrokosmos der Umweltprobleme, mit denen die ganzen Vereinigten Staaten zu kämpfen haben: Bevölkerungswachstum, Zuwanderung, Wasserknappheit und abnehmende Wasserqualität, lokal und jahreszeitlich schlechte Luftqualität, Giftmüll, erhöhte Waldbrandgefahr, Waldsterben, Bodenerosion und Nährstoffverlust, Rückgang der Artenvielfalt, Schäden durch eingeschleppte Schädlinge, Auswirkungen des Klimawandels.
Für den Anfang eines Buches über Umweltprobleme in Vergangenheit und Gegenwart ist Montana eine ideale Fallstudie. Bei den historischen Gesellschaften, die ich noch erörtern werde - Polynesien Anasazi, Maya, Normannisch-Grönland und andere - wissen wir heute, wie sich die Entscheidungen ihrer Mitglieder über die Umweltbewirtschaftung am Ende ausgewirkt haben, aber in den meisten Fällen kennen wir weder Namen noch persönliche Geschichten, und über die Motive, die sie zu ihrem Handeln veranlassten, können wir nur Vermutungen anstellen. Im Montana von heute dagegen kennen wir Namen, Biographien und Motive. Mit manchen beteiligten Personen bin ich seit über fünfzig Jahren befreundet. Wenn wir die Motive der Menschen von Montana verstehen, können wir uns auch eine bessere Vorstellung von den Beweggründen der Menschen früherer Zeiten machen. Dieses Kapitel soll einem Thema, das ansonsten vielleicht sehr abstrakt erscheint, ein menschliches Gesicht verleihen.
Außerdem ist Montana ein heilsames Gegengewicht zu den Beschreibungen in den nachfolgenden Kapiteln, die kleinen, armen, abseits gelegenen, historischen Gesellschaften und ihrer empfindlichen Umwelt gewidmet sind. Ich habe mich bewusst entschlossen, gerade diese Gesellschaften zu erörtern, weil sie am stärksten unter den Folgen ihrer Umweltschäden gelitten haben und deshalb die Prozesse, die das Thema dieses Buches sind, besonders anschaulich machen. Dass sie nicht als einzige Gesellschaften schwer wiegenden Umweltproblemen ausgesetzt sind, zeigt das Kontrastbeispiel Montana. Es gehört zur reichsten Nation der Welt, ist in diesem Land eine der urtümlichsten und am dünnsten besiedelten Regionen und hat scheinbar mit Umwelt und Bevölkerung weniger Probleme als der Rest der Vereinigten Staaten. Sicher, in Montana sind die Probleme weniger akut als in meiner Heimatstadt Los Angeles, wo die Amerikaner sich mit Übervölkerung, Verkehr, Smog, Wasserknappheit, schlechter Wasserqualität und Giftmüll herumschlagen müssen, und auch in den meisten anderen Ballungsräumen, wo ein Großteil der US-Bürger zu Hause ist, sind sie schlimmer. Wenn es in Montana dennoch Umwelt- und Bevölkerungsprobleme gibt, versteht man besser, wie schwer wiegend diese Probleme in anderen Regionen der USA sein müssen. Am Beispiel Montana werde ich die fünf Hauptthemen dieses Buches deutlich machen: die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt; den Klimawandel; die Beziehungen einer Gesellschaft zu freundlich gesonnenen Nachbargesellschaften (in diesem Fall andere US-Bundesstaaten): die Gefährdung einer Gesellschaft durch potenzielle Feinde (beispielsweise Terroristen aus anderen Kontinenten und Ölproduzenten); und die Bedeutung der Frage, wie eine Gesellschaft auf solche Probleme reagiert.
In der gesamten Gebirgsregion im Westen Nordamerikas wird die Nahrungsmittelproduktion durch ökologische Nachteile beeinträchtigt, und entsprechend eignet sich auch Montana nur begrenzt für Nutzpflanzenanbau und Viehzucht. Im Einzelnen sind das folgende Faktoren: der geringe Niederschlag, der Pflanzen nur langsam wachsen lässt; die hohe nördliche Breite und die Höhenlage, beides Faktoren, die für eine kurze Wachstumssaison sorgen, sodass nur eine Getreideernte im Jahr möglich ist und nicht zwei wie in Gegenden mit einem längeren Sommer; und die große Entfernung zu den Märkten in den dichter besiedelten Regionen der USA, wo man die Produkte verkaufen kann. Die Folge: Alles, was in Montana wächst, kann in anderen Regionen Nordamerikas billiger und mit höherem Ertrag produziert werden, und es lässt sich schneller und billiger in die Ballungsräume transportieren. Deshalb ist die Geschichte Montanas geprägt von immer neuen Versuchen, die gleiche grundlegende Frage zu beantworten: Wie kann man in diesem schönen, aber landwirtschaftlich nicht konkurrenzfähigen Staat seinen Lebensunterhalt verdienen?
Die Besiedelung Montanas durch die Menschen gliedert sich in mehrere wirtschaftliche Phasen. Die Erste war die der amerikanischen Ureinwohner, die vor mindestens 13 000 Jahren einwanderten. Im Gegensatz zu den bäuerlichen Gesellschaften, die sie im Osten und Süden Nordamerikas bildeten, blieben die Ureinwohner in Montana bis zur Besiedelung durch die Europäer immer Sammler und Jäger, selbst in Regionen, wo heute Ackerbau und Viehzucht praktiziert werden. Das lag unter anderem daran, dass es in Montana keine einheimischen wilden Pflanzen- und Tierarten gab, deren Domestikation sich angeboten hätte, und deshalb konnte die Landwirtschaft hier im Gegensatz zum Osten Nordamerikas und Mexikos keinen unabhängigen Ursprung nehmen. Außerdem lag Montana von den beiden Zentren, wo die amerikanischen Ureinwohner unabhängig die Landwirtschaft erfanden, weit entfernt; die dort angebauten Nutzpflanzen hatten sich selbst zur Zeit der ersten Europäer noch nicht bis nach Montana verbreitet. Heute leben drei Viertel der verbliebenen Ureinwohner Montanas in sieben Reservaten, die mit Ausnahme ihrer Weideflächen arm an natürlichen Ressourcen sind.
Die ersten Europäer, deren Besuch in Montana urkundlich belegt ist, waren Mitglieder der Lewis-Clark-Transkontinentalexpedition von 1804 bis 1806. Sie hielten sich im Gebiet des späteren Montana länger auf als in jedem anderen Bundesstaat. Dann folgte die zweite Phase der wirtschaftlichen Entwicklung mit den »Bergmännern«, Pelzjägern und Pelzhändlern, die aus Kanada und auch aus den USA kamen. Die nächste Phase begann 1860 und ging von drei wirtschaftlichen Neugründungen aus, die sich (allerdings mit verminderter Bedeutung) bis heute erhalten haben: Bergbau (insbesondere Kupfer und Gold), Holzwirtschaft und Lebensmittelproduktion mit Rinder- und Schafzucht sowie mit Getreide-, Obst- und Gemüseanbau. Die Zuwanderung von Bergleuten zu der großen Kupfermine bei Nutte ließ auch andere Wirtschaftszweige aufblühen, die die Bedürfnisse dieses staatsinternen Marktes befriedigten. Insbesondere wurde im Bitterroot Valley viel Holz geschlagen, weil man Brennstoff für die Bergwerke, Baumaterial für die Häuser der Bergleute und Stützbalken für die Minen brauchte. Außerdem wurden in dem Tal viele Lebensmittel für die Bergleute produziert - die Region erhielt wegen ihrer südlichen Lage und ihrem (nach hiesigen Maßstäben) milden Klima den Spitznamen Montanas Banana Belt. Die Niederschlagsmenge in dem Tal ist zwar mit rund 380 Millimetern gering, und die natürliche Vegetation besteht nur aus amerikanischem Beifuß, aber bereits die ersten europäischen Siedler taten in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts etwas gegen diesen Nachteil: Sie bauten kleine Bewässerungskanäle, die von den Bachläufen auf der Westseite des Tales mit dem abfließenden Wasser der Bitterroot Mountains gespeist wurden. Später wurden zwei große, aufwendige Bewässerungssysteme gebaut. Eines davon, »Big Ditch« genannt, entstand 1908 bis 1910 und bezog sein Wasser aus dem Lake Como auf der Westseite des Tales; das Zweite bestand aus mehreren großen Kanälen, deren Wasser aus dem Bitterroot River selbst stammte. Die Bewässerung ermöglichte seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine starke Ausweitung der Apfelplantagen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte; heute werden nur noch wenige dieser Plantagen kommerziell betrieben.
Zwei Grundpfeiler der Wirtschaft Montanas, Jagd und Fischerei, sind heute vom Mittel zum Lebensunterhalt zur Freizeitbeschäftigung geworden; der Pelzhandel ist ausgestorben; die Bedeutung von Bergbau, Holz- und Landwirtschaft geht wegen der im Folgenden erörterten wirtschaftlichen und ökologischen Faktoren zurück. Zu den wachsenden Wirtschaftszweigen dagegen gehören heute Tourismus, Freizeitindustrie, Seniorensiedlungen und Gesundheitswesen. Der wirtschaftliche Wandel im Tal hatte 1996 einen symbolischen Wendepunkt erreicht, als die Bitterroot Stock Farm, ein Anwesen von rund 1050 Hektar, das früher der Stammsitz des Kupferbarons Marcus Daly gewesen war, in den Besitz des reichen Aktienmaklers Charles Schwab überging. Er machte Dalys Anwesen zu einer Residenz für sehr reiche Leute aus anderen Bundesstaaten, die in dem schönen Tal eine Zweit- (oder Dritt- oder Viert-)Wohnung haben wollten, um dort mehrmals im Jahr zu angeln, zu jagen, zu reiten oder Golf zu spielen. Zur Stock Farm gehören heute neben einem meisterschaftstauglichen 18-Loch-Golfplatz insgesamt 125 Häuser und Hütten, wobei »Hütte« die untertriebene Bezeichnung für ein Gebäude mit sechs Zimmern, 550 Quadratmetern Grundstück und einem Kaufpreis von mindestens 800 000 Dollar ist. Wer eine solche Parzelle erwerben will, muss beste Vermögens- und Einkommensverhältnisse nachweisen; das Mindeste ist der Erwerb einer Clubmitgliedschaft, die mit einer Aufnahmegebühr von 125 000 Dollar zu Buche schlägt, mehr als dem siebenfachen durchschnittlichen Jahreseinkommen der Bewohner im Kreis Ravalli. Die gesamte Stock Farm ist eingezäunt, und ein Schild an der Einfahrt verkündet: »Nur für Mitglieder und Gäste«. Viele Bewohner kommen mit dem Privatflugzeug. Den Ort Hamilton betreten sie auch zum Einkaufen höchst selten: Meist essen sie im Clubrestaurant der Stock Farm, oder sie lassen sich ihre Lebensmittel von Clubbediensteten aus Hamilton bringen. Ein verbitterter Bewohner aus der Gegend von Hamilton erklärte mir einmal: »Das Neureichenpack sieht man nur dann, wenn sie aus Neugierde wie Touristen in dichten Rudeln in die Stadt gehen.«
Die Ankündigung der Baupläne für die Stock Farm war für manche langjährigen Bewohner des Bitterroot Valley ein Schock: Sie prophezeiten, niemand werde so viel Geld für eine Parzelle in dem Tal bezahlen, und die Grundstücke würden unverkäuflich bleiben. Wie sich herausstellte, hatten die Alteingesessenen Unrecht. Auch früher hatten Reiche aus anderen Staaten einzelne Immobilien in dem Tal gekauft, aber die Eröffnung der Stock Farm war ein symbolischer Meilenstein, weil nun so viele wohlhabende Käufer gleichzeitig hier Land erwarben. Die Stock Farm machte allen klar, um wie viel wertvoller das Land in dem Tal war, wenn man es nicht für die traditionelle Rinder- und Apfelproduktion nutzte, sondern für Freizeitzwecke.
Zu der schwierigen Umweltsituation in Montana tragen heute fast alle zwölf Probleme bei, die in der Vergangenheit die vorindustriellen Gesellschaften gefährdeten und heute auch in anderen Regionen der Erde die Gesellschaften bedrohen. Auffällig sind in Montana vor allem Schwierigkeiten mit Giftmüll, Wäldern, Boden, Wasser- und manchmal auch Luftverschmutzung, Klimawandel, schwindender Artenvielfalt und eingeschleppten Schädlingen. Ich möchte mit dem Problem beginnen, das am leichtesten durchschaubar erscheint: dem Giftmüll.
In Montana wachsen die Bedenken rund um ausgewaschenen Dünger, Gülle, Sickergrubeninhalt und Herbizide, aber das bei weitem größte Giftmüllproblem sind die Abfälle des Metallbergbaus. Ein Teil davon stammt schon aus dem 19. Jahrhundert, anderer aus neuerer Zeit oder aus dem laufenden Betrieb. Der Erzabbau - vor allem Kupfer, aber auch Blei, Molybdän, Palladium, Platin, Zink, Gold und Silber - war einer der traditionellen wirtschaftlichen Grundpfeiler von Montana. Dass irgendwo und irgendwie Metall abgebaut werden muss, wird niemand bestreiten: Die moderne Zivilisation mit Chemie-, Bau-, Elektro- und Elektronikbranche ist darauf angewiesen. Die Frage lautet vielmehr: Wo und wie lassen sich metallhaltige Erze am besten gewinnen?
Leider stellt das angereicherte Erz, das zur Metallgewinnung am Ende von den Minen in Montana abtransportiert wird, nur einen Bruchteil der zunächst geförderten Materialmenge dar. Der Rest besteht aus Abraum und Rückständen, die noch Kupfer, Arsen, Cadmium und Zink enthalten. Alle diese Substanzen sind für Menschen (aber auch für Fische, Wild- und Nutztiere) giftig und sollten deshalb möglichst nicht in Grundwasser, Flüsse und Böden gelangen. In Montana ist das Erz außerdem reich an Eisensulfid, aus dem Schwefelsäure entsteht. Es gibt in dem Staat ungefähr 20 000 aufgegebene Minen, manche davon jüngeren Datums, andere aber schon über 100 Jahre alt, und alle geben auf unabsehbare Zeit Säure und die giftigen Metalle ab. In der Mehrzahl der Fälle leben keine Erben der Minenbesitzer mehr, die finanzielle Verpflichtungen übernehmen könnten, oder man kennt die Eigentümer, aber die haben nicht genug Geld, um ihren Anspruch auf die Minen geltend zu machen und für eine dauerhafte Lösung des Abwasserproblems zu sorgen.
In der riesigen Kupfermine von Butte und einer nahe gelegenen Kupferschmelze wurde schon vor über 100 Jahren deutlich, dass die Giftstoffe zum Problem werden können.
Damals mussten die Rancher in der Nachbarschaft miterleben, wie ihre Rinder starben, und sie verklagten die Anaconda Copper Company, der die Mine gehörte. Anaconda leugnete jede Verantwortung und gewann auch den Prozess, aber 1907 baute das Unternehmen dennoch den ersten Absetzteich, um die giftigen Abfälle zurückzuhalten. Dass man Abfälle aus dem Bergbau sammeln und damit die Probleme vermindern kann, weiß man also schon seit langem; manche moderne Bergwerke auf der ganzen Welt tun das heute mit neuester Technologie, andere dagegen ignorieren das Problem nach wie vor. In den USA ist heute jede neu eröffnete Mine gesetzlich verpflichtet, Rücklagen in einer eigenen Firma zu bilden, die für die Beseitigung der Umweltschäden aufkommt, falls das Bergbauunternehmen selbst insolvent wird. Aber wie sich herausstellte, waren viele Minen »unterversichert« (das heißt, die Rücklagen reichten am Ende für die Entsorgungskosten nicht aus), und ältere Bergbauunternehmen waren von dieser Regelung nicht betroffen.
Unternehmen, die ältere Minen erworben haben, reagieren auf die Verpflichtung zur Schadensbeseitigung in Montana wie in anderen Regionen auf zweierlei Weise. Insbesondere die Eigentümer kleinerer Firmen melden Insolvenz an, verstecken in manchen Fällen ihr tatsächlich vorhandenes Vermögen und setzen ihre Geschäftstätigkeit in anderen oder neu gegründeten Unternehmen fort, die keine Verantwortung für die Aufräumarbeiten in der alten Mine tragen. Ist das Unternehmen so groß, dass es nicht glaubhaft behaupten kann, es werde durch die Aufräumkosten Bankrott gehen (wie im Fall ARCO, den ich im Folgenden genauer beschreiben werde), leugnet die Firma stattdessen ihre Zuständigkeit oder versucht auf andere Weise, die Kosten möglichst niedrig zu halten. In beiden Fällen bleiben die Mine selbst und die flussabwärts gelegenen Gebiete verschmutzt und eine Gefahr für die Menschen, oder die US-Bundesregierung und der Staat Montana (das heißt letztlich alle Steuerzahler) kommen über einen Bundesfonds und einen entsprechenden Fonds des Staates Montana für die Aufräumkosten auf.
Die beiden genannten Reaktionen der Bergbauunternehmen werfen eine Frage auf, die uns in diesem Buch immer wieder begegnen wird, wenn wir verstehen wollen, warum Einzelpersonen oder Personengruppen der Gesamtgesellschaft bewusst Schaden zufügen. Die Leugnung oder Verminderung der Zuständigkeit mag kurzfristig im finanziellen Interesse des Bergbauunternehmens liegen, aber für die Gesellschaft als Ganzes ist sie schädlich, und sie kann langfristig auch dem Unternehmen selbst oder der gesamten Branche schaden. Die Bewohner Montanas schätzen den Bergbau seit jeher als traditionellen Bestandteil der Identität ihres Heimatstaates, in jüngster Zeit sind sie aber im Hinblick auf diese Industrie zunehmend desillusioniert und haben zu ihrem fast völligen Verschwinden in Montana beigetragen. Im Jahr 1998 beispielsweise versetzten die Wähler von Montana der Industrie und den Politikern, die sie unterstützten und von ihr unterstützt wurden, einen Schock: Sie beschlossen in einer Volksabstimmung das Verbot der Cyanidlaugung, einer problematischen Goldgewinnungsmethode, die ich im Folgenden noch genauer beschreiben werde. Manche meiner Bekannten aus Montana sagen heute: Wenn man die Steuermilliarden für die Aufräumarbeiten bei den Minen im Rückblick mit dem wenigen vergleicht, was Montana von den Bergbauunternehmen bekommen hat, während die Profite zum größten Teil an die Aktionäre im Osten der USA und in Europa geflossen sind, dann wäre unser Staat langfristig besser beraten gewesen, nie selbst Kupfer abzubauen, sondern es aus Chile zu importieren und den Chilenen die Probleme zu überlassen!
Wer wie ich nichts mit Bergbau zu tun hat, kann leicht über die Firmen der Branche die Nase rümpfen und ihr Verhalten als moralisch verwerflich darstellen. Haben sie uns nicht wissentlich Schaden zugefügt, und drücken sie sich nicht jetzt um die Verantwortung?
In Wirklichkeit ist die moralische Frage komplizierter. In einem kürzlich erschienenen Buch fand ich folgende Erklärung: »Der ASARCO [American Smelting and Refining Company, ein riesiger Bergbau- und Metallgewinnungskonzern] kann man es [dass sie eine besonders giftige Mine, die ihr gehörte, nicht gesäubert hat] kaum vorwerfen. In Amerika sind Firmen dazu da, ihren Eigentümern Geld zu bringen; so funktioniert der amerikanische Kapitalismus. Zum Prozess des Geldverdienens gehört auch, dass man es nicht unnötig ausgibt ... eine solche knallharte Philosophie gibt es nicht nur in der Bergbaubranche. Erfolgreiche Unternehmen unterscheiden zwischen Aufwendungen, die notwendig sind, um im Geschäft zu bleiben, und jenen, die eher nachdenklich als ›moralische Verpflichtungen gelten. Dass diese Unterscheidung so häufig absichtlich oder unabsichtlich nicht verstanden und akzeptiert wird, ist einer der Gründe für die Spannungen zwischen den Befürwortern breit angelegter Umweltprogramme und der Geschäftswelt. Unternehmer sind meist Finanzberater oder Anwälte und keine Geistlichen.« Diese Erklärung stammt nicht vom Vorstandsvorsitzenden von ASARCO, sondern von dem Umweltberater David Stiller, der in seinem Buch Wounding the West: Montana, Mining and the Environment zu klären versucht, wie die Probleme mit dem Giftmüll aus dem Bergbau in Montana entstanden sind und was die Gesellschaft zu ihrer Behebung tun muss.
Grausam, aber wahr: Eine einfache Methode zum Aufräumen alter Minen gibt es nicht. Die ersten Bergleute konnten sich benehmen, wie sie wollten: Es gab so gut wie keine behördlichen Auflagen, und da sie Geschäftsleute waren, arbeiteten sie nach den von Stiller beschriebenen Prinzipien. Erst 1971 verabschiedete der Bundesstaat Montana ein Gesetz, das die Bergbauunternehmen verpflichtete, das Gelände aufgegebener Minen zu reinigen. Selbst finanzkräftige Firmen wie ARCO und ASARCO, die vielleicht zu Aufräumarbeiten bereit wären, haben einen ausgesprochenen Widerwillen dagegen, wenn sie merken, dass von ihnen das Unmögliche verlangt wird, dass die Kosten explodieren können und dass die Ergebnisse nicht den Erwartungen der Öffentlichkeit entsprechen. Wenn der Minenbesitzer nicht zahlen kann oder will, werden auch die Steuerzahler sehr unwillig, wenn sie mit Milliardenbeträgen in die Bresche springen sollen. Bei den Steuerzahlern entsteht der Eindruck, dass das Problem schließlich schon lange vor ihrer Haustür besteht, ohne dass darüber gesprochen wurde, und dass es demnach so schlimm nicht sein kann; die meisten wehren sich gegen finanzielle Aufwendungen, solange keine akute Krise besteht; und die Zahl der Steuerzahler, die gegen Giftmüll protestieren oder hohe Steuern gutheißen, ist einfach zu gering. So betrachtet, ist die amerikanische Öffentlichkeit an der Untätigkeit ebenso schuld wie Bergbauunternehmen und Behörden; letztlich liegt die Verantwortung bei allen Bürgern. Nur wenn öffentlicher Druck die Politiker zur Verabschiedung von Gesetzen zwingt, die den Unternehmen ein anderes Verhalten vorschreiben, werden diese ihre Vorgehensweise ändern; ansonsten würden die Unternehmen sich wie gemeinnützige Institutionen verhalten und die Verantwortung gegenüber ihren Aktionären vernachlässigen. Zu welch unterschiedlichen Folgen dieses Dilemma führen kann, möchte ich an drei Beispielen deutlich machen: an den Fällen Clark Fork, Milltown Dam und Pegasus Zortman-Landusky Mine.
Die Bergbauunternehmen, aus denen später die Anaconda Copper Company hervorgehen sollte, nahmen 1882 bei Butte am Clark Fork, einem Zufluss des Columbia River, ihre Tätigkeit auf. Schon 1900 lieferte Butte die Hälfte der gesamten US-Kupferproduktion. Bis 1955 wurde das Erz vorwiegend in unterirdischen Stollen abgebaut, aber in diesem Jahr begann Anaconda mit dem Tagebau und grub den Berkeley Pit, heute ein riesiges, fast 600 Meter tiefes Loch mit über eineinhalb Kilometern Durchmesser.
Säure- und schwermetallhaltige Minenabwässer wurden in Riesenmengen in den Clark Fork River geleitet. Aber dann führten ausländische Billigkonkurrenz, Enteignung der firmeneigenen Minen in China und wachsendes Umweltbewusstsein in den USA zum Niedergang von Anaconda. Das Unternehmen wurde 1976 von dem Ölkonzern ARCO aufgekauft (der sich kürzlich auch den noch größeren Ölkonzern BP einverleibte): dieser schloss 1980 das Schmelzwerk und 1983 auch die eigentliche Mine, sodass im Gebiet von Butte mehrere tausend Arbeitsplätze und drei Viertel der wirtschaftlichen Grundlage verloren gingen.
Heute ist der Clark Fork River mit dem Berkeley Pit das größte staatlich finanzierte Sanierungsgebiet der USA. Nach Ansicht von ARCO ist es unfair, den Konzern für die Schäden verantwortlich zu machen, die von den früheren Eigentümern der Mine angerichtet wurden, bevor es das Gesetz über die staatliche Sanierung überhaupt gab. Bundes- und Staatsregierung dagegen vertreten die Auffassung, dass ARCO mir den Vermögenswerten von Anaconda auch deren Verbindlichkeiten übernommen hat. Wenigstens werden ARCO und BP in nächster Zeit keine Insolvenz anmelden. Einer meiner Freunde, ein Umweltschützer, sagte einmal zu mir: »Die versuchen, mit möglichst geringen Zahlungen davonzukommen, es gibt schlimmere Firmen als ARCO.« Das säurehaltige Wasser, das aus dem Berkeley Pit austritt, soll abgepumpt und dauerhaft unschädlich gemacht werden. ARCO hat an den Staat Montana bereits mehrere hundert Millionen Dollar für die Rekultivierung des Clark Fork bezahlt; insgesamt werden die Verbindlichkeiten auf rund eine Milliarde geschätzt, aber das sind unsichere Angaben, denn die Giftentsorgung erfordert viel Energie, und wie viel die in vierzig Jahren kosten wird, weiß niemand.
Der zweite Fall ist der Milltown Dam, ein Staudamm, der 1907 unterhalb von Butte am Clark Fork River erbaut wurde und Strom für ein nahe gelegenes Sägewerk erzeugen sollte. Seit jener Zeit wurden mehr als fünf Millionen Kubikmeter arsen-, cadmium-, kupfer-, blei- und zinkhaltiger Schlamm aus den Minen von Butte angespült und haben sich in dem Stausee hinter dem Damm gesammelt. Dies führt unter anderem zu dem »kleineren« Problem, dass die Fische wegen des Dammes nicht mehr durch den Clark Fork und Blackfoot River wandern können (Letzterer ist der Forellenbach, der durch Robert Redfords Film Aus der Mitte entspringt ein Fluss und die gleichnamige Novelle von Norman Maclean bekannt wurde). Das Hauptproblem erkannte man 1981, als den Bewohnern der Gegend bei dem Trinkwasser aus ihren Brunnen ein unangenehmer Geschmack auffiel: Von dem Stausee geht ein riesiger Grundwasserhorizont aus, dessen Arsengehalt gefährlich hoch ist und um das 42fache über dem gesetzlich zulässigen Grenzwert liegt. Der Damm ist altersschwach, reparaturbedürftig und schlecht verankert; außerdem liegt er in einem Erdbebengebiet. 1996 wäre er bei Eisgang um ein Haar gebrochen, und man rechnet damit, dass er früher oder später nachgibt. Heute würde niemand auf die Idee kommen, einen derart schwächlichen Damm zu errichten. Wenn er bricht und den Giftschlamm freigibt, wird das Trinkwasser von Missoula - die größte Stadt im Südwesten von Montana liegt nur elf Kilometer stromabwärts - ungenießbar, und die Fischgründe am Unterlauf des Clark Fork River wären zerstört.
Die Verantwortung für den Giftschlamm hinter dem Damm übernahm ARCO mit dem Kauf der Anaconda Mining Company, die mit ihrer Tätigkeit die Sedimente erzeugt hatte. Die Beinahekatastrophe beim Eisgang 1996, die in diesem Jahr und dann noch einmal 1998 zur Freisetzung kupferbelasteten Wassers und damit flussabwärts zu einem Fischsterben führte, ließ schließlich die Erkenntnis reifen, dass mit dem Damm etwas geschehen musste. Von Bund und Staat beauftragte Experten empfahlen, das Bauwerk zusammen mit dem Giftschlamm abzutragen, ein Projekt, das ARCO ungefähr 100 Millionen Dollar gekostet hätte. Lange bestritt der Konzern, dass der Giftschlamm das Fischsterben verursacht hatte, und er leugnete auch seine Verantwortung für den hohen Arsengehalt im Grundwasser von Milltown sowie für Krebserkrankungen in der Umgebung. Gleichzeitig finanzierte er in der nahe gelegenen Kleinstadt Bonner eine »Bürgerinitiative«, die sich gegen den Abriss des Dammes wandte und vorschlug, ihn stattdessen mit dem viel geringeren Aufwand von 20 Millionen Dollar zu verstärken. Aber Politiker, Geschäftsleute und Öffentlichkeit von Missoula, die den Vorschlag zum Abriss des Dammes anfangs lächerlich fanden, erwärmten sich schnell dafür. Im Jahr 2003 stimmte die Bundesumweltbehörde zu, und damit ist es heute so gut wie sicher, dass der Damm verschwinden wird.
Der dritte Fall betrifft die Zortman-Landusky Mine; sie gehört Pegasus Gold, einer kleinen Firma, die von Mitarbeitern anderer Bergbauunternehmen gegründet wurde. Dort bediente man sich der Cyanidlaugung, eines Verfahrens zur Aufbereitung von Erz mit sehr niedrigem Goldgehalt -50 Tonnen Erz muss man verarbeiten, um eine Feinunze Gold zu gewinnen. Das Erz wird im Tagebau abgebaut, in einer wasserdicht ausgekleideten Grube zu einem Haufen von der Größe eines kleinen Berges aufgeschüttet und dann mit einer Cyanidlösung besprüht; Cyanid wurde vor allem bekannt, weil es das Blausäuregas entstehen lässt, das sowohl bei den Nazis als auch in amerikanischen Gefängnissen für die Gaskammern verwendet wurde. Blausäure hat aber auch die nützliche Eigenschaft, Gold zu binden. Wenn die cyanidhaltige Lösung durch den Erzhaufen sickert, löst sie das Gold heraus; anschließend wird sie in ein Auffangbecken geleitet und dann in eine Aufbereitungsanlage gepumpt, die ihr das Gold entzieht. Die verbleibende Cyanidlösung, die außerdem auch Schwermetalle enthält, wird in der Umgebung durch Versprühen über Wäldern und Wiesenflächen entsorgt, oder man reichert sie mit neuem Cyanid an und sprüht sie ein weiteres Mal auf den Erzhaufen.
Natürlich können bei diesem Verfahren mehrere Dinge schief gehen, und in der Zirtman-Landusky Mine gingen sie alle schief. Die Auskleidung der Erzgrube ist nur wenige Millimeter dick und bekommt unter dem Gewicht von Millionen Tonnen Erz, die von schweren Maschinen bewegt werden, zwangsläufig Lecks. Der giftige Inhalt des Auffangbehälters kann überlaufen; dies geschah in der Zortman-Landusky Mine während eines Unwetters. Und schließlich ist das Cyanid auch selbst gefährlich: Als in der Mine durch Überflutung ein Notfall eingetreten war, erhielten die Eigentümer eine Ausnahmegenehmigung, die überschüssige Lösung in der Nähe zu versprühen, damit die Gruben nicht barsten; durch falsche Handhabung entwickelte sich jedoch Blausäuregas, an dem mehrere Arbeiter fast gestorben wären. Am Ende meldete Pegasus Gold Insolvenz an, und die riesigen offenen Gruben, Erzhaufen und Auffangbehälter, aus denen auf unabsehbare Zeit Säure und Cyanid austreten, wurden aufgegeben. Die Rücklagen reichten nicht aus, um die Sanierung des Geländes zu finanzieren, sodass die restlichen Kosten, nach Schätzungen mindestens 40 Millionen Dollar, an den Steuerzahlern hängen blieben. Diese drei Fallstudien zu den Problemen mit giftigen Bergbauabfällen und viele tausend weitere machen deutlich, warum in jüngster Zeit zahlreiche Besucher aus Deutschland, Südafrika, der Mongolei und anderen Ländern nach Montana kamen, um sich vor eigenen Bergbauinvestitionen aus erster Hand über schädliche Praktiken und ihre Folgen zu informieren.
Ein zweiter ökologischer Problemkomplex in Montana betrifft das Abholzen und Abbrennen der Wälder. Genau wie niemand leugnen wird, dass irgendwo und irgendwie Metall abgebaut werden muss, so stellt auch niemand infrage, dass Holzgewinnung für die Bau- und Papierindustrie unverzichtbar ist. Meine Bekannten in Montana, die der Holzindustrie freundlich gegenüberstehen, stellen gern folgende Frage: Wenn man gegen die Holzgewinnung in Montana ist, woher soll das Holz dann stattdessen kommen?
Im Bitterroot Valley begann die kommerzielle Forstwirtschaft 1886, als die Bergbaugemeinde Butte Balken aus Gelbkiefernholz brauchte. Nach dem Zweiten Weltkrieg führten der Bauboom in den USA und der dadurch verursachte Holzbedarf dazu, dass der Umsatz mit Holz aus den nationalen Wäldern der USA ungefähr 1972 mit dem Sechsfachen des Wertes von 1945 seinen Höhepunkt erreichte. Über den Wäldern versprühte man DDT, um Baumschädlinge auszurotten. Um den Ertrag zu steigern und die Holzgewinnung effizienter zu gestalten, wollte man viele gleichförmige, gleich alte Bäume einer bestimmten Art heranziehen; also wurden nicht mehr einzelne markierte Bäume gefällt, sondern man holzte große Flächen ab. Diesen Vorteilen des vollständigen Abholzens standen aber auch einige Nachteile gegenüber: In den Bächen, die nicht mehr im Schatten von Bäumen lagen, stiegen die Wassertemperaturen so weit an, dass Fische keine optimalen Lebens- und Laichbedingungen mehr vorfanden; der Schnee auf dem sonnenbeschienenen Gelände schmolz im Frühjahr sehr schnell, während er in den Wäldern allmählich getaut war und den ganzen Sommer über Wasser für die Bewässerung der landwirtschaftlichen Flächen geliefert hatte; und in manchen Fällen nahm die Bodenerosion zu, während die Trinkwasserqualität sank. Vor allem aber hatte das Abholzen in einem Staat, dessen Bewohner die landschaftliche Schönheit für ihre wertvollste Ressource halten, den augenfälligen Nachteil, dass kahle Berghänge einfach hässlich aussehen.
Daraus ergab sich eine Debatte, die unter dem Namen »Clearcut Controversy« (»Abholzungsdebatte«) bekannt wurde. Empörte Rancher und Landbesitzer, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit in Montana gingen auf die Barrikaden. Die Beamten der US-Forstbehörde begingen den Fehler zu behaupten, sie seien die einzigen Profis, die über Forstwirtschaft Bescheid wüssten, und die Öffentlichkeit solle den Mund halten. Der Bolle Report von 1970, der von behördenunabhängigen Forstwirtschaftsexperten verfasst wurde, kritisierte die Vorgehensweise der Behörde und löste auch in West Virginia ähnliche Meinungsverschiedenheiten über das Abholzen von Waldflächen aus. Dies führte landesweit zu einem Wandel: Das völlige Abholzen wurde eingeschränkt, und man kehrte zu dem Prinzip zurück, die Wälder nicht nur im Hinblick auf die Holzgewinnung zu bewirtschaften, sondern auch zu anderen Zwecken (ein Ziel, das man bereits 1905 bei der Gründung der Forstbehörde ins Auge gefasst hatte).
In den Jahrzehnten seit der Abholzungsdebatte ist der Jahresumsatz der Forstbehörde mit Holz um über 80 Prozent zurückgegangen - unter anderem aufgrund der Umweltschutzbestimmungen im Endangered Species Act und im Clean Water Act, wonach die nationalen Wälder allen möglichen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum bieten müssen. Ein anderer Grund ist die Tatsache, dass die Zahl nutzbarer Bäume durch das Abholzen insgesamt gesunken ist. Wenn die Forstbehörde heute Holzverkäufe ins Auge fasst, sind die Umweltschutzorganisationen sofort mit Einspruchsverfahren und Appellen zur Stelle, bis zu deren Beilegung unter Umständen zehn Jahre vergehen; dies macht die Holzgewinnung selbst dann weniger wirtschaftlich, wenn die Einsprüche am Ende zurückgewiesen werden. Nach Ansicht praktisch aller meiner Bekannten in Montana - selbst derer, die sich als engagierte Umweltschützer bezeichnen - herrscht nun das andere Extrem. Sie sind frustriert, weil selbst Abholzungspläne, die ihnen gerechtfertigt erscheinen (zum Beispiel weil man damit die im Folgenden genauer erörterte Brandlast vermindern will) sich durch Gerichtsverfahren stark verzögern. Aber nach Ansicht der Umweltschutzorganisationen, die den Protest organisieren, muss man hinter allen scheinbar vernünftigen Plänen der Behörden versteckte Bestrebungen zugunsten des Abholzens vermuten. Die früheren Sägewerke im Bitterroot Valley sind heute ausnahmslos geschlossen, weil nur wenig Holz aus staatlichen Waldgebieten zur Verfügung steht und weil die Flächen, die sich in Privatbesitz befinden, bereits zwei Mal abgeholzt wurden. Mit der Schließung der Sägewerke sind nicht nur viele gut bezahlte, gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze verloren gegangen, sondern auch ein großer Teil des traditionellen Selbstverständnisses der Bürger von Montana.
In anderen Teilen des Bundesstaates außerhalb des Bitterroot Valley gibt es noch viele Waldgebiete in Privatbesitz; zum größten Teil handelt es sich dabei um staatliche Schenkungen aus den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als man die Firma Great Northern Railroad zum Bau einer Eisenbahnlinie quer durch den Kontinent bewegen wollte. Diese Flächen wurden 1989 von den Eisenbahngesellschaften an eine gewisse Plum Creek Timber Company mit Sitz in Seattle verkauft, die aus steuerlichen Gründen als Immobilienfonds organisiert ist (sodass Gewinne als Einkünfte aus Kapitalvermögen niedriger besteuert werden): dieses Unternehmen ist heute der größte private Waldbesitzer in Montana und der zweitgrößte der gesamten Vereinigten Staaten. Ich habe das Werbematerial von Plum Creek gelesen und mich mit Bob Jirsa unterhalten, ihrem Director of Corporate Affairs. Er verteidigt die Umweltpolitik seines Unternehmens und dessen nachhaltige Waldbewirtschaftung. Von vielen Bekannten in Montana habe ich aber auch sehr negative Meinungen über Plum Creek gehört. Typisch sind dabei folgende Klagen: »Plum Creek kümmert sich nur um seine Bilanzen«; »für nachhaltige Forstwirtschaft interessieren die sich nicht«; »die haben ein Unternehmensziel, und das heißt ›holt mehr Bäume raus‹«; »Plum Creek will mit dem Land so viel Geld wie irgend möglich verdienen, egal wie«.
Wer sich bei diesen polarisierten Meinungen an das erinnert fühlt, was ich bereits im Zusammenhang mit den Bergbauunternehmen berichtet habe, hat Recht. Plum Creek ist keine gemeinnützige Einrichtung, sondern ein gewinnorientiertes Unternehmen. Wenn die Bürger Montanas von Plum Creek etwas verlangen, was den Gewinn des Unternehmens schmälert, ist es ihre Aufgabe, die Politiker zur Verabschiedung und Durchsetzung von Gesetzen zu veranlassen oder das Land aufzukaufen und anders zu bewirtschaften. Hinter den Meinungsverschiedenheiten lauert eine unangenehme Grundtatsache: Wegen des kalten, trockenen Klimas und der Höhenlage sind große Teile Montanas, was die Forstwirtschaft angeht, benachteiligt. Im Südosten und Nordosten der USA wachsen Bäume um ein Mehrfaches schneller heran als hier. Plum Creek besitzt zwar in Montana die größten Landflächen, aber in vier anderen Staaten (Arkansas, Georgia, Maine und Mississippi) produziert das Unternehmen auf kleineren Flächen (60 bis 64 Prozent der Fläche in Montana) jeweils mehr Holz. In Montana kann die Holzwirtschaft für Plum Creek keine hohen Renditen abwerfen: Das Unternehmen muss für das Gelände Steuern und Brandschutzabgaben entrichten, gleichzeitig aber sechzig bis achtzig Jahre warten, bevor es einen frisch gepflanzten Baum abholzen kann; im Südosten der USA dagegen hat ein Baum schon nach 30 Jahren die nutzbare Größe erreicht. Wenn Plum Creek der wirtschaftlichen Realität ins Auge sieht und es für profitabler hält, die firmeneigenen Flächen insbesondere an Flüssen und Bächen nicht mehr zur Holzgewinnung, sondern als Bauland zu nutzen, dann liegt das daran, dass potenzielle Käufer, die nach schönen Ufergrundstücken suchen, der gleichen Ansicht sind. Solche Käufer, darunter auch die Regierung, haben häufig ein Interesse am Naturschutz. Aus allen diesen Gründen steht die Holzindustrie in Montana genau wie der Bergbau noch stärker als anderswo in den USA vor einer unsicheren Zukunft.
In einem engen Zusammenhang mit den Fragen der Holzwirtschaft steht auch das Problem der Waldbrände, deren Häufigkeit und Ausmaß in manchen Wäldern Montanas und des gesamten nordamerikanischen Westens stark zugenommen hat. Insbesondere 1988, 1996, 2000, 2002 und 2003 waren schlimme Waldbrandjahre. Im Sommer 2000 fiel im Bitterroot Valley ein Fünftel der noch verbliebenen Waldflächen den Flammen zum Opfer. Wenn ich heute in das Tal fliege, zähle ich beim Blick aus dem Flugzeugfenster als Erstes die Brände, oder ich versuche die Rauchmenge an diesem Tag einzuschätzen.
Die Zunahme der Waldbrände in den letzten Jahren ist zum Teil auf den Klimawandel zurückzuführen (wobei der Trend in jüngster Zeit zu heißem, trockenem Sommerwetter geht), zum Teil aber auch auf die Tätigkeiten der Menschen; Letzteres hat vielschichtige Gründe, die den Waldbesitzern in den letzten dreißig Jahren zunehmend klar geworden sind, deren Bedeutung aber bis heute umstritten bleibt. Ein Faktor sind die unmittelbaren Auswirkungen der Holzgewinnung, durch die sich ein Wald nur allzu oft in einen riesigen Haufen Brennholz verwandelt: In einem abgeholzten Gebiet ist der Boden vielfach mit abgeschnittenen Zweigen und Baumkronen bedeckt, den Überresten nach dem Abtransport der wertvollen Baumstämme. Dann sprießt eine dichte neue Vegetationsdecke, sodass die Brandlast des Waldes weiter ansteigt. Die abgeholzten und abtransportierten Bäume sind natürlich auch diejenigen, die dem Feuer aufgrund ihrer Größe den meisten Widerstand entgegensetzen, sodass nun nur kleinere, leichter brennbare Bäume zurückbleiben. Außerdem wandte die Forstbehörde in den ersten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts das Prinzip der Feuerunterdrückung an: Man war bestrebt, alle Waldbrände zu löschen - natürlich aus dem nahe liegenden Grund, dass wertvolles Bauholz nicht in Flammen aufgehen sollte und dass man Bedrohungen für Häuser und Menschenleben abwenden wollte. Die Forstbehörde setzte sich das erklärte Ziel, »jeden Brand einen Tag, nachdem er zum ersten Mal gemeldet wurde, bis zehn Uhr morgens zu löschen«. Viel besser erreichten die Feuerwehren dieses Ziel nach dem Zweiten Weltkrieg: Jetzt standen Löschflugzeuge zur Verfügung, die Feuerwehrwagen fanden ein ausgebautes Straßennetz vor, und die Brandbekämpfungstechnik hatte sich allgemein verbessert. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg ging die durch Brände jährlich zerstörte Fläche um 80 Prozent zurück.
Diese vorteilhafte Situation änderte sich jedoch seit den achtziger Jahren: Immer häufiger kam es zu großen Waldbränden, die ohne die vereinte Mithilfe von Regen und Wind praktisch nicht zu löschen waren. Allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Feuerunterdrückungsprinzip der US-Bundesbehörden zu diesen großen Bränden beitrug und dass natürliche, durch Blitzschlag ausgelöste Brände zuvor für die Aufrechterhaltung einer gesunden Struktur in den Wäldern eine wichtige Rolle gespielt hatten. Welche Bedeutung die Brände im Einzelnen hatten, war je nach Höhenlage, Baumart und Waldtyp unterschiedlich. Als Beispiel kann man den niedrig gelegenen Gelbkiefernwald im Bitterroot Valley betrachten: Hier zeigen historische Aufzeichnungen, die Zählung der Jahresringe und datierbare Brandmale an Baumstümpfen, dass dieser Wald unter natürlichen Bedingungen (das heißt, bevor die Brandunterdrückung 1910 begann und nach 1945 in ihrer Effizienz erheblich verbessert wurde) ungefähr alle zehn Jahre durch Blitzschlag einen Brand erlebte. Alte Gelbkiefern haben eine fünf Zentimeter dicke Rinde und sind gegenüber den Flammen relativ widerstandsfähig; das Unterholz mit den feuerempfindlichen jungen Douglasfichten dagegen, das seit dem letzten Brand herangewachsen ist, wird zerstört. Andererseits sind die Jungbäume nach zehn Jahren auch noch so klein, dass sich die Flammen von ihnen nicht in die Baumkronen verbreiten können. Der Brand beschränkt sich also auf Boden und Unterholz. Deshalb wirken viele Gelbkiefernwälder fast wie Parks mit geringer Brandlast, großen, in weiten Abständen stehenden Bäumen und relativ wenig Unterholz.
Bei der Holzgewinnung konzentrierte man sich natürlich auf die großen, alten, wertvollen, feuerresistenten Gelbkiefern, und gleichzeitig konnten im Unterholz durch jahrzehntelange Feuerunterdrückung unzählige Douglasfichten heranwachsen, die im ausgewachsenen Zustand ihrerseits wieder wertvoll wurden. Die Baumdichte stieg von 74 auf 495 Bäume je Hektar, die Brandlast des Waldes versechsfachte sich, und der Kongress verweigerte mehrmals die Bewilligung neuer Mittel zum Ausdünnen der Jungbäume. Auch ein anderer von Menschen ausgehender Effekt, die in den nationalen Wäldern weidenden Schafe, dürfte eine wichtige Rolle gespielt haben: Das Gras am Boden, das ansonsten Bränden geringer Intensität als Nahrung gedient hätte, gab es kaum noch. Wenn in einem Wald, in dem die Jungbäume dicht bei dicht stehen, schließlich ein Brand ausbricht - ob durch Blitzschlag, menschliche Unachtsamkeit oder (leider nur allzu oft) durch absichtliche Brandstiftung -, kann das Feuer über die hohen Jungbäume wie auf einer Leiter zu den Baumkronen aufsteigen. Die Folge ist manchmal ein Inferno, dem niemand mehr Einhalt gebieten kann: Die Flammen schießen bis zu 120 Meter hoch in die Luft, springen auch über breite Schneisen von einer Baumkrone zur anderen, erreichen Temperaturen von über 1100 Grad, vernichten die im Boden versteckten Baumsamen und ziehen in der Folgezeit Erdrutsche und umfangreiche Erosion nach sich.
Das größte Problem bei der Bewirtschaftung der Wälder des amerikanischen Westens sieht die Forstverwaltung heute in der Frage, wie man mit der vermehrten Brandlast umgehen soll, die sich in dem vorangegangenen halben Jahrhundert durch die Brandunterdrückung angesammelt hat. Im feuchteren Osten der USA verrotten abgestorbene Bäume schneller als im trockenen Westen, wo tote Bäume häufig wie riesige Streichhölzer stehen bleiben. Im Idealfall würde die Forstverwaltung die Wälder bewirtschaften, aufforsten, ausdünnen und das dichte Unterholz durch Schneiden oder kontrollierte kleine Brände beseitigen. Aber das würde über 2500 Dollar je Hektar kosten, und da die Wälder im Westen der USA insgesamt eine Fläche von rund 40 Millionen Hektar haben, würden sich die Gesamtkosten auf 100 Milliarden belaufen. So viel Geld will kein Politiker und kein Wähler ausgeben. Selbst bei geringeren Kosten hätten sicher große Teile der Öffentlichkeit den Verdacht, ein solches Vorhaben könne nur ein Vorwand sein, um die Abholzung der schönen Wälder wieder aufzunehmen. Statt regelmäßig Ausgaben für die Aufrechterhaltung eines weniger feuergefährlichen Zustandes unserer Wälder vorzusehen, nimmt die Bundesregierung die Brandgefahr in Kauf, und dann werden unvorhergesehene Aufwendungen nötig, wenn irgendwo eine Brandkatastrophe eintritt: Die Brände, denen im Sommer 2000 insgesamt fast 26 000 Quadratkilometer Wald zum Opfer fielen, verursachten Kosten von rund 1,6 Milliarden Dollar.
Die Bewohner von Montana selbst vertreten, was Waldbewirtschaftung und Waldbrände angeht, sehr unterschiedliche Meinungen und widersprechen sich dabei häufig selbst. Einerseits herrscht Angst und instinktiver Widerwille gegen das Prinzip »brennen lassen«, das die Forstverwaltung sich bei großen Bränden zu Eigen machen muss, wenn das Löschen zu gefährlich oder völlig unmöglich ist. Besonders laut protestierte die Öffentlichkeit 1988, als man die Brände in großen Teilen des Yellowstone-Nationalparks sich selbst überließ; die Menschen begriffen nicht, dass man tatsächlich nichts tun konnte, außer um Regen oder Schnee zu beten. Andererseits besteht aber auch eine Abneigung gegen Programme zur Ausdünnung der Wälder, durch die sich die Brandgefahr vermindern würde: Die Menschen fürchten um den schönen Anblick der dichten Wälder, beklagen sich über »unnatürliche« Eingriffe in die Natur. Wie bis vor kurzem auch die meisten Forstexperten, so verstehen sie nicht, dass die Wälder des Westens sich nach hundert Jahren mit Brandbekämpfung, Holzgewinnung und Schafzucht ohnehin bereits in einem sehr unnatürlichen Zustand befinden.
Im Bitterroot Valley bauen die Bewohner protzige Häuser ganz in der Nähe brandgefährdeter Wälder oder in deren Mitte, und dann erwarten sie von den Behörden, dass diese sie vor dem Feuer schützen. Als meine Frau und ich im Juli 2001 westlich der Ortschaft Hamilton durch den früheren Blodgett Forest wanderten, standen wir in einer Landschaft voller verkohlter Baumstämme. Die Bewohner der Region Blodgett hatten sich zuvor den Plänen der Forstverwaltung zum Ausdünnen der Wälder widersetzt, und jetzt verlangten sie, dass die Behörde zwölf große Löschhubschrauber zu einem Preis von 2000 Dollar pro Stunde mietete und ihre Häuser mit abgeworfenem Wasser rettete. Die Forstverwaltung befolgte eine behördliche Anordnung, Menschenleben, Eigentum von Menschen und den Wald zu schützen - und zwar in dieser Reihenfolge: Sie musste zur gleichen Zeit staatliche Waldflächen abbrennen lassen, obwohl das dort vernichtete Holz einen viel größeren Wert darstellte als die Häuser. Anschließend gab die Behörde bekannt, sie werde nicht mehr so viel Geld ausgeben und das Leben der Feuerwehrleute aufs Spiel setzen, nur um Privateigentum zu schützen. In vielen Fällen verklagen Eigentümer die Forstverwaltung, wenn ihre Häuser bei Waldbränden zerstört werden, wenn die Forstverwaltung ein Gegenfeuer anzündet, um einen größeren Brand unter Kontrolle zu halten, oder wenn das Haus nicht brennt, wohl aber der Wald, auf den man von der Terrasse einen so schönen Ausblick hatte. Manche Hausbesitzer in Montana sind von einer derart fanatischen, behördenfeindlichen Haltung befallen, dass sie keine Steuern zur Finanzierung der Brandbekämpfung zahlen oder den Beamten, die Brandvorbeugungsmaßnahmen ergreifen wollen, den Zutritt zu ihren Ländereien verweigern.
Der nächste ökologische Problemkomplex in Montana hat mit den Böden zu tun. Ein »kleineres«, spezifisches Problem ergab sich im Bitterroot Valley: Dort gingen die Apfelplantagen, die anfangs hohe Gewinne abgeworfen hatten, irgendwann zugrunde, unter anderem weil die Stickstoffreserven des Bodens durch die Obstbäume erschöpft waren. Verbreiteter ist das Problem der Erosion; sie ist darauf zurückzuführen, dass der Boden aus unterschiedlichen Gründen seine schützende Pflanzendecke verliert, beispielsweise durch Überweidung, Unkrautbefall, Abholzen oder Waldbrände mit besonders hohen Temperaturen, die in den oberen Bodenschichten alles Leben vernichten. Alteingesessene Bauernfamilien wissen, dass ihre Weideflächen nicht übermäßig abgegrast werden dürfen: »Wir müssen gut auf unser Land aufpassen, sonst geht es vor die Hunde«, sagten Dick und Jack Hirschy einmal zu mir. Aber ein Nachbar der Hirschys ist erst kürzlich hierher gekommen. Er hat für sein Anwesen so viel bezahlt, dass er es mit nachhaltiger Bewirtschaftung nicht amortisieren kann, und deshalb lässt er jetzt in der kurzsichtigen Hoffnung, seine Investition wieder hereinzuholen, zu viele Tiere auf seinen Weiden grasen. Andere Nachbarn haben den Fehler begangen, Weiderechte auf ihrem Land an Pächter zu verkaufen, die während ihrer Dreijahresverträge auf schnellen Profit durch Überweidung aus waren und sich um die dabei entstehenden langfristigen Schäden nicht kümmerten. Insgesamt haben diese verschiedenen Ursachen der Bodenerosion dazu geführt, dass heute nur ein Drittel aller Wassereinzugsgebiete im Bitterroot Valley als nicht erodiert und intakt gelten; bei einem weiteren Drittel besteht die Gefahr der Erosion, und ein Drittel ist bereits so erodiert, dass Aufforstung notwendig ist.
Neben Stickstoffmangel und Erosion besteht in Montana noch ein drittes Problem mit dem Boden: Die Versalzung, das heißt die Anreicherung von Salz in Boden und Grundwasser. In manchen Regionen hat es eine solche Anreicherung von Natur aus immer gegeben, in jüngerer Zeit hat man jedoch die Befürchtung, dass sie große landwirtschaftliche Flächen zugrunde richtet. Die Ursachen liegen in landwirtschaftlichen Methoden, die ich in den nächsten Absätzen und in Kapitel 13 genauer beschreiben werde - am wichtigsten sind dabei die Rodung der natürlichen Vegetation und die Bewässerung. In manchen Teilen Montanas hat das Grundwasser mittlerweile einen doppelt so hohen Salzgehalt wie Meerwasser.
Neben den schädlichen Auswirkungen, die einzelne Salze auf die Nutzpflanzen haben, ist auch eine allgemein hohe Salzkonzentration auf ganz ähnliche Weise schädlich wie eine Dürre: Der osmotische Druck des Wassers im Boden steigt, sodass es den Pflanzenwurzeln immer schwerer fällt, noch durch Osmose Flüssigkeit aufzunehmen. Außerdem gelangt das salzige Grundwasser am Ende in Quellen und Bäche, oder es verdunstet an der Oberfläche und lässt eine bröckelige Salzschicht zurück. Das salzige Wasser und die darin gelösten Stoffe - Bor, Selen und andere Gifte - können nicht nur auf die Menschen, sondern auch auf Wild- und Nutztiere schlimme gesundheitliche Auswirkungen haben. Die Versalzung ist heute nicht nur in den USA ein Problem, sondern auch in vielen anderen Regionen der Erde, beispielsweise in Indien, in der Türkei und vor allem in Australien (siehe Kapitel 13). In der Vergangenheit trug sie dazu bei, dass in Mesopotamien die ältesten Hochkulturen der Erde zugrunde gingen: Die Versalzung ist einer der Hauptgründe, warum es ein makabrer Scherz wäre, wenn wir den Irak und Syrien, früher das weltweit führende Zentrum der Landwirtschaft, heute als »fruchtbaren Halbmond« bezeichnen würden.
Die wichtigste Form der Versalzung hat nicht nur in Montana mehr als 100 000 Hektar Ackerland ruiniert, sondern auch Millionen weitere im gesamten Norden des Mittelwestens. Diese Form kann man als »Salzwasserversickerung« bezeichnen: Das salzhaltige Wasser sammelt sich im Boden eines hoch gelegenen Gebietes, versickert und kommt weiter bergab in bis zu einem Kilometer Entfernung wieder zum Vorschein. Die Salzwasserversickerung ist häufig auch Gift für den nachbarschaftlichen Frieden, wenn die landwirtschaftlichen Methoden eines Bauern weiter bergauf zur Versalzung des tiefer gelegenen Anwesens führen.
Zur Salzwasserversickerung kommt es folgendermaßen: Im Osten von Montana liegen große Mengen wasserlöslicher Salze, insbesondere Natrium-, Calcium- und Magnesiumsulfat. Sie bilden einen Bestandteil des Gesteins und des eigentlichen Bodens, sind aber auch in alten Meeressedimenten eingeschlossen (große Teile der Region waren in früheren Zeiten der Erdgeschichte vom Meer bedeckt). Unter dem Oberboden liegt das mehr oder weniger wasserundurchlässige Muttergestein (Schiefer, Sandstein oder Kohle). Im trockenen Osten Montanas wird der geringe Niederschlag da, wo noch die ursprüngliche Vegetation existiert, fast vollständig von den Pflanzenwurzeln aufgenommen und durch Verdunstung wieder an die Atmosphäre abgegeben, sodass der Boden unterhalb der durchwurzelten Schicht trocken bleibt. Rodet ein Bauer aber die einheimischen Pflanzen zugunsten einer Landwirtschaft, bei der man im jährlichen Wechsel Weizen oder anderes Getreide anbaut und die Felder dann brach liegen lässt, gibt es im Jahr der Brache keine Pflanzenwurzeln, die das Regenwasser festhalten könnten. Das Wasser bleibt im Boden, die Schicht unter den Wurzeln ist voll gesogen, und die Salze lösen sich, um dann mit dem steigenden Grundwasserspiegel zu den Pflanzenwurzeln zu gelangen. Da das tiefer liegende Muttergestein wasserundurchlässig ist, kann das Salzwasser nicht in größere Tiefen vordringen, sondern es tritt irgendwo bergab an die Oberfläche. Die Folge: Getreide wächst nur schlecht oder überhaupt nicht, und das sowohl in höheren Lagen, wo das Problem seinen Ursprung hat, als auch weiter bergab, wo das Wasser zu Tage tritt.
In Montana wurde die Salzwasserversickerung nach 1940 zu einem weit verbreiteten Problem. Damals hatten sich die landwirtschaftlichen Methoden geändert - insbesondere wurden mehr Traktoren und leistungsfähigere Pflüge eingesetzt, auf den brach liegenden Feldern wurde Unkraut mit Herbiziden ausgerottet, und die Brachflächen wuchsen von Jahr zu Jahr. Zur Bekämpfung des Problems muss man verschiedene Verfahren der Intensivbewirtschaftung anwenden: Aussäen salztoleranter Pflanzen zur Wiedergewinnung der bergab gelegenen Austrittsgebiete, kürzere Brachzeiten in höher gelegenen Gebieten durch flexiblen Getreideanbau und das Anpflanzen von Alfalfa und anderen mehrjährigen Pflanzen, die mit tief reichenden Wurzeln überschüssiges Wasser aus dem Boden aufnehmen.
In den Gebieten Montanas, wo die Landwirtschaft unmittelbar von der Niederschlagsmenge abhängig ist, ist die Salzwasserversickerung die wichtigste Form der Versalzungsschäden. Es ist aber nicht die Einzige. Über den ganzen Bundesstaat verteilen sich wie ein Flickenteppich landwirtschaftliche Flächen von über einer Million Hektar, die auf künstliche Bewässerung angewiesen sind. Dies gilt auch für meine Sommerurlaubsgebiete im Bitterroot Valley und im Big Hole Basin. In manchen dieser Gebiete, wo das Wasser viel Salz enthält, werden ebenfalls Anzeichen von Versalzung sichtbar. Eine andere Form ist die Folge eines industriellen Verfahrens zur Gewinnung von Methan (Erdgas) aus Kohlelagerstätten: Man bohrt Löcher in die Kohle und pumpt Wasser hinein, um so das Methan an die Oberfläche zu treiben. Leider löst sich dabei nicht nur das Methan im Wasser, sondern auch viele Salze. Der Nachbarstaat Wyoming, der fast ebenso arm ist wie Montana, betreibt seit 1988 zur Förderung seiner Wirtschaft ein großes Programm zur Erdgasgewinnung, das sich dieses Verfahrens bedient. Das dabei entstehende Salzwasser fließt aus Wyoming in das Powder River Basin im Südosten von Montana.
Um zu verstehen, unter welchen scheinbar unlösbaren Wasserproblemen Montana und andere trockene Gebiete des nordamerikanischen Westens leiden, muss man sich zunächst einmal klarmachen, dass das Bitterroot Valley sein Wasser aus zwei im Wesentlichen unabhängigen Quellen bezieht: einerseits aus Gebirgsbächen, Seen oder dem Bitterroot River, die das Wasser für die Bewässerungsgräben auf den Feldern liefern, und andererseits aus Brunnen, die in unterirdische, Wasser führende Schichten gebohrt werden und den größten Teil des Wassers für die Haushalte beisteuern. Die größeren Ortschaften im Tal haben eine städtische Wasserversorgung, die Häuser außerhalb dieser wenigen Orte dagegen beziehen ihr Wasser aus privaten Einzelbrunnen. Beide Systeme - Bewässerung und Haushaltswasser - stehen vor dem gleichen Problem: Die Zahl der Verbraucher nimmt zu, die Wassermenge nimmt ab. Vern Woolsley, im Tal der zuständige Beamte für die Wasserversorgung, erklärte es mir kurz und knapp so: »Wenn eine Wasserquelle von mehr als zwei Menschen genutzt wird, haben wir ein Problem. Aber warum ums Wasser streiten? Vom Streiten vermehrt sich das Wasser nicht.«
Die Ursache für den Rückgang der Wassermenge liegt letztlich im Klimawandel: In Montana wird es wärmer und trockener. Die globale Erwärmung wird in verschiedenen Regionen der Erde Gewinner und Verlierer hervorbringen, aber Montana gehört dabei zu den großen Verlierern: Der Niederschlag hat hier für die Landwirtschaft schon immer nur knapp ausgereicht. Im Osten Montanas mussten wegen der Trockenheit mittlerweile große landwirtschaftliche Flächen aufgegeben werden, und das Gleiche gilt für die benachbarten kanadischen Provinzen Alberta und Saskatchewan. In meinem Urlaubsgebiet im Westen Montanas sind die Auswirkungen der globalen Erwärmung deutlich zu erkennen: Der Schnee bleibt im Gebirge auf große Höhen beschränkt, und auf den Bergen rund um das Big Hole Basin bleibt er, anders als bei meinem ersten Besuch 1953, im Sommer überhaupt nicht mehr liegen.
Den auffälligsten Effekt in Montana oder vielleicht auf der ganzen Welt hat die globale Erwärmung im Glacier National Park. Die Gletscher sind auf der ganzen Welt im Rückgang begriffen, ob am Kilimandscharo, in den Anden und den Alpen, auf den Bergen Neuguineas oder rund um den Mount Everest. Aber in Montana hat man das Phänomen besonders gründlich untersucht, weil die Gletscher hier für Klimaforscher und Touristen leicht zugänglich sind. Als Naturforscher gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals in das Gebiet des heutigen Glacier National Park kamen, gab es dort über 150 Gletscher; heute sind davon noch 35 übrig, und auch die haben nur noch einen Bruchteil der Größe, von der die Erstbeschreibung spricht. Wenn sie im derzeitigen Tempo weiter abschmelzen, gibt es 2030 im Glacier National Park überhaupt keine Gletscher mehr. Ein solcher Rückgang der Schneemenge im Gebirge wirkt sich negativ auf die Bewässerungssysteme aus, denn diese beziehen ihr Wasser im Sommer aus dem Schnee, der im Gebirge liegen geblieben ist und langsam taut. Ebenso schädlich sind die Auswirkungen auch für die Grundwasserschichten des Bitterroot River, deren Wassergehalt in jüngerer Zeit durch die Trockenheit ebenfalls abgenommen hat.
Am Boden des Tales fallen im Jahr nur rund 330 Millimeter Niederschlag. Ohne Bewässerung bestünde die Vegetation des Tales vorwiegend aus amerikanischem Beifuß, wie Lewis und Clark es nach ihrer Expedition in den Jahren 1805/1806 berichteten und wie man es auch heute beobachtet, wenn man den letzten Bewässerungskanal auf der Ostseite des Tales überquert hat. Schon Ende des 19. Jahrhunderts begann der Bau von Bewässerungssystemen für die Landwirtschaft, die vom Schmelzwasser aus dem Hochgebirge am Westrand des Tales gespeist wurden, und 1909/10 erreichte die Bautätigkeit ihren Höhepunkt. Innerhalb der einzelnen Bewässerungssysteme oder »Distrikte« hat jeweils ein Grundbesitzer oder eine Gruppe von Grundbesitzern das Recht, dem System eine festgelegte Wassermenge zu entnehmen.
Leider ist aber das Wasser in den meisten Bewässerungsdistrikten des Bitterroot Valley »überverteilt«. Was das bedeutet, ist für einen naiven Außenstehenden wie mich kaum vorstellbar: Die Wasserrechte aller Grundbesitzer sind zusammengenommen in den meisten Jahren größer als die gesamte verfügbare Wassermenge, zumindest im Sommer, wenn die Schneeschmelze fast beendet ist. Unter anderem liegt das daran, dass bei der Zuteilung eine konstante Wasserversorgung vorausgesetzt wird; in Wirklichkeit schwankt die Wassermenge aber in Abhängigkeit vom Klima von Jahr zu Jahr, und die angenommene feste Wassermenge ist die eines sehr niederschlagsreichen Jahres. Die Lösung besteht darin, dass die einzelnen Grundbesitzer unterschiedliche Prioritäten besitzen, je nachdem, zu welchem historischen Datum das Wasserrecht für das jeweilige Anwesen angemeldet wurde; mit abnehmender Wassermenge in den Kanälen wird also zunächst den neuesten und erst später den älteren Rechteinhabern das Wasser abgedreht. Damit ist der Konflikt bereits vorprogrammiert: Die ältesten Farmen mit den ältesten Rechten befinden sich häufig in tieferen Lagen, und die Farmer in höher gelegenen Gebieten mit ihren nachrangigen Ansprüchen sehen nicht gern zu, wie das dringend benötigte Wasser an ihrem Besitz vorbei bergab fließt, während sie selbst es nicht nutzen dürfen. Würden sie es aber tun, könnten die Nachbarn weiter unten sie verklagen.
Ein weiteres Problem erwächst aus der Landzerstückelung: Ursprünglich waren die Flächen in große Abschnitte mit jeweils einem einzigen Eigentümer unterteilt, und dieser Eigentümer entnahm das Wasser aus dem Kanal natürlich für ein Feld nach dem anderen; niemand hätte törichterweise versucht, alle Felder gleichzeitig zu bewässern, denn dafür hätte das Wasser nicht gereicht. Aber diese Abschnitte, anfangs jeweils 160 Acres (ungefähr 65 Hektar), wurden später in vierzig Baugrundstücke von vier Acres (rund 16 000 Quadratmeter) unterteilt; wenn nun jeder dieser vierzig Hausbesitzer Wasser entnimmt und seinen Garten grün halten will, ohne sich klar zu machen, dass 39 Nachbarn das Gleiche tun, ist die Wassermenge zu gering. Und schließlich betreffen die Wasserrechte nur die so genannte »nützliche« Verwendung, das heißt, das Wasser muss dem Anwesen nützen, das die Rechte besitzt. Das Wasser im Fluss zu lassen, damit die Fische darin schwimmen und Touristen auf Flößen den Fluss hinunterfahren können, gilt nicht als »nützliche« Verwendung. In den letzten trockenen Jahren sind Teile des Big Hole River im Sommer mehrmals völlig ausgetrocknet. Viele potenzielle Konflikte im Bitterroot Valley wurden mehrere Jahrzehnte lang und bis 2003 auf liebenswürdige Weise von Vern Woolsey entschieden, dem 82-jährigen Wasserbeauftragten, der von allen respektiert wurde. Nachdem er jetzt endgültig in den Ruhestand getreten ist, sehen viele meiner Bekannten in der Region dem drohenden Konfliktpotenzial mit Schrecken entgegen.
Zum Bewässerungssystem des Bitterroot Valley gehören 28 kleine Dämme, die sich in Privatbesitz befinden. Sie wurden an Gebirgsbächen gebaut, damit man dort im Frühjahr das Schmelzwasser auffangen und im Sommer für die Bewässerung der Felder verwenden konnte. Heute sind diese Dämme tickende Zeitbomben. Sie wurden vor hundert Jahren errichtet und gelten heute als primitive, gefährliche Konstruktionen. Instand gehalten wurden sie nur schlecht oder gar nicht. In vielen Fällen besteht die Gefahr, dass sie nachgeben und eine Flutwelle über tiefer gelegene Häuser und Ländereien hereinbrechen lassen. Nachdem bereits vor mehreren Jahrzehnten zwei solche Dämme gebrochen waren und verheerende Überschwemmungen verursacht hatten, erklärte die Forstverwaltung die Eigentümer der Dämme und alle Baufirmen, die jemals daran gearbeitet hatten, zu Verantwortlichen für alle Schäden, die durch den Damm entstehen könnten. Es liegt in der Verantwortung der Eigentümer, die Dämme entweder zu sanieren oder zu entfernen. Das mag sich vernünftig anhören, aber finanziell ist es häufig ein Abenteuer, und das aus drei Gründen: Erstens ziehen die heutigen Eigentümer, die nun zu Verantwortlichen erklärt wurden, vielfach kaum finanziellen Nutzen aus ihrem Damm, und sie kümmern sich auch nicht mehr um Reparaturen (zum Beispiel, weil das Land in Baugrundstücke aufgeteilt wurde, wo das Wasser heute nicht mehr als Lebensgrundlage für Bauern dient, sondern zum Bewässern des Rasens): zweitens gewähren Bundes- und Staatsregierung Zuschüsse für die Sanierung eines Dammes, aber nicht für seine Entfernung; und drittens liegt die Hälfte aller Dämme in Regionen, die heute als Wildnisgebiete ausgewiesen sind - dort dürfen keine Straßen gebaut werden, und Baumaschinen müssen mit kostspieligen Hubschraubern eingeflogen werden.
Eine solche Zeitbombe ist der Tin Cup Dam. Würde er brechen, wäre Darby, die größte Ortschaft im Süden des Bitterroot Valley, überschwemmt. Undichte Stellen und der schlechte Zustand des Dammes gaben den Anlass zu langwierigen Auseinandersetzungen und Prozessen zwischen Eigentümern, Forstverwaltung und Umweltschutzgruppen. Der Streit um die richtige Sanierung erreichte seinen Höhepunkt, als 1998 mit der Feststellung eines größeren Lecks der Notfall eintrat. Das Unternehmen, das den Stausee im Auftrag der Eigentümer leer laufen lassen sollte, stieß sehr schnell auf große Felsbrocken, und deren Entfernung erforderte schweres Gerät, das per Hubschrauber herantransportiert werden musste. Daraufhin erklärten die Eigentümer, ihnen sei das Geld ausgegangen, und sowohl der Staat Montana als auch der Kreis Ravalli weigerten sich, Mittel für den Damm bereitzustellen. Für Darby blieb die Lage weiterhin lebensbedrohlich. Also mietete die Forstverwaltung selbst die Hubschrauber und das Gerät an, nahm die Arbeiten an dem Damm vor und schickte den Eigentümern die Rechnung, die sie aber bis heute nicht bezahlt haben. Derzeit bereitet das US-Justizministerium eine Klage vor, um das Geld einzutreiben.
Das zweite Bein der Wasserversorgung neben der Bewässerung mit Schmelzwasser sind im Bitterroot Valley die Brunnen, die Wasser für die Haushalte aus den Grundwasserschichten entnehmen. Auch hier steht wachsende Nachfrage einem sinkenden Angebot gegenüber. Gebirgsschnee und Grundwasser schienen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben, in Wirklichkeit besteht aber ein Zusammenhang: Ein Teil des zur Bewässerung eingesetzten Wassers sickert durch den Boden ins Grundwasser, sodass ein Teil des Grundwassers letztlich aus geschmolzenem Schnee besteht. Deshalb hat der Rückgang der Schneemenge in Montana auch einen Rückgang der Grundwasservorräte zur Folge.
Dass die Nachfrage nach Grundwasser wächst, steht außer Zweifel: Die immer noch anhaltende Bevölkerungszunahme im Bitterroot Valley hat zur Folge, dass mehr Menschen mehr Wasser trinken und mehr Toilettenspülungen betätigen. Roxa French, Koordinatorin des örtlichen Bitter Root Water Forum, rät Bauherren zur Einrichtung von Tiefbrunnen, weil »immer mehr Strohhalme im Milchshake stecken«, das heißt, die gleichen grundwasserführenden Schichten werden von immer mehr Brunnen angezapft, sodass ihr Wasserspiegel sinkt. Derzeit gibt es in Montana und im Kreis Ravalli kaum Vorschriften über die Wasserversorgung für Haushalte. Selbst wenn der neu gebohrte Brunnen eines Bauherrn den Grundwasserspiegel beim Nachbarn sinken lässt, kann dieser Schadenersatzforderungen kaum durchsetzen. Um zu berechnen, wie viele Haushalte eine grundwasserführende Schicht versorgen kann, müsste man diese Schicht vermessen und feststellen, wie viel Wasser sie aufnimmt, aber erstaunlicherweise sind diese beiden grundlegenden Schritte noch bei keinem Grundwasserreservoir im Bitterroot Valley vollzogen worden. Der Kreis selbst verfügt nicht über die Mittel, um seine grundwasserführenden Schichten zu überwachen, und bei Entscheidungen über Bauanträge für neue Häuser werden keine unabhängigen Gutachten über die Auswirkungen auf das Grundwasser eingeholt. Der Kreis verlässt sich völlig auf die Zusicherung des Bauherrn, dass für das Haus genügend Wasser zur Verfügung steht.
Alle meine bisherigen Aussagen beziehen sich ausschließlich auf die Wassermenge. Probleme gibt es aber auch mit der Wasserqualität, die in ihrer Bedeutung als natürliche Ressource an die Landschaft des westlichen Montana heranreicht, weil Flüsse und Bewässerungssysteme von dem relativ sauberen Schmelzwasser gespeist werden. Aber trotz solcher Vorteile steht der Bitterroot River bereits auf der Liste der »beeinträchtigten Fließgewässer« des Staates.
Das hat mehrere Gründe. Deren wichtigster sind Ansammlungen von Sedimenten, die einerseits durch Erosion freigesetzt werden, andererseits aber auch durch Straßenbau, Waldbrände, Holzgewinnung und den sinkenden Wasserspiegel in den Bewässerungskanälen und -bächen. Heute sind die meisten Wassereinzugsgebiete im Bitterroot Valley entweder bereits geschädigt oder gefährdet. Ein zweites Problem sind ausgewaschene Düngemittel: Jeder Farmer, der Heu ernten will, bringt auf seinen Wiesen mindestens 220 Kilo Kunstdünger je Hektar aus; wie viel davon am Ende in den Fluss gelangt, ist nicht bekannt. Eine weitere zunehmende Bedrohung für die Wasserqualität stellen nährstoffreiche Abwässer aus Sickergruben dar. Und die schlimmste Gefahr für die Wasserqualität schließlich geht in manchen Teilen Montanas - allerdings nicht im Bitterroot Valley - von den bereits beschriebenen giftigen Mineralstoffen aus den Minen aus.
Auch die Luftqualität verdient es, kurz erwähnt zu werden. Auf den ersten Blick mag es dreist erscheinen, wenn ich als Bürger von Los Angeles, der Stadt mit der schlechtesten Luft in den ganzen USA, in dieser Hinsicht überhaupt etwas Negatives über Montana äußere. Tatsächlich leiden aber auch manche Regionen dieses Staates je nach Jahreszeit unter Luftverschmutzung; am schlimmsten ist es in Missoula, wo die Luft (trotz einiger Verbesserungen seit den achtziger Jahren) manchmal ebenso schlecht ist wie in Los Angeles. Verstärkt wird die Luftverschmutzung in Missoula durch häufige winterliche Inversionswetterlagen und durch die Lage der Stadt in einem Tal, das den Luftaustausch behindert. Die Ursache sind einerseits die ganzjährigen Autoabgase, andererseits im Winter die Holzfeuer und im Sommer Waldbrände und Holzgewinnung.
Ansonsten hat Montana noch Umweltprobleme im Zusammenhang mit Gefährdungen durch eingeschleppte fremde Tier- und Pflanzenarten und den Verlust wertvoller einheimischer Arten. Betroffen sind dabei insbesondere Fische, Rot- und Wapitihirsche sowie Unkräuter.
Ursprünglich beherbergte Montana wertvolle Fischbestände mit der einheimischen Purpurforelle (dem Wappentier des Bundesstaates), Dolly-Varden-Saibling, Arktischer Äsche und Felchen. Mit Ausnahme der Felchen sind alle diese Arten heute in Montana im Aussterben begriffen; das hat mehrere Gründe, die sich bei den verschiedenen Fischarten unterschiedlich stark auswirken: Da so viel Wasser in die Bewässerungssysteme fließt, ist der Wasserstand in den Gebirgsbächen, wo sie laichen und heranwachsen, niedrig; durch die Holzgewinnung enthalten die Bäche mehr Sedimente, und ihre Temperatur ist zu hoch; die Gewässer werden überfischt; es kommt zur Konkurrenz und in manchen Fällen zur Bastardisierung mit eingeschleppten Regenbogenforellen, Bachsaiblingen und Bachforellen; eingeschleppte Raubfische wie Flusshecht und Seeforelle dezimieren die Bestände ebenso wie Infektionen mit eingeschleppten Parasiten, die die so genannte Drehkrankheit verursachen. Die Flusshechte zum Beispiel, die andere Fischarten aggressiv dezimieren, wurden in einigen Seen und Flüssen im Westen Montanas illegal ausgesetzt, weil die Fischer erpicht daraufwaren, Hechte zu fangen; die ursprünglichen Bestände an Purpurforellen und Dolly-Varden-Saiblingen, die ihnen als Beute dienen, wurden in diesen Gewässern fast völlig ausgerottet. Ähnliches spielte sich im Flatzhead Lake ab: Dort wurden die früheren, sehr robusten Bestände mehrerer einheimischer Fischarten durch eingeschleppte Seeforellen vernichtet.
Die Drehkrankheit, die man in Europa schon länger kannte, wurde 1958 durch einen unglücklichen Zufall in die USA eingeschleppt: Ein Fischzuchtbetrieb in Pennsylvania importierte dänische Fische, bei denen sich später die Infektion zeigte. Heute ist der Erreger fast im gesamten Westen der USA verbreitet; die Übertragung erfolgt zum Teil durch Vögel, vor allem aber durch Menschen (auch durch Behörden und private Fischzuchtbetriebe), die infizierte Fische in Seen und Flüssen aussetzen. Wenn der Parasit ein Gewässer besiedelt hat, lässt er sich dort nicht mehr ausrotten. Im Jahr 1994 hatte die Drehkrankheit den Regenbogenforellenbestand im Madison River, dem bekanntesten Fluss Montanas, um mehr als 90 Prozent dezimiert.
Wenigstens ist die Drehkrankheit für Menschen nicht ansteckend. Sie schädigt nur den Angeltourismus. Besorgnis erregender ist die chronic wasting disease (»chronisch auszehrende Krankheit«) oder CWD, die bei Hirschen vorkommt: Ihr Erreger kann auch bei Menschen eine unheilbare Krankheit verursachen. Die CWD ist bei Hirschen die Entsprechung zu den Prionenerkrankungen anderer Tiere - am bekanntesten sind die Creutzfeldt-Jacob-Krankheit beim Menschen, die Bovine Spongiforme Enzephalopathie BSE (auch »Rinderwahnsinn« genannt) bei Kühen und die Scrapie-Krankheit der Schafe. Diese Erkrankungen führen zu einem unaufhaltsamen Verfall des Nervensystems; von den Menschen mit der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit ist kein einziger jemals wieder gesund geworden. Die CWD wurde bei nordamerikanischen Rot- und Wapitihirschen Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts erstmals nachgewiesen; manchen Vermutungen zufolge entstand sie, weil Hirsche an einer Universität im Westen der USA zu Untersuchungen in einem Stall nicht weit von Scrapieinfizierten Schafen untergebracht waren und später wieder in die freie Wildbahn entlassen wurden. (Heute wäre das ein Verbrechen.) Beschleunigt wurde die Verbreitung von einem Bundesstaat zum nächsten, weil Hirsche, die mit dem Erreger in Kontakt gekommen waren, zwischen kommerziellen Wildzuchtbetrieben ausgetauscht wurden. Ob die CWD wie der Rinderwahnsinn von Tieren auf Menschen übertragen werden kann, wissen wir noch nicht, aber nachdem in jüngster Zeit mehrere Elchjäger an der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit gestorben sind, gehen mancherorts die Alarmlampen an. Im Staat Wisconsin fürchtet man um die milliardenschwere Jagdbranche; dort ist man zurzeit dabei, in einem Infektionsgebiet 25 000 Hirsche zu töten (eine Maßnahme, die alle Beteiligten mit größtem Widerwillen erfüllt), weil man hofft, man könne die CWD-Epidemie auf diese Weise unter Kontrolle bringen.
Die CWD ist in Montana vielleicht das bedrohlichste zukünftige Problem, das durch eingeschleppte Erreger verursacht wird, aber das Teuerste sind heute bereits die Unkräuter. Etwa dreißig gefährliche Pflanzenarten, die meisten davon aus Eurasien, sind zufällig mit Heu oder als Samen mit dem Wind nach Montana gelangt und haben sich dort festgesetzt; in einem Fall wurden sie auch absichtlich importiert, weil es sich um reizvolle Zierpflanzen handelte, deren Gefährdungspotenzial man nicht erkannt hatte. Sie wirken auf unterschiedliche Weise schädlich: Für Nutz- und Wildtiere sind sie schwer oder überhaupt nicht essbar, aber sie verdrängen die Futterpflanzen und rauben den Tieren damit bis zu 90 Prozent ihrer Nahrung; manche Arten sind für Tiere giftig; und viele verursachen eine dreimal so starke Erosion, weil sie den Boden mit ihren Wurzeln nicht so gut festhalten wie die einheimischen Gräser.
Die beiden wirtschaftlich bedeutendsten Unkräuter sind die Gefleckte Flockenblume und die Eselswolfsmilch. Beide sind heute in Montana weit verbreitet. Die Gefleckte Flockenblume setzt sich gegenüber den einheimischen Gräsern durch, weil sie diese einerseits mit selbst produzierten Substanzen abtötet und sich andererseits mit einer Riesenzahl von Samen vermehrt. Auf einzelnen kleinen Feldern kann man sie von Hand ausjäten, sie hat aber allein im Bitterroot Valley annähernd 230 000 Hektar und in ganz Montana über zwei Millionen Hektar besiedelt, und auf derart großen Flächen ist eine manuelle Ausrottung natürlich nicht möglich. Man kann die Gefleckte Flockenblume auch mit Unkrautvernichtungsmitteln eindämmen, aber wenn man sie mit billigen Herbiziden abtötet, sterben auch viele andere Pflanzen, und das Mittel, das sich gezielt gegen diese Art richtet, ist mit rund 200 Dollar pro Liter sehr teuer. Außerdem ist nicht geklärt, ob die Abbauprodukte der Herbizide am Ende in den Bitterroot River oder in die Grundwasserreservoire gelangen, aus denen das Trinkwasser für die Menschen gewonnen wird, und ob diese Produkte ihrerseits wieder schädliche Nebenwirkungen haben. Da die Gefleckte Flockenblume sich nicht nur auf Weideland, sondern auch in großen Teilen der nationalen Wälder breit macht, vermindert sie das Nahrungsangebot sowohl für die Nutztiere als auch für die Pflanzen fressenden Wildtiere im Wald, und das kann dazu führen, dass die Hirsche auf Viehweiden ausweichen. Die Eselswolfsmilch ist derzeit nicht so weit verbreitet wie die Flockenblume, aber dafür lässt sie sich viel schwerer beseitigen; von Hand kann man sie überhaupt nicht jäten, denn sie bildet unterirdische Wurzeln von mehr als sechs Metern Länge.
Die Schätzungen für die unmittelbaren wirtschaftlichen Schäden, die diese und andere Unkräuter jedes Jahr in Montana anrichten, belaufen sich auf mehr als 100 Millionen Dollar pro Jahr. Außerdem führen sie zu einem Rückgang der Immobilienpreise und der landwirtschaftlichen Produktivität. Vor allem aber sind sie eine Plage für die Bauern, denn man kommt ihnen nicht mit Einzelmaßnahmen bei, sondern nur mit einem komplizierten Bewirtschaftungsschema. Sie zwingen die Bauern, mehrere Methoden gleichzeitig umzustellen: Sie müssen Unkraut jäten, Herbizide anwenden, Dünger anders einsetzen, natürliche Feinde der Unkräuter (Insekten und Pilze) freisetzen, kontrollierte Brände entzünden, nach neuen Zeitplänen mähen und die Fruchtfolge sowie die Beweidung verändern. Und das alles wegen einiger kleiner Pflanzen, deren Gefährlichkeit man früher meist nicht einschätzen konnte und deren Samen unbemerkt ins Land kamen.
Das scheinbar so unberührte Montana leidet also in Wirklichkeit unter zahlreichen Umweltproblemen: Giftmüll, Waldverlust, Bodenerosion, Wasserverschmutzung, Klimawandel, Verlust von Artenvielfalt und eingeschleppte Schädlinge. All diese Schäden äußern sich auch als wirtschaftliche Schwierigkeiten. Sie sind einer der wichtigsten Gründe, warum es mit der Wirtschaft in Montana während der letzten Jahrzehnte so weit bergab gegangen ist, dass der Staat, früher einer der reichsten in den USA, heute zu den ärmsten gehört.
Ob und wie die Probleme sich lösen lassen, wird von der Haltung und den Wertvorstellungen der Bürger abhängen. Aber die Bevölkerung wird immer uneinheitlicher und kann sich für Umwelt und Zukunft ihres Staates immer weniger auf eine gemeinsame Vision einigen. Zu der zunehmenden Polarisierung der Meinungen haben sich viele meiner Bekannten geäußert. Der Banker Emil Erhardt erklärte beispielsweise: »Hier findet eine viel zu aufgeregte Debatte statt. Der Wohlstand der fünfziger Jahre führte dazu, dass wir damals alle arm waren oder uns arm fühlten. Extremen Reichtum gab es nicht, oder zumindest war er nicht sichtbar. Jetzt haben wir eine zweigeteilte Gesellschaft. Unten müssen Familien mit geringem Einkommen ums Überleben kämpfen, und die reichen Zugereisten ganz oben haben so viel Eigentum angehäuft, dass sie sich abschotten können. Letztlich haben wir eine Zoneneinteilung, aber die macht sich nicht an der Landnutzung fest, sondern am Geld!«
Die Polarisierung, von der meine Bekannten reden, hat viele Gesichter: reich und arm, Alteingesessene und Zugezogene, Anhänger einer traditionellen Lebensweise und Reformwillige, Wachstumsbefürworter und Wachstumsgegner, Anhänger und Gegner staatlicher Planung, Familien mit und ohne schulpflichtige Kinder. Verschärft werden die Meinungsverschiedenheiten durch die typischen Widersprüche in Montana, die ich zu Beginn des Kapitels erwähnt habe: ein Staat mit armen Bewohnern, der aber reiche Neubürger anzieht, obwohl die Kinder aus Montana selbst dem Staat den Rücken kehren, sobald sie die High School hinter sich haben.
Anfangs habe ich mich gefragt, ob die Umweltprobleme und die Polarisierung der Meinungen in Montana etwas mit dem Egoismus derer zu tun haben, die ihre eigenen Interessen durchsetzen, obwohl sie ganz genau wissen, dass sie die übrige Gesellschaft in Montana damit schädigen. In manchen Fällen mag es so ein, beispielsweise wenn manche Verantwortlichen in den Minen an der Cyanidlaugung festhalten wollen, obwohl bis zum Überdruss nachgewiesen ist, welche Probleme von den dabei entstehenden Schadstoffen ausgehen; oder wenn manche Farmbesitzer ihre Rot- und Wapitihirsche untereinander austauschen, obwohl die damit verbundene Gefahr der Krankheitsausbreitung allgemein bekannt ist; oder wenn manche Angler um ihres eigenen Vergnügens willen aggressive Hechte in Seen und Flüssen aussetzen, obwohl die Fischbestände an anderen Stellen durch solche Maßnahmen bereits zerstört wurden. Aber auch in solchen Fällen habe ich die beteiligten Personen nicht befragt, und ich weiß nicht, ob sie ehrlich behaupten können, sie hätten nach ihrer eigenen Einschätzung nichts Gefährliches getan. Wenn ich mit Bürgern von Montana gesprochen habe, musste ich immer wieder feststellen, dass ihre Taten mit ihren Wertvorstellungen übereinstimmten, wobei diese Wertvorstellungen allerdings manchmal im Widerspruch zu meinen eigenen oder denen anderer Bewohner des Staates standen. Oder anders ausgedrückt: Man kann für die Schwierigkeiten in Montana nicht einfach böse, egoistische Menschen verantwortlich machen, die wissentlich und rücksichtslos auf Kosten ihrer Nachbarn nach eigenem Profit streben. Stattdessen kommt es zum Konflikt zwischen Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft und Wertvorstellungen unterschiedliche Handlungsweisen bevorzugen. Einige Punkte, bei denen es derzeit gegensätzliche Meinungen über die Gestaltung der Zukunft von Montana gibt, möchte ich im Folgenden beschreiben.
Ein Konflikt besteht zwischen »Alteingesessenen« und »Zugezogenen«: Die einen sind in Montana geboren, ihre Familien leben unter Umständen schon seit Generationen in Montana, in Lebensweise und Wirtschaft halten sie sich an die drei traditionellen Säulen von Bergbau, Holzgewinnung und Landwirtschaft; die anderen sind erst kürzlich zugezogen oder kommen nur zu bestimmten Jahreszeiten. Die drei genannten Säulen der Wirtschaft sind in Montana stark ins Wanken geraten. Die Minen sind wegen der Giftmüllproblematik und billigerer ausländischer Konkurrenz mit wenigen Ausnahmen geschlossen. Der Umsatz mit Holz liegt um 80 Prozent unter den Spitzenwerten vergangener Tage, und von einigen Spezialunternehmen (insbesondere Bauunternehmen für Holzhütten) abgesehen, haben die meisten Sägewerke und Holzhandlungen aufgegeben; die Gründe sind vielfältig: Die Öffentlichkeit bevorzugt zunehmend unversehrte Wälder, Waldbewirtschaftung und Brandbekämpfung verschlingen riesige Summen, und es besteht starke Konkurrenz durch Unternehmen aus wärmeren, trockeneren Klimazonen, die gegenüber der Holzwirtschaft im kalten, trockenen Montana einen natürlichen Vorteil genießen. Auch der dritte Pfeiler, die Landwirtschaft, ist auf dem Rückzug: Von den 400 Molkereien, die 1964 im Bitterroot Valley arbeiteten, gibt es heute beispielsweise nur noch neun. Der Rückgang der Landwirtschaft in Montana hat vielschichtigere Gründe als der Verfall von Bergbau und Holzgewinnung, aber im Hintergrund steht auch hier der grundlegende Konkurrenznachteil durch das kalte, trockene Klima, der sich auf Getreideanbau und Viehzucht ebenso auswirkt wie auf die Bäume.
Die Bauern, die heute in Montana ihre Betriebe bis ins hohe Alter weiterführen, tun das teilweise einfach deshalb, weil sie ihre Lebensweise lieben und stolz darauf sind. Tim Huls sagte mir einmal: »Es ist einfach großartig, wenn man vor Anbruch der Dämmerung aufsteht, wenn man den Sonnenaufgang miterlebt und die Falken über sich hinwegfliegen sieht.« Der Bauer Jack Hirschy war 1950, als ich ihn kennen lernte, 29 Jahre alt. Heute, mit 83, arbeitet er immer noch auf seinem Hof, und sein Vater Fred saß an seinem 91. Geburtstag noch im Sattel. Aber »Ackerbau und Viehzucht sind schwere, gefährliche Tätigkeiten«, wie Jill es formuliert, die Schwester des Bauern Jack. Dieser hatte mit 77 Jahren einen Traktorunfall, bei dem er sich innere Verletzungen und Rippenbrüche zuzog, und Fred wäre mit 58 Jahren um ein Haar von einem umstürzenden Baum erschlagen worden. »Manchmal stehe ich im drei Uhr morgens auf und arbeite bis zehn Uhr abends«, fügt Tim Hüls zu seiner Bemerkung über die großartige Lebensweise hinzu. »In diesem Job hat man keinen Achtstundentag. Aber keines unserer Kinder will Bauer werden, wenn man jeden Tag von drei Uhr morgens bis zehn Uhr abends arbeiten muss.«
Mit dieser Bemerkung nennt Tim einen der Gründe für Aufstieg und Fall der Landwirtschaft in Montana: Die bäuerliche Lebensweise war bei früheren Generationen sehr beliebt, aber heute haben die Kinder vieler Farmer andere Vorstellungen. Sie streben nach Berufen, bei denen sie in klimatisierten Räumen vor dem Computerbildschirm sitzen können, statt Heuballen zu wuchten, und abends sowie am Wochenende wollen sie frei haben, statt Kühe zu melken und Gras zu mähen. Sie wollen nicht gezwungen sein, bis über ihr achtzigstes Lebensjahr hinaus einer buchstäblich halsbrecherischen Arbeit nachzugehen, wie es die drei noch lebenden Hirschy-Geschwister tun.
Oder, wie Steve Powell mir erklärt: »Früher haben die Leute nur erwartet, dass sie auf ihrer Farm genügend Lebensmittel für sich selbst produzieren können; heute reicht es ihnen nicht mehr, wenn sie nur satt werden - sie wollen so viel verdienen, dass sie die Kinder aufs College schicken können.« Als John Cook bei seinen Eltern auf der Farm aufwuchs, »war meine Mutter damit zufrieden, wenn sie vor dem Abendessen in den Garten gehen und Spargel stechen konnte, und ich war als Junge zufrieden, wenn ich beim Jagen und Angeln meinen Spaß hatte. Heute wollen die Kinder Fastfood und Pay-TV; wenn die Eltern ihnen das nicht bieten, fühlen sie sich gegenüber ihren Altersgenossen zurückgesetzt. Zu meiner Zeit rechnete man als junger Erwachsener damit, dass man die nächsten zwanzig Jahre arm sein würde, und erst danach konnte man darauf hoffen, dass das Leben angenehmer wurde - wenn man Glück hatte. Heute wollen die jungen Leute es schon frühzeitig bequem haben. Wenn es um einen Job geht, fragen sie als Erstes: »Wie viel Geld, wie viele Wochenstunden, wie viel Urlaub?« In Montana machen sich alle Farmer, die ich kenne und die gern Farmer sind, ernste Sorgen um die Frage, ob ihre Kinder den Hof der Familie weiterführen werden, und manche wissen auch schon, dass keiner es tun wird.
Heute ist es schon aus wirtschaftlichen Gründen äußerst schwierig, mit einer Farm seinen Lebensunterhalt zu verdienen: Die Kosten sind in solchen Betrieben viel schneller gestiegen als die Einnahmen. Für Milch und Rindfleisch erhält ein Bauer heute praktisch die gleichen Preise wie vor zwanzig Jahren, die Kosten für Treibstoff, landwirtschaftliche Maschinen, Düngemittel und andere notwendige Dinge sind dagegen viel höher. Ein Beispiel nennt Rick Laible: »Wenn ein Farmer vor fünfzig Jahren einen neuen Traktor brauchte, hat er dafür zwei Kühe verkauft. Heute kostet ein Traktor etwa 15 000 Dollar, aber für eine Kuh bekommt man nach wie vor nur 600 Dollar, das heißt, der Farmer müsste 25 Kühe verkaufen, um den Traktor zu finanzieren.«
Durch schrumpfende Gewinnmargen und verschärfte Konkurrenz sind Hunderte von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben im Bitterroot Valley, die sich früher finanziell selbst trugen, heute unwirtschaftlich. Zunächst stellten die Bauern fest, dass sie nur mit dem zusätzlichen Einkommen aus Zweitjobs überleben konnten, und dann mussten sie die Landwirtschaft ganz aufgeben, weil sie abends und am Wochenende neben dem Zweitjob zu viel Zeit kosteten. Vor sechzig Jahren konnten Kathy Vaughns Großeltern beispielsweise von einer 17-Hektar-Farm leben, also kauften Kathy und Pat Vaughn sich 1977 ebenfalls eine Farm von 17 Hektar. Mit sechs Kühen, sechs Schafen, ein paar Schweinen, Heu und ihren Nebentätigkeiten - Kathy arbeitete als Lehrerin, Pat baute Bewässerungssysteme - konnten sie auf der Farm drei Kinder ernähren und großziehen, aber sie hatten keinerlei Sicherheit und keine Altersversorgung. Nach acht Jahren verkauften sie die Farm und zogen in die Stadt; von ihren Kindern wohnt heute keines mehr in Montana.
Überall in den USA werden kleine Farmen von landwirtschaftlichen Großbetrieben verdrängt, die mit Massenproduktion die sinkenden Gewinnspannen auffangen können. Aber im Südwesten von Montana ist es für kleine Bauern heute nicht mehr möglich, Land hinzuzukaufen und zu Großfarmern zu werden. Die Gründe erklärt Allen Bjergo kurz und bündig so: »In den Vereinigten Staaten verlagert sich die Landwirtschaft in Regionen wie Iowa und Nebraska, wo es nicht so schön ist wie in Montana und wo deshalb niemand nur zum Spaß wohnt. Hier in Montana wohnen die Leute, weil sie sich wohl fühlen, und deshalb zahlen sie für die Grundstücke so viel, wie man es mit Landwirtschaft niemals finanzieren könnte. Das Bitterroot Valley wird zu einem Tal der Pferde. Pferde sind wirtschaftlich: Während die Preise für landwirtschaftliche Produkte vom Wert der Lebensmittel selbst abhängen und nicht unbegrenzt steigen können, sind viele Leute bereit, für Pferde jeden Preis zu zahlen, obwohl sie keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen.«
Die Grundstückspreise sind in Montana heute zehn bis zwanzig Mal höher als noch vor wenigen Jahrzehnten. Bei solchen Preisen sind die Kosten für eine Hypothek viel zu hoch, als dass man sie mit landwirtschaftlicher Nutzung erwirtschaften könnte. Das ist er unmittelbare Grund, warum die Farmer im Bitterroot Valley nicht durch Expansion überleben können und warum die Betriebe am Ende verkauft und anders genutzt werden. Lebt ein älterer Bauer bis zu seinem Tod auf seinem Anwesen, sind die Erben gezwungen, das Land an ein Bauunternehmen zu verkaufen; damit bringt es viel mehr ein als beim Verkauf an einen anderen Bauern, und nur mit diesem höheren Erlös sind die Steuern auf die Wertsteigerung der Immobilie zu finanzieren, die zu Lebzeiten des verstorbenen Farmers eingetreten ist. In den meisten Fällen verkaufen aber schon die betagten Besitzer selbst ihre Betriebe. Einerseits tut es ihnen zwar in der Seele weh, wenn das Land, das sie sechzig Jahre lang bestellt und geliebt haben, jetzt in Wohnsiedlungsparzellen von je 20 000 Quadratmetern aufgeteilt wird, aber auf der anderen Seite zahlt ein Immobilienentwicklungsunternehmen schon für eine kleine Farm, die sich früher selbst trug, über eine Million Dollar. Den alten Bauern bleibt keine andere Wahl: Sie brauchen das Geld, um im Alter ihren Lebensunterhalt zu sichern, denn als Bauern konnten sie kein Geld zurücklegen, und die Kinder wollen den Betrieb ohnehin nicht weiterführen. Oder, wie Rick Laible es formuliert: »Für einen Bauern ist das Land die einzige Rentenversicherung.«
Warum sind die Grundstückspreise so stark in die Höhe geschossen? Letztlich liegt es daran, dass die großartige Landschaft des Bitterroot Valley so viele wohlhabende Neubürger anzieht. Bei denjenigen, die den alten Bauern ihr Land abkaufen, handelt es sich entweder um neu zugezogene Bauherren oder um Immobilienspekulanten, die das Land in Parzellen aufteilen und dann an Neuankömmlinge oder bereits im Tal ansässige, reiche Bürger weiterverkaufen. Dass das Tal in jüngster Zeit ein jährliches Bevölkerungswachstum von vier Prozent verzeichnet, liegt nicht an einem Geburtenüberschuss, sondern fast ausschließlich an Personen, die von außen neu in das Tal ziehen. Auch der Saisontourismus nimmt zu, weil immer mehr Feriengäste aus anderen Bundesstaaten (wie Stan Falkow, Lucy Tompkins und meine Söhne) zum Fliegenfischen, Golfspielen oder Jagen kommen. In einer Wirtschaftsanalyse, die der Kreis Ravalli kürzlich in Auftrag gab, heißt es: »Es dürfte kein Geheimnis sein, warum so viele Bürger in das Bitterroot Valley kommen. Kurz gesagt, ist es mit Bergen, Wäldern, Bachläufen, Wildtieren, Panoramalandschaften und relativ mildem Klima eine sehr attraktive Wohnregion.«
Die größte Gruppe der neu Zugezogenen sind die »Halbrentner« und Frührentner der Altersgruppe von 45 bis 59 Jahren. Sie leben von den Gewinnen, die sie durch den Verkauf ihrer Immobilien in anderen Bundesstaaten erzielt haben, und vielfach haben sie weiterhin Einnahmen aus Unternehmen in anderen Staaten oder aus Internetfirmen. Ihre Einnahmequellen sind also unabhängig von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich aus den Umweltproblemen in Montana ergeben. Wer beispielsweise in Kalifornien ein winziges Haus für 500 000 Dollar verkauft, kann von diesem Geld in Montana ein Anwesen von zwei Hektar mit großem Haus und Pferden erwerben, angeln gehen und seinen Ruhestand mit Ersparnissen und dem übrig gebliebenen Geld aus dem Hausverkauf in Kalifornien finanzieren. Deshalb kommt fast die Hälfte derer, die in letzter Zeit ins Bitterroot Valley eingewandert sind, aus Kalifornien. Da sie die Grundstücke in dem Tal nicht wegen des Wertes der Kühe und Äpfel erwerben, die man darauf produzieren könnte, sondern wegen der schönen Landschaft, stehen ihre Preisangebote in keinem Verhältnis zu dem Wert, den die Grundstücke bei landwirtschaftlicher Nutzung hätten.
Aber der starke Anstieg der Grundstückspreise führte für die Bewohner des Bitterroot Valley, die ihren Lebensunterhalt durch Arbeit finanzieren müssen, zu Wohnungsknappheit. Viele von ihnen können sich kein Haus mehr leisten und wohnen jetzt in Wohnwagen oder bei den Eltern, und selbst zur Finanzierung dieser spartanischen Lebensweise müssen sie zwei oder drei Jobs nebeneinander ausüben.
Solche krassen wirtschaftlichen Fakten führen natürlich zu Spannungen zwischen den alteingesessenen Bewohnern und denen, die aus anderen Staaten neu zugezogen sind, insbesondere jenen reichen Neuankömmlingen, die in Montana ihren Zweit-, Dritt- oder Viertwohnsitz haben (neben Häusern in San Francisco, Palm Springs und Florida) und jedes Jahr nur kurze Zeit zum Angeln, Jagen, Golfspielen oder Skilaufen kommen. Die Alteingesessenen beschweren sich über die lauten Privatjets, mit denen die reichen Besucher auf dem Flughafen von Hamilton landen, wenn sie von San Francisco einfliegen, ein paar Stunden bei ihrem Viertwohnsitz auf der Stock Farm Golf spielen und noch am gleichen Tag wieder verschwinden. Ebenso haben die Alteingesessenen etwas dagegen, wenn Außenstehende eine größere frühere Farm aufkaufen, die ein Bewohner der Gegend ebenfalls gern erworben hätte, wenn er es sich leisten könnte; auf solchen Anwesen hatten die Nachbarn früher häufig Jagd- oder Fischereirechte, die neuen Eigentümer jedoch wollen dort ausschließlich mit ihren reichen Freunden jagen oder angeln, und die Leute aus der Gegend bleiben außen vor. Aus gegensätzlichen Wertvorstellungen und Erwartungen erwachsen Missverständnisse: Die neu Zugezogenen wünschen sich zum Beispiel, dass die Wapitihirsche aus dem Gebirge in die landwirtschaftlich genutzten Gebiete kommen, weil sie so schön aussehen oder gejagt werden sollen; die Alteingesessenen haben jedoch etwas dagegen, wenn die Wapitihische ins Tal kommen und ihnen das Heu wegfressen.
Die reichen Hausbesitzer aus anderen Staaten achten sehr genau darauf, dass sie sich weniger als 180 Tage im Jahr in Montana aufhalten, denn sonst müssten sie dort Steuern zahlen und damit zur Finanzierung der örtlichen Schulen und anderer staatlicher Einrichtungen beitragen. Ein Bewohner aus der Gegend erklärte mir einmal: »Diese Zugereisten setzen andere Prioritäten als wir hier: Sie wollen Privatsphäre und luxuriöse Einsamkeit; in die Angelegenheiten der Region wollen sie nicht verwickelt werden, außer wenn sie ihre Freunde von außerhalb hier mit in die Kneipe nehmen, um ihnen die ländliche Lebensweise und die verschrobenen Einheimischen zu zeigen. Für Natur, Angeln, Jagen und die Landschaft haben sie etwas übrig, aber sie sind kein Teil der hiesigen Gemeinden.«
Der Zuzug der Reichen hat aber auch eine andere Seite. Emil Erhardt fügt hinzu: »Die Stock Farm bietet gut bezahlte Arbeitsplätze, sie zahlt einen großen Teil der Grundsteuern im Bitterroot Valley, sie bezahlt ihren eigenen Sicherheitsdienst und stellt weder an die Gemeinde noch an die Behörden des Bundesstaates große Ansprüche. Unser Sheriff wird nicht in die Stock Farm gerufen, um Kneipenschlägereien zu schlichten, und die Eigentümer der Stock Farm schicken ihre Kinder nicht auf unsere Schulen.« Auch John Cook räumt ein: »Die reichen Grundbesitzer haben auch etwas Positives. Wenn Charles Schwab nicht das ganze Gelände aufgekauft hätte, gäbe es dort heute keine natürlichen Lebensräume und keine großen grünen Flächen mehr. Dann hätte irgendeine andere Immobilienfirma die Fläche in kleinere Grundstücke aufgeteilt.«
Da die reichen Neubürger wegen der landschaftlichen Schönheit nach Montana gezogen sind, halten viele von ihnen ihren Besitz gut in Stand und werden zur treibenden Kraft bei Umweltschutz und Landschaftsplanung. Ich selbst hatte beispielsweise während der letzten sechs Jahre ein Haus südlich von Hamilton am Bitterroot River als Feriendomizil gemietet; der Eigentümer war ein Privatunternehmen namens Teller Wildlife Refuge. Otto Teller war ein reicher Kalifornier, der gern zum Forellenangeln nach Montana kam. Eines Tages stellte er zu seinem Entsetzen fest, dass große Baumaschinen ihren Abraum an einer seiner Lieblingsangelstellen in den Gallatin River schütteten. Noch größer wurde seine Empörung, als er sah, wie Holzkonzerne in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts durch massive Abholzungsmaßnahmen seine geliebten Forellenbäche zerstörten und das Wasser verschmutzten. Seit 1984 kaufte Otto erstklassige Ufergrundstücke am Bitterroot River auf und gliederte sie in ein privates Naturschutzgebiet ein, in dem die Bewohner aus der Gegend aber weiterhin jagen und angeln durften. Schließlich übertrug er die Naturschutzverpflichtung für sein Land an eine gemeinnützige Organisation namens Montana Land Reliance und sorgte so dafür, dass das Land auch auf lange Sicht im Sinne seiner Umweltqualität bewirtschaftet wird. Hätte der reiche Otto Teller aus Kalifornien nicht diese 650 Hektar aufgekauft, wären sie in kleine Bauparzellen für Häuser aufgeteilt worden.
Der Zustrom neuer Bewohner, der damit verbundene Anstieg von Immobilienpreisen und Grundsteuern, die Armut der alteingesessenen Bewohner und ihre konservative Einstellung gegenüber Behörden und Steuern (siehe unten) haben auch dazu geführt, dass die Schulen von Montana, die vor allem aus Eigentumssteuereinnahmen finanziert werden, sich heute in einer misslichen Lage befinden. Da es im Kreis Ravalli nur wenig Industrie- und Geschäftseigentum gibt, ist die Grundsteuer die Haupteinnahmequelle, und die ist mit dem Anstieg der Immobilienwerte gewachsen. Für alteingesessene und weniger wohlhabende neue Bürger, die ohnehin mit einem schmalen Geldbeutel zurechtkommen müssen, ist jede Grundsteuererhöhung ein schwerer Schlag. Wie nicht anders zu erwarten, stimmen sie bei Wahlen dann häufig gegen neue Mittel für Schulen und gegen zusätzliche Gemeindesteuern, die in die Schulen fließen sollen.
Die Folge: Im Kreis Ravalli fließen zwei Drittel der lokalen staatlichen Ausgaben in die Schulen, als Prozentsatz des Pro-Kopf-Einkommens ausgedrückt, steht Ravalli aber mit diesem Betrag unter 24 vergleichbaren ländlichen Kreisen im Westen der USA an letzter Stelle, und das ProKopf-Einkommen ist im Kreis Ravalli ohnehin schon gering. Selbst nach den niedrigen Maßstäben des Staates Montana sind die Schulen im Kreis Ravalli schlecht finanziert. Die Etats der meisten Schuldistrikte liegen an der gesetzlich vorgeschriebenen Untergrenze. Das Durchschnittsgehalt der Lehrer in Montana ist eines der niedrigsten im gesamten Westen der USA, und insbesondere im Kreis Ravalli mit seinen gestiegenen Immobilienpreisen kann ein Lehrer von seinem niedrigen Gehalt kaum leben.
Viele Kinder, die in Montana geboren werden, verlassen den Staat: Manche streben eine andere Lebensweise an, und wer die Lebensweise von Montana beibehalten will, findet in dem Bundesstaat häufig keinen Arbeitsplatz. Ein Beispiel: In den Jahren, seit Steve Powell an der High School von Hamilton seinen Abschluss gemacht hat, sind 70 Prozent seiner Klassenkameraden aus dem Bitterroot Valley weggezogen. Meine Freunde, die sich in Montana zum Bleiben entschlossen haben, mussten sich ohne Ausnahme mit der schmerzlichen Frage auseinander setzen, ob ihre Kinder bleiben werden. Sämtliche acht Kinder von Allen und Jackie sowie sechs der acht Kinder von Jill und Eliel wohnen heute nicht mehr in Montana.
Wie die meisten Amerikaner im ländlichen Westen des Landes, so sind auch die Bewohner von Montana in der Regel konservativ, und allen staatlichen Vorschriften begegnen sie mit Misstrauen. Diese Einstellung hat ihre Wurzeln in der Geschichte: Die ersten Siedler lebten bei niedriger Bevölkerungsdichte in einem Grenzgebiet weit weg von den Verwaltungszentren. Sie mussten allein zurechtkommen und konnten nicht darauf warten, dass der Staat ihre Probleme löste. Vor allem sträuben sich die Bewohner Montanas dagegen, wenn die geographisch und psychologisch so weit entfernte Bundesregierung in Washington ihnen Vorschriften machen will. (Allerdings sträuben sie sich nicht gegen die Bundesmittel, die Montana erhält und annimmt:
Für jeden Dollar, der aus dem Staat nach Washington fließt, kommen ungefähr eineinhalb Dollar zurück.) Aus Sicht der Bewohner von Montana hat die städtisch geprägte Mehrheit, die auch die Bundesregierung beherrscht, keinen Begriff von den Bedingungen in den ländlichen Regionen. Und aus Sicht der Regierungsbeamten ist die Umwelt in Montana ein Schatz, der allen Amerikanern gehört und nicht nur dem Nutzen der Bürger dieses Bundesstaates dienen darf.
Aber selbst nach den Maßstäben von Montana herrscht im Bitterroot Valley eine besonders konservative, regierungskritische Einstellung. Das mag daran liegen, dass die ersten Siedler vielfach aus Staaten der Konföderation in das Tal kamen, und nach den Rassenunruhen in Los Angeles setzte aus dieser Stadt ein weiterer Zustrom von Rechtskonservativen ein. Extreme Vertreter der rechtskonservativen Einstellung bilden im Bitterroot Valley sogar so genannte Milizen: Gruppen von Grundbesitzern horten Waffen, weigern sich, Steuern zu bezahlen, vertreiben alle anderen von ihren Besitzungen und werden von den übrigen Talbewohnern entweder toleriert oder als paranoid abgetan.
Solche politischen Einstellungen führen unter anderem dazu, dass es im Bitterroot Valley eine starke Opposition gegen staatliche Landschafts- oder Bauplanung gibt. Allgemein herrscht die Ansicht, jeder Grundbesitzer könne mit seinem Eigentum verfahren, wie es ihm beliebt. Im Kreis Ravalli gibt es weder verbindliche Bauvorschriften noch umfassende Bebauungspläne. Abgesehen von zwei Ortschaften und einigen Baugebieten, die von den Wählern in ländlichen Gebieten außerhalb der Orte freiwillig ausgewiesen wurden, bestehen für die Nutzung der Landflächen keinerlei Einschränkungen. Eines Abends saß ich beispielsweise mit meinem halbwüchsigen Sohn Joshua in unserem Ferienhaus, und er las in der Zeitung von einem interessanten Film, der gerade in einem der beiden Kinos von Hamilton lief. Ich erkundigte mich nach dem Weg, brachte ihn hin und musste zu meinem Erstaunen feststellen, dass man das Kino in einem Gebiet errichtet hatte, wo noch vor kurzem nur Felder gewesen waren - abgesehen von einem großen biotechnologischen Institut gleich nebenan. Kein Bebauungsplan hatte die Nutzungsänderung der landwirtschaftlichen Flächen verhindert. In vielen anderen Regionen der USA ist die Öffentlichkeit so beunruhigt über den Verlust von Ackerland, dass seine Umwandlung in Gewerbegebiete durch Bebauungspläne verhindert wird, und besonders entsetzt wären die Wähler über die Vorstellung, dass ein Kino mit dem damit verbundenen Autoverkehr unmittelbar neben einer möglicherweise sicherheitsrelevanten Biotechnologieeinrichtung gebaut wird.
Allmählich wird den Bewohnern von Montana klar, dass ihre vorherrschenden Grundsätze genau in entgegengesetzte Richtungen zielen: einerseits die regierungskritische Haltung mit dem Pochen auf individuelle Rechte, andererseits der Stolz auf ihre Lebensqualität. Das Schlagwort »Lebensqualität« fällt in letzter Zeit praktisch immer, wenn ich mich mit Bewohnern von Montana über ihre Zukunft unterhalte. Sie meinen damit, das sie sich an jedem Tag ihres Lebens über jene großartige Umwelt freuen können, die für Touristen wie mich ein oder zwei Wochen im Jahr etwas ganz Besonderes ist. Außerdem spielen die Bewohner Montanas damit aber auch auf ihre traditionelle Lebensweise als ländliche, weit verstreute, gleichberechtigte Bevölkerung an, die von den alten Siedlern abstammt. Emil Erhardt sagte einmal zu mir: »Im Bitterroot Valley wollen die Leute im Wesentlichen ihre ländliche kleine Gemeinschaft behalten, in der alle gleich sind: Alle sind arm, und alle sind stolz darauf.«
Aber mit ihrem alten, anhaltenden Widerstand gegen staatliche Vorschriften haben die Bürger von Montana eine uneingeschränkte Nutzung der Landflächen und damit den Zustrom neuer Bewohner möglich gemacht, und das führte zur Schädigung der schönen natürlichen Umwelt und ihrer so geliebten Lebensqualität. Am besten erklärte es Steve Powell: »Den Immobilienmaklern und Bauunternehmern unter meinen Bekannten sage ich: ›Ihr müsst die landschaftliche Schönheit bewahren, die wilden Tiere und die landwirtschaftlichen Flächen.‹ Solche Dinge erhalten den Wert von Immobilien. Je länger wir mit den Planungen warten, desto weniger landschaftliche Schönheit bleibt übrig. Unerschlossenes Land nützt der Gemeinschaft als Ganzer: Es ist ein wichtiger Teil der Lebensqualität, die die Menschen anzieht. Angesichts der zunehmenden Bevölkerung sind dieselben Leute, die früher gegen staatliche Eingriffe Front machten, heute besorgt wegen des Wachstums. Sie erklären, ihre liebsten Freizeitgebiete seien jetzt übervölkert, und sie räumen ein, dass es Regeln geben muss.« Als Steve 1993 County Commissioner wurde, organisierte er Bürgerversammlungen, um Diskussionen über Nutzungspläne in Gang zu setzen und die Öffentlichkeit zum Nachdenken anzuregen. Bei den Versammlungen tauchten finster dreinblickende Mitglieder der Milizen auf; sie störten die Veranstaltungen und trugen ganz offen die Revolver im Halfter, um die anderen einzuschüchtern. Steve schaffte die Wiederwahl nicht.
Wie der Konflikt zwischen dem Widerstand gegen behördliche Planung und der Notwendigkeit solcher Planungen beigelegt werden soll, ist bis heute nicht geklärt. Um noch einmal Steve Powell zu zitieren: »Die Leute wollen die ländliche Gemeinschaft im Bitterroot Valley erhalten, aber sie haben keine Ahnung, wie man sie erhalten und dabei wirtschaftlich überleben kann.«
Nachdem ich dieses Kapitel vorwiegend in meinen eigenen Worten formuliert habe, möchte ich zum Schluss vier meiner Freunde aus Montana zu Wort kommen lassen. Sie berichten, wie sie hierher kamen und welche Sorgen sie sich um die Zukunft des Bundesstaates machen. Rick Laible ist neu zugezogen und sitzt heute im Senat von Montana; Chip Pigman lebt seit jeher hier und ist Bauunternehmer; Tim Huls, ebenfalls alt eingesessen, betreibt eine Milchviehfarm; und John Cook, neu zugezogen, ist Angelführer.
Rick Laible erzählt Folgendes: »Geboren und aufgewachsen bin ich in der Gegend von Berkeley in Kalifornien. Dort habe ich eine Firma für die Herstellung von Ladeneinrichtungen aus Holz. Meine Frau Frankie und ich haben hart gearbeitet. Eines Tages sah Frankie mich an und sagte: ›Du arbeitest jeden Tag zehn bis zwölf Stunden, und das sieben Tage in der Woche.‹ Wir entschlossen uns zu einem Teilruhestand und fuhren 7500 Kilometer im Westen herum, um den richtigen Ort für unseren Ruhesitz zu finden. In einem abgelegenen Teil des Bitterroot Valley kauften wir 1993 unser erstes Haus, und 1994 zogen wir auf eine Ranch, die wir in der Nähe der Ortschaft Victor erworben hatten. Dort züchtet meine Frau Araberpferde, und ich fliege ein Mal im Monat nach Kalifornien zu meiner Firma, die mir immer noch gehört. Wir haben fünf Kinder. Unser ältester Sohn wollte immer nach Montana ziehen und verwaltet heute unsere Ranch. Die anderen vier verstehen nicht, was die Lebensqualität in Montana ausmacht, verstehen nicht, dass die Bewohner von Montana nette Menschen sind, und verstehen nicht, warum ihre Eltern hierher gezogen sind.
Ich selbst will mittlerweile jedes Mal, wenn ich zu meinem monatlichen Viertagebesuch in Kalifornien war, nur noch dort weg. Die Leute kommen mir vor wie Ratten im Käfig.
Warum ich in die Politik gegangen bin? Ich hatte immer zu vielem eine politische Meinung. Der Staatsparlamentsabgeordnete hier aus meinem Wahlkreis wollte nicht wieder kandidieren und schlug mich vor. Er wollte mich überreden, und Frankie schlug in die gleiche Kerbe. Warum ich mich zur Kandidatur entschlossen habe? Ich wollte ›etwas zurückgeben‹ - ich hatte das Gefühl, dass das Leben es gut mit mir gemeint hatte und wollte den Bewohnern der Gegend ein besseres Leben ermöglichen.
Die staatliche Aufgabe, die mich besonders interessiert, ist die Forstverwaltung, denn in meinem Wahlkreis gibt es Wälder, und viele meiner Wähler sind Holzarbeiter. Die Kleinstadt Darby in meinem Wahlkreis war früher ein wohlhabendes Zentrum der Holzwirtschaft, und die Forstverwaltung schuf Arbeitsplätze im Tal. Ursprünglich gab es im Tal sieben Sägewerke, aber jetzt existiert kein einziges mehr, und damit sind auch Arbeitsplätze und Infrastruktur verloren gegangen. Derzeit werden Entscheidungen über die Bewirtschaftung der Wälder von Umweltgruppen und der Bundesregierung getroffen, Kreis und Bundesstaat bleiben außen vor. Ich arbeite an Forstgesetzen, die eine Zusammenarbeit der drei wichtigsten Instanzen vorsehen: Bundes-, Staats- und Kreisbehörden.
Vor ein paar Jahrzehnten gehörte Montana zu den zehn Bundesstaaten mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen in den USA; heute steht es wegen des Niederganges der Rohstoffindustrie (Holz, Kohle, Minen, Öl und Gas) unter den 50 Staaten auf Rang 49. Gut bezahlte, gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze sind verloren gegangen. Natürlich können wir nicht wieder die übermäßige Ressourcenausbeutung betreiben, die es früher häufig gegeben hat. Hier im Bitterroot Valley müssen beide Ehepartner arbeiten, und oft muss jeder von beiden sogar zwei lobs haben, um sich über Wasser zu halten. Und andererseits haben wir hier diese zugewucherten Wälder. Hier sind sich alle einig, ob Umweltschützer oder nicht: Wir müssen einen Teil der brennbaren Stoffe aus den Wäldern entfernen. Bei einer solchen Sanierung würde man die überschüssigen Holzmengen und insbesondere die kleinen Bäume entfernen. Heute geschieht das nur durch Waldbrände. Nach dem nationalen Feuerbekämpfungsplan der Bundesregierung würde man das Holz mechanisch entfernen und so die brennbare Biomasse reduzieren. Heute stammt das Bauholz, das in den USA verwendet wird, zum größten Teil aus Kanada! Ursprünglich waren unsere nationalen Wälder dazu da, eine stetige Versorgung mit Bauholz zu gewährleisten und die Wassereinzugsgebiete zu sichern. Die Erlöse aus den nationalen Wäldern flossen früher zu 25 Prozent in die Schulen, aber in den letzten Jahren sind diese Gewinne stark zurückgegangen. Mehr Holzgewinnung würde mehr Geld für die Schulen bedeuten.
Derzeit gibt es für das Wachstum im Kreis Ravalli kein politisches Konzept. Die Bevölkerung hat in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent zugenommen, und in den nächsten zehn Jahren wird sie vielleicht noch einmal um 40 Prozent wachsen. Wo sollen diese nächsten 40 Prozent hin? Können wir dichtmachen und den Leuten den Zuzug verbieten? Haben wir das Recht, dichtzumachen? Sollen wir einem Bauern verbieten, sein Anwesen aufzuteilen und zu erschließen, und soll er dazu verurteilt werden, lebenslang Landwirtschaft zu betreiben? Für einen Bauern ist das Land die einzige Altersversorgung. Wenn wir ihm verbieten, seine Flächen als Bauland zu verkaufen, was soll dann aus ihm werden?
Was die Langzeitwirkungen des Wachstums angeht, so wird es in Zukunft Zyklen geben, wie es sie auch in der Vergangenheit gegeben hat, und im Rahmen eines solchen Zyklus werden die neu Zugezogenen wieder nach Hause fahren. Montana wird nie ein Übermaß an Entwicklung erleben, aber im Kreis Ravalli wird die Entwicklung sich fortsetzen. Derzeit gibt es im Kreis viel staatlichen Grundbesitz. Die Immobilienpreise werden weiter steigen, bis sie eines Tages zu hoch sind, und dann werden die potenziellen Käufer in einer anderen Gegend mit billigeren Grundstücken einen neuen Immobilienboom in Gang setzen. Letztlich wird man alle landwirtschaftlichen Flächen in dem Tal als Bauland erschließen.«
Chip Pigman erzählt folgende Geschichte: »Ich bin hier geboren und zur Schule gegangen, und an der University of Montana nicht weit von hier in Missoula habe ich meinen Abschluss gemacht.
Dann bin ich für drei Jahre nach Denver gezogen, aber das Stadtleben gefiel mir nicht, und ich war entschlossen, wieder hierher zurückzukommen, unter anderem auch weil das Bitterroot Valley großartig ist, wenn man Kinder hat. In Denver mochte ich den Verkehr und die Menschenmassen nicht. Hier fehlt mir nichts. Ich bin ohne ›Kultur‹ groß geworden und brauche sie nicht. Ich habe gewartet, bis mein Anteil an der Firma in Denver, bei der ich gearbeitet habe, ausgezahlt wurde, und dann bin ich wieder hierher gezogen. Das heißt, ich habe in Denver einen Job mit 35 000 Dollar Jahreseinkommen plus Zulagen sausen lassen und verdiene hier 17 000 Dollar ohne jede Zulage. Ich war bereit, die sichere Stelle in Denver aufzugeben, um hier im Tal wohnen und wandern zu können. Meine Frau hatte diese Unsicherheit nie kennen gelernt, aber ich hatte im Bitterroot Valley immer damit gelebt. Hier kann man nur mit Doppeleinkommen überleben, und meine Eltern hatten immer eine ganze Reihe seltsamer Arbeiten. Ich war darauf vorbereitet, notfalls nachts noch Lebensmittel in die Regale zu räumen, um Geld für meine Familie zu verdienen. Nachdem wir wieder hier waren, hat es fünf Jahre gedauert, bis ich mit meinem Einkommen auf dem Niveau von Denver angekommen war, und dann vergingen noch einmal ein oder zwei Jahre, bis ich eine Lebensversicherung hatte.
Mein Unternehmen beschäftigt sich hauptsächlich mit Hausbau und mit der Erschließung der nicht ganz so teuren Landparzellen - die Nobelgrundstücke zu kaufen, kann ich mir nicht leisten. Die Flächen, die wir erschließen, waren früher landwirtschaftliche Betriebe, aber wenn ich sie erwerbe, werden sie in der Regel schon nicht mehr zu diesem Zweck genutzt; oft sind sie bereits mehrfach weiterverkauft worden und wurden seit der letzten landwirtschaftlichen Nutzung einige Male neu aufgeteilt. Sie produzieren nicht mehr, und dort wächst kein Weidegras, sondern nur Flockenblumen.
Die Leute reden davon, hier würde zu viel Land erschlossen, und irgendwann werde das Tal übervölkert sein, und dafür machen sie mich verantwortlich ! Darauf antworte ich: Es gibt eine Nachfrage nach meinem Produkt, und die Nachfrage schaffe nicht ich. Im Tal gibt es von Jahr zu Jahr mehr Häuser und mehr Verkehr. Aber ich wandere gern, und wenn man wandert oder über das Tal fliegt, dann sieht man eine Menge Freiflächen. Die Presse sagt, in den letzten zehn Jahren habe das Wachstum im Tal insgesamt 44 Prozent betragen, aber das ist immer noch erst eine Bevölkerungszunahme von 25 000 auf 35 000 Menschen. Die jungen Leute ziehen aus dem Tal weg. Ich habe dreißig Angestellte, denen bietet meine Firma einen Arbeitsplatz mit Renten- und Krankenversicherung, bezahltem Urlaub und Gewinnbeteiligung. Umweltschützer halten mich häufig für die Ursache der Probleme in dem Tal, aber ich kann die Nachfrage nicht schaffen; wenn ich die Häuser nicht baue, tut es ein anderer.
Ich habe die Absicht, den Rest meines Lebens hier zu bleiben. Ich gehöre zu dieser Gemeinde und unterstütze viele ihrer Projekte. Die Mentalität ›reich werden und abhauen‹ habe ich nicht. Ich rechne damit, dass ich auch in 20 Jahren noch hier bin und an meinen alten Bauprojekten vorüberfahre. Dann will ich nicht aus dem Auto blicken und mir gestehen müssen, dass ich da ein schlechtes Projekt verwirklicht habe!«
Tim Huls ist Milchbauer und stammt aus einer alteingesessenen Familie: »Als Erste aus unserer Familie kamen 1912 meine Urgroßeltern hierher. Damals, als das Land noch sehr billig war, kauften sie 16 Hektar, und darauf hielten sie ein Dutzend Milchkühe. Die wurden jeden Morgen zwei Stunden lang mit der Hand gemolken, und abends noch einmal zwei Stunden. Meine Großeltern kauften für sehr wenig Geld noch einmal 44 Hektar dazu, verkauften die Sahne von der Milch ihrer Kühe für die Käseherstellung und ernteten Äpfel und Heu. Aber sie hatten es schwer. Es waren schwierige Zeiten, und sie klammerten sich mit aller Kraft an das Land, während manche anderen Farmer es nicht mehr schafften. Mein Vater überlegte, ob er aufs College gehen sollte, aber dann entschloss er sich, stattdessen auf der Farm zu bleiben. Er war ein innovativer Visionär und traf die weitreichende Entscheidung, sich auf intensive Milchviehhaltung zu konzentrieren und einen Stall für 150 Kühe zu bauen, um den Ertrag des Landes zu steigern.
Mein Bruder und ich kauften die Farm von unseren Eltern. Sie haben sie uns nicht geschenkt, sondern verkauft -wir sollten uns entscheiden, ob wir unbedingt Landwirtschaft betreiben wollten und deshalb auch bereit waren, für den Betrieb zu bezahlen. Jeder Bruder besitzt zusammen mit seiner Ehefrau sein eigenes Land, das an den Familienbetrieb verpachtet ist. Die Arbeit für den täglichen Betrieb der Farm wird zum größten Teil von uns Brüdern, unseren Frauen und unseren Kindern erledigt; wir haben nur sehr wenige Angestellte, die nicht zur Familie gehören. Landwirtschaftliche Familienunternehmen wie unseres gibt es nur in sehr geringer Zahl. Dass wir Erfolg haben, liegt zum Teil an unserem gemeinsamen religiösen Glauben: fast alle gehen wir in die gleiche Kirche in Corvallis. Es gibt in unserer Familie auch Konflikte, ganz klar. Aber wir können uns heftig streiten, und abends sind wir wieder die besten Freunde. Wir haben herausgefunden, um welche Dinge es sich zu streiten lohnt und um welche nicht.
Landwirtschaftliche Betriebe sind in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, denn Land hat hier im Bitterroot Valley den höchsten Wert, wenn es zur Erschließung und als Bauland verwendet wird. Die Bauern stehen in unserer Gegend vor der Entscheidung: Sollen wir weiterhin unseren Hof betreiben, oder sollen wir das Land als Bauland verkaufen und uns zur Ruhe setzen? Es gibt keine legale Nutzpflanze, mit der wir auf unserem Land den gleichen Gewinn erzielen könnten wie mit dem Hausbau, und deshalb können wir es uns nicht leisten, weitere Flächen hinzuzukaufen. Ob wir überleben, hängt vielmehr davon ab, ob wir die 300 Hektar, die wir schon besitzen oder gepachtet haben, so effizient wie möglich bewirtschaften. Unsere Kosten für Lastwagen und vieles andere sind gestiegen, aber für 100 Liter Milch bekommen wir heute noch den gleichen Betrag wie vor 20 Jahren. Wie sollen wir bei immer engeren Verdienstspannen noch einen Gewinn machen? Wir müssen neue technische Mittel einsetzen, dazu brauchen wir Kapital, und dann müssen wir uns ständig weiterbilden, um die neue Technik unter unseren Verhältnissen anwenden zu können. Wir müssen bereit sein, alte Methoden aufzugeben. Dieses Jahr haben wir beispielsweise beträchtliches Kapital aufgewendet, um einen neuen, computergesteuerten Stall für 200 Kühe zu bauen. Unsere Farm dient heute im ganzen Staat Montana als Vorbild. Andere Bauern beobachten genau, ob es bei uns funktioniert.
Wir haben selbst unsere Zweifel, ob es funktioniert, denn auf zwei Risikofaktoren haben wir keinen Einfluss. Aber wenn wir überhaupt weiterhin Landwirtschaft betreiben wollen, mussten wir modernisieren; ansonsten wäre uns nichts anderes übrig geblieben, als Bauunternehmer zu werden: Hier muss man auf seinem Land entweder Kühe halten oder Häuser bauen. Einer der beiden Risikofaktoren, die wir nicht beeinflussen können, sind die Preisschwankungen bei landwirtschaftlichen Geräten und Dienstleistungen, die wir einkaufen müssen, sowie die schwankenden Erzeugerpreise für Milch. Die Milchbauern können den Milchpreis nicht selbst bestimmen. Unsere Milch ist verderblich; wenn die Kuh gemolken ist, haben wir nur zwei Tage Zeit, um die Milch vom Hof auf den Markt zu bringen, und deshalb ist unsere Verhandlungsposition schwach. Wir verkaufen die Milch, und die Käufer schreiben uns vor, welchen Preis sie bezahlen.
Das zweite unkontrollierbare Risiko sind die ökologischen Bedenken der Öffentlichkeit im Hinblick auf die Art, wie wir mit den Tieren, ihren Exkrementen und dem damit verbundenen Gestank umgehen. Wir sind bestrebt, solche Auswirkungen so weit wie möglich unter Kontrolle zu halten, aber vermutlich sind nicht alle mit unseren Bemühungen zufrieden. Wenn Leute neu ins Bitterroot Valley ziehen, tun sie es wegen der Landschaft. Anfangs sehen sie Kühe und Wiesen aus der Ferne ganz gern, aber manchmal begreifen sie überhaupt nicht, was das alles mit landwirtschaftlichen Betrieben und insbesondere mit den Milchfarmen zu tun hat. In anderen Gebieten, wo Milchwirtschaft und Baulanderschließung nebeneinander existieren, beziehen sich die Einwände gegen die Milchviehbetriebe auf den Gestank, den Maschinenlärm bis spät in die Nacht, den Lastwagenverkehr auf ›unserer kleinen Landstraße‹ und anderes. Deshalb befürchten wir, dass die Gegner der Viehzucht eine Bürgerinitiative bilden und fordern, die Milchwirtschaft in unserer Region einzuschränken oder zu verbieten. Vor zwei Jahren musste beispielsweise ein Wildzuchtbetrieb schließen, weil eine solche Initiative ein Verbot der Jagd auf Wildfarmen durchgesetzt hatte. Es ist es schon erstaunlich, wie intolerant manche Leute gegenüber der Viehzucht und den Begleiterscheinungen der Lebensmittelproduktion sind.«
Die letzte meiner vier Lebensgeschichten ist die des Angelführers John Cook: »Ich bin auf einer Apfelplantage im Wenatchee Valley in Washington aufgewachsen. Am Ende der High School bin ich mit dem Motorrad durch das ganze Land gefahren. Nachdem ich meine Frau Pat kennen gelernt hatte, zogen wir auf die Olympic Peninsula in Washington und später nach Kodiak Island in Alaska. Dort habe ich 16 Jahre lang als Wild- und Angelführer gearbeitet. Als Nächstes sind wir nach Portland gezogen und von da nach Montana.
Dort ergab sich die Gelegenheit, in der Nähe des Bitterroot River eine Farm von zweieinhalb Hektar zu einem erschwinglichen Preis zu kaufen. Das Farmhaus war renovierungsbedürftig, also möbelten wir es in den folgenden Jahren auf; ich erwarb eine Lizenz als Ausrüster und Angelführer. Wir haben diese Farm als Altersruhesitz gekauft: Hier wollten wir den Rest unseres Lebens verbringen. Auf unserem Anwesen leben Uhus, Fasanen, Wachteln und Brautenten, und die Weideflächen reichen für zwei Pferde.
Vielleicht haben viele Menschen das Gefühl, sie könnten nur in der Zeit leben, in der sie geboren wurden, und in keiner anderen. Wir lieben dieses Tal, wie es vor dreißig Jahren war. Seit damals sind immer mehr Menschen hinzugekommen. Ich möchte hier nicht mehr leben, wenn das ganze Tal eine einzige Einkaufsmeile ist und wenn eine Million Menschen den Talboden zwischen Missoula und Darby bevölkern. Der Blick auf freie Flächen ist mir sehr wichtig.«
Die verschiedenen Lebensgeschichten der Bewohner von Montana machen deutlich, dass die Menschen in diesem Staat sehr unterschiedliche Ziele und Wertvorstellungen haben. Sie wünschen sich mehr oder weniger Bevölkerungswachstum, mehr oder weniger staatliche Vorschriften, mehr oder weniger Erschließung und Aufteilung landwirtschaftlicher Flächen, eine mehr oder weniger starke Beibehaltung der landwirtschaftlichen Nutzung, mehr oder weniger Bergbau, mehr oder weniger Abenteuertourismus. Dass diese Ziele in manchen Fällen nicht vereinbar sind, liegt auf der Hand.
Wie wir zu Beginn dieses Kapitels erfahren haben, muss sich Montana mit zahlreichen Umweltproblemen auseinander setzen, aus denen auch wirtschaftliche Probleme erwachsen. Die Anwendung der beschriebenen, unterschiedliche Ziele und Wertvorstellungen, führte zu unterschiedlichen Lösungsansätzen für die Umweltprobleme, und vermutlich bestehen auch unterschiedliche Aussichten, dass diese Ansätze gelingen oder scheitern. Derzeit gibt es in der Frage, welche Herangehensweise die beste ist, ehrliche, tiefe Meinungsverschiedenheiten. Wofür sich die Bürger von Montana letztlich entscheiden werden, wissen wir nicht, und ebenso wenig wissen wir, ob die ökologischen und ökonomischen Probleme des Staates sich verschlimmern oder vermindern werden.
Auf den ersten Blick mag es vielleicht absurd erscheinen, dass ich Montana als Thema für das erste Kapitel eines Buches über Gesellschaftszusammenbrüche gewählt habe. Weder für diesen speziellen Bundesstaat noch für die gesamten Vereinigten Staaten besteht die unmittelbare Gefahr eines Zusammenbruchs. Man sollte aber daran denken, dass das Einkommen der Bewohner von Montana zur Hälfte nicht aus ihrer Arbeit innerhalb des Bundesstaates stammt, sondern aus anderen Staaten innerhalb der USA: aus staatlichen Transferzahlungen (Sozialversicherung, Krankenversicherung und Programme zur Bekämpfung der Armut) und privaten Mitteln (Pensionszahlungen aus anderen Staaten, Immobilienerträge und Unternehmensgewinne). Montanas eigene Wirtschaft ist also schon heute bei weitem nicht in der Lage, den Lebensstandard seiner Bewohner zu finanzieren, sondern dieser kann nur mit Hilfe der übrigen Vereinigten Staaten aufrechterhalten werden. Wäre Montana eine einsame Insel wie beispielsweise die Osterinsel im Pazifik zu polynesischen Zeiten vor der Einwanderung der Europäer, hätte seine heutige industrielle Wirtschaft ihren Zusammenbruch bereits erlebt, oder diese Wirtschaft hätte sich überhaupt nicht erst entwickeln können.
Als Zweites sollte man bedenken, dass die beschriebenen Umweltprobleme in Montana zwar ernst sind, aber noch längst nicht so ernst wie in großen Teilen der übrigen Vereinigten Staaten, wo die Bevölkerungsdichte fast überall größer ist und sich viel stärker auswirkt, während die Umwelt gleichzeitig viel empfindlicher ist als in Montana. Die Vereinigten Staaten ihrerseits sind, was lebenswichtige Ressourcen angeht, auf andere Teile der Welt angewiesen und stehen wirtschaftlich, politisch und militärisch mit ihnen in Kontakt. Und manche dieser Regionen leiden unter noch schlimmeren Umweltproblemen als die USA und sind in einem viel steileren Niedergang begriffen.
Im weiteren Verlauf dieses Buches werden wir uns mit Umweltproblemen befassen, die denen in Montana ähneln und in verschiedenen anderen Gesellschaften aus Vergangenheit und Gegenwart eine Rolle gespielt haben. Die Hälfte der historischen Gesellschaften, die ich hier erörtern werde, besaßen keine Schriftsprache, sodass wir über Wertvorstellungen und Ziele ihrer einzelnen Menschen viel weniger wissen als über die der Bewohner von Montana. Bei heutigen Gesellschaften wissen wir über Wertvorstellungen und Ziele Bescheid, aber hier habe ich selbst mit Montana weitaus mehr Erfahrungen als mit allen anderen Regionen der heutigen Welt. Auch wenn die Umweltprobleme hier meist in unpersönlichen Begriffen beschrieben werden, sollte man also die Probleme dieser anderen Gesellschaften ebenfalls unter dem Gesichtspunkt betrachten, wie sie auf die einzelnen Menschen wirken - auf Menschen wie Stan Falkow, Rick Laible, Chip Pigman, Tim Huls, John Cook und die Geschwister Hirschy. Wenn wir uns im nächsten Kapitel die scheinbar homogene Gesellschaft der Osterinsel ansehen, sollten wir uns einen Häuptling, Bauern, Steinmetzen und Delphinfischer vorstellen, die uns ihre eigenen Lebensgeschichten, Wertvorstellungen und Ziele mitteilen, genau wie meine Freunde aus Montana es mir gegenüber getan haben.