KAPITEL 2

Schatten über der Osterinsel

Rätsel im Steinbruch Geographie und Geschichte der Osterinsel ■ Menschen und Nahrung ■ Häuptlinge, Sippen und gemeines Volk ■ Plattformen und Statuen ■ Steinmetzarbeiten, Transport und Aufbau ■ Der verschwundene Wald ■ Folgen für die Gesellschaft ■ Europäer und Erklärungen ■ Warum war die Osterinsel so empfindlich? ■ Die Osterinsel als Metapher

Noch nie in meinem Leben hatte ein Ort auf mich so gespenstisch gewirkt wie Rano Raraku, der Steinbruch auf der Osterinsel, wo die berühmten, riesigen Steinstatuen aus dem Fels gehauen wurden. Zunächst einmal ist die Insel das abgelegenste bewohnbare Stückchen Erde auf der ganzen Welt. Das nächste Land ist die chilenische Küste 3700 Kilometer weiter östlich und die polynesischen Pitcairn-Inseln 2100 Kilometer im Westen. Als ich 2002 mit einer Linienmaschine aus Chile anreiste, dauerte der Flug über fünf Stunden. Während der ganzen Zeit erstreckte sich der Pazifik endlos bis zum Horizont. Außer Wasser war unter uns nichts zu sehen. Als ungefähr zur Zeit des Sonnenunterganges endlich der kleine Flecken namens Osterinsel undeutlich ins Blickfeld rückte, machte ich mir bereits Sorgen, ob wir die Insel vor Einbruch der Nacht finden würden und ob das Flugzeug genug Treibstoff an Bord hatte, um nach Chile zurückzukommen, falls wir zu weit flogen und die Insel verpassten. Eigentlich würde man kaum damit rechnen, dass dieses Eiland bereits von Menschen entdeckt und besiedelt wurde, bevor es in den letzten Jahrhunderten die schnellen europäischen Segelschiffe gab.

Ich betrat Rano Raraku, einen nahezu kreisrunden Vulkankrater mit einem Durchmesser von rund 600 Metern, über einen schmalen Pfad. Von der umgebenden Ebene ging es zunächst steil bergauf bis zum Kraterrand, und dann ebenso steil hinab zu dem sumpfigen See am Kraterboden. Heute wohnt niemand in dieser Gegend. Die innere und äußere Wand des Kraters sind mit insgesamt 397 Steinstatuen übersät, die jeweils einen stilisierten männlichen Körper mit langen Ohren und ohne Beine darstellen; die meisten sind vier bis sechs Meter hoch, die größte misst jedoch rund 21 Meter (womit sie größer ist als ein modernes fünfstöckiges Haus), und das Gewicht liegt zwischen 10 und 270 Tonnen. Die Reste einer Transportstraße sind noch heute zu erkennen: Sie führt durch eine Vertiefung, die an einer niedrigen Stelle in den Kraterrand gegraben wurde, und verzweigt sich dort in drei Straßen von jeweils etwa acht Metern Breite, die sich nach Norden, Süden und Westen ungefähr 15 Kilometer weit bis zu den Küsten der Insel erstrecken. An der Straße verteilen sich 97 weitere Statuen, als hätte man sie aus dem Steinbruch abtransportiert und dann liegen gelassen. Entlang der Küste und auch an einigen Stellen landeinwärts befinden sich rund 300 steinerne Plattformen, von denen ein Drittel früher weitere 393 Statuen trug oder mit ihnen verbunden war; alle diese Statuen standen bis vor wenigen Jahrzehnten nicht aufrecht, sondern waren umgeworfen, und viele von ihnen hatte man so umgestürzt, dass ihnen damit gezielt der Hals gebrochen wurde.

Vom Kraterrand konnte ich Ahu Tongariki sehen, die am nächsten gelegene, größte Plattform. Hier lagen 15 umgestürzte Statuen, die der Archäologe Claudio Cristino 1994 mit Hilfe eines Kranes, der 55 Tonnen heben konnte, wieder aufrichtete. Wie er mir erzählte, erwies sich dies auch mit modernen Maschinen als schwierige Aufgabe, denn die größte Statue von Ahu Tongariki wog 88 Tonnen. Die prähistorische polynesische Bevölkerung der Osterinsel besaß aber keine Kräne, keine Räder, keine Maschinen, keine Werkzeuge aus Metall, keine Zugtiere und auch sonst keine Hilfsmittel außer der Muskelkraft von Menschen, um die Statuen zu transportieren und aufzurichten.

Die Statuen, die noch im Steinbruch verblieben sind, befinden sich in allen möglichen Stadien der Fertigstellung. Manche sind noch mit dem Muttergestein verbunden, aus dem sie herausgehauen wurden; sie sind « schon als Figuren zu erkennen, wobei aber die Details von Ohren oder Händen noch fehlen. Andere sind fertig, wurden bereits von den Felsen gelöst und liegen an der Böschung des Kraters neben der Nische, aus der sie herausgehauen wurden. Wieder andere wurden im Krater aufgerichtet. Auf mich wirkte der Steinbruch vor allem deshalb so gespenstisch, weil ich das Gefühl hatte, mich in einer Fabrik zu befinden, deren Arbeiter plötzlich auf rätselhafte Weise verschwunden waren - es war, als hätten sie ihr Werkzeug fallen lassen und seien hinausgelaufen, wobei sie die einzelnen Statuen in beliebigem Zustand zurückließen. Auf dem Boden des Steinbruches verstreut liegen die steinernen Pickel, Bohrer und Hämmer, mit denen die Statuen bearbeitet wurden. Rund um jede Statue befindet sich im Fels noch der Graben, in dem die Steinmetze standen. An der Felswand erkennt man steinerne Vorsprünge, an denen die Arbeiter vermutlich die Säcke aufhängten, die ihnen als Trinkflaschen dienten. An manchen Statuen in dem Krater erkennt man, dass sie absichtlich zerbrochen oder ihrer Gesichter beraubt wurden, als hätten rivalisierende Gruppen von Steinmetzen gegenseitig ihre Produkte zerstört. Unter einer Statue fand man einen menschlichen Fingerknochen, vermutlich eine Folge der Unachtsamkeit eines Mannes aus der Transportmannschaft. Wer stellte die Statuen her, warum wurden sie mit solcher Mühe aus dem Stein gehauen, wie konnten die Steinmetzen derart riesige Blöcke bewegen und aufrichten, und warum wurden sie am Ende alle umgeworfen?

Die vielen Rätsel der Osterinsel waren schon für den ersten europäischen Entdecker, den niederländischen Seefahrer Jacob Roggeveen, nicht zu übersehen. Er machte die Insel am Ostersonntag, dem 5. April 1722 aus - daher der Name, der sich seitdem erhalten hat. Als Seemann, der zuvor mit drei großen europäischen Schiffen 17 Tage lang ohne jede Landsichtung von Chile über den Pazifik gesegelt war, musste Roggeveen sich fragen: Wie würden die Polynesier ihn begrüßen, wenn er an der Küste ihrer abgelegenen Insel landete? Heute wissen wir, dass die Reise von der Osterinsel zur nächstgelegenen polynesischen Insel im Westen noch einmal mindestens ebenso viele Tage in Anspruch genommen hätte. Aber zu ihrer Verwunderung stellten Roggeveen und spätere europäische Besucher fest, dass die Inselbewohner nur über undichte Kanus als einzige Wasserfahrzeuge verfügten; die Boote waren nicht länger als drei Meter und konnten einen, höchstens zwei Menschen aufnehmen. Roggeveen schrieb: »Was ihre Boote betrifft, so sind diese im Hinblick auf die Verwendbarkeit schlecht und zerbrechlich, denn ihre Kanus werden aus vielfältigen kleinen Planken und innen aus leichten Holzbalken zusammengesetzt, und diese werden sehr klug mit fein gesponnenen Fäden zusammengehalten, welche man aus der zuvor benannten Feldpflanze gewinnt. Aber da ihnen die Kenntnisse und insbesondere das Material fehlen, um die große Zahl der Ritzen in den Kanus zu kalfatern und abzudichten, sind diese dementsprechend undicht, aus welchem Grunde sie gezwungen sind, die Hälfte der Zeit mit Schöpfen zu verbringen.« Wie konnte eine Gruppe von Siedlern mit Nutzpflanzen, Hühnern und Trinkwasser in einem solchen Wasserfahrzeug eine Seereise von zweieinhalb Wochen überleben?

Wie für alle späteren Besucher einschließlich meiner selbst, so war es auch für Roggeveen ein Rätsel, wie die Inselbewohner ihre Statuen aufgerichtet hatten. Um noch einmal aus seinem Tagebuch zu zitieren: »Die steinernen Bildsäulen sorgten zuerst dafür, dass wir starr vor Erstaunen waren, denn wir konnten nicht verstehen, wie es möglich war, dass diese Menschen, die weder über dicke Holzbalken zur Herstellung irgendwelcher Maschinen noch über kräftige Seile verfügten, dennoch solche Bildsäulen aufrichten konnten, welche volle neun Meter hoch und in ihren Abmessungen sehr dick waren.« Ganz gleich, mit welchen Methoden die Inselbewohner im Einzelnen ihre Statuen aufrichteten, in jedem Fall brauchten sie kräftige Holzbalken und Seile, die aus großen Bäumen hergestellt wurden - das war Roggeveen ganz klar. Aber als er die Osterinsel kennen lernte, war sie Ödland, und kein einziger Baum oder Busch war höher als drei Meter: »Ursprünglich, aus größerer Entfernung, hatten wir besagte Osterinsel für sandig gehalten, und zwar aus dem Grund, dass wir das verwelkte Gras, Heu und andere versengte und verbrannte Vegetation als Sand angesehen hatten, weil ihr verwüstetes Aussehen uns keinen anderen Eindruck vermitteln konnte als den einer einzigartigen Armut und Öde.« Was war aus den vielen Bäumen geworden, die früher dort gestanden haben müssen?

Um die Bearbeitung, den Transport und die Errichtung der Statuen zu organisieren, bedurfte es einer komplexen, vielköpfigen Gesellschaft, die von ihrer Umwelt leben konnte. Allein die Zahl und Größe der Statuen lassen auf eine Bevölkerung schließen, die viel größer war als die wenigen tausend Menschen, denen die europäischen Besucher im 18. und frühen 19. Jahrhundert begegneten: Was war aus der früheren großen Bevölkerung geworden? Herstellung, Transport und Aufbau der Statuen erforderten zahlreiche spezialisierte Arbeitskräfte - wovon lebten sie, wenn es auf der Osterinsel, wie Roggeveen sie kennen lernte, keine größeren einheimischen Landtiere als Insekten gab und auch keine Haustiere mit Ausnahme von Hühnern? Auch die Verteilung der Ressourcen auf der Osterinsel lässt auf eine kompliziert gebaute Gesellschaft schließen: Der Steinbruch befindet sich fast am Ostende der Insel, das beste Gestein für die Herstellung von Werkzeugen findet man im Südwesten, der beste Strand für Fischerboote liegt im Nordwesten und das beste Ackerland im Süden. Die Gewinnung und Verteilung all dieser Produkte erforderte ein System, das die gesamte Wirtschaft der Insel einschloss: Wie konnte diese in einer so armen, öden Landschaft entstehen, und was wurde aus ihr?

Alle diese Rätsel gaben fast drei Jahrhunderte lang den Anlass zu einer Fülle von Spekulationen. Vieler Europäer mochten einfach nicht glauben, dass die Polynesier, die ja »nur Wilde« waren, die Statuen oder die großartig konstruierten steinernen Plattformen schaffen konnten. Auch der norwegische Entdecker Thor Heyerdahl wollte den Polynesiern, die sich aus Asien über den westlichen Pazifik verbreiteten, keine solchen Fähigkeiten zugestehen: Er vertrat die Ansicht, die Osterinsel sei über den östlichen Pazifik von den hoch entwickelten Gesellschaften der südamerikanischen Indianer besiedelt worden, die ihrerseits ihre Zivilisation über den Atlantik von den höher entwickelten Gesellschaften der Alten Welt übernommen haben müssten. Mit seiner berühmten Kon-Tiki-Expedition und seinen anderen Reisen auf Flößen wollte Heyerdahl beweisen, dass solche Kontakte über die Ozeane hinweg in prähistorischer Zeit möglich waren, und er wollte seine Theorie beweisen, nach der zwischen den ägyptischen Pyramiden, den riesigen steinernen Bauwerken des südamerikanischen Inkareiches und den Statuen der Osterinsel ein Zusammenhang bestand. Mein eigenes Interesse an der Osterinsel erwachte vor über 40 Jahren, nachdem ich Heyerdahls Buch Kon-Tiki mit seiner romantischen Interpretation der Geschichte der Osterinsel gelesen hatte; damals glaubte ich, nichts könne spannender sein als diese Deutung. Aber es ging noch weiter: Nach den Behauptungen des Schweizer Autors Erich von Däniken, der an Besuche außerirdischer Astronauten auf der Erde glaubte, waren die Statuen auf der Osterinsel das Werk intelligenter Raumfahrer, die ultramoderne Werkzeuge besaßen, auf der Insel strandeten und später von dort gerettet wurden.

Mittlerweile gibt es für diese Rätsel eine andere Erklärung. Danach wurden die Statuen nicht mit hypothetischen Gerätschaften aus dem Weltraum hergestellt, sondern mit den steinernen Äxten und anderen Werkzeugen, die nachweislich im Steinbruch Rano Raraku herumliegen, und man schreibt sie auch nicht Inkas oder Ägyptern zu, sondern den bekannten polynesischen Bewohnern. Diese Geschichte ist ebenso romantisch und spannend wie die vermeintlichen Besuche durch Kon-Tiki-Flöße oder Außerirdische - und sie ist von viel größerer Bedeutung für das, was heute auf der Welt vorgeht. Außerdem eignet sie sich gut als Einleitung für eine Reihe von Kapiteln über Gesellschaften früherer Zeiten, denn sie erweist sich als die beste denkbare Annäherung an eine ausschließlich ökologische Katastrophe, die sich in völliger Isolation abspielte.

Die Osterinsel ist dreieckig. Sie besteht aus drei Vulkanen, die sich zu verschiedenen Zeiten innerhalb der letzten wenigen Millionen Jahre dicht nebeneinander aus dem Meer erhoben und während der gesamten Zeit, als die Insel von Menschen besiedelt war, nicht mehr ausgebrochen sind. Der älteste Vulkan heißt Poike: er brach vor 600 000 Jahren (vielleicht aber auch vor bis zu drei Millionen Jahren) aus und bildet heute die Südostecke des Dreiecks. Später entstand durch einen Ausbruch des Rano Kau die Südwestecke. Vor rund 200 000 Jahren wurde bei einem Ausbruch des jüngsten Vulkans Terevaka, dessen Mittelpunkt nicht weit von der nördlichen Ecke des Dreiecks entfernt ist, eine große Lavamenge frei, die heute 95 Prozent der Insel bedeckt.

Mit einer Fläche von 171 Quadratkilometern und einer größten Höhe von 500 Metern hat die Osterinsel nach polynesischen Maßstäben bescheidene Ausmaße. In ihrer vorwiegend sanften Landschaft fehlen die tiefen Täler, die jedem Besucher der Hawaii-Inseln vertraut sind. Abgesehen von den Kratern mit ihren steilen Abhängen und den Schlackekegeln kann man nach meiner Erfahrung auf der Osterinsel fast überall gefahrlos in gerader Linie zu jeder Stelle in der Nähe gelangen, auf Hawaii oder den Marquesas-Inseln dagegen würde man auf einer solchen Route sehr schnell von irgendeiner Klippe stürzen.

Mit seiner subtropischen Lage auf 27 Grad südlicher Breite - womit sie ungefähr ebenso weit südlich vom Äquator liegt wie Miami oder Taipeh nördlich davon - hat die Osterinsel ein mildes Klima, und da sie erst in jüngerer Zeit durch Vulkantätigkeit entstanden ist, verfügt sie über einen fruchtbaren Boden. Schon durch diese günstigen Eigenschaften sollte die Insel alle Voraussetzungen für ein kleines Paradies bieten, ohne die Probleme, von denen große Teile der übrigen Welt geplagt werden. Aber ihre geographischen Verhältnisse stellten die menschlichen Siedler auch vor mehrere schwierige Aufgaben. Ein subtropisches Klima ist zwar im Vergleich zum europäischen oder nordamerikanischen Winter sehr warm, nach den Maßstäben Polynesiens jedoch, das vorwiegend in den Tropen lebt, ist es kühl. Mit Ausnahme von Neuseeland, Chatham Island, Norfolk Island und Rapa liegen alle Inseln, die von Polynesiern besiedelt wurden, dichter am Äquator als die Osterinsel. Manche tropischen Nutzpflanzen, die ansonsten in Polynesien von großer Bedeutung sind, wie beispielsweise die Kokosnuss (die auf der Osterinsel erst in moderner Zeit eingeführt wurde), gedeihen hier nur schlecht, und das umgebende Meer ist so kalt, dass Korallenriffe mit ihren Fischen und Schalentieren nicht bis zur Wasseroberfläche wachsen können. Wie Barry Rolett und ich auf unseren Wanderungen am Teravaka und Poike außerdem feststellten, ist es auf der Osterinsel sehr windig, was den Bauern in früheren Zeiten Probleme bereitete und auch heute noch bereitet. Der Wind reißt die in jüngster Zeit eingeführten Brotfrüchte vom Baum, bevor sie reif sind. Wegen ihrer isolierten Lage war die Osterinsel nicht nur arm an Rifffischen, sondern es gab hier ganz allgemein wenig Fische -nur 127 Arten im Vergleich zu mehr als 1000 auf den Fiji-Inseln. Alle diese geographischen Faktoren führten dazu, dass den Bewohnern der Osterinsel wesentlich weniger Nahrungsquellen zur Verfügung standen als den Siedlern auf den meisten anderen Eilanden im Pazifik.

Ein letztes Problem im Zusammenhang mit den geographischen Verhältnissen auf der Osterinsel ist der Niederschlag, der im Durchschnitt nur bei rund 125 Millimetern pro Jahr liegt. Nach den Maßstäben der europäischen Mittelmeerregion oder Südkaliforniens ist das zwar eine Menge, im Vergleich zu anderen polynesischen Inseln ist er aber gering. Verstärkt wird die nachteilige Wirkung der geringen Niederschlagsmenge noch dadurch, dass das Wasser in dem porösen Vulkanboden der Insel schnell versickert. Deshalb gibt es nur wenig Süßwasser: An den Abhängen des Teravaka fließt nur zu bestimmten Jahreszeiten ein einziger Bach, der aber zum Zeitpunkt meines Besuches ausgetrocknet war; am Boden von drei Vulkankratern gibt es Teiche oder Sümpfe; wo der Grundwasserspiegel dicht unter der Oberfläche liegt, hat man Brunnen gegraben; und unmittelbar vor der Küste oder zwischen Hoch- und Niedrigwasserlinie sprudeln Süßwasserquellen aus dem Meeresboden. Dennoch gelang es den Bewohnern der Osterinsel, genug Wasser zum Trinken und Kochen sowie für den Anbau von Nutzpflanzen zu gewinnen, aber das war mit großer Anstrengung verbunden.

Sowohl Heyerdahl als auch von Däniken wischten eine überwältigende Fülle von Belegen beiseite, wonach die Bewohner der Osterinsel typische Polynesier waren, die nicht aus Amerika, sondern aus Asien stammten, wobei auch klar war, dass ihre Kultur (einschließlich der Statuen) ihre Wurzeln in der polynesischen Kultur hatte. Dass sie polynesisch sprachen, hatte Captain Cook bereits 1774 bei seinem kurzen Besuch auf der Insel bemerkt: Damals konnte einer seiner Begleiter, ein Mann aus Tahiti, sich mit den Inselbewohnern unterhalten. Genauer gesagt, sprachen sie einen ostpolynesischen Dialekt, der mit den Sprachen Hawaiis und der Marquesas-Inseln verwandt war, und die engste Verwandtschaft bestand mit dem Dialekt, der unter dem Namen Frühmangarevanisch bekannt ist. Ihre Angelhaken, Steinbeile, Harpunen, Korallensägen und andere Werkzeuge waren typisch für Polynesien und ähnelten insbesondere frühen Modellen von den Marquesas-Inseln. An ihren Schädeln erkennt man in vielen Fällen ein charakteristisches polynesisches Merkmal, das unter dem Namen »Rockerkiefer« bekannt ist. Bei der Analyse der DNA aus zwölf Skeletten, die unter einer Steinplattform auf der Osterinsel begraben waren, fand man in allen zwölf Fällen eine Deletion von neun Basenpaaren und drei Basensubstitutionen, die bei den meisten Polynesiern vorkommen. Zwei dieser drei Substitutionen gibt es bei den amerikanischen Ureinwohnern nicht, und deshalb sprechen die genetischen Befunde gegen Heyerdahls Behauptung, die Urbevölkerung Amerikas habe zum Genbestand der Osterinsel beigetragen. Bei den Nutzpflanzen auf der Osterinsel handelte es sich um Bananen, Taro, Süßkartoffeln, Zuckerrohr und Papiermaulbeerbäume, typisch polynesische Arten, die in ihrer Mehrzahl aus Südostasien stammen. Hühner, die einzigen Haustiere der Insel, waren ebenso typisch für Polynesien und letztlich für Asien, und das Gleiche galt sogar für die Ratten, die als blinde Passagiere mit den Kanus der ersten Siedler eingeschleppt wurden.

Die Ausbreitung der Polynesier war in der gesamten Vorgeschichte der Menschheit die spektakulärste Siedlungswelle auf dem Wasserweg. Bis 1200 v. Chr. war die Ausbreitung der Menschen vom asiatischen Festland über die indonesische Inselwelt bis nach Australien und Neuguinea vorangekommen, aber im Pazifik reichte sie noch nicht weiter als bis zu den Salomonen östlich von Neuguinea. Ungefähr zu dieser Zeit fuhr ein Volk von Bauern und Seefahrern, das offensichtlich aus dem Bismarck-Archipel nordöstlich von Neuguinea stammte und Keramik im so genannten Lapitastil herstellte, von den Salomonen fast 1500 Kilometer über das offene Meer nach Osten und gelangte auf die Fiji-Inseln sowie nach Samoa und Tonga; dort wurden diese Menschen zu den Vorfahren der Polynesier. Obwohl man in Polynesien weder den Kompass noch eine Schriftsprache oder Metallwerkzeuge kannte, waren die Bewohner der Inseln Meister der Navigation und der Seefahrt mit Kanus. Von den ungefähren Zeitpunkten und Routen ihrer Expansion zeugt eine Fülle archäologischer Belege, die mit der Radiokarbonmethode datiert wurden -Keramik und Steinwerkzeuge, Überreste von Häusern und Tempeln, Lebensmittelabfälle und menschliche Skelette. Ungefähr um 1200 n.Chr. hatten die Polynesier in dem riesigen Ozeandreieck zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel jedes bewohnbare Fleckchen Land besiedelt.

Früher gingen die Historiker davon aus, dass alle diese polynesischen Inseln durch Zufall entdeckt und besiedelt wurden, weil Fischer mit ihren Kanus gelegentlich vom Kurs abkamen. Heute ist man sicher, dass sowohl die Entdeckung als auch die Besiedlung sorgfältig geplant waren. Anders als man es bei einer ungewollten Irrfahrt erwarten würde, wurde Polynesien vorwiegend von Westen nach Osten besiedelt, entgegen der vorherrschenden Richtung von Wind und Meeresströmungen, die von Osten nach Westen verlaufen. Vermutlich wurden neue Inseln also von Seefahrern entdeckt, die auf einer vorbestimmten Route gegen den Wind ins Unbekannte segelten oder darauf warteten, dass die vorherrschende Windrichtung sich vorübergehend umkehrte. Die Ausbreitung vieler Nutzpflanzen- und Nutztierarten - von Taro bis zu Bananen und von Schweinen bis zu Hunden und Hühnern - zeigt zweifelsfrei, dass die Besiedlung gut vorbereitet war. Die Siedler nahmen aus ihrer Heimat jene Produkte mit, die ihnen für das Überleben in der neuen Kolonie unentbehrlich erschienen.

Die erste Ausbreitungswelle der Lapita-Keramiker, die zu den Vorfahren der Polynesier wurden, kam im Pazifik bis zu den Fiji-Inseln sowie nach Samoa und Tonga voran, die jeweils per Boot nur wenige Tagereisen voneinander entfernt sind. Eine viel größere Wasserfläche trennt diese westpolynesischen Inseln von denen weiter im Osten, den Cook-, Gesellschafts-, Marquesas-, Tuamotu- und Hawaii-Inseln sowie Neuseeland, der Pitcairn-Gruppe und der Osterinsel. Diese Barriere wurde erst nach einer »langen Pause« von rund 1500 Jahren überwunden - vielleicht durch Verbesserungen in Kanubau und Navigation, vielleicht aber auch durch Veränderungen der Meeresströmungen, einen sinkenden Meeresspiegel, der Inseln als Zwischenstationen freilegte, oder einfach durch besonderes Glück auf einer Reise. Ungefähr um 600 bis 800 n. Chr. (der genaue Zeitpunkt ist umstritten) wurden die Cook-, Gesellschafts- und Marquesas-Inseln besiedelt, die unter allen Inseln im Osten Polynesiens am einfachsten zugänglich sind, und sie wurden ihrerseits zum Ausgangspunkt für die Besiedlung der restlichen Inselgruppe. Nachdem Menschen um 1200 n. Chr. über eine riesige, mindestens 3200 Kilometer breite Wasserfläche hinweg auch nach Neuseeland gelangt waren, war die Besiedlung der bewohnbaren Inseln im Pazifik endlich abgeschlossen.

Aber auf welcher Route wurde die Osterinsel besiedelt, die von allen Inseln Polynesiens am weitesten östlich liegt? Eine direkte Reise von den Marquesas-Inseln, die eine große Bevölkerung beherbergten und wahrscheinlich der unmittelbare Ausgangspunkt für die Besiedlung von Hawaii waren, kam wegen der Wind- und Strömungsverhältnisse wahrscheinlich nicht infrage. Stattdessen ging die Besiedlung der Osterinsel vermutlich eher von Mangareva, Pitcairn und Henderson aus, die ungefähr auf halbem Weg zwischen den Marquesas-Inseln und der Osterinsel liegen; das Schicksal ihrer Bevölkerung ist Gegenstand des nächsten Kapitels (Kapitel 3). Die Ähnlichkeiten zwischen der Sprache der Osterinsel und der des frühen Mangarevanisch, zwischen einer Statue auf Pitcairn und manchen frühen Statuen von der Osterinsel sowie zwischen der Machart der Werkzeuge auf der Osterinsel, Mangareva und Pitcairn, aber auch Übereinstimmungen zwischen Schädeln von der Osterinsel und zwei Schädeln von Henderson Island, die ihnen noch mehr ähneln als solchen von den Marquesas-Inseln lassen auf Mangareva, Pitcairn und Henderson als Zwischenstationen schließen. Im Jahr 1999 gelang es, mit dem rekonstruierten polynesischen Segelkanu Hokulea nach 17-tägiger Seereise von Mangareva aus die Osterinsel zu erreichen. Für uns moderne Landratten ist es buchstäblich unglaublich, dass Seefahrer sich von Mangareva nach Osten auf den Weg machten und dann nach einer derart langen Reise das Glück hatten, auf eine Insel zu treffen, die von Norden nach Süden nicht mehr als 15 Kilometer misst. Aber die Polynesier wussten über eine Insel Bescheid, lange bevor das Land in Sicht kam; als Anhaltspunkte dienten ihnen dabei die Seevogelschwärme, die in einem Umkreis von mehr als 150 Kilometern um eine Insel nach Nahrung suchten. Die Osterinsel (die ursprünglich eine der größten Seevogelkolonien im ganzen Pazifikraum beherbergte) hatte also für die Polynesier den ansehnlichen Durchmesser von über 300 Kilometern und war nicht nur 15 Kilometer breit.

Nach der Überlieferung der Osterinselbewohner selbst wurde die Expedition zur Besiedlung ihrer Insel von einem Häuptling namens Hotu Matu’a (»Großer Vater«) geleitet, der mit seiner Frau, sechs Söhnen und der Großfamilie in einem oder zwei großen Kanus ankam. (Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hielten europäische Besucher viele mündliche Überlieferungen der damals noch lebenden Inselbewohner schriftlich fest, und diese Überlieferungen enthalten viele offensichtlich glaubwürdige Informationen über das Leben auf der Insel in dem Jahrhundert vor der Besiedlung durch die Menschen; ob auch Einzelheiten über Ereignisse aus der Zeit mehr als 1000 Jahre zuvor zuverlässig wiedergegeben werden, ist allerdings unsicher.) Wie wir in Kapitel 3 noch genauer erfahren werden, blieben die Bevölkerungsgruppen auf vielen anderen Inseln Polynesiens untereinander in Kontakt, weil nach ihrer ursprünglichen Entdeckung und Besiedlung in beiden Richtungen regelmäßig Schiffe verkehrten. Galt das möglicherweise auch für die Osterinsel, und kamen demnach auch nach Hotu Matu’a noch andere Kanus an? Der Archäologe Roger Green brachte diese Möglichkeit ins Gespräch; dabei stützte er sich auf Ähnlichkeiten in der Machart mancher Werkzeuge von der Osterinsel und Mangareva, die erst mehrere Jahrhunderte nach der Besiedlung der Osterinsel hergestellt wurden. Gegen diesen Gedanken spricht allerdings die Tatsache, dass es auf der Osterinsel traditionell weder Hunde und Schweine noch einige typisch polynesische Nutzpflanzen gab; eigentlich müsste man damit rechnen, dass spätere Reisende diese Tiere und Pflanzen mitbrachten, wenn sie in Hotu Matu’as Kanu nicht überlebt hätten oder kurz nach seiner Ankunft ausgestorben wären. Wie wir im nächsten Kapitel außerdem noch erfahren werden, findet man zahlreiche Steinwerkzeuge mit der typischen chemischen Zusammensetzung einer Insel auch auf anderen Inseln, womit der Austausch zwischen den Marquesas-Inseln, Pitcairn, Henderson, Mangareva und den Gesellschaftsinseln eindeutig bewiesen ist; Gestein von der Osterinsel hat man dagegen auf keinem anderen Eiland gefunden und umgekehrt. Die Bewohner der Osterinsel lebten also möglicherweise tatsächlich völlig isoliert am Ende der Welt und hatten mit Außenstehenden in den rund 1000 Jahren zwischen Hotu Matu’as und Roggeveens Ankunft keinerlei Kontakt.

Allgemein wurden die Hauptinseln Ostpolynesiens um 600 bis 800 n. Chr. besiedelt - wann geschah dies also auf der Osterinsel? Was den Zeitpunkt angeht, bestehen ebenso wie bei der Besiedlung der Hauptinseln beträchtliche Unsicherheiten. Veröffentlichungen über die Osterinsel sprechen häufig von Belegen für eine Besiedelung um 300 bis 400 n. Chr.; dabei stützt man sich insbesondere auf die Glottochronologie, eine Methode, mit der man die Zeit der Auseinanderentwicklung von Sprachen berechnen kann, sowie auf die Radiokarbondatierung von drei Holzkohleproben aus Ahu Te Peu, aus einem Graben am Poike und aus den Sedimenten in einem See, die auf die Abholzung von Wald schließen lassen. Spezialisten für die Geschichte der Osterinsel stellen diesen frühen Zeitpunkt aber zunehmend infrage. Glottochronologische Berechnungen gelten als unzuverlässig, insbesondere wenn man sie auf Sprachen anwendet, die eine so komplizierte Vergangenheit haben wie die der Osterinsel (die wir vorwiegend von Informanten aus Tahiti und von den Marquesas-Inseln kennen und die deshalb möglicherweise verfälscht wurde) und Mangarevas (die sich offenbar später durch Neuankömmlinge von den Marquesas-Inseln veränderte). Die drei früheren Radiokarbondatierungen wurden jeweils nur an einer einzigen Materialprobe vorgenommen und erfolgten mit älteren, mittlerweile nicht mehr gebräuchlichen Methoden; außerdem gibt es keinen Beweis, dass die datierten Holzkohleobjekte tatsächlich etwas mit Menschen zu tun hatten.

Der zuverlässigste Beleg für eine frühe Besiedelung der Osterinsel ist offenbar eine Datierung auf die Zeit um 900 n. Chr. die der Paläontologe David Steadman sowie die Archäologen Claudio Cristino und Patricia Vargas vornahmen. Als Material diente ihnen Holzkohle und die Knochen von Delphinen, die von Menschen gegessen wurden; die Proben stammten aus den ältesten archäologischen Schichten, die am Anakena-Strand der Osterinsel Indizien für die Gegenwart von Menschen liefern. Anakena eignet sich unter allen Stränden der Insel mit Abstand am besten für die Landung und bietet sich deshalb auch als Stützpunkt der ersten Siedler an. Die Datierung der Delphinknochen erfolgte mit einer modernen Abwandlung der Radiokarbonmethode, die als AMS (Beschleuniger-Massenspektrometrie) bekannt ist, und bei der Auswertung der Ergebnisse wurde berücksichtigt, dass man bei der Datierung der Knochen von Meereslebewesen eine Korrektur anbringen muss. Die so ermittelten Zeitpunkte dürften sehr dicht bei der Zeit der Erstbesiedelung liegen, denn die entsprechenden archäologischen Schichten enthielten auch Knochen einheimischer Landvögel, die auf der Osterinsel und vielen anderen Pazifikinseln sehr schnell ausgerottet wurden; außerdem standen Kanus, mit denen man Delphine jagen konnte, wenig später nicht mehr zur Verfügung. Nach der derzeit besten Schätzung wurde die Osterinsel irgendwann kurz vor dem Jahr 900 n. Chr. besiedelt.

Was haben die Inselbewohner gegessen, und wie viele waren es? - Zur Zeit der ersten europäischen Entdecker bestritten sie ihren Lebensunterhalt vorwiegend als Bauern; angebaut wurden Süßkartoffeln, Yamswurzeln, Taro, Bananen und Zuckerrohr, als einzige Haustiere wurden Hühner gehalten. Da es vor der Osterinsel weder Korallenriffe noch eine Lagune gab, trugen Fische und Schalentiere weniger zur Ernährung bei als auf den meisten anderen Inseln Polynesiens. Den ersten Siedlern standen See- und Landvögel sowie Delphine zur Verfügung, aber wie wir noch genauer erfahren werden, gingen die Bestände dieser Tiere später zurück oder verschwanden ganz. Dies führte zu einer kohlenhydratreichen Ernährung, und verstärkt wurde dieser Effekt noch dadurch, dass die Inselbewohner als Ersatz für die begrenzten Wasservorräte große Mengen von Zuckerrohrsaft tranken. Einen Zahnarzt kann es deshalb nicht überraschen, dass die Inselbewohner unter allen prähistorischen Völkern, die man kennt, mit am häufigsten an Karies litten; viele Kinder hatten schon mit 14 Jahren Löcher in den Zähnen, und spätestens nach dem 20. Lebensjahr gab es niemanden mehr, der frei davon war.

Wie groß die Bevölkerung auf der Osterinsel zu ihrer Blütezeit war, hat man unter anderem dadurch abgeschätzt, dass man die Zahl der Hausfundamente zählte und mit fünf bis 15 Personen je Haus rechnete; dabei ging man davon aus, dass jeweils ein Drittel aller nachgewiesenen Häuser gleichzeitig bewohnt war, oder man schätzte die Zahl der Häuptlinge und ihrer Anhänger nach der Zahl der Plattformen und der aufgerichteten Statuen ab. Die so gewonnenen Schätzungen reichen von 6000 bis zu 30 000 Menschen, was einem Durchschnitt von 35 bis 174 Menschen je Quadratkilometer entspricht. Manche Gebiete der Insel, beispielsweise die Poike-Halbinsel und die höchsten Lagen, eigneten sich weniger gut für die Landwirtschaft, sodass die Bevölkerungsdichte in den besseren Regionen etwas höher gelegen haben dürfte; viel höher war sie allerdings sicher nicht, denn aus archäologischen Übersichtsuntersuchungen weiß man, dass die Landfläche zum allergrößten Teil genutzt wurde.

Wie immer, wenn Archäologen unterschiedliche Schätzungen über die Bevölkerungsdichte in historischer Zeit abgeben, bezeichnen sie gegenseitig ihre Angaben als absurd. Ich selbst bin der Ansicht, dass die höheren Schätzungen vermutlich eher stimmen, unter anderem, weil sie von den Archäologen stammen, die in letzter Zeit bei der Vermessung der Osterinsel die umfangreichsten Erfahrungen gesammelt haben: Claudio Cristino, Patricia Vargas, Edmundo Edwards, Chris Stevenson und Jo Anne Van Tilburg. Außerdem stammt die erste zuverlässige Schätzung für die Bevölkerung der Osterinsel - 2000 Menschen -von Missionaren, die sich 1864 dort niederließen, kurz nachdem der größte Teil der Bevölkerung einer Pockenepidemie zum Opfer gefallen war. Zuvor, in den Jahren 1862/63, hatten peruanische Sklavenschiffe bereits 1500 Inselbewohner entführt, und seit 1836 hatte es zwei weitere nachgewiesene Pockenepidemien gegeben. Mit ziemlicher Sicherheit hatten seit 1770, als Europäer regelmäßig zu Besuch kamen, weitere nicht schriftlich belegte Krankheitsepidemien gewütet, und seit dem 17. Jahrhundert war es zu dem Bevölkerungszusammenbruch gekommen, den wir im Folgenden erörtern werden. Dasselbe Schiff, das die Pocken zum dritten Mal auf die Osterinsel brachte, fuhr anschließend weiter zu den Marquesas-Inseln, und dort starben bekanntermaßen sieben Achtel der Bevölkerung an der nachfolgenden Epidemie. Aus diesen Gründen halte ich es für unmöglich, dass die Bevölkerung von 2000 Menschen, die 1864 nach den Pocken noch übrig geblieben war, den Rest einer Bevölkerung von nur 6000 bis 8000 Personen darstellte, die es vor den Pocken, vor der Entführung, vor anderen Epidemien und vor dem Bevölkerungszusammenbruch des 17. Jahrhunderts gegeben hatte. Nachdem ich auf der Osterinsel mit eigenen Augen die Indizien für intensive prähistorische Landwirtschaft gesehen habe, erscheint mir Claudios und Edmundos »hohe« Schätzung von mindestens 15 000 Bewohnern keineswegs verwunderlich.

Für eine solche Intensivierung der Landwirtschaft gibt es mehrere Indizien. Eines davon sind Gruben mit einem Durchmesser von eineinhalb bis zweieinhalb Metern und rund 1,20 Meter Tiefe, die mit Steinen ausgekleidet sind und Kompost enthielten. Sie dienten zum Anbau von Pflanzen und möglicherweise auch dazu, Gemüse vergären zu lassen. Ein anderer Beleg sind zwei steinerne Dämme quer durch das Bett des nur jahreszeitlich wasserführenden Baches, der den Südosthang des Terevaka entwässerte. Sie sollten das Wasser in Richtung der breiten Steinplattformen ableiten. Dieses Wasserverteilungssystem ähnelt ähnlichen Anlagen, mit denen die Taroplantagen auch an anderen Stellen in Polynesien bewässert wurden. Auch die zahlreichen aus Stein errichteten Hühnerställe (die hier hare moa genannt werden) sprechen für eine intensive Landwirtschaft. Sie sind meist bis zu sechs Meter lang (einige riesige Exemplare auch bis zu 21 Meter), drei Meter breit und 1,80 Meter hoch; durch einen kleinen Eingang dicht über dem Boden konnten die Hühner hinein- und hinauslaufen, und eine Steinmauer rund um den angrenzenden Hof verhinderte, dass die kostbaren Vögel wegliefen oder gestohlen wurden. Gäbe es auf der Osterinsel neben den vielen großen, aus Stein errichteten hare moa nicht auch die noch größeren steinernen Plattformen und Statuen, wäre sie bei den Touristen als Insel der steinernen Hühnerställe bekannt. Die Bauwerke sind an vielen Küstenabschnitten das beherrschende Element im Landschaftsbild, denn heute sind die prähistorischen Hühnerställe - insgesamt 1233 - viel auffälliger als die Behausungen der prähistorischen Menschen, die nur steinerne Fundamente oder Innenhöfe besaßen, aber keine steinernen Mauern.

Die am häufigsten angewandte Methode zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, bei der man sich auf verschiedene Weise des Lavagesteins bediente, wurde von dem Archäologen Chris Stevenson genauer untersucht. Man schichtete große Felsblöcke auf, um die Pflanzen vor der Austrocknung durch den häufig sehr starken Wind zu schützen. Strukturen aus kleineren Steinen schützten erhöht liegende oder in Senken angelegte Gärten, wo man Bananen anbaute und auch Keimlinge züchtete, die dann, wenn sie größer waren, an andere Stellen verpflanzt wurden. Auf großen Flächen wurden in geringen Abständen Steinblöcke ausgelegt, sodass die Pflanzen zwischen ihnen heranwachsen konnten.

Andere Gebiete wurden durch so genannten »Steinmulch« verändert: Auf dem Boden wurden Steine bis auf eine Höhe von 30 Zentimetern aufgeschichtet, wobei man entweder Blöcke von nahe gelegenen freiliegenden Felsen herantransportierte oder den Boden so weit abtrug, dass man das Muttergestein aufbrechen konnte. Auf natürlichen Geröllfeldern wurden Vertiefungen ausgehoben, in denen man Taro anbauen konnte. Die Anlage der steinernen Windschutzwälle und Gärten erforderte einen gewaltigen Arbeitsaufwand, denn man musste dazu Millionen oder sogar Milliarden von Felsbrocken bewegen. Als ich mit dem Archäologen Barry Rolett, der bereits in anderen Teilen Polynesiens tätig war, zum ersten Mal die Osterinsel besuchte, sagte er zu mir: »Ich war noch nie auf einer polynesischen Insel, wo die Menschen so verzweifelt gewesen wären, dass sie wie hier kleine Steine im Kreis aufschichteten, um ein paar mickrige Taropflanzen vor dem Wind zu schützen ! Auf den Cook-Inseln haben sie den Taro bewässert, aber so viel Mühe hätten sie sich nie gemacht!«

In der Tat: Warum nahmen die Bauern auf der Osterinsel diese Arbeit auf sich? Auf den Farmen im Nordosten der Vereinigten Staaten, wo ich als Junge den Sommer verbrachte, schleppten die Bauern mit viel Mühe die Steine von den Feldern weg, und über den Gedanken, absichtlich Steine auf die Felder zu tragen, wären sie entsetzt gewesen. Welchen Vorteil hat ein Feld voller Steine?

Die Antwort liegt in dem bereits beschriebenen Klima der Osterinsel: Dort ist es windig, trocken und kühl. Die Landwirtschaft mit Steingärten oder Steinmulch erfanden die Bauern unabhängig voneinander auch in vielen anderen trockenen Regionen der Welt, beispielsweise in der israelischen Negev-Wüste, in der Wüste im Südwesten der USA sowie in den trockenen Gegenden von Peru und China, im römischen Italien und in Neuseeland zur Zeit der Maori. Steine decken den Boden ab und halten die Feuchtigkeit fest, vermindern die Verdunstung durch Sonne und Wind, und ersetzen die harte Kruste an der Bodenoberfläche, die ansonsten das Ablaufen des Niederschlags begünstigen würde. Steine vermindern die täglichen Schwankungen der Bodentemperatur, weil sie die Sonnenwärme tagsüber aufnehmen und nachts wieder abgeben; sie schützen den Boden gegen Erosion durch auftreffende Regentropfen; heller Boden wird durch dunkle Steine erwärmt, weil diese mehr Sonnenwärme aufnehmen; und Steine können auch als langfristiges Düngemittel wirken, weil sie wichtige Mineralstoffe enthalten, die nach und nach in den Boden einsickern. In jüngster Zeit wollte man im Südwesten der USA durch Experimente herausfinden, warum die Anasazi (Kapitel 4) sich des Steinmulches bedienten; dabei stellte sich heraus, dass der Mulch den Bauern große Vorteile bietet. Ein derart behandelter Boden enthält am Ende doppelt so viel Feuchtigkeit, die Bodentemperatur ist tagsüber niedriger und nachts höher, und alle 16 getesteten Pflanzenarten lieferten einen höheren Ertrag - er betrug im Durchschnitt der 16 Arten das Vierfache, und bei der Art, die von dem Mulch am stärksten profitierte, lag er sogar 50-mal höher. Die Vorteile sind also beträchtlich.

Chris Stevenson deutete seine Untersuchungsergebnisse als Beleg, dass die Landwirtschaft auf der Osterinsel durch zunehmende Verwendung der Steine intensiviert wurde. Nach seiner Ansicht blieben die Bauern während der ersten 500 Jahre der polynesischen Besiedlung in den Niederungen wenige Kilometer von der Küste entfernt, weil es dort Süßwasser gab und weil sie besser Fische und Schalentiere fangen konnten. Erste Belege für Steingärten erkennt er in der Zeit um 1300 n. Chr. in den höheren Lagen landeinwärts, wo sich der Vorteil eines höheren Niederschlages mit kühleren Temperaturen verband (wobei Letztere mit den dunklen Steinen durch Steigerung der Bodentemperatur abgemildert wurden). Im weiteren Verlauf wurde das Innere der Osterinsel zum größten Teil zu Steingärten umgestaltet. Interessanterweise lebten die Bauern selbst offensichtlich nicht im Inneren der Insel. Dort gibt es nur wenige Überreste von kleinen Häusern für einfache Arbeiter, keine Hühnerställe und nur kleine Öfen und Abfallhaufen. Stattdessen findet man aber vereinzelt Häuser eines gehobenen Typs; diese gehörten offensichtlich den Verwaltern aus der Oberschicht, die umfangreiche Steingärten im Stil großer Plantagen (im Gegensatz zu individuellen Hausgärten) verwalteten und Nahrungsmittelüberschüsse für die Arbeitskräfte des Häuptlings produzierten, während die Bauern weiterhin in der Nähe der Küste wohnten und jeden Tag mehrere Kilometer landeinwärts und wieder zurück wandern mussten. Den Verlauf dieses täglichen Pendelverkehrs kennzeichnen vermutlich fünf Meter breite Straßen mit steinernen Begrenzungen, die sich vom Hochland zur Küste ziehen. Wahrscheinlich erforderten die hoch gelegenen Plantagen keine ganzjährige Arbeit: Im Frühjahr mussten die Bauern dorthin marschieren, um Taro und andere Pflanzen anzubauen, und später im Jahr kamen sie zur Ernte.

Wie an anderen Stellen in Polynesien, so gliederte sich die traditionelle Gesellschaft auch auf der Osterinsel in Häuptlinge und gemeines Volk. Für heutige Archäologen ist der Unterschied an den Überresten der Häuser beider Gruppen deutlich zu erkennen. Häuptlinge und Angehörige der Elite lebten in so genannten hare paenga, Häusern in Form eines langen, schlanken, umgedrehten Kanus, die in der Regel ungefähr 12 Meter (in einem Fall aber auch etwa 100 Meter) lang, nicht mehr als drei Meter breit und an den Enden abgerundet waren. Wände und Dach des Hauses (die dem umgedrehten Rumpf des Bootes entsprachen) bestanden aus drei Lagen Stroh, aber der Boden war durch sauber behauene, eingepasste Fundamentsteine aus Basalt begrenzt. Insbesondere die runden, abgeschrägten Steine an den Enden waren schwierig herzustellen und deshalb kostbar, sodass sie unter den rivalisierenden Sippen immer wieder gestohlen wurden. Vor vielen hare paenga befand sich eine steingepflasterte Terrasse. Die hare paenga wurden in einem 200 Meter breiten Streifen entlang der Küste erbaut; an jedem wichtigen Ort befanden sich sechs bis zehn von ihnen, und unmittelbar daneben, auf der zum Meer gewandten Seite, lag die Plattform dieses Ortes mit den Statuen. Die Häuser der einfachen Leute dagegen wurden an Stellen weiter landeinwärts verbannt; sie waren kleiner und besaßen jeweils ein eigenes Hühnerhaus, einen Ofen, einen Kreis von Steingärten und eine Abfallgrube - es waren Zweckbauten, die das religiöse Tabu in dem Küstenbereich mit den Plattformen und den schönen hare paenga verbot.

Sowohl die mündliche Überlieferung der Inselbewohner als auch die archäologischen Befunde lassen darauf schließen, dass die Osterinsel in ungefähr ein Dutzend (elf oder zwölf) Territorien unterteilt war, die jeweils einer Sippe oder Familie gehörten; sie erstreckten sich jeweils von der Küste ins Landesinnere, sodass die Insel wie ein Kuchen in ein Dutzend keilförmige Stücke aufgeteilt war. Jedes Territorium hatte seinen eigenen Häuptling und große zeremonielle Plattformen, auf denen Statuen standen. Die Sippen versuchten zunächst im friedlichen Wettbewerb, einander im Bau von Plattformen und Statuen zu übertreffen, aber irgendwann nahm ihre Konkurrenz die Form erbitterter Kämpfe an. Die Unterteilung in sternförmig angeordnete Territorien ist auch für andere Pazifikinseln typisch. Dennoch ist die Osterinsel in dieser Hinsicht ungewöhnlich: Wiederum sprechen sowohl die mündliche Überlieferung als auch die Befunde der Archäologen dafür, dass die konkurrierenden Familienreviere religiös sowie in einem gewissen Umfang auch wirtschaftlich und politisch unter der Führung eines Oberhäuptlings zusammenhielten. Auf Mangareva und den größeren Marquesas-Inseln dagegen war jedes größere Tal ein unabhängiges Reich, das sich mit anderen derartigen Reichen in einem chronischen, aggressiven Kriegszustand befand.

Was könnten die Ursachen für diesen Zusammenhalt auf der Osterinsel sein, und wie konnte man ihn archäologisch nachweisen? Wie sich herausstellte, besteht der Kuchen der Osterinsel nicht aus einem Dutzend gleichwertiger Stücke, sondern die einzelnen Territorien waren mit unterschiedlichen, wertvollen Ressourcen ausgestattet. Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Tongariki-Territoriums (das Hotu Iti genannt wurde): Auf seinem Gebiet liegt der Krater Rano Raraku, auf der ganzen Insel die einzige Quelle für das beste Gestein zur Herstellung der Statuen und auch eine Quelle für Moos, mit dem man die Kanus abdichten konnte. Die roten Steinzylinder auf der Oberseite mancher Statuen stammen ausnahmslos vom Steinbruch Puna Pau im Territorium Hanga Poukura. Die Territorien Vinapu und Hanga Poukura kontrollierten die drei wichtigsten Steinbrüche für Obsidian, das feinkörnige Vulkangestein, aus dem man scharfe Werkzeuge herstellte, Vinapu und Tongariki besaßen den besten Basalt für die Fundamente der hare paenga. Anakena an der Nordküste verfügte über die beiden besten Strände, wenn man Kanus zu Wasser lassen wollte, und Heki’i, sein Nachbar an der gleichen Küste, besaß den drittbesten Strand. Deshalb hat man Werkzeuge, die mit Fischerei zu tun haben, vorwiegend an dieser Küste gefunden. Aber gleichzeitig eignete sich das Land an der Nordküste am schlechtesten für die Landwirtschaft - die besten Regionen für diesen Zweck lagen an den Küsten im Süden und Westen. Nur fünf der zwölf Territorien verfügten über größere hoch gelegene Gebiete im Landesinneren, die man für Steingartenplantagen nutzen konnte. Die Nistgebiete der Seevögel beschränkten sich am Ende praktisch ausschließlich auf wenige kleine Inseln vor der Südküste, insbesondere im Territorium Vinapu. Auch andere Ressourcen, beispielsweise Bauholz, Korallen zur Herstellung von Feilen, roter Ocker und Papiermaulbeerbäume (aus deren Rinde man die Tapa-Stoffe herstellte) waren ungleichmäßig verteilt.

Den eindeutigsten archäologischen Beleg für einen gewissen Zusammenhalt zwischen den konkurrierenden Sippen der einzelnen Territorien liefern die Steinstatuen: Sie stammen von einem Steinbruch im Territorium Tongariki, die roten Zylinder stammen aus Hanga Poukura, aber beide findet man auf den Plattformen in allen elf oder zwölf Territorien der gesamten Insel. Die Straßen, auf denen die Statuen und ihre Kronen aus den Steinbrüchen abtransportiert wurden, führten durch viele Territorien, und eine Sippe, die in einem gewissen Abstand von den Steinbrüchen zu Hause war, brauchte die Genehmigung mehrerer Sippen aus den Gebieten dazwischen, durch die sie die Statuen und Zylinder transportieren musste. Auch Obsidian, der beste Basalt, Fische und andere räumlich beschränkte Ressourcen wurden auf ähnliche Weise über die gesamte Insel verteilt. Uns modernen Menschen, die wir in großen, politisch einheitlichen Staaten wie den USA leben, erscheint so etwas auf den ersten Blick selbstverständlich: Wir machen uns keine Gedanken darüber, dass Material über große Entfernungen von Küste zu Küste transportiert wird und unterwegs viele andere Bundesstaaten oder Provinzen durchquert. Aber dabei vergessen wir, wie schwierig es fast während der gesamten Geschichte für ein Land war, sich durch Verhandlungen Zugang zu den Ressourcen anderer Länder zu verschaffen. Dass es auf der Osterinsel im Gegensatz zu den großen Marquesas-Inseln zu einem solchen Zusammenhalt kam, liegt sicher an ihrer sanften Landschaft; auf den Marquesas-Inseln dagegen sind die Täler so tief, dass die Kommunikation mit dem Nachbartal (und auch Überfälle) meist nicht auf dem Landweg, sondern über das Meer stattfanden.

Jetzt kehren wir zu dem Thema zurück, das jedem als Erstes einfällt, wenn von der Osterinsel die Rede ist: zu den riesigen Steinstatuen (die moai genannt werden) und den steinernen Plattformen (ahu), auf denen sie stehen. Man hat ungefähr 300 ahu identifiziert, viele davon klein und ohne moai, aber 113 von ihnen trugen Statuen, von denen 25 besonders groß und sorgfältig ausgeführt waren. Von dem runden Dutzend Territorien der Insel besaß jedes zwischen einer und fünf dieser großen ahu. Die meisten ahu, die Statuen trugen, befinden sich an der Küste und sind so orientiert, dass sie und ihre Statuen landeinwärts das Territorium der Sippe überblicken; die Statuen blicken nicht aufs Meer.

Die ahu ist eine rechteckige Plattform und besteht nicht aus festem Gestein, sondern aus Geröll, das durch vier Stützmauern aus grauem Basalt festgehalten wird. Manche dieser Mauern, insbesondere jene von Ahu Vinapu, enthalten sehr schön gestaltete Steine, die an die Architektur der Inka erinnern und Thor Heyerdahl dazu veranlassten, eine Verbindung zu Südamerika herzustellen. Im Gegensatz zu den Mauern der Inkas bestehen die Seitenwände der ahu auf der Osterinsel aber nicht aus großen Felsblöcken, sondern sie sind nur mit Steinen verkleidet. Immerhin wiegt aber eine Steinplatte auf der Osterinsel immer noch zehn Tonnen, was sich eindrucksvoll anhört, solange man es nicht mit den Blöcken von bis zu 361 Tonnen in der Inkafestung Scasahuaman vergleicht. Die ahu sind bis zu knapp vier Metern hoch und dürften einschließlich ihrer Seitenflügel bis zu 150 Meter breit gewesen sein. Das Gesamtgewicht der ahu - von 300 Tonnen bei einer kleinen Plattform bis zu mehr als 9000 Tonnen bei der Ahu Tongariki - stellt also das der Statuen, denen sie als Unterlage dienten, in den Schatten. Auf die Bedeutung dieser Beobachtung werden wir später zurückkommen, wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, welchen Aufwand der Bau von Statuen und Plattformen auf der Osterinsel insgesamt erforderte.

Die rückwärtige (zum Meer gewandte) Stützmauer einer ahu steht ungefähr senkrecht, die Vorderwand dagegen fällt schräg zu einem flachen, rechteckigen Platz mit einer Kantenlänge von ungefähr 50 Metern ab. Im hinteren Teil einer ahu befinden sich Krematorien mit den sterblichen Überresten mehrerer tausend Menschen. Die Einäscherung wurde in Polynesien ausschließlich auf der Osterinsel praktiziert, ansonsten wurden Verstorbene einfach bestattet. Heute sind die ahu dunkelgrau, ursprünglich waren sie aber mit Weiß, Gelb und Rot wesentlich farbenfroher: Die Steinplatten auf der Vorderseite waren von weißen Korallen überzogen, das Gestein eines frisch behauenen moai war gelb, die Krone der Statue und ein waagerechter Steinstreifen auf der Vorderwand mancher ahu waren rot.

Die moai stellen hochrangige Vorfahren dar. Jo Anne Van Tilburg hat ein Verzeichnis erstellt, das insgesamt 887 behauene Statuen umfasst; ungefähr die Hälfte davon befindet sich noch im Steinbruch von Rano Raraku, aber diejenigen, die man aus dem Steinbruch abtransportiert hatte, wurden zum größten Teil auf den ahu aufgestellt, wobei jede Plattform zwischen einer und 15 Statuen trug. Die Statuen auf den ahu bestehen ausnahmslos aus dem Tuffstein von Rano Raraku, einige Dutzend weitere jedoch (nach heutiger Zählung sind es 53) wurden aus Vulkangestein anderer Typen hergestellt, das ebenfalls auf der Insel vorkommt und als Basalt, Rotschlacke, Grauschlacke oder Trachyt bezeichnet wird. Eine »durchschnittliche« aufgerichtete Statue war knapp vier Meter hoch und wog ungefähr 10 Tonnen. Die größte, deren Aufstellung jemals gelang, Paro genannt, hatte eine Höhe von 6,60 Meter, war dabei aber recht schlank und wog deshalb »nur« ungefähr 75 Tonnen; im Gewicht wurde sie von der geringfügig kleineren, aber stämmigeren Statuen auf der Ahu Tongariki übertroffen, die 87 Tonnen wog und Claudio Cristino bei seinen Bemühungen, sie mit einem Kran wieder aufzurichten, solche Mühe bereitete. Eine Statue, die noch einige Zentimeter größer war als Paro, wurde von den Inselbewohnern zwar erfolgreich an den vorgesehenen Aufstellungsort auf der Ahu Hanga Te Renga transportiert, aber bei dem Versuch, sie aufzurichten, fiel sie leider um. Im Steinbruch Rano Raraku gibt es noch größere, unvollendete Statuen, darunter eine von 21 Metern Höhe und einem Gewicht von 270 Tonnen. Vor dem Hintergrund unserer Kenntnisse über die Technologie der Osterinsel scheint es unmöglich, dass die Inselbewohner sie jemals hätten transportieren und aufrichten können, und wir müssen uns fragen, von welchem Größenwahn die Steinmetzen besessen waren.

Erich von Däniken mit seiner Begeisterung für Außerirdische, aber auch viele andere hielten die Statuen und Plattformen der Osterinsel für etwas völlig Einzigartiges, das eine besondere Erklärung erforderte. In Wirklichkeit haben sie aber in Polynesien und insbesondere im Osten der Inselwelt zahlreiche Vorbilder. Steinplattformen, die als marae bezeichnet wurden, als Schreine dienten und häufig Tempel trugen, waren weit verbreitet; drei solche Bauwerke gab es früher auf der Insel Pitcairn, von der sich vermutlich die ersten Siedler zur Osterinsel auf den Weg machten. Die ahu der Osterinsel unterscheiden sich von den marae vor allem dadurch, dass sie größer sind und keine Tempel tragen. Auf den Marquesas-Inseln und bei den Ureinwohnern Australiens gab es große Steinstatuen; die Bewohner der Marquesas- und Tubuai-Inseln sowie der Pitcairn-Insel stellten ihre Statuen aus Rotschlacke her, einem ähnlichen Material wie bei manchen Statuen der Osterinsel, und auch Tuff, eine andere Art von Vulkangestein, die mit dem Gestein von Rano Raraku verwandt ist, wurde auf den Marquesas-Inseln verwendet; auf Mangareva und Tonga gab es andere steinerne Bauwerke, so beispielsweise auf Tonga ein bekanntes Trilithon, zwei senkrechte Steinpfeiler von jeweils etwa 40 Tonnen, die einen waagerechteren Querbalken tragen; von Tahiti und anderen Orten kennt man Statuen aus Holz. Die Baukunst der Osterinsel erwuchs also aus einer älteren polynesischen Tradition.

Natürlich wüsste man sehr gerne genau, wann die Bewohner der Osterinsel die ersten Statuen errichteten und wie sich sowohl der Stil als auch die Abmessungen im Lauf der Zeit veränderten. Aber da man die Radiokarbonmethode bei Stein nicht anwenden kann, ist man leider auf indirekte Datierungsmethoden angewiesen, so auf die Radiokarbondatierung von Holzkohle, die man in den ahu findet, auf eine Methode namens Obsidian-Hydrierungsdatierung, die sich für bearbeitete Obsidianoberflächen eignet, auf Stiluntersuchungen an umgestürzten Statuen (die vermutlich älter waren), und auf die verschiedenen Baustadien, die man bei manchen ahu erkennen kann, auch bei jenen, die von den Archäologen ausgegraben wurden. Eines scheint jedoch klar zu sein: Später errichtete Statuen sind in der Regel größer (allerdings nicht unbedingt schwerer), und die größten ahu wurden im Lauf der Zeit mehrfach umgebaut, wobei sie immer größer und komplizierter wurden. Der Bau der ahu fällt wahrscheinlich zum größten Teil in die Jahre 1000 bis 1600 nach Christus. Unterstützt wurden diese indirekt abgeleiteten Daten in jüngster Zeit durch eine scharfsinnige Untersuchung von J. Warren Beck und seinen Kollegen: Sie wandten die Radiokarbonmethode einerseits auf den Kohlenstoff in den Korallen an, die als Material für Feilen und für die Augen der Statuen dienten, und andererseits auch auf den Kohlenstoff in den Algen, deren weiße Knötchen den Platz vor der Plattform verzierten. Diese indirekte Datierung lässt darauf schließen, dass der Ahu Nau Nau in Anakena in drei Phasen errichtet und umgebaut wurde, wobei die erste um 1100 n. Chr. begann und die letzte um 1600 endete. Die ersten ahu ähnelten vermutlich den marae auf anderen polynesischen Inseln und trugen überhaupt keine Statuen. Die vermutlich ältesten moai wurden später zum Bau der Wände von ahu und anderen Bauwerken wieder verwendet. Sie sind meist kleiner, rundlicher und menschenähnlicher als spätere Statuen und bestehen nicht aus dem Tuffstein von Rano Raraku, sondern aus verschiedenen anderen Arten von Vulkangestein.

Schließlich verfielen die Bewohner der Osterinsel aber auf den Vulkantuff von Rano Raraku, und einfach deshalb, weil er sich für Steinmetzarbeiten mit Abstand am besten eignete. Er hat eine harte Oberfläche, aber darunter ähnelt seine Konsistenz der von Asche, und deshalb ist er leichter zu bearbeiten als der sehr harte Basalt. Im Vergleich zur Rotschlacke ist der Tuff weniger zerbrechlich, sodass er sich besser zum Polieren und zum Herausarbeiten von Details eignet. Soweit man eine relative Datierung ableiten kann, wurden die Statuen von Rano Raraku im Lauf der Zeit immer größer, immer rechteckiger, immer stärker stilisiert, und obwohl jede Statue sich geringfügig von allen anderen unterscheidet, kam es fast zu einer Art Massenproduktion. Paro, die größte jemals aufgerichtete Statue, war auch eine der jüngsten.

Die Größenzunahme der Statuen lässt auf eine Konkurrenz zwischen den Häuptlingen schließen, die sich mit den in Auftrag gegebenen Bildwerken gegenseitig übertrumpfen wollten. Die gleiche Schlussfolgerung ergibt sich auch aus einem offenkundig sehr späten Merkmal, das als pukao bezeichnet wird: Ein Zylinder aus Rotschlacke, der bis zu 12 Tonnen wog (so schwer ist er bei Paro) und als eigenständiges Stück oben auf dem abgeflachten Kopf eines moai angebracht wurde. (Wenn man das liest, muss man sich fragen: Wie konnten die Inselbewohner ohne Kräne einen Block von zwölf Tonnen so handhaben, dass er schließlich auf dem Kopf einer zehn Meter hohen Statue balancierte? Das ist eines der Rätsel, die Erich von Däniken veranlassten, Außerirdische zu Hilfe zu rufen. Experimente aus jüngerer Zeit legen eine profanere Antwort nahe: Der pukao und die Statue wurden wahrscheinlich gemeinsam aufgerichtet.) Was der pukao darstellen soll, wissen wir nicht genau; einer begründeten Vermutung zufolge ist er das Abbild eines Schmucks aus roten Vogelfedern, die in ganz Polynesien hoch geschätzt wurden und den Häuptlingen vorbehalten waren, oder vielleicht symbolisierte er auch einen Hut aus Federn und Tapastoff. Als beispielsweise eine spanische Expedition auf die Pazifikinsel Santa Cruz kam, machten nicht die spanischen Schiffe, Schwerter, Gewehre oder Spiegel den größten Eindruck auf die Einheimischen, sondern die roten Stoffe. Die Rotschlacke aller pukao stammte aus einem einzigen Steinbruch namens Puna Pau, und dort sah ich (genau wie in der moai-Werkstatt von Rano Raraku mit ihren unfertigen Statuen) nicht vollendete pukao und einige fertige Stücke, die auf den Abtransport warteten.

Insgesamt kennen wir nicht mehr als 100 pukao. Sie waren für Statuen auf den größten und reichsten ahu reserviert, die in der Vorgeschichte der Osterinsel sehr spät errichtet wurden. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass sie als Ausdruck von Prahlerei errichtet wurden. Es ist, als würden sie sagen: »Na gut, du kannst also eine Statue von neun Metern Höhe errichten, aber sieh mich an: Ich kann auf meiner Statue noch diesen pukao von 12 Tonnen setzen; das musst du erst mal nachmachen, du Schwächling!«

Plattformen und Statuen waren in Polynesien also weit verbreitet. Warum waren die Bewohner der Osterinsel dann die Einzigen, die derartig über die Stränge schlugen, die bei weitem größten gesellschaftlichen Ressourcen in ihren Bau investierten und die größten Exemplare errichteten? Dazu trugen mindestens vier Faktoren bei. Erstens ist der Tuff von Rano Raraku im ganzen Pazifikraum das beste Gestein für Bildhauerarbeiten: Für einen Bildhauer, der sich sonst mit Basalt und Rotschlacke herumgeschlagen hatte, schrie er geradezu danach, bearbeitet zu werden. Zweitens verwendeten andere Gesellschaften im Pazifikraum, die in wenigen Tagereisen ihre Nachbarinseln erreichen konnten, viel mehr Energie, Ressourcen und Arbeitskraft auf den Handel zwischen den Inseln, Überfälle, Entdeckungsreisen, Besiedlung und Auswanderung, aber solche Tätigkeiten waren den Bewohnern der Osterinsel durch ihre isolierte Lage verwehrt. Drittens bestand auf der Osterinsel wegen der sanften Landschaft und der einander ergänzenden Ressourcen der verschiedenen Territorien ein gewisser Zusammenhalt, sodass die Sippen auf der gesamten Insel sich den Stein von Rano Raraku beschaffen und bei seiner Bearbeitung jedes Maß und Ziel verlieren konnten. Wäre die Osterinsel politisch zerstückelt geblieben wie die Marquesas-Inseln, hätte die Sippe von Tongariki, in deren Gebiet der Steinbruch lag, sich ein Monopol auf die Steine verschafft, oder benachbarte Sippen hätten den Transport der Statuen über ihr Territorium verhindert - was am Ende auch tatsächlich geschah. Und wie wir schließlich noch genauer erfahren werden, setzte der Bau der Plattformen und Statuen voraus, dass man zahlreiche Menschen ernähren konnte, und das wurde nur durch die Nahrungsmittelüberschüsse möglich, die in den Plantagen des Hochlandes unter der Kontrolle der herrschenden Kaste produziert wurden.

Wie konnte es den Bewohnern der Osterinsel ohne Kräne gelingen, die Statuen aus dem Stein zu hauen, zu transportieren und aufzurichten? Genau wissen wir es natürlich nicht, denn kein Europäer hat jemals dabei zugesehen, und deshalb konnte auch niemand darüber schreiben. Begründete Vermutungen (insbesondere über das Aufrichten der Statuen) ergeben sich aber aus der mündlichen Überlieferung der Inselbewohner selbst, aus den Statuen, die in allen Bearbeitungsstadien in den Steinbrüchen stehen geblieben sind, und aus Experimenten, die man in jüngster Zeit mit verschiedenen Transportmethoden durchgeführt hat.

Im Steinbruch von Rano Raraku sieht man unfertige Statuen, die noch mit dem Muttergestein verbunden und von engen, nur etwa 60 Zentimeter breiten Gängen umgeben sind. Auch die Basaltpickel, mit denen die Steinmetzen arbeiteten, befinden sich noch in dem Steinbruch. Die am wenigsten bearbeiteten Statuen bestehen nur aus einem Steinblock, der mit dem späteren Gesicht nach oben grob aus dem Felsen gehauen wurde, wobei der Rücken noch über einen langen Sockel mit dem darunter liegenden Gestein verbunden ist. Als Nächstes wurden Kopf, Nase und Ohren aus dem Stein gehauen, gefolgt von Armen, Händen und Lendentuch. In diesem Stadium wurde dann auch der Sockel durchtrennt, der den Rücken der Statue noch mit dem Untergrund verband, und man begann, die Statue aus ihrer Nische heraus zu bewegen. Bei allen Statuen, die sich in diesem Transportstadium befinden, fehlen noch die Augenhöhlen - diese wurden offensichtlich erst dann herausgehauen, wenn man die Statue auf dem ahu aufgestellt hatte. Eine der interessantesten Entdeckungen im Zusammenhang mit den Statuen machten Sonia Haoa und Sergio Rapu Haoa im Jahr 1979: Sie fanden im Boden nicht weit von einem ahu ein einzelnes, vollständiges Auge aus weißer Koralle mit einer Pupille aus Rotschlacke. In der Folgezeit konnte man auch Bruchstücke weiterer, ähnlicher Augen ausgraben. Setzt man sie in eine Statue ein, verleihen sie dieser einen durchdringenden, Ehrfurcht gebietenden Blick. Aus der geringen Zahl der geborgenen Augen kann man schließen, dass tatsächlich nur wenige Exemplare hergestellt wurden, die in der Obhut der Priester blieben und nur für besondere Zeremonien in die Augenhöhlen eingesetzt wurden.

Die heute noch sichtbaren Straßen, auf denen die Statuen aus den Steinbrüchen abtransportiert wurden, folgen den Höhenlinien; auf diese Weise ersparte man sich die zusätzliche Arbeit, die riesigen Blöcke bergauf und bergab zu schleppen. Der Weg von Ranu Raraku bis zu dem am weitesten entfernten ahu an der Westküste ist mehr als 15 Kilometer lang. Ein solcher Transport mag uns schrecklich schwierig erscheinen, aber wir wissen, dass auch viele andere prähistorische Völker sehr schwere Steine über große Strecken bewegten, beispielsweise in Stonehenge, bei den ägyptischen Pyramiden, in Teotihuacan und in den Zentren der Inkas und Olmeken. In allen diesen Fällen kann man Rückschlüsse über die jeweils verwendeten Methoden ziehen. Wissenschaftler unserer Zeit haben ihre verschiedenen Theorien über den Transport der Statuen auf der Osterinsel überprüft, indem sie solche Statuen tatsächlich transportierten. Als Erster tat dies Thor Heyerdahl, aber seine Theorie war vermutlich falsch: Die Statue, mit der er es versuchte, wurde während des Transports beschädigt. In späteren Versuchen wurden die Statuen stehend oder liegend gezogen, mit oder ohne hölzernen Schlitten, auf einer vorbereiteten oder nicht vorbereiteten Spur mit geschmierten oder nicht geschmierten Rollen, oder mit festen Querbalken. Am überzeugendsten ist für mich die Methode, die von Jo Anne Van Tilburg vorgeschlagen wurde: Danach wandelten die Bewohner der Osterinsel die so genannten Kanuleitern ab; diese Geräte waren auf allen Pazifikinseln weit verbreitet und dienten sonst dem Transport schwerer Holzbalken, die man im Wald fällen und dort zu Einbäumen formen musste, bevor man sie an die Küste brachte. Eine solche »Leiter« besteht aus zwei parallel angeordneten hölzernen Schienen, die nicht durch bewegliche Rollen, sondern durch feste Querhölzer verbunden sind; über diese Konstruktion zieht man dann den Balken. In der Region von Neuguinea habe ich derartige Leitern mit einer Länge von mehr als eineinhalb Kilometern gesehen, die von der Küste mehrere hundert Meter bergauf zu einer Waldlichtung verliefen. Dort fällte man dann einen riesigen Baum und höhlte ihn als Kanurumpf aus. Einige besonders große Kanus, die in Hawaii über Kanuleitern transportiert wurden, wogen bekanntermaßen mehr als eine durchschnittliche moai auf der Osterinsel - die vorgeschlagene Methode ist also plausibel.

Mit Hilfe heutiger Bewohner der Osterinsel konnte Jo Anne ihre Theorie überprüfen: Gemeinsam bauten sie eine Kanuleiter, legten eine Statue auf einen hölzernen Schlitten, an dem sie Seile befestigt hatten, und zogen ihn über die Leiter. Wie sie dabei feststellte, können 50 bis 70 Menschen, die täglich fünf Stunden arbeiten und den Schlitten mit jedem Zug um fünf Meter voranbringen, eine durchschnittliche Statue von 12 Tonnen in einer Woche über eine Strecke von nahezu 15 Kilometern transportieren. Wie Jo Anne und die Inselbewohner dabei bemerkten, ist es entscheidend, dass alle Beteiligten gleichzeitig ziehen, genau wie Kanupaddler, die die Bewegungen ihrer Paddel koordinieren. Rechnet man diese Befunde hoch, kann eine Gemeinschaft von 500 Erwachsenen auch den Transport großer Statuen wie Paro bewerkstelligen, und dies läge genau innerhalb der Arbeitskapazität einer Sippe auf der Osterinsel, die aus 1000 bis 2000 Menschen bestand.

Thor Heyerdahl erfuhr von den Bewohnern der Osterinsel, wie ihre Vorfahren die Statuen auf den ahu errichtet hatten. Sie waren ungehalten darüber, dass die Archäologen sich nie herabgelassen hatten, sie zu fragen, und um ihre Behauptungen zu beweisen, richteten sie vor seinen Augen ohne Kran eine Statue auf. Viele weitere Erkenntnisse über Transport und Aufbau der Statuen erwuchsen aus späteren Experimenten von William Mulloy, Jo Anne Van Tilburg, Claudio Cristino und anderen. Die Bewohner bauten zunächst eine sanft ansteigende Steinrampe von dem Platz zur Oberseite der Plattform und zogen die liegende Statue dann mit der Unterseite voran die Rampe hinauf. Hatte der Sockel der Statue die Plattform erreicht, hebelten sie den Kopf mit Holzbalken einige Zentimeter nach oben, legten Steine darunter, um ihn in dieser neuen Position zu fixieren, und hebelten ihn dann erneut nach oben, sodass die Statur allmählich immer stärker in eine senkrechte Position kam. Für den Besitzer der Plattform blieb am Ende eine lange steinerne Rampe zurück, die vermutlich auseinander genommen wurde, sodass man die Steine zum Bau der Seitenflügel des ahu verwenden konnte. Der pukao wurde vermutlich zur gleichen Zeit errichtet wie die Statue selbst, und beide waren zusammen in dem gleichen Stützgerüst montiert.

Der gefährlichste Teil des Unternehmens bestand darin, die Statue am Ende aus einem sehr steilen Winkel in die senkrechte Position zu kippen, denn dabei bestand das Risiko, dass sie aufgrund ihrer Trägheit vornüber kippte und von der Rückseite der Plattform fiel. Offensichtlich um diese Gefahr zu verringern, gestalteten die Steinmetzen ihre Statue so, dass sie nicht genau senkrecht zu ihrer flachen Basis stand, sondern ein ganz klein wenig schräg (der Winkel zur Basis betrug beispielsweise nicht genau 90, sondern etwa 87 Grad). Wenn man nun die Statue in eine stabile Position brachte, in der die Basis flach auf der Plattform stand, lehnte sich der Körper immer noch geringfügig nach vorn, und es bestand keine Gefahr, dass er hintenüber kippte. Anschließend konnte man die Vorderseite der Basis vorsichtig anheben, sodass die letzte Schrägstellung ausgeglichen wurde, und zur Stabilisierung wurden Steine darunter geschoben, bis die Statue genau senkrecht stand. Aber auch in diesem letzten Stadium konnten sich noch tragische Unfälle ereignen; dies geschah offensichtlich, als man auf der Ahu Hanga Te Tenga eine Statue errichten wollte, die noch größer war als Paro: Sie kippte am Ende um und zerbrach.

Der gesamte Aufbau von Statuen und Plattformen erforderte mit Sicherheit einen ungeheuren Aufwand an Lebensmitteln. Für deren Vorratshaltung, Transport und Verteilung mussten die Häuptlinge sorgen, die die Statuen in Auftrag gegeben hatten. Zwanzig Steinmetzen mussten einen Monat lang ernährt werden, und vermutlich erhielten sie auch ihre Bezahlung in Lebensmitteln. Anschließend musste Nahrung für eine Transportmannschaft von fünfzig bis 500 Menschen und eine ähnlich große Gruppe für die Aufrichtung der Statue bereitstehen. Diese Menschen leisteten harte körperliche Arbeit und brauchten deshalb besonders viel Nahrung. Auch für die ganze Sippe, die Eigentümer der ahu war, gab es mit Sicherheit ein großes Festessen, ebenso für die Sippen, über deren Territorien die Statue transportiert wurde. Als Archäologen erstmals die geleistete Arbeit, die verbrauchten Kalorien und damit den Lebensmittelbedarf berechnen wollten, übersahen sie, dass die eigentliche Statue nur den kleineren Teil des Unternehmens darstellte. Eine ahu ist ungefähr zwanzig Mal so schwer wie die Statue, die sie trägt, und auch die Steine zu ihrem Aufbau mussten transportiert werden. Jo Anne Van Tilburg und ihr Ehemann Jan, der als Architekt in Los Angeles große moderne Gebäude errichtet und dort den notwendigen Aufwand für Kräne und Aufzüge errechnen muss, schätzte grob die erforderliche Arbeit auf der Osterinsel ab. Nach diesen Berechnungen führte der Bau sämtlicher ahu und moai auf der Osterinsel in ihrer bekannten Zahl und Größe während der rund 300-jährigen Blütezeit, in der sie errichtet wurden, für die Bevölkerung der Osterinsel zu einem um 25 Prozent höheren Nahrungsbedarf. Diese Berechnungen passen gut zu der Erkenntnis von Chris Stevenson, dass die genannten 300 Jahre auch die Blütezeit der Plantagenwirtschaft im Hochland der Osterinsel waren, in der im Vergleich zu früheren Zeiten ein hoher Lebensmittelüberschuss produziert wurde.

Es gab aber noch ein weiteres Problem, und das haben wir bisher übergangen. Die Errichtung der Statuen erforderte nicht nur eine Menge Lebensmittel, sondern auch viele dicke Seile (die in Polynesien aus faserigen Baumrinden hergestellt werden): An den Statuen, die zwischen zehn und 90 Tonnen wogen, mussten jeweils 50 bis 500 Menschen ziehen, und ebenso brauchte man zahlreiche dicke Baumstämme für Schlitten, Kanuleitern und Hebel. Als aber Roggeveen und spätere europäische Besucher auf die Osterinsel kamen, gab es dort nur sehr wenige Bäume, die alle sehr klein und höchstens drei Meter hoch waren: Auf keiner anderen Insel Polynesiens war der Baumbestand so gering. Wo waren die Bäume, die Seile und Bauholz geliefert hatten?

Im 20. Jahrhundert hat man in botanischen Übersichtsuntersuchungen die Pflanzen erfasst, die auf der Osterinsel leben. Dabei konnte man nur 48 einheimische Arten identifizieren, und selbst die größte davon, den bis zu zwei Meter hohen Toromiro, kann man kaum als Baum bezeichnen; alle übrigen sind kleine Farne, Gräser, Seggen und Büsche. Mit Methoden zur Bergung der Überreste ausgestorbener Pflanzen konnte man aber in den letzten Jahrzehnten nachweisen, dass die Osterinsel während mehrerer hunderttausend Jahre vor dem Eintreffen der Menschen und auch noch in der ersten Zeit danach keineswegs eine karge Wüste war, sondern dort ein subtropischer Wald aus hohen Bäumen und dichtem Gebüsch heimisch war.

Die erste Methode, mit der man zu solchen Ergebnissen gelangte, war die Pollenanalyse (Palynologie), bei der man aus den Sedimenten eines Sumpfes oder Teiches einen Bohrkern gewinnt. Wenn das Sediment nicht erschüttert oder durcheinander gebracht wurde, hat sich der Schlamm in den obersten Schichten eines solchen Bohrkerns in jüngerer Zeit abgelagert, und je tiefer er liegt, desto älter ist er. Das tatsächliche Alter der einzelnen Schichten in solchen Ablagerungen kann man mit der Radiokarbonmethode feststellen. Dann bleibt noch die unglaublich mühselige Aufgabe, Zehntausende von Pollenkörnern aus dem Bohrkern im Mikroskop zu untersuchen, zu zählen und durch Vergleich mit dem Pollen moderner Pflanzen die jeweilige biologische Art zu ermitteln. Der erste Wissenschaftler, der verrückt genug war, sich auf der Osterinsel an diese Arbeit zu machen, war der schwedische Palynologe Olof Selling; er untersuchte Bohrkerne aus den Sümpfen der Krater von Rano Raraku und Ranu Kau, die 1955 auf der Expedition von Thor Heyerdahl gesammelt worden waren. Dabei entdeckte er eine Fülle von Pollen einer nicht identifizierten Palmenart, die heute auf der Osterinsel nicht mehr heimisch ist.

In den Jahren 1977 und 1983 sammelte John Flenley weitere Sedimentbohrkerne, und auch ihm fiel eine Fülle von Palmenpollen auf; durch einen glücklichen Zufall erhielt er 1983 von Sergio Rapu Hoa auch einige fossile Palmennüsse, die französische Höhlenforscher im gleichen Jahr in einer Lavahöhle entdeckt und zur Identifizierung an den weltweit führenden Palmenexperten geschickt hatten. Wie sich herausstellte, ähnelten die Nüsse den Früchten der Chilenische Honigpalme, die mit einer Höhe von 20 Metern und einem Durchmesser bis zu einem Meter heute die größte Palmenart ist; sie waren aber noch geringfügig größer. Später fand man auf der Osterinsel weitere Spuren dieser Palme: Ihre Stämme hatten sich vor einigen hunderttausend Jahren am Teravaka in flüssiger Lava abgedrückt, und die Abdrücke ihrer Wurzelstücke beweisen, dass der Stamm dieser Osterinselpalme einen Durchmesser von weit über zwei Metern erreichte. Damit stellte sie selbst die Chilenische Palme in den Schatten und war zu ihrer Zeit die größte Palme der Welt.

In Chile schätzt man die Palme heute aus mehreren Gründen, und ähnlich dürfte es auch den Bewohnern der Osterinsel ergangen sein. Wie ihr Name schon sagt, liefert der Stamm einen süßen Saft, den man zu Wein vergären oder zu Honig und Zucker einkochen kann. Die ölhaltigen Kerne der Nüsse gelten als Delikatesse. Die Palmwedel eignen sich ideal zum Decken von Hausdächern sowie zur Herstellung von Körben, Matten und Segeln. Und die kräftigen Stämme dürften natürlich zum Transport und Aufbau der moai sowie vielleicht auch zum Bau von Flößen gedient haben.

Flenley und Sarah King fanden in den Sedimentkernen auch Pollen von fünf weiteren heute ausgestorbenen Baumarten. In jüngerer Zeit sortierte die französische Archäologin Catherine Orliac rund 30 000 Holzstücke, die zu Holzkohle verbrannt waren und die sie in den Bohrkernen aus Öfen und Abfallhaufen der Osterinsel gewonnen hatte. Mit ähnlich heldenhaftem Elan wie Selling, Flenley und King verglich sie 2300 derart verkohlte Holzstücke mit Holzproben von Pflanzen, die heute an anderen Stellen Polynesiens vorkommen. Auf diese Weise identifizierte sie ungefähr 16 weitere Pflanzenarten, vorwiegend Bäume, die verbreiteten Baumarten in Ostpolynesien genau glichen oder ähnelten und früher offenbar auch auf der Osterinsel gediehen. Die Osterinsel war früher also Heimat eines artenreichen Waldes.

Viele dieser 21 Arten, die neben der Palme auf der Osterinsel verschwunden sind, waren für ihre Bewohner sicher von großem Wert. Zwei besonders große Bäume, die bis zu 30 Meter hohe Alphitonia cf. zizyphoides und Elaeocarpus cf. rarotongensis mit einer Höhe von 15 Metern dienen an anderen Stellen Polynesiens zum Bau von Kanus und eigneten sich zu diesem Zweck sicher viel besser als die Palme. Seile stellen die Polynesier auf anderen Inseln aus der Rinde des Hauhau (Triumfetta semitriloba) her, und vermutlich wurden auch die Statuen auf der Osterinsel mit solchen Tauen vorwärts gezogen. Die Rinde des Papiermaulbeerbaumes Broussonetia papyrifera wird zu Tapa-Stoff flach geklopft; Psydrax odorata hat einen geraden, biegsamen Stamm, der sich gut für Harpunen und Bootsausleger eignet; der Malayapfelbaum Syzygium malaccense trägt essbare Früchte; das Rosengewächs Thespesia populanea und mindestens acht weitere Arten haben ein hartes Holz, das sich für Schnitzereien und als Baumaterial eignet; Toromiro liefert wie Akazie und Süßhülsenbaum ausgezeichnetes Feuerholz; Orliac entdeckte alle diese Arten als verkohlte Fragmente und konnte damit beweisen, dass sie ebenfalls als Brennholz dienten.

Der Zooarchäologe David Steadman arbeitete sich durch 6433 Knochen von Vögeln und anderen Wirbeltieren, die er in Abfallhaufen aus der Frühzeit am Anakena-Strand gefunden hatte, vermutlich der Stelle, wo erstmals Menschen auf der Osterinsel an Land gegangen waren und sich niedergelassen hatten. Ich bin selbst Ornithologe und verbeuge mich voller Verwunderung vor Daves Bestimmungskünsten und der Belastbarkeit seiner Augen: Während ich den Knochen eines Rotkehlchens nicht von dem einer Taube oder auch einer Ratte unterscheiden könnte, hat Dave gelernt, sogar die Knochen von einem Dutzend eng verwandter Sturmvogelarten auseinander zu halten. Auf diese Weise konnte er beweisen, dass die Osterinsel, auf der es heute keine einzige einheimische Landvogelart gibt, früher mindestens sechs solche Arten beherbergte, darunter eine Reiherart, fünf hühnerähnliche Rallen, zwei Papageien und eine Schleiereule. Noch eindrucksvoller jedoch war die Gesamtzahl von mindestens 25 Seevogelarten, die auf der Osterinsel nisteten und sie zum reichhaltigsten Nistplatz in ganz Polynesien und vermutlich sogar im ganzen Pazifikraum machten. Albatrosse, Tölpel, Fregattvögel, Eissturmvögel, Sturmvögel, Seeschwalben und Tropikvögel fühlten sich nicht nur durch die abgelegene Lage der Osterinsel angezogen, sondern da es dort keinerlei Raubtiere gab, war sie eine sichere Zuflucht zum Nisten - bis die Menschen kamen. Dave entdeckte auch ein paar Knochen von Robben, die heute weit östlich von der Osterinsel auf den Galapagosinseln und der Insel Juan Fernandez zu Hause sind; ob sie aber aus ähnlichen Brutkolonien auf der Osterinsel stammen oder von einzelnen, verirrten Tieren, ist nicht gesichert.

Aus den Ausgrabungen in Anakena, bei denen diese Vogel- und Robbenknochen zum Vorschein kamen, können wir viele Rückschlüsse über Ernährung und Lebensweise der ersten Siedler auf der Osterinsel ziehen. Von den 6433 Wirbeltierknochen, die man in ihren Abfallhaufen identifizieren konnte, gehört der größte Prozentsatz - mehr als ein Drittel der Gesamtmenge - zu dem größten Tier, das den Inselbewohnern zur Verfügung stand: zum Gemeinen Delphin, der bis zu 75 Kilo schwer wurde. Das ist erstaunlich: An keiner anderen Stelle in Polynesien tragen Delphine auch nur ein Prozent zu den Knochen in den Abfallhaufen bei. Der Gemeine Delphin lebt in der Regel auf dem offenen Meer, sodass man ihn nicht von der Küste aus mit Angelleinen oder Speeren jagen konnte. Man musste ihn weit draußen mit Harpunen erlegen, und dazu brauchte man große, seetüchtige Kanus, die aus den großen, von Catherine Orliac nachgewiesenen Bäumen gebaut worden.

In den Abfallhaufen findet man auch Fischknochen, aber die machen hier nur 23 Prozent aller Knochen aus, während Fische an anderen Stellen in Polynesien mit mindestens 90 Prozent aller Knochen das Hauptnahrungsmittel waren. Dass Fische auf der Osterinsel nur so wenig zur Ernährung beitrugen, lag an der zerklüfteten Küste und den steil abfallenden Stellen im Meeresboden; beides führte dazu, dass man Fische nur an wenigen Stellen im flachen Wasser mit Netzen oder Angelleinen fangen konnte. Aus dem gleichen Grund stellten auch Muscheln und Seeigel auf der Osterinsel nur einen geringen Anteil an der Ernährung. Zum Ausgleich gab es die vielen Seevögel und die Landvögel. Ergänzt wurde das Vogelfleisch durch das Fleisch der vielen Ratten, die als blinde Passagiere in den Kanus der polynesischen Siedler auf die Osterinsel gekommen waren. Die Osterinsel ist in ganz Polynesien die einzige Stelle, wo Rattenknochen an den archäologischen Fundstätten zahlreicher sind als Fischknochen. Wer nun zimperlich ist und Ratten für ungenießbar hält, dem möchte ich berichten, was ich Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts erlebte, als ich in England wohnte: Damals kursierten Rezepte für Laborratte in Sahnesauce, und meine britischen Biologenkollegen, die die Tiere für ihre Experimente hielten, ergänzten damit in den Kriegsjahren, als Lebensmittel rationiert waren, ihre Ernährung.

Mit Delphinen, Fischen, Muscheln, Vögel und Ratten war die Liste der Fleischlieferanten, die den ersten Siedlern auf der Osterinsel zur Verfügung standen, noch nicht zu Ende. Ich habe bereits einige Robbenfunde erwähnt, und andere Knochen belegen, dass gelegentlich auch Meeresschildkröten sowie vielleicht große Echsen auf dem Speisezettel standen. Alle diese Köstlichkeiten wurden über Holzfeuern gegart, deren Brennmaterial nachweislich aus den später verschwundenen Wäldern der Osterinsel stammte.

Beim Vergleich dieser alten Mülllager mit solchen aus späterer prähistorischer Zeit und mit den heutigen Verhältnissen auf der Osterinsel stellt sich heraus, dass die anfangs sehr üppigen Nahrungsquellen sich nach und nach stark wandelten. Delphine und Fische aus dem offenen Meer, beispielsweise Thunfische, verschwanden fast völlig aus der Ernährung der Inselbewohner - von den Gründen wird später noch genauer die Rede sein. Bei den Fischen, die weiterhin gefangen wurden, handelte es sich vorwiegend um Arten, die in Küstennähe leben. Landvögel gab es in der Ernährung später überhaupt nicht mehr, und zwar einfach deshalb, weil sämtliche Arten durch zu starke Jagd, Waldzerstörung und räuberische Ratten ausgerottet wurden. Nirgendwo sonst auf den Pazifikinseln ereilte die Landvögel eine derart schlimme Katastrophe, nicht einmal in Neuseeland und auf Hawaii, wo zwar Moas, flugunfähige Gänse und andere Arten ausstarben, wo aber viele andere auch überlebten. Keine andere Pazifikinsel besaß am Ende überhaupt keine einheimischen Landvögel mehr. Von den einstmals 25 Seevogelarten nisten 24 heute wegen übermäßiger Jagd und Verfolgung durch die Ratten nicht mehr auf der Osterinsel selbst, ungefähr neun nisten in geringer Zahl auf wenigen kleinen Felseilanden vor der Osterinsel, und 15 sind auch dort verschwunden. Selbst die Muscheln wurden so stark dezimiert, dass die Menschen am Ende weniger die hoch geschätzten großen Kaurimuscheln verzehrten als vielmehr die weniger beliebten, kleineren schwarzen Schnecken, und die Größe von Kauri- und Schneckengehäusen in den Abfallhaufen geht im Lauf der Zeit immer weiter zurück, weil vor allem die größeren Exemplare bevorzugt verzehrt wurden.

Die Riesenpalmen und alle anderen ausgestorbenen Bäume, die von Catherine Orliac, John Flenley und Sarah King nachgewiesen wurden, verschwanden aus einem halben Dutzend Gründen, die wir heute belegen oder ableiten können. Orliacs Holzkohlestücke aus den Öfen beweisen unmittelbar, dass die Bäume verfeuert wurden. Sie dienten auch zur Einäscherung von Leichen: Die Krematorien auf der Osterinsel enthalten die Überreste von vielen tausend menschlichen Körpern und große Mengen von Knochenasche, was darauf schließen lässt, dass für die Einäscherung gewaltige Brennstoffmengen verbraucht wurden. Man holzte die Bäume ab, um Felder anzulegen, und am Ende dienten die Landflächen der Osterinsel mit Ausnahme der am höchsten gelegenen Regionen größtenteils zum Anbau von Nutzpflanzen. Da anfangs in den Abfallhaufen zahlreiche Knochen von Delphinen und Thunfischen aus dem offenen Meer auftauchen, kann man den Schluss ziehen, dass große Bäume wie Alphitonia und Elaeocarpus zum Bau seetüchtiger Kanus gefällt wurden; die zerbrechlichen, undichten Nussschalen, die Roggeveen zu Gesicht bekam, eigneten sich nicht als Plattform für Harpunenschützen und konnten sich auch nicht weit aufs offene Meer hinauswagen. Daraus können wir schließen, dass die Bäume die Balken und Seile zum Transport und Aufbau der Statuen lieferten und zweifellos auch zu zahlreichen anderen Zwecken verwendet wurden. Auch die zufällig als blinde Passagiere eingeschleppten Ratten »benutzten« die Palmen und zweifellos auch andere Bäume für ihre eigenen Zwecke: An sämtlichen Nüssen der Osterinselpalme, die man gefunden hat, sind Zahnspuren von Ratten zu erkennen, sodass sie nicht mehr keimen konnten.

Die Waldzerstörung muss irgendwann nach der Besiedlung durch Menschen um das Jahr 900 nach Christus begonnen haben und war 1722, als Roggeveen keinen Baum von mehr als drei Metern Höhe sah, praktisch vollendet. Können wir Genaueres darüber sagen, wann in der Zeitspanne zwischen 900 und 1722 das große Abholzen stattfand? Als Leitfaden können uns fünf Indizien dienen. Glaubt man der Radiokarbondatierung, stammen die meisten Palmennüsse aus der Zeit vor 1500, was darauf schließen lässt, dass die Palmen nach dieser Zeit selten waren oder ganz ausstarben. Auf der Poike-Halbinsel, die auf der ganzen Insel den unfruchtbarsten Boden hat und deshalb vermutlich als Erste ihren Wald verlor, verschwanden die Palmen um 1400, und nach 1440 findet man auch keine Holzkohle aus abgeholzten Wäldern mehr, obwohl Spuren der Landwirtschaft aus späterer Zeit belegen, dass weiterhin Menschen dort lebten. Orliacs Radiokarbondatierung von Holzkohlestücken aus Öfen und Abfallhaufen zeigt, dass krautige Pflanzen und Gräser nach 1640 als Brennstoff an die Stelle des Holzes traten, und zwar selbst in den Häusern der herrschenden Klasse, die möglicherweise die letzten kostbaren Bäume für sich beanspruchten, nachdem für die Bauern bereits keine mehr übrig waren. An Flenleys Bohrkernen ist zu erkennen, dass Pollen von Palmen, Olearia, Toromiro und Büschen verschwanden; an ihre Stelle traten zwischen 900 und 1300 Gräser- und Kräuterpollen, aber die Radiokarbondatierung von Sedimentkernen ist ein weniger direktes Maß für die Waldzerstörung als die unmittelbaren Befunde an den Palmen und ihren Nüssen. Die Plantagen im Hochland schließlich, die Chris Stevenson untersuchte und deren Betrieb in die Phase der größten Ausbeutung der Holz- und Faserreserven für die Statuen fallen muss, wurden von Anfang des 15. Jahrhunderts bis ins 17. Jahrhundert hinein unterhalten. Dies alles lässt darauf schließen, dass die Abholzung der Wälder kurz nach dem Eintreffen der ersten Menschen begann, um 1400 ihren Höhepunkt erreichte und je nach Ort zwischen dem frühen 15. und dem 17. Jahrhundert praktisch abgeschlossen war.

Insgesamt ergibt sich für die Osterinsel ein Bild, das im gesamten Pazifikraum einen Extremfall der Waldzerstörung darstellt und in dieser Hinsicht auch in der ganzen Welt kaum seinesgleichen hat. Der Wald verschwand vollständig, und seine Baumarten starben ausnahmslos aus. Für die Inselbewohner ergab sich daraus die unmittelbare Folge, dass Rohstoffe und wild wachsende Nahrungsmittel fehlten, und auch die Erträge der Nutzpflanzen gingen zurück.

Bei den Rohstoffen, die nun überhaupt nicht mehr oder nur noch in sehr geringen Mengen verfügbar waren, handelte es sich um alle Produkte der einheimischen Pflanzen und Vögel, beispielsweise Holz, Fasern, Rinde zur Herstellung von Bekleidung, und Vogelfedern. Nachdem es keine großen Holzbalken und keine Seile mehr gab, kamen Transport und Errichtung der Statuen ebenso zum Erliegen wie der Bau seetüchtiger Kanus. Im Jahr 1838, als fünf kleine, undichte Zweimannboote einem französischen Schiff entgegenpaddelten, das vor der Insel vor Anker gegangen war, berichtete der Kapitän: »Alle Einheimischen verwendeten häufig und aufgeregt das Wort miru und wurden ungeduldig, als sie sahen, dass wir es nicht verstanden: Dieses Wort ist der Name des Holzes, das die Polynesier zum Bau ihrer Kanus verwenden. Es war das, was sie am dringendsten brauchten, und sie bedienten sich aller Mittel, um uns dies verständlich zu machen ...« Der Name »Terevaka« für den größten und höchsten Berg auf der Osterinsel bedeutet »Ort, um Kanus zu bekommen«: Bevor seine Abhänge abgeholzt und zu Plantagen gemacht wurden, hatten sie der Holzgewinnung gedient, und sie waren noch übersät mit Steinbohrern, Schabern, Messern, Meißeln und anderen Werkzeugen, die man damals zur Holzbearbeitung und zum Kanubau benutzt hatte. Nachdem große Holzbalken fehlten, besaßen die Menschen auch keinen Brennstoff mehr, mit dem sie sich in den Winternächten bei strömendem Regen und Temperaturen um 10 Grad Celsius warm halten konnten. Stattdessen waren die Inselbewohner nach 1650 darauf angewiesen, Kräuter und Gräser sowie die Reste von Zuckerrohr und anderen Nutzpflanzen zu verbrennen. Um die verbliebenen holzigen Sträucher gab es heftige Rivalitäten zwischen Menschen, die Material zum Decken ihrer Dächer und kleine Holzstücke zum Hausbau oder zur Herstellung von Gerätschaften und Kleidungsstücken brauchten. Sogar die Bestattungsmethoden mussten sich ändern: Die Einäscherung, die für jede Leiche viel Holz erfordert hatte, wurde unmöglich und machte der Mumifizierung sowie der Erdbestattung Platz.

Die meisten wild wachsenden Nahrungsmittel waren verloren. Da es auch keine seetüchtigen Kanus mehr gab, verschwanden die Knochen der Delphine, die in den ersten Jahrhunderten die wichtigsten Fleischlieferanten der Inselbewohner gewesen waren, um 1500 praktisch völlig aus den Abfallhaufen, und das Gleiche galt für Thunfische und andere Fischarten aus dem offenen Meer. Ganz allgemein ging die Zahl der Angelhaken und Fischknochen in den Abfällen zurück, und es blieben vorwiegend Fischarten, die man im flachen Wasser oder von der Küste aus fangen konnte. Die Landvögel starben völlig aus; von den Seevögeln blieben nur Restbestände mit einem Drittel der Arten, die ursprünglich auf der Insel heimisch waren, und auch diese waren darauf angewiesen, auf wenigen kleinen Eilanden vor der Küste zu brüten. Palmennüsse, Malayäpfel und alle anderen wilden Früchte verschwanden vom Speisezettel. Bei den Muscheln, die nun verbraucht wurden, handelte es sich um kleinere Arten mit einer geringeren Zahl kleinerer Exemplare. Die einzigen wild lebenden Nahrungslieferanten, die nach wie vor unverändert zur Verfügung standen, waren die Ratten.

Neben diesem drastischen Rückgang der wilden Nahrungsmittelressourcen nahm auch der Ertrag der angebauten Nutzpflanzen ab. Das hatte mehrere Gründe. Die Waldzerstörung zog in einzelnen Gebieten eine starke Bodenerosion durch Regen und Wind nach sich; dies erkennt man an den steil ansteigenden Mengen von Metallionen aus dem Boden, die in das Sediment der Sümpfe geschwemmt wurden und sich in Flanleys Bohrkernen wiederfinden. Wie man beispielsweise an Ausgrabungen auf der Poike-Halbinsel erkennt, ließ man anfangs zwischen den angebauten Nutzpflanzen noch einzelne Palmen stehen, sodass ihre Kronen dem Boden Schatten spendeten und die Nutzpflanzen vor Sonnenwärme, Austrocknung, Wind und den unmittelbaren Auswirkungen des Regens schützten. Nachdem die Palmen abgeholzt waren, kam es zu umfangreicher Erosion, sodass die weiter bergab gelegenen ahu und Häuser unter Erde begraben wurden; dies führte schließlich dazu, dass man die Felder auf der Poike-Halbinsel um 1400 aufgeben musste. Nachdem sich dort die Graslandschaften breit gemacht hatten, nahm man die Landwirtschaft um 1500 wieder auf, um sie ein Jahrhundert später nach einer zweiten Erosionswelle erneut einzustellen. Weiter geschädigt wurde der Boden durch Austrocknung und Auswaschung von Nährstoffen, auch sie eine Folge der Waldzerstörung, die zu einem Rückgang des Pflanzenertrages führte. Darüber hinaus standen die Blätter, Früchte und Zweige wilder Pflanzen, die den Bauern zuvor als Kompost gedient hatten, nicht mehr zur Verfügung.

Das waren die unmittelbaren Folgen der Waldzerstörung und anderer Eingriffe der Menschen in die Umwelt. Im weiteren Verlauf kam es dann zu einer Hungersnot, einem Zusammenbruch der Bevölkerung und einem Niedergang bis hin zum Kannibalismus. Eine sehr augenfällige Bestätigung für die Berichte der überlebenden Inselbewohner über die Hungersnot sind die zahlreichen kleinen Statuen, die als moai kavakava bezeichnet werden: Sie stellen hungernde Menschen mit hohlen Wangen und vorstehenden Rippen dar. Captain Cook bezeichnete die Inselbewohner 1774 als »klein, mager, ängstlich und elend«. In den Niederungen an der Küste, wo fast die gesamte Bevölkerung zu Hause war, ging die Zahl der Bauwerke von einem Spitzenwert der Jahre zwischen 1400 und 1600 bis ins 18. Jahrhundert um 70 Prozent zurück, was auf einen entsprechenden Rückgang der Bevölkerungszahl schließen lässt. Anstelle ihrer früheren wilden Fleischlieferanten griffen die Inselbewohner jetzt auf die einzige Möglichkeit zurück, die ihnen noch zur Verfügung stand: auf Menschen. Ihre Knochen findet man von nun an nicht nur an ordnungsgemäßen Begräbnisstätten, sondern auch (zur Gewinnung des Knochenmarks aufgebrochen) in Abfallhaufen aus späterer Zeit. In der mündlichen Überlieferung der Inselbewohner nimmt der Kannibalismus breiten Raum ein; die schrecklichste Beschimpfung, die man einem Feind entgegenschleudern konnte, lautete: »Das Fleisch deiner Mutter hängt zwischen meinen Zähnen.«

Die Häuptlinge und Priester auf der Osterinsel hatten ihre herausgehobene Stellung anfangs damit gerechtfertigt, dass sie für sich eine Verwandtschaft mit den Göttern in Anspruch nahmen und dem Volk Wohlstand sowie eine reiche Ernte versprachen. Diese Ideologie unterstrichen sie durch Monumentalbauwerke und Zeremonien, mit denen die Massen beeindruckt werden sollten: möglich wurden solche Machtdemonstrationen durch die Nahrungsmittelüberschüsse, die sie den einfachen Leuten abnahmen. Als die Versprechungen sich zunehmend als hohl erwiesen, wurden die Häuptlinge und Priester um 1680 von den als matatoa bezeichneten Militärführern gestürzt, und die Gesellschaft der Osterinsel, die bisher vielschichtig verflochten war, brach auseinander, Bürgerkriege waren die Folge. Noch heute ist die Insel mit mata’a übersät, Speerspitzen aus Obsidian, die aus dieser Kriegsperiode stammen. Das gemeine Volk baute seine Hütten jetzt in dem Küstenstreifen, der zuvor den Wohnhäusern (harepaenga) der Elite vorbehalten gewesen war. Viele Menschen zogen sich aus Sicherheitsgründen in Höhlen zurück, die durch Grabungen vergrößert wurden; die Eingänge wurden teilweise verschlossen, sodass ein enger Tunnel entstand, der einfacher zu verteidigen war. Lebensmittelreste, Nähnadeln aus Knochen, Gerätschaften zur Holzbearbeitung und Werkzeuge für die Reparatur der Tapa-Stoffe zeigen ganz eindeutig, dass die Höhlen nicht nur als vorübergehende Verstecke dienten, sondern langfristig bewohnt wurden.

In dieser Endphase der Gesellschaft auf der Osterinsel hatte nicht nur die alte politische Ideologie versagt, sondern auch die alte Religion, die nun zusammen mit der Macht der Häuptlinge über den Haufen geworfen wurde. Der mündlichen Überlieferung zufolge wurden um 1620 die letzten ahu und moai errichtet, unter ihnen auch Paro, die größte Statue von allen. Die Plantagen im Hochland, die unter der Führung der herrschenden Klasse die Ernährung der Arbeiter beim Statuenbau sichergestellt hatten, wurden zwischen 1600 und 1680 nach und nach aufgegeben. In der zunehmenden Größe der Statuen spiegelt sich möglicherweise nicht nur das Bestreben rivalisierender Häuptlinge wider, einander zu übertrumpfen, sondern auch ein immer dringenderer Appell an die Vorfahren, der durch die wachsende Umweltkrise notwendig wurde. Um 1680, zur Zeit des Militärputsches, gingen die konkurrierenden Sippen dazu über, nicht mehr immer größere Statuen zu errichten, sondern die Statuen der anderen umzuwerfen; man kippte sie nach vorn, damit sie auf einer Steinplatte zerbrachen.

Der Ablauf war auf der Osterinsel also der Gleiche wie bei den Anasazi und Maya, von denen in den Kapiteln 4 und 5 die Rede sein wird: Nachdem die Gesellschaft im Hinblick auf Bevölkerungszahl, Bau von Denkmälern und Eingriffe in die Umwelt ihren Höhepunkt erreicht hatte, folgte sehr schnell der Zusammenbruch.

Wie viele Statuen bereits umgestürzt waren, als die ersten Europäer zu Besuch kamen, wissen wir nicht genau; Roggeveen landete 1722 nur kurz an einer einzigen Stelle, und von Gonzalez’ spanischer Expedition im Jahr 1770 gibt es über die Insel mit Ausnahme des Schiffslogbuches keine schriftlichen Aufzeichnungen. Die erste einigermaßen ausführliche Beschreibung eines Europäers stammt von Captain Cook: Er blieb 1774 vier Tage auf der Insel, schickte ein Kommando zur Aufklärung ins Landesinnere und hatte außerdem den Vorteil, dass er von einem Tahitianer begleitet wurde, der eine ganz ähnliche polynesische Sprache sprach wie die Bewohner der Osterinsel. Cook berichtete, er habe umgeworfene Statuen gesehen, andere hätten aber noch aufrecht gestanden. Zum letzten Mal erwähnte ein Europäer 1838 eine stehende Statue; 1868 stand einem weiteren Bericht zufolge keine mehr. Glaubt man der Überlieferung, wurde als letzte Statue um 1840 Paro umgeworfen, den eine Frau angeblich zu Ehren ihres Ehemannes errichtet hatte; Feinde ihrer Familie stürzten das Bildwerk um, sodass es in der Mitte zerbrach.

Die ahu wurden entweiht: Man brach einen Teil der sorgfältig gehauenen Steinplatten heraus und verwendete sie in der Nachbarschaft zum Bau von Gartenmauern (manavai): andere dienten zur Konstruktion von Grabkammern, in denen Leichen untergebracht wurden. Heute sehen deshalb jene ahu, die nicht wieder aufgebaut wurden (und das sind die meisten), auf den ersten Blick wie Steinhaufen aus. Als ich mit Jo Anne Van Tilburg, Claudio Cristino, Sonia Haoa und Barry Rolett über die Osterinsel fuhr, sahen wir einen solchen ahu nach dem anderen: Geröllhaufen mit zerbrochenen Statuen. Ich musste darüber nachdenken, welch gewaltige Anstrengungen man jahrhundertelang in den Bau der ahu sowie in die Gestaltung, den Transport und den Aufbau der moai gesteckt hatte und dass die Inselbewohner dann selbst die Werke ihrer Vorfahren zerstört hatten. Uns alle beschlich das Gefühl, dass sich hier eine überwältigende Tragödie abgespielt hatte.

Die Zerstörung der moai erinnert mich an die Russen und Rumänen, die nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regierungen in ihren Ländern die Statuen von Stalin und Ceau^escu stürzten. Offensichtlich hatte sich bei den Menschen auf der Insel schon seit langer Zeit eine große Wut über ihre Führer angestaut, wie es bekanntermaßen auch in Russland und Rumänien der Fall war. Ebenso fällt mir dabei eine andere kulturelle Tragödie ein, von der ich 1965 in Bornai hörte, einem Dorf im Hochland Neuguineas: Dort erzählte der christliche Missionar des Ortes mir voller Stolz, wie er von seinen frisch bekehrten Schützlingen verlangte, dass sie ihre »heidnischen Machwerke« (das heißt ihr kulturelles und künstlerisches Erbe) an der Landepiste sammelten und verbrannten - und wie sie seiner Aufforderung nachkamen. Vielleicht gaben die matatoa auf der Osterinsel eine ähnliche Anweisung an ihre Gefolgsleute aus.

Ich möchte von der gesellschaftlichen Entwicklung auf der Osterinsel nach 1680 kein ausschließlich negatives, destruktives Bild zeichnen. Die Überlebenden stellten sich sowohl in der Sicherung ihres Lebensunterhaltes als auch in der Religion so gut wie möglich auf die neuen Verhältnisse ein. Nicht nur der Kannibalismus, sondern auch die Zahl der Hühnerställe nahm nach 1650 explosionsartig zu; in den ältesten Abfallhaufen, die David Steadman, Patricia Vargas und Claudio Cristino in Anakena ausgruben, machten Hühnerknochen noch nicht einmal 0,1 Prozent aller Tierknochen aus. Die matatoa rechtfertigten ihren Militärputsch mit einer religiösen Glaubensrichtung, der Verehrung des Schöpfergottes Makemake, der zuvor in der Götterwelt der Osterinsel nur einer von vielen gewesen war. Zentrum des Kultes war das Dorf Orongo am Rand des großen Kraters Rano Kau; von dort aus hatte man den Blick auf die drei größten Felseneilande vor der Küste, auf die sich die nistenden Seevögel zurückgezogen hatten. Die neue Religion brachte ihren eigenen Kunststil hervor, der seinen Ausdruck insbesondere in Felszeichnungen von weiblichen Geschlechtsorganen, Vogelmenschen und Vögeln (in dieser Häufigkeitsreihenfolge) fand; die Zeichnungen wurden nicht nur an den Bauwerken in Orongo angebracht, sondern auch auf den umgestürzten moai und pukao an anderen Orten. Jedes Jahr fand im Rahmen des Orongo-Kultes ein Wettbewerb zwischen den Männern statt: Sie mussten durch die kalte, von Haien verseuchte, eineinhalb Kilometer breite Meerenge zwischen der Osterinsel und den kleinen Felseninseln schwimmen, um dort das erste Ei zu holen, das die Rußseeschwalben in diesem Jahr gelegt hatten; wer das Ei anschließend unbeschädigt auf die Osterinsel brachte, wurde für das folgende Jahr zum »Vogelmenschen des Jahres« gesalbt. Die letzte Orongo-Zeremonie fand 1867 in Gegenwart katholischer Missionare statt, als die Reste der Osterinsel-Gesellschaft, die die Inselbewohner noch nicht selbst zugrunde gerichtet hatten, von der Außenwelt zerstört wurden.

Die traurige Geschichte des europäischen Einflusses auf die Osterinsel lässt sich schnell zusammenfassen. Nach Captain Cooks kurzem Aufenthalt im Jahr 1774 setzte ein ständiger dünner Strom europäischer Besucher ein. Wie es für Hawaii, Fidschi und viele andere Pazifikinseln belegt ist, so muss man auch hier davon ausgehen, dass sie europäische Krankheiten einschleppten, und viele Inselbewohner, die mit den Erregern zuvor nicht in Berührung gekommen waren, starben daran; zum ersten Mal ausdrücklich erwähnt wird eine solche Epidemie - die Pocken - allerdings erst um 1836. Und wie auf anderen Pazifikinseln, so begann die Verschleppung von Inselbewohnern als Arbeitskräfte auch auf der Osterinsel um 1805 und erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 1862/63, dem schlimmsten Jahr in der Geschichte der Insel, als zwei Dutzend peruanische Schiffe etwa 1500 Menschen (die Hälfte der noch lebenden Bevölkerung) entführten und versteigerten, damit sie in den Guanominen Perus und an anderen einfachen Arbeitsplätzen tätig werden konnten.

Die meisten Entführten starben in der Gefangenschaft. Auf internationalen Druck hin brachte Peru ein Dutzend Überlebende zurück, und diese bescherten der Insel eine weitere Pockenepidemie. Im Jahr 1864 siedelten sich katholische Missionare auf der Osterinsel an; 1872 waren nur noch um 111 Inselbewohner übrig.

Europäische Kaufleute führten in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts Schafe auf der Osterinsel ein und beanspruchten das Land für sich. Im Jahr 1888 annektierte Chile die Insel, und im weiteren Verlauf wurde sie im Wesentlichen zu einer Schaffarm, die von einem in Chile ansässigen schottischen Unternehmen verwaltet wurde. Die Inselbewohner durften nur noch in einem Dorf wohnen und mussten für das Unternehmen arbeiten; als Bezahlung erhielten sie kein Bargeld, sondern Waren aus dem firmeneigenen Laden. Ein Aufstand der Inselbewohner wurde 1914 von der Besatzung eines chilenischen Kriegsschiffes niedergeschlagen. Als Schafe, Ziegen und Pferde des Unternehmens die Insel abgrasten, kam es zu weiterer Bodenerosion, und nun verschwand fast alles, was von der einheimischen Pflanzenwelt noch übrig war, darunter um 1934 auch die letzten Exemplare von Hauhau und Toromiro. Erst 1966 erhielten die Inselbewohner die chilenische Staatsbürgerschaft. Heute lebt unter ihnen der Stolz auf ihre Kultur wieder auf, und der Wirtschaft kommt es zugute, dass jede Woche mehrere Linienflüge der staatlichen chilenischen Fluggesellschaft aus Santiago und Tahiti auf der Insel landen. Sie bringen Besucher (wie Barry Rolett und mich), die von den berühmten Statuen fasziniert sind.

Schon bei einem kurzen Besuch wird deutlich, dass es immer noch Spannungen zwischen den Inselbewohnern und den Festlandchilenen gibt, die heute ungefähr zu gleichen Teilen auf der Insel leben.

Das berühmte Rongo-Rongo-Schriftsystem der Osterinsel wurde zweifellos von den Bewohnern erfunden, aber es wurde 1864 erstmals von dem dort ansässigen katholischen Missionar erwähnt; aus früherer Zeit gibt es für seine Existenz keine Belege. Alle 25 heute noch erhaltenen beschrifteten Gegenstände stammen anscheinend aus der Zeit nach den ersten Kontakten mit Europäern; in manchen Fällen handelt es sich um Stücke fremder Holzarten oder um europäische Ruder, und einige fertigten die Inselbewohner möglicherweise gezielt an, um sie den Vertretern des katholischen Bischofs zu verkaufen, der sich für die Schrift interessierte und nach Beispielen suchte. Im Jahr 1995 gab der Sprachforscher Steven Fischer bekannt, er habe Rongo-Rongo-Texte als Fruchtbarkeitszauber entziffert, aber andere Fachleute haben Zweifel an seiner Interpretation. Die meisten Experten für die Osterinsel, unter ihnen auch Fischer, sind mittlerweile zu dem Schluss gelangt, dass die Inselbewohner die Anregung zur Erfindung des Rongo-Rongo während der Landung der Spanier im Jahr 1770 erhielten, als sie erstmals mit einer Schrift in Berührung kamen, vielleicht aber auch erst nach dem Trauma des peruanischen Sklavenhändlerüberfalls 1862/63, bei dem so viele Träger der mündlichen Überlieferung ums Leben kamen.

Diese Vergangenheit voller Ausbeutung und Unterdrückung dürfte einer der Gründe sein, warum Inselbewohner und Wissenschaftler trotz der detaillierten Belege, die ich hier zusammenfassend dargestellt habe, bis heute meist nur widerwillig einräumen, dass es vor Roggeveens Besuch im Jahr 1722 bereits zu selbst verschuldeten Umweltschäden kam. Im Wesentlichen sagen die Inselbewohner: »So etwas hätten unsere Vorfahren niemals getan.« Die Wissenschaftler dagegen erklären häufig: »Diese netten Menschen, die wir so lieb gewonnen haben, hätten so etwas niemals getan.« Michel Orliac schrieb beispielsweise in einem ähnlichen Zusammenhang über Umweltveränderungen in Tahiti: »... Es ist mindestens ebenso wahrscheinlich - wenn nicht sogar noch wahrscheinlicher -, dass die Veränderungen der Umwelt nicht auf die Tätigkeit der Menschen, sondern auf natürliche Ursachen zurückgehen. Diese Frage ist heftig umstritten (McFadgen 1985; Grant 1985; McGlone 1989), und ich behaupte nicht, ich hätte dafür eine eindeutige Lösung, auch wenn meine Zuneigung zu den Polynesiern mich veranlasst, die Schäden der Umwelt mit natürlichen Ursachen [zum Beispiel Wirbelstürme] zu erklären.« Im Einzelnen gibt es drei gezielte Einwände oder Alternativtheorien.

Erstens wurde die Vermutung geäußert, für das von Roggeveen 1722 beobachtete Fehlen der Wälder seien nicht die isoliert lebenden Inselbewohner verantwortlich, sondern es sei die Folge einer nicht genauer definierten Störung, die durch unbekannte europäische Besucher bereits vor Roggeveen verursacht wurde. Dass solche Besuche, über die es keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt, stattgefunden haben, ist durchaus denkbar: Im 16. und 17. Jahrhundert segelten viele spanische Galeonen über den Pazifik, und das freundliche, furchtlose, neugierige Verhalten der Inselbewohner gegenüber Roggeveen lässt durchaus auf früheren Erfahrungen mit Europäern schließen; von Menschen, die in völliger Abgeschiedenheit lebten und sich selbst für die einzigen Menschen der Welt hielten, hätte man eine viel erschrockenere Reaktion erwartet. Über einen solchen Besuch vor 1722 ist aber nichts bekannt, und es ist auch nicht zu erkennen, wie er zur Waldzerstörung geführt haben soll. Dagegen spricht eine Fülle von Indizien dafür, dass Menschen bereits in die Umwelt der Osterinsel eingriffen, bevor Magellan 1521 als erster Europäer den Pazifik überquerte: Alle Landvögel waren bereits ausgestorben, Delphine und Thunfische waren vom Speisezettel verschwunden, die Menge des Baumpollens nimmt in Flenleys Sedimentbohrkernen bereits vor 1300 ab, auf der Poike-Halbinsel gab es um 1400 keinen Wald mehr, die Radiokarbondatierung weist nach 1500 keine Palmennüsse mehr nach, und so weiter.

Ein zweiter Einwand lautet: Der Wald könnte auch durch natürliche Klimaveränderungen verschwunden sein, beispielsweise durch Dürre oder El-Nino-Episoden. Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn sich irgendwann herausstellt, dass Klimaveränderungen tatsächlich zu den Vorgängen auf der Osterinsel beigetragen haben: Wie wir später noch genauer erfahren werden, verstärkte ein nachteiliger Klimawandel die Auswirkungen der von Menschen verursachten Umweltschäden auch im Fall der Anasazi (Kapitel 4), der Maya (Kapitel 5), der Wikinger in Grönland (Kapitel 7 und 8) und vermutlich vieler anderer Gesellschaften. Derzeit haben wir aber über Klimaveränderungen auf der Osterinsel in der fraglichen Zeit zwischen 900 und 1700 n. Chr. keine Erkenntnisse: Wir wissen nicht, ob es (wie von den Kritikern postuliert) trockener und windiger wurde, was dem Wald geschadet hätte, oder ob es feuchter und weniger stürmisch war, was den Wäldern zugute gekommen wäre. In meinen Augen sprechen aber überzeugende Indizien dagegen, dass der Klimawandel allein zum Verschwinden der Wälder und zum Aussterben der Vögel geführt hat: Die Abdrücke von Palmenstämmen in den Lavaströmen des Terevaka beweisen, dass die Riesenpalmen bereits seit mehreren hunderttausend Jahren auf der Osterinsel heimisch waren, und Flenley wies in seinen Sedimentanalysen für die Zeit vor 38 000 bis 21 000 Jahren den Pollen von Palmen, Baumastern, Toromiro und einem halben Dutzend weiterer Baumarten nach. Die Pflanzen der Osterinsel hatten also bereits unzählige Dürre- und El-Nino-Episoden überlebt; demnach ist es sehr unwahrscheinlich, dass alle diese einheimischen Baumarten sich zufällig kurz nach der Ansiedlung der unschuldigen Menschen entschlossen, nach einer weiteren Trockenzeit oder El-Nino-Phase tot umzufallen. Flenleys Befunde sprechen sogar für eine kühle, trockene Periode vor 26 000 bis 12 000 Jahren, die mit einer stärkeren Abkühlung verbunden war als jede andere weltweite Klimaveränderung der letzten 1000 Jahre; aber auch sie hatte nur zur Folge, dass die Bäume sich aus den höheren Lagen der Osterinsel in die Niederungen zurückzogen und sich später von dort aus wieder erholten.

Der dritte Einwand besagt, die Bewohner der Osterinsel seien doch sicher nicht so dumm gewesen, alle Bäume abzuholzen, da die Folgen auf der Hand lagen. Catherine Orliac formulierte es so: »Warum sollte man einen Wald zerstören, den man doch für das eigene [das heißt der Osterinsel-Bewohner] materielle und spirituelle Überleben braucht?« Das ist tatsächlich eine Schlüsselfrage, und sie hat nicht nur Catherine Orliac beschäftigt, sondern auch meine Studenten an der University of California, mich selbst und alle anderen, die sich für selbst verschuldete Umweltschäden interessieren. Ich habe mich oft gefragt: »Was sagte der Bewohner der Osterinsel, der gerade dabei war, die letzte Palme zu fällen?« Schrie er wie moderne Holzfäller: »Wir brauchen keine Bäume, sondern Arbeitsplätze!«? Oder sagte er: »Die Technik wird unsere Probleme schon lösen, keine Angst, wir werden einen Ersatz für das Holz finden«? Oder vielleicht: »Wir haben keinen Beweis, dass es nicht an anderen Stellen auf der Osterinsel noch Palmen gibt, wir brauchen mehr Forschung, der Vorschlag, das Abholzen zu verbieten, ist voreilig und reine Angstmacherei«? Ähnliche Fragen stellen sich in jeder Gesellschaft, die ihre Umwelt unabsichtlich geschädigt hat. Wenn wir in Kapitel 14 auf dieses Thema zurückkommen, werden wir sehen, dass es eine ganze Reihe von Gründen gibt, warum Gesellschaften dennoch solche Fehler begehen.

Jetzt haben wir uns immer noch nicht mit der Frage auseinander gesetzt, warum die Osterinsel zu einem solchen Extremfall der Waldzerstörung wurde. Schließlich gibt es im Pazifikraum mehrere tausend bewohnte Inseln, und die Bewohner holzten fast überall Bäume, rodeten Anbauflächen, verwendeten Holz als Brennstoff, bauten Kanus und benutzten sowohl Balken als auch Seile zum Bau ihrer Häuser und anderer Dinge. Dennoch reichen unter all diesen Inseln nur drei, die alle zu den Hawaii-Inseln gehören und viel trockener sind als die Osterinsel - die beiden Inselchen Necker und Nihoa sowie das größere Eiland Niihau - an die Osterinsel heran, was das Ausmaß des Waldverlustes angeht. Auf Nihoa gibt es noch eine Art großer Palmen, und ob auf Necker, einem winzigen Flecken von rund 16 Hektar, überhaupt jemals Bäume wuchsen, ist nicht gesichert. Waren die Bewohner der Osterinsel also nahezu die Einzigen, die noch den letzten Baum zerstörten? Als Begründung hört man manchmal, die Palmen und Toromiro-Bäume auf der Osterinsel seien besonders langsam wachsende Arten gewesen, aber damit ist nicht erklärt, warum mindestens 19 andere Pflanzenarten (darunter auch Bäume), die diesen genau gleichen oder sehr eng mit ihnen verwandt sind, noch heute auf vielen Inseln Ostpolynesiens gedeihen, während sie auf der Osterinsel ausgerottet wurden. Nach meiner Vermutung ist diese Frage der Grund, warum die Bewohner der Osterinsel selbst und auch manche Wissenschaftler nicht zugeben wollen, dass die Waldzerstörung von den Einwohnern selbst ausging: Aus der Beantwortung scheint sich der Schluss zu ergeben, dass sie unter allen Pazifikvölkern besonders unklug oder gedankenlos waren.

Barry Rolett und mich stellte diese offenkundige Einzigartigkeit der Osterinsel vor ein Rätsel. Letztlich ist es nur ein Teil einer umfassenderen, schwierigen Frage: Warum hat die Waldzerstörung auf den Pazifikinseln ganz allgemein so unterschiedliche Ausmaße? So sind beispielsweise Mangareva (von dem im nächsten Kapitel die Rede sein wird), große Teile der Cook- und Tubuai-Inseln sowie die Windschattenseite der Hauptinseln von Hawaii und Fiji weitgehend entwaldet, allerdings nicht so vollständig wie die Osterinsel. Dagegen beherbergen die Gesellschaftsund Marquesas-Inseln sowie die Luvseiten der großen Hawaii- und Fiji-Inseln in höheren Lagen Primärwälder und in den Niederungen eine Mischung aus Sekundärwald, Farnwäldern und Graslandschaften. Tonga, Samoa, der größte Teil des Bismarck-Archipels und der Salomonen sowie Makatea (die größte Insel der Tuamotu-Gruppe) sind bis heute größtenteils bewaldet. Wie lassen sich diese Unterschiede erklären?

Barry durchforstete die Tagebücher der ersten europäischen Entdecker, die den Pazifikraum bereisten, und suchte nach Beschreibungen über das damalige Aussehen der Inseln. Für 81 Inseln konnte er auf diese Weise feststellen, wie weit die Entwaldung fortgeschritten war, als Europäer sie zum ersten Mal zu Gesicht bekamen - das heißt, nachdem die Einheimischen ihnen bereits seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden ihren Stempel aufgedrückt hatten. Dann stellten wir für die gleichen 81 Inseln eine Tabelle mit neun physikalischen Faktoren zusammen, die sich von Insel zu Insel unterscheiden und nach unserer Vermutung eine Erklärung für das jeweilige Ausmaß der Waldzerstörung liefern könnten. Einige Gesetzmäßigkeiten stachen dabei schon auf den ersten Blick ins Auge, aber um sie quantitativ zu erfassen, unterwarfen wir die Daten einer Vielzahl statistischer Analysen.

Welche Faktoren bestimmen auf Pazifikinseln die Waldzerstörung?

Die Waldzerstörung ist - auf trockenen Inseln stärker als auf feuchten auf kühlen Inseln in hohen Breiten stärker als auf warmen Inseln in Äquatornähe; auf alten Vulkaninseln stärker als auf jungen Vulkaninseln; auf Inseln, auf denen es keine Ascheregen gab, stärker als auf solchen, wo er stattgefunden hat; auf Inseln weit weg vom zentralasiatischen Staubkegel stärker als auf Inseln in seiner Nähe; auf Inseln ohne makatea stärker als auf solchen mit makatea; auf flachen Inseln stärker als auf solchen mit größeren Erhebungen; auf abgelegenen Inseln stärker als auf solchen mit Nachbarn in der Nähe; und -    auf kleineren Inseln stärker als auf großen.

Wie sich herausstellte, tragen alle neun physikalischen Variablen zum Ergebnis bei (siehe Tabelle). Am wichtigsten waren dabei die Unterschiede von Niederschlagsmenge und geographischer Breite: trockene Inseln und solche, die weiter vom Äquator entfernt liegen und deshalb kühler sind, hatten am Ende weniger Wald als solche in Äquatornähe mit feuchtem Klima. Nichts anderes hatten wir erwartet: Pflanzenwachstum und die Verbreitung von Jungpflanzen verstärken sich mit Niederschlagsmenge und Temperatur. Wenn man in den Niederungen Neuguineas oder einer anderen feuchten, warmen Gegend die Bäume abholzt, stehen ein Jahr später an der gleichen Stelle bereits junge Bäume von sechs Metern Höhe, in einer kalten, trockenen Wüste dagegen wachsen sie wesentlich langsamer. Deshalb hält das Neuwachstum auf feuchten, warmen Inseln mit einer mäßig starken Abholzung Schritt, sodass der Zustand der Bewaldung auf der Insel erhalten bleibt.

Das drei andere Variablen - Alter der Insel, Ascheregen und Staub - sich auswirken würden, hatten wir nicht erwartet, aber das lag daran, dass wir mit der wissenschaftlichen Literatur über die Aufrechterhaltung der Bodenfruchtbarkeit nicht vertraut waren. Alte Inseln, die seit über einer Million Jahren keinerlei Vulkantätigkeit erlebt hatten, waren am Ende stärker entwaldet als junge Inseln mit kürzlich aktiven Vulkanen. Der Grund: Boden, der aus frischer Lava und Asche entstanden ist, enthält unentbehrliche Nährstoffe für das Pflanzenwachstum, und diese Nährstoffe werden auf älteren Inseln vom Regen nach und nach ausgewaschen. Asche, die nach Vulkanausbrüchen in die Luft gelangt, ist einer der beiden wichtigsten Wege, auf denen sich solche Nährstoffe auf den Pazifikinseln erneuern. Aber der Pazifik ist durch eine Grenze unterteilt, die bei den Geologen als Andesitlinie bekannt ist. Im südwestlichen Pazifik, auf der asiatischen Seite dieser Linie, setzen Vulkane ihre Asche frei, die dann vom Wind über viele hundert Kilometer transportiert wird und auch auf Inseln auch dann die Fruchtbarkeit aufrecht erhält, wenn sie (wie beispielsweise Neukaledonien) keine eigenen Vulkane besitzen. Im mittleren und östlichen Pazifik, auf der anderen Seite der Andesitlinie, regeneriert sich die Bodenfruchtbarkeit vorwiegend durch Nährstoffe aus dem Staub, den der Wind aus den Steppen Zentralasiens in hohe Atmosphärenschichten verfrachtet. Deshalb sind Inseln östlich der Andesitlinie, die weiter vom Staubkegel Asiens entfernt liegen, stärker entwaldet als solche, die sich auf der asiatischen Seite der Andesitlinie befinden.

Eine weitere Variable war nur für jenes halbe Dutzend Inseln von Belang, die aus einem Gestein namens makatea bestehen - diese Inseln sind letztlich Korallenriffe, die durch geologische Verschiebungen aus dem Wasser gehoben wurden. Der Name geht auf die Tuamotuinsel Makatea zurück, die zum größten Teil aus diesem Gestein besteht. Sich in einem Gelände aus makatea zu bewegen, ist eine Qual. Die rasiermesserscharfen, von tiefen Spalten durchzogenen Korallen zerfetzen Schuhsohlen, Füße und Hände. Als ich es auf der Salomoneninsel Rennell zum ersten Mal mit einem solchen Untergrund zu tun hatte, brauchte ich 10 Minuten, um zu Fuß die ersten 100 Meter zurückzulegen, und dabei hatte ich ständig Angst, mir die Hände an einem Stück Korallengestein zu verletzen, wenn ich sie unvorsichtig ausstreckte, um das Gleichgewicht zu halten. Makatea zerstört auch moderne, widerstandsfähige Schuhe schon nach wenigen Tagen. Die Bewohner der Pazifikinseln schafften es zwar irgendwie, barfuß darauf herumzulaufen, aber sogar sie hatten Probleme. Wer einmal die Schinderei mitgemacht hat und auf makatea gelaufen ist, der wundert sich nicht mehr, dass Pazifikinseln mit einem solchen Gelände weniger stark entwaldet sind als andere.

Damit bleiben noch drei Variablen mit komplizierteren Auswirkungen: Höhenlage, Entfernung zu Nachbarinseln und Fläche. Inseln mit Erhebungen verlieren auch in ihren Niederungen weniger Wald als solche, die insgesamt tiefer liegen, denn Berge lassen Wolken entstehen, und der Niederschlag, der in Form von Wasserläufen in die Niederungen gelangt, regt dort das Pflanzenwachstum an; gleichzeitig bringt das Wasser auch ausgewaschene Nährstoffe mit, und es transportiert Staub aus der Atmosphäre. Die Berge selbst bleiben bewaldet, wenn sie so hoch oder so steil sind, dass man dort keine Felder anlegen kann. Abgelegene Inseln verloren mehr Wald als solche, die Nachbarn in der Nähe hatten - möglicherweise deshalb, weil die Bewohner einsamer Eilande dann meist zu Hause blieben und eher in ihre eigene Umwelt eingriffen, statt Zeit und Energie auf den Handel mit anderen Inseln, Überfälle oder neue Besiedlung zu verwenden. Dass große Inseln weniger Wald verloren als kleine, hat zahlreiche Gründe, darunter das geringere Verhältnis von Umfang zu Fläche, das dazu führt, dass pro Person weniger Lebensmittel aus dem Meer zur Verfügung stehen, aber auch eine geringere Bevölkerungsdichte, ein größerer Zeitbedarf zum Abholzen des Waldes und eine größere Zahl von Regionen, die sich nicht für die Anlage von Feldern eignen.

Wie ist nun in die Osterinsel im Hinblick auf diese neun Variablen einzuordnen, die den Waldverlust begünstigen? Sie liegt auf der höchsten geographischen Breite, hat eine der geringsten Niederschlagsmengen, die geringste Menge an Asche und asiatischem Staub aus der Atmosphäre, kein makatea und die zweitgrößte Entfernung zur nächsten Nachbarinsel. Unter den 81 Inseln, die Barry Rolett und ich untersuchten, gehört sie zu den flacheren und kleineren. Diese acht Variablen machen die Osterinsel besonders anfällig für den Waldverlust. Die Vulkane der Insel haben mit vermutlich 200 000 bis 600 000 Jahren ein mittleres Alter; die Poike-Halbinsel, die den ältesten Vulkan darstellt, verlor ihren Wald als Erste und leidet heute unter der schlimmsten Bodenerosion. Als Barry und ich in unserem statistischen Modell die Effekte aller Variablen zusammenrechneten, konnten wir voraussagen, dass die Osterinsel, Nihoa und Necker unter allen Pazifikinseln am stärksten entwaldet sein müssten. Dies stimmt mit den Tatsachen überein: Auf Nihoa und Necker lebte am Ende kein einziger Mensch mehr, und nur eine einzige Baumart, die Nihoa-Palme, blieb übrig; auf der Osterinsel gab es schließlich keinerlei Bäume mehr, und etwa 90 Prozent der früheren Bevölkerung waren verschwunden.

Kurz gesagt, kam es auf der Osterinsel nicht deshalb zu dem ungewöhnlich starken Waldverlust, weil die offenkundig so freundlichen Menschen besonders schlecht oder unvorsichtig gewesen wären. Sie hatten vielmehr das Pech, dass sie unter allen Völkern des Pazifikraumes in der empfindlichsten Umwelt lebten, die das größte Risiko des Waldverlustes barg. Im Fall der Osterinsel können wir genauer als für alle anderen in diesem Buch beschriebenen Gesellschaften detailliert die Faktoren benennen, die ihre Umwelt so empfindlich machen.

Wegen ihrer isolierten Lage ist die Osterinsel das eindeutigste Beispiel für eine Gesellschaft, die sich durch übermäßige Ausbeutung ihrer eigenen Ressourcen selbst zerstört hat. Wenn wir zu unserer Liste mit den fünf Faktoren zurückkehren, die man in Zusammenhang mit einem ökologischen Zusammenbruch berücksichtigen muss, so spielten zwei davon - Angriffe durch feindliche Nachbargesellschaften und Verlust der Unterstützung durch freundliche Nachbarn - hier keine Rolle: Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass die Gesellschaft der Osterinsel nach ihrer Gründung irgendwelche Feinde oder Freunde hatte. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass später noch irgendwelche Kanus ankamen, können solche Kontakte nicht so umfangreich gewesen sein, dass sie entweder gefährliche Angriffe oder nennenswerte Unterstützung darstellten. Auch für Einwirkungen eines dritten Faktors, der Klimaveränderung, haben wir derzeit keine Belege, solche könnten sich aber in Zukunft noch ergeben. Damit bleiben für den Zusammenbruch auf der Osterinsel nur zwei Hauptursachenkomplexe übrig: einerseits ökologische Eingriffe des Menschen, insbesondere die Abholzung der Wälder und die Vernichtung der Vogelbestände, und andererseits die politischen, sozialen und religiösen Motive hinter diesen Eingriffen, beispielsweise die abgeschiedene Lage und damit verbundene Unmöglichkeit, sich den Verhältnissen durch Auswanderung zu entziehen, die bereits erörterte Fixierung auf den Bau von Statuen, und die Konkurrenz zwischen Sippen und Häuptlingen als Beweggrund für den Bau immer größerer Statuen, der immer mehr Holz, Seile und Lebensmittel erforderte.

Die isolierte Lage der Osterinsel ist vermutlich auch der Grund, warum dieser Zusammenbruch meinen Lesern und Studenten mehr zu schaffen macht als der jeder anderen vorindustriellen Gesellschaft. Die Parallelen zwischen der Osterinsel und der ganzen heutigen Welt liegen beängstigend klar auf der Hand. Durch Globalisierung, internationalen Handel, Flugverkehr und Internet teilen sich heute alle Staaten der Erde die Ressourcen, und alle beeinflussen einander genau wie die zwölf Sippen auf der Osterinsel. Die Osterinsel war im Pazifik ebenso isoliert wie die Erde im Weltraum. Wenn ihre Bewohner in Schwierigkeiten gerieten, konnten sie nirgendwohin flüchten, und sie konnten niemanden um Hilfe bitten; ebenso können wir modernen Erdbewohner nirgendwo Unterschlupf finden, wenn unsere Probleme zunehmen. Aus diesen Gründen erkennen viele Menschen im Zusammenbruch der Osterinselgesellschaft eine Metapher, ein schlimmstmögliches Szenario für das, was uns selbst in Zukunft vielleicht noch bevorsteht.

Natürlich hinkt die Metapher. Unsere heutige Situation unterscheidet sich in vielen wichtigen Aspekten von der Lage, in der sich die Bewohner der Osterinsel im 17. Jahrhundert befanden. Einige dieser Unterschiede machen die Gefahr für uns noch größer: Wenn es beispielsweise nur einiger tausend Menschen mit Steinwerkzeugen und Muskelkraft bedurfte, um ihre Umwelt und damit auch ihre Gesellschaft zu zerstören, wie können dann mehrere Milliarden Menschen mit Metallwerkzeugen und Maschinen vermeiden, noch Schlimmeres anzurichten? Aber es gibt auch Unterschiede, die uns zum Vorteil gereichen; auf sie werden wir im letzten Kapitel dieses Buches zurückkommen.