KAPITEL 9

Auf entgegengesetzten Wegen zum Erfolg

Von unten nach oben, von oben nach unten ■

Das Hochland von Neuguinea Tikopia ■ Probleme in der Tokugawazeit ■ Lösungen in der Tokugawazeit ■ Das japanische Erfolgsrezept ■ Andere Erfolge

In den vorangegangenen Kapiteln wurden sechs frühere Gesellschaften beschrieben, die selbst verursachte oder bereits vorhandene Umweltprobleme nicht lösen konnten und unter anderem deshalb schließlich zusammenbrachen: Osterinsel, Pitcairn, Henderson, die Anasazi, die klassischen Maya im Tiefland, und Normannisch-Grönland. Ich habe mich bei ihrem Scheitern so lange aufgehalten, weil wir daraus vieles lernen können. Es ist aber durchaus nicht so, dass alle historischen Gesellschaften zur ökologischen Katastrophe verdammt waren: Die Isländer überleben schon seit über 1100 Jahren unter schwierigen ökologischen Bedingungen, und viele andere Gesellschaften haben Jahrtausende überstanden. Auch diese Erfolgsgeschichten sind für uns lehrreich, außerdem bieten sie Hoffnung und Anregung. Sie lassen darauf schließen, dass es zur Lösung ökologischer Probleme zwei ganz unterschiedliche Ansätze gibt, die wir als »Methode von unten nach oben« und »Methode von oben nach unten« bezeichnen können.

Diese Erkenntnis ergibt sich insbesondere aus den Arbeiten des Archäologen Patrick Kirch, der auf Pazifikinseln unterschiedlicher Größe tätig war und Gesellschaften mit ganz unterschiedlichem Schicksal untersucht hat. Die winzige, nur 4,7 Quadratkilometer große Insel Tikopia war nach 3000 Jahren immer noch nachhaltig besiedelt; das mittelgroße Mangaia (70 Quadratkilometer) erlebte durch Waldzerstörung einen ganz ähnlichen Zusammenbruch wie die Osterinsel; und Tonga, die größte der drei Inseln (746 Quadratkilometer), wird seit 3200 Jahren mehr oder weniger nachhaltig bewirtschaftet. Warum gelang es den Menschen auf der kleinen und der großen Insel, ihre Umweltprobleme letztlich in den Griff zu bekommen, während es auf der mittelgroßen Insel fehlschlug? Nach Kirchs Ansicht gelangten die kleine und die große Insel auf entgegengesetzten Wegen zum Erfolg, und auf der mittelgroßen Insel ließ sich keine der beiden Methoden anwenden.

Kleine Gesellschaften auf Inseln oder in begrenzten Regionen können ihre Umwelt »von unten nach oben« bewirtschaften. Da das Gebiet so klein ist, sind alle Bewohner mit allen seinen Regionen vertraut: Sie wissen, dass sie von jeder Entwicklung auf ihrer Insel betroffen sind und teilen mit allen anderen Bewohnern ein Gefühl der gemeinsamen Identität und gemeinsame Interessen. Jedem ist klar, dass er von eigenen vernünftigen ökologischen Maßnahmen und von denen der Nachbarn profitiert. Das ist Bewirtschaftung von unten nach oben: Durch Zusammenarbeit lösen die Menschen ihre Probleme.

Eine solche Bewirtschaftung von unten nach oben kennen wir meist aus unserem unmittelbaren Wohn- oder Arbeitsumfeld. In der Straße in Los Angeles, wo ich wohne, gehören beispielsweise alle Hausbesitzer dem örtlichen Grundbesitzerverband an, der zu unser aller Nutzen für ein sicheres, harmonisches, attraktives Wohnumfeld sorgen soll. Wir wählen jedes Jahr einen Vorstand, diskutieren auf der Jahresversammlung unsere Vorgehensweisen, und stellen der Organisation über unsere Mitgliedsbeiträge einen Jahresetat zur Verfügung. Mit diesem Geld unterhält der Verband Blumenrabatten an den Straßenkreuzungen, er verlangt, dass Grundbesitzer nicht ohne stichhaltige Gründe ihre Bäume fällen, begutachtet Baupläne, damit keine hässlichen oder übergroßen Häuser entstehen, schlichtet Nachbarschaftsstreitigkeiten und vertritt in Fragen, die das ganze Viertel betreffen, unsere Interessen gegenüber den städtischen Behörden. Ein anderes Beispiel habe ich in Kapitel 1 erwähnt: Bei Hamilton im Bitterroot Valley in Montana haben sich Grundbesitzer zusammengetan und betreiben gemeinsam das Teller Wildlife Refuge; damit tragen sie zur Wertsteigerung ihrer eigenen Immobilien bei und verbessern sowohl die allgemeine Lebensqualität als auch die Gelegenheiten für Fischerei und Jagd - und das, obwohl die Probleme der Vereinigten Staaten oder der ganzen Welt damit nicht gelöst werden.

Der umgekehrte Weg, das Vorgehen von oben nach unten, eignet sich für große Gesellschaften mit zentralisierter politischer Organisation wie im polynesischen Tonga. Diese Inselgruppe ist viel zu groß, als dass ein einziger Bauer den ganzen Archipel oder auch nur eine der größeren Inseln vollständig kennen könnte. In einer entfernten Ecke der Inselgruppe könnte ein Problem auftauchen, von dem der Bauer anfangs nichts weiß, das sich aber am Ende für seine Lebensweise als tödlich erweist. Und selbst wenn er davon wüsste, würde er es vielleicht als unwichtig abtun: Er glaubt vielleicht, es sei für ihn ohne Bedeutung oder die Auswirkungen lägen noch weit in der Zukunft. Umgekehrt könnte ein Bauer versucht sein, Probleme seiner Region (zum Beispiel die Waldzerstörung) nicht ernst zu nehmen, weil er davon ausgeht, dass es woanders noch genügend Bäume gibt - was er aber in Wirklichkeit nicht weiß.

Andererseits ist Tonga aber so groß, dass dort eine Zentralregierung unter einem König entstehen konnte. Dieser Herrscher hat im Gegensatz zu den einzelnen Bauern den Überblick über die gesamte Inselgruppe. Und im Gegensatz zu den Bauern hat er ein Motiv, sich für das langfristige Wohlergehen der gesamten Inselgruppe einzusetzen: Er bezieht seinen Reichtum von allen Inseln, ist das bisher letzte Glied in einer langen Kette von Herrschern und rechnet damit, dass auch seine Nachkommen für alle Zeiten in Tonga herrschen werden. Deshalb wird der König oder die Zentralregierung die ökologischen Ressourcen von oben nach unten bewirtschaften und allen Untertanen diejenigen Anweisungen geben, die für sie selbst langfristig gut sind, die sie aber mangels ausreichender Kenntnisse selbst nicht formulieren konnten.

Dieser Weg von oben nach unten ist den Bewohnern der Industrieländer ebenso vertraut wie der von unten nach oben. Wir haben uns daran gewöhnt, dass staatliche Stellen - in den USA insbesondere die Staats- und Bundesbehörden - umweltpolitische und andere Maßnahmen ergreifen, die das ganze Land betreffen: Angeblich haben die staatlichen Institutionen über einen Bundesstaat oder das ganze Land einen Überblick, der über die Fähigkeiten der meisten einzelnen Bürger hinausgeht. Die Bewohner des Bitterroot Valley in Montana zum Beispiel haben ihr eigenes Teller Wildlife Refuge, die Hälfte aller Flächen im Tal ist aber als nationaler Wald oder unter der Aufsicht des Bureau of Land Management im Besitz von Bundesbehörden oder wird von ihnen verwaltet.

Traditionelle, mittelgroße Gesellschaften, die auf mittelgroßen Inseln oder in entsprechenden Regionen leben, eignen sich unter Umständen für keine dieser beiden Methoden. Die Insel ist dann so groß, dass ein einzelner Bauer nicht über alle Teile den Überblick haben und sich dort einsetzen kann. Wegen Feindseligkeiten zwischen den Häuptlingen aus benachbarten Tälern kommt es nicht zu Übereinkünften und koordinierten Maßnahmen, und häufig tragen sie sogar zur Umweltzerstörung bei: Jeder Häuptling verübt Überfälle, um auf dem Land des Rivalen Bäume zu fällen und Schaden anzurichten. Andererseits ist die Insel aber zu klein, als dass eine Zentralregierung entstehen und das ganze Land kontrollieren könnte. Dieses Schicksal erlitt Mangaia, und ähnlich erging es vermutlich in der Vergangenheit auch anderen mittelgroßen Gesellschaften. Nachdem heute die ganze Welt in Staaten organisiert ist, stehen mittelgroße Gesellschaften wahrscheinlich weniger häufig einem solchen Dilemma gegenüber, aber in Ländern mit schwacher Staatsgewalt kann es nach wie vor entstehen.

Um diese unterschiedlichen Wege zum Erfolg genauer zu erläutern, möchte ich jetzt kurz über zwei kleine Gesellschaften (im Hochland von Neuguinea und auf Tikopia) berichten, bei denen die Methode von unten nach oben funktioniert hat; anschließend erörtere ich eine große Gesellschaft (Japan, heute das Land mit der achtgrößten Bevölkerung der Welt, in der Tokogawazeit), wo man von oben nach unten Erfolg hatte. Bei den Umweltproblemen handelte es sich in allen drei Fällen um Waldzerstörung, Erosion und nachlassende Bodenfruchtbarkeit. Aber auch viele andere historische Gesellschaften haben mit ähnlichen Methoden ihre Probleme bei Wasserversorgung, Jagd und Fischerei gelöst. Außerdem sollte man sich klarmachen, dass die Ansätze von unten nach oben und von oben nach unten in einer großen Gesellschaft, die als hierarchische Pyramide organisiert ist, auch nebeneinander existieren können. In den Vereinigten Staaten und anderen demokratischen Ländern arbeiten beispielsweise lokale Gruppen von unten nach oben, und daneben verwalten zahlreiche staatliche Ebenen (Kommunen, Kreise, Bundesstaaten und Staaten) ihre Zuständigkeitsbereiche von oben nach unten.

Mein erstes Beispiel und eine der großen Erfolgsgeschichten über Verwaltung von unten nach oben ist das Hochland von Neuguinea. Auf Neuguinea leben die Menschen schon seit 46 000 Jahren autark. Bis vor kurzer Zeit gab es keine nennenswerten wirtschaftlichen Zuflüsse aus Gesellschaften außerhalb des Hochlandes; die einzigen Handelsgüter waren Gegenstände, die man als Statussymbole schätzte wie Kaurimuscheln und die Federn von Paradiesvögeln. Neuguinea ist die große Insel nördlich von Australien. Es liegt fast genau auf dem Äquator und ist deshalb in den Niederungen von tropischem Regenwald bedeckt, aber im zerklüfteten Inneren wechseln steile Bergkämme und Täler ab, und den Höhepunkt bildet ein vergletschertes, fast 5000 Meter hohes Gebirge. Wegen des schwierigen Geländes beschränkten sich europäische Entdecker 400 Jahre lang auf die Küste und die Flusstäler in den Niederungen; zu dieser Zeit nahm man stets an, das Innere der Insel sei dicht bewaldet und unbewohnt.

Deshalb erlebten Biologen und Bergleute, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts das Innere der Insel erstmals mit gecharterten Flugzeugen überflogen, einen regelrechten Schock: Die Landschaft unter ihnen war von Millionen Menschen gestaltet worden, und diese Menschen waren der Außenwelt völlig unbekannt. Die Landschaft hatte Ähnlichkeit mit den am dichtesten besiedelten Regionen der Niederlande: Breite, offene Täler mit wenigen Baumgruppen, bis zum Horizont eingeteilt in säuberlich angelegte Felder, die durch Bewässerungs- und Abflussgräben getrennt waren; steile Berghänge mit Terrassen erinnerten an Java oder Japan, und Dörfer waren zur Verteidigung von Palisadenzäunen umgeben. Als andere Europäer dann auf dem Boden zu den Entdeckungen der Piloten vordrangen, stellten sie fest, dass die Bewohner Bauern waren: Sie züchteten Taro, Bananen, Yamswurzeln, Zuckerrohr, Süßkartoffeln, Schweine und Hühner. Heute wissen wir, dass die vier zuerst genannten Nutzpflanzen (und einige weitere, weniger wichtige) in Neuguinea domestiziert wurden; das Hochland von Neuguinea war eines von nur neun unabhängigen Zentren der Pflanzendomestikation auf der Welt, und Landwirtschaft gibt es dort schon seit 7000 Jahren - eines der weltweit längsten Experimente in nachhaltiger Pflanzenproduktion.

Den europäischen Entdeckern und Siedlern erschienen die Hochlandbewohner »primitiv«. Sie wohnten in strohgedeckten Hütten, befanden sich untereinander ständig im Kriegszustand, hatten keine Könige und nicht einmal Häuptlinge, konnten nicht schreiben und trugen selbst bei kaltem Wetter und starkem Regen so gut wie keine Kleidung. Metall kannten sie nicht: Ihre Werkzeuge bestanden aus Stein, Holz und Knochen. Bäume wurden beispielsweise mit Steinäxten gefällt, Felder und Gräben wurden mit Holzstöcken umgegraben, und man bekämpfte sich mit hölzernen Speeren und Pfeilen sowie mit Bambusmessern.

Aber der »primitive« Eindruck erwies sich als trügerisch: Ihre landwirtschaftlichen Methoden sind so hoch entwickelt, dass europäische Agrarwissenschaftler in manchen Fällen bis heute nicht begreifen, warum die Verfahren funktionieren und warum gut gemeinte europäische Neuerungen dort versagen. Ein europäischer Landwirtschaftsberater musste in Neuguinea zum Beispiel zu seinem Entsetzen feststellen, dass ein Süßkartoffelbeet an einem steilen Abhang in einem feuchten Gebiet lag und durch Gräben entwässert wurde, die senkrecht den Hang hinunter verliefen. Er brachte die Dorfbewohner dazu, diesen Fehler zu korrigieren und die Gräben horizontal entsprechend den Höhenlinien anzulegen, wie es guter europäischer Praxis entspricht. Aus Respekt vor ihm bauten die Dorfbewohner ihre Gräben um, aber nun staute sich hinter den Gräben das Wasser, und nach einem schweren Regenguss beförderte ein Erdrutsch das ganze Beet den Hang hinunter in den darunter fließenden Fluss. Um genau diese Folge zu vermeiden, hatten die Bauern in Neuguinea schon lange vor der Ankunft der Europäer gelernt, welche Vorteile senkrechte Entwässerungsgräben unter den Wetter- und Bodenverhältnissen des Hochlandes haben.

Auch viele andere Methoden haben die Bewohner Neuguineas im Lauf der Jahrtausende durch Ausprobieren gelernt; sie können damit Ackerbau in einer Region betreiben, in der jährlich bis zu 10 000 Millimeter Niederschlag fallen, wobei auch Erdbeben, Erdrutsche und (in den Höhenlagen) Frost häufig vorkommen. Um die Bodenfruchtbarkeit in den dicht besiedelten Gebieten zu erhalten, wo man nur mit kurzen Brachperioden oder sogar ununterbrochener Nutzung der Felder genügend Lebensmittel produzieren konnte, griffen sie neben der Silvikultur - was das ist, werde ich in Kürze erläutern - auf eine ganze Palette anderer Methoden zurück. Als Dünger setzten sie dem Boden Kompost aus Unkräutern, Gras, abgestorbenen Ranken und anderem organischem Material in einer Menge von bis zu 40 Tonnen je Hektar zu. Auf die Bodenoberfläche brachten sie Abfälle, Asche von Feuern, abgemähte Pflanzen von Brachfeldern, verrottetes Holz und Hühnerdung als Mulch und Dünger auf. Rund um die Felder legten sie Gräben an, um den Grundwasserspiegel abzusenken und Überschwemmungen zu verhindern, und der organische Schlamm aus diesen Gräben wurde auf die Bodenoberfläche befördert. Bohnen und andere Hülsenfrüchte, die atmosphärischen Stickstoff fixieren, wurden im Wechsel mit den übrigen Nutzpflanzen angebaut - damit hatte man in Neuguinea unabhängig das Rotationsprinzip erfunden, das heute in der Landwirtschaft der Industrieländer häufig dazu dient, im Boden einen ausreichenden Stickstoffgehalt aufrecht zu erhalten. An steilen Berghängen legten die Menschen in Neuguinea Terrassen an; sie errichteten Barrieren, die den Boden festhielten, und überschüssiges Wasser wurde natürlich durch die senkrechten Gräben abgeleitet. Wegen dieser vielen spezialisierten Methoden muss man jahrelang in einem Dorf im Hochland Neuguineas aufgewachsen sein, um dort erfolgreich Landwirtschaft betreiben zu können. Meine Bekannten aus der Region, die ihr Dorf ausbildungsbedingt für mehrere Jahre verlassen hatten, mussten nach ihrer Rückkehr feststellen, dass sie die familieneigenen Felder nicht mehr bestellen konnten - sie hatten zahlreiche höchst komplizierte Kenntnisse einfach nicht mitbekommen.

Nachhaltige Landwirtschaft wirft im Hochland von Neuguinea nicht nur schwierige Probleme mit der Fruchtbarkeit des Bodens auf, sondern auch die Holzversorgung ist schwierig. Man muss Wälder roden, um Felder und Dörfer anzulegen. Die traditionelle Lebensweise im Hochland war aus mehreren Gründen nicht ohne Bäume möglich: Man brauchte Holz zum Bau von Häusern und Zäunen, zur Herstellung von Werkzeugen und Waffen sowie als Brennstoff zum Kochen und zur Beheizung der Hütten in den kalten Nächten. Ursprünglich war das Hochland von Eichen- und Buchenwäldern bedeckt, aber nach jahrtausendelanger Landwirtschaft waren die am dichtesten besiedelten Gebiete (insbesondere das Wahgi-Tal in Papua-Neuguinea und das Baliem-Tal im indonesischen Teil der Insel) bis auf eine Höhe von 2400 Metern völlig entwaldet. Woher bekamen die Bewohner das benötigte Holz?

Schon am ersten Tag meines Besuches in dem Hochland im Jahr 1964 sah ich in Dörfern und Gärten Gehölze von Kasuarinenbäumen einer ganz bestimmten Spezies. Die Kasuarinen, auch Eisenholzbäume genannt, sind eine Gruppe von mehreren Dutzend Baumarten mit Blättern, die Kiefernnadeln ähneln; sie sind auf den Pazifikinseln, in Australien und Südostasien sowie im tropischen Ostafrika heimisch, wurden aber auch in vielen anderen Gegenden eingeführt, weil sie ein leicht spaltbares, aber sehr hartes Holz besitzen (daher der Name »Eisenholz«). Die Spezies Casuarina oligodon ist im Hochland Neuguineas zu Hause und wird dort von mehreren Millionen Bewohnern in großem Umfang angebaut: Sie verpflanzen Keimlinge, die sich von Natur aus an Flussufern entwickelt haben. Auch mehrere andere Baumarten werden dort auf die gleiche Weise angepflanzt, aber die Kasuarine ist mit Abstand die häufigste. Sie wird in derart großen Umfang verpflanzt, dass man die Methode heute als »Silvikultur« bezeichnet: Statt Feldpflanzen, wie in der konventionellen Landwirtschaft, werden Bäume angebaut (silva ist das lateinische Wort für Wald, ager bedeutet »Acker«, und cultura ist der Anbau).

Europäische Forstexperten kommen erst jetzt allmählich dahinter, welche besonderen Vorteile Casuarina oligodon bietet und welchen Nutzen die Hochlandbewohner aus den Anpflanzungen ziehen. Die Bäume dieser Spezies wachsen schnell. Ihr Holz eignet sich ausgezeichnet zum Bauen und als Brennstoff. Die Wurzelknöllchen fixieren Stickstoff, und die Bäume lassen viel Laub zu Boden fallen, sodass dieser sowohl mit Stickstoff als auch mit Kohlenstoff angereichert wird. Zwischen bebauten Feldern angepflanzt, steigern die Kasuarinen also die Fruchtbarkeit, und wenn sie auf aufgegebenen Feldern wachsen, verkürzt sich die Zeit, die man das Gelände brach liegen lassen muss, damit seine Fruchtbarkeit sich erholt und die Anpflanzungen neuer Nutzpflanzen ermöglicht. Die Wurzeln halten den Boden an steilen Abhängen fest und vermindern damit die Erosion. Die Bauern von Neuguinea behaupten, durch die Bäume würden die Felder aus irgendeinem Grund weniger stark von Tarokäfern befallen, und die Erfahrung lässt darauf schließen, dass sie mit dieser Behauptung genauso Recht haben wie mit vielen anderen, auch wenn die Agrarwissenschaftler bisher nicht feststellen konnten, warum der Baum die Käfer fern hält. Die Hochlandbewohner schätzen die Kasuarinengehölze erklärtermaßen auch wegen ihres ästhetischen Wertes - ihnen gefällt das Geräusch, mit dem der Wind durch die Zweige streicht, und die Bäume spenden ihren Dörfern Schatten. Selbst in weiten Tälern, in denen die ursprünglichen Wälder völlig abgeholzt wurden, ermöglicht die Kasuarinen-Silvikultur also einer Gesellschaft, die auf Holz angewiesen ist, weiterhin die Existenz.

Wie lange wird die Silvikultur im Hochland Neuguineas schon praktiziert? Die Vegetationsgeschichte wurde hier von den Paläobotanikern im Wesentlichen mit den gleichen Methoden konstruiert, die ich in den Kapiteln 2 bis 8 bereits für die Osterinsel, das Gebiet der Maya, Island und Grönland erörtert habe: In Bohrkernen aus Sümpfen und Seen wurden die Pflanzenarten anhand des Pollens identifiziert; Holzkohle oder verkohlte Teilchen (entstanden durch natürliche Brände oder durch Feuer, das die Menschen zur Rodung der Wälder angezündet hatten) liefern Aufschlüsse über die Baumarten; angesammelte Sedimente zeigen, wo es nach der Rodung von Wäldern zur Erosion kam; und mit der Radiokarbonmethode wurde das Alter bestimmt.

Wie sich herausstellte, wurden Neuguinea und Australien vor rund 46 000 Jahren zum ersten Mal besiedelt, und zwar von Menschen, die von Asien mit Flößen oder Kanus durch die indonesische Inselwelt nach Osten vordrangen. Zu jener Zeit bildete Neuguinea noch eine zusammenhängende Landmasse mit Australien, und dort ist die Ankunft der Menschen an zahlreichen Stellen gut belegt. Vor rund 32 000 Jahren entstand Holzkohle an vielen Stellen im Hochland von Guinea durch häufige Brände, und der Anteil des Pollens von Baumarten, die keine Wälder bilden, nahm im Vergleich zu den Waldbäumen zu; demnach suchten damals bereits Menschen diese Stellen auf, vermutlich um zu jagen und im Wald die Pandanus-Früchte zu sammeln, wie sie es noch heute tun. Spuren von umfangreichen Rodungsarbeiten und die ersten künstlichen Entwässerungskanäle in Sümpfen stammen aus der Zeit vor 7000 Jahren und lassen darauf schließen, dass zu jener Zeit im Hochland die Landwirtschaft entstand. Die Menge des Pollens von Waldbäumen nimmt weiterhin auf Kosten anderer Pollenarten zu, bis vor rund 1200 Jahren fast gleichzeitig in zwei Tälern, die 800 Kilometer voneinander entfernt sind, die erste große Welle von Kasuarinenpollen auftaucht. Diese Täler, das Baliem-Tal im Westen und das weiter östlich gelegene Wahgi-Tal sind heute die breitesten, am stärksten entwaldeten Hochlandtäler, in denen die größte und dichteste Bevölkerung lebt; genauso war es vermutlich in beiden Fällen auch schon vor 1200 Jahren.

Wenn man davon ausgeht, dass die Zunahme des Kasuarinenpollens den Beginn der Silvikultur kennzeichnet, stellt sich die Frage: Warum entstand sie offensichtlich unabhängig in zwei so weit voneinander entfernten Regionen des Hochlandes? Zu jener Zeit kam es durch zwei oder drei zusammenwirkende Faktoren zu einer Waldkrise. Einer davon war die fortschreitende Waldzerstörung, nachdem sich die bäuerliche Bevölkerung im Hochland seit der Zeit vor 7000 Jahren stark vermehrt hatte. Ein zweiter Faktor ist die Ogowila Tephra, eine dicke Vulkanascheschicht, die genau zu jener Zeit auf dem Osten Neuguineas (einschließlich des Wahgi-Thales) niederging, vom Wind aber nach Westen nicht bis zum Baliem-Tal getragen wurde. Die Asche stammte aus einem gewaltigen Vulkanausbruch auf Long Island, einer Insel vor der Ostküste Neuguineas. Als ich die Insel 1972 besuchte, bestand sie aus einem Ring von Bergen mit einem Durchmesser von 26 Kilometern, der ein riesiges Loch mit einem Kratersee umgab; es ist einer der größten Seen auf sämtlichen Pazifikinseln. Wie in Kapitel 2 bereits beschrieben, müssen die Nährstoffe in der Asche das Pflanzenwachstum und damit auch das Wachstum der Bevölkerung angeregt haben, und das führte zu einem steigenden Bedarf an Bau- und Brennholz sowie zu einem stärkeren Anreiz, sich die Vorteile der Kasuarinen-Silvikultur zunutze zu machen. Und wenn man außerdem aus dem Ablauf der El-Nino-Ereignisse, die in jener Zeit für Peru nachgewiesen wurden, auf Neuguinea schließen kann, dürften Dürre und Frost als dritte Belastung für die Gesellschaft im Hochland hinzugekommen sein.

Nach einer noch größeren Zunahme der Menge an Kasuarinenpollen vor 300 bis 600 Jahren zu schließen, weiteten die Hochlandbewohner die Silvikultur in diesem Zeitraum noch stärker aus; den Anlass dürften zwei weitere Ereignisse gegeben haben: einerseits die Tibito Tephra, ein noch größerer Ascheregen, der die Bodenfruchtbarkeit und das Bevölkerungswachstum stärker stimulierte als die Ogowila Tephra; der Ascheregen stammte auch dieses Mal von Long Island, und der zugehörige Vulkanausbruch war die unmittelbare Ursache für das Loch mit dem See, den ich bei meinem Besuch sah; und andererseits möglicherweise die Tatsache, dass zu jener Zeit die Süßkartoffel aus den Anden in das Hochland Neuguineas gelangte, sodass nun Pflanzenerträge möglich wurden, die um ein Mehrfaches höher waren als mit den bisherigen einheimischen Arten.

Nachdem die Kasuarinen-Silvikultur sich im Wahgi- und Baliem-Tal durchgesetzt hatte (was man am Pollen in Bohrkernen ablesen kann), verbreitete sie sich zu verschiedenen späteren Zeitpunkten auch in anderen Regionen des Hochlandes, und in einigen abgelegenen Gebieten setzte sie sich erst im 20. Jahrhundert durch. Später kamen möglicherweise in anderen Gebieten weitere, unabhängige Erfindungen hinzu.

Ich habe die Kasuarinen-Silvikultur im Hochland Neuguineas als Beispiel für eine Problemlösung von unten nach oben dargestellt, obwohl es keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber gibt, wie sie sich im Einzelnen durchsetzte. Anders kann es aber kaum gewesen sein, denn die Gesellschaften der Region stellen einen Extremfall der basisdemokratischen Entscheidungsfindung dar. Bevor in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die niederländische und australische Kolonialregierung eingesetzt wurde, gab es in keinem Teil des Hochlandes auch nur ansatzweise so etwas wie politische Einheit: Immer kämpften einzelne Dörfer gegeneinander, oder sie taten sich zu vorübergehenden Bündnissen zusammen, um gegen andere Nachbardörfer zu Felde zu ziehen. Innerhalb der einzelnen Dörfer gab es keine Häuptlinge, die ihr Amt ererbt hatten, sondern nur so genannte »große Männer«, die aufgrund ihres Charakters mehr Einfluss hatten als andere; auch sie lebten aber wie alle anderen in einer Hütte und bestellten wie alle anderen ihre Felder. Entscheidungen wurden (und werden in vielen Fällen bis heute) dadurch getroffen, dass alle Dorfbewohner sich zusammensetzten und redeten, redeten, redeten.

Die großen Männer konnten keine Befehle erteilen, sondern nur mehr oder weniger erfolgreich versuchen, andere von ihren Vorstellungen zu überzeugen. Heute ist diese basisdemokratische Form der Entscheidungsfindung für Außenstehende (zu denen nicht nur ich gehöre, sondern vielfach auch Beamte der Regierung Neuguineas) häufig frustrierend, weil man nicht zu einem Häuptling gehen und dort eine schnelle Antwort auf eine Frage bekommen kann; immer muss man sich gedulden und stunden- oder tagelange Gespräche mit allen Dorfbewohnern führen, die ihre Meinung äußern wollen.

Vor diesem Hintergrund müssen sich auch die Kasuarinen-Silvikultur und alle anderen nützlichen landwirtschaftliehen Methoden im Hochland von Neuguinea durchgesetzt haben. In jedem Dorf konnten die Menschen sehen, wie der Wald um sie herum dahinschwand; sie erkannten, dass ihre Pflanzen schlechter wuchsen, wenn die Fruchtbarkeit der Felder nach der anfänglichen Rodung verloren ging, und sie erlebten die Folgen von Holz- und Brennstoffknappheit. Die Bewohner Neuguineas sind neugieriger und experimentierfreudiger als alle anderen Menschen, die mir begegnet sind. Wenn ich in meinen ersten Jahren in Neuguinea mitbekam, wie jemand gerade einen Bleistift bekommen hatte - der damals noch ein ungewöhnlicher Gegenstand war -, wurde dieser Bleistift außer zum Schreiben für unzählige andere Zwecke ausprobiert: Eignete er sich als Haarschmuck? Als Werkzeug zum Stechen? Zum Kauen? Als langer Ohrring? Zur Befestigung in der durchlöcherten Nasenscheidewand? Wenn ich Menschen aus Neuguinea mitnehme, damit sie mit mir in anderen Gebieten außerhalb des eigenen Dorfes arbeiten, pflücken sie ständig die Pflanzen der Gegend, fragen die Einheimischen nach ihrem Nutzen und wählen einige Exemplare aus, um sie mit nach Hause zu nehmen und sie dort anzupflanzen. Auf diese Weise dürfte irgendjemand vor 1200 Jahren auch die Kasuarinenkeimlinge an einem Fluss bemerkt haben; er brachte sie wie viele andere Pflanzen zum Ausprobieren mit nach Hause, stellte fest, dass sie auf dem Acker nützliche Wirkungen haben - und nachdem andere die Kasuarinen auf seinem Feld beobachtet hatten, versuchten sie selbst mit den Keimlingen ihr Glück.

Neben den Problemen mit Holzversorgung und Bodenfruchtbarkeit mussten die Hochlandbewohner in Neuguinea auch mit dem zunehmenden Bevölkerungswachstum fertig werden. Die Zunahme der Einwohnerzahl wurde mit Methoden abgemildert, an die viele meiner einheimischen Freunde sich aus ihrer Kindheit noch erinnern können: insbesondere durch Krieg, Kindesmord, Empfängnisverhütung und Abtreibung mit pflanzlichen Mitteln sowie sexuelle Enthaltsamkeit und natürliche Unfruchtbarkeit, die mehrere Jahre andauerte, während ein Baby gestillt wurde. Damit entging die Gesellschaft in Neuguinea dem Schicksal der Osterinsel, Mangarevas, der Maya, der Anasazi und vieler anderer Gesellschaften, die sich durch Waldzerstörung und Bevölkerungswachstum zugrunde richteten. Den Hochlandbewohnern gelang es, vor der Einführung der Landwirtschaft mehrere zehntausend Jahre lang nachhaltig zu wirtschaften, und danach schafften sie es noch einmal 10 000 Jahre trotz aller Klimaveränderungen und trotz menschlicher Eingriffe in die Umwelt, durch die sich die Bedingungen ständig wandelten.

Heute haben es die Menschen in Neuguinea durch den Erfolg des staatlichen Gesundheitswesens, die Einführung neuer Nutzpflanzen und die Beendigung oder Abnahme der kriegerischen Konflikte zwischen den Stämmen erneut mit einer Bevölkerungszunahme zu tun. Sie durch Kindesmord unter Kontrolle zu halten, ist aus gesellschaftlichen Gründen nicht mehr möglich. Aber die Bewohner Neuguineas mussten sich auch in der Vergangenheit bereits an große Veränderungen anpassen, so an das Aussterben der großen Tiere im Pleistozän, das Schmelzen der Gletscher und die Erwärmung am Ende der Eiszeit, die Entwicklung der Landwirtschaft, umfangreiche Waldzerstörung, Vulkanascheregen, El-Nino-Ereignisse, die Einführung der Süßkartoffeln und die Ankunft der Europäer. Werden sie jetzt ebenfalls in der Lage sein, sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen, die sich aus der derzeitigen Bevölkerungsexplosion ergeben?

Einen weiteren Erfolg verzeichnet die Bewirtschaftung von unten nach oben auf Tikopia, einer winzigen, abgelegenen tropischen Insel im Südwestpazifik. Auf ihrer Gesamtfläche von 4,66 Quadratkilometern leben 1200 Menschen, was einer Bevölkerungsdichte von etwa 310 Menschen je Quadratkilometer landwirtschaftlich nutzbarer Fläche entspricht. Für eine traditionelle Gesellschaft mit modernen landwirtschaftlichen Methoden ist das eine hohe Bevölkerungsdichte. Dennoch ist die Insel seit fast 3000 Jahren ununterbrochen besiedelt.

Der Landflecken, der Tikopia am nächsten liegt, ist die noch kleinere (0,37 Quadratkilometer) Insel Anuta, auf der nur 170 Menschen wohnen. Die nächstgelegenen größeren Inseln, Vanua Lava im Vanuatu-Archipel und Vanikoro, das zu den Salomonen gehört, sind 230 Kilometer entfernt und haben ebenfalls nur eine Fläche von jeweils rund 260 Quadratkilometern. Der Anthropologe Raymond Firth, der 1928/29 ein Jahr lang auf Tikopia lebte und die Insel später noch mehrfach besuchte, schrieb: »Wer nicht wirklich auf dieser Insel gelebt hat, kann sich kaum vorstellen, wie stark sie von der übrigen Welt isoliert ist. Sie ist so klein, dass das Meer kaum einmal außer Sicht- oder Hörweite gerät. [Die größte Entfernung von der Inselmitte zur Küste beträgt rund 1200 Meter.] Das Raumgefühl der Einheimischen steht damit in einem eindeutigen Zusammenhang. Es ist für sie nahezu unmöglich, sich eine wirklich große Landmasse vorzustellen ... Einmal fragten mich einige von ihnen ganz ernsthaft: ›Freund, gibt es irgendwo ein Land, wo man das Meer nicht hört?‹ Die räumliche Beschränkung hat noch eine andere, weniger offenkundige Folge. Für alle räumlichen Beschreibungen verwenden sie die Ausdrücke landeinwärts und zum Meer. Eine Axt, die auf dem Fußboden eines Hauses liegt, wird auf diese Weise lokalisiert, und ich habe sogar gehört, wie ein Mann zu einem anderen sagte: ›Auf deiner meerseitigen Wange ist ein Schlammfleck.‹ Tag für Tag, Monat für Monat unterbricht nichts die gerade Linie eines klaren Horizonts, und kein noch so schwacher Dunst verrät, dass es auch anderswo Land gibt.«

Mit den traditionellen kleinen Kanus von Tikopia war die Reise über den offenen, wirbelsturmgeplagten Südwestpazifik zu einer der nächsten Nachbarinseln ein gefährliches Unternehmen, den Inselbewohnern galt sie aber auch als großes Abenteuer. Da die Kanus klein waren und da solche Reisen außerdem nur selten stattfanden, konnte man nur wenige Waren einführen; die einzigen wirtschaftlich bedeutsamen Importe waren Steine zur Herstellung von Werkzeugen und unverheiratete junge Menschen aus Anuta als Ehepartner. Da das Gestein von Tikopia sich für die Werkzeugherstellung nicht eignet (genau wie wir es in Kapitel 3 bereits für Mangareva und Henderson erfahren haben), wurden Obsidian, vulkanisches Glas, Basalt und Flintstein aus Vanua Lava und Vanikoro importiert, und zum Teil stammten diese Steine ihrerseits von noch weiter entfernten Inseln im Bismarck-, Salomonen- und SamoaArchipel. Weitere Importwaren waren Luxusgüter wie Muschelschalen zu Schmuckzwecken, Pfeile und Bogen und (früher) Keramik.

Grundnahrungsmittel in so großen Mengen zu importieren, dass sie nennenswert zur Ernährung der Bewohner von Tikopia beitragen konnten, kam nicht infrage. Insbesondere mussten die Inselbewohner so große Lebensmittelüberschüsse produzieren, dass sie in der alljährlichen Trockenzeit im Mai und Juli sowie nach den Wirbelstürmen, die in unberechenbaren Abständen die Felder zerstörten, nicht hungern mussten. (Tikopia liegt im Zyklongürtel des Pazifiks, in dem durchschnittlich 20 große Wirbelstürme pro Jahrzehnt auftreten.) Um auf Tikopia überleben zu können, mussten die Menschen also 3000 Jahre lang zwei Probleme lösen: Wie kann man zuverlässig Lebensmittel für 1200 Menschen produzieren? Und wie verhindert man, dass die Bevölkerung zu stark anwächst und nicht mehr zu ernähren ist?

Unsere Hauptinformationsquelle über die traditionelle Lebensweise der Bewohner von Tikopia sind die Beobachtungen von Firth, die eine der klassischen Untersuchungen der Anthropologie darstellen. Europäer hatten die Insel zwar bereits 1606 »entdeckt«, wegen ihrer isolierten Lage blieb der europäische Einfluss aber bis ins 19. Jahrhundert hinein sehr gering; die ersten Missionare kamen 1857, und erst nach 1900 wurden die ersten Inselbewohner zum Christentum bekehrt. Deshalb konnte Firth 1928/29 besser als spätere Anthropologen eine Kultur beobachten, die noch viele traditionelle Elemente enthielt, auch wenn sie sich bereits im Wandel befand.

Die nachhaltige Lebensmittelproduktion wird auf Tikopia von einigen ökologischen Faktoren begünstigt, die bereits in Kapitel 2 erörtert wurden, weil die Gesellschaften auf manchen Pazifikinseln ihretwegen nachhaltiger und weniger anfällig für Umweltzerstörungen waren als andere. Gefördert wird die Nachhaltigkeit auf Tikopia durch die hohen Niederschlagsmengen, eine relativ geringe geographische Breite und die Lage in einem Bereich mit starkem Vulkanascheniederschlag (von Vulkanen auf anderen Inseln) sowie starken Niederschlag von Staub aus Asien.

Diese Faktoren sind für die Bewohner von Tikopia ein geographischer Glücksfall: Sie verschaffen ihnen ohne eigenes Zutun günstige Bedingungen. Im Übrigen ist ihr Glück aber dem zuzuschreiben, was sie selbst geleistet haben. Es gibt nicht die Brandrodung, die auf vielen anderen Pazifikinseln üblich ist, sondern praktisch die gesamte Insel wird in kleinem Maßstab im Sinne einer kontinuierlichen, nachhaltigen Lebensmittelproduktion bewirtschaftet. Fast alle Pflanzenarten auf Tikopia werden von den Menschen auf diese oder jene Weise genutzt: Selbst das Gras dient auf den Feldern als Mulch, und wilde Bäume werden in Hungerzeiten als Nahrungsquelle herangezogen.

Wenn man sich der Insel vom Meer aus nähert, scheint sie mit einem hohen, mehrstöckigen, urtümlichen Regenwald bedeckt zu sein, wie er unbewohnte Pazifikinseln überzieht. Erst wenn man gelandet ist und zwischen den Bäumen hindurchgeht, bemerkt man, dass der echte Regenwald sich auf wenige Abschnitte der steilsten Klippen beschränkt, während die ganze übrige Insel der Lebensmittelproduktion dient. Der größte Teil ihrer Fläche ist eine Plantage. Dort stehen als größte Bäume einheimische oder eingeführte Arten, die essbare Nüsse, Früchte oder andere nützliche Produkte liefern; am wichtigsten sind Kokosnüsse, Brotfrüchte und die Sagopalmen mit ihrem stärkehaltigen Mark. Weniger zahlreich, aber ebenfalls wertvolle, große Bäume sind die einheimische Mandel Canarium harveyi, die Nüsse tragende Burckella ovata, die Tahiti-Kastanie Inocarpus fagiferus, die pazifische Spezies Barringtonia procera und die tropische Mandel Terminalia catappa. Zu den kleineren Bäumen im mittleren Waldstockwerk gehören die Betelpalme mit ihren betäubungsmittelhaltigen Nüssen, die Cythera-Pflaume Spondias dulcis und der mittelgroße Mamibaum Antiaris toxicara, der gut in die Plantage passt und dessen Rinde anstelle des auf anderen polynesischen Inseln gebräuchlichen Papiermaulbeerbaumes zur Herstellung von Kleidung benutzt wurde. Das Unterholz unter den drei Baumstockwerken ist eigentlich ein üppiger Garten mit Yamswurzeln, Bananen und der Riesen-Sumpftaro Cyrtosperma chamissonis, deren Sorten in ihrer Mehrzahl nur in Sümpfen gedeihen; auf Tikopia kommt jedoch eine Zuchtsorte zum Einsatz, die speziell an die trockeneren Verhältnisse in den gut entwässerten Hanglagen der Plantagen angepasst wurde. Die ganze mehrstöckige Plantage ist im gesamten Pazifikraum einzigartig: Sie ahmt in ihrem Aufbau einen Regenwald nach, nur sind alle ihre Pflanzen essbar, während die meisten Arten des Regenwaldes sich nicht als Nahrung eignen.

Neben diesen umfangreichen Plantagen gibt es zweierlei kleine Gebiete, die offen und baumlos sind, aber ebenfalls der Lebensmittelproduktion dienen. Das eine ist ein kleiner Süßwassersumpf; hier gedeiht nicht die besondere, an Trockenheit angepasste Form des Riesen-Sumpftaro, die an den Abhängen angebaut wird, sondern die normale Feuchtgebietsform. Und zweitens dienen Felder mit kurzen Brachzeiten der arbeitsintensiven, nahezu ununterbrochenen Produktion von drei Knollenpflanzen: Taro, Yamswurzeln und heute der aus Südamerika eingeführten Maniok, die zum größten Teil an die Stelle der einheimischen Yamswurzel getreten ist. Diese Felder erfordern einen fast ständigen Arbeitsaufwand wie das Jäten von Unkraut, und sie müssen mit Gras und Gestrüpp aufgelockert werden, damit die Nutzpflanzen nicht austrocknen.

Die Hauptprodukte dieser Plantagen, Sümpfe und Felder sind stärkehaltige pflanzliche Lebensmittel. Haustiere, die größer sind als Hühner oder Hunde, gibt es auf Tikopia nicht. Als Proteinlieferanten nutzen die Bewohner deshalb traditionell in geringem Umfang Enten und Fische aus dem einzigen Brackwassersee der Insel, den Hauptanteil stellten aber Fische und Schalentiere aus dem Meer. Eine nachhaltige Nutzung der Meereslebewesen wurde durch Tabus gesichert, die von den Häuptlingen aufgestellt wurden: Fische zu fangen oder zu essen, war nur mit ihrer Erlaubnis gestattet; diese Regeln verhinderten eine Überfischung.

Dennoch mussten die Tikopier auf zwei Reservelebensmittel zurückgreifen, um die alljährliche Trockenzeit mit ihrer geringen Pflanzenproduktion und die gelegentlichen Zerstörungen von Plantagen und Feldern durch Wirbelstürme zu überstehen. Erstens wurden überschüssige Brotfrüchte in Gruben vergoren und blieben auf diese Weise als stärkehaltige Paste zwei bis drei Jahre lagerfähig. Und zweitens nutzte man die kleinen verbliebenen Regenwaldreste: Dort wurden Früchte, Nüsse und andere Pflanzenteile geerntet, die als Lebensmittel nicht sonderlich beliebt waren, die Menschen aber im Ernstfall vor dem Hunger bewahren konnten. Als ich 1976 eine andere polynesische Insel namens Rennell besuchte, fragte ich die dortigen Bewohner, welche Früchte von den paar Dutzend Baumarten auf der Insel essbar seien. Darauf erhielt ich drei Antworten: Man erklärte mir, manche Bäume hätten »essbare« Früchte, und die Früchte anderer Bäume seien »ungenießbar«; die Bäume einer dritten Kategorie jedoch hatten Früchte, »die nur zur Zeit der hungi kenge gegessen werden«. Von hungi kenge hatte ich noch nie gehört, also fragte ich nach. Man sagte mir, es sei der Name des größten Wirbelsturmes seit Menschengedenken; er hatte 1910 die Felder auf Rennell zerstört und die Menschen an den Rand des Hungertodes gebracht, und gerettet hatten sie sich nur dadurch, dass sie Früchte aus dem Wald verzehrten, die sie nicht besonders mochten und normalerweise nicht essen würden. Auf Tikopia mit seinen durchschnittlich zwei Wirbelstürmen pro Jahr müssen solche Früchte noch wichtiger gewesen sein als auf Rennell.

Auf diese Weise sichern sich die Bewohner von Tikopia also eine nachhaltige Nahrungsversorgung. Die zweite Voraussetzung für eine nachhaltige Besiedelung ist eine stabile, nicht mehr wachsende Bevölkerung. Als Firth die Insel 1928/29 besuchte, zählte er 1278 Einwohner. Von 1929 bis 1954 nahm die Bevölkerung pro Jahr um 1,4 Prozent zu, eine bescheidene Steigerungsrate, die in den Generationen nach der Erstbesiedelung Tikopias vor rund 3000 Jahren sicher größer war. Aber selbst wenn man annimmt, dass die Einwohnerzahl auch zu Beginn nur um 1,4 Prozent im Jahr wuchs und dass die Erstbesiedelung durch ein Kanu mit 25 Personen erfolgte, hätte die Bevölkerungszahl der 4,7 Quadratkilometer großen Insel nach 1000 Jahren auf absurde 25 Millionen Menschen und bis 1929 auf 25 Millionen Billionen ansteigen müssen. So etwas ist natürlich unmöglich: Die Bevölkerung kann nicht ständig mit der genannten Geschwindigkeit gewachsen sein, sonst wäre die neuzeitliche Zahl von 1278 Menschen bereits 283 Jahre nach Ankunft der ersten Menschen erreicht gewesen. Wie wurde die Einwohnerzahl von Tikopia nach 283 Jahren konstant gehalten?

Als Firth 1929 auf der Insel war, lernte er sechs Methoden zur Bevölkerungskontrolle kennen, die noch in Gebrauch waren, und eine siebte hatte man früher praktiziert. Auch heute erklären die Bewohner von Tikopia ausdrücklich, dass sie Empfängnisverhütung und andere Maßnahmen ergreifen, damit die Insel nicht übervölkert wird und damit alle Kinder der Familie von ihrem Grundbesitz leben können. Die Häuptlinge von Tikopia vollziehen beispielsweise jedes Jahr ein Ritual, in dem sie das Ideal eines Bevölkerungs-Nullwachstums predigen. Auf Tikopia halten Eltern es für unvertretbar, selbst weiterhin Kinder in die Welt zu setzen, wenn ihr ältester Sohn das heiratsfähige Alter erreicht hat, und niemand will mehr als eine bestimmte Zahl von Kindern haben, die unterschiedlich mit vier Kindern, ein Junge und ein Mädchen oder ein Junge und zwei Mädchen angegeben wird.

Die einfachste der sieben traditionellen Methoden, mit denen die Bevölkerung auf Tikopia reguliert wurde, war die Empfängnisverhütung durch Coitus interruptus. Eine Zweite war die Abtreibung: Dazu drückte man einer hochschwangeren Frau heftig auf den Bauch, oder man legte heiße Steine darauf. Eine weitere Methode war der Kindesmord: Babys wurden lebendig begraben, erstickt oder auf das Gesicht gelegt. Die jüngeren Söhne ärmerer Familien lebten enthaltsam, und ein großer Teil der überzähligen heiratsfähigen Frauen ging keine polygamen Ehen ein, sondern blieb ebenfalls ohne Partner. (»Enthaltsamkeit« bedeutet auf Tikopia, dass man keine Kinder bekommt; Sex mit Coitus interruptus sowie nötigenfalls Abtreibung oder Kindesmord sind dabei nicht ausgeschlossen.) Eine weitere Methode war der Selbstmord: Man kennt aus der Zeit zwischen 1929 und 1952 sieben Fälle (sechs Männer und eine Frau), in denen er durch Erhängen verübt wurde, und zwölf Fälle, bei denen die Betreffenden auf das Meer hinausschwammen (ausschließlich Frauen). Viel verbreiteter als dieser direkte Selbstmord war der Antritt einer gefährlichen Seereise, was einer Selbsttötung gleichkommt: Solche Unternehmungen kosteten zwischen 1929 und 1952 insgesamt 81 Männer und drei Frauen das Leben und waren die Ursache für ein Drittel aller Todesfälle bei unverheirateten jungen Männern. Ob eine Seereise einen Selbstmord oder nur Unvorsichtigkeit darstellte, ist sicher von Fall zu Fall unterschiedlich zu bewerten, aber die düsteren Aussichten, die während einer Hungersnot für die jüngeren Söhne armer Familien auf einer übervölkerten Insel bestanden, spielten dabei sicher eine Rolle. Firth erfuhr beispielsweise 1929, ein Mann aus Tikopia namens Pa Nukumara, der jüngere Bruder eines damals noch lebenden Häuptlings, sei während einer schweren Dürre und Hungersnot mit zwei seiner Söhne auf das Meer hinausgefahren und habe dabei ausdrücklich die Absicht geäußert, lieber schnell zu sterben als an Land langsam zu verhungern.

Die siebte Methode der Bevölkerungssteuerung wurde bei Firth’ Besuch nicht mehr praktiziert, er erfuhr davon aber durch mündliche Überlieferung. Nach den Berichten über die Zahl der seither verstrichenen Generationen verwandelte sich eine frühere große Salzwasserbucht auf Tikopia irgendwann im 17. oder frühen 18. Jahrhundert in den heutigen großen Brackwassersee, weil der Eingang von einer Sandbank verschlossen wurde. Dies führte dazu, dass die großen Muschelbänke in der Bucht abstarben und die Fischbestände zurückgingen; die Folge war eine Hungersnot bei der Sippe Nga Ariki, die zu jener Zeit den betreffenden Teil Tikopias bewohnte. Daraufhin griffen die Hungernden die Sippe Nga Ravenga an, rotteten sie aus und sicherten sich damit selbst einen größeren Teil des Landes und der Küste. Eine oder zwei Generationen später attackierten die Nga Ariki auch die verbliebene Großfamilie, die Nga Faea, die aber nicht an Land die Ermordung abwartete, sondern mit Kanus auf das Meer flüchtete und damit praktisch Selbstmord beging. Diese mündlichen Überlieferungen werden durch archäologische Belege bestätigt.

Die meisten dieser sieben Methoden, mit denen die Bevölkerung von Tikopia konstant gehalten wurde, sind unter dem europäischen Einfluss im Lauf des 20. Jahrhunderts verschwunden oder befinden sich im Rückgang. Die britische Kolonialregierung der Salomonen verbot Seereisen und Kriegsführung, und die christlichen Missionare predigten gegen Abtreibung, Kindestötung und Selbstmord. Dies hatte zur Folge, dass die Bevölkerung Tikopias zwischen 1929 und 1952 von 1278 auf 1753 Menschen anwuchs, aber dann zerstörten zwei heftige Wirbelstürme innerhalb von 13 Monaten die Hälfte aller Nutzpflanzen auf der Insel und verursachten eine allgemeine Hungersnot. Daraufhin schickte die britische Kolonialregierung Lebensmittel, und das langfristige Problem versuchte sie zu lösen, indem sie den Bewohnern gestattete und sie sogar aufforderte, die Überbevölkerung durch Umsiedlung auf weniger stark besiedelte Salomoneninseln zu vermindern. Heute begrenzen die Häuptlinge von Tikopia die Zahl der Menschen, die auf der Insel leben dürfen, auf 1115; dies entspricht ungefähr der Bevölkerungszahl, die traditionell durch Kindestötung, Selbstmord und andere heute nicht mehr hinnehmbare Methoden aufrechterhalten wurde.

Wie und wann entstand auf Tikopia die bemerkenswerte, nachhaltige Wirtschaft? Wie wir aus archäologischen Ausgrabungen von Patrick Kirch und Douglas Yen wissen, wurde sie nicht auf einmal erfunden, sondern sie entwickelte sich im Lauf von fast 3000 Jahren. Die Insel wurde erstmals um 900 v. Chr. von Lapita-Menschen besiedelt, den Vorfahren der heutigen Polynesier (siehe Kapitel 2). Diese ersten Siedler schädigten die Umwelt auf der Insel stark. Holzkohlereste an archäologischen Fundstätten zeigen, dass sie die Wälder durch Abbrennen beseitigten. Sie taten sich an den Brutkolonien von Seevögeln, Landvögeln und Fledermäusen gütlich, verzehrten aber auch Fische, Muscheln und Meeresschildkröten. Nach tausend Jahren waren die Bestände von fünf Vögelarten (Abbott-Tölpel, Audubon-Sturmtaucher, Bindenralle, Gemeines Großfußhuhn und Rußseeschwalbe) auf Tikopia ausgerottet, später kam noch der Rotfußtölpel hinzu. Wie man an Ausgrabungen von Abfallhaufen außerdem feststellen kann, verschwanden auch die Fledermäuse in diesem ersten Jahrtausend praktisch völlig, die Zahl der Fisch- und Vogelknochen nahm um das Dreifache zu, Muscheln gingen um den Faktor 10 zurück, und auch die maximale Größe von Riesenmuscheln und Turbanschnecken sank (vermutlich weil die Menschen bevorzugt die größten Exemplare einsammelten).

Um 100 v. Chr. als die ursprünglichen Nahrungsquellen verschwunden oder erschöpft waren, trat allmählich ein wirtschaftlicher Wandel ein. Im Lauf der nächsten tausend Jahre sammelte sich keine weitere Holzkohle mehr an, und an den archäologischen Fundstätten tauchen die Überreste der einheimischen Mandeln (Canarium harveyi) auf, ein Hinweis, dass die Inselbewohner die Brandrodung aufgaben und stattdessen Plantagen mit Nussbäumen unterhielten. Um den drastischen Rückgang von Vögeln und Meerestieren auszugleichen, wechselten die Menschen zu einer intensiven Schweinehaltung, die nun fast die Hälfte der gesamten Nahrungsproteine lieferte. Eine abrupte Veränderung von Wirtschaft und Werkzeugen um 1200 n. Chr. kennzeichnet die Ankunft der Polynesier aus dem Osten, wo sich im Bereich der Fiji-, Samoa- und Tongainseln unter den Nachkommen der Lapita-Wanderung, durch die auch Tikopia anfangs besiedelt worden war, deutlich andere kulturelle Merkmale herausgebildet hatten. Mit diesen Polynesiern kam die Methode, Brotfrüchte in Gruben vergären zu lassen und aufzubewahren, auf die Insel.

Eine folgenschwere Entscheidung wurde um das Jahr 1600 ganz bewusst getroffen und ist sowohl in der mündlichen Überlieferung erhalten geblieben als auch archäologisch belegt: Auf der Insel wurden sämtliche Schweine getötet, und an ihre Stelle traten als Proteinlieferanten größere Mengen von Fischen, Schalentieren und Schildkröten. Nach den Berichten der Bewohner von Tikopia hatten ihre Vorfahren sich zu diesem Schritt entschlossen, weil die Schweine immer wieder über Felder herfielen und sie durchwühlten, mit den Menschen um Nahrung konkurrierten und eine ineffiziente Nahrungsmittelquelle darstellen (ungefähr 10 Kilo essbares Gemüse sind notwendig, um ein Kilo Schweinefleisch zu erzeugen), sodass sie bereits zu einem Luxuslebensmittel für die Häuptlinge geworden waren. Mit der Beseitigung der Schweine und der Umwandlung der Bucht in einen Brackwassersee, die ungefähr zur gleichen Zeit stattfand, nahm die Wirtschaft von Tikopia im Wesentlichen die Form an, die sie bis zur Besiedlung durch die ersten Europäer Anfang des 19. Jahrhunderts beibehielt. Als sich Anfang des 20. Jahrhunderts der Einfluss von Kolonialregierung und christlicher Mission bemerkbar machte, hatten die Bewohner von Tikopia sich also durch geschickte Bewirtschaftung ihres abgelegenen kleinen Fleckchens Land bereits seit drei Jahrtausenden selbst versorgt.

Heute gliedert sich die Bevölkerung der Insel in vier Sippen oder Großfamilien; an der Spitze steht jeweils ein Häuptling, der sein Amt erbt und mehr Macht hat als die »großen Männer« im Hochland von Neuguinea. Dennoch eignet sich die Metapher »von unten nach oben« für die wirtschaftliche Entwicklung von Tikopia besser als das Bild »von oben nach unten«. Zu Fuß kann man die Insel an der Küste in weniger als einem halben Tag umrunden, sodass jedem Bewohner das gesamte Eiland vertraut ist. Die Bevölkerung ist so klein, dass jeder Bewohner auch alle anderen Menschen gut kennt. Jedes Stück Land hat einen Namen und gehört in väterlicher Linie einer Gruppe von Verwandten, aber jedes Haus besitzt auch Landstücke in verschiedenen Teilen der Insel. Wird ein Feld derzeit nicht genutzt, kann jeder dort vorübergehend Pflanzen anbauen, ohne dass er den Eigentümer um Erlaubnis fragen müsste. Jeder kann an jedem Riff Fische fangen, auch wenn er sich dabei unmittelbar vor der Haustür eines anderen befindet. Wirbelstürme oder Dürreperioden betreffen die ganze Insel. Obwohl die Bewohner Tikopias unterschiedlichen Sippen angehören und obwohl diesen Gruppen unterschiedlich viel Land gehört, stehen alle vor den gleichen Problemen, und alle sind den gleichen Gefahren ausgesetzt. Die isolierte Lage und die geringe Größe der Insel verlangten seit ihrer Besiedelung stets gemeinsame Entscheidungen. Seinem ersten Buch gab der Anthropologe Raymond Firth den Titel We, the Tikopia (»Wir, die Tikopia«), weil er diese Formulierung (»Matou nga Tikopia«) von den Bewohnern häufig gehört hatte, wenn sie ihm ihre Gesellschaft erklärten.

Die Häuptlinge der Insel sind die Oberaufseher über Land und Kanus der Sippen, und sie verteilen auch die Mittel. Aber nach den Maßstäben Polynesiens ist Tikopia eine der am wenigsten in Schichten gegliederten Gesellschaften mit den schwächsten Häuptlingen. Diese und ihre Familien produzieren ebenso wie ihre Untertanen eigene Lebensmittel und bestellen ihre eigenen Felder und Plantagen. Oder, wie Firth es formulierte: »Letztlich ist die Produktionsmethode durch die soziale Tradition vorgegeben, in welcher der Häuptling nur der wichtigste Handelnde und Dolmetscher ist. Er und seine Leute teilen die gleichen Werte: eine Ideologie der Verwandtschaft, der Rituale und Moral, verstärkt durch Legenden und Mythologie. Der Häuptling ist in einem beträchtlichen Maße ein Bewahrer dieser Tradition, aber damit steht er nicht allein. Seine Familienältesten, seine Mithäuptlinge, die Menschen seiner Sippe und sogar die Mitglieder seiner Familie, alle sind von den gleichen Werte durchdrungen, geben ihm Ratschläge und kritisieren seine Handlungen.« Die Funktion der Häuptlinge von Tikopia stellt also weniger eine Bewirtschaftung von oben nach unten dar als bei den Führern der letzten Gesellschaft, die wir im Folgenden erörtern wollen.

Unsere zweite Erfolgsgeschichte ähnelt der von Tikopia insofern, als es auch hier um eine Gesellschaft auf einer dicht bevölkerten Insel geht, die von der Außenwelt isoliert war, nur wenige wirtschaftlich bedeutsame Waren importierte und eine lange Vergangenheit mit einer autarken, nachhaltigen Lebensweise vorweisen kann. Aber damit sind die Ähnlichkeiten auch zu Ende: Diese Insel hat eine Bevölkerung, die 100 000-mal größer ist als die von Tikopia, sie besitzt eine mächtige Zentralregierung, eine industriell geprägte Wirtschaft, eine Gesellschaft mit starker Schichtenstruktur und einer reichen, mächtigen Elite an der Spitze. Initiativen, die von oben nach unten verlaufen, spielen hier für die Lösung von Umweltproblemen eine große Rolle. Es handelt sich um lapan vor 1868.

Japans lange Geschichte einer wissenschaftlich begründeten Waldbewirtschaftung ist in Europa und Amerika kaum bekannt. Die professionellen Forstexperten sind vielmehr der Ansicht, die heute allgemein verbreiteten Methoden der Waldbewirtschaftung hätten sich ursprünglich in den deutschen Fürstentümern des 16. Jahrhunderts entwickelt und sich von dort im 18. und 19. Jahrhundert auf große Teile des übrigen Europas verbreitet. Deshalb ist die Waldfläche in Europa, die seit den Anfängen der Landwirtschaft vor 9000 Jahren stetig abgenommen hatte, ungefähr seit 1800 wieder gewachsen. Als ich 1959 zum ersten Mal in Deutschland war, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass fast das ganze Land von ordentlich bewirtschafteten Wäldern bedeckt war - zuvor hatte ich mir Deutschland als industrialisiertes, bevölkerungsreiches, urbanes Land vorgestellt.

In Wirklichkeit entwickelte sich aber in Japan unabhängig von Deutschland zur gleichen Zeit eine ähnliche, von oben nach unten organisierte Waldbewirtschaftung. Auch das ist eine Überraschung, denn Japan ist wie Deutschland industrialisiert, bevölkerungsreich und urban. Es hat mit fast 400 Menschen je Quadratkilometer seiner Gesamtfläche oder knapp 2000 Menschen je Quadratkilometer landwirtschaftlicher Nutzfläche die höchste Bevölkerungsdichte aller großen Industrieländer. Dennoch handelt es sich bei 80 Prozent der Fläche Japans um dünn besiedelte, bewaldete Gebirgsregionen, während sich die meisten Menschen und der größte Teil der Landwirtschaft in den Ebenen zusammendrängen, die nur ein Fünftel des Staatsgebietes ausmachen. Die Wälder werden so gut geschützt und bewirtschaftet, dass ihre Fläche immer noch zunimmt, obwohl sie als Quelle für wertvolles Holz genutzt werden. Wegen dieser Wälder bezeichnen die Japaner ihren Inselstaat häufig als »grünen Archipel«. Auf den ersten Blick ähnelt die grüne Decke zwar einem urtümlichen Wald, in Wirklichkeit wurden aber die meisten ursprünglichen Wälder in Japan bereits vor über 300 Jahren abgeholzt, und an ihre Stelle traten aufgeforstete Flächen und Plantagen, die ebenso streng und in kleinem Maßstab bewirtschaftet werden wie in Deutschland und auf Tikopia.

Die japanischen Forstmethoden entwickelten sich als Reaktion auf eine Umwelt- und Bevölkerungskrise, die paradoxerweise durch Frieden und Wohlstand entstand. Nach 1467 wurde Japan fast 150 Jahre lang von Bürgerkriegen heimgesucht: Die herrschende Koalition mächtiger Familien, die nach einem früheren Verfall der kaiserlichen Macht entstanden war, brach zusammen, und die Macht ging an ein Dutzend selbständige Kriegsherren (daimyo) über, die gegeneinander kämpften. Der Krieg endete schließlich mit dem Sieg eines Herrschers namens Toyotomi Hideyoshi und seines Nachfolgers Tokugawa Ieyasu. Im Jahr 1615 stürmte Ieyasu die Festung der Familie Toyotomi in Osaka, und die verbliebenen Toyotomis begingen Selbstmord; damit war der Krieg zu Ende.

Schon 1603 hatte der Kaiser an Ieyasu den erblichen Titel eines shogun verliehen, des Führers eines Kriegerstandes. Von da an übte der shogun, der in seiner Hauptstadt Edo (dem heutigen Tokio) ansässig war, die eigentliche Macht aus, und der Kaiser in der alten Hauptstadt Kyoto war nur noch eine Galionsfigur. Ein Viertel der Fläche Japans wurde unmittelbar vom shogun verwaltet, die restlichen drei Viertel unterstanden den 250 daimyo, die vom shogun mit harter Hand beherrscht wurden. Militärische Gewalt wurde zu einem Monopol des shogun. Die daimyo konnten sich gegenseitig nicht mehr bekämpfen, und sogar zum Heiraten, zum Umbau ihrer Schlösser oder wenn sie ihr Eigentum an einen Sohn vererben wollten, brauchten sie die Genehmigung des shogun. Die Zeit von 1603 bis 1867 wird in Japan als Tokugawa-Zeit bezeichnet, weil eine Reihe von Tokugawashoguns das Land in dieser Periode von Krieg und ausländischen Einflüssen frei hielten.

Frieden und Wohlstand führten dazu, dass Bevölkerung und Wirtschaft in Japan explosionsartig wuchsen. Hundert Jahre nach dem Kriegsende hatte sich die Bevölkerung verdoppelt. Dafür war ein glückliches Zusammentreffen mehrerer Faktoren verantwortlich: Frieden, relativ geringer Einfluss von Krankheitsepidemien, die Europa zur gleichen Zeit heimsuchten (aufgrund des Verbots, ins Ausland zu reisen oder Besucher zu empfangen), und steigende landwirtschaftliche Erträge durch die Einführung zweier produktiver neuer Nutzpflanzen (Kartoffeln und Süßkartoffeln), Trockenlegung von Sümpfen, verbesserte Kontrolle von Überschwemmungen und zunehmende Produktion auf bewässerten Reisfeldern. Auf diese Weise wuchs die Bevölkerung insgesamt, noch schneller aber wuchsen die Städte, bis Edo 1720 schließlich die bevölkerungsreichste Stadt der Welt war. Der Frieden und eine starke Zentralregierung führten dazu, dass sich in ganz Japan eine einheitliche Währung und ein einheitliches System von Maßen und Gewichten durchsetzte, Zölle wurden abgeschafft, Straßen wurden gebaut, und die Küstenschifffahrt verstärkte sich; das alles trug dazu bei, dass es innerhalb Japans zu einem Handelsboom kam.

Dagegen wurde der Handel zwischen Japan und der übrigen Welt fast völlig eingestellt. Portugiesische Seeleute, die auf Handel und Eroberung aus waren, hatten 1498 Afrika umrundet und Indien erreicht; 1512 kamen sie auf die Molukken, 1514 nach China und 1543 nach Japan. Die ersten europäischen Besucher in Japan waren zwei schiffbrüchige Seeleute, aber schon sie lösten beunruhigende Veränderungen aus, weil sie Feuerwaffen einführten, und noch größer war der Wandel, als ihnen sechs Jahre später die ersten katholischen Missionare folgten. Hunderttausende von Japanern, darunter auch einige daimyo, wurden zum Christentum bekehrt. Leider aber traten nun Missionare der Jesuiten und Franziskaner untereinander in Konkurrenz, und es machte sich das Gerücht breit, die Geistlichen wollten Japan christianisieren, um auf diese Weise eine europäische Eroberung vorzubereiten.

Im Jahr 1597 ließ Toyotomi Hideyoshi die erste Gruppe von 26 christlichen Märtyrern kreuzigen. Als christliche daimyo anschließend versuchten, Regierungsbeamte zu bestechen oder umzubringen, gelangte der shogun Tokugawa leyasu zu dem Schluss, Europäer und Christentum seien eine Bedrohung für den Bestand der shogun-Herrschaft und für Japan insgesamt. (Betrachtet man rückblickend, welche militärischen Interventionen der Europäer auf die Ankunft scheinbar harmloser Kaufleute und Missionare in China, Indien und vielen anderen Ländern folgten, hatte leyasu damit eine echte Gefahr erkannt.) Im Jahr 1614 verbot leyasu das Christentum; Missionare und die von ihnen Bekehrten, die ihrer Religion nicht abschwören wollten, wurden gefoltert und hingerichtet. Ein späterer shogun ging 1635 noch weiter: Er verbot den Japanern, nach Übersee zu reisen, und japanische Schiffe durften die Küstengewässer des Landes nicht mehr verlassen. Vier Jahre später vertrieb er alle verbliebenen Portugiesen aus dem Inselreich.

In der nun folgenden, mehr als 200 Jahre langen Periode schottete sich Japan von der übrigen Welt fast völlig ab. In den Gründen spiegelt sich weniger das Verhältnis zu Europa als vielmehr die Beziehung zu China und Korea wider. Als einzige Ausländer wurden wenige niederländische Kaufleute zugelassen (die katholikenfeindlich waren und deshalb als weniger gefährlich galten als die Portugiesen), und auch sie isolierte man wie gefährliche Krankheitserreger auf einer Insel im Hafen von Nagasaki, wo es auch eine ähnliche chinesische Enklave gab. Ansonsten war Außenhandel nur noch mit Korea auf der Insel Tushima gestattet, die zwischen Korea und Japan liegt, sowie mit den Ryuku-Inseln (einschließlich Okinawa) im Süden und der Ainu-Urbevölkerung auf der Insel Hokkaido im Norden (die damals im Gegensatz zu heute noch nicht zu Japan gehörte). Von solchen Kontakten abgesehen, unterhielt Japan mit dem Ausland keine diplomatischen Beziehungen, noch nicht einmal mit China. Mit Ausnahme von Hideyoshi, der nach 1590 zweimal vergeblich eine Invasion in Korea versuchte, bemühte Japan sich auch nicht um Eroberungen im Ausland.

In diesen Jahrhunderten der Isolation konnte Japan fast alle Bedürfnisse aus eigener Kraft befriedigen; insbesondere war es praktisch autark in seiner Versorgung mit Lebensmitteln, Holz und den meisten Metallen. Importe beschränkten sich im Wesentlichen auf Zucker und Gewürze, Ginseng, Arzneimittel und Quecksilber, jährlich 160 Tonnen Luxushölzer, chinesische Seide, Hirschfelle und andere Tierhäute zur Herstellung von Leder (in Japan selbst wurden nur wenige Rinder gehalten) sowie Blei und Salpeter zur Herstellung von Schießpulver. Selbst die Menge dieser Importwaren nahm im Lauf der Zeit ab, weil die einheimische Seiden- und Zuckerproduktion wuchs, während Feuerwaffen nur noch beschränkt erlaubt waren und dann praktisch völlig abgeschafft wurden. Dieser bemerkenswerte Zustand der Selbstversorgung und der selbst auferlegten Isolation blieb bestehen, bis 1853 eine amerikanische Flotte unter dem Commodore Perry eintraf und verlangte, Japan solle seine Häfen öffnen und Brennstoffe sowie Proviant an amerikanische Walfänger und Handelsschiffe liefern. Als sich dann herausstellte, dass die Tokugawa-shoguns ihr Land nicht mehr vor den Barbaren mit ihren Feuerwaffen schützen konnten, brach ihre Herrschaft 1868 zusammen, und nun entwickelte sich Japan bemerkenswert schnell von einer isolierten, semifeudalen Gesellschaft zu einem modernen Staat.

In der Umwelt- und Bevölkerungskrise, die im 17. Jahrhundert durch Frieden und Wohlstand ausbrach, war die Waldzerstörung ein wichtiger Faktor, denn zu jener Zeit schoss der Holzverbrauch (der fast ausschließlich aus einheimischer Produktion befriedigt wurde) in die Höhe. Bis Ende des 19. Jahrhunderts bestanden die meisten Gebäude in Japan aus Holz und nicht wie in vielen anderen Ländern aus Steinen, Backstein, Zement, Lehm oder Fliesen. Diese traditionelle Holzbauweise hatte mit der ästhetischen Vorliebe der Japaner für Holz zu tun, teilweise aber spiegelt sich darin auch die Tatsache wider, dass Bäume in der Frühgeschichte Japans immer leicht verfügbar waren. Mit Frieden und Wohlstand wuchs auch der Holzbedarf der immer zahlreicheren Bevölkerung in Stadt und Land. Vorreiter waren dabei seit ungefähr 1570 Hideyoshi, sein Nachfolger, der shogun Ieyasu, und viele daimyo: Sie schwelgten in Selbstbestätigung und versuchten einander durch den Bau gewaltiger Schlösser und Tempel zu beeindrucken. Allein die drei größten Schlösser, die Ieyasu errichtete, erforderten die Abholzung von rund 25 Quadratkilometern Wald. Unter Hideyoshi, Ieyasu und dem nächsten shogun entstanden ungefähr 200 kleine und große Städte mit Schlössern. Nach Ieyasus Tod wurde für den Städtebau mehr Holz gebraucht als für die Errichtung herrschaftlicher Baudenkmäler, und da die Städte mit ihren strohgedeckten, dicht nebeneinander stehenden, mit Holz beheizten Holzhäusern häufig abbrannten, mussten sie immer wieder aufgebaut werden. Bei dem größten derartigen Brand, dem Feuer von Meireki, wurde 1657 die halbe Hauptstadt Edo zerstört, und 100 000 Menschen kamen ums Leben. Zu einem großen Teil wurde das Holz mit Küstenschiffen zu den Städten transportiert, und da die Schiffe ebenfalls aus Holz gebaut wurden, wuchs der Bedarf noch weiter. Weitere hölzerne Schiffe wurden gebraucht, um Hideyoshis Streitkräfte bei seinem erfolglosen Versuch, Korea zu erobern, über die Straße von Korea zu transportieren.

Der Bedarf an Bauholz war nicht die einzige Triebkraft der Waldzerstörung. Holz diente auch als Brennstoff zur Beheizung der Häuser, zum Kochen und für industrielle Zwecke wie zur Herstellung von Salz, Fliesen und Keramik. Es wurde zu Holzkohle verbrannt, mit der man die noch heißeren Feuer zum Schmelzen von Eisen anheizte. Japans wachsende Bevölkerung brauchte mehr Lebensmittel, und entsprechend wurden mehr Waldgebiete zu landwirtschaftlichen Zwecken gerodet. Die Bauern düngten ihre Felder mit »grünem Dünger« (das heißt mit Blättern, Baumrinde und Zweigen), Ochsen und Pferde wurden mit Buschwerk und Gras gefüttert, das man aus den Wäldern holte. Fünf bis zehn Hektar Wald wurden gebraucht, um den grünen Dünger für einen Hektar Ackerland zu gewinnen. Bis zum Ende der Bürgerkriege im Jahr 1615 holten die verfeindeten Armeen von daimyo und shogun aus den Wäldern das Futter für ihre Pferde sowie den Bambus für Waffen und Befestigungszäune. Und in Waldgebieten lieferten die daimyo ihren jährlichen Tribut an den shogun in Form von Holz ab.

Zwischen 1570 und 1650 erreichten der Bauboom und damit auch die Waldzerstörung ihren Höhepunkt; als dann das Holz knapp wurde, verlangsamte sich beides. Zunächst wurde das Holz auf unmittelbaren Befehl des shogun oder daimyo geschlagen, oder die Bauern fällten es je nach ihrem eigenen Bedarf; um 1660 jedoch ging die Holzgewinnung von staatlichen Stellen an Privatunternehmen über. Als beispielsweise in Edo wieder ainmal ein Brand ausbrach, erkannte einer der berühmtesten privaten Holzunternehmer, der Kaufmann Kinokuniya Bunzaemon, dass die Nachfrage nach Holz nun wieder steigen würde. Noch bevor das Feuer gelöscht war, machte er sich mit einem Schiff auf den Weg, um im Distrikt Kiso große Mengen Holz einzukaufen und sie in Edo mit gewaltigem Gewinn weiterzuveräußern.

Als erster Teil Japans wurde das Kinai-Becken auf Honshu, der größten Insel des Reiches, bereits um das Jahr 800 entwaldet; heute liegen dort wichtige Städte wie Osaka und Kyoto. Um das Jahr 1000 hatte sich die Waldzerstörung auch auf der kleineren Nachbarinsel Shikoku fortgesetzt. Um 1550 war ungefähr ein Viertel der Gesamtfläche Japans (immer noch vor allem der mittlere Teil von Honshu und der Osten von Shikoku) abgeholzt, in anderen Teilen des Landes gab es aber noch viele alte Wälder.

Hideyoshi brauchte 1582 als erster Herrscher Holzlieferungen aus ganz Japan, denn für seine umfangreichen Bauvorhaben reichten die Mengen, die er auf seinem eigenen Besitz gewinnen konnte, nicht mehr aus. Er verschaffte sich die Herrschaft über einige besonders wertvolle Wälder und forderte von jedem daimyo eine bestimmte jährliche Holzmenge als Tribut. Neben den Wäldern, die shogun und daimyo für sich selbst beanspruchten, erhoben sie auch Anspruch auf alle wertvollen Bäume auf den Ländereien von Dörfern oder Privatbesitzern. Um das ganze Holz von den immer weiter entfernten Waldgebieten in die Städte oder zu den Schlössern zu transportieren, wo es gebraucht wurde, beseitigten die Herrscher zahlreiche Hindernisse aus den Flüssen. Nun konnte man die Baumstämme als Flöße zur Küste schwimmen lassen, und von dort wurden sie dann mit Schiffen zu den Hafenstädten gebracht. Jetzt wurde das Holz auf allen drei Hauptinseln gefällt, von der Südspitze der südlichen Insel Kyushu über Shikoku bis zum Nordende von Honshu. Im Jahr 1678 mussten die Holzfäller sich auch über das Südende von Hokkaido hermachen, der Insel nördlich von Honshu, die zu jener Zeit noch nicht zum Staat Japan gehörte. Bis 1710 waren die meisten zugänglichen Waldgebiete auf den drei Hauptinseln (Kyushu, Shikoku und Honshu) und im Süden von Hokkaido abgeholzt; es blieben nur noch alte Wälder an steilen Berghängen, in unzugänglichen Gebieten und an Stellen, wo die Holzgewinnung mit der Technik der Tokugawazeit zu schwierig oder kostspielig war.

Die Waldzerstörung machte sich in Japan nicht nur mit ihren nahe liegenden Auswirkungen - Bauholz-, Brennstoff- und Futtermangel sowie erzwungenes Ende der Errichtung von Monumentalbauten - bemerkbar, sondern auch auf andere Weise. Innerhalb der Dörfer und zwischen den Dörfern und daimyo oder shogun kam es immer häufiger zu Streitigkeiten um das Holz, weil alle in Konkurrenz um die Wälder des Landes standen. Ebenso gab es Konflikte zwischen jenen, die Holzstämme auf den Flüssen transportieren wollten, und anderen, die Wasserläufe lieber zum Angeln oder zur Bewässerung ihrer Felder verwendeten. Wie wir es in Kapitel 1 im Zusammenhang mit Montana erfahren haben, nahmen die Waldbrände auch hier zu, weil die nachgewachsenen Gehölze auf abgeholzten Flächen leichter brennbar waren als die alten Bäume. Nachdem die steilen Abhänge nicht mehr von Wald geschützt wurden, nahm unter den Verhältnissen Japans - starke Niederschläge, Schneeschmelze und häufige Erdbeben - auch die Bodenerosion stark zu. Durch das Wasser, das verstärkt von den kahlen Böschungen abfloss, wurden die Überschwemmungen in den Niederungen häufiger, durch Bodenerosion und Versandung der Flüsse stieg der Wasserspiegel in den Bewässerungssystemen, Sturmschäden verstärkten sich, aus Wäldern gewonnene Dünge- und Futtermittel wurden knapp. Das alles führte dazu, dass die landwirtschaftlichen Erträge gerade in einer Zeit der Bevölkerungszunahme zurückgingen, sodass es seit Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder zu schweren Hungersnöten kam.

Der Meireki-Brand von 1657 und der nachfolgende Holzbedarf zum Wiederaufbau der japanischen Hauptstadt wurden zu einem Alarmsignal: Sie machten deutlich, dass Holz und andere Ressourcen im ganzen Land zunehmend knapp wurden, während die Bevölkerung insbesondere in den Städten stark gewachsen war. Das hätte zu einer Katastrophe nach Art der Osterinsel führen können. Aber stattdessen stabilisierte sich in Japan im Lauf der nächsten beiden Jahrhunderte die Bevölkerungszahl, und Ressourcen wurden nur noch nahezu nachhaltig verbraucht. Eingeleitet wurde der Wandel von oben durch aufeinander folgende shogune: Sie setzten unter Berufung auf konfuzianische Prinzipien eine offizielle Ideologie durch, die dazu aufrief, den Verbrauch einzuschränken, Reserven anzulegen und so das Land vor Katastrophen zu schützen.

Zu der Veränderung gehörte auch, dass man mit der Lebensmittelversorgung stärker auf Meereslebewesen und auf den Handel mit den Ainu zurückgriff, um so die Landwirtschaft zu entlasten. Die Ausweitung der Fischerei ging mit der Einführung neuer Methoden einher, beispielsweise mit der Verwendung sehr großer Netze und dem Fischfang in der Tiefsee. Die einzelnen daimyo und Dörfer beanspruchten jetzt auch das an ihr Land angrenzende Meer für sich: Man hatte erkannt, dass die Fisch- und Schalentierbestände begrenzt waren und unter Umständen zur Neige gehen würden, wenn jeder in jedem beliebigen Territorium ungehindert fischen konnte. Die Belastung der Wälder durch Gewinnung grünen Düngers für die Felder wurde vermindert, weil man in wesentlich größerem Umfang Fischmehl zu diesem Zweck einsetzte. Die Jagd auf Meeressäuger (Wale, Robben und Seeotter) wurde verstärkt, und man gründete Syndikate zur Finanzierung von Booten, Ausrüstung und Arbeitskräften. Der stark ausgeweitete Handel mit den Ainu auf Hokkaido brachte Räucherlachs, getrocknete Seegurken, Abalonemuscheln, Tang, Hirschfelle und Seeotterpelze nach Japan, das im Gegenzug Reis, Sake, Tabak und Baumwolle an die Ainu lieferte. Dies führte dazu, dass die Lachs- und Hirschbestände auf Hokkaido zur Neige gingen; die Ainu, die sich bisher als Jäger selbst versorgt hatten, gerieten in Abhängigkeit von japanischen Importen, und schließlich gingen sie durch wirtschaftlichen Niedergang, Krankheitsepidemien und militärische Eroberungsfeldzüge zugrunde. Die Lösung für das Problem der erschöpften Ressourcen in Japan bestand also zur Tokugawazeit teilweise darin, dass japanische Ressourcen auf Kosten der Ressourcen in anderen Gebieten geschont wurden. Ganz ähnlich lösen Japan und andere Industrieländer auch heute das Problem ihrer erschöpften Rohstoffe und Vorräte, in dem sie diese anderswo ausbeuten. (Wie gesagt: Hokkaido wurde politisch erst im 19. Jahrhundert an Japan angegliedert.)

Zu der Veränderung gehörte auch, dass das Bevölkerungswachstum fast auf null zurückging. Von 1721 bis 1828 wurde die japanische Bevölkerung kaum größer: Sie wuchs nur von 26 100 000 auf 27 200 000. Im Vergleich zu früheren Jahrhunderten heirateten die Japaner im 18. und 19. Jahrhundert später, Babys wurden länger gestillt, die dadurch entstehende Laktationsamenorrhöe sowie Empfängnisverhütung, Abtreibungen und Kindesmord führten zu größeren Abständen zwischen den Kindern. In der niedrigen Geburtenrate spiegelte sich die Reaktion einzelner Paare auf die merkliche Knappheit an Nahrung und anderer Vorräte; dies zeigt sich daran, dass die Geburtenrate im Japan der Tokugawazeit im Einklang mit den Preisen für Reis stieg und fiel.

Ein anderer Aspekt der Veränderung war die Verminderung des Holzverbrauchs. Seit dem späten 17. Jahrhundert wurde in Japan in immer größerem Umfang Kohle anstelle von Holz als Brennstoff benutzt. Die Häuser mit ihren schweren Holzbalken wurden von leichteren Konstruktionen verdrängt, effizientere Herde lösten die offenen Feuerstellen ab, statt das ganze Haus zu heizen, bediente man sich kleiner, tragbarer Kohleöfen, und im Winter nutzte man zunehmend die Sonne zum Beheizen der Häuser.

Viele von oben nach unten verordnete Maßnahmen zielten darauf ab, das Ungleichgewicht zwischen der Abholzung und der Regeneration der Bäume zu beseitigen. Anfangs bediente man sich dazu vorwiegend negativer Mittel (Verminderung der Abholzung), später kamen positive Maßnahmen (Produktion von mehr Bäumen) hinzu. Eines der ersten Anzeichen, dass das Problembewusstsein bei den Herrschern wuchs, war 1666, nur neun Jahre nach dem Meireki-Band, eine Anordnung des shogun: Darin warnte er vor den Gefahren der Erosion, der Versandung von Flüssen und der Überschwemmungen, die durch den Waldverlust verursacht wurden, und er drängte die Menschen, junge Bäume zu pflanzen. Im gleichen Jahrzehnt begannen in allen gesellschaftlichen Schichten landesweite Anstrengungen, die Nutzung der Wälder zu regeln, und bis 1700 hatte man ein ausgeklügeltes Forstverwaltungssystem eingeführt. Dieses System »legte fest, wer etwas tun durfte, wo, wann, wie, wie viel und zu welchem Preis«, wie der Historiker Conrad Totman es formulierte. Deshalb bestand die Antwort auf die Probleme der japanischen Wälder in der ersten Phase aus negativen Maßnahmen; diese konnten zwar die Holzproduktion nicht wieder auf das frühere Ausmaß steigern, sie bedeuteten aber zumindest einen Zeitgewinn und verhinderten, dass die Situation sich weiter verschlechterte, bis die positiven Maßnahmen Wirkung zeigten; außerdem legten sie die Grundregeln fest, nach denen die Konkurrenz um die zunehmend knappen Waldprodukte in der japanischen Gesellschaft funktionieren sollte.

Die negativen Maßnahmen zielten auf drei Abschnitte in der Versorgungskette der Wälder: Bewirtschaftung der Flächen, Holztransport und Holzverbrauch in den Städten. Was den ersten Abschnitt anging, setzte der shogun, der ein Viertel aller Waldflächen in Japan unmittelbar kontrollierte, im Finanzministerium einen leitenden Beamten ein, der für seine Wälder verantwortlich war, und fast alle 250 daimyo taten es ihm nach - jeder von ihnen ernannte für sein Land einen ähnlichen Forstbeamten. Diese Beamten sperrten abgeholzte Gebiete ab und ermöglichten so die Regeneration des Waldes; sie vergaben an Bauern die Genehmigung, auf den staatlichen Waldflächen Holz zu fällen oder Tiere weiden zu lassen, und verboten das Abbrennen der Wälder zur Landgewinnung für wechselnden Pflanzenanbau. In den Wäldern, die nicht dem shogun oder einem daimyo, sondern den Dörfern unterstanden, verwalteten die Dorfvorsteher die Flächen als gemeinschaftliches Eigentum aller Bewohner; sie stellten Regeln für die Ernte von Waldprodukten auf, verboten »fremden« Bauern aus anderen Dörfern die Nutzung ihrer Gebiete und setzten bewaffnete Wächter ein, die diese Regeln durchsetzten.

Sowohl der shogun als auch die daimyo finanzierten sehr detaillierte Bestandsverzeichnisse ihrer Wälder. Ein Beispiel für die Besessenheit der Verwalter ist die Bestandsaufnahme, die 1773 in einem Wald bei Karuizawa erhoben wurde, rund 130 Kilometer nördlich von Edo: Es wurde festgehalten, dass der Wald eine Fläche von 7734 Quadratkilometern umfasste; er bestand aus 4114 Bäumen, davon 3541 gute und 573 verkrüppelte oder knotige. Unter diesen 4114 Bäumen waren 78 große Nadelbäume (davon 66 gute) mit einer Stammlänge von 7 bis 12 Metern und einem Umfang von 1,80 bis 2,10 Metern, 293 mittelgroße Nadelbäume (davon 253 gute) mit 1,20 bis 1,50 Metern Umfang, 255 gute kleine Nadelbäume mit 1,80 bis 5,40 Metern Länge und 30 bis 90 Zentimetern Umfang, die im Jahr 1778 geerntet werden sollten, und 1474 kleine Nadelbäume (davon 1344 gute), deren Ernte für spätere Jahre vorgesehen war. Weiterhin 124 mittelgroße Nadelbäume (davon 104 gute) mit 4,50 bis 5,40 Metern Länge und 0,90 bis 1,20 Metern Umfang auf Bergkämmen, 15 kleine Nadelbäume mit 3,60 bis 7,20 Metern Länge und 20 bis 30 Zentimetern Umfang auf Bergkämmen, die 1778 geerntet werden sollten, und 320 kleine Nadelbäume auf Bergkämmen (davon 241 gute), deren Abholzung für spätere Jahre vorgesehen war, ganz zu schweigen von 448 Eichen (davon 412 gute) mit 3,60 bis 7,20 Metern Länge und 90 bis 165 Zentimetern Umfang, und 1126 weitere Bäume, deren Eigenschaften ähnlich genau quantitativ erfasst wurden. Solche Zahlenspiele sind ein Extremfall der Verwaltung von oben nach unten: Dem Urteil des einzelnen Bauern blieb nichts mehr überlassen.

Das zweite Stadium der Negativmaßnahmen bestand darin, dass shogun und daimyo an Landstraßen und Flüssen Wachtposten einsetzten: Diese inspizierten alle Holzladungen und sorgten dafür, dass sämtliche Regeln der Forstverwaltung eingehalten wurden. Im letzten Stadium legte eine Fülle von Bestimmungen genau fest, von wem und zu welchem Zweck ein Baum verwendet werden durfte, nachdem er gefällt und von einem Wachtposten inspiziert worden war. Die kostbaren Zedern und Eichen waren für staatliche Zwecke reserviert und standen den Bauern nicht zur Verfügung. Wie viel Holz jemand zum Bau seines Hauses verwenden durfte, hing von der sozialen Stellung ab: Einem Vorsteher mehrerer Dörfer standen 30 ken zu (ein ken ist ein Balken von 1,80 Meter Länge), der Erbe eines solchen Vorstehers erhielt 18 ken, der Vorsteher eines einzelnen Dorfes 12, ein lokaler Stammesfürst 8, ein steuerpflichtiger Bauer 6 und ein einfacher Bauer oder Fischer 4 ken. Andere Vorschriften des shogun bestimmten darüber, für welche kleineren Gegenstände das Holz verwendet werden durfte. Ein Erlass verbot beispielsweise 1663 den Holzarbeitern in Edo, kleine Schachteln aus Zypressen- oder Sugiholz herzustellen. Auch die Herstellung von Haushaltsutensilien aus Sugiholz wurde untersagt, große Kisten dagegen durften sowohl aus Zypressen- als auch aus Sugiholz angefertigt werden. 1668 verbot der shogun dann die Verwendung von Zypressen, Sugi und anderen guten Bäumen für öffentliche Schilder, und 38 Jahre später wurden die Kiefern von der Liste der Bäume gestrichen, die zur Herstellung von Neujahrsschmuck benutzt werden durften.

Alle diese Negativmaßnahmen zielten darauf ab, die Waldkrise in Japan dadurch zu lösen, dass Holz nur noch für die vom shogun oder den daimyo genehmigten Zwecke verwendet wurde. Eine wichtige Ursache der Krise war aber auch der Holzverbrauch durch die Herrscher selbst. Vollständig zu lösen war sie also nur dadurch, dass man auch Positivmaßnahmen zur Produktion einer größeren Zahl von Bäumen ergriff und das Land gleichzeitig vor Erosion schützte. Diese Maßnahmen begannen bereits im 17. Jahrhundert, als man sich in Japan genaue wissenschaftliche Kenntnisse über die Silvikultur aneignete. Förster in Diensten der Regierung und privater Kaufleute beobachteten, experimentierten und veröffentlichten ihre Befunde in zahlreichen Fachzeitschriften und Büchern; ein gutes Beispiel ist die erste große japanische Abhandlung über die Silvikultur, die Miyazaki Antei 1697 unter dem Titel Nögyö zensho verfasste. Sie enthält Anweisungen, wie man am besten Samen sammelt, gewinnt, trocknet, lagert und für die Aussaat vorbereitet, wie man ein Frühbeet reinigt, düngt, auflockert und durchmischt, wie man die Samen quellen lässt, bevor man sie aussät, wie man Keimlinge verpflanzt und in die richtigen Abstände bringt, wie man abgestorbene Keimlinge im Lauf der folgenden vier Jahre austauscht, wie man die jungen Bäume ausdünnt, und wie man an dem wachsenden Stamm die Zweige stutzt, damit ein Balken mit der gewünschten Form entsteht. Außerdem züchtete man Bäume nicht nur aus Samen heran, sondern manche Arten wurden auch aus verpflanzten Ablegern gezogen, oder man schnitt sie bis auf den Stumpf zurück, sodass sie neu austrieben.

Allmählich entwickelte sich in Japan unabhängig von Deutschland der Gedanke an eine Plantagen-Forstwirtschaft: Man betrachtete Bäume als langsam wachsende Nutzpflanzen. Staatliche Stellen und Privatunternehmer forsteten gekaufte oder gepachtete Flächen auf, und das vor allem in Gebieten, wo es sich wirtschaftlich anbot, beispielsweise in der Nähe der Städte mit ihrem hohen Holzverbrauch. Einerseits ist eine solche Plantagen-Forstwirtschaft teuer, riskant und kapitalintensiv. Sie erfordert hohe Vorlaufkosten zur Bezahlung der Arbeiter, die die Bäume pflanzen, dann fallen mehrere Jahrzehnte lang weitere Arbeitskosten zur Pflege der Plantage an, und die ganze Investition zahlt sich erst dann aus, wenn die Bäume groß genug sind und geschlagen werden können. Während dieser Jahrzehnte besteht jederzeit die Gefahr, dass die Bäume durch Krankheiten oder Brände verloren gehen, und der Preis, den man mit dem Holz am Ende erzielen kann, unterliegt marktbedingten Schwankungen, die sich Jahrzehnte zuvor, wenn die Samen ausgebracht werden, unmöglich vorhersehen lassen. Auf der anderen Seite hat die Plantagen-Forstwirtschaft aber gegenüber der Abholzung natürlich gewachsener Wälder auch mehrere Vorteile. Man braucht nicht alles zu nehmen, was im Wald von selber gedeiht, sondern kann die bevorzugten, wertvollen Baumarten anpflanzen. Deren Qualität und damit auch den erzielbaren Preis kann man maximieren, beispielsweise indem man sie während des Wachstums so schneidet, dass sie am Ende einen geraden, wohl geformten Stamm haben. Statt die Stämme mühsam aus abgelegenen Gebirgsgegenden zu holen, kann man sich eine geeignete Stelle aussuchen, wo die Nähe einer Stadt und eines Flusses, auf dem die Balken schwimmen können, niedrige Transportkosten versprechen. Durch Anpflanzen der Bäume in gleichmäßigen Abständen kann man die Kosten für das Abholzen vermindern. Manche japanischen Förster spezialisierten sich auf Holz für bestimmte Verwendungszwecke und konnten dann Spitzenpreise für einen eingeführten »Markennamen« erzielen. Die Yoshino-Plantagen machten sich beispielsweise einen Namen damit, dass sie die besten Dauben für die Zedernfässer produzierten, die der Aufbewahrung von Sake dienten.

Erleichtert wurde der Aufschwung der Silvikultur in Japan, weil es im ganzen Land ziemlich einheitliche Institutionen und Methoden gab. Anders als in Europa, das zu jener Zeit in Hunderte von Fürstentümern oder Staaten zerfiel, war das Japan der Tokugawazeit ein einziges, einheitlich verwaltetes Land. Der Südwesten liegt zwar in subtropischen und der Norden in gemäßigten Breiten, im ganzen Lande gibt es aber reichlich Niederschläge, steile Abhänge und erosionsanfällige Böden vulkanischen Ursprungs: steile, bewaldete Gebirge wechseln mit flachem Ackerland ab. Damit herrschten mehr oder weniger einheitliche ökologische Voraussetzungen für die Silvikultur. Im Gegensatz zur traditionellen Mehrfachnutzung der Wälder, bei der die Oberschicht das Bauholz für sich beanspruchte und die Bauern Dünger, Futter und Brennholz sammelten, diente die Plantagen-Forstwirtschaft ganz gezielt vor allem der Produktion von Bauholz, und andere Nutzungsarten waren nur insoweit gestattet, als sie dieses Hauptziel nicht gefährdeten. In den Wäldern patrouillierten Wächter, die gegen illegale Abholzung vorgingen. Zwischen 1750 und 1800 setzte sich die Plantagen-Forstwirtschaft in Japan allgemein durch, und seit 1800 stieg die Holzproduktion, die seit langer Zeit zurückgegangen war, wieder an.

Wer 1650 als außenstehender Beobachter nach Japan gekommen wäre, hätte wahrscheinlich prophezeit, dass die Gesellschaft des Landes wegen der katastrophalen Waldzerstörung am Rand eines Zusammenbruchs stand, weil immer mehr Menschen um immer weniger Ressourcen konkurrierten. Warum gelang es im Japan der Tokugawazeit, von oben nach unten eine Lösung zu entwickeln und so die endgültige Vernichtung der Wälder abzuwenden, während dies auf der Osterinsel, bei den Maya und Anasazi sowie heute in Ruanda (Kapitel 10) und Haiti (Kapitel 11) fehlschlug? Diese Frage ist nur ein Sonderfall des umfassenderen Problems, mit dem wir uns im Kapitel 14 auseinander setzen werden: Warum und in welchen Stadien kommt es in der Entscheidungsfindung von Gruppen zum Erfolg oder zu Fehlschlägen?

Die üblichen Erklärungen, die in der Regel für den Erfolg der Japaner in der mittleren und späten Tokugawazeit angeführt werden - eine angebliche Liebe zur Natur, der buddhistische Respekt für das Lebendige oder eine konfuzianische Weltanschauung - kann man schnell zu den Akten legen. Erstens bieten diese einfachen Phrasen keine zutreffende Beschreibung der wirklichen, vielschichtigen Einstellungen der Japaner, und zweitens hinderten sie die Bewohner in der frühen Tokugawazeit auch nicht daran, die Ressourcen des Landes übermäßig auszubeuten; außerdem stehen sie auch im modernen Japan der Ausbeutung der Ressourcen im Meer und in anderen Ländern nicht entgegen. In Wirklichkeit hat die Antwort unter anderem mit Japans ökologischen Vorteilen zu tun: Zum Teil handelt es sich dabei um die gleichen Faktoren, mit denen wir in Kapitel 2 bereits erklärt haben, warum die Osterinsel sowie einige weitere Inseln in Polynesien und Melanesien am Ende keinen Wald mehr besaßen, während Tikopia, Tonga und andere nicht so endeten. Die Bewohner der zuletzt genannten Inseln hatten das Glück, dass sie in einer ökologisch widerstandsfähigen Umgebung lebten, wo Bäume auf abgeholzten Flächen schnell nachwuchsen. Wie auf den ökologisch robusten Inseln Polynesiens und Melanesiens, so erholen sich Wälder auch in Japan schnell, weil die Niederschlagsmenge hoch ist, weil viel Vulkanasche niedergeht, weil Staub aus Asien die Fruchtbarkeit des Bodens wieder herstellt, und weil die Böden jung sind. Ein anderer Teil der Antwort liegt in den Vorteilen der japanischen Gesellschaft: Sie besaß bereits vor der Waldkrise einige notwendige Eigenschaften, sodass diese sich nicht erst als Reaktion darauf entwickeln mussten. Zu diesen Merkmalen gehörte das Fehlen von Ziegen und Schafen, die in vielen anderen Ländern den Boden abweideten und verheerende Auswirkungen auf die Wälder hatten. Außerdem nahm die Zahl der Pferde in der frühen Tokugawazeit ab, weil die Kriege zu Ende waren und keine Kavallerie mehr gebraucht wurde. Und drittens waren ausreichend Nahrungsmittel aus dem Meer verfügbar, sodass die Wälder als Protein- und Düngerlieferanten weniger stark belastet wurden. Ochsen und Pferde dienten in Japan als Zugtiere, aber deren Zahl wurde wegen der Waldzerstörung und des damit verbundenen Futtermangels vermindert, und an ihrer Stelle zogen Menschen die Pflüge, Eggen und andere landwirtschaftliche Geräte.

Als weitere Erklärung kann man eine Fülle von Faktoren anführen, die dazu führten, dass sowohl die Oberschicht als auch die einfachen Menschen in Japan weitaus stärker als in den meisten anderen Ländern erkannten, wie wichtig die Erhaltung der Wälder auf lange Sicht war. Die To-kugawashoguns, die dem Land bereits Frieden gebracht und die rivalisierenden Armeen beseitigt hatten, gingen zu Recht davon aus, dass kaum die Gefahr eines Aufstandes im eigenen Land oder einer Invasion von Übersee bestand. Sie rechneten damit, dass ihre eigene Familie in Japan an der Macht bleiben würde, was tatsächlich 250 Jahre lang der Fall war. Frieden, politische Stabilität und ein gerechtfertigtes Vertrauen in die eigene Zukunft waren also für die Tokugawashoguns ein Anreiz, in die langfristige Zukunft ihres Herrschaftsgebiets zu investieren und dafür zu planen. Dagegen konnten oder können die Mayakönige sowie die Präsidenten von Haiti und Ruanda nicht damit rechnen, dass ihre eigenen Söhne ihnen nachfolgen werden oder dass sie auch nur selbst ihre Amtszeit zu Ende führen können. Die japanische Gesellschaft war (und ist noch heute) ethnisch und religiös relativ einheitlich; die Unterschiede, die in Ruanda sowie möglicherweise auch bei den Maya und Anasazi zur gesellschaftlichen Destabilisierung führten, gibt es dort nicht. Wegen seiner isolierten Lage, des fast nicht vorhandenen Außenhandels und der Ablehnung einer Expansion in andere Länder lag es im Japan der Tokugawazeit auf der Hand, dass man auf die eigenen Ressourcen angewiesen war und seine Bedürfnisse nicht durch Ausbeutung der Rohstoffe anderer Länder befriedigen konnte. Das gleiche Prinzip galt auch nach innen: Nachdem der shogun im ganzen Land den Frieden durchgesetzt hatte, wussten die Menschen, dass sie ihren Holzbedarf nicht befriedigen konnten, indem sie sich des Holzes eines japanischen Nachbarn bemächtigten. Oberschicht und Bauern lebten in Japan in einer stabilen Gesellschaft, die von außen nicht von neuen Ideen beeinflusst wurde; deshalb rechneten alle damit, dass die Zukunft so sein würde wie die Gegenwart und dass man deshalb zukünftige Probleme mit gegenwärtigen Mitteln lösen musste.

Die wohlhabenden Bauern der Tokugawazeit gingen in der Regel davon aus, dass ihr Landbesitz an ihre eigenen Erben übergehen würde, und die gleiche Hoffnung hatten auch die ärmeren Dorfbewohner. Dies war einer der Gründe, warum die eigentliche Verwaltung der Wälder Japans zunehmend in den Händen von Menschen lag, die daran ein ureigenes Interesse hatten - entweder weil sie erwarteten oder hofften, dass ihre Kinder die Nutzungsrechte erben würden, oder weil sie unterschiedlich gestaltete, langfristige Pachtverträge hatten. So wurden beispielsweise die Gemeindeflächen der Dörfer vielfach in Parzellen für einzelne Haushalte aufgeteilt, was die Tragödie der Gemeingüter, von der in Kapitel 14 noch die Rede sein wird, auf ein Minimum beschränkte. Andere dorfeigene Wälder wurden nach Abnahmeverträgen bewirtschaftet, die man lange vor der Abholzung abgeschlossen hatte. Die Regierung handelte langfristige Verträge über ihre eigenen Wälder aus und vergab den Holzertrag an ein Dorf oder einen Kaufmann, der als Gegenleistung den Wald bewirtschaftete. Aus allen diesen politischen und sozialen Gründen lag es im Interesse des shogun, der daimyo und der Bauern, die Wälder nachhaltig zu bewirtschaften. Und aus den gleichen Gründen lag es nach dem Maireki-Brand auf der Hand, dass eine kurzfristige, übermäßige Ausbeutung der Wälder töricht gewesen wäre.

Natürlich handeln auch Menschen mit langfristigen Interessen nicht immer klug. Oft sind ihnen kurzfristige Ziele wichtiger, und häufig tun sie auch Dinge, die sowohl auf kurze als auch auf lange Sicht unvernünftig sind. Das ist der Grund, warum Biographie und Geschichte unendlich viel komplizierter und weniger berechenbar sind als der Verlauf chemischer Reaktionen, und es ist auch der Grund, warum dieses Buch keinen ökologischen Determinismus predigt. Verantwortungsträger, die nicht nur passiv reagieren, sondern den Mut haben, Krisen vorauszusehen und frühzeitig zu handeln, und die dann im Rahmen einer Bewirtschaftung von oben nach unten weitsichtige, folgenschwere Entscheidungen treffen, können in ihrer jeweiligen Gesellschaft viel bewirken. Das Gleiche gilt für couragierte, mutige Bürger, die von unten nach oben tätig werden. Das erste Prinzip machen die shoguns der Tokugawazeit deutlich, für das zweite sind meine Freunde, die in Montana Land besitzen und sich im Teller Wildlife Refuge engagieren, ein gutes Beispiel; beide verfolgen ihre eigenen langfristigen Ziele, und das ist auch im Interesse vieler anderer Menschen.

Ich habe diesen drei Erfolgsgeschichten - über das Hochland von Neuguinea, Tikopia und das Japan der Tokugawazeit - ein einziges Kapitel gewidmet, nachdem ich in sieben Kapiteln neben einigen weiteren Erfolgsgeschichten (Orkney- und Shetlandinseln, Faröer und Island) vorwiegend Gesellschaften erörtert habe, die durch Waldzerstörung und andere ökologische Probleme zugrunde gingen. Damit will ich aber nicht sagen, dass Erfolgsgeschichten seltene Ausnahmen seien. In den letzten Jahrhunderten haben Deutschland, Dänemark, die Schweiz, Frankreich und andere westeuropäische Staaten ihre bewaldeten Flächen wie Japan durch Maßnahmen, die von oben nach unten verliefen, stabilisiert und dann ausgeweitet. Ähnliches gelang etwa 600 Jahre früher der größten und am strengsten organisierten Gesellschaft der amerikanischen Ureinwohner, dem Inkareich der mittleren Anden, in dem mehrere zigmillionen Untertanen unter einem absoluten Herrscher lebten: Auch dort gebot man durch umfangreiche Aufforstung und Terrassenbau der Bodenerosion Einhalt, die Nutzpflanzenerträge stiegen, und die Holzversorgung war gesichert.

Ebenso gibt es eine Fülle von Beispielen für die erfolgreiche, von unten nach oben gerichtete Bewirtschaftung durch kleine Gesellschaften von Bauern, Viehzüchtern, Jägern oder Fischern. Ein Beispiel habe ich in Kapitel 4 bereits kurz erwähnt: Im Südwesten der Vereinigten Staaten erprobten Gesellschaften der amerikanischen Ureinwohner, die viel kleiner waren als das Inkareich, ganz verschiedene Lösungen für das Problem, in ihrer schwierigen Umwelt eine langlebige Wirtschaft zu entwickeln. Die Lösungen der Anasazi, Hohokam und Mimbres waren letztlich nicht von Dauer, aber die geringfügig anders geartete Lösung der Pueblo-Indianer funktioniert mittlerweile in der gleichen Region bereits seit über tausend Jahren. In Grönland verschwanden die Wikinger, aber die Inuit erhielten seit ihrer Einwanderung um 1200 bis zur dänischen Kolonisierung und den damit verbundenen Störungen im Jahr 1721 mindestens 500 Jahre lang eine autarke Wirtschaft von Jägern und Sammlern aufrecht. Nachdem in Australien vor rund 46 000 Jahren die eiszeitlichen Tiere ausgestorben waren, lebten die dortigen Ureinwohner in einer Wirtschaft von Jägern und Sammlern, bis 1788 die europäische Besiedlung begann. Auch heute gibt es zahlreiche autarke, kleine bäuerliche Gesellschaften. Besonders gut untersucht sind beispielsweise Gemeinden in Spanien und auf den Philippinen, die ihre eigenen Bewässerungssysteme unterhalten, und Gebirgsdörfer in der Schweiz, die eine Mischwirtschaft mit Ackerbau und Viehzucht betreiben; in beiden Fällen funktioniert das schon seit Jahrhunderten, und es gibt genaue lokale Absprachen über die Bewirtschaftung der gemeinschaftlichen Ressourcen.

In allen genannten Fällen erfolgt die Bewirtschaftung von unten nach oben in einer kleinen Gesellschaft, die in ihrem Gebiet das ausschließliche Recht an allen wirtschaftlichen Tätigkeiten hat. Interessantere, kompliziertere Fälle gibt es (oder gab es traditionell) auf dem indischen Subkontinent, wo das Kastensystem die Möglichkeit schafft, dass Dutzende von wirtschaftlich spezialisierten Gesellschaftsgruppen sich das gleiche geographische Gebiet teilen und unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten ausführen. Die Kasten treiben untereinander einen umfangreichen Handel und leben häufig im gleichen Dorf zusammen, aber sie sind endogam, das heißt, die Menschen heiraten in der Regel innerhalb ihrer eigenen Kaste. Die Kasten können nebeneinander existieren, weil sie unterschiedliche ökologische Ressourcen nutzen und beispielsweise als Fischer, Bauern, Viehzüchter und Jäger oder Sammler eine unterschiedliche Lebensweise pflegen. Die Spezialisierung geht sogar noch weiter - so gibt es beispielsweise mehrere Kasten von Fischern, die mit unterschiedlichen Methoden in unterschiedlichen Gewässern ihrer Tätigkeit nachgehen. Wie die Bewohner Tikopias und die Japaner der Tokugawazeit, so wissen auch die Mitglieder der einzelnen indischen Kasten, dass sie zu ihrer Selbsterhaltung nicht nur auf eine genau abgegrenzte Basis von Ressourcen zurückgreifen können, sondern sie rechnen auch damit, dass sie diese an ihre Kinder weitergeben werden. Solche Bedingungen trugen dazu bei, das sich sehr detaillierte gesellschaftliche Normen durchsetzen konnten, mit deren Hilfe die Angehörigen jeder Kaste dafür sorgen, dass ihre Ressourcen nachhaltig genutzt werden.