KAPITEL 11

Eine Insel, zwei Völker, zwei Historien: Die Dominikanische Republik und Haiti

Unterschiede ■ Geschichtliches ■ Ursachen der Auseinanderentwicklung ■ Balaguer ■ Die Umwelt in der Dominikanischen Republik heute ■ Die Zukunft

Wer sich für die Probleme der modernen Welt interessiert, steht vor einer schwierigen Aufgabe, wenn er die 195 Kilometer lange Grenze zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti verstehen will, den beiden Staaten, die sich die große Karibikinsel Hispaniola südöstlich von Florida teilen. Vom Flugzeug aus erkennt man die Grenze als scharfe, gezackte Linie, die wie mit einem Messer quer über die Insel gezogen zu sein scheint. Sie trennt ganz abrupt eine dunklere, grüne Landschaft im Osten (die Dominikanische Republik) von blassen, braunen Flächen westlich davon (Haiti). Steht man am Boden auf der Grenze, blickt man an vielen Stellen Richtung Osten in einen Pinienwald, dreht man sich aber nach Westen, sieht man nichts als fast völlig baumlose Felder.

In dem Kontrast, der an der Grenze so deutlich sichtbar ist, spiegelt sich ein Unterschied der beiden Staaten. Ursprünglich war die gesamte Insel größtenteils bewaldet: Die ersten europäischen Entdecker nennen als auffälligstes Merkmal die üppigen Wälder mit ihrem Überfluss an kostbarem Holz. Diese Wälder sind in beiden Staaten verloren gegangen, aber in Haiti ist dies in weitaus größerem Ausmaß geschehen, sodass es dort heute nur noch sieben nennenswerte Waldstücke gibt. Nur zwei davon sind als Nationalparks geschützt, und in beiden wird illegal Holz geschlagen. Die Dominikanische Republik ist heute noch zu 28 Prozent bewaldet, in Haiti ist es ein Prozent. Ich war überrascht, wie viele Wälder man in der Dominikanischen Republik sogar in den besten landwirtschaftlichen Regionen findet, die sich zwischen Santo Domingo und Santiago erstrecken, den beiden größten Städten des Landes. Wie überall auf der Welt, so führte die Waldzerstörung auch in Haiti und in der Dominikanischen Republik zu einem Mangel an Bauholz und anderem Baumaterial, zu Bodenerosion, einem Rückgang der Bodenfruchtbarkeit, Sedimentbelastung der Flüsse, weniger Schutz für Wassereinzugsgebiete und damit einem geringeren Potenzial für Elektrizitätserzeugung durch Wasserkraft, und einem Rückgang der Niederschläge. Alle diese Nachteile sind heute in Haiti stärker ausgeprägt als in der Dominikanischen Republik. Schlimmer als die anderen erwähnten Probleme ist dort der Mangel an Holz zur Herstellung von Holzkohle, die in diesem Land der wichtigste Brennstoff zum Kochen ist.

Den Unterschieden in der Bewaldung der beiden Länder entsprechen auch die Unterschiede in der Wirtschaft. Beide sind arm. Sie leiden unter den üblichen Nachteilen der meisten tropischen Länder, die früher europäische Kolonien waren: korrupte oder schwache Regierungen, schwer wiegende Mängel in der Gesundheitsversorgung und eine geringere landwirtschaftliche Produktivität als in gemäßigten Breiten. Aber in allen diesen Punkten sind die Schwierigkeiten in Haiti weitaus größer als in der Dominikanischen Republik. Haiti ist das ärmste Land der Neuen Welt und weltweit eines der ärmsten außerhalb Afrikas. Seine chronisch korrupte Regierung bietet kaum staatliche Leistungen; große Teile der Bevölkerung leben ständig oder in regelmäßigen Abständen ohne öffentliche Elektrizitätsund Trinkwasserversorgung, ohne Kanalisation, medizinische Versorgung und Schulbildung. Haiti gehört zu den am stärksten überbevölkerten Ländern der Neuen Welt. Die Bevölkerungsdichte ist dort viel höher als in der Dominikanischen Republik - Haiti nimmt nur knapp ein Drittel der Fläche von Hispaniola ein, beherbergt aber zwei Drittel der Bevölkerung (etwa zehn Millionen Menschen), und die Bevölkerungsdichte liegt bei fast 400 Menschen je Quadratkilometer. Die meisten dieser Bewohner sind Kleinbauern. Die bescheidene Marktwirtschaft besteht vorwiegend aus einer geringen Kaffee- und Zuckerproduktion, die für den Export bestimmt ist; nur 20 000 Menschen arbeiten zu Niedriglöhnen in Freihandelszonen an der Herstellung von Bekleidung und anderen Exportwaren, an der Küste gibt es ein paar Urlaubsenklaven, wo ausländische Touristen sich von den Problemen Haitis abschotten können, und ein umfangreicher, aber nicht bezifferbarer Drogenhandel läuft durch das Land von Kolumbien in die Vereinigten Staaten.

Es besteht eine extreme Polarisierung zwischen der großen Masse der Armen, die in ländlichen Gebieten oder in den Slums der Hauptstadt Port-au-Prince leben, und einer winzigen reichen Oberschicht in dem Vorort Petionville, der in kühler Gebirgslage ungefähr eine halbe Autostunde vom Zentrum der Hauptstadt entfernt ist und sich teurer Restaurants mit Spitzenweinen erfreut. Mit seinem Bevölkerungswachstum sowie dem Anteil an AIDS-, Tuberkulose- und Malariainfizierten liegt das Land weltweit in der Spitzengruppe. In Haiti muss sich jeder Besucher zwangsläufig die Frage stellen, ob es für das Land überhaupt eine Hoffnung gibt, und die übliche Antwort lautet: nein.

Auch die Dominikanische Republik ist ein Entwicklungsland, und sie hat die gleichen Probleme wie Haiti. Aber die Entwicklung ist hier weiter vorangeschritten, und die Probleme sind weniger akut. Das Pro-Kopf-Einkommen ist fünfmal höher, Bevölkerungsdichte und Bevölkerungswachstum sind geringer. Während der letzten 38 Jahre war die Dominikanische Republik zumindest auf dem Papier eine Demokratie, es gab keinen Militärputsch, und seit 1978 führten mehrere Präsidentenwahlen jeweils zur Niederlage des Amtsinhabers und zur Machtübernahme durch den Herausforderer; andere wurden allerdings durch Betrug und Einschüchterung manipuliert. Die Wirtschaft boomt. Zu den Betrieben, die Devisen erwirtschafteten, gehören eine Eisen- und eine Nickelmine, bis vor kurzem eine Goldmine und früher ein Bauxitabbau; Industrie-Freihandelszonen beschäftigen 200 000 Arbeitskräfte und exportieren ins Ausland; die Landwirtschaft exportiert Kaffee, Kakao, Tabak, Zigarren, Schnittblumen und Avocados (die Dominikanische Republik ist für Avocados weltweit das drittgrößte Exportland): es gibt eine Telekommunikationsbranche und eine große Tourismusindustrie. Mehrere Dutzend Staudämme erzeugen Elektrizität mit Wasserkraft. Und jeder amerikanische Sportfan weiß, dass die Dominikanische Republik auch große Baseballspieler hervorbringt und exportiert.

Der Kontrast zwischen den beiden Ländern spiegelt sich auch in ihren Nationalparksystemen wider. In Haiti gibt es nur vier Parks, und auch die sind gefährdet, weil Bauern die Bäume fällen, um Holzkohle herzustellen. Die Dominikanische Republik dagegen verfügt über ein umfassendes System von Naturschutzgebieten, das im Verhältnis zur Fläche des Landes das größte in ganz Amerika ist. Insgesamt gehören 32 Prozent des Staatsgebietes zu 74 Nationalparks oder Naturschutzgebieten, in denen alle wichtigen natürlichen Lebensräume vertreten sind. Natürlich leidet das System auch hier an zahlreichen Problemen und mangelnder Finanzierung, aber für ein armes Land, das mit vielen anderen Schwierigkeiten zu kämpfen hat und andere Prioritäten setzt, ist es dennoch beeindruckend.

Hinter den Schutzgebieten steht hier eine lebhafte Naturschutzbewegung mit zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen, die dem Land nicht von ausländischen Beratern übergestülpt wurden, sondern mit Bürgern der Dominikanischen Republik selbst besetzt sind.

Alle diese Unterschiede von Waldflächen, Wirtschaft und Naturschutz haben sich herausgebildet, obwohl beide Staaten sich dieselbe Insel teilen. Ebenso haben sie die gleiche Vergangenheit mit europäischer Kolonialherrschaft und amerikanischer Eroberung, die gleiche überwiegend katholische Religion neben einer Vielzahl von Vodoo-Kulten (die in Haiti stärker auffallen) und die gleiche gemischte afrikanisch-europäische Abstammung (wobei der Anteil der Menschen mit afrikanischen Vorfahren in Haiti größer ist). Während drei Phasen ihrer Geschichte waren sie als Kolonie oder Staat vereinigt.

Dass trotz dieser Ähnlichkeiten solche Unterschiede bestehen, wird noch verblüffender angesichts der Tatsache, dass Haiti früher viel reicher und mächtiger war als sein Nachbar. Im 19. Jahrhundert gab es in der Dominikanischen Republik mehrere haitianische Invasionen, und einmal wurde das Land 22 Jahre lang besetzt. Warum verlief die weitere Geschichte in den beiden Ländern so unterschiedlich, und warum erlebte Haiti im Vergleich zur Dominikanischen Republik einen viel steileren Niedergang? Zwischen den Inselhälften bestehen einige ökologische Unterschiede, die zu diesem Ergebnis beitrugen, aber das allein reicht als Erklärung bei weitem nicht aus. Zum größten Teil liegen die Ursachen in der unterschiedlichen Geschichte der beiden Völker, in ihren Einstellungen, ihrer selbst definierten Identität, ihren Institutionen und in jüngerer Zeit in den jeweiligen politischen Führungsgestalten. Wer dazu neigt, ökologische Geschichte als »Umweltdeterminismus« zu karikieren, findet in der gegensätzlichen Geschichte der Dominikanischen Republik und Haitis ein nützliches Gegenmittel. Ja, ökologische Probleme stellen für die Gesellschaften der Menschen eine Einschränkung dar, aber entscheidend ist auch, wie die Gesellschaften darauf reagieren. Das Gleiche gilt zum Besseren wie zum Schlechteren für die Tätigkeit oder Untätigkeit ihrer Führungsgestalten.

In diesem Kapitel werden wir zunächst die unterschiedliche politische und wirtschaftliche Vergangenheit nachzeichnen, die zu den heutigen Unterschieden zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti beigetragen hat, und wir werden die Ursachen dieser unterschiedlichen Verläufe erörtern. Dann werde ich beschreiben, wie sich in der Dominikanischen Republik eine Umweltpolitik entwickelte, die eine Mischung aus Initiativen von unten nach oben und von oben nach unten darstellt. Am Ende des Kapitels untersuchen wir den derzeitigen Stand der Umweltprobleme, Zukunft und Hoffnungen der beiden Inselhälften und ihre Wirkung aufeinander sowie auf die übrige Welt.

Als Christoph Kolumbus 1492 bei seiner ersten Atlantiküberquerung nach Hispaniola kam, war die Insel bereits seit etwa 5000 Jahren von amerikanischen Ureinwohnern besiedelt. Zu Kolumbus’ Zeit handelte es sich dabei um die Tainos, eine Gruppe von Arawak-Indianern, die von der Landwirtschaft lebten, unter fünf Häuptlingen organisiert waren und eine Bevölkerung von etwa einer halben Million Menschen bildeten (die Schätzungen reichen von 100 000 bis 2 Millionen). Kolumbus erlebte sie anfangs als friedliche, freundliche Menschen, bis er und seine Spanier anfingen, sie schlecht zu behandeln.

Die Tainos hatten das Pech, Gold zu besitzen, das die Spanier sich aneignen wollten, ohne selbst in den Minen zu arbeiten. Deshalb teilten mehrere Spanier die Insel und ihre indianische Bevölkerung unter sich auf; die Ureinwohner wurden praktisch als Sklaven gehalten, unabsichtlich mit eurasischen Krankheiten angesteckt und ermordet. Schon 1519, 27 Jahre nachdem Kolumbus gelandet war, war die ursprüngliche Bevölkerung von einer halben Million Menschen auf 11 000 geschrumpft, und von diesen starben die meisten im folgenden Jahr an Pocken, sodass die Bevölkerung schließlich nur noch aus 3000 Menschen bestand. Diese Überlebenden starben allmählich aus oder wurden in den folgenden Jahrzehnten assimiliert. Nun waren die Spanier gezwungen, sich anderswo nach Sklaven umzusehen.

Um 1520 entdeckten sie, dass Hispaniola sich für den Zuckeranbau eignete, und daraufhin importierten sie Sklaven aus Afrika. Mit ihren Zuckerplantagen war die Insel fast während des gesamten 16. Jahrhunderts eine reiche Kolonie. Aber das Interesse der Spanier richtete sich zunehmend auf andere Gebiete, und zwar aus mehreren Gründen: Man hatte insbesondere in Mexiko, Peru und Bolivien die weitaus stärker bevölkerten, reicheren Gesellschaften des amerikanischen Festlandes entdeckt, sodass man nun eine viel größere Indianerbevölkerung ausbeuten, politisch weiter entwickelte Gesellschaften übernehmen und in Bolivien reichhaltige Silberminen nutzen konnte. Deshalb investierte Spanien nun kaum noch Mittel in Hispaniola, zumal der Kauf- und Transport der Sklaven aus Afrika teuer war, während man sich amerikanische Ureinwohner beschaffen konnte, indem man einfach ihre Länder eroberte. Außerdem wurde die Karibik von englischen, französischen und niederländischen Piraten überschwemmt, die auf Hispaniola und anderen Inseln die spanischen Siedlungen angriffen. Spanien selbst erlebte einen langsamen politischen und wirtschaftlichen Niedergang, was den Briten, Franzosen und Niederländern zugute kam.

Mit den französischen Piraten kamen auch französische Kaufleute und Abenteurer, die am Westende Hispaniolas, weit weg von dem östlichen Teil, wo die meisten Spanier lebten, eine Siedlung errichteten. Frankreich, das jetzt viel wohlhabender und politisch mächtiger war als Spanien, investierte in großem Umfang in den Import von Sklaven und in den Aufbau von Plantagen im Westteil der Insel. Die Spanier konnten sich ähnliche Investitionen nicht leisten, sodass die Geschichte der beiden Inselteile sich allmählich auseinander entwickelte. Im 18. Jahrhundert hatte die spanische Kolonie nur eine kleine Bevölkerung, wenige Sklaven und eine schwache Wirtschaft, die sich vor allem auf die Zucht von Rindern und den Verkauf ihrer Häute stützte; die französische Kolonie war wesentlich bevölkerungsreicher, besaß mehr Sklaven (1785 waren es 700 000, im Vergleich zu nur 30 000 im spanischen Teil), im Verhältnis viel weniger Einwohner, die keine Sklaven waren (nur 10 Prozent im Vergleich zu 85 Prozent), und eine Wirtschaft, deren Grundlage die Zuckerplantagen waren. Französisch-Saint-Domingue, wie es jetzt genannt wurde, war die reichste europäische Kolonie in der Neuen Welt und trug ein Viertel zum Wohlstand des französischen Mutterlandes bei.

Im Jahr 1795 trat Spanien den mittlerweile wertlosen östlichen Teil der Insel an Frankreich ab, sodass Hispaniola für kurze Zeit unter dieser Kolonialmacht vereinigt war. Als 1791 und 1801 in Französisch-Saint-Domingue ein Sklavenaufstand ausgebrochen war, schickte Frankreich eine Armee, die aber von den Sklaven besiegt wurde und außerdem durch Krankheiten schwere Verluste hinnehmen musste. Nachdem Frankreich 1804 seine nordamerikanischen Besitzungen mit dem Verkauf von Louisiana an die Vereinigten Staaten veräußert hatte, gaben die Franzosen auch Hispaniola auf und verließen die Insel. Wie vielleicht nicht anders zu erwarten, töteten dort die früheren Sklaven, die ihr Land jetzt als Haiti bezeichneten (der ursprüngliche Name der Insel in der Sprache der Taino-Indianer) viele Weiße, zerstörten die Plantagen und Infrastruktur, damit das System der Sklaverei nicht wieder aufgebaut werden konnte, und teilten den Grundbesitz in kleine Familienbauernhöfe auf. Damit waren die individuellen Bestrebungen der früheren Sklaven in Erfüllung gegangen, die Veränderungen erwiesen sich auf lange Sicht aber als katastrophal für die landwirtschaftliche Produktivität, die Exporte und die Wirtschaft des Landes. Spätere Regierungen unterstützten die Bauern kaum in ihren Bemühungen, ihre Produktion zu Geld zu machen. Die weiße Bevölkerung Haitis war zu einem großen Teil ermordet worden, und der Rest war geflohen, sodass die Insel auch wichtige Arbeitskräfte verloren hatte.

Als Haiti 1804 unabhängig wurde, war es dennoch der wohlhabendere, stärkere und bevölkerungsreichere Teil der Insel. Im Jahr 1805 drangen die Haitianer zwei Mal in den östlichen (früher spanischen) Teil der Insel vor, der damals Santo Domingo hieß. Vier Jahre später erhielten die spanischen Siedler auf eigenen Wunsch erneut den Status einer spanischen Kolonie, die aber unzureichend und mit so geringem Interesse verwaltet wurde, dass die Siedler 1821 ihre Unabhängigkeit erklärten. Sofort wurden sie wieder von den Haitianern annektiert, und dieser Zustand blieb bestehen, bis die Besatzer 1844 vertrieben wurden. Danach versuchte Haiti bis in die fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts immer wieder, den Osten durch Invasionen zu erobern.

Schon 1850 hatte Haiti im Westen eine geringere Fläche als der östliche Nachbar, aber die Einwohnerzahl war größer, die Kleinbauernwirtschaft konnte kaum etwas exportieren, und die Bevölkerung bestand in ihrer Mehrheit aus Farbigen afrikanischer Abstammung sowie einer Minderheit von Mulatten (Menschen mit gemischter Abstammung). Die Oberschicht der Mulatten sprach zwar Französisch und identifizierte sich auch stark mit Frankreich, aber die Erfahrungen, die man in Haiti gemacht hatte, und die Angst vor der Sklaverei flossen in eine Verfassung ein, die es Ausländern verbot, Grund und Boden zu besitzen oder die Produktionsmittel durch Investitionen zu kontrollieren. Die große Mehrheit der Haitianer sprach Kreolisch, eine eigene Sprache, die sich in ihrem Land aus dem Französischen entwickelt hatte. Der östliche Inselteil war größer, hatte aber eine kleinere Bevölkerung; hier, wo Rinder nach wie vor die Grundlage der Wirtschaft bildeten, waren Einwanderer willkommen, man bot ihnen die Staatsbürgerschaft an, und die Umgangssprache war Spanisch. Im Lauf des 19. Jahrhunderts wanderten zahlenmäßig kleine, aber wirtschaftlich bedeutsame Gruppen in die Dominikanische Republik ein: Juden aus Cura^ao, Bewohner der Kanarischen Inseln, Libanesen, Palästinenser, Kubaner, Puerto-Ricaner, Deutsche und Italiener; nach 1930 kamen noch österreichische Juden, Japaner und weitere Spanier hinzu. In einem politischen Aspekt jedoch waren sich Haiti und die Dominikanische Republik sehr ähnlich: Beide waren politisch instabil. Putsche folgten in kurzen Abständen aufeinander, und die Macht wechselte zwischen Lokalgrößen mit eigenen Privatarmeen. Von den 22 Präsidenten, die Haiti zwischen 1843 und 1915 hatte, wurden 21 ermordet oder gewaltsam gestürzt; in der Dominikanischen Republik wechselte der Präsident zwischen 1844 und 1930 insgesamt fünfzigmal, darunter dreißigmal durch eine Revolution. In beiden Teilen der Insel waren die Präsidenten vor allem bestrebt, sich selbst und ihre Anhänger zu bereichern.

Andere Mächte betrachteten und behandelten Haiti und die Dominikanische Republik unterschiedlich. Nach dem übermäßig vereinfachten Bild der Europäer war die Dominikanische Republik eine Spanisch sprechende, teilweise europäische Gesellschaft, die den Einwanderern und dem Handel aus der Alten Welt offen gegenüberstand, Haiti dagegen galt als Kreolisch sprechende afrikanische Gesellschaft aus ehemaligen Sklaven, die Ausländern gegenüber feindlich eingestellt waren. Mit Kapitalinvestitionen aus Europa und später aus den Vereinigten Staaten entwickelte sich in der Dominikanischen Republik eine marktwirtschaftlich orientierte Exportwirtschaft, während dies in Haiti viel weniger geschah. Die Wirtschaft der Dominikanischen Republik gründete sich auf Kakao, Tabak, Kaffee und (seit den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts) Zuckerplantagen, die (Ironie der Geschichte) früher nicht für die Dominikanische Republik, sondern für Haiti charakteristisch gewesen waren. In beiden Teilen der Insel herrschten weiterhin instabile politische Verhältnisse. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm ein Präsident der Dominikanischen Republik von europäischen Kreditgebern hohe Darlehen auf, die er nicht zurückzahlte; daraufhin entsandten Frankreich, Italien, Belgien und Deutschland mehrere Kriegsschiffe und bedrohten das Land mit der Besetzung, um ihre Außenstände einzutreiben. Um die Gefahr einer europäischen Besetzung abzuwenden, übernahmen die Vereinigten Staaten die Zollbehörden der Dominikanischen Republik, die dort die einzige Quelle staatlicher Einnahmen waren, und lenkten die Hälfte der Erlöse in die Bezahlung der Auslandsschulden. Während des Ersten Weltkriegs war man in den Vereinigten Staaten besorgt, politische Unruhen in der Karibik könnten eine Gefahr für den Panamakanal darstellen, weshalb die USA beiden Teilen der Insel eine militärische Besetzung aufzwangen, die in Haiti von 1915 bis 1934 und in der Dominikanischen Republik von 1916 bis 1924 dauerte. Danach stellten sich in beiden Teilen der Insel sehr schnell die frühere politische Instabilität und die Konflikte zwischen konkurrierenden Präsidentschaftskandidaten wieder ein.

Beendet wurde die Instabilität - und zwar in der Dominikanischen Republik wesentlich früher als in Haiti - durch die beiden bösartigsten Diktatoren in der langen Geschichte bösartiger Diktatoren in Lateinamerika. Rafael Trujillo war in der Dominikanischen Republik der Chef der Nationalpolizei und führte dann die Armee, die von der US-Militärregierung eingerichtet und ausgebildet worden war. Diese Position nutzte er, um sich 1930 zum Präsidenten wählen zu lassen und zum Diktator zu werden; später blieb er an der Macht, weil er hart arbeitete, ein überlegener Verwaltungsfachmann war, gute Menschenkenntnis und politisches Geschick besaß und völlig rücksichtslos war -aber auch weil er den Anschein erweckte, als handelte er im Interesse großer Teile der Gesellschaft seines Landes. Potenzielle Gegner ließ er foltern oder ermorden, und er errichtete einen umfassenden Polizeistaat.

In dem Bestreben, die Dominikanische Republik zu modernisieren, entwickelte Trujillo gleichzeitig die Wirtschaft, Infrastruktur und Industrie weiter, wobei er das Land mehr oder weniger wie sein Privatunternehmen führte. Am Ende besaßen oder kontrollierten er und seine Familie fast die gesamte Wirtschaft des Landes. Insbesondere hatte Trujillo selbst oder über Verwandte und Verbündete das nationale Monopol für Rindfleischexport, Zement, Schokolade, Zigaretten, Kaffee, Versicherungen, Milch, Reis, Salz, Schlachthöfe, Tabak und Holz. Er besaß oder kontrollierte die Forstverwaltung und die Zuckerproduktion, war aber auch Eigentümer von Fluggesellschaften, Banken, Hotels, großem Grundbesitz und Reedereien. Ebenso zog er persönlich einen Teil der Einkünfte von Prostituierten und zehn Prozent der Gehälter aller staatlichen Angestellten persönlich ein. Unermüdlich machte er für sich selbst Reklame: Die Hauptstadt wurde von Santo Domingo in Ciudad Trujillo umbenannt, der höchste Berg des Landes hieß nicht mehr Pico Duarte, sondern Pico Trujillo, Schulen impften den Kindern die Dankbarkeit gegenüber dem Präsidenten ein, und an jeder öffentlichen Wasserzapfstelle verkündete ein Dankeszeichen »Trujillo gibt uns Wasser«. Um die Gefahr eines Aufstandes oder einer Invasion abzuwenden, wandte Trujillos Regierung die Hälfte des Staatshaushaltes für eine gewaltige Armee, Marine und Luftwaffe auf; es waren die größten Streitkräfte in der gesamten Karibikregion, größer sogar als die von Mexiko.

In den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts jedoch führte eine Kombination mehrerer Entwicklungen dazu, dass Trujillo allmählich die Unterstützung verlor, die er sich bis dahin durch eine Mischung aus Schreckensherrschaft, Wirtschaftswachstum und Landverteilung an Bauern gesichert hatte. Mit der Wirtschaft ging es bergab, weil die Regierung übermäßig viel Geld für die Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des Trujillo-Regimes ausgab und sich mit dem Aufkauf privater Zuckerfabriken und Elektrizitätswerke übernahm, während gleichzeitig die Weltmarktpreise für Kaffee und andere Exportwaren des Landes sanken, und weil sich außerdem die Entscheidung, stark in eine staatliche Zuckerproduktion zu investieren, als wirtschaftlicher Fehlschlag erwies. Auf eine erfolglose, von Kuba unterstützte Invasion von Exildominikanern im Jahr 1959 und kubanische Radiosendungen, die zum Aufstand aufriefen, reagierte das Regime mit Verhaftungen, Hinrichtungen und Folter. Als Trujillo sich am späten Abend des 30. Mai 1961 von einem Chauffeur in einem unbewachten Fahrzeug zu seiner Geliebten bringen ließ, geriet er in einen Hinterhalt; nach einer dramatischen Verfolgungsjagd und Schießerei wurde er von Dominikanern, hinter denen offensichtlich die CIA stand, erschossen.

Fast während der gesamten Zeit, als Trujillo in der Dominikanischen Republik an der Macht war, herrschten in Haiti instabile Verhältnisse mit zahlreichen aufeinander folgenden Präsidenten, bis 1957 auch dort ein bösartiger Diktator an die Macht gelangte. Francois »Papa Doc« Duvalier war Arzt und besser ausgebildet als Trujillo, aber er erwies sich als ebenso schlauer, rücksichtsloser Politiker. Es gelang ihm ebenso gut, sein Land von der Geheimpolizei terrorisieren zu lassen, und am Ende ließ er noch eine viel größere Zahl seiner Landsleute ermorden als Trujillo. Anders als der Präsident der Dominikanischen Republik interessierte sich Papa Doc Duvalier nicht für die Modernisierung seines Landes oder für die Entwicklung einer industriell geprägten Wirtschaft, die seinem Land und ihm selbst genutzt hätte. Er starb 1971 eines natürlichen Todes, und sein Nachfolger wurde sein Sohn Jean Claude »Baby Doc« Duvalier, der an der Macht blieb, bis er 1986 ins Exil gehen musste.

Seit dem Ende der Duvalier-Diktatur sind in Haiti die früheren instabilen politischen Verhältnisse wieder eingezogen, und die ohnehin schwache Wirtschaft ist weiter geschrumpft. Nach wie vor exportiert das Land Kaffee, aber die Menge ist konstant geblieben, während die Bevölkerung weiterhin wächst. Haitis human development index, eine Kennziffer, die sich aus Lebenserwartung, Bildung und Lebensstandard zusammensetzt, ist weltweit einer der niedrigsten außerhalb Afrikas. In der Dominikanischen Republik blieben die politischen Verhältnisse nach Trujillos Ermordung bis 1966 ebenfalls instabil; unter anderem führte ein Bürgerkrieg 1965 dazu, dass wiederum US-Marines ins Land kamen, während gleichzeitig zahlreiche Bürger der Dominikanischen Republik in die Vereinigten Staaten auswanderten. Diese Phase der Instabilität ging zu Ende, als Joaquin Balaguer, der unter Trujillo bereits einmal Präsident gewesen war, 1966 mit Hilfe Trujillotreuer Armeeoffiziere, die einen Schreckensfeldzug gegen die Oppositionspartei unternahmen, ins Präsidentenamt gewählt wurde. Der angesehene Balaguer, mit dem wir uns im Folgenden noch ausführlich befassen werden, beherrschte während der folgenden 34 Jahre die Politik der Dominikanischen Republik. Von 1966 bis 1978 und dann noch einmal von 1986 bis 1996 war er Präsident, und auch in der Zeit von 1978 bis 1986, als er nicht dieses Amt bekleidete, hatte er großen Einfluss. Sein letzter entscheidender Eingriff in die Politik des Landes, die Rettung des Systems der Naturschutzgebiete, erfolgte im Jahr 2000, als er mit 94 Jahren bereits blind und krank war. Zwei Jahre später starb er.

In der Zeit nach Trujillo, von 1961 bis heute, setzten sich in der Dominikanischen Republik die Industrialisierung und Modernisierung fort. Eine Zeit lang war die Exportwirtschaft stark vom Zucker abhängig, aber dann gewannen Bergbau, Industrieexporte aus Freihandelszonen und die Produktion anderer landwirtschaftlicher Produkte, die in diesem Kapitel bereits erwähnt wurden, immer mehr an Bedeutung. Sehr wichtig für die Wirtschaft der Dominikanischen Republik und Haitis war auch der Export von Menschen. Über eine Million Haitianer und eine Million Dominikaner leben heute in anderen Staaten, insbesondere in den USA, und schicken Geldbeträge nach Hause, die in beiden Ländern einen bedeutenden Teil der Wirtschaft ausmachen. Auch heute noch gilt die Dominikanische Republik mit einem Pro-Kopf-Einkommen von nur 2200 Dollar im Jahr als armes Land, aber bei meinem Besuch konnte ich viele Anzeichen einer wachsenden Wirtschaft erkennen, unter anderem einen gewaltigen Bauboom und Verkehrsstaus in städtischen Gebieten.

Kehren wir nun vor diesem historischen Hintergrund zu den erstaunlichen Unterschieden zurück, von denen am Anfang dieses Kapitels die Rede war: Warum verlief die politische, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung in den beiden Staaten, die sich dieselbe Insel teilen, so unterschiedlich?

Die Antwort liegt zum Teil in ökologischen Unterschieden. Niederschläge kommen auf Hispaniola vorwiegend aus Osten. Deshalb regnet es in der Dominikanischen Republik mehr, und für Pflanzen bieten sich bessere Wachstumsbedingungen. Auch die höchsten Berge der Insel (Höhe über 3000 Meter) liegen auf der östlichen Seite, und in die gleiche Richtung fließen auch die meisten Flüsse, die aus dem Hochgebirge kommen. In der Dominikanischen Republik gibt es weite Täler, Ebenen und Hochebenen mit dicken Bodenschichten; insbesondere das Cibao-Tal im Norden gehört zu den fruchtbarsten landwirtschaftlichen Gebieten der Welt. In Haiti dagegen ist es trockener, weil das Hochgebirge für die Niederschläge aus Osten als Schranke wirkt. Im Verhältnis zur Gesamtfläche ist das Gebirge in Haiti wesentlich größer, das Flachland, das sich für intensive Landwirtschaft eignet, ist kleiner, größere Flächen bestehen aus Kalkstein, und der dünnere, weniger fruchtbare Boden ist in geringerem Umfang zur Erholung fähig. Das Paradox ist auffällig: Die haitianische Seite der Insel war ökologisch weniger gut ausgestattet, und doch entwickelte sich dort früher als auf der Seite der Dominikanischen Republik eine wohlhabende Agrarwirtschaft. Dieser Widerspruch ist damit zu erklären, dass Haiti seinen landwirtschaftlichen Reichtum auf Kosten des ökologischen Kapitals seiner Wälder und Böden erwirtschaftete. Diese Erkenntnis bedeutet letztlich, dass ein scheinbar eindrucksvolles Bankguthaben eine negative Einnahmesituation tarnen kann - ein Thema, auf dass wir im letzten Kapitel dieses Buches zurückkommen werden.

Solche ökologischen Unterschiede trugen zu der unterschiedlichen ökonomischen Entwicklung der beiden Staaten bei, zu einem größeren Teil liegt die Begründung aber in gesellschaftlichen und politischen Unterschieden, die in ihrer Mehrzahl dazu führten, dass die Wirtschaft in Haiti im Vergleich zur Dominikanischen Republik letztlich benachteiligt war. So betrachtet, war die unterschiedliche Entwicklung der beiden Staaten auf vielfältige Weise vorherbestimmt: Zahlreiche Einzelfaktoren lenkten das Ergebnis durch ihr Zusammenwirken in die gleiche Richtung.

Einer dieser gesellschaftlichen und politischen Unterschiede lag in der zufälligen Tatsache, dass Haiti eine Kolonie des reichen Frankreich war und zum wertvollsten Bestandteil im Kolonialreich seines europäischen Mutterlandes wurde, während die Dominikanische Republik zu Spanien gehörte, das Hispaniola seit dem Ende des 16. Jahrhunderts vernachlässigte und sich selbst in einem wirtschaftlichen wie auch politischen Niedergang befand. Deshalb konnte Frankreich in Haiti in die Entwicklung einer intensiven, von Sklaven betriebenen Plantagen-Landwirtschaft investieren, was die Spanier auf ihrer Seite der Insel nicht wollten oder nicht vermochten. Frankreich importierte in seiner Kolonie weitaus mehr Sklaven als Spanien. Deshalb hatte Haiti in der Kolonialzeit eine siebenmal höhere Einwohnerzahl als sein Nachbar, und selbst heute ist die Bevölkerung mit etwa zehn Millionen gegenüber 8,8 Millionen noch geringfügig größer. Haiti hat aber nur etwas mehr als die Hälfte der Fläche der Dominikanischen Republik, sodass seine Bevölkerungsdichte wegen der höheren Einwohnerzahl und der geringeren Fläche doppelt so groß ist. Hohe Bevölkerungsdichte und geringere Niederschlagsmengen waren die wichtigsten Gründe, warum Wälder und Bodenfruchtbarkeit auf der haitianischen Seite schneller verloren gingen. Außerdem kehrten alle französischen Schiffe, die Sklaven nach Haiti brachten, mit haitianischem Holz beladen nach Europa zurück, sodass die Niederungen und die mittleren Höhen der Gebirgshänge in Haiti schon Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend abgeholzt waren.

Als zweiter gesellschaftlichpolitischer Faktor kam hinzu, dass die Dominikanische Republik mit ihrer Spanisch sprechenden Bevölkerung vorwiegend europäischer Abstammung für europäische Einwanderer und Investoren wesentlich aufgeschlossener und attraktiver war als Haiti, dessen Einwohner Kreolisch sprachen und überwiegend von früheren farbigen Sklaven abstammten. Deshalb fanden Einwanderer und Investitionen aus Europa kaum nach Haiti, und nach 1804 wurden sie in Haiti sogar durch die Verfassung verboten, während sie in der Dominikanischen Republik eine große Bedeutung erlangten. Dort wanderten zahlreiche Geschäftsleute und andere Angehörige qualifizierter Berufe ein, die zur Entwicklung des Landes beitrugen. Die Bevölkerung der Dominikanischen Republik entschied sich sogar freiwillig dafür, von 1812 bis 1821 wieder den Status einer spanischen Kolonie anzunehmen, und der Präsident entschied sich freiwillig, sein Land von 1861 bis 1865 zu einem spanischen Protektorat zu machen.

Ein weiterer wirtschaftlich bedeutsamer sozialer Unterschied war die Tatsache, dass die meisten Bewohner Haitis als Folge der Geschichte ihres Landes mit ihren Sklavenaufständen eigenes Land besaßen, sich in der Regel selbst ernährten und von der Regierung nicht dabei unterstützt wurden, Lebensmittel für den Export in europäische Länder anzubauen. In der Dominikanischen Republik dagegen entwickelten sich Exportwirtschaft und Überseehandel. Die Oberschicht Haitis identifizierte sich stärker mit Frankreich als mit ihrem eigenen Land, verschaffte sich keinen Grundbesitz, entwickelte keine kommerzielle Landwirtschaft und war vor allem bestrebt, ihren Reichtum durch die Abgaben der Bauern zu sichern.

In jüngerer Zeit lag eine Ursache der Auseinanderentwicklung auch in den unterschiedlichen Bestrebungen der beiden Diktatoren: Trujillo wollte (zu seinem eigenen Nutzen) eine industriell geprägte Wirtschaft und einen modernen Staat aufbauen, Duvalier tat dies nicht. Darin kann man nur einen individuellen Charakterunterschied zwischen den beiden Diktatoren sehen, möglicherweise ist es aber auch ein Spiegelbild der beiden unterschiedlichen Gesellschaften.

Und schließlich nahmen Haitis Probleme mit Waldzerstörung und Armut im Vergleich zur Dominikanischen Republik während der letzten 40 Jahre noch erheblich zu. Da die Dominikanische Republik noch einen großen Teil ihrer Wälder besaß und mit der Industrialisierung begann, hatte bereits das Trujillo-Regime den Bau von Staudämmen zur Elektrizitätserzeugung mit Wasserkraft geplant, die dann unter Balaguer und späteren Regierungen verwirklicht wurden. Balaguer sorgte mit einem Schnellprogramm dafür, dass die Wälder nicht mehr zur Brennstoffgewinnung genutzt wurden, und importierte stattdessen Propan- sowie Flüssiggas. Die verarmten Bewohner Haitis dagegen waren weiterhin auf Holzkohle angewiesen und beschleunigten damit die Zerstörung der letzten verbliebenen Wälder.

Es gab also viele Gründe dafür, dass die Waldzerstörung und andere ökologische Probleme in Haiti früher begannen, sich über längere Zeit hinweg entwickelten und schlimmer wurden als in der Dominikanischen Republik. Beteiligt waren vier der fünf Faktoren, die den theoretischen Rahmen dieses Buches bilden: Unterschiede in der Umweltschädigung durch die Menschen, in den freundlichen oder weniger freundlichen Kontakten zu anderen Staaten und in den Reaktionen der Gesellschaft und ihrer Führungsgestalten. Unter allen in diesem Buch beschriebenen Fallstudien machen der in diesem Kapitel beschriebene Gegensatz zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik sowie das unterschiedliche Schicksal von Wikingern und Inuit in Grönland (Kapitel 8) am besten deutlich, dass eine Gesellschaft ihr Schicksal selbst in der Hand hat und in beträchtlichem Umfang die Folgen ihrer eigenen Entscheidungen tragen muss.

Welche ökologischen Probleme bestehen in der Dominikanischen Republik, und welche Gegenmaßnahmen wurden dort ergriffen? Ich möchte noch einmal die gleiche Terminologie verwenden wie in Kapitel 9: Umweltschutzmaßnahmen begannen in der Dominikanischen Republik von unten nach oben, nach 1930 wurden sie von oben nach unten verordnet, und heute beobachtet man eine Mischung beider Formen. Die Nutzung der wertvollen Bäume nahm in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu, was bereits damals dazu führte, dass kostbare Baumarten in einigen Regionen stark dezimiert wurden oder ausstarben. Ende des 19. Jahrhunderts beschleunigte sich die Waldzerstörung, weil man Plantagen für Zuckerrohr und andere Nutzpflanzen anlegen wollte und dazu die Wälder rodete. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Holzbedarf für Eisenbahnschwellen und für die beginnende Urbanisierung zunahm, verstärkte sie sich noch einmal. Schon kurz nach 1900 wird erstmals erwähnt, der Wald sei in Gebieten mit geringem Niederschlag durch die Brennholzgewinnung geschädigt worden und die Ufer der Wasserläufe seien durch die landwirtschaftliche Tätigkeit verunreinigt. Die ersten kommunalen Vorschriften, die das Abholzen und die Verunreinigung von Wasserläufen verboten, wurden 1901 erlassen.

In größerem Umfang begann der Umweltschutz von unten nach oben zwischen 1919 und 1930 in dem Gebiet um Santiago, die zweitgrößte Stadt des Landes und das Zentrum seiner fruchtbarsten, am stärksten ausgebeuteten Landwirtschaftsregion. Der Anwalt Juan Bautista Perez Rancier sowie der Arzt und Landvermesser Miguel Canela y Lazaro waren darauf aufmerksam geworden, wie die Holzgewinnung und das zugehörige Straßennetz zur Ausbreitung der Landwirtschaft und zur Schädigung von Wassereinzugsgebieten führten. Sie setzten sich bei der Handelskammer von Santiago dafür ein, Grundflächen als Waldschutzgebiet aufzukaufen, und bemühten sich auch durch öffentliche Ausschreibung darum, die notwendigen Mittel zusammenzubringen. Im Jahr 1927 hatten sie Erfolg: Der Landwirtschaftsminister der Republik stellte zusätzlich staatliche Mittel zur Verfügung, sodass das erste Naturschutzgebiet, der Vedado del Yaque, angekauft werden konnte. Der Yaque ist der größte Fluss des Landes, und als vedado wird eine Grundfläche bezeichnet, die nicht oder nur eingeschränkt betreten werden darf.

Nach 1930 sorgte der Diktator Trujillo dafür, dass der Umweltschutz von oben nach unten verordnet wurde. Seine Regierung erweiterte die Fläche des Vedado del Yaque, richtete weitere vedados ein, wies 1934 den ersten Nationalpark aus, gründete eine Truppe von Nationalparkwächtern, die den Schutz der Wälder durchsetzen sollten, verbot die verschwenderische Brandrodung zu landwirtschaftlichen Zwecken und ordnete an, dass die Kiefern in dem Gebiet um Constanza in der Zentralkordillere nur noch mit seiner Genehmigung gefällt werden durften. Diese Maßnahmen ergriff Trujillo im Namen des Umweltschutzes, in Wirklichkeit hatte er aber wahrscheinlich eher wirtschaftliche Motive, darunter nicht zuletzt sein eigener finanzieller Vorteil. Im Jahr 1937 beauftragte sein Regime den berühmten puertoricanischen Ökologen Dr. Carlos Chardon mit einer Bestandsaufnahme aller natürlichen Ressourcen (Landwirtschaft, Bodenschätze und Wälder) der Dominikanischen Republik. Chardon berechnete insbesondere, welches wirtschaftliche Potenzial die Holzgewinnung in dem Kiefernwald der Republik bot, der bei weitem größte derartige Wald in der ganzen Karibik, und gelangte zu einem Betrag von 40 Millionen Dollar, zu jener Zeit eine gewaltige Summe. Aufgrund dieses Berichtes engagierte sich Trujillo selbst in der Gewinnung von Kiefernholz: Er wurde zum Eigentümer zweier großer Kiefernwaldbesitzungen und zum Miteigentümer der wichtigsten Sägewerke im Land. Seine Förster bedienten sich bei der Holzgewinnung der ökologisch vernünftigen Methode, einige ausgewachsene Bäume als Ausgangspunkt für eine natürliche Regeneration stehen zu lassen, und diese großen alten Bäume sind noch heute in dem nachgewachsenen Wald deutlich zu erkennen. In den fünfziger Jahren ergriff Trujillo weitere ökologische Maßnahmen: Er gab in Schweden eine Untersuchung zum Potenzial seines Landes für hydroelektrische Energieproduktion in Auftrag, plante Staudämme, organisierte 1958 den ersten Umweltschutzkongress seines Landes und richtete weitere Nationalparks ein, zumindest teilweise zum Schutz von Wassereinzugsgebieten, die für die Stromerzeugung durch Wasserkraft wichtig werden würden.

Trujillo betrieb als Diktator auch selbst in großem Umfang Holzgewinnung (wobei er wie gewöhnlich Verwandte und Verbündete als Strohleute benutzte), aber gleichzeitig verhinderte seine Regierung, dass andere Bäume abholzten und unerlaubte Siedlungen errichteten. Nachdem Trujillo 1961 gestorben war, brach der Damm, der bis dahin die Plünderung der Umwelt verhütet hatte. Landbesetzer brannten den Wald ab, um Flächen für die Landwirtschaft zu gewinnen, eine chaotische, umfangreiche Wanderung aus ländlichen Gebieten in die Elendsviertel der Städte setzte ein, und vier reiche Familien aus dem Gebiet von Santiago holzten die Wälder noch schneller ab als unter Trujillo. Zwei Jahre nach dem Tod des Diktators versuchte der demokratisch gewählte Präsident Juan Bosch, die Holzkonzerne davon zu überzeugen, dass sie die Kiefernwälder verschonten, damit diese noch als Wassereinzugsgebiete für die geplanten Dämme am Yaque und Nizao zur Verfügung standen, aber stattdessen taten sich die Holzunternehmer mit anderen Interessengruppen zusammen und stürzten Bosch. Die Holzgewinnung verstärkte sich, bis Joaquin Balaguer 1966 zum Präsidenten gewählt wurde.

Balaguer erkannte, dass das Land dringend bewaldete Wassereinzugsgebiete brauchte, um seinen Elektrizitätsbedarf mit Wasserkraft befriedigen zu können und um für Industrie und Haushalte eine ausreichende Wasserversorgung zu gewährleisten. Schon kurz nachdem er Präsident geworden war, ergriff er drastische Maßnahmen: Er verbot im ganzen Land die gesamte kommerzielle Holzgewinnung und ließ alle Sägewerke schließen. Diese Entscheidung stieß bei den reichen, einflussreichen Familien auf starken Widerstand: Sie verlegten ihre Holzgewinnung aus dem öffentlichen Blickfeld in abgelegene Gebiete und betrieben ihre Sägewerke nur noch nachts. Darauf reagierte Balaguer mit einem noch drastischeren Schritt: Er nahm dem Landwirtschaftsministerium die Zuständigkeit für die Durchsetzung des Waldschutzes weg, übertrug sie den Streitkräften und erklärte die illegale Holzgewinnung zu einem Angriff auf die nationale Sicherheit. Um dem Abholzen Einhalt zu gebieten, begannen die Streitkräfte mit Überwachungsflügen und militärischen Operationen, und 1967 war mit einem der entscheidenden Ereignisse in der Umweltschutzgeschichte des Landes der Höhepunkt erreicht: Das Militär besetzte nachts einen geheimen, großen Stützpunkt der Holzindustrie. Bei dem nachfolgenden Feuergefecht kam ein Dutzend Waldarbeiter ums Leben. Dieses eindringliche Signal wirkte auf die Holzunternehmer wie ein Schock. Die illegale Holzgewinnung setzte sich zwar in geringerem Umfang noch fort, die Staatsgewalt begegnete ihr aber mit weiteren Razzien und der Erschießung von Holzarbeitern, sodass .sie während Balaguers erster Amtszeit als Präsident (die von 1966 bis 1978 drei Wahlperioden umfasste), stark zurückging.

Dies war nur eine von vielen weitreichenden Umweltschutzmaßnahmen, die Balaguer ergriff. Einige weitere sollen im Folgenden beschrieben werden. In den acht Jahren von 1978 bis 1986, als Balaguer das Präsidentenamt nicht bekleidete, gestatteten andere Präsidenten die Wiedereröffnung einiger Holzfällerlager und Sägewerke, und auch die Holzkohleproduktion wurde zugelassen. Nachdem Balaguer 1986 erneut Präsident geworden war, gab er schon am ersten Tag seiner Amtszeit die Anweisung, Lager und Sägewerke wieder zu schließen, und am nächsten Tag entsandte er Militärhubschrauber, die illegale Holzfäller finden und Beschädigungen der Nationalparks aufdecken sollten. Wieder wurden Holzarbeiter mit militärischen Maßnahmen gefangen genommen und inhaftiert, und die armen Landbesetzer wurden ebenso wie die reichen landwirtschaftlichen Betriebe und Landhäuser (von denen einige sogar Balaguers Freunden gehörten) aus den Parks entfernt. Eine besonders berüchtigte Operation fand 1992 im Nationalpark Los Haitises statt, dessen Wälder bereits zu 90 Prozent zerstört waren; dort vertrieb die Armee Tausende von Landbesetzern. In einer weiteren, ähnlichen Operation die Balaguer zwei Jahre später persönlich befehligte, fuhr die Armee mit Bulldozern durch Luxushäuser, die wohlhabende Bürger im Juan B. Perez-Nationalpark errichtet hatten. Balaguer verbot die Benutzung des Feuers als landwirtschaftliche Methode und verkündete sogar ein Gesetz (dessen Durchsetzung sich allerdings als schwierig erwies), wonach Zaunpfähle nicht aus gefälltem Holz bestehen sollten, sondern aus lebenden, eingewurzelten Bäumen. Um die Nachfrage nach Holzprodukten aus dem eigenen Land zu vermindern und sie durch etwas anderes zu ersetzen, öffnete er den Markt für Holzimporte aus Chile, Honduras und den Vereinigten Staaten (womit die Nachfrage nach einheimischem Holz zum größten Teil erlosch): außerdem verminderte er die traditionelle Produktion von Holzkohle aus Bäumen (den Fluch Haitis), indem er Verträge mit Venezuela über den Flüssiggasimport schloss, mehrere Terminals für das Gas baute, den Abgabepreis subventionierte, sodass das Gas der Holzkohle Konkurrenz machen konnte, und die kostenlose Verteilung von Propanherden und Gasflaschen forderte, um die Bürger zur Abkehr von der Holzkohle zu bewegen. Er erweiterte die Naturschutzgebiete, wies die beiden ersten Nationalparks an der Küste aus, beanspruchte zwei Unterwasserbänke im Meer als Buckelwal-Schutzgebiete für das Staatsgebiet der Dominikanischen Republik, erklärte Streifen von 20 Metern an Flüssen und 60 Metern an der Küste zum Schutzgebiet, schützte Feuchtgebiete, unterzeichnete das Umweltschutzabkommen von Rio, und verbot für die nächsten zehn Jahre die Jagd. Er übte Druck auf die Industrie aus, damit sie Abfälle behandelte, bemühte sich mit begrenztem Erfolg um eine Verminderung der Luftverschmutzung und belegte Bergbauunternehmen mit hohen Steuern. Außerdem verzögerte oder verhinderte er umweltfeindliche Projekte, beispielsweise eine Straße, die durch einen Nationalpark zum Hafen Sanchez führen sollte, eine Nord-Süd-Straßenverbindung über die Zentralkordillere, einen internationalen Flughafen in Santiago, einen riesigen Hafen und einen Damm bei Madrigal. Er weigerte sich, eine vorhandene Straße durch das Hochland reparieren zu lassen, sodass sie nahezu unbenutzbar wurde. In Santo Domingo gründete er ein Aquarium, einen botanischen Garten und ein naturhistorisches Museum; außerdem baute er den Staatszoo wieder auf, alles Einrichtungen, die zu wichtigen Attraktionen wurden.

Als letzte politische Handlung tat sich der 94-Jährige mit dem gewählten Präsidenten Mehia zusammen und blockierte den Plan des noch amtierenden Präsidenten Fernandez, das System der Naturschutzgebiete zu verkleinern und zu schwächen. Dieses Ziel erreichten Balaguer und Mej ia mit einem geschickten parlamentarischen Manöver: Sie ergänzten den Gesetzentwurf des Präsidenten Fernandez durch einen Zusatz, wonach die Naturschutzgebiete nicht mehr nur aufgrund von Verwaltungsanordnungen existierten (sodass sie durch Veränderungen, wie Fernandez sie vorhatte, gefährdet werden konnten), sondern dass sie aufgrund eines Gesetzes in dem Zustand bleiben mussten, in dem sie 1996, am Ende von Balaguers letzter Amtszeit und vor Fernandez’ Maßnahmen, gewesen waren. Balaguer beendete seine politische Laufbahn also mit der Rettung des Naturschutzsystems, das ihm stets ein so großes Anliegen gewesen war.

Balaguers politisches Wirken bildete den Höhepunkt des von oben nach unten organisierten Umweltschutzes in der Dominikanischen Republik. Während der gleichen Zeit erwachten auch die Bestrebungen von unten nach oben wieder zum Leben, die unter Trujillo zum Erliegen gekommen waren. In den siebziger und achtziger Jahren erstellten Wissenschaftler mit großem Aufwand eine Bestandsaufnahme der natürlichen Ressourcen des Landes an der Küste, im Meer und im Landesinneren. Je stärker die Bürger der Dominikanischen Republik wieder die Methoden der Bürgerbeteiligung erlernten, die ihnen unter Trujillo jahrzehntelang gefehlt hatten, desto mehr wurden in den achtziger Jahren zahlreiche nichtstaatliche Organisationen gegründet, darunter mehrere Dutzend Umweltschutzinitiativen, die immer leistungsfähiger wurden. Im Gegensatz zu vielen anderen Entwicklungsländern, wo Umweltschutzmaßnahmen vorwiegend von Mitarbeitern internationaler Organisationen vorangetrieben werden, ging die basisdemokratische Triebkraft in der Dominikanischen Republik von lokalen nichtstaatlichen Organisationen aus, die sich Sorgen um ihre Umwelt machen. Zusammen mit den Universitäten und der Wissenschaftsakademie des Landes sind diese Organisationen heute zur Speerspitze einer eigenen dominikanischen Umweltschutzbewegung geworden.

Warum ergriff Balaguer ein so breites Spektrum von Maßnahmen zugunsten der Umwelt? Für viele Beobachter scheint dieses offenkundig starke, weitsichtige Engagement für die Umwelt nur schwer mit seinen abstoßenden Eigenschaften vereinbar zu sein. Er arbeitete 31 Jahre lang unter dem Diktator Rafael Trujillo und verteidigte 1937 dessen Massaker an Haitianern. Am Ende war er Präsident von Trujillos Gnaden, er diente dem älteren Diktator aber auch an Stellen, wo er selbst Einfluss ausüben konnte, wie beispielsweise als Außenminister. Wer bereit ist, mit einem so bösartigen Menschen wie Trujillo zusammenzuarbeiten, gerät sofort auch selbst in Verdacht und genießt dann keinen guten Ruf mehr. Außerdem war Balaguer auch nach Trujillos Tod für eine lange Liste übler Taten verantwortlich, die man nur ihm selbst vorwerfen kann. In der Wahl von 1986 war er zwar auf ehrliche Weise ins Präsidentenamt gelangt, seine Wahl im Jahr 1966 sowie die Wiederwahl in den Jahren 1970, 1974, 1990 und 1994 sicherte er sich jedoch mit Betrug, Gewalt und Einschüchterung. Von seinen eigenen Todesschwadronen ließ er Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Oppositionsmitgliedern ermorden. In vielen Fällen ordnete er die gewaltsame Vertreibung armer Menschen aus den Nationalparks an, und er befahl die Erschießung illegaler Holzarbeiter oder nahm sie zumindest hin. Ebenso tolerierte er die weit verbreitete Korruption. Er stand in der lateinamerikanischen Tradition der caudillos, der starken Männer in der Politik. Unter anderem wird ihm folgendes Zitat zugeschrieben: »Die Verfassung ist nur ein Stück Papier.«

In den Kapiteln 14 und 15 dieses Buches werde ich die vielfach sehr komplizierten Gründe erörtern, warum Menschen eine umweltfreundliche Politik betreiben oder auch nicht. Bei meinem Aufenthalt in der Dominikanischen Republik erkundigte ich mich insbesondere bei Menschen, die Balaguer gekannt oder während seiner Regierungszeit gelebt hatten, welche Motive er gehabt haben könnte. Jeden Bewohner des Landes, mit dem ich sprach, fragte ich nach seinen Ansichten über den früheren Präsidenten. Dabei bekam ich von den 20 Bürgern, die ich ausführlich befragte, 20 verschiedene Antworten. Viele von ihnen hatten die denkbar stärksten persönlichen Beweggründe, Balaguer zu verabscheuen: Er hatte sie ins Gefängnis werfen lassen, oder sie waren unter dem Trujillo-Regime, dem er angehört hatte, verhaftet und gefoltert worden, oder das Regime hatte enge Verwandte und Freunde ermorden lassen.

Bei aller Meinungsvielfalt erwähnten aber viele meiner Informanten unabhängig voneinander eine ganze Reihe immer gleicher Punkte. Fast alle bezeichneten Balaguer als komplizierten, rätselhaften Menschen. Er strebte nach politischer Macht, und bei der Durchsetzung seiner Überzeugungen wurde er immer von der Befürchtung gebremst, seine Handlungen könnten ihn die Macht kosten (wobei er allerdings häufig gefährlich nahe an diese Grenze geriet und um ein Haar durch unpopuläre Maßnahmen die Macht verloren hätte). Er war ein äußerst geschickter, zynischer, pragmatischer Politiker, an dessen Fähigkeiten niemand in den letzten 42 Jahren der politischen Geschichte des Landes auch nur annähernd heranreichte, und er war ein Musterbeispiel für die Eigenschaft, die man als »machiavellistisch« bezeichnet. Ständig vollführte er einen heiklen Balanceakt zwischen Armee, Volksmassen und den konkurrierenden, intriganten Gruppen der Oberschicht. Es gelang ihm, Militärputsche gegen seine Person zu verhindern, weil er das Militär in konkurrierende Gruppen spaltete, und wenn es um den Missbrauch von Wäldern und Nationalparks ging, konnte er sogar bei Offizieren ungeheure Angst erzeugen: Im Jahr 1994 kam es in dieser Frage im Fernsehen zu einer unvorhergesehenen Konfrontation, und wie man mir im Anschluss daran berichtete, hatte sich ein Oberst, der sich gegen Balaguers Waldschutzmaßnahmen gewandt hatte und von diesem wütend zurecht gewiesen worden war, vor Angst buchstäblich in die Hose gemacht. Ein Historiker, den ich befragte, fasste es in die bildhaften Worte: »Balaguer war eine Schlange, die ihre Haut je nach Bedarf ablegte und wechselte.« Unter Balaguer gab es viel Korruption, die von ihm auch geduldet wurde, aber er selbst war nicht korrupt und interessierte sich, anders als Trujillo, nicht für seinen persönlichen Reichtum. Er selbst soll gesagt haben: »An der Tür meines Arbeitszimmers hört die Korruption auf.«

Ein Bürger der Dominikanischen Republik, der im Gefängnis gesessen hatte und gefoltert worden war, fasste es mir gegenüber so zusammen: »Balaguer war ein Übel, aber in jenem Stadium der Geschichte unseres Landes ein notwendiges Übel.« Damit meinte er, dass es 1961, als Trujillo ermordet wurde, sowohl in Übersee als auch in der Dominikanischen Republik selbst viele Bürger mit ehrenwerten Bestrebungen gab, von denen aber keiner auch nur einen Bruchteil von Balaguers Erfahrungen mit der praktischen Regierungsarbeit hatte. Mit seinen Maßnahmen sicherte er sich das Verdienst, die Mittelschicht, den Kapitalismus und das ganze Land in seiner heutigen Form gesichert zu haben, und unter seiner Führung kam die Wirtschaft der Dominikanischen Republik ein großes Stück voran. Wegen dieser Ergebnisse sind viele Bewohner geneigt, Balaguers schlechte Eigenschaften in Kauf zu nehmen.

Viel größere Meinungsverschiedenheiten erntete ich mit meiner Frage, warum Balaguer eine so energische Umweltschutzpolitik betrieben habe. Manche Bürger sahen darin einen Schwindel, mit dem er Wähler gewinnen oder sein internationales Ansehen aufpolieren wollte. Nach Ansicht eines Befragten waren die Maßnahmen, mit denen Balaguer die Landbesitzer aus den Nationalparks vertrieb, nur ein Teil einer groß angelegten Kampagne, mit denen einfache Leute aus abgelegenen Waldgebieten entfernt werden sollten, wo sie möglicherweise einen Castro-freundlichen Aufstand planen konnten; angeblich sollten damit öffentliche Flächen entvölkert werden, damit sie später als Landgüter an reiche Bürger der Dominikanischen Republik, an Ausländer oder an Militärs verteilt werden konnten und Balaguers Verbindungen zur Armee festigten.

Alle diese mutmaßlichen Motive mögen eine gewisse Rolle gespielt haben, aber angesichts des breiten Spektrums seiner ökologischen Maßnahmen, die in der Öffentlichkeit zum Teil auf Widerstand und zum Teil auf Desinteresse stießen, fällt es mir trotz allem schwer, in Balaguers gesamter Politik nur ein Täuschungsmanöver zu sehen. Manche Entscheidungen, insbesondere die Vertreibung der Landbesitzer mit Hilfe des Militärs, rückten ihn in ein sehr schlechtes Licht und kosteten ihn nicht nur Wählerstimmen (was er allerdings durch Wahlmanipulation abfangen konnte), sondern auch die Unterstützung einflussreicher Mitglieder von Oberschicht und Militär (deren Rückhalt er sich allerdings durch zahlreiche andere Schachzüge sicherte). Im Zusammenhang mit vielen ökologischen Maßnahmen, die ich zuvor aufgezählt habe, erkenne ich keinen Zusammenhang mit reichen Immobilienmaklern, der Bekämpfung von Guerillagruppen oder dem Streben nach dem Wohlwollen der Armee. Ich halte Balaguer vielmehr für einen erfahrenen, pragmatischen Politiker, der seine Umweltschutzpolitik offensichtlich so nachdrücklich betrieb, wie er es sich leisten konnte, ohne allzu viele Wählerstimmen oder einflussreiche Unterstützer zu verlieren und ohne einen Militärputsch zu provozieren.

Einige Personen, die ich in der Dominikanischen Republik befragte, brachten darüber hinaus ein weiteres Thema ins Gespräch: Balaguers Umweltschutzmaßnahmen waren selektiv, manchmal unwirksam und voller blinder Flecken. Seinen Anhängern gestattete er Dinge, die für die Umwelt schädlich waren - sie durften beispielsweise Flussbetten schädigen, indem sie dort Gestein, Kies, Sand und anderes Baumaterial abbauten. Manche seiner Gesetze, unter anderem die gegen Jagd, Luftverschmutzung und Zaunpfähle aus Holz, waren nicht praktikabel. Manchmal machte er einen Rückzieher, wenn er mit seinen Entscheidungen auf Opposition stieß. Ein besonders schwer wiegender Schwachpunkt seiner Umweltpolitik bestand darin, dass er es versäumte, die Bedürfnisse der Bauern auf dem Land mit ökologischen Bedenken in Einklang zu bringen, und er hätte auch viel mehr dafür tun können, dass der Umweltschutz in der Öffentlichkeit Unterstützung fand. Dennoch konnte er vielfältigere und radikalere Umweltschutzmaßnahmen durchsetzen als jeder andere Politiker der Dominikanischen Republik, ja sogar mehr als die meisten Politiker, die ich in anderen Ländern kenne.

Bei längerem Nachdenken scheint es mir die plausibelste Interpretation für Balaguers Verhalten zu sein, dass ihm die Umwelt tatsächlich am Herzen lag, wie er behauptete. Das Thema kam in fast allen seinen Reden vor. Er erklärte, der Schutz von Wäldern, Flüssen und Gebirgen sei seit seiner Kindheit ein Traum gewesen. Und er betonte das Thema sowohl in seinen ersten Ansprachen, nachdem er 1966 Präsident geworden war, als auch nach seiner Wiederwahl 1986 und bei seinem letzten Amtsantritt 1994. Als Präsident Fernandez es für übertrieben erklärte, 32 Prozent des Staatsgebietes als Schutzgebiete auszuweisen, erwiderte Balaguer, eigentlich müsste das ganze Land ein Schutzgebiet sein. Aber auf die Frage, wie er zu seiner umweltfreundlichen Einstellung gelangt sei, erhielt ich nie von zwei Personen die gleiche Antwort. Einer erklärte, er sei vielleicht in seinen jungen Jahren, als er in Europa lebte, von Umweltschützern beeinflusst worden: ein anderer stellte fest, Balaguer sei stets ein Feind Haitis gewesen und habe die Landschaft in der Dominikanischen Republik verschönern wollen, um einen Kontrast zu den Zerstörungen im Nachbarland zu schaffen; ein Dritter glaubte, er sei durch seine Schwestern beeinflusst worden, denen er sehr nahe stand und die angeblich entsetzt waren, weil die Waldzerstörung und die Versandung der Flüsse in der Trujillo-Zeit so weit fortgeschritten waren; und ein Dritter wies daraufhin, Balaguer sei bereits 60 Jahre alt gewesen, als er nach Trujillo zum Präsidenten wurde, und erst mit 90 Jahren abgetreten - sein Motiv seien also möglicherweise die Veränderungen gewesen, die er während seines langen Lebens in dem Land um sich herum miterlebt hatte.

Inwieweit solche Antworten zutreffen, weiß ich nicht. Dass wir Balaguer so schwer verstehen, mag unter anderem an unseren eigenen unrealistischen Erwartungen liegen. Unbewusst rechnen wir vielleicht damit, dass ein Mensch entweder nur »gut« oder nur »schlecht« ist, als gäbe es eine einzige Qualität der Tugend, die in allen Verhaltensaspekten sichtbar wird. Wenn wir jemanden in einer Hinsicht für anständig oder bewundernswert halten, sind wir beunruhigt, wenn dies in einem anderen Aspekt nicht der Fall ist. Wir mögen nicht anerkennen, dass ein Mensch kein einheitliches Gebilde ist, sondern ein Mosaik aus Merkmalen, die aus den unterschiedlichsten Erfahrungen erwachsen und häufig untereinander in keiner Beziehung stehen.

Auch etwas anderes könnte uns beunruhigen: Wenn wir wirklich anerkennen, dass Balaguer ein Umweltschützer war, könnten seine negativen Eigenschaften zu Unrecht das Ansehen des Umweltschutzes besudeln. Aber ein Bekannter sagte einmal zu mir: »Adolf Hitler liebte Hunde und putzte sich die Zähne, aber das heißt nicht, dass wir Hunde hassen und uns die Zähne nicht mehr putzen sollen.« Mir fällt in diesem Zusammenhang auch ein, welche Erfahrungen ich machte, als ich von 1979 bis 1996 unter der Militärdiktatur in Indonesien arbeitete. Ich hasste und fürchtete das Regime wegen seiner Politik und auch aus persönlichen Gründen - insbesondere wegen der Dinge, die es meinen Freunden in Neuguinea angetan hatte, und weil seine Soldaten mich fast umgebracht hätten. Deshalb war ich überrascht, als ich feststellte, dass dieses Regime in Indonesisch-Neuguinea ein umfassendes, leistungsfähiges Netz von Nationalparks eingerichtet hatte. Ich kam in das Land, nachdem ich ein Jahr lang die Demokratie von Papua-Neuguinea erlebt hatte, und nun glaubte ich, ich hätte unter der tugendhaften Demokratie doch sicher eine viel weiter entwickelte Umweltschutzpolitik beobachtet als unter der bösen Diktatur. Aber ich musste anerkennen, dass es in Wirklichkeit genau umgekehrt war.

Von den Bürgern der Dominikanischen Republik, die ich befragte, behauptete kein Einziger, er könne Balaguer verstehen. Ein Gesprächspartner wandte auf Balaguer die Formulierung an, mit der Winston Churchill die Sowjetunion beschrieben hatte: »ein Rätsel, eingehüllt in ein Geheimnis im Inneren eines Mysteriums«. Die Bemühungen, Balaguer zu verstehen, erinnern mich wieder einmal daran, dass Geschichte wie das ganze Leben kompliziert ist; weder das Leben noch die Geschichte ist ein Unternehmen für jene, die sich nach Einfachheit und Einheitlichkeit sehnen.