KAPITEL 15
Großkonzerne und Umwelt: Unterschiedliche Bedingungen, unterschiedliche Folgen
Ressourcenausbeutung ■ Zwei Ölfelder ■ Motive der Ölkonzerne ■ Erzbergbau ■ Motive der Bergbaukonzerne ■ Unterschiede zwischen Bergbaukonzernen ■ Die Holzindustrie ■ Das Forest Stewardship Council ■ Die Fischereiindustrie ■ Unternehmen und Öffentlichkeit
Alle modernen Gesellschaften sind auf die Nutzung natürlicher Ressourcen angewiesen, manche davon nicht erneuerbar (zum Beispiel Öl und Metalle), andere regenerativ (zum Beispiel Holz und Fische). Unsere Energie gewinnen wir zum größten Teil aus Öl, Gas und Kohle. Praktisch alle Werkzeuge, Behälter, Maschinen, Fahrzeuge und Gebäude bestehen aus Metall, Holz oder den petrochemisch hergestellten Kunststoffen. Wir beschreiben und bedrucken Papier, das aus Holz hergestellt wird. Unsere wichtigsten wilden Lebensmittellieferanten sind Fische und andere Meereslebewesen. Dutzende von Staaten sind mit ihrer Wirtschaft stark auf ihre Rohstoffe angewiesen. Ein gutes Beispiel sind die drei Länder, in denen ich den größten Teil meiner Feldforschungen ausgeführt habe: In Indonesien sind die Holzwirtschaft und an zweiter Stelle der Bergbau die wichtigsten Stützen der Wirtschaft, auf den Salomonen sind es Holzwirtschaft und Fischerei, in Papua-Neuguinea Öl- und Gasgewinnung, Bergbau und (zunehmend) die Holzwirtschaft. Unsere Gesellschaft ist also darauf angewiesen, solche Ressourcen zu nutzen. Wir können nur wählen, wo, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln wir es tun.
In der Regel erfordern Projekte zur Ressourcennutzung immer zunächst einmal einen hohen Kapitaleinsatz, und deshalb werden sie meist von Großkonzernen in Angriff genommen. Zwischen Umweltschützern und Großunternehmen bestehen die allgemein bekannten Konflikte, und beide betrachten sich gegenseitig in der Regel als Feinde. Umweltschützer werfen den Unternehmen vor, sie schädigten die Umwelt, seien deshalb eine Gefahr für die Menschen und stellten die eigenen finanziellen Interessen über das Wohl der Allgemeinheit. Oftmals sind solche Vorwürfe berechtigt. Umgekehrt werfen die Unternehmen den Umweltschützern vor, sie hätten keine Ahnung von den Realitäten des Wirtschaftslebens, setzten sich über den Wunsch der örtlichen Bevölkerung und der Regierungen nach Arbeitsplätzen und Entwicklung hinweg, siedelten das Wohlergehen von Vögeln höher an als das Wohlergehen der Menschen, und hätten selbst dann kein lobendes Wort für die Unternehmen übrig, wenn diese sich umweltfreundlich verhielten. Und auch solche Vorwürfe haben häufig ihre Berechtigung.
In diesem Kapitel werde ich darlegen, dass die Interessen von Großunternehmen, Umweltschützern und Gesamtgesellschaft viel häufiger übereinstimmen, als man aufgrund der gegenseitigen Vorwürfe vermuten würde. In vielen anderen Fällen besteht jedoch tatsächlich ein Interessenkonflikt: Was einem Unternehmen zumindest auf kurze Sicht Geld bringt, ist unter Umständen für die Gesamtgesellschaft schädlich. Unter solchen Umständen wird das Verhalten der Unternehmen dann zu einem groß angelegten Beispiel dafür, wie rationales Verhalten einer Gruppe (in diesem Fall des Unternehmens) auf die im vorigen Kapitel beschriebene Weise zu katastrophalen Entscheidungen einer Gesellschaft umgemünzt wird. In diesem Kapitel möchte ich vier Beispiele aus der Rohstoffindustrie erörtern, mit denen ich aus erster Hand Erfahrungen gesammelt habe. An ihnen werde ich einige Gründe untersuchen, warum verschiedene Unternehmen ihre Interessen so einschätzen, dass sie sich für unterschiedliche Handlungsweisen entscheiden, von denen manche der Umwelt schaden und andere der Umwelt nützen. Dabei verfolge ich praktische Ziele: Ich möchte herausfinden, welche Veränderungen am wirksamsten dazu beitragen würden, dass Firmen, die derzeit der Umwelt schaden, sich umweltfreundlicher verhalten. Zu diesem Zweck werde ich mich mit den Branchen Erdöl, Erz- und Kohlebergbau, Holzgewinnung und Fischerei beschäftigen.
Meine Erfahrungen mit der Ölindustrie Neuguineas sammelte ich auf zwei Ölfeldern, die in dem Spektrum von umweltschädlichem und umweltfreundlichem Verhalten an entgegengesetzten Enden stehen. Für mich waren diese Erlebnisse sehr aufschlussreich, denn zuvor hatte ich immer angenommen, die Ölindustrie sei in weit überwiegendem Maße umweltschädlich. Wie große Teile der Öffentlichkeit geißelte ich gerne die Ölkonzerne, und ich war zutiefst misstrauisch, wenn jemand etwas Positives über die Leistungen dieser Branche oder ihren Beitrag zur Gesellschaft berichtete. Aber aufgrund meiner eigenen Beobachtungen musste ich mir Gedanken darüber machen, welche Faktoren eine größere Zahl von Unternehmen dazu veranlassen könnten, positive Beispiele zu geben.
Meine ersten Erfahrungen mit einem Ölfeld sammelte ich auf der Insel Salawati vor der Küste von Indonesisch-Neuguinea. Mein Besuch hatte nichts mit Öl zu tun, sondern fand im Rahmen einer Übersichtsuntersuchung statt, die den Vögeln in der Region von Neuguinea gewidmet war. Aber große Teile von Salawati waren nun einmal zur Ölförderung an den staatlichen indonesischen Energiekonzern Pertamina verpachtet. Ich kam 1986 mit Genehmigung und als Gast von Pertamina auf die Insel; der Vizepräsident des Unternehmens und der Pressesprecher stellten mir freundlicherweise ein Auto zur Verfügung, mit dem ich auf den firmeneigenen Straßen herumfahren konnte.
Aber trotz solcher Gastfreundschaft muss ich zu meinem Bedauern berichten, dass ich dort sehr schlechte Bedingungen vorfand. Das Ölfeld war schon aus großer Entfernung zu erkennen: Aus einem hohen Turm schoss eine Flamme, weil man mit dem Erdgas, das als Nebenprodukt der Ölgewinnung frei wurde, nichts anzufangen wusste und es einfach abfackelte. (Einrichtungen, um es zu verflüssigen, abzutransportieren und zu verkaufen, gab es nicht.) Um die Zufahrtstraßen durch den Wald von Sulawati zu bauen, hatte man Schneisen von 100 Metern Breite gerodet, die für viele Säugetiere, Vögel, Frösche und Reptilien aus dem Regenwald Neuguineas nicht zu überwinden waren. Auf dem Boden hatten sich an vielen Stellen Öllachen gebildet. Mir begegneten nur drei Arten großer Grüntauben - in anderen Regionen von Salawati gab es nach Berichten 14 Arten dieser großen, fleischigen, schmackhaften Vögel, die für die Jäger in Neuguinea eines der wichtigsten Ziele sind. Ein Angestellter von Pertamina beschrieb mir die Lage von zwei Brutkolonien der Tauben und erklärte, er gehe dort mit seiner Schrotflinte auf die Jagd. Nach meiner Vermutung waren die Tauben auf dem Ölfeld durch die Jagd dezimiert.
Meine zweite Erfahrung machte ich auf dem Kutubi-Ölfeld, das eine Tochterfirma des multinationalen Konzerns Chevron im Wassereinzugsgebiet des Kikori River in Papua-Neuguinea betreibt. (Als Betreiberfirma werde ich der Einfachheit halber »Chevron« nennen; in Wirklichkeit wurde das Feld von Chevron Nuigini Pty. Ltd. betrieben, einer hundertprozentigen Tochter der Chevron Corporation; das Feld war ein Joint Venture von sechs Ölfirmen, darunter auch Chevron Niugini Pty. Ltd.; der Mutterkonzern Chevron Corporation fusionierte 2001 mit Texaco zu ChevronTexaco, und 2003 verkaufte ChevronTexaco seine Anteile an dem Joint Venture, das seither von Oil Search Limited, einem anderen Partner, betrieben wird.) Die Umwelt im Wassereinzugsgebiet des Kikori River ist empfindlich und stellt ein schwieriges Arbeitsumfeld dar: Erdrutsche sind an der Tagesordnung, das Gelände besteht vorwiegend aus karstigem Kalkstein, und es gehört zu den Gebieten mit den höchsten Niederschlagsmengen der Welt (durchschnittlich 11 000 Millimeter im Jahr und bis zu 350 Millimeter am Tag). Im Jahr 1993 beauftragte Chevron den World Wildlife Fund (WWF) mit der Planung eines großen, umfassenderen Naturschutz- und Entwicklungsprojekts für das gesamte Wassereinzugsgebiet. Dabei, so die Erwartung des Unternehmens, sollte der WWF für eine wirksame Verminderung der Umweltschäden sorgen, sich bei der Regierung Papua-Neuguineas für den Umweltschutz einsetzen, in den Augen von Umweltschutzaktivisten als glaubwürdiger Partner dienen, den örtlichen Bevölkerungsgruppen wirtschaftliche Vorteile verschaffen und die Weltbank motivieren, Projekte der örtlichen Gemeinden zu unterstützen. Als Berater des WWF war ich zwischen 1998 und 2003 viermal jeweils einen Monat lang auf den Ölfeldern und in dem Wassereinzugsgebiet zu Gast. Ich konnte mich in dem ganzen Gebiet mit einem Fahrzeug des WWF ungehindert bewegen und Chevron-Mitarbeiter unter vier Augen befragen.
Als mein Flugzeug aus Port Moresby, der Hauptstadt Papua-Neuguineas, der Landepiste des Ölfeldes in Moro entgegendröhnte und die vorgesehene Ankunftszeit näher rückte, suchte ich beim Blick aus dem Flugzeugfenster nach der Infrastruktur eines Ölfelds, die sich nach meiner Vorstellung nun zeigen musste. Aber zu meiner zunehmenden Verblüffung sah ich nur Regenwald, der sich ohne Unterbrechung bis zum Horizont erstreckte. Schließlich machte ich eine Straße aus, die sich wie ein dünner, ungefähr zehn Meter breiter baumloser Streifen durch den Regenwald zog und an vielen Stellen von beiderseits überhängenden Bäumen gesäumt war - der Traum eines jeden Vogelliebhabers. Bei der Beobachtung von Vögeln im Regenwald stellt sich die praktische Schwierigkeit, dass man die Vögel im Wald selbst kaum zu Gesicht bekommt; die beste Aussicht hat man von den schmalen Wegen aus, wenn man den Wald von der Seite sieht. Hier erstreckte sich ein solcher Weg über mehr als 160 Kilometer von dem am höchsten gelegenen Ölfeld in fast 1800 Metern Höhe auf dem Mt. Moran bis zur Küste. Als ich am nächsten Tag mit meiner Übersichtsuntersuchung begann und die schmale Straße entlangwanderte, sah ich immer wieder Vögel, die sie im Flug überquerten, und auch alle Säugetiere, Echsen, Schlangen und Frösche hüpften, liefen oder krochen quer über den Weg. Wie sich herausstellte, hatte man die Straße so konstruiert, dass zwei entgegenkommende Fahrzeuge sich gerade eben gefahrlos passieren konnten. Plattformen für die seismischen Untersuchungen und erste Probebohrungen hatte man aufgestellt, ohne überhaupt Zufahrtsstraßen zu bauen; die Versorgung erfolgte stattdessen mit dem Hubschrauber oder zu Fuß.
Die nächste Überraschung erlebte ich, als meine Maschine auf der Landepiste von Moro aufgesetzt hatte, und dann später noch einmal beim Abflug. Obwohl die Zollbehörden von Papua-Neuguinea mein Gepäck bereits bei der Einreise überprüft hatten, musste ich meine Koffer sowohl bei der Ankunft als auch beim Abflug auf dem ChevronFlugplatz noch einmal öffnen, und alles wurde so gründlich besichtigt, wie ich es ansonsten nur bei einem Flug ins israelische Tel Aviv erlebt hatte. Wonach suchten die Beamten? Beim Hinflug waren Feuerwaffen, Jagdausrüstung, Drogen und Alkohol verboten: beim Abflug hätte ich Tiere, Pflanzen, Vogelfedern oder andere Teile von Lebewesen schmuggeln können. Eine Verletzung dieser Vorschriften führt sofort zur automatischen Ausweisung aus dem gesamten Unternehmensgelände - diese Erfahrung musste eine arglose WWF-Sekretärin machen, die so dumm war, für jemand anderen ein Päckchen mitzunehmen (das, wie sich herausstellte, Drogen enthielt).
Am nächsten Morgen folgte eine weitere Überraschung: Ich war vor Tagesanbruch ein Stück die Straße entlanggegangen, hatte Vögel beobachtet und war wenige Stunden später zurückgekehrt. Daraufhin rief mich der Sicherheitsbeauftragte der Anlage in sein Büro und erklärte mir, ich sei bereits angezeigt worden, weil ich zwei Vorschriften von Chevron übertreten hätte, und dies dürfe nicht noch einmal vorkommen. Erstens hatte jemand gesehen, wie ich mich mehr als einen Meter weit auf die Fahrbahn begeben hatte, um einen Vogel zu beobachten. Damit hatte ich mich der Gefahr ausgesetzt, von einem Auto überfahren zu werden, oder das Auto hätte bei dem Versuch, mir auszuweichen, seitlich an der Straße eine Pipeline beschädigen und eine Ölpest verursachen können. Von jetzt an solle ich mich doch bitte neben der Straße halten, wenn ich Vögel beobachten wolle. Und zweitens hatte man gesehen, dass ich die Vögel beobachtete, ohne einen Schutzhelm zu tragen, was hier in der ganzen Gegend Pflicht war; mit diesen Worten gab mir der Sicherheitsbeauftragte einen Helm, den ich doch nun bitte auf meinen Beobachtungsgängen zu meinem eigenen Schutz tragen solle, nur für den Fall, dass ein Baum umstürzte.
Damit hatte ich einen ersten Eindruck davon, welche Sorge um Sicherheit und Umweltschutz man bei Chevron hatte und wie diese Sorge den Mitarbeitern eingeimpft wurde. Bei meinen vier Besuchen sah ich kein einziges Mal austretendes Öl, aber ich las die Berichte über Zwischenfälle und Beinahe-Zwischenfälle, die jeden Monat an den schwarzen Brettern ausgehängt wurden. Sie fielen in den Zuständigkeitsbereich des Sicherheitsbeauftragten, der mit dem Flugzeug oder Lastwagen unterwegs ist, um jeden einzelnen Fall zu untersuchen. Interessehalber notierte ich mir die gesamte Liste von 14 Zwischenfällen aus dem März 2003. Bei dem schlimmsten Beinahe-Unfall, der in diesem Monat eine genaue Untersuchung und eine Überprüfung der Sicherheitsvorschriften erforderte, hatte ein Lastwagen beim Zurücksetzen ein Stoppschild beschädigt; bei einem anderen Lastwagen war die Notbremse falsch eingestellt gewesen, bei einem Paket mit Chemikalien hatten die richtigen Papiere gefehlt, und man hatte festgestellt, dass Gas aus dem Sicherheitsventil eines Kompressors austrat.
Die letzte Überraschung schließlich erlebte ich bei meinen Vogelbeobachtungen. In Neuguinea kann man an dem Fehlen oder der Häufigkeit zahlreicher Vogel- und Säugetierarten sehr genau ablesen, wie stark die Umwelt durch Menschen beeinträchtigt wurde: Große Tiere werden wegen ihres Fleisches gejagt, andere wegen ihres Gefieders, und wieder andere findet man nur im Inneren unberührter Wälder, während sie in kultivierten sekundären Lebensräumen fehlen. Dazu gehören die Baumkängurus (die größten einheimischen Landsäugetiere Neuguineas), Kasuare, Nashornvögel und große Tauben (die größten Vögel der Insel), Paradiesvögel, Borstenkopfpapageien und andere farbenprächtige Papageienarten (die wegen ihres Gefieders geschätzt werden) sowie Hunderte von weiteren Waldbewohnern. Als ich im Gebiet von Kutuba mit meinen Beobachtungen begann, rechnete ich damit, dass ich vor allem feststellen musste, wie stark diese Arten im Gebiet der Ölfelder, Industrieanlagen und Pipelines von Chevron im Vergleich zur Umgebung dezimiert waren.
Stattdessen entdeckte ich zu meinem großen Erstaunen, dass diese Arten innerhalb des Chevron-Geländes viel zahlreicher waren als an jedem anderen Ort, den ich auf Neuguinea besucht hatte, mit Ausnahme einiger abgelegener, unbewohnter Gebiete. Wilde Baumkängurus habe ich in den 40 Jahren, seit ich nach Papua-Neuguinea fahre, nur im Umkreis von wenigen Kilometern um die ChevronAnlagen gesehen; anderswo sind sie die ersten Säugetiere, die von Jägern erlegt werden, und die wenigen überlebenden Tiere lernen, ihre Aktivität auf die Nachtstunden zu verlegen. Im Gebiet von Kutubu dagegen konnte ich sie auch tagsüber beobachten. Borstenköpfe, Papuaadler, Paradiesvögel, Nashornvögel und große Tauben kommen in unmittelbarer Nachbarschaft der Ölanlagen in großer Zahl vor, und ich konnte sogar Borstenköpfe beobachten, die auf den Antennenmasten des Lagers hockten. Den Mitarbeitern und Auftragnehmern von Chevron ist es streng verboten, auf dem Firmengelände zu jagen oder zu fischen, und außerdem ist der Wald unversehrt. Vögel und andere Tiere spüren das und werden zahm. Eigentlich ist das Kutubu-Ölfeld der bei weitem größte und am strengsten kontrollierte Nationalpark in Papua-Neuguinea.
Monatelang stellten mich die Verhältnisse auf dem Kutubi-Ölfeld vor ein Rätsel. Schließlich ist Chevron weder eine gemeinnützige Umweltschutzorganisation noch eine Nationalparkbehörde, sondern ein Ölkonzern, der seinen Aktionären gehört. Würde das Geld, das der Konzern für Umweltschutzmaßnahmen ausgibt, letztlich die Gewinne aus dem Ölgeschäft schmälern, müssten die Aktionäre dagegen vorgehen. Offensichtlich war man aber bei dem Unternehmen zu dem Schluss gelangt, dass eine solche Vorgehensweise letztlich dazu beitragen würde, mit der Ölförderung mehr Geld zu verdienen. Wie ist das möglich?
In den firmeneigenen Veröffentlichungen ist von der Sorge um die Umwelt selbst als Hauptmotiv die Rede. Das stimmt zweifellos. Aber nach den Gesprächen, die ich im Lauf der letzten sechs Jahre mit Dutzenden von mittleren und leitenden Chevron-Managern, Mitarbeitern anderer Ölkonzerne und Personen außerhalb der Ölbranche geführt habe, ist mir mittlerweile klar, dass zu einer derart umweltfreundlichen Haltung auch viele andere Faktoren beitragen.
Ein solcher Faktor ist der Gedanke, dass man teure Umweltkatastrophen vermeiden will. Als ich einen Sicherheitsbeauftragten von Chevron, der gleichzeitig auch Vogelliebhaber war, nach den Gründen für die Handlungsweise seines Unternehmens fragte, lautete seine kurze Antwort: »Exxon Valdez, Piper Alpha, Bhopal.« Damit meinte er die riesige Ölpest, die Alaska heimsuchte, nachdem der Tanker Exxon Valdez des Konzerns Exxon 1989 auf Grund gelaufen war, den Brand auf der Plattform »Piper Alpha« des Unternehmens Occidental Petroleum in der Nordsee, bei dem 1988 insgesamt 167 Menschen ums Leben kamen, und die Freisetzung von Chemikalien aus der Fabrik von Union Carbide im indischen Bhopal im Jahr 1984, bei der 4000 Menschen getötet und 200 000 verletzt wurden. Diese drei Ereignisse gehören zu den bekanntesten, öffentlichkeitswirksamsten und teuersten Industrieunfällen der jüngeren Geschichte. Sie kosteten die verantwortlichen Unternehmen jeweils mehrere Milliarden Euro, und der Unfall von Bhopal war für Union Carbide letztlich der Anfang vom Ende seiner Existenz als unabhängiges Unternehmen. Mein Gesprächspartner hätte auch noch die mit einer katastrophalen Ölpest verbundene Explosion der Plattform A von Union Oil im Santa Barbara Channel vor Los Angeles erwähnen können, einen Unfall, der bereits 1969 für die gesamte Ölbranche ein Warnsignal war. Damals erkannte man bei Chevron und einigen anderen multinationalen Ölkonzernen, dass man jedes Jahr nur wenige Millionen oder auch zigmillionen zusätzlich aufwenden muss, um auf lange Sicht Geld zu sparen, weil man die Gefahr vermindert, Milliarden durch einen solchen Unfall zu verlieren oder ein ganzes Projekt einstellen zu müssen, sodass die Investition umsonst war. Ein Chevron-Manager erklärte mir, wie er den wirtschaftlichen Wert einer umweltfreundlichen Handlungsweise kennen gelernt hatte: Er war auf einem Ölfeld in Texas für die Beseitigung von Öllachen zuständig und musste feststellen, dass die Aufräumkosten sich schon für eine kleine Lache auf durchschnittlich 100 000 Dollar summierten. Mit anderen Worten: Die Beseitigung von Umweltschäden ist in der Regel viel teurer als ihre Vermeidung, genau wie die Therapie eines kranken Patienten nach den Erfahrungen der Ärzte meist viel aufwendiger und weniger wirksam ist, als wenn man sich bemüht, die Erkrankung durch billige, einfache Vorbeugungsmaßnahmen von vornherein zu verhüten.
Wenn ein Konzern nach Öl sucht und dann ein Ölfeld aufbaut, tätigt er eine große Anfangsinvestition, danach bleibt das Feld für einen Zeitraum von 20 bis 50 Jahren ein Aktivposten. Die Gefahr einer großen Ölpest durch Umweltschutz- und Sicherheitsmaßnahmen auf »nur« durchschnittlich ein Ereignis je Jahrzehnt zu vermindern, reicht also bei weitem nicht aus, denn dann muss man in den 20 bis 50 Betriebsjahren mit zwei bis fünf großen Unfällen rechnen. Deshalb ist es entscheidend, viel strenger vorzugehen. Eine solche langfristig angelegte Strategie der Ölkonzerne begegnete mir zum ersten Mal, als ich mich an den Leiter der Londoner Niederlassung der Royal Dutch Shell Oil Company wandte. Diese Filiale hat die Aufgabe, plausible Alternativszenarien für den Zustand der Welt in 30 Jahren zu entwickeln. Wie der Direktor mir erklärte, betreibt Shell das Büro, weil man damit rechnet, dass ein typisches Ölfeld mehrere Jahrzehnte lang betrieben wird; um also klug zu investieren, muss man Voraussagen darüber treffen, wie die Welt in mehreren Jahrzehnten aussehen wird.
Ein Faktor, der damit in Verbindung steht, sind die Erwartungen der Öffentlichkeit. Anders als die giftigen Abwässer aus dem Bergbau, von denen später noch die Rede sein wird, ist eine Ölpest im Allgemeinen deutlich zu sehen, und wenn sie auftritt (weil eine Pipeline, eine Ölplattform oder ein Tanker bricht oder explodiert), geschieht es plötzlich und vor aller Augen. Auch die Auswirkungen der Ölpest sind in der Regel nicht zu übersehen, beispielsweise wenn Bilder von ölverschmierten toten Vögeln über die Fernsehschirme und durch die Zeitungen gehen. Man kann also damit rechnen, dass die Öffentlichkeit bei jedem großen Umweltschaden, den ein Ölkonzern anrichtet, laut aufschreit.
Besonders wichtig waren solche Gedanken über die Erwartungen der Öffentlichkeit und die Verminderung von Umweltschäden in Papua-Neuguinea, einer dezentralen Demokratie mit relativ schwacher Zentralregierung, schwachen Polizei- und Streitkräften und lokalen Gruppen mit starkem Einfluss. Die Grundbesitzer rund um die Kutubi-Ölfelder sind auf Felder, Wälder und Flüsse angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und eine Ölpest würde sich auf ihr Leben viel stärker auswirken als ölverschmierte Seevögel auf das Leben der amerikanischen Fernsehzuschauer. Ein Chevron-Mitarbeiter erklärte es mir so: »Wir haben erkannt, dass in Papua-Neuguinea kein Projekt auf lange Sicht erfolgreich sein kann, wenn man damit die natürlichen Ressourcen nutzen will und sich nicht die Unterstützung der örtlichen Grundbesitzer und Dorfbewohner gesichert hat. Wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Land und ihre Lebensmittelproduktion durch Umweltschäden gefährdet sind, würden sie das Projekt stören und zum Abbruch zwingen, wie es in Bougainville geschehen ist [nähere Erläuterungen siehe unten]. Die Zentralregierung ist nicht in der Lage, solche Störungen durch die Grundbesitzer zu verhindern, also mussten wir klug vorgehen, um die Schäden gering zu halten und eine gute Beziehung zur örtlichen Bevölkerung zu pflegen.« Ähnliche Gedanken äußerte ein weiterer Angestellter des Unternehmens mit anderen Worten: »Wir waren von Anfang an felsenfest überzeugt, dass das Kutubu-Projekt nur dann ein Erfolg werden würde, wenn wir mit den Gemeinschaften der örtlichen Grundbesitzer so gut zusammenarbeiteten, dass es ihnen nach ihrem eigenen Eindruck mit uns zusammen besser geht, als wenn wir nicht da wären.«
Diese ständige Überprüfung der Tätigkeit von Chevron durch die örtliche Bevölkerung hat noch einen Nebeneffekt: Die Bewohner merken, dass man viel Geld verdienen kann, wenn man auf Ölkonzerne und andere Unternehmen mit gut gefüllter Kasse Druck ausübt. Sie zählen die Bäume, die beim Bau einer Straße gefällt werden, messen Bäumen, auf denen die Paradiesvögel ihr Gefieder zeigen, einen besonders hohen Wert zu, und präsentieren dann die Rechnung für die Schäden. Wie man mir berichtete, erfuhren die Grundbesitzer in Neuguinea beispielsweise in einem Fall, bei Chevron sei der Bau einer neuen Straße zu einer Ölquelle geplant. Daraufhin stürmten sie los und pflanzten Kaffeebäume an der vorgesehenen Route, sodass sie später für jeden entwurzelten Baum Schadenersatz verlangen konnten. Dies spricht dafür, die Rodung des Waldes durch den Bau möglichst schmaler Straßen auf ein Minimum zu beschränken und die Stellen, an denen gebohrt wird, so weit wie möglich mit dem Hubschrauber zu versorgen. Viel größer war jedoch die Gefahr, dass die Grundbesitzer sich über Schäden an ihrem Land ärgerten und dann das ganze Ölprojekt zum Scheitern brachten. Ein Warnzeichen ging für Chevron von dem Ölfeld Point Arguello vor der Küste Kaliforniens aus; es wurde 1981 von dem Unternehmen entdeckt und war nach Schätzungen der größte Ölfund in den Vereinigten Staaten seit der Entdeckung des Feldes von Prudhoe Bay. Wegen öffentlicher Skepsis gegenüber den Ölkonzernen, Opposition der örtlichen Gemeinden und immer neuen Verzögerungen durch behördliche Auflagen konnte die Produktion dort erst zehn Jahre später aufgenommen werden, und am Ende musste Chevron einen großen Teil seiner Investitionen abschreiben. Das Ölfeld von Kutubu verschaffte dem Konzern die Möglichkeit, der öffentlichen Kritik zu begegnen und zu zeigen, dass man auch ohne die Gängelung durch allzu strenge staatliche Vorschriften ausgezeichneten Umweltschutz betreiben kann.
So betrachtet, macht das Projekt von Kutubu deutlich, wie wichtig es ist, immer strengere staatliche Umweltschutzbestimmungen vorauszusehen. Auf der ganzen Welt geht der Trend (mit offenkundigen Ausnahmen) dahin, dass Regierungen immer strengere Auflagen zugunsten des Umweltschutzes erteilen. Selbst Entwicklungsländer, in denen man auf den ersten Blick nicht unbedingt mit ökologischen Bedenken rechnen sollte, werden immer anspruchsvoller. Ein Chevron-Mitarbeiter berichtete mir beispielsweise, was er in Bahrain erlebt hatte, als er vor der Küste mit einer weiteren Bohrung beginnen wollte: Die Regierung des kleinen Staates verlangte zum ersten Mal einen detaillierten, kostspieligen Umweltschutzplan, der genaue Überwachung während der Bohrarbeiten und eine Umweltfolgenabschätzung vorsah; außerdem sollten die Auswirkungen auf die Seekühe und auf eine Brutkolonie von Kormoranen so gering wie möglich gehalten werden. Bei den Ölkonzernen hat man gelernt, dass der Bau sauberer Anlagen mit Umweltschutzvorrichtungen weitaus billiger ist, als wenn man eine Anlage später aufgrund strengerer staatlicher Vorschriften nachrüsten muss. Selbst wenn in dem Land, in dem ein Unternehmen tätig ist, heute noch kein großes Umweltbewusstsein herrscht, rechnet man in den Vorstandsetagen damit, dass sich dieses Bewusstsein während der Lebensdauer der Anlage entwickeln wird.
Weiterhin hat Chevrons umweltfreundlichere Vorgehensweise den Vorteil, dass das Unternehmen sich damit einen guten Ruf verschafft, der im Kampf um Verträge manchmal von Nutzen sein kann. Kürzlich schrieb beispielsweise Norwegen - ein Land, wo Bevölkerung und Regierung heute sehr umweltbewusst sind - die Entwicklung eines Öl- und Gasfeldes in der Nordsee aus. Unter den Firmen, die Gebote abgeben, war auch Chevron, und das Unternehmen erhielt den Auftrag - vermutlich teilweise auch wegen seines guten Rufes in Sachen Umweltschutz. Wenn das stimmt, war der Norwegen-Vertrag nach Ansicht meiner Bekannten, die bei Chevron arbeiten, der größte finanzielle Nutzen, den der Konzern aus seinen strengen ökologischen Vorgaben auf dem Kutubu-Ölfeld gezogen hat.
Zum »Publikum« eines Unternehmens gehören nicht nur Öffentlichkeit, Regierungen und örtliche Grundbesitzer, sondern auch die eigenen Mitarbeiter. Ein Ölfeld stellt an Technologie, Anlagen und Management besonders vielschichtige Anforderungen, und ein großer Anteil der Mitarbeiter in Ölfirmen verfügt über eine Hochschulausbildung und akademische Grade. Solche Fachleute sind in der Regel sehr umweltbewusst. Ihre Ausbildung ist teuer, und sie bekommen ein hohes Gehalt. Die meisten Angestellten des Kutubu-Ölfeldes sind Staatsbürger von Papua-Neuguinea, andere sind aber auch Amerikaner oder Australier, die für eine bis fünf Wochen vor Ort arbeiten, um dann für fünf Wochen zu ihren Angehörigen nach Hause zu fliegen, und auch die Flüge sind teuer. Alle diese Mitarbeiter sehen selbst, in welchem Zustand sich die Umwelt auf den Ölfeldern befindet, und sie erkennen, dass das Unternehmen sich zu einer umweltfreundlichen Strategie verpflichtet hat. Von vielen Chevron-Mitarbeitern hörte ich, Ethik und Umweltbewusstsein der Angestellten kämen einerseits der sichtbar umweltfreundlichen Handlungsweise des Unternehmens zugute, sie seien aber andererseits auch die Triebkraft gewesen, dass das Unternehmen sich eine solche Handlungsweise überhaupt erst zu Eigen machte.
Insbesondere war Umweltbewusstsein ein Kriterium für die Auswahl der Spitzenmanager in dem Unternehmen; die beiden letzten CEOs (Chief Executive Officers - also Vorstandsvorsitzende) von Chevron, zunächst Ken Derr und dann David O’Reilly, kümmerten sich persönlich um ökologische Fragen. Mitarbeiter des Konzerns aus mehreren Ländern erzählten mir unabhängig voneinander, dass sie und alle anderen Mitarbeiter auf der ganzen Welt jeden Monat vom Vorstand eine E-Mail erhalten, die über den Zustand des Unternehmens informiert. In diesen Mails ist häufig von Umwelt und Sicherheit die Rede, und beiden wird oberste Priorität beigemessen, weil sie für das Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll seien. Auf diese Weise erfahren die Mitarbeiter, dass Umweltfragen ernst genommen werden und nicht nur ein Vorzeigethema für die Öffentlichkeit sind, das innerhalb der Firma missachtet wird. Zu einer Schlussfolgerung, die dieser Beobachtung entspricht, gelangen auch Thomas Peters und Robert Waterman, Jr. in ihrem Bestseller Auf der Suche nach Spitzenleistungen: Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann. Wie sie darin feststellen, schaffen Manager für ihre Mitarbeiter die beste Motivation für ein bestimmtes Verhalten, wenn diese sehen, dass auch die Manager selbst sich dieses Verhalten zu Eigen machen.
Und schließlich macht die moderne Technik es den Ölkonzernen heute einfacher als früher, sich umweltfreundlich zu verhalten. Heute kann man beispielsweise von einer einzigen Stelle an der Oberfläche mehrere Bohrlöcher in horizontaler oder vertikaler Richtung vortreiben, während früher jedes Bohrloch von einer anderen Stelle aus senkrecht in die Tiefe führen musste, was für die Umwelt viel größere Auswirkungen hatte. Das »Bohrgut« - die Gesteinstrümmer, die beim Bohren entstehen - kann man heute in eine abgetrennte unterirdische Formation pumpen, die kein nutzbares Öl enthält, statt sie wie früher in einer Grube oder im Meer zu deponieren. Das Erdgas, ein Nebenprodukt der Ölgewinnung, wird nicht mehr ›abgefackelt‹, sondern entweder wieder in ein unterirdisches Lager geleitet (wie auf dem Kutubu-Feld) oder (auf manchen anderen Ölfeldern) mit Pipelines abtransportiert oder verflüssigt, auf Schiffe verladen und verkauft. Auf vielen Ölfeldern, auch auf dem von Kutubu, werden Bohrstellen regelmäßig mit dem Hubschrauber erkundet; das ist zwar teuer, aber der Bau von Straßen und die damit verbundenen Umweltschäden sind häufig noch kostspieliger.
Das sind also die Gründe, warum Chevron und andere große multinationale Ölkonzerne den Umweltschutz mittlerweile ernst nehmen. Unter dem Strich können sie mit umweltfreundlichem Verhalten Geld verdienen und sich langfristig Zugang zu neuen Öl- oder Gasfeldern verschaffen. Aber ich muss es noch einmal wiederholen: Ich behaupte nicht, die gesamte Ölbranche habe sich ein umweltfreundliches, verantwortungsbewusstes, bewundernswertes Verhalten zu Eigen gemacht. Es gab in jüngerer Zeit auch öffentlichkeitswirksame, langwierige und schwer wiegende Katastrophen, beispielsweise durch schlecht gewartete und geführte Tanker mit einfacher Rumpfwand (wie die 26 Jahre alte Prestige, die 2002 vor der spanischen Küste sank) - solche Schiffe befinden sich meist nicht im Besitz der Ölkonzerne, denn diese sind weitgehend auf Tanker mit doppelter Rumpfwand umgestiegen. Weitere Probleme sind alte, ökologisch schädliche Fabriken (zum Beispiel in Nigeria oder Ecuador), die vor der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien errichtet wurde und sich jetzt nicht oder nur mit hohem Aufwand nachrüsten lassen, und Unternehmen unter der Obhut korrupter, verbrecherischer Regierungen wie in Nigeria und Indonesien. Dagegen zeigt das Beispiel Chevron Niugini, wie auch ein Ölkonzern seine Geschäfte so betreiben kann, dass die Umwelt und die Bevölkerung des betroffenen Gebietes davon profitieren - insbesondere wenn die Alternative darin bestünde, das gleiche Gebiet zur Holzgewinnung oder auch nur für Jagd und Kleinlandwirtschaft zu nutzen. Außerdem wird an dem Beispiel deutlich, welche Faktoren ein Ergebnis wie auf dem Kutubu-Ölfeld möglich machen, während es bei anderen industriellen Großprojekten nicht gelingt, und welchen Einfluss die Öffentlichkeit auf das Ergebnis nehmen kann.
Es bleibt die Frage, warum ich auf dem Salawati-Ölfeld des indonesischen Konzerns Pertamina 1986 eine solche Gleichgültigkeit gegenüber ökologischen Problemen beobachtete, während auf dem Kutubu-Ölfeld von Chevron, das ich seit 1998 besuchte, so umweltfreundlich gearbeitet wurde. Zwischen der Situation des nationalen indonesischen Ölkonzerns Pertamina im Jahr 1986 und der Lage von Chevron, das 1998 als multinationales Unternehmen in Papua-Neuguinea tätig war, bestehen mehrere Unterschiede, mit denen sich meine Beobachtungen vielleicht erklären lassen. In Indonesien interessieren sich Öffentlichkeit, Regierung und Justiz viel weniger für das Verhalten der Ölkonzerne, und sie erwarten sich davon auch weniger als die entsprechenden Gruppen in Europa und den Vereinigten Staaten, die für Chevron die wichtigsten Kunden sind. Die indonesischen Mitarbeiter von Pertamina werden viel weniger mit Umweltfragen konfrontiert als die amerikanischen und australischen Angestellten von Chevron. Papua-Neuguinea ist eine Demokratie, in der es den Bürgern frei steht, sich geplanten Entwicklungsprojekten zu widersetzen, Indonesien dagegen war 1986 eine Militärdiktatur, deren Einwohner keine derartigen Freiheiten genossen. Außerdem wurde die indonesische Regierung von Personen aus der am stärksten bevölkerten Insel (Java) beherrscht, die in ihrer Provinz auf Neuguinea nur eine Einnahmequelle und einen Ort für die Umsiedlung der zu dichten Bevölkerung Javas sahen; für die Meinung der Einwohner interessierten sie sich viel weniger als die Regierung von Papua-Neuguinea, die für die östliche Hälfte derselben Insel verantwortlich ist. Pertamina musste sich im Gegensatz zu internationalen Konzernen nicht mit immer strengeren behördlichen Umweltauflagen auseinander setzen. Das Unternehmen ist als staatlicher Ölkonzern vorwiegend innerhalb Indonesiens aktiv und steht weniger als die multinationalen Konzerne in der Konkurrenz um Verträge in anderen Ländern; deshalb bedeutete eine umweltfreundliche Tätigkeit für Pertamina keinen internationalen Konkurrenzvorteil. Es gab dort keine Vorstandsmitglieder, die monatlich mit E-Mails auf die hohe Priorität der Umwelt hinwiesen. Und schließlich fand mein Besuch auf dem Salawati-Ölfeld von Pertamina bereits 1986 statt; ob sich die Methoden dort seither gewandelt haben, weiß ich nicht.
Wenden wir uns nun von der Öl- und Gasindustrie dem Erzbergbau zu. Diese Branche ist in den Vereinigten Staaten derzeit diejenige mit dem größten Schadstoffausstoß - sie ist für fast die Hälfte aller bekannten Industrieschadstoffe verantwortlich. Im Westen der USA sind nahezu die Hälfte aller Flüsse in Abschnitten ihres Laufes durch den Bergbau verunreinigt. In den meisten Teilen des Landes befindet sich der Erzbergbau heute - vor allem wegen seiner eigenen Fehlleistungen - im Niedergang, oder er verschwindet völlig. Umweltschutzgruppen haben sich meist nicht die Mühe gemacht, im Zusammenhang mit dem Erzbergbau entscheidende Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, und sie haben die Teilnahme an einer anfangs viel versprechenden internationalen Initiative abgelehnt, die von der Industrie 1998 ins Leben gerufen wurde und eine Veränderung ihrer Verhaltensweisen zum Ziel hatte.
Diese und andere Aspekte des Erzbergbaus stellen uns auf den ersten Blick vor ein Rätsel: Oberflächlich betrachtet, scheint es sich um eine ganz ähnliche Branche zu handeln wie die zuvor erörterte Öl- und Gasindustrie, und auch zum Kohlebergbau scheint es große Ähnlichkeiten zu geben. Geht es nicht in allen drei Fällen darum, nicht erneuerbare Rohstoffe aus dem Boden zu holen? Ja, das schon, aber dennoch haben sich die drei Branchen ganz unterschiedlich entwickelt, und zwar aus dreierlei Gründen: unterschiedliche wirtschaftliche und technische Voraussetzungen, unterschiedliche Einstellungen innerhalb der Branche selbst, und unterschiedliche Einstellungen von Öffentlichkeit und Regierungen gegenüber den Branchen.
Die vom Erzbergbau verursachten ökologischen Probleme lassen sich in mehrere Kategorien einteilen. Zunächst einmal wird die Landschaft oberflächlich durch das Graben beeinträchtigt. Dieses Problem stellt sich insbesondere beim Tagebau, wo das Erz so dicht unter der Oberfläche liegt, dass man nur die Erde darüber abkratzen muss. Dagegen wird Öl nirgendwo dadurch gewonnen, dass man das Gestein über einer ganzen Öllagerstätte entfernt; Ölkonzerne schädigen deshalb in der Regel an der Oberfläche nur ein kleines Gebiet, das gerade ausreicht, damit sie ein Bohrloch bis in die ölführenden Schichten treiben können. Auch im Erzbergbau gibt es Minen, bei denen das Erz tief unter der Erde liegt, sodass Schächte und Abraumhalden an der Oberfläche nur ein kleines Gebiet beeinträchtigen.
Aber die Erzförderung verursacht noch andere Umweltprobleme: Durch die Metalle selbst, die zur Verarbeitung verwendeten Chemikalien, abfließende Säuren und Sedimente wird das Wasser verunreinigt. Metalle und metallähnliche Elemente im Erz selbst - insbesondere Kupfer, Cadmium, Blei, Quecksilber, Zink, Arsen, Antimon und Selen - sind giftig und verursachen in der Regel Schwierigkeiten, wenn sie durch die Bergbautätigkeit in Wasserläufe und Grundwasser gelangen. Ein berüchtigtes Beispiel war das Cadmium, das in Japan aus einer Blei- und Zinkmine in den Fluss Jinzu floss und eine Welle von Knochenerkrankungen auslöste. Auch eine ganze Reihe von Chemikalien, die im Bergbau eingesetzt werden - Cyanid, Quecksilber, Schwefelsäure und das aus Dynamit entstehende Nitrat -sind giftig. Wie man in jüngerer Zeit gelernt hat, verursacht schwefelhaltiges Erz, das im Bergbau mit Wasser und Luft in Berührung kommt, durch die dabei entstehende Säure eine schwer wiegende Verschmutzung des Wassers, während gleichzeitig auch Metalle ausgewaschen werden. Sedimente, die mit dem abfließenden Wasser aus Minen abtransportiert werden, können das Leben in den Gewässern schädigen, beispielsweise weil sie die Laichplätze der Fische zudecken. Von diesen Formen der Verschmutzung abgesehen, verbrauchen viele Minen einfach so viel Wasser, dass auch dies zu einem Problem wird.
Die letzte ökologische Frage lautet: Wohin soll man die ganzen Abfälle entsorgen, die durch den Erzbergbau entstehen? Diese Abfälle bestehen aus vier Hauptbestandteilen: Abraum (Gestein, das über dem Erz lag und entfernt wurde), minderwertiges Erz mit geringem Metallgehalt, dessen kommerzielle Verwertung nicht lohnt, Abgänge oder »Tailings« (zermahlenes Gestein, dem das Metall entzogen wurde), und die Reste nach der Metallgewinnung durch Laugung. Die beiden zuletzt genannten Abfälle belässt man in der Regel in ihren Auffangbecken, Abraum und minderwertiges Erz werden zu Haufen aufgeschüttet. Je nach den gesetzlichen Vorschriften des jeweiligen Staates werden die Abgänge (eine schlammige Masse aus Wasser und Feststoffen) in Flüssen oder Meeren entsorgt, an Land deponiert oder (am häufigsten) hinter einen Damm geschüttet. Leider brechen aber solche Abfalldämme in einem überraschend hohen Anteil der Fälle: Sie werden beim Bau zu schwach ausgelegt (weil man Geld sparen will), häufig errichtet man sie nicht aus Beton, sondern kostengünstig aus den Abfällen selbst, und der Bau erstreckt sich über längere Zeit, sodass man ihren Zustand ständig überwachen muss und sie nicht nach einer endgültigen Bauabnahme für sicher erklären kann. Im Durchschnitt ereignet sich einmal im Jahr irgendwo auf der Welt ein größerer Unfall mit einem solchen Tailings-Damm. Der größte derartige Zwischenfall in den USA war 1972 die Katastrophe von Buffalo Creek in West Virginia, bei der 125 Menschen ums Leben kamen.
Eine ganze Reihe dieser Umweltprobleme werden deutlich, wenn man sich den Zustand der vier wertvollsten Minen auf Neuguinea und den Nachbarinseln ansieht, wo ich meine Feldforschung betreibe. Die Kupfermine bei Panguna auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Bougainville war früher das größte Unternehmen und der größte Devisenbringer des Landes, und sie gehörte zu den größten Kupferminen der Welt. Ihre Abgänge entsorgte sie unmittelbar in einen Nebenfluss des Jaba River, was zu großen ökologischen Schäden führte. Als die Regierung es versäumte, an dieser Situation und den damit zusammenhängenden politischgesellschaftlichen Problemen etwas zu ändern, lehnten sich die Bewohner von Bougainville auf und begannen einen Bürgerkrieg, der Tausende von Menschenleben kostete und den Staat Papua-Neuguinea um ein Haar gespalten hätte. Auch heute, 15 Jahre nach Ausbruch des Krieges, ist der Frieden auf der Insel nicht völlig wiederhergestellt. Die Mine von Panguna wurde natürlich geschlossen, es besteht keine Aussicht auf eine Wiedereröffnung, und sowohl die Eigentümer als auch die Gläubiger (darunter die Bank of America, die U.S. Export Import Bank sowie australische und japanische Teilhaber und Kreditgeber) mussten ihre Investitionen abschreiben. Diese Ereignisse waren einer der Gründe, warum Chevron sich am Kutubu-Ölfeld so nachdrücklich um die Mitarbeit und Akzeptanz der lokalen Grundbesitzer bemühte.
Die Goldmine auf der Insel Lihir verklappt ihre Abwässer über eine Pipeline, die in große Tiefe reicht, unmittelbar ins Meer - eine Methode, die bei Umweltschützern als besonders schädlich gilt. Die Eigentümer behaupten jedoch, dieses Verfahren sei unschädlich. Ganz gleich, wie sich die Mine auf das Leben im Meer rund um die Insel Lihir auswirkt - würden auch viele andere Minen ihre Abwässer auf ähnliche Weise entsorgen, entstünde ein beträchtliches weltweites Problem. Die Kupfermine Ok Tedi auf der Hauptinsel von Neuguinea baute für ihre Abwässer einen Damm, aber Fachleute, die sich die Pläne vor Baubeginn ansahen, warnten energisch vor einem möglichen Dammbruch in naher Zukunft. Tatsächlich brach der Damm wenige Monate später, und heute gelangen jeden Tag 200 000 Tonnen feste und flüssige Abfälle aus der Mine in den Ok Tedi River, dessen Fischbestände dadurch völlig zerstört wurden. Aus dem Ok Tedi fließt das Wasser unmittelbar in den Fly River, den größten Fluss Neuguineas mit den wertvollsten Fischbeständen. Dort hat sich die Konzentration gelöster Sedimente mittlerweile verfünffacht, was zu Überschwemmungen, Giftstoffablagerungen in den Überschwemmungsgebieten und bisher auf einer Fläche von 500 Quadratkilometern zur Zerstörung der Vegetation führte. Außerdem sank auf dem Fly River ein Lastkahn, der Fässer mit Cyanid für die Mine geladen hatte. Nach und nach rosteten diese Behälter durch und setzten ihren giftigen Inhalt in den Fluss frei. BHP, das viertgrößte Bergbauunternehmen der Welt, das auch die Mine von Ok Tedi betreibt, wollte die Anlage im Jahr 2001 schließen und erklärte: »Ok Tedi ist mit unseren ökologischen Wertvorstellungen nicht vereinbar, und das Unternehmen hätte sich nie daran beteiligen sollen.« Aber da die Mine 20 Prozent der gesamten Exporte von Papua-Neuguinea bestreitet, sorgte die Regierung dafür, dass der Betrieb fortgesetzt werden konnte, obwohl BHP sich zurückzog. Und schließlich leitet auch die Kupfer- und Goldmine Grasberg-Ertsberg in IndonesischNeuguinea, ein großer Tagebaubetrieb und die wertvollste Mine Indonesiens, ihre Abwässer unmittelbar in den Mimika River, mit dem die Giftstoffe dann das flache Arafurameer zwischen Neuguinea und Australien erreichen.
Die Mine von Ok Tedi, die Grasberg-Ertsberg-Mine und eine weitere Goldmine in Neuguinea sind weltweit die drei einzigen großen Bergbauunternehmen, die von internationalen Konzernen betrieben werden und ihre Abwässer unmittelbar in Flüsse leiten.
Im Erzbergbau gehen die Unternehmen in der Regel erst dann daran, Umweltschäden zu beheben und das Abbaugebiet zu rekultivieren, wenn eine Mine geschlossen wird; im Kohlebergbau dagegen wird das Gebiet schon mit fortschreitendem Abbau rekultiviert, eine Methode, die von den Erzbergbauunternehmen abgelehnt wird. Diese halten eine Rekultivierung »im Vorübergehen« für ausreichend: Aufräumarbeiten und Wiederherstellung der Landschaft sollen möglichst geringe Kosten verursachen, sich nach Schließung der Mine nur über zwei bis zwölf Jahre erstrecken (wobei das Unternehmen die Region anschließend ohne weitere Verpflichtungen verlassen kann), und besteht nur darin, in dem beeinträchtigten Gebiet eine neue Oberflächenform herzustellen, anzulegen, die Neuansiedlung von Pflanzen durch Aufbringen von Mutterboden anzuregen, und ein paar Jahre lang das Wasser aufzubereiten, das aus dem Abbaugebiet abfließt. In Wirklichkeit war diese kostengünstige Strategie des »nach mir die Sintflut« bei keiner einzigen größeren modernen Mine ausreichend, sondern die Wasserqualität war in allen Fällen dauerhaft beeinträchtigt. Stattdessen müssen alle Gebiete, aus denen Säure abfließen kann, abgedeckt und mit neuer Vegetation bepflanzt werden, und sowohl das Oberflächenwasser als auch das Grundwasser, das aus dem Gebiet abfließt, muss so lange aufgefangen und behandelt werden, wie es verschmutzt ist - und das heißt in vielen Fällen: für alle Zeiten. Die tatsächlichen direkten und indirekten Kosten für Aufräumarbeiten und Rekultivierung betragen im Regelfall das 1,5 bis 2fache dessen, was die Industrie für ihren »Spaziergang« veranschlagt, sofern keine Säure abfließt; sind säurehaltige Abwässer vorhanden, kann der Aufwand auch auf das Zehnfache anwachsen. Der größte Unsicherheitsfaktor im Hinblick auf die Kosten ist die Frage, ob aus der Mine säurehaltige Abwässer abfließen werden; dieses Problem, das man von anderen Minen schon kannte, hat man im Kupferbergbau erst vor kurzem erkannt, und in nahezu keinem Fall wurden die Kosten im Voraus richtig berechnet.
Erzbergbauunternehmen, denen Aufräumarbeiten bevorstehen, vermeiden die damit verbundenen Kosten häufig dadurch, dass sie Insolvenz anmelden und ihre Vermögenswerte auf andere Unternehmen übertragen, die von denselben Personen geleitet werden. Ein Beispiel ist die bereits in Kapitel 1 erwähnte Zortman-Landusky-Goldmine in Montana, die von dem kanadischen Unternehmen Pegasus Gold Inc. erschlossen wurde. Bei ihrer Eröffnung im Jahr 1979 war sie die erste große Goldmine in den Vereinigten Staaten, die Cyanidlaugung in offenen Gruben betrieb, und die größte Goldmine in Montana. Sie verursachte eine lange Reihe von Unfällen mit ausgetretenem Cyanid und säurehaltigen Abwässern; hinzu kam noch, dass weder die Bundesregierung noch die Regierung des Staates Montana von der Firma eine Untersuchung über abfließende Säure verlangte. Im Jahr 1992 hatten staatliche Aufseher festgestellt, dass Wasserläufe durch die Mine mit Schwermetallen und Säure verunreinigt wurden. Daraufhin erklärte Pegasus Gold sich 1995 bereit, 36 Millionen Dollar zur Befriedigung aller juristischen Ansprüche der Bundesregierung, des Staates Montana und der örtlichen Indianerstämme zu bezahlen. Im Jahr 1998 schließlich, als noch nicht einmal 15 Prozent des Minengeländes rekultiviert waren, beschlossen die Vorstandsmitglieder von Pegasus Gold für sich selbst eine Prämienzahlung von mehr als fünf Millionen Dollar, die übrigen Gewinn bringenden Vermögensgegenstände von Pegasus wurden auf die neue, von ihnen gegründete Firma Apollo Gold übertragen, und dann meldeten sie für Pegasus Gold Insolvenz an. (Wie die meisten Vorstände von Bergbauunternehmen, so wohnten auch die von Pegasus Gold nicht im Wassereinzugsgebiet der Zortman-Landusky-Mine; sie waren ein Beispiel für eine Elite, die sich wie in Kapitel 14 erörtert von den Folgen ihrer Handlungen abschottete.) Staats- und Bundesregierung beschlossen daraufhin einen Rekultivierungsplan, der mit Kosten von 52 Millionen Dollar verbunden war; 30 Millionen davon stammten aus der 36-Millionen-Zahlung von Pegasus, 22 Millionen jedoch mussten die Steuerzahler übernehmen. Dennoch umfasst der Rekultivierungsplan nicht den Aufwand für die dauerhafte Wasseraufbereitung, die den Steuerzahler noch weitaus mehr kosten wird. Wie sich herausstellte, gehörten fünf der 13 großen Erzminen in Montana der insolventen Pegasus Gold Inc.; darunter waren vier (einschließlich der Zortman-Landusky-Mine), die Cyanidlaugung in offenen Gruben betrieben. Die Abwässer von zehn großen Minen wird man auf unabsehbare Zeit behandeln müssen, was die Kosten für ihre Schließung und Rekultivierung auf das Hundertfache der ursprünglich geschätzten Beträge steigen lässt.
Noch teurer war für die Steuerzahler der Bankrott einer weiteren Goldmine, die ebenfalls Cyanidlaugung betrieb und in kanadischem Besitz war. Die Summitville Mine der Firma Galactic Resources lag in einer Gebirgsgegend von Colorado, wo jedes Jahr mehr als zehn Meter Schnee fallen. Im Jahr 1992, acht Jahre nachdem der Bundesstaat Colorado die Betriebsgenehmigung an Galactic Resources erteilt hatte, erklärte sich die Firma für insolvent und schloss die Mine mit einer Vorlaufzeit von noch nicht einmal einer Woche. Zurück blieben eine hohe, nicht beglichene Steuerschuld, arbeitslose Mitarbeiter, nicht umgesetzte Umweltschutzmaßnahmen und eine aufgegebene Erzgrube. Nachdem einige Monate später der winterliche Schneefall eingesetzt hatte, flossen die Laugungsgruben über, und das Cyanid tötete in einem 30 Kilometer langen Abschnitt des Alamosa River alles Leben. Dann stellte sich heraus, dass der Staat Colorado von Galactic Resources als Bedingung für die Erteilung der Betriebsgenehmigung nur eine Sicherheitsleistung von 4,5 Millionen Dollar verlangt hatte; die Beseitigung der Umweltschäden sollte jedoch 180 Millionen kosten. 28 Millionen erhielt die Staatskasse im Rahmen der Insolvenzabwicklung, die restlichen 147,5 Millionen trugen die Steuerzahler auf dem Weg über die Umweltschutzbehörde.
Aufgrund solcher Erfahrungen gingen die US-Staaten und die Bundesregierung der Vereinigten Staaten dazu über, von den Erzbergbauunternehmen im Voraus finanzielle Sicherheitsleistungen zu verlangen, damit für Aufräumarbeiten und Rekultivierung genügend Geld zur Verfügung steht, falls das Unternehmen selbst nicht willens oder finanziell nicht in der Lage ist, diese Maßnahmen zu bezahlen. Die Versicherungssummen richten sich dabei aber leider in der Regel nach den Kosten, die von den Unternehmen selbst geschätzt werden, denn den staatlichen Behörden fehlen Zeit, Kenntnisse und genaue Pläne über die technischen Einrichtungen der Mine, sodass sie keine eigenen Schätzungen vornehmen können. In den vielen Fällen, in denen Unternehmen selbst die Umwelt nicht in Ordnung brachten, sodass die Behörden auf die Sicherheitsleistung zurückgreifen mussten, erwiesen sich die tatsächlichen Kosten für die Aufräumarbeiten um bis zu 100-mal höher, als das Unternehmen geschätzt hatte. Das ist nicht verwunderlich: Die Firmen selbst setzen ihre Schätzungen regelmäßig zu niedrig an, da sie weder durch finanzielle Anreize noch durch gesetzliche Vorschriften veranlasst werden, die richtigen Beträge anzugeben. Die Sicherheitsleistung kann in drei Formen gestellt werden: Durch Hinterlegung einer Geldsumme oder Kreditzusagen - die sicherste Form; durch eine Schuldverschreibung, die eine Versicherungsgesellschaft dem Bergbauunternehmen gegen eine jährliche Prämie ausstellt; oder durch eine »Selbstgarantie«, das heißt, das Unternehmen sagt auf Treu und Glauben zu, dass es am Ende aufräumen wird und dass diese Zusage durch seine Vermögenswerte abgesichert ist. Da solche Zusagen aber häufig nicht eingehalten wurden, erwiesen sich die Selbstgarantien als wertlos, und heute werden sie für Minen auf bundeseigenen Grundflächen nicht mehr akzeptiert; in Arizona und Nevada jedoch, den bergbaufreundlichsten Bundesstaaten, machen sie immer noch den größten Teil der Sicherheitsleistungen aus.
Derzeit tragen die US-Steuerzahler Verbindlichkeiten von zwölf Milliarden Dollar für Aufräumarbeiten und Rekultivierung von Erzminen. Warum sind die Verbindlichkeiten so hoch, obwohl die Behörden doch angeblich finanzielle Sicherheitsleistungen für die Aufräumarbeiten fordern? Zum Teil ergeben sich die Probleme aus dem gerade erwähnten Grund, dass die Höhe der Sicherheitsleistung von den Unternehmen zu niedrig geschätzt wird, und die beiden Staaten mit den höchsten Kosten für die Staatskasse (Arizona und Nevada) nehmen Selbstgarantien der Firmen an, sodass keine Schuldverschreibungen erforderlich sind. Selbst wenn eine echte, aber zu niedrig angesetzte Schuldverschreibung eines Versicherungsunternehmens existiert, kommen auf die Steuerzahler weitere Kosten zu - die Gründe kennt jeder, der schon einmal versucht hat, Versicherungsleistungen für die hohen Schäden nach einem Wohnungsbrand zu erhalten. Die Versicherungsunternehmen vermindern den Auszahlungsbetrag regelmäßig im Rahmen von »Verhandlungen«, wie sie beschönigend genannt werden: »Wenn Ihnen unser vermindertes Angebot nicht gefällt, können Sie gerne größeren Aufwand betreiben, Anwälte beauftragen und fünf Jahre warten, bis Gerichte über den Fall entschieden haben.« (Einer meiner Bekannten, dessen Haus einmal abbrannte, erlebte mit solchen Verhandlungen ein Jahr lang die reine Hölle.) Außerdem zahlt das Versicherungsunternehmen die garantierte oder ausgehandelte Summe erst im Lauf der Jahre aus, in denen die Aufräum- und Rekultivierungsarbeiten durchgeführt werden, aber für die unausweichlichen Kostensteigerungen, die in dieser Zeit eintreten, enthält die Schuldverschreibung keine Klausel. Des Weiteren melden nicht nur Bergbauunternehmen, sondern auch Versicherungen manchmal angesichts großer Verbindlichkeiten Konkurs an. Von den Minen, welche die Staatskasse in den Vereinigten Staaten mit den zehn größten Beträgen belasten (ungefähr die Hälfte der Gesamtsumme von 12 Milliarden Dollar), gehören zwei einem Unternehmen, das am Rande des Konkurses steht (ASARCO, Verbindlichkeiten ungefähr eine Milliarde Dollar), in sechs anderen Fällen haben sich die Eignerfirmen als besonders widerspenstig bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen erwiesen, nur zwei gehören weniger widerwilligen Unternehmen, und alle zehn Minen geben vermutlich Säure ab, sodass ihre Abwässer auf sehr lange Zeit oder vielleicht für immer aufbereitet werden müssen.
Nachdem so viele offene Rechnungen am Steuerzahler hängen bleiben, ist es nicht verwunderlich, dass die Stimmung der Öffentlichkeit sich in Montana und einigen anderen Bundesstaaten mittlerweile gegen die Bergbauindustrie gewendet hat. Der Erzbergbau sieht in den Vereinigten Staaten einer düsteren Zukunft entgegen; Ausnahmen bilden nur die Goldminen in Nevada mit seinen wenigen staatlichen Vorschriften und die Platin/Palladiumminen in Montana (ein Sonderfall, auf den ich noch zurückkommen werde). Heute bereiten sich in allen amerikanischen Hochschulen nur noch 578 Studienanfänger auf den Beruf des Bergbauingenieurs vor, ein Viertel der Zahl aus dem Jahr 1938, und das, obwohl die Gesamtzahl der Studenten in der Zwischenzeit explosionsartig gewachsen ist. Seit 1995 hat sich der öffentliche Widerstand gegen die Planung neuer Minen in den Vereinigten Staaten zunehmend als erfolgreich erwiesen, und die Bergbauindustrie kann nicht mehr daraufzählen, dass Lobbyisten und freundliche Gesetzgeber ihre Interessen vertreten. Der Erzbergbau ist ein Musterbeispiel für eine Branche, die kurzfristig ihren eigenen Interessen höhere Priorität eingeräumt hat als dem Interesse der Öffentlichkeit, sich damit aber auf lange Sicht selbst schadet und die ganze Branche in den Niedergang treibt.
Auf den ersten Blick kommt dieses traurige Ergebnis überraschend. Wie die Ölbranche, so könnte auch der Erzbergbau von umweltfreundlichen Methoden profitieren: Die Arbeitskosten wären geringer (weniger Fluktuation und geringerer Krankenstand), weil die Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit zufriedener sind, die Gesundheitskosten würden sinken, Bankdarlehen und Versicherungen wären billiger, die Akzeptanz im Umfeld wäre höher, es bestünde eine geringere Gefahr, dass die Öffentlichkeit neue Projekte blockiert, und der Einsatz neuester umweltfreundlicher Technologie zu Beginn eines Projekts wäre billiger, als wenn man alte Anlagen aufgrund neuer Umweltschutzauflagen nachrüsten muss. Wie kam es, dass die Erzbergbaubranche sich selbst auf diese Weise schadete, insbesondere angesichts einer Öl- und Kohlebranche, die vor ähnlichen Problemen standen, ohne sich aber in den Ruin zu treiben? Die Antwort liegt in den drei Faktoren, die ich zuvor bereits erwähnt habe: wirtschaftliche Verhältnisse, Einstellung der Verantwortlichen in den Betrieben und Einstellung der Gesellschaft.
Dass die Kosten umweltfreundlicher Aufräumarbeiten für Erzbergbauunternehmen schwieriger zu schultern sind als für Ölkonzerne (oder auch für die Kohleindustrie), liegt an mehreren wirtschaftlichen Faktoren: geringere Gewinnspannen, unberechenbare Gewinne, höhere Aufräumkosten, schlimmere, langfristigere Verschmutzung, geringere Möglichkeiten, die Kosten an den Verbraucher weiterzugeben, geringeres Kapital zum Auffangen der Kosten, anderes Profil bei den Arbeitskräften. Zunächst einmal werfen zwar manche Bergbauunternehmen höhere Gewinne ab als andere, insgesamt arbeitet die Branche aber mit so geringen Gewinnspannen, dass die Durchschnittsrendite in den letzten 25 Jahren nicht einmal die Kapitalkosten gedeckt hat. Oder anders ausgedrückt: Wenn ein Bergbaumanager im Jahr 1979 einen Betrag von 1000 Dollar übrig hatte und investierte, wäre diese Investition bis 2000 nur auf 2220 Dollar angewachsen, wenn er sie in Stahlaktien gesteckt hätte; eine Investition in andere Metallaktien außer Eisen und Stahl hätten nur 1530 Dollar eingebracht, bei Goldminen wären es nur 590 Dollar, was selbst ohne Berücksichtigung der Inflation einem Verlust entspricht, bei Investitionen in einen durchschnittlichen Fonds jedoch wären 9320 Dollar daraus geworden. Wenn man im Bergbau tätig ist, lohnt es also nicht, in die eigene Branche zu investieren!
Aber selbst diese mittelmäßigen Gewinne sind sowohl auf der Ebene der einzelnen Mine als auch für die gesamte Branche unberechenbar. Ein einzelnes Ölbohrloch auf einem ausgewiesenen Ölfeld kann zwar austrocknen, Reserven und Ölqualität eines ganzen Feldes lassen sich jedoch häufig im Voraus relativ zuverlässig voraussagen. Dagegen ändert sich die Qualität (das heißt der Metallgehalt und damit die Gewinnmarge) von Metallerz innerhalb einer Lagerstätte häufig auf unberechenbare Weise. Die Hälfte aller Minen, die heute erschlossen werden, erweisen sich als Verlustbringer. Auch der Durchschnittsgewinn im gesamten Erzbergbau ist nicht vorhersehbar: Die Weltmarktpreise für Metalle sind berüchtigten Schwankungen unterworfen und verändern sich viel stärker als die Öl- und Kohlepreise. Diese Volatilität hat vielfältige Gründe: Metalle haben ein kleineres Volumen und werden in geringeren Mengen verbraucht als Öl oder Kohle (wodurch Metalle leichter zu lagern sind); allgemein herrscht die Vorstellung, dass Öl und Kohle immer gebraucht werden, während Gold und Silber ein Luxus sind, auf den man in einer Rezession verzichten kann; und die Schwankungen des Goldpreises sind auf Faktoren zurückzuführen, die nichts mit dem Angebot und der industriellen Nachfrage für Gold zu tun haben - sie werden durch Spekulanten verursacht, die Gold kaufen, wenn sie am Aktienmarkt nervös werden und durch Regierungen, die ihre Goldreserven verkaufen.
Weiterhin produzieren Erzminen wesentlich mehr Abfälle als Ölfelder und entsprechend höher sind die Aufräumkosten. Bei den Abfallstoffen, die aus einem Ölbohrloch nach oben gepumpt werden und entsorgt werden müssen, handelt es sich zum größten Teil nur um Wasser, das ungefähr zu gleichen Teilen mit Öl vermischt ist. Gäbe es nicht die Zufahrtsstraßen und gelegentlich eine Ölpest, würden Öl- und Gasgewinnung sich auf die Umwelt kaum auswirken. Dagegen enthalten Erze nur einen sehr kleinen Anteil an Metall, und das Erz stellt wiederum nur einen kleinen Anteil des Gesteins dar, das man abtragen muss, um das Metall zu gewinnen. Das Verhältnis von Abraum zu Metall beträgt deshalb bei einer Kupfermine im Durchschnitt 400 zu 1 und bei einer Goldmine 5 Millionen zu 1. Entsprechend viel Abfall müssen die Bergbauunternehmen entsorgen.
Die Umweltverschmutzung, die der Erzbergbau verursacht, ist heimtückischer und hält länger an als die von der Ölindustrie verursachten Schäden. Bei den Problemen, die vom Öl ausgehen, handelt es sich in der Regel um eine plötzliche, gut sichtbare Ölpest, und solche Zwischenfälle konnte man durch verbesserte Konstruktion (beispielsweise doppelwandige Tanker anstelle der Schiffe mit einfacher Rumpfwand), sorgfältige Instandhaltung und regelmäßige Überprüfung der entsprechenden Anlagen in vielen Fällen verhüten. Wenn es heute noch zu einer Ölpest kommt, dann meist durch menschliches Versagen (wie im Fall der Exxon Valdez-Katastrophe), und diese Gefahr wiederum lässt sich durch strenge Ausbildung vermindern. Eine Ölpest lässt sich in der Regel innerhalb weniger Jahre oder sogar noch kürzerer Zeit beseitigen, und Öl wird auf natürlichem Weg abgebaut. Auch von Erzminen gehen manchmal ganz plötzlich deutlich erkennbare Umweltprobleme aus, beispielsweise wenn auf einmal zahlreiche Fische oder Vögel ums Leben kommen (wie bei der Summitville-Mine, wo Cyanidlauge überfloss und ein Fischsterben verursachte). In den meisten Fällen werden aber ständig kleine Mengen giftiger, unsichtbarer Metalle und Säuren frei, die in der Natur nicht abgebaut werden, jahrhundertelang erhalten bleiben und keine plötzlichen Leichenberge hinterlassen, sondern dauerhaft geschwächte Menschen. Abwasserdämme und andere technische Sicherheitsvorkehrungen leiden bis heute an einer hohen Versagensquote.
Öl ist wie Kohle ein Massengut, das wir sehen können. An der Zapfsäule können wir ablesen, wie viele Liter wir gerade gekauft haben. Wir wissen, wozu wir es brauchen, wir halten es für unentbehrlich, wir haben erlebt, wie unangenehm eine Ölknappheit sein kann, wir haben Angst, dass sie irgendwann wieder eintritt, wir sind dankbar, dass wir überhaupt Benzin für unsere Autos haben, und wir murren nicht allzu laut, wenn wir dafür höhere Preise bezahlen müssen. Deshalb konnte die Öl- und Kohleindustrie ihre Kosten für Umweltschutzmaßnahmen auf die Verbraucher abwälzen. Metalle werden mit Ausnahme des Eisens (das als Stahl verwendet wird) vorwiegend für unsichtbare kleine Teile im Innenleben unserer Autos, Telefone und anderer Gerätschaften gebraucht. (Wer kann schon schnell und ohne im Lexikon nachzusehen folgende Frage beantworten: Wozu brauchen wir Kupfer und Palladium, und wie viel Gramm dieser beiden Metalle waren in den Gegenständen enthalten, die wir letztes Jahr gekauft haben?) Wenn aufwendige Umweltschutzmaßnahmen im Kupfer- und Palladiumbergbau die Autopreise steigen lassen, können wir uns nicht sagen: »Na gut, ich zahle ein paar Euro pro Kilo Kupfer und Palladium mehr, solange ich mir dieses Jahr noch ein neues Auto leisten kann.« Stattdessen sehen wir uns nach einem günstigeren Autoangebot um. Das wissen die Kupfer- und Palladiumgroßhändler sowie die Autohersteller ganz genau, und so üben sie Druck auf die Bergbauunternehmen aus, damit die Preise niedrig bleiben. Deshalb fällt es jedem Bergbauunternehmen schwer, seine umweltbedingten Kosten weiterzugeben.
Die Bergbauunternehmen besitzen im Vergleich zu den Ölkonzernen sehr viel weniger Kapital, mit dem sie die Kosten für Aufräumarbeiten auffangen könnten. Beide Branchen haben mit Altlasten zu kämpfen: Sie müssen Kosten tragen, die in mehr als einem Jahrhundert durch ökologisch schädliche Verfahren entstanden sind, bevor in jüngerer Zeit das Umweltbewusstsein gewachsen ist. Andererseits lag aber die gesamte Kapitalisierung der Bergbauindustrie im Jahr 2001 nur bei rund 200 Milliarden Euro, und die drei größten Unternehmen (Alcoa, BHP und Rio Tinto) hatten jeweils ein Kapital von nur etwa 20 Milliarden. Dagegen betrug die Kapitalisierung in anderen Branchen - Wal-Mart Store, Microsoft, Cisco, Pfizer, Citigroup, Exxon, Mobil und andere - für jedes einzelne Unternehmen etwa 200 Milliarden Euro, und General Electric allein hat eine Kapitalisierung von 380 Milliarden, fast das Doppelte der gesamten Bergbaubranche. Deshalb sind Altlasten für den Erzbergbau im Verhältnis eine wesentlich größere Belastung als für die Ölindustrie. Phelbs-Dodge beispielsweise, das größte heute noch existierenden US-Erzbergbauunternehmen, ist im Zusammenhang mit der Schließung und Rekultivierung von Minen mit Kosten von zwei Milliarden Dollar konfrontiert, was seiner gesamten Marktkapitalisierung entspricht. Alle Vermögenswerte des Unternehmens zusammen summieren sich nur auf rund acht Milliarden Dollar, und die meisten dieser Vermögenswerte befinden sich in Chile, sodass sie zur Begleichung von Kosten in Nordamerika nicht verwendet werden können. Der Ölkonzern ARCO dagegen, der mit dem Kauf der Anaconda Mining Company auch Verbindlichkeiten von mindestens einer Milliarde Dollar für die Kupferminen von Butte übernahm, verfügt allein in Nordamerika über Vermögenswerte von mehr als 20 Milliarden Dollar. Allein diese grausame ökonomische Wirklichkeit erklärt bereits zu einem großen Teil, warum Phelbs-Dodge sich mit der Rekultivierung von Minen viel schwerer tut als ARCO.
Dass es für Bergbauunternehmen viel schwieriger ist als für Ölkonzerne, die Kosten für Aufräumarbeiten zu schultern, hat also zahlreiche wirtschaftliche Gründe. Auf kurze Sicht ist es für ein Bergbauunternehmen viel billiger, wenn es Lobbyisten dafür bezahlt, dass diese auf lockere gesetzliche Vorschriften drängen. Betrachtet man die Einstellungen der Gesellschaft sowie die bisher vorhandenen Gesetze und Vorschriften, hat sich diese Strategie ausgezahlt - jedenfalls bis vor kurzer Zeit.
Verstärkt wurden die wirtschaftlichen Widerstände durch Einstellungen und eine Unternehmenskultur, die sich traditionell mit dem Erzbergbau verbinden. In der Geschichte der Vereinigten Staaten - und ganz ähnlich auch in Südafrika und Australien - förderte die Regierung den Bergbau, weil sie damit die Besiedlung des Westens voranbringen wollte. Deshalb entwickelte sich der Bergbau in den Vereinigten Staaten vor dem Hintergrund einer überzogenen Selbstgerechtigkeit: Man sah sich als Retter des Westens und glaubte sich über Vorschriften hinwegsetzen zu können - ein typisches Beispiel für das im vorangegangenen Kapitel erörterte Problem der Wertvorstellungen, die ihre Nützlichkeit verloren haben. Wenn Bergbaumanager von Umweltschützern kritisiert werden, halten sie lange Predigten darüber, dass die Zivilisation ohne Bergbau unmöglich wäre und dass strengere Vorschriften weniger Bergbau und weniger Zivilisation nach sich ziehen würden. Aber Zivilisation, wie wir sie kennen, wäre auch ohne Öl, landwirtschaftlich produzierte Lebensmittel, Holz oder Bücher unmöglich, und doch hängen Ölmanager, Bauern, Holzunternehmen und Buchverlage nicht dem geradezu religiösen Fundamentalismus der Bergbaumanager an: »Gott hatte diese Metalle hierher gelegt, damit sie abgebaut werden und der Menschheit nützen.« Der CEO und die meisten Spitzenmanager eines großen amerikanischen Bergbauunternehmens gehören einer Kirche an, nach deren Lehre Gott bald wieder auf Erden erscheinen wird. Demnach, so glauben sie, müsse man die Rekultivierung nur noch fünf oder zehn Jahre hinausschieben, dann werde sie ohnehin keine Rolle mehr spielen. Meine Bekannten in der Bergbauindustrie haben die derzeitigen Einstellungen mit zahlreichen farbigen Formulierungen beschrieben: »Greif-und-Klau-Einstellung«, »Mentalität von Räuberbaronen«, »der wilde, heldenhafte Kampf des Menschen gegen die Natur«, »die konservativsten Geschäftsleute, die mir begegnet sind«, und »die Einstellung von Spekulanten, dass die Mine dazu da ist, damit die Manager würfeln und sich persönlich bereichern können, wenn sie wieder einmal auf eine Erzader stoßen, statt des Mottos der Ölkonzerne, die Vermögenswerte für die Aktionäre zu stärken«. Behauptungen, es gebe in den Minen Giftmüllprobleme, werden von der Branche regelmäßig geleugnet. In der Ölindustrie würde heute niemand mehr abstreiten, dass ausgetretenes Öl schädlich ist, Bergbaumanager dagegen leugnen die Schäden durch ausgetretene Metalle und Säuren.
Als dritter Faktor neben wirtschaftlichen Gründen und den Einstellungen der Verantwortlichen steht hinter der ökologischen Praxis der Bergbauunternehmen auch die Haltung von Behörden und Gesellschaft: Sie gestatten es der Branche, ihre eigenen Einstellungen beizubehalten. Im Grundsatz wird der Bergbau in den Vereinigten Staaten immer noch durch den 1872 verabschiedeten General Mining Act geregelt. Dieses Gesetz sieht massive Subventionen für Bergbauunternehmen vor: Bodenschätze im Wert von einer Milliarde Dollar dürfen kostenlos auf staatseigenem Land abgebaut werden, in manchen Fällen gestattet es die unbegrenzte Nutzung öffentlicher Flächen zur Abfallentsorgung und weitere Subventionen, die den Steuerzahler jedes Jahr eine viertel Milliarde Dollar kosten. Die detaillierten »3809 Regeln«, die 1980 von der Bundesregierung aufgestellt wurden, verlangen von den Bergbauunternehmen keine finanzielle Absicherung der Aufräumkosten, und auch für Rekultivierung und Schließung von Minen gibt es keine genauen Definitionen. Im Jahr 2000 schlug die scheidende Clinton-Regierung neue Vorschriften für den Bergbau vor, die diese beiden Ziele verfolgten und gleichzeitig die Selbstgarantie der Unternehmen als finanzielle Absicherung ausschlössen. Im Oktober 2001 jedoch gab die Bush-Administration mit einem Gesetzentwurf fast alle diese Vorschläge wieder auf; erhalten blieb nur die Forderung nach finanzieller Absicherung, und die war ohnehin bedeutungslos, weil die Kosten für Aufräumarbeiten und Rekultivierung, die durch die Versicherung abgedeckt werden sollten, nicht genau definiert waren.
Nur in seltenen Fällen ist es unserer Gesellschaft gelungen, die Bergbauindustrie wirksam für Schäden zur Rechenschaft zu ziehen. Es fehlt an Gesetzen, Behördenpraxis und politischem Willen, um die Spitzbuben im Bergbau zu verfolgen. Die Regierung des Bundesstaates Montana war lange Zeit berüchtigt für ihre nachgiebige Haltung gegenüber den Bergbaulobbyisten, und für die Regierungen von Arizona und Nevada gilt das noch heute. Der Bundesstaat New Mexico schätzte die Kosten für die Rekultivierung der Chino-Kupfermine, die der Phelbs-Dodge Corporation gehört, auf rund 780 Millionen Dollar, aber nach politischem Druck des Unternehmens wurde die Schätzung auf 391 Millionen korrigiert. Wenn Öffentlichkeit und Regierungen derart wenig Forderungen an die Bergbauindustrie stellen, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass diese Industrie freiwillig so wenig unternimmt.
Bisher habe ich mit meinem Bericht über den Erzbergbau vielleicht den falschen Eindruck erweckt, als sei die Branche in ihren Einstellungen ein einheitlicher Block. Das stimmt natürlich nicht, und wenn man untersucht, warum manche Bergbaukonzerne und ähnliche Unternehmen sich mittlerweile umweltfreundlicher verhalten oder zumindest darüber nachdenken, gewinnt man interessante Aufschlüsse. Ein halbes Dutzend solcher Fälle möchte ich kurz erwähnen: den Kohlebergbau, die Betriebe der Anaconda Copper Company in Montana und ihren derzeitigen Zustand, die Platin- und Palladiumminen in Montana, die neue Initiative der MMSD sowie die Unternehmen Rio Tinto und du Pont.
Der Kohlebergbau ähnelt dem Erzbergbau auf den ersten Blick sogar noch stärker als die Ölindustrie, denn er zieht ebenfalls zwangsläufig schwere ökologische Auswirkungen nach sich. Kohlegruben hinterlassen in der Regel noch stärkere Verwüstungen als Erzminen, denn im Vergleich zu diesen werden jedes Jahr gewaltige Kohlemengen abgebaut: Sie sind mehr als dreimal so groß wie alle in Erzminen gewonnenen Metalle zusammen. Deshalb beeinträchtigen Kohlegruben in der Regel größere Flächen, und in manchen Fällen wird der Boden bis auf das Muttergestein abgetragen, oder ganze Berge werden in die Flüsse gespült. Andererseits liegt die Kohle in sauberen, bis zu drei Meter dicken Flözen vor, die sich über mehrere Kilometer erstrecken, sodass das Verhältnis von Abraum zu gewonnenem Produkt in Bergwerken nur ungefähr bei 1 zu 1 liegt, ganz im Gegensatz zu den bereits erwähnten Zahlen von 400 zu 1 bei einer Kupfermine und 5 Millionen zu 1 bei Goldbergwerken.
In den Vereinigten Staaten wirkte die Katastrophe in der Kohlegrube von Buffalo Creek 1972 auf ganz ähnliche Weise als Warnsignal wie die Unfälle mit der Exxon Valdez und der Ölplattform in der Nordsee für die Ölindustrie. Der Erzbergbau war zwar auch in der Dritten Welt für eine ganze Reihe von Umweltkatastrophen verantwortlich, aber diese ereigneten sich weit weg von der Öffentlichkeit der Industrieländer, sodass sie bei weitem nicht als so große Warnzeichen wahrgenommen wurden. Angeregt durch den Zwischenfall von Buffalo Creek, verabschiedete die US-Bundesregierung in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts für den Kohlebergbau strengere Vorschriften als für den Erzbergbau, und dies schloss auch strengere Bedingungen für Betriebspläne und finanzielle Absicherung ein.
Anfangs prophezeite die Kohleindustrie, es werde aufgrund dieser staatlichen Maßnahmen in der Branche zu einer Katastrophe kommen, aber 20 Jahre später sind solche Unkenrufe vergessen, und im Kohlebergbau hat man gelernt, mit den neuen Vorschriften zu leben. (Das bedeutet natürlich nicht, dass die Branche nun tugendhafter wäre; sie unterliegt nur strengeren Vorschriften als vor 20 Jahren.) Dies hat unter anderem damit zu tun, dass viele (aber natürlich nicht alle) Kohlegruben nicht im hübschen Gebirge von Montana liegen, sondern in flachen Regionen, die aus anderen Gründen nicht sonderlich geschätzt werden, sodass die Rekultivierung wirtschaftlich einfacher ist. Im Gegensatz zum Erzbergbau werden Kohlegruben heute häufig bereits innerhalb der ersten ein bis zwei Jahre nach Einstellung des Betriebs rekultiviert. Ein anderer Grund dürfte darin liegen, dass Kohle (wie Öl, aber anders als Gold) in unserer Gesellschaft als unentbehrlich gilt. Wozu Kohle und Öl genutzt werden, weiß jeder, aber nur den wenigsten ist bekannt, wozu Kupfer eigentlich dient; deshalb konnte die Kohleindustrie ihre gestiegenen Umweltschutzkosten leichter auf die Verbraucher abwälzen.
Ein weiterer Faktor, der zu den Reaktionen der Kohleindustrie beitrug, sind die in der Regel kurzen, transparenten Lieferketten: Kohle wird meist direkt oder über einen Zwischenhändler an die Elektrizitätswerke, Stahlwerke und andere Großverbraucher geliefert. Deshalb kann die Öffentlichkeit leicht feststellen, ob ein bestimmter Verbraucher seine Kohle von einem umweltfreundlichen oder ökologisch bedenklichen Bergbauunternehmen bezieht. Beim Öl ist die Handelskette, was die Zahl der beteiligten Unternehmen angeht, sogar noch kürzer, auch wenn die geographischen Entfernungen häufig groß sind: Ölkonzerne wie Chevron-Texaco, Exxon Mobil, Shell und BP verkaufen ihr Benzin an eigenen Tankstellen, sodass die Verbraucher, die über die Exxon Valdez-Katastrophe empört waren, Exxon-Zapfsäulen boykottieren konnten. Gold dagegen gelangt aus der Mine über eine lange Kette von Zwischenstationen zum Verbraucher: Raffinerien, Lagerhäuser, Schmuckhersteller in Indien und europäische Großhändler wirken daran mit, dass es in das Juwelier-Einzelhandelsgeschäft gelangt. Man braucht sich nur den eigenen Ehering anzusehen: In der Regel haben wir nicht die leiseste Ahnung, woher das Gold stammt, ob es letztes Jahr abgebaut wurde oder schon seit 20 Jahren gelagert war, welches Unternehmen es abgebaut hat und welche Umweltbilanz dieses Unternehmen vorzuweisen hat. Noch weniger durchschaubar sind die Verhältnisse beim Kupfer: Hier kommt als zusätzliche Station die Kupferschmelze hinzu, und wenn wir ein Auto oder ein Telefon kaufen, ist uns nicht einmal klar, dass wir damit auch ein wenig Kupfer erwerben. Wegen der langen Handelskette können Unternehmen des Kupfer- und Goldbergbaus nicht darauf zählen, dass die Verbraucher bereit wären, für umweltfreundlichen Abbau höhere Preise zu bezahlen.
Unter allen Minen, die in Montana eine Altlast von Umweltschäden mit sich herumschleppen, sind die Betriebe der früheren Anaconda Copper Company rund um Butte und flussabwärts davon mit der Begleichung ihrer Rekultivierungskosten bereits am weitesten vorangekommen. Das hat einen einfachen Grund: Anaconda wurde von dem Ölkonzern ARCO aufgekauft, der seinerseits von dem noch größeren britischen Unternehmen BP (British Petroleum) geschluckt wurde. Die Folgen machen besonders gut deutlich, welche unterschiedlichen Einstellungen Erzbergbau und Ölindustrie gegenüber ökologischen Schäden haben: Es handelt sich hier um die gleichen Bergbaubetriebe, aber um unterschiedliche Eigentümer. Als ARCO und später BP bemerkten, welche Altlasten sie übernommen hatten, gelangten sie zu dem Schluss, dass sie die Probleme im eigenen Interesse lieber hinter sich bringen sollten, anstatt jede Verantwortung zu leugnen. Damit will ich nicht sagen, dass ARCO und BP begeistert darüber gewesen wären, ihren Verpflichtungen nachzukommen und Hunderte von Millionen Dollar auszugeben. Sie versuchten es mit der üblichen Hinhaltetaktik, leugneten nachgewiesene schädliche Auswirkungen, finanzierten »Bürgerinitiativen«, die ihre Positionen vertraten, schlugen preisgünstigere Lösungen vor als die Behörden, und so weiter. Aber am Ende wendeten sie große Geldsummen auf; sie haben sich damit abgefunden, noch mehr auszugeben, sie sind viel zu groß, als dass sie nur wegen ihrer Minen in Montana Konkurs anmelden könnten, und sie haben ein Interesse daran, die Probleme ein für alle Mal zu lösen, statt sie ständig vor sich herzuschieben.
Der zweite kleine Lichtblick im Bild des Bergbaus von Montana sind die beiden Minen für Platin und Palladium, die der Stillwater Mining Company gehören: Sie trafen Nachbarschaftsabkommen mit örtlichen Umweltschutzgruppen (die einzigen derartigen Abkommen, die irgendein Bergbauunternehmen in den Vereinigten Staaten schließen konnte), unterstützten diese Gruppen finanziell, gewährten ihnen freien Zutritt zu ihren Betrieben und forderten die Umweltschutzorganisation Trout Unlimited (zu deren eigenem Erstaunen) sogar auf, die Auswirkungen des Bergbaus auf die Forellenbestände im Boulder River zu überwachen. Außerdem trafen sie langfristige Übereinkommen mit den Gemeinden in der Umgebung im Hinblick auf Arbeitsplätze, Stromversorgung, Schulen und städtische Dienstleistungen -als Gegenleistung dafür, dass Umweltschutzgruppen und die Bürger aus der Umgebung sich nicht gegen Stillwater stellten. Wie können wir die erstaunliche Tatsache erklären, dass Stillwater sich als einziges Bergbauunternehmen in Montana zu einer solchen Handlungsweise entschloss?
Dazu trugen mehrere Faktoren bei. Stillwater baut Bodenschätze von einzigartigem Wert ab: Das Unternehmen besitzt die einzigen primären Lagerstätten für Platin und Palladium (Metalle, die im Autobau und in der chemischen Industrie in großem Umfang verwendet werden) außerhalb Südafrikas. Die Lagerstätten sind so groß, dass sie den Vorausberechnungen zufolge noch mindestens 100 Jahre lang genutzt werden können, vermutlich sogar noch viel länger; dies begünstigt eine langfristige Sichtweise gegenüber der üblichen Raubbauhaltung. Die Mine liegt unter der Erde und verursacht an der Oberfläche weniger Beeinträchtigungen als ein Tagebau. Das Erz enthält relativ wenig Sulfid, und ein großer Teil dieser schwefelhaltigen Beimischung wird mit dem Produkt abgetrennt. Deshalb entsteht weniger Säure, die entsorgt werden muss, und die Beseitigung von Umweltschäden ist nicht so teuer wie in den Kupfer- und Goldminen von Montana. Im Jahr 1999 trat mit Bill Nettles ein neuer CEO an die Spitze des Unternehmens, der nicht aus dem traditionellen Bergbaugeschäft kam, sondern aus der Autoindustrie (dem größten Abnehmer für die Produkte der Mine) und deshalb auch nicht die üblichen Haltungen der Bergbaubranche vertrat. Er erkannte, dass der Bergbau ein entsetzliches öffentliches Image hatte, und war bestrebt, neue langfristige Lösungen zu finden. Und im Jahr 2000, als die Manager von Stillwater einige der zuvor erwähnten Abmachungen trafen, fürchteten sie außerdem, der umweltfreundliche Al Gore werde die Präsidentschaftswahl gewinnen und bei der Gouverneurswahl von Montana werde ein wirtschaftsfeindlicher Kandidat den Sieg davontragen. Deshalb schienen ihnen die Nachbarschaftsabkommen die besten Aussichten auf eine stabile Zukunft zu bieten. Mit anderen Worten: Die Manager von Stillwater taten das, was nach ihrer eigenen Einschätzung dem Interesse des Unternehmens am besten diente, und handelten Nachbarschaftsabkommen aus. Die meisten anderen großen amerikanischen Bergbauunternehmen dagegen schätzen ihre Interessenlage ganz anders ein: Sie leugnen Verantwortlichkeiten, gehen mit Hilfe bezahlter Lobbyisten gegen staatliche Vorschriften vor, und wenn nichts anderes mehr hilft, melden sie Konkurs an.
Dennoch zeigten sich 1998 einige Spitzenmanager aus den größten internationalen Bergbaukonzernen beunruhigt, ihre Branche könne weltweit »die gesellschaftliche Betriebserlaubnis verlieren«, wie es formuliert wurde. Sie gründeten eine Initiative, die als Mining Minerals and Sustainable Development (MMSD) bezeichnet wurde, gaben mehrere Studien über nachhaltigen Bergbau in Auftrag, setzten einen bekannten Umweltschützer (den Präsidenten der National Wildlife Foundation) als Projektleiter ein und versuchten vergeblich, auch breitere Kreise der Umweltschutzbewegung einzubeziehen. Diese lehnten allerdings ab, weil sie aus historischen Gründen eine Abscheu gegen Bergbauunternehmen empfanden. Im Jahr 2002 gelangten die Untersuchungen zu einer Reihe von Empfehlungen, aber dann lehnten es die meisten beteiligten Bergbauunternehmen leider ab, die Ratschläge umzusetzen.
Eine Ausnahme machte nur der britische Bergbaukonzern Rio Tinto: Dort entschloss man sich auf Initiative des CEO und unter dem Druck der britischen Aktionäre, einige Empfehlungen auf eigene Faust weiter zu verfolgen. Man hatte auch noch in frischer Erinnerung, welche katastrophalen finanziellen Auswirkungen ökologische Schäden für die unternehmenseigene Kupfermine Panguna in Bougainville gehabt hatten. Genau wie Chevron in den Verhandlungen mit der norwegischen Regierung, so rechnete auch Rio Tinto mit wirtschaftlichen Vorteilen, wenn das Unternehmen in Sachen gesellschaftlicher Verantwortung als Vorreiter galt. Seine Boraxmine im kalifornischen Death Valley ist heute vielleicht der umweltfreundlichste Bergbaubetrieb der Vereinigten Staaten.
Einen Gewinn hat Rio Tinto bereits eingefahren: Bei der Juwelierkette Tiffany & Co. fürchtete man, Umweltschützer könnten vor den Läden mit Transparenten demonstrieren und daraufhinweisen, dass der Goldbergbau zur Freisetzung von Cyanid und zum Fischsterben führt; deshalb legte man bei der Auswahl eines Bergbauunternehmens, mit dem man einen Vertrag über Goldlieferungen schloss, auf ökologische Erwägungen besonderen Wert. Und wegen dieses Rufes als umweltfreundliches Unternehmen entschied man sich bei Tiffany für Rio Tinto. Außerdem war man bei Tiffany teilweise durch genau die gleichen Überlegungen motiviert, die ich auch bereits als Beweggründe für Chevron Texaco erwähnt habe: Man wollte dem Markennamen einen guten Ruf verschaffen, motivierte und hoch qualifizierte Arbeitskräfte an sich binden, und die Verantwortlichen im Unternehmen waren umweltfreundlich eingestellt.
Das letzte aufschlussreiche Beispiel ist der US-Konzern Du Pont, weltweit der größte Abnehmer für metallisches Titan und Titanverbindungen, die zur Herstellung von Farben, Flugzeugtriebwerken, Hochleistungsflugzeugen, Raumfahrzeugen und anderem verwendet werden. Große Mengen Titan werden in Australien aus Sand von den Stränden gewonnen, der viel Rutil enthält - dieses Mineral ist nahezu reines Titandioxid. Du Pont ist kein Bergbauunternehmen, sondern eine Herstellerfirma, die das Rutil von australischen Bergbaukonzernen kauft. Aber auf allen Produkten, auch auf titanhaltigen Fassadenfarben, steht der Name Du Pont, und das Unternehmen möchte verhindern, dass alle seine Produkte ein schlechtes Image bekommen, nur weil die Titanlieferanten mit ökologisch schädlichen Verfahren den Zorn der Verbraucher herausfordern. Deshalb hat der Konzern in Zusammenarbeit mit VerbraucherInteressengruppen eine Reihe von Abnahmeverträgen und Verhaltensregeln ausgearbeitet, die für alle seine Titanlieferanten in Australien gelten.
An den Beispielen Tiffany und Du Pont wird eine wichtige allgemeine Erkenntnis deutlich. Die einzelnen Verbraucher haben in ihrer Gesamtheit eine gewisse Macht über die Ölkonzerne und (in geringerem Ausmaß) auch über die Kohlebergbauunternehmen, denn die Allgemeinheit kauft Benzin unmittelbar von den Ölkonzernen und Strom von den Stromversorgern, die ihrerseits Kohle kaufen. Deshalb wissen die Verbraucher, wen sie bei einer Ölpest oder einem Unfall in einer Kohlengrube belästigen oder boykottieren können. Von den Erzbergbauunternehmen jedoch, die Mineralien gewinnen, ist der Verbraucher etliche Schritte weit entfernt, und das macht den unmittelbaren Boykott einer umweltschädlichen Erzgrube praktisch unmöglich. Im Fall des Kupfers wäre nicht einmal ein indirekter Boykott kupferhaltiger Produkte praktikabel, denn die meisten Verbraucher wissen gar nicht, welche der von ihnen gekauften Gegenstände das Metall tatsächlich in geringen Mengen enthalten. Dagegen haben die Verbraucher tatsächlich Einfluss auf Tiffany, Du Pont und andere Zwischenhändler, die Metalle einkaufen und mit ihren Fachkenntnissen in der Lage sind, umweltfreundliche und umweltfeindliche Betriebe zu unterscheiden. Wie wir noch genauer erfahren werden, ist das Verhalten der Verbraucher gegenüber den Einzelhändlern heute bereits ein sehr wirksames Mittel, mit dem die Allgemeinheit die Holz- und Fischereiindustrie in ihrem Sinne beeinflussen kann. Mittlerweile beginnen die Umweltschutzgruppen, die gleiche Taktik auch auf den Erzbergbau anzuwenden: Sie setzen sich nicht mehr mit den Unternehmen auseinander, die das Metall gewinnen, sondern mit jenen, die es kaufen.
Zumindest auf kurze Sicht verursachen Umweltschutzmaßnahmen, Aufräumarbeiten und Rekultivierung für die betroffenen Bergbauunternehmen erhebliche Kosten, ganz gleich, ob staatliche Vorschriften oder die Einstellung der Öffentlichkeit dafür sorgen, dass derartige Maßnahmen den Firmen auf lange Sicht Kosten ersparen. Wer soll für diese Kosten aufkommen? Wenn es um die Beseitigung von Schäden geht, die Bergbauunternehmen früher wegen lockerer staatlicher Vorschriften ganz legal angerichtet haben, hat die Öffentlichkeit keine andere Wahl, als selbst mit Steuermitteln dafür einzutreten, selbst wenn es uns die Galle hochtreibt, dass wir für die Hinterlassenschaften von Unternehmen aufkommen sollen, deren Direktoren sich Bonuszahlungen genehmigt und anschließend Konkurs angemeldet haben. Die praktische Frage lautet vielmehr: Wer soll für die ökologischen Kosten des Bergbaus aufkommen, der heute stattfindet oder in Zukunft stattfinden wird?
In der Praxis wirft Bergbau im Durchschnitt so wenig Gewinn ab, dass die Verbraucher sich nicht auf übermäßige Unternehmenserlöse berufen könnten, aus denen die Kosten beglichen werden sollen. Wir wollen, dass die Bergbauunternehmen ihre Schäden beseitigen, weil wir, die Öffentlichkeit, unter diesen Schäden leiden: durch nicht nutzbare, vom Bergbau verwüstete Landflächen, verunreinigtes Trinkwasser und verschmutzte Luft. Im Kohle- und Kupferbergbau richten selbst die umweltfreundlichsten Methoden noch Schäden an. Wenn wir also Kohle und Kupfer haben wollen, müssen wir die mit ihrer Gewinnung verbundenen ökologischen Kosten als gerechtfertigten, notwendigen Kostenbestandteil des Bergbaus betrachten, der ebenso unabweisbar ist wie die Kosten für den Bulldozer, der die Tagebaugrube gräbt, oder für die Schmelze, die aus dem Erz das Metall gewinnt. Solche ökologischen Kosten sollten in die Metallpreise einfließen und an die Verbraucher weitergegeben werden, genau wie es die Öl- und Kohlekonzerne bereits tun. Dass diese einfache Erkenntnis sich bis heute nicht durchgesetzt hat, liegt nur an der langen, undurchsichtigen Handelskette von den Erzminen bis zum Verbraucher und an dem historisch gewachsenen, schlechten Verhalten der meisten Bergbauunternehmen.
Die beiden letzten Rohstoffbranchen, die ich hier erörtern möchte, die Holzindustrie und die Fischerei, unterscheiden sich in zwei grundlegenden Punkten von Ölförderung, Erzbergbau und Kohlegewinnung. Erstens sind Bäume und Fische erneuerbare Ressourcen, die sich fortpflanzen. Erntet man sie also nicht schneller, als sie nachwachsen, kann man sie nachhaltig und auf unbegrenzte Zeit nutzen. Dagegen sind Öl, Metalle und Kohle nicht erneuerbar. Auch wenn man sie nur langsam an die Oberfläche pumpt oder abbaut, bleibt der Öl-, Metall- oder Kohlegehalt der Lagerstätte nicht auf einem konstanten Niveau. (Streng genommen, bilden Öl und Kohle sich in den langen geologischen Zeiträumen der Jahrmillionen durchaus neu, aber diese Neubildung geht viel zu langsam vonstatten, als dass sie einen Ausgleich für den Abbau der Lagerstätten schaffen könnte.) Und zweitens entnimmt man in der Holz- und Fischereiwirtschaft wertvolle Teile aus der Umwelt: Bäume und Fische. Deshalb sind Holzgewinnung und Fischerei fast schon definitionsgemäß mit Umweltschäden verbunden. Dagegen spielen Öl, Metalle und Kohle in den Ökosystemen keine oder nur eine sehr geringe Rolle. Findet man Methoden, um sie ohne Schäden für das übrige Ökosystem abzubauen, hat man keine ökologisch wertvollen Substanzen entnommen; Schäden können allerdings entstehen, wenn sie später verwendet oder verbrannt werden. Ich werde mich zuerst mit der Forstwirtschaft und dann (kürzer) mit der Fischerei beschäftigen.
Wälder stellen für die Menschen einen hohen Wert dar, und wenn sie abgeholzt werden, geht dieser Wert verloren. Insbesondere liegt auf der Hand, dass sie unsere wichtigsten Lieferanten für Holzprodukte sind, unter anderem also für Brennholz, Schreibpapier, Zeitungen, Papier für Bücher, Toilettenpapier, Bauholz, Sperrholz und Holz für Möbel. Für die Menschen in der Dritten Welt, die einen beträchtlichen Anteil der Weltbevölkerung darstellen, sind Wälder außerdem die wichtigste Quelle für andere Produkte, so für Naturfasern und Material zum Dachdecken, Vögel und Säugetiere, die zu Nahrungszwecken gejagt werden, Früchte, Nüsse und andere essbare Pflanzenteile sowie pflanzliche Arzneimittel. Die Menschen in den Industrieländern haben mit den Wäldern einen beliebten Ort der Erholung. Die Wälder sind der wichtigste Luftfilter der Erde, weil sie Kohlenmonoxid und andere Schadstoffe beseitigen, und ihre Böden erfüllen eine wichtige Funktion, weil sie Kohlenstoff aufnehmen; durch die Verminderung dieses Kohlenstoffabflusses wird die Waldzerstörung zu einer wichtigen Triebkraft der globalen Erwärmung. Das von den Bäumen abgegebene Wasser kehrt in die Atmosphäre zurück, sodass Waldzerstörung häufig zu einem Rückgang der Niederschläge und zu stärkerer Wüstenbildung fühlt. Bäume halten Wasser im Boden fest und sorgen dafür, dass er feucht bleibt. Sie schützen die Bodenoberfläche vor Erdrutschen, Erosion und dem Auswaschen der Sedimente durch Wasserläufe. Manche Wälder, insbesondere die Regenwälder der Tropen, enthalten den größten Nährstoffanteil eines Ökosystems, und wenn man die Baumstämme abholzt und abtransportiert, wird das gerodete Land unfruchtbar. Und schließlich stellen Wälder den Lebensraum für die meisten anderen Landlebewesen dar: Die tropischen Wälder bedecken beispielsweise weltweit nur sechs Prozent der Landflächen, beherbergen aber 50 bis 80 Prozent aller landlebenden Pflanzen- und Tierarten.
Angesichts dieser vielen wertvollen Eigenschaften hat man in der Holzwirtschaft zahlreiche Methoden entwickelt, mit denen man die potenziellen negativen Auswirkungen der Holzgewinnung auf die Umwelt so gering wie möglich halten will. So rodet man beispielsweise häufig nicht einen ganzen Wald, sondern man entnimmt gezielt einzelne wertvolle Bäume, lässt alle anderen aber stehen; Holz wird vielerorts nachhaltig gewonnen, das heißt, die Bäume wachsen ebenso schnell nach, wie sie abgeholzt werden; man holzt oftmals keine großen Waldgebiete ab, sondern nur kleine Landflächen, sodass das umgebende, baumbestandene Gebiet noch genügend Samen produziert, um die Bäume auf der abgeholzten Fläche nachwachsen zu lassen; einzelne Bäume werden neu gepflanzt; und einzelne große Bäume, die einen ausreichenden Wert darstellen (was in vielen Wäldern mit Flügelfruchtgewächsen und Schirmtannen der Fall ist), werden mit dem Hubschrauber abtransportiert, sodass man keine Zufahrtsstraßen bauen muss, die den übrigen Wald schädigen würden. Je nach den örtlichen Verhältnissen führen solche Umweltschutzmaßnahmen dazu, dass der betreffende Holzkonzern entweder Geld verliert oder Geld verdient. Ich möchte diese unterschiedlichen Folgen an zwei Beispielen deutlich machen: an den Erlebnissen meines Freundes Aloysius und an der Vorgehensweise des Forest Stewardship Council.
Aloysius ist nicht sein richtiger Name. Die Gründe, warum ich ihn so genannt habe, werden im Folgenden deutlich werden. Er ist Staatsbürger eines Landes im asiatisch-pazifischen Raum, wo ich mich zu Feldforschungen aufgehalten habe. Als ich ihn vor sechs Jahren kennen lernte, fiel er mir sofort auf: Er war der aufgeschlossenste, neugierigste, glücklichste, humorvollste, selbstbewussteste, selbständigste und klügste Mensch in seinem Unternehmen. Mutig und auf eigene Faust stellte er sich einer Gruppe meuternder Arbeiter und beruhigte sie. Immer wieder rannte er (ja, er rannte ganz buchstäblich) nachts einen steilen Gebirgspfad hinauf und hinunter, um die Arbeiten an zwei Stellen zu koordinieren. Er hatte erfahren, dass ich ein Buch über die Sexualität des Menschen geschrieben hatte, und 15 Minuten nachdem wir uns kennen gelernt hatten, brach er in Gelächter aus und sagte, ich solle ihm nun nichts mehr über Vögel erzählen, sondern ihm erklären, was ich über Sex wusste.
Wir trafen einander mehrmals bei den Arbeiten an unterschiedlichen Projekten, aber dann vergingen zwei Jahre, bevor ich wieder in sein Land kam. Als ich das nächste Mal mit Aloysius zusammentraf, hatte sich ganz offensichtlich irgendetwas verändert. Beim Reden war er nervös, und sein unsteter Blick erweckte den Eindruck, als habe er vor irgendetwas Angst. Das überraschte mich, denn der Ort unseres Gesprächs war ein Saal in der Hauptstadt seines Landes, wo ich in Gegenwart mehrerer Kabinettmitglieder einen öffentlichen Vortrag hielt, und ich konnte keinerlei Gefahrenzeichen entdecken. Nachdem wir Erinnerungen über die Meuterei, unsere Lager im Gebirge und Sexualität ausgetauscht hatten, fragte ich ihn, wie es ihm seitdem ergangen war. Nun erfuhr ich seine Geschichte:
Aloysius hatte mittlerweile eine neue Stelle. Er arbeitete jetzt bei einer nichtstaatlichen Organisation, die sich Sorgen um die Zerstörung der tropischen Wälder machte. Im tropischen Südostasien und auf den Pazifikinseln wird die industrielle Holzgewinnung vorwiegend von internationalen Konzernen betrieben, deren Tochterfirmen in vielen Staaten beheimatet sind; die Konzernzentralen liegen aber vor allem in Malaysia sowie in Taiwan und Südkorea. Sie pachten die Abholzungsrechte auf Flächen, die sich im Eigentum der lokalen Bewohner befinden, exportieren die unbearbeiteten Baumstämme und nehmen keine neue Anpflanzungen vor. Einen großen Teil seines Wertes gewinnt ein Baumstamm erst dadurch, dass er nach dem Fällen zersägt und weiterverarbeitet wird: Das heißt, das fertige Holz erzielt einen weit höheren Preis als der Baumstamm, aus dem es hergestellt wurde. Durch den Export unbearbeiteter Baumstämme wird der lokalen Bevölkerung und dem betreffenden Staat also ein großer Teil des potenziellen Wertes ihrer Ressourcen entzogen. Die erforderlichen staatlichen Genehmigungen verschaffen sich die Konzerne häufig durch Bestechung von Beamten, und dann gehen sie sowohl beim Straßenbau als auch bei der Holzgewinnung über die Grenzen des Gebietes hinaus, das sie tatsächlich gepachtet haben. Oder aber die Konzerne schicken einfach nur ein Schiff, handeln mit der lokalen Bevölkerung schnell eine Genehmigung aus, holzen die Bäume ab und ersparen sich die staatliche Lizenz völlig. In Indonesien stammen beispielsweise 70 Prozent des gefällten Holzes aus illegaler Abholzung, durch die dem indonesischen Staat jährlich rund 700 Millionen Euro an Steuereinnahmen, Gebühren und Pachtzahlungen entgehen. An Ort und Stelle verschafft man sich die Genehmigung, indem man Dorfobere beschwatzt, die in manchen Fällen die Kompetenz besitzen, Abholzungsrechte zu vergeben, in anderen jedoch nicht; diese Personen werden in die Hauptstadt oder nach Hongkong gebracht, wo man sie mit Luxushotels, teurem Essen, Getränken und Prostituierten verwöhnt, bis sie unterschreiben. Das hört sich nach einem teuren Geschäftsmodell an, aber man muss sich klarmachen, dass ein einziger großer Baum aus dem Regenwald viele tausend Euro wert ist. Die Zustimmung der einfachen Leute aus den Dörfern erkauft man sich mit Geldbeträgen, die ihnen gewaltig erscheinen, in Wirklichkeit aber innerhalb eines Jahres für Lebensmittel und andere Konsumgüter aufgebraucht sind. Außerdem macht das Unternehmen den Bewohnern auch Versprechungen - beispielsweise Wiederaufforstung oder den Bau von Krankenhäusern - die später nicht eingehalten werden. Aus Indonesisch-Borneo, von den Salomonen und anderen Orten wurde über Fälle berichtet, in denen Holzkonzerne mit einer Lizenz der Zentralregierung in die Wälder kamen und mit dem Abholzen begannen; als die Bewohner der Gegend erkannten, dass sie damit ein schlechtes Geschäft machten, versuchten sie, die Arbeiten mit Straßenblockaden oder Brandstiftung in Sägewerken zu verhindern, woraufhin das Holzunternehmen seine Rechte mit Hilfe von Polizei und Armee durchsetzte. Wie ich gehört habe, schüchtern die Holzkonzerne ihre Gegner sogar mit Morddrohungen ein.
Ein solcher Gegner war Aloysius. Die Unternehmen drohten tatsächlich, ihn zu ermorden, aber er blieb hartnäckig, weil er glaubte, er könne schon auf sich aufpassen. Dann drohten sie, seine Frau und seine Kinder umzubringen, die, das wusste er genau, nicht auf sich aufpassen konnten; auch er konnte sie nicht schützen, wenn er bei der Arbeit war. Um ihr Leben zu retten, brachte er sie nach Übersee in ein anderes Land, und er selbst wurde gegenüber möglichen Mordanschlägen sehr wachsam. Das war der Grund für seine Nervosität und das Verschwinden seiner fröhlichen, selbstbewussten Ausstrahlung.
Angesichts solcher Holzkonzerne müssen wir uns genau wie im Zusammenhang mit den zuvor erörterten Bergbauunternehmen fragen, warum sie ein ethisch derart verwerfliches Verhalten an den Tag legen. Die Antwort lautet auch hier: Dieses Verhalten bringt ihnen Gewinn, und zwar aus den gleichen drei Gründen, die auch das Motiv der Bergbauunternehmen darstellen. Es hat wirtschaftliche Vorteile, es entspricht der Unternehmenskultur, und es wird durch die Einstellungen von Gesellschaft und Regierung begünstigt. Bretter aus tropischem Ebenholz sind so wertvoll, und die Nachfrage ist so hoch, dass die schnelle Ausbeutung gepachteter tropischer Waldflächen ungeheure Gewinne bringt. Häufig kann man sich die Zustimmung der örtlichen Bevölkerung sichern, denn diese Menschen sind in verzweifelter Geldnot und haben nie gesehen, welche katastrophalen Auswirkungen die Rodung tropischer Regenwälder für die Grundbesitzer in der Gegend hat. (Wenn Organisationen, die sich gegen die Abholzung tropischer Regenwälder stellen, Grundbesitzer zur Verweigerung der Genehmigung veranlassen wollen, besteht einer der kostengünstigsten Wege darin, dass man diese Menschen in bereits abgeholzte Gebiete bringt und sie mit Grundbesitzern sprechen lässt, die ihre Entscheidung bereuen.) Die Beamten in den Forstministerien sind häufig bestechlich, haben weder die internationale Erfahrung noch die finanziellen Mittel der Holzkonzerne und sind sich unter Umständen nicht im Klaren, welch hohen Wert das fertige Holz besitzt. Unter solchen Umständen wird der Raubbau weiterhin ein gutes Geschäft sein, bis die Unternehmen keine Länder mit ungenutzten Wäldern mehr finden, und bis sowohl Regierungen als auch örtliche Grundbesitzer bereit sind, Genehmigungen zu verweigern und sich der illegalen, mit Gewalt durchgesetzten Holzgewinnung mit noch mehr Gewalt entgegenzustellen.
In anderen Ländern, insbesondere in Westeuropa und den Vereinigten Staaten, ist der Raubbau an den Wäldern zunehmend unprofitabel geworden. Anders als in großen Teilen der Tropen sind die unberührten Wälder in Westeuropa und Amerika bereits vollständig abgeholzt oder in steilem Niedergang begriffen. Die großen Holzkonzerne sind hier auf Flächen tätig, die ihnen selbst gehören oder die sie nicht kurzfristig, sondern mit langfristigen Verträgen gepachtet haben, sodass für sie unter gewissen Umständen ein wirtschaftlicher Anreiz besteht, nachhaltig zu arbeiten. Viele Verbraucher haben ein ausreichend großes Umweltbewusstsein und fragen nach, ob die Holzprodukte, die sie kaufen, auf zerstörerische, nicht nachhaltige Weise gewonnen wurden. In manchen Fällen bestehen ernsthafte, strenge staatliche Vorschriften, und Beamten lassen sich nicht ohne weiteres bestechen.
Dies hatte zur Folge, dass manche Holzkonzerne, die in Westeuropa und den Vereinigten Staaten tätig sind, sich nicht nur wegen ihrer Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Produzenten aus der Dritten Welt mit ihren niedrigeren Kosten Gedanken machen, sondern auch wegen der Frage, ob sie selbst überleben können, oder - um einen Begriff aus der Bergbau- und Ölbranche zu verwenden - wegen ihrer »gesellschaftlichen Betriebserlaubnis«. Manche Holzkonzerne haben umweltfreundliche Methoden eingeführt und sind bestrebt, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, aber dabei mussten sie feststellen, dass ihre im eigenen Interesse abgegebenen Behauptungen beim allgemeinen Publikum nicht glaubwürdig erschienen. Dem Verbraucher werden beispielsweise viele Holz- und Papierprodukte mit einer Plakette angeboten, die umweltfreundliche Aussagen wie »zwei angepflanzte Bäume für jeden, der gefällt wurde« tragen. In einer Übersichtsuntersuchung an 80 solchen Aussagen stellte sich jedoch heraus, dass 77 davon keinerlei reale Begründung hatten, drei ließen sich nur teilweise begründen, und alle wurden auf entsprechende Kritik hin zurückgezogen. Deshalb ist es nur verständlich, dass die Öffentlichkeit gelernt hat, solche Behauptungen der Unternehmen als unglaubwürdig abzutun.
Neben der Frage nach der sozialen Betriebserlaubnis und der Glaubwürdigkeit betrifft die Sorge der Unternehmen auch das bevorstehende Verschwinden der Wälder, die ihre Geschäftsgrundlage bilden. Weltweit wurde in den letzten 8000 Jahren mehr als die Hälfte der ursprünglichen Wälder abgeholzt oder schwer geschädigt. Unser Verbrauch an Produkten aus den Wäldern nimmt immer noch zu, und dies hatte zur Folge, dass mehr als die Hälfte dieser Verluste sich erst in den letzten 50 Jahren eingestellt hat, vor allem weil Wälder zu landwirtschaftlichen Zwecken gerodet wurden und weil der Papierverbrauch sich weltweit seit 1950 verfünffacht hat. Häufig ist die Holzgewinnung nur der erste Schritt in einer Kettenreaktion. Nachdem Zufahrtsstraßen in einem bewaldeten Gebiet gebaut wurden, gehen Wilderer über diese Straßen auf die Jagd nach Tieren, und ihnen folgen die Landbesetzer, die sich dort illegal ansiedeln. Weltweit liegen nur 12 Prozent der Waldflächen in geschützten Gebieten. In dem schlimmsten denkbaren Szenario werden alle leicht zugänglichen Waldflächen der Erde außerhalb dieser geschützten Gebiete in den nächsten Jahrzehnten auf nicht nachhaltige Weise abgeholzt, im besten Fall und bei guter Bewirtschaftung könnte die Welt ihren Holzbedarf aber nachhaltig aus einem kleinen Anteil (höchstens 20 Prozent) dieser Flächen decken.
Solche Fragen nach der langfristigen Zukunft ihrer eigenen Branche wurden für manche Vertreter aus Holzindustrie und Forstwirtschaft Anfang der neunziger Jahre zum Anlass, in Gespräche mit Umweltschutzgruppen, sozialen Organisationen und Vereinigungen indigener Völker einzutreten. Diese Diskussionen führten dazu, dass 1993 das Forest Stewardship Council (FSC) gegründet wurde, eine internationale, gemeinnützige Organisation mit Hauptsitz in Deutschland, die von mehreren Unternehmen, Regierungen, Stiftungen und Umweltschutzorganisationen finanziert wird. Geführt wird das Council von einem gewählten Vorstand und letztlich von seinen Mitgliedern, zu denen Vertreter der Holzindustrie ebenso gehören wie Interessengruppen aus Umweltschutz und Gesellschaft. Ursprünglich hatte sich das FSC eine dreifache Aufgabe gesetzt: Es wollte eine Liste von Kriterien für umweltfreundliche Waldbewirtschaftung aufstellen, mit einem Zertifizierungsverfahren bestätigen, dass bestimmte Wälder diese Kriterien erfüllten, und schließlich mit einem weiteren Mechanismus die Produkte aus solchen zertifizierten Wäldern über die komplizierte Zwischenhändlerkette bis zum Verbraucher verfolgen, sodass diese im Laden ein Papierprodukt, einen Stuhl oder ein Regal mit dem FSC-Siegel kaufen können und dann wissen, dass diese Produkte tatsächlich aus einem nachhaltig bewirtschafteten Wald stammen.
Um das erste Ziel zu erreichen, formulierte man zehn detaillierte Kriterien für eine umweltfreundliche, nachhaltige Waldbewirtschaftung. Dazu gehört, dass man Bäume nur in einer Menge entnimmt, die unbegrenzt beibehalten werden kann, weil neue Bäume ausreichend schnell nachwachsen und an die Stelle der gefällten Bäume treten; Wälder mit besonderem Wert für den Naturschutz, beispielsweise solche mit altem Baumbestand, werden von der Nutzung ausgenommen und sollen nicht in Plantagen aus gleichförmigen Bäumen umgewandelt werden; biologische Vielfalt, Nährstoffkreislauf, unversehrter Boden und andere Funktionen des Ökosystems Wald sollen langfristig geschützt werden; Wassereinzugsgebiete sind zu schützen, an Wasserläufen und Seen sind ausreichend breite Uferstreifen vorzusehen: die Bewirtschaftung ist langfristig zu planen; Chemikalien und Abfälle sind auf umweltfreundliche Weise zu entsorgen; die Gesetze des jeweiligen Staates sind zu befolgen; und die Rechte der einheimischen Gemeinden sowie der Waldarbeiter sind anzuerkennen.
Die nächste Aufgabe bestand in der Entwicklung eines Mechanismus, mit dem sich feststellen lässt, ob ein bestimmter Wald nach diesen Kriterien bewirtschaftet wird. Das FSC vergibt nicht selbst Zertifikate für Wälder, sondern es beauftragt damit eigenständige Organisationen, die sich tatsächlich in diesen Wald begeben und ihn bis zu zwei Wochen lang besichtigen. Rund um die Welt gibt es mittlerweile ein Dutzend derartige Organisationen, die alle anerkannt sind und international arbeiten können; in den Vereinigten Staaten werden die meisten Inspektionen von SmartWood (Zentrale in Vermont) und Scientific Certification Systems (Hauptsitz in Kalifornien) vorgenommen. Der Besitzer oder Verwalter eines Waldes schließt mit einer solchen Zertifizierungsorganisation einen Vertrag über die Inspektion und bezahlt das Gutachten, ohne dass im Vorhinein eine Garantie für ein positives Ergebnis besteht. Häufig stellt die Organisation nach der Inspektion eine Liste von Bedingungen auf, die vor der Anerkennung erfüllt werden müssen, oder es wird nur eine vorläufige Anerkennung erteilt, wobei ebenfalls weitere Bedingungen erfüllt werden müssen, bevor die FSC-Plakette zugeteilt wird.
Dabei gilt es zu betonen, dass die Initiative für die Zertifizierung eines Waldes immer vom Eigentümer oder Verwalter ausgehen muss; die Organisationen besichtigen Wälder nicht ohne Einladung. Damit stellt sich natürlich die Frage, warum ein Waldbesitzer oder -verwalter für eine solche Besichtigung etwas bezahlen soll. Die Antwort: Immer mehr Besitzer oder Verwalter kommen zu dem Schluss, dass dies in ihrem eigenen finanziellen Interesse liegt, weil die Gebühr für die Zertifizierung sich amortisiert. Die Zertifizierung durch eine unabhängige Organisation schafft ein besseres Image und mehr Glaubwürdigkeit, und das wiederum eröffnet den Zugang zu größeren Märkten und mehr Verbrauchern. Das FSC hat die wesentliche Eigenschaft, dass die Verbraucher darauf vertrauen können, weil es sich nicht um eine unbegründete Prahlerei des Unternehmens selbst handelt, sondern um das Ergebnis einer Überprüfung nach international anerkannten Bewirtschaftungsstandards, und diese Überprüfung wird von ausgebildeten, erfahrenen Gutachtern vorgenommen, die sich nicht scheuen, nein zu sagen oder zusätzliche Bedingungen zu stellen.
Der letzte Schritt war die Dokumentation der Warenkette, das heißt des Weges, auf dem das Holz eines in Oregon gefällten Baumes zu einem Regal wird, das in einem Laden in Miami im Schaufenster steht. Selbst wenn ein Wald zertifiziert ist, verkauft der Eigentümer die Stämme unter Umständen an ein Sägewerk, das auch unzertifiziertes Holz verarbeitet, dieses veräußert die Bretter an einen Möbelhersteller, der auch unzertifiziertes Schnittholz kauft, und so weiter. Zwischen Rohstoffproduzenten, Lieferanten, Herstellern, Groß- und Einzelhandel bestehen derart komplizierte Verflechtungen, dass sogar die Unternehmen selbst über die unmittelbaren Lieferanten oder Abnehmer hinaus nur in den seltensten Fällen wissen, woher ihr Holz kommt oder wohin es geht. Damit der Endverbraucher in Miami die Sicherheit hat, dass das dort erworbene Regal tatsächlich aus einem Baum eines zertifizierten Waldes hergestellt wurde, müssen die Zwischenlieferanten zertifizierte und nichtzertifizierte Ware getrennt halten, und die Gutachter müssen bestätigen, dass dies auch tatsächlich an allen Stationen der Handelskette geschieht. Die Zertifizierung der Abnahmekette besteht also darin, dass man die Ware entlang der gesamten Lieferantenkette verfolgt. Am Ende tragen nur etwa 17 Prozent der Produkte aus zertifizierten Wäldern im Laden tatsächlich die FSC-Plakette; die restlichen 83 Prozent werden irgendwo im Verlauf der Kette mit nichtzertifizierten Produkten vermischt. Die Zertifizierung der Handelskette hört sich also nach einer schwierigen Aufgabe an, und das ist sie tatsächlich. Aber es sind notwendige Schwierigkeiten, denn sonst hätte der Endverbraucher, was die Herkunft des Regals im Laden in Miami angeht, keine Sicherheit.
Machen sich in der Öffentlichkeit so viele Menschen wirklich Gedanken um Umweltprobleme, dass das FSC-Zertifikat den Verkaufvon Holzprodukten fördert? In Meinungsumfragen geben 80 Prozent der Verbraucher an, sie würden lieber Produkte mit umweltfreundlicher Herkunft kaufen, wenn sie die Wahl hätten. Aber sind das nur leere Worte, oder achten die Menschen im Laden tatsächlich auf das FSC-Etikett? Und wären sie bereit, für Produkte mit einem solchen Etikett ein wenig mehr zu bezahlen?
Solche Fragen sind entscheidend, wenn Unternehmen erwägen, sich zertifizieren zu lassen und dafür zu bezahlen. In einem Experiment, das in zwei Läden der Kette »Home Depot« in Oregon stattfand, wurden die Fragen auf den Prüfstand gestellt. In jedem Laden wurden dicht nebeneinander zwei Behälter mit Sperrholzstücken aufgestellt, wobei die Holzstücke in dem einen Behälter das FSC-Etikett trugen, die in dem anderen aber nicht. Der Versuch wurde zwei Mal gemacht: Ein Mal kostete das Sperrholz in beiden Behältern das Gleiche, beim zweiten Mal war der Preis des Holzes mit dem FSC-Etikett um zwei Prozent höher als der für die unmarkierte Variante. Bei gleichen Preisen verkaufte sich das FSC-markierte Holz in doppelt so großer Menge wie die nichtetikettierte Sorte. (In einem Laden in einer »liberalen« Universitätsstadt mit hohem Umweltbewusstsein lag das Verhältnis sogar bei 6 zu 1, aber selbst der andere Laden in einer eher »konservativen« Kleinstadt erzielte mit dem markierten Holz noch einen um 19 Prozent höheren Absatz.) Kostete das etikettierte Holz jedoch um zwei Prozent mehr, bevorzugte die Mehrheit der Verbraucher natürlich das billigere Produkt, aber eine große Minderheit von 37 Prozent griff dennoch zu dem markierten Holz. Ein großer Teil der Öffentlichkeit lässt ökologische Erwägungen also tatsächlich in seine Kaufentscheidungen einfließen, und ein bedeutender Teil dieser Gruppe ist durchaus bereit, aufgrund solcher Überlegungen mehr zu bezahlen.
Als die FSC-Zertifizierung eingeführt wurde, bestanden anfangs große Befürchtungen, dass entsprechend gekennzeichnete Produkte am Ende tatsächlich mehr kosten, weil die Gutachten oder die forstwirtschaftlichen Methoden, die dafür die Voraussetzung bilden, zusätzlichen Aufwand verursachen. Im weiteren Verlauf zeigte die Erfahrung jedoch, dass die Zertifizierung die Entstehungskosten für ein Holzprodukt in der Regel nicht ansteigen lässt. Wo zertifizierte Produkte auf den Märkten tatsächlich höhere Preise erzielten als vergleichbare nichtzertifizierte Waren, handelte es sich nicht um wirkliche Kosten, sondern die Preise entstanden durch die Gesetze von Angebot und Nachfrage: Wenn Einzelhändler ein zertifiziertes Produkt verkauften, das bei hoher Nachfrage nur in geringen Stückzahlen zur Verfügung stand, konnten sie die Preise anheben.
Zu den Unternehmen, die bei der Gründung des FSC mitwirkten, im Vorstand mitarbeiteten oder sich in jüngerer Zeit den Zielen der Organisation verpflichteten, gehören einige der weltgrößten Produzenten und Vertreiber von Holzprodukten. In den Vereinigten Staaten sind das unter anderem folgende Unternehmen: Home Depot, der weltgrößte Einzelhändler für Nutzholz; Lowe’s, hinter Home Depot an zweiter Stelle in der US-Baustoffbranche; Columbia Forest Products, in den USA einer der größten Hersteller von Holzprodukten; Kinko’s, der weltgrößte Anbieter von Büro- und Kopierdienstleistungen; Collins Pine and Kane Hardwoods, in den USA einer der größten Produzenten von Kirschbaumholz; Gibson Guitars, weltweit einer der führenden Gitarrenhersteller; die Seven Islands Land Company, die im Bundesstaat Maine rund 400 000 Hektar Wald bewirtschaftet; und die Andersen Corporation, der weltgrößte Türen- und Fensterhersteller. Wichtige Mitglieder außerhalb der USA sind unter anderem: Tembec und Domtar, zwei der größten Forstwirtschaftsunternehmen Kanadas; B&Q, in Großbritannien die größte Baumarktkette und das Gegenstück zu Home Depot in den USA; Salisbury’s, die zweitgrößte britische Supermarktkette; Ikea aus Schweden, weltgrößter Einzelhändler für Selbstbaumöbel; und SCA sowie Svea Skog (früher Asi Domain), zwei der größten schwedischen Forstwirtschaftsunternehmen. Diese und andere Unternehmen schlössen sich dem FSC an, weil es nach ihrer eigenen Schätzung ihren wirtschaftlichen Interessen dient, aber zu dieser Beurteilung gelangten sie durch unterschiedliche Kombinationen aus »Zug« und »Druck«. Der Druck kam zustande, weil einige der genannten Firmen von Umweltschutzgruppen aufs Korn genommen wurden, die nicht damit einverstanden waren, dass die Unternehmen beispielsweise Holz aus alten Baumbeständen verkauften: Eine solche Kampagne der Gruppe Rainforest Action Network richtete sich beispielsweise gegen Home Depot. Was den »Zug« anging, so erkannten die Firmen viele Gelegenheiten, ihre Umsätze auch angesichts einer zunehmend umweltbewussten Öffentlichkeit beizubehalten oder zu steigern. Zur Verteidigung von Home Depot und anderen Unternehmen, die erst durch einen gewissen »Druck« motiviert wurden, ist allerdings zu sagen: Sie mussten verständlicherweise bei Veränderungen in dem Lieferantennetz, das sie über viele Jahre aufgebaut hatten, vorsichtig vorgehen. Als es dann so weit war, lernten sie schnell, und heute übt Home Depot selbst Druck auf seine Lieferanten in Chile und Südafrika aus, damit diese den FSC-Standard übernehmen.
Wie ich im Zusammenhang mit dem Erzbergbau erläutert habe, stammte der wirksamste Druck, veränderte Methoden einzuführen, nicht von einzelnen Verbrauchern, die vor den Minen demonstrierten, sondern von Unternehmen (beispielsweise Du Pont und Tiffany), die Metalle abnehmen und an die Endverbraucher verkaufen. Ein ähnliches Phänomen ist auch in der Holzindustrie zu beobachten. Die größten Holzmengen werden zum Bau von Häusern verbraucht, aber die meisten Bauherren wissen nicht, welche Forstwirtschaftsunternehmen das in ihrem Haus verwendete Holz produzieren: sie wählen diese Unternehmen nicht aus und kontrollieren sie nicht. Die Abnehmer der Holzunternehmen sind vielmehr die großen Hersteller von Holzprodukten wie Home Depot oder Ikea, aber auch große institutionelle Kunden wie die Stadt New York oder die University of Wisconsin. Die Rolle solcher Unternehmen und Institutionen bei der Kampagne zur Beendigung der Apartheid in Südafrika machte deutlich, dass sie selbst mächtige, reiche, entschlossene, gut bewaffnete und scheinbar starrsinnige Einrichtungen wie die südafrikanische Regierung der Apartheidära beeinflussen können. In der Handelskette der Holzprodukte haben sich viele Einzelhändler und Hersteller einen größeren Einfluss gesichert, indem sie sich zu »Einkaufsgemeinschaften« organisiert haben, die sich dazu verpflichten, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes ihren Absatz an zertifizierten Produkten zu steigern und dabei FSC-zertifizierte Produkte zu bevorzugen. Weltweit gibt es heute mehr als ein Dutzend solche Gruppen. Die Größte befindet sich in Großbritannien und umfasst dort einige der größten Einzelhandelsunternehmen. Auch in den Niederlanden und anderen westeuropäischen Staaten sowie in den USA, Brasilien und Japan nimmt die Macht solcher Einkaufsgemeinschaften zu.
Eine weitere bedeutende Triebkraft für die Verbreitung FSC-zertifizierter Produkte ist in den Vereinigten Staaten der »grüne Standard der Bauindustrie«, der auch als LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) bezeichnet wird. Dieses Regelwerk stellt Maßstäbe für umweltfreundliche Konstruktion und Materialauswahl in der Bauindustrie auf. Immer mehr US-Bundesstaaten und Stadtverwaltungen gewähren Steuererleichterungen für Unternehmen, die einen hohen LEED-Standard einhalten, und bei vielen staatlichen Bauprojekten wird die Einhaltung dieser Standards bereits zwingend vorgeschrieben. Dies war ein wichtiger Anreiz für Bauunternehmen und Architekten, die nicht unmittelbar an die Öffentlichkeit treten und bei Verbrauchern kaum bekannt sind: Sie entschlossen sich dennoch zum Kauf FSC-zertifizierter Produkte, weil sie dann von den Steuervergünstigungen profitieren und besser an öffentliche Aufträge gelangen. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass sowohl der LEED-Standard als auch die Einkaufsgemeinschaften ihre Entstehung letztlich dem Umweltbewusstsein der einzelnen Verbraucher verdanken, denn die Unternehmen wollen erreichen, dass ihr Name in den Köpfen der Verbraucher mit umweltbewusstem Verhalten in Verbindung gebracht wird. Über den Mechanismus von LEED-Standard und Einkaufsgemeinschaften können die einzelnen Verbraucher das Verhalten von Unternehmen beeinflussen, die ansonsten dem einzelnen Kunden keine Rechenschaft ablegen müssten.
Seit der Gründung des FSC im Jahr 1993 hat sich der Gedanke, Wälder zu zertifizieren, über die ganze Welt verbreitet. Derzeit gibt es ungefähr in 64 Ländern zertifizierte Wälder und Vertriebsketten. 404 000 Quadratkilometer Waldflächen sind zertifiziert, davon 85 000 in Nordamerika. In neun Staaten gibt es jeweils mindestens 10 000 Quadratkilometer zertifizierte Wälder. An der Spitze steht Schweden mit 98 000 Quadratkilometern (mehr als die Hälfte der gesamten Waldflächen im Land), dann folgen in absteigender Reihenfolge Polen, die Vereinigten Staaten, Kanada, Kroatien, Lettland, Brasilien, Großbritannien und Russland. Die Staaten mit dem höchsten Absatz an FSC-zertifizierten Holzprodukten sind Großbritannien, wo ungefähr 20 Prozent der verkauften Holzmenge das FSC-Siegel tragen, und die Niederlande. 16 Länder besitzen einzelne zertifizierte Wälder mit Flächen von über 1000 Quadratkilometern, darunter als größter in Nordamerika der Gordon Cosens Forest in Ontario mit 20 200 Quadratkilometern, der von dem kanadischen Holz- und Papierkonzern Tembec bewirtschaftet wird. Bis 2005 will Tembec die gesamten 130 000 Quadratkilometer Wald, die das Unternehmen in Kanada bewirtschaftet, zertifizieren lassen. Neben Wäldern in Privatbesitz sind auch staatliche Flächen zertifiziert: In den Vereinigten Staaten beispielsweise ist der Bundesstaat Pennsylvania mit 7800 Quadratkilometern der größte Eigentümer zertifizierter Wälder.
In der ersten Zeit nach der Gründung des FSC verdoppelte sich die Fläche der zertifizierten Wälder jedes Jahr. In jüngster Zeit ist die jährliche Wachstumsrate auf »nur noch« 40 Prozent zurückgegangen. Der Grund: Die ersten Unternehmen und Manager, die das Zertifikat erhielten, hatten auch zuvor bereits die FSC-Standards eingehalten. Dagegen mussten die Unternehmen, deren Wälder in jüngster Zeit hinzukamen, zunächst ihre Methoden ändern und so den FSC-Standard erreichen. Während das FSC-Zertifikat also anfangs eine Anerkennung für Unternehmen mit umweltfreundlichen Methoden war, dient es heute zunehmend dazu, andere, früher weniger umweltfreundliche Unternehmen zu einer Änderung ihrer Praxis zu veranlassen.
Das beste Kompliment für die Wirksamkeit des Forest Stewardship Council kam von Holzkonzernen, die sich der Institution entgegenstellten: Sie gründeten eigene Zertifizierungsorganisationen mit niedrigeren Standards. Dazu gehören in den Vereinigten Staaten die Sustainable Forestry Initiative, die von der American Forest and Paper Association ins Leben gerufen wurde, die Canadian Standards Association und das Pan-European Forest Council. Die Folge (und vermutlich die Absicht) besteht darin, die Öffentlichkeit mit konkurrierenden Behauptungen zu verwirren: Die Sustainable Forestry Initiative führte anfangs beispielsweise sechs verschiedene Plaketten ein, auf denen sechs verschiedene Behauptungen erhoben wurden. Alle diese Konkurrenzorganisationen fordern im Gegensatz zum FSC keine unabhängige Begutachtung, sondern sie gestatten, dass die Unternehmen sich das Zertifikat selbst ausstellen (das ist kein Witz). Sie verlangen von den Unternehmen nicht, dass diese sich selbst nach einheitlichen Standards und mit quantifizierbaren Ergebnissen (beispielsweise »Breite der Ufervegetationsstreifen an Wasserläufen«) beurteilen, sondern belassen es bei nicht nachprüfbaren Aussagen (»wir sind entschlossen«, »unser Vorstand steht in Diskussionen«). Außerdem fehlt die Zertifizierung der Lieferantenkette, sodass jedes Produkt eines Sägewerkes, das sowohl zertifiziertes als auch nichtzertifiziertes Holz verarbeitet, das Zertifikat erhält. Das Pan-European Forest Council praktiziert eine regionale, automatische Zertifizierung, durch die beispielsweise der ganze Staat Österreich sehr schnell das Zertifikat erhielt. Ob die Industrie, die sich auf diese Weise selbst zertifiziert, am Ende durch Verlust der Glaubwürdigkeit bei den Verbrauchern einen Konkurrenznachteil gegenüber dem FSC in Kauf nehmen muss, oder ob sie sich den FSC-Standards anschließt, um an Glaubwürdigkeit zu gewinnen, bleibt abzuwarten.
Als letzte Branche möchte ich die Fischereiwirtschaft erörtern. Sie hatte mit den gleichen grundlegenden Problemen zu kämpfen wie Ölindustrie, Bergbau und Holzwirtschaft: Das Wachstum von Weltbevölkerung und Wohlstand führt zu steigender Nachfrage bei sinkendem Angebot. In den Industrieländern ist der Verbrauch an Meeresprodukten hoch und steigt immer noch, Umfang und Wachstum sind aber in anderen Ländern noch stärker: In China hat sich der Verbrauch beispielsweise in den letzten zehn Jahren verdoppelt. In der Dritten Welt stammen 40 Prozent der aufgenommenen Proteine (pflanzlichen und tierischen Ursprungs) aus Fischen, die für über eine Milliarde Menschen in Asien die wichtigsten Proteinlieferanten darstellen. Auf der ganzen Welt führen Wanderungsbewegungen aus dem Inneren der Kontinente an die Küste zu einer weiteren Steigerung der Nachfrage nach Lebensmitteln aus dem Meer; bis zum Jahr 2010 werden drei Viertel der Weltbevölkerung nicht weiter als 80 Kilometer von einer Küste entfernt wohnen. Wegen dieser Abhängigkeit von Fischereiprodukten bietet das Meer weltweit ungefähr 200 Millionen Menschen Arbeitsplätze und Einkommen; in Island, Chile und einigen anderen Staaten ist die Fischerei die wichtigste Grundlage der Wirtschaft. Die Bewirtschaftung aller erneuerbaren biologischen Ressourcen ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, und die Fischerei wirft hier besonders große Probleme auf. Schon, wenn es sich um die Hoheitsgewässer eines einzigen Staates handelt, ist die Verwaltung der Fischbestände nicht einfach, noch größer aber sind die Schwierigkeiten, wenn sich die Fischgründe über Gewässer erstrecken, die von mehreren Staaten kontrolliert werden. Da hier kein einzelner Staat seinen Willen durchsetzen kann, brechen die Fischbestände in solchen Regionen in der Regel als Erste zusammen. Auf dem offenen Meer, jenseits der 200-Meilen-Fischereigrenze, ist die Fischerei der Kontrolle aller Regierungen entzogen. Untersuchungen zufolge könnten die Fangmengen weltweit bei richtiger Bewirtschaftung nachhaltig auf einem Niveau gehalten werden, das noch über dem derzeitigen Stand liegt. Aber in ihrer Mehrzahl sind die kommerziell wichtigen Meeresfischbestände der ganzen Welt mittlerweile entweder so weit zusammengebrochen, dass sie keine wirtschaftliche Rolle mehr spielen, oder sie wurden stark dezimiert, werden derzeit überfischt, erholen sich nur langsam von früherer Überfischung, oder bedürfen aus anderen Gründen dringend einer Bewirtschaftung. Zu den wichtigsten Fischbeständen, die bereits zusammengebrochen sind, gehören der Atlantik-Heilbutt, der Atlantik-Blauflossenthunfisch, der Atlantik-Schwertfisch, der Nordseehering, der kanadische Kabeljau, der argentinische Seehecht und der australische Kabeljau Maccullochella peelii. In den überfischten Gebieten des Atlantik und Pazifik wurden 1989 die größten Fangmengen eingebracht; seither gehen die Fänge ständig zurück. Der wichtigste Grund für den Zusammenbruch liegt in der Tragödie des Gemeineigentums, die im vorangegangenen Kapitel erörtert wurde: Sie macht es den Nutzern schwer, im Zusammenhang mit der Ausbeutung einer gemeinsamen erneuerbaren Ressource zu einer Übereinkunft zu gelangen, obwohl alle ein Interesse daran haben. Eine wirksame Bewirtschaftung und entsprechende Vorschriften fehlen, und es gibt so genannte perverse Subventionen, das heißt wirtschaftlich sinnlose Zuwendungen, mit denen viele Regierungen aus politischen Gründen eine Fischereiflotte unterstützen, obwohl diese im Verhältnis zu den Fischbeständen viel zu groß ist; dies führt fast zwangsläufig zu Überfischung und damit zu so geringen Gewinnen, dass diese ohne Subventionen zum Leben nicht mehr ausreichen.
Die durch Überfischung verursachten Schäden gehen weit über unsere zukünftigen Aussichten auf Fischmahlzeiten hinaus, und sie enden auch nicht beim Überleben der einzelnen Bestände von Fischen und anderen Lebewesen, die wir ausbeuten. In der Fischerei werden meist Netze und andere Methoden eingesetzt, mit denen man neben den gewünschten Tieren auch viele andere fängt. Dieser so genannte »Beifang« macht zwischen einem Viertel und zwei Dritteln der gesamten Fangmengen aus. In den meisten Fällen gehen die Tiere des Beifanges zugrunde und werden wieder über Bord geworfen. Dabei handelt es sich um unerwünschte Fischarten, die Jungtiere der gesuchten Fischarten, Robben, Delphine und Wale, Haie und Meeresschildkröten. Aber der tödliche Beifang ist nicht unvermeidlich: Auf dem Pazifik konnte man beispielsweise die Sterblichkeit der Delphine in der Thunfischfischerei mit veränderten Gerätschaften und Methoden um den Faktor 50 senken. Schwere Schäden verursacht die Fischerei auch in den Lebensräumen im Meer: Netze zerstören den Meeresboden, Dynamit und Cyanid setzen den Korallenriffen zu. Und schließlich schädigen die Fischer sich durch die Überfischung auch selbst, weil sie letztlich ihre eigene Lebensgrundlage und ihre Arbeitsplätze zerstören.
Alle diese Probleme beunruhigen nicht nur Wirtschaftsfachleute und Umweltschützer, sondern auch manche Verantwortlichen in der Fischereiindustrie selbst. Dies galt beispielsweise für Manager des Unilever-Konzerns, der weltweit zu den größten Abnehmern für Gefrierfisch gehört. Unilever-Produkte sind dem Verbraucher in den Vereinigten Staaten unter dem Markennamen Gorton bekannt (der später von Unilever verkauft wurde), in Großbritannien heißen sie Birdeye Walls, in Deutschland Iglo, im übrigen Europa Findus und Frudsa. Die Manager machten sich Sorgen, weil Fische - die Ware, die sie kaufen und verkaufen -überall auf der Welt knapp wurden. Auf ganz ähnliche Weise hatten auch die Verantwortlichen in den Holzkonzernen, die das Forest Stewardship Council gründeten, sich Sorgen um die schnelle Schrumpfung der Wälder gemacht. Deshalb tat sich Unilever 1997, vier Jahre nach der Einrichtung des FSC, mit dem World Wildlife Fund zusammen, und beide gemeinsam gründeten eine Organisation, die dem FSC ähnelt und als Marine Stewardship Council (MSC) bezeichnet wird. Sie setzte sich das Ziel, den Verbrauchern ein glaubwürdiges ökologisches Siegel anzubieten und die Fischer nicht durch den negativen Anreiz einer Boykottdrohung, sondern durch den positiven Anreiz eines Marktvorteils zur Lösung ihrer eigenen Tragödie des Gemeineigentums zu veranlassen. Mittlerweile beteiligen sich neben Unilever und dem World Wildlife Fund auch andere Unternehmen und Stiftungen an der Finanzierung des MSC.
In Großbritannien unterstützen neben Unilever noch folgende Unternehmen das MSC oder kaufen dessen Produkte: Young’s Bluecrest Seafood Company, der größte britische Hersteller von Fischprodukten; Sainsbury, in Großbritannien der größte Einzelhändler für frische Lebensmittel; die Supermarktketten Marks & Spencer und Safeway; und die Boyd Line, die eine Fischfangflotte betreibt. Zu den wichtigsten Geldgebern in den USA gehören Whole Foods, der weltgrößte Einzelhandelskonzern für Naturkost und biologische Lebensmittel, sowie die Supermarktketten Shaw’s und Trader Joe. In anderen Ländern zu erwähnen sind Migros, die größte Lebensmittelkette der Schweiz, und Kailis and France Foods, die in Australien Fischereischiffe, Fabriken, Supermärkte und Exportfirmen betreibt.
Die Kriterien, die das MSC an die Fischerei anlegt, wurden in Gesprächen von Fischern, Fischereimanagern, Fischverarbeitern, Einzelhändlern, Fischereiwissenschaftlern und Umweltgruppen festgelegt. Am wichtigsten ist, dass die Gesundheit der Bestände (einschließlich ihrer Geschlechts- und Altersverteilung sowie ihrer genetischen Vielfalt) auf unbegrenzte Zeit erhalten bleibt; die Fischerei soll eine nachhaltige Nutzung anstreben, die Ökosysteme unversehrt lassen, die Auswirkungen auf Lebensräume und unerwünschte Arten (Beifang) so gering wie möglich halten, Regeln und Verfahren zur Bewirtschaftung der Bestände und zur Verringerung der Beeinträchtigungen aufstellen und alle geltenden Gesetze beachten.
Hersteller von Fischprodukten bombardieren die Verbraucher mit ganz unterschiedlichen Behauptungen über die angebliche Umweltfreundlichkeit ihrer Methoden. Manche dieser Aussagen sind täuschend oder stiften Verwirrung. Deshalb setzt das MSC genau wie das FSC auf die Zertifizierung durch unabhängige Instanzen. Auch das MSC nimmt die Begutachtung nicht selbst vor, sondern beauftragt damit mehrere Organisationen. Der Antrag auf Zertifizierung ist freiwillig: Die Verantwortlichen in den Unternehmen müssen selbst entscheiden, ob die Vorteile der Zertifizierung nach ihrer Einschätzung die Kosten rechtfertigen. Kleineren Unternehmen hilft mittlerweile eine Stiftung namens David and Lucille Packard Foundation auf dem Weg über den Sustainable Fisheries Fund, die Kosten für die Zertifizierung aufzubringen. Am Anfang des Verfahrens steht eine vertrauliche Vorabbeurteilung des Unternehmens, das den Antrag stellt. Entscheidet dieses sich dann für die Begutachtung, folgt die vollständige Beurteilung, die in der Regel ein bis zwei Jahre (in komplizierten Fällen auch bis zu drei Jahren) erfordert; dabei wird festgelegt, welche Probleme aus dem Weg geräumt werden müssen. Wenn die Begutachtung günstig ausfällt und die genannten Forderungen erfüllt sind, erhält das Unternehmen für fünf Jahre das Zertifikat, wobei es sich allerdings jedes Jahr einer erneuten, nicht angemeldeten Begutachtung unterziehen muss. Die Ergebnisse dieser jährlichen Überprüfungen werden auf einer öffentlichen Webseite publiziert, sodass interessierte Dritte sie unter die Lupe nehmen und infrage stellen können. Erfahrungsgemäß sind die meisten Unternehmen nach erteilter MSC-Zertifizierung sehr darauf bedacht, diese nicht wieder zu verlieren, und deshalb erfüllen sie im Rahmen der jährlichen Begutachtung alle an sie gestellten Forderungen. Wie im Fall des FSC, so wird auch hier die Handelskette überwacht, sodass die Fische eines zertifizierten Unternehmens vom Kutter über den Hafen, wo sie angelandet werden, und dann über Großmärkte, Verarbeitungsbetriebe (Gefrierfisch- und Dosenfischhersteller) und Großhändler bis zu den Einzelhändlern verfolgt werden können. Nur Produkte aus zertifizierten Fischgründen, die man über diese ganze Kette hinweg verfolgen kann, dürfen im Laden oder Restaurant beim Verkauf an den Endverbraucher mit dem MSC-Logo gekennzeichnet sein.
Die Zertifizierung bezieht sich sowohl auf die Fischgründe oder Fischbestände als auch auf die Methoden und Gerätschaften, die bei der Nutzung dieser Bestände eingesetzt werden. Um die Zertifizierung bemühen sich Gruppen von Fischern, staatliche Fischereiministerien, die im Namen einer nationalen oder lokalen Fischereiorganisation tätig werden, und Zwischenhändler wie Verarbeitungsbetriebe oder Großhändler. Anträge werden nicht nur für Fischbestände gestellt, sondern auch für Muscheln und Krebse. Das größte der sieben Fischereigebiete, die bisher zertifiziert sind, ist die Wildlachsfischerei im US-Bundesstaat Alaska, die von der Fischerei- und Jagdbehörde des Staates Alaska vertreten wird. An zweiter und dritter Stelle stehen der westaustralische Stein-Hummer (die wertvollste einzelne Art von Meerestieren in Australien, die etwa 20 Prozent des Umsatzes der gesamten australischen Fischerei ausmacht) und der Neuseeland-Hoki (Neuseelands wertvollstes Fischerei-Exportprodukt). Darüber hinaus sind vier kleinere Fischereien in Großbritannien zertifiziert: Der Themsehering, die mit Handleinen gefangene Südwest-Makrele, Herzmuscheln aus dem Meeresarm von Burry und die Kaisergranat-Reusenfischerei von Loch Torridon. Beantragt ist die Anerkennung für den Alaska-Pollack, die größte Fischerei der Vereinigten Staaten, die dort etwa die Hälfte der Fangmengen ausmacht; für den Pazifik-Heilbutt der USA, den Kalifornischen Taschenkrebs und die Gefleckte Garnele an der US-Westküste; für den Streifenbarsch an der US-Ostküste; und für den Hummer an der Baja California. Außerdem gibt es Pläne, die Zertifizierung von wild gefangenen Fischen auf die Aquakultur zu erweitern (die ihre eigenen, im nächsten Kapitel erwähnten großen Probleme aufwirft), wobei man mit Garnelen anfangen und das Verfahren dann auf zehn weitere Arten ausdehnen will, darunter vielleicht auch der Lachs. Derzeit sieht es so aus, als würde die Zertifizierung der weltweit wichtigsten Fischgründe für wild gefangene Garnelen die größten Probleme aufwerfen (weil diese vor allem mit Bodennetzen gefangen werden, die einen umfangreichen Beifang produzieren), und große Schwierigkeiten bereitet auch die Fischerei in Gebieten, die nicht der Rechtsprechung eines einzelnen Staates unterliegen.
Insgesamt hat sich die Zertifizierung in der Fischerei als schwieriger und langwieriger erwiesen als in der Forstwirtschaft. Dennoch bin ich angenehm überrascht, welche Fortschritte das MSC in den letzten fünf Jahren gemacht hat: Ich hatte damit gerechnet, dass es noch schwieriger werden und langsamer vorangehen würde.
Kurz gesagt, hängt das ökologische Verhalten der Unternehmen von einer grundlegenden Tatsache ab, die dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen widerspricht. Je nach den Umständen kann ein Unternehmen zumindest auf kurze Sicht tatsächlich maximale Gewinne erzielen, wenn es die Umwelt und die Menschen schädigt. Das gilt heute für die Fischer in nicht bewirtschafteten Fischereigebieten ohne Fangquoten, und für die internationalen Holzkonzerne mit kurzfristigen Pachtverträgen für tropische Regenwälder in Ländern, wo die Beamten korrupt sind und die Grundbesitzer nicht Bescheid wissen. Es galt auch für die Ölkonzerne bis zu der katastrophalen Ölpest am Santa Barbara Channel im Jahr 1969 und für die Bergbauunternehmen in Montana bis zur Verabschiedung der neuen Rekultivierungsgesetze. Wenn staatliche Vorschriften greifen und das Umweltbewusstsein der Öffentlichkeit erwacht ist, haben umweltfreundliche Unternehmen gegenüber solchen, die ökologische Schäden anrichten, einen Konkurrenzvorteil, aber wenn der Staat nicht handelt und die Öffentlichkeit gleichgültig ist, gilt wahrscheinlich das Umgekehrte.
Für uns als Außenstehende ist es einfach und billig, einem Unternehmen vorzuwerfen, dass es andere Menschen schädigt, weil es seinen eigenen Vorteil sucht. Aber solche Vorwürfe allein werden meist nicht zum Auslöser von Veränderungen. Sie lassen die Tatsache außer Acht, dass Unternehmen keine gemeinnützigen Einrichtungen sind, sondern Gewinne erzielen wollen, und dass Aktiengesellschaften sogar die Verpflichtung haben, den Gewinn im Sinne ihrer Aktionäre zu maximieren, solange sie dies mit legalen Mitteln tun. Nach unseren Gesetzen machen sich die Manager eines Unternehmens der »Untreue« schuldig, wenn sie das Unternehmen wissentlich so führen, dass die Gewinne zurückgehen. Der Autohersteller Henry Ford wurde 1919 tatsächlich erfolgreich von Aktionären verklagt, weil er den Mindestlohn der Arbeiter auf fünf Dollar pro Tag angehoben hatte: Das Gericht erklärte, Fords humanitäre Empfindungen gegenüber seinen Angestellten seien zwar lobenswert, aber das Unternehmen sei dazu da, Gewinne für die Aktionäre zu erzielen.
Unsere Vorwürfe an die Adresse der Unternehmen lassen außerdem außer Acht, dass es letztlich in der Verantwortung der Öffentlichkeit liegt, ob sie die Voraussetzungen schafft, damit ein Unternehmen durch Schädigung der Öffentlichkeit Gewinne erzielen kann, zum Beispiel weil sie von den Bergbauunternehmen keine Rekultivierung fordert und weil viele Menschen weiterhin Holzprodukte aus nicht nachhaltiger Forstwirtschaft kaufen. Auf lange Sicht hat die Allgemeinheit entweder indirekt oder auf dem Weg über ihre Politiker die Macht, umweltschädliche Verhaltensweisen zu einem Verlustgeschäft und zu illegaler Tätigkeit zu machen, während eine nachhaltige ökologische Praxis Gewinne einbringt. Die Öffentlichkeit kann Unternehmen auf Schadenersatz verklagen, wie es nach den Katastrophen mit Exxon Valdez, Piper Alpha und Bhopal geschah; sie kann bevorzugt nachhaltig hergestellte Produkte kaufen, eine Vorgehensweise, auf die Home Depot und Unilever sich bereits einstellen; sie kann dafür sorgen, dass die Mitarbeiter von Firmen mit schlechter Umweltbilanz sich für ihr Unternehmen schämen und sich gegenüber ihren eigenen Vorgesetzten beschweren; sie kann dafür sorgen, dass Regierungen profitable Verträge mit Unternehmen abschließen, die eine gute Umweltbilanz vorzuweisen haben, wie es die norwegische Regierung mit Chevron tat; und sie können Druck auf ihre Regierungen ausüben, damit diese Gesetze und Vorschriften verabschieden und durchsetzen, die umweltfreundliches Verhalten verlangen wie beispielsweise die neuen Vorschriften für die Kohleindustrie, die in den Vereinigten Staaten in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erlassen wurden. Die Großunternehmen können ihrerseits sehr wirksam Druck auf ihre Lieferanten ausüben, die den Druck von Öffentlichkeit und Regierungen möglicherweise nicht fürchten. Als beispielsweise die amerikanische Öffentlichkeit sich immer größere Sorgen um die Ausbreitung des Rinderwahnsinns machte, erließ die Lebensmittelbehörde der USA neue Vorschriften, wonach die Lebensmittelindustrie manche Methoden, die die Verbreitung begünstigten, aufgeben musste. Die Fleisch verarbeitenden Betriebe widersetzten sich fünf Jahre lang und behaupteten, die Befolgung der Vorschriften sei zu teuer. Als aber dann bei McDonalds der Hamburger-Absatz zurückging und das Unternehmen daraufhin dieselben Anforderungen stellte, kam die Fleischindustrie der Forderung innerhalb weniger Wochen nach. Der Grund: »Wir haben den größten Einkaufswagen der Welt«, wie ein Mc-Donalds-Sprecher es einmal formulierte. Die Öffentlichkeit muss erkennen, welche Glieder in der Lieferantenkette am ehesten auf den Druck der Allgemeinheit reagieren. Solche Glieder sind beispielsweise McDonald’s, Home Depot und Tiffany, aber nicht die Fleischverarbeitungsbetriebe, Holzkonzerne oder Goldbergbauunternehmen.
Manch einer ist jetzt vielleicht enttäuscht oder empört, dass ich die letzte Verantwortung für das Verhalten von Unternehmen, die der Öffentlichkeit schaden, ebendieser Öffentlichkeit zuschiebe. Ebenso erlege ich dieser Öffentlichkeit die zusätzlichen Kosten auf, falls solche Kosten überhaupt durch umweltfreundliches Verhalten entstehen - ich betrachte sie als Produktionskosten wie alle anderen. Es mag so aussehen, als ließe ich mit meinen Ansichten ein ethisches Gebot außer Acht, wonach Unternehmen sich anständig verhalten sollten, ganz gleich ob es ihnen Gewinn bringt oder nicht. Ich nehme lieber etwas anderes zur Kenntnis: In der gesamten Menschheitsgeschichte, in allen politisch komplexen Gesellschaften, in denen Menschen mit anderen zusammentreffen, ohne dass sie mit ihnen durch Familien- oder Sippenzugehörigkeit verbunden sind, haben sich staatliche Vorschriften genau deshalb entwickelt, weil damit ethische Prinzipien durchgesetzt werden mussten. Sich an ethische Prinzipien zu erinnern, ist eine notwendige erste Voraussetzung für anständiges Verhalten, aber es reicht allein nicht aus.
Die Erkenntnis, dass letztlich die Öffentlichkeit auch für das Verhalten der größten Unternehmen verantwortlich ist, stellt für mich keine Enttäuschung dar, sondern sie vermittelt mir ein Gefühl von Macht und Hoffnung. Es geht mir nicht um ethische Aussagen darüber, wer sich richtig oder falsch verhält, bewundernswert oder egoistisch handelt, ein guter oder ein schlechter Mensch ist. Stattdessen gelange ich aufgrund der Vorgänge, die ich in der Vergangenheit gesehen habe, zu einer Voraussage: Unternehmen haben ihr Verhalten geändert, wenn die Öffentlichkeit ein anderes Verhalten erwartet und verlangt hat, wenn sie die Unternehmen für erwünschtes Verhalten belohnt hat und wenn sie jenen, die unerwünschtes Verhalten praktizieren, das Leben schwer machen. Ich sage voraus, dass eine veränderte Haltung der Öffentlichkeit in Zukunft genau wie in der Vergangenheit darüber bestimmen wird, wie die Unternehmen sich gegenüber der Umwelt verhalten.