31 Caleb
Es ist Sonntag. Football-Sonntag. Ich bin mit den Jungs in Dustys Sports Bar & Grill, weil wir hier im Essbereich sitzen und das Spiel auf den drei großen Bildschirmen gucken können, die im Restaurant verteilt sind.
Das Teil ist runtergekommen – sogar die dunklen Holztische und -stühle wackeln, weil sie so alt sind. Aber die Bildschirme sind groß und neu, was Kerle aus den drei umliegenden Städten an Sonntagnachmittagen hierherzieht.
Ich frage mich, was Maggie wohl heute macht. Sie arbeitet an den Vormittagen für Mrs Reynolds, aber sie wird wahrscheinlich nicht allzu spät nach Hause gehen. Sitzt sie jetzt gerade in ihrem Zimmer? Oder ist sie bei der Physiotherapie?
»Hast du das gesehen, Becker?«, fragt Tristan, als die Menge in der Bar aufstöhnt.
»Sorry, Mann, hab ich verpasst.« Ich habe gerade an jemanden gedacht, an den zu denken ich kein Recht habe.
Tristan zeigt kopfschüttelnd auf den Bildschirm. »Guerrera sollte sich die Hand mit Klebstoff einschmieren, damit er den Ball nicht ständig verliert. Das ist ihm jetzt zum dritten Mal passiert.«
»Zum vierten«, korrigiert ihn Drew.
Heute kann ich mich einfach nicht auf das Spiel konzentrieren.
Ich ertappe Brian dabei, wie er zur Tür guckt und jemandem Zeichen gibt, der gerade ins Restaurant gekommen ist. Ich drehe mich um. Es ist Kendra. Gefolgt von Hannah, Brianne, Danielle und Sabrina. Ich glaube nicht, dass ihr Ringer-Cheer an diesem Ort so gut ankommen wird. Aber andererseits, wer weiß?
»Was machen denn die Mädels hier?«, fragt Tristan empört Brian, der sie offensichtlich eingeladen hat.
»Können wir dieses eine Mal nicht mit den Regeln brechen? Kendra wollte unbedingt kommen.«
»Kotz, mir wird schlecht«, sagt Drew und fängt gespielt an zu würgen. »Sie hat dich an den Eiern, Mann. Wann kapierst du das endlich?«
Drew, das selbsternannte Arschloch unserer Gruppe, liegt zum ersten Mal in seinem Leben goldrichtig. Gerade, als ich Drew zum erleuchteten Genie erklären will, kommen die Mädchen an unseren Tisch. Kendra trägt eine enge Jeans und ein Bears-Trikot. Brians Trikot, dasjenige, das er jeden Sonntag getragen hat, seit ich denken kann.
Brian starrt sein Mädchen an, als hätte er den Hauptgewinn gezogen, und wie Drew droht auch mir jeden Moment schlecht zu werden. Denn falls ich sie je so angeguckt haben sollte, als wir noch zusammen waren – überglücklich und dankbar, dass ein Mädchen wie sie mich zu ihrem Freund erkoren hatte –, erschießt mich bitte auf der Stelle.
»Dürfen wir uns zu euch setzen, Jungs?«, fragt Kendra, zieht sich aber bereits einen Stuhl neben Brian heran, als die Worte über ihre Lippen perlen, und bedeutet den Mädchen, sich ebenfalls Stühle zu organisieren.
Mal ehrlich, das ist ein fetter Verstoß gegen die Keine-Bräute-Regel. Ich sehe deutlich, dass Tristan und Drew nicht glücklich über die Invasion der Mädchen sind. Der Grund dafür, dass wir die Regel überhaupt aufgestellt haben, war, dass wir alle der Meinung waren, Mädchen (zumindest die aus unserer Clique, soll heißen, diejenigen, die jetzt an unserem Tisch sitzen) seien nicht an Football interessiert. Sie sind daran interessiert, unsere Konzentration zu stören. Es ist wie eine Herausforderung für sie, zu sehen, ob sie uns vom Football ablenken können.
»Hey, Caleb«, sagt Danielle, als sie ihren Stuhl neben meinen stellt. »Was hast du in letzter Zeit so getrieben?«
Ehe ich darauf antworten kann, kommt die Kellnerin an unseren Tisch, um uns das Essen hinzuknallen und die Mädchen zu fragen, was sie gern bestellen würden.
»Was für Salate haben Sie denn?«, fragt Brianne.
Die Kellnerin muss ein Lachen unterdrücken. »Keine Salate. Wir haben Burger, Hühnchensandwiches, Chickenwings und Pommes Frittes. Such dir was aus.«
Brianne ist baff über die Auswahl. Das verrät mir der entsetzte Blick, mit dem sie die Kellnerin ansieht. In dieser Hütte dreht sich alles um das Bier/den Alkohol für die über Einundzwanzigjährigen. Das Essen ist zweitrangig. »Ich nehme eine Cola light«, sagt sie schließlich.
Die anderen Mädchen bestellen ebenfalls alle Cola light. Nichts anderes. Tristan verdreht die Augen.
»Warten Sie!«, ruft Sabrina der Kellnerin hinterher. »Ich nehme einen Burger. Ohne Käse.«
»Ein Hamburger, fünf Cola light«, wiederholt die Kellnerin, ehe sie davongeht.
»Ich nehme auch einen Burger«, sagt Danielle plötzlich. »Ohne Käse, so wie sie.«
»Zwei Burger, fünf Cola light.«
Brianne zieht eine Augenbraue hoch.
Danielle zuckt mit den Schultern. »Was ist? Ich habe noch nichts zu Mittag gegessen und bin am Verhungern. Außerdem habe ich damit aufgehört, keine Kohlenhydrate mehr zu essen, Brianne.«
Drew steht abrupt auf und hebt die Hände. »Okay, wenn ihr Mädchen mit uns abhängen wollt, sind hier ein paar Regeln. Keine Gespräche über Salat und ich will erst recht nicht das Wort Kohlenhydrate hören. Wenn ihr nicht hergekommen seid, um über die Bears oder Football zu reden oder in Erinnerungen an das Jahr 1985 zu schwelgen, haltet einfach den Mund. Und falls ihr nicht wisst, für wen ihr sein sollt, erwarte ich verdammt noch mal keine Kommentare oder Anfeuerungsrufe. Verstanden?«
Kendras Augenbrauen sind gerunzelt. »Was war 1985? Drew, ich bedaure, dir das sagen zu müssen, aber damals waren wir noch nicht mal geboren.«
Während Drew sich genervt die Hand vor den Kopf schlägt, hält ein peinlich berührter Brian Kendra den Mund zu. »Das war das letzte Jahr, in dem die Bears den Super Bowl gewonnen haben«, informiert er sie.
Er nimmt die Hand von Kendras Mund.
»Du weißt aber schon, was der Super Bowl ist, oder?«, fragt Drew und setzt sich endlich wieder.
»Natürlich weiß sie das«, sagt Brian, dann zieht er Kendra an sich und legt einen Arm um ihre Schulter.
Den Rest des Viertels sagen die Mädchen kein Wort mehr, dafür jubeln und kreischen die übrigen Leute im Restaurant was das Zeug hält. Als ich in der Werbepause zufällig zu Kendra und Brian rübergucke, ist Kendras Blick auf mich gerichtet, während sie etwas in Brians Ohr flüstert, das ihn schief grinsen lässt.
Ich schwöre, ich habe gesehen, wie sie sein Ohrläppchen abgeschleckt hat.
Angewidert stehe ich auf und steuere auf die Toiletten zu. Nachdem ich gepinkelt habe, wasche ich mir die Hände und beuge mich über das Waschbecken, um mein Spiegelbild zu betrachten. Ich bin völlig am Ende, unfähig einfach zu chillen und mit meinen Freunden abzuhängen. Besonders nicht, seit die Mädchen hier sind. Und erst recht nicht, seit Kendra hier ist. Wegen ihr sind meine Nerven bis zum Zerreißen gespannt. Sie erinnert mich an die Vergangenheit. Den Unfall. Maggie.
Die Tür der Männertoilette öffnet sich und wie aufs Stichwort kommt Kendra hereinspaziert. Ich bin nicht besonders überrascht.
»Dein Freund wird dir nachgehen«, sage ich zu ihr.
Sie schlendert nahe an mich ran, nah genug, dass ich ihr starkes Parfüm in Kombination mit ihrem Kirschlipgloss riechen kann. Der totale Overkill.
»Das wird er nicht. Er glaubt, du bist wütend, also habe ich ihm gesagt, ich würde mit dir reden. Er vertraut uns beiden.«
»Er ist ein Idiot.«
»Er denkt auch, du seiest eifersüchtig. Bist du’s?«
»Ja, klar«, sage ich zu ihr. Sie will es hören, also gebe ich ihr, was sie will. Es ist ein Spiel, das sie gern spielt. Ich bin die Spielchen leid, aber es ist der einzige Weg, mit ihr fertigzuwerden.
»Du hast dich rar gemacht, CB.«
»Ich hatte viel zu tun.«
»Ich dachte, wir hätten eine Abmachung.«
Die einzige Beziehung, die ich will, ist diejenige, die ich bereits habe – mit Maggie. Sie ist vielleicht nicht öffentlich, aber sie ist wahrhaftig.
Das Dumme ist nur, ich weiß nicht, was Kendra weiß. Jedes Mal, wenn wir zusammen sind, deutet sie an, mehr über den Unfall zu wissen als jeder andere. Aber was, wenn das gar nicht stimmt? Was, wenn sie mich nur an sich ketten will? Wir waren beide so zu an dem Abend und sie ist ein Fliegengewicht. Vielleicht hat meine Ex mich die ganze Zeit über nur verarscht und ich bin ein Trottel, genau wie Brian.
Aber so sehr ich es mir auch wünsche, ich kann nicht riskieren, sie mir zur Feindin zu machen.
Sie wandert mit ihren knallroten Nägeln mein T-Shirt hoch wie eine Spinne und hält an meiner Schulter inne. Dann beugt sie sich vor. »Du bist wie eine Droge, Caleb. Ich kann nicht aufhören.«
Die Jagd turnt sie an. Nicht ich. Es macht sie wahrscheinlich scharf, dass jede Minute jemand hereinkommen und uns so dicht beieinander erwischen kann. Es ist das Risiko, das ihr den Kick gibt. »Wieso leckst du dann das Ohr eines anderen Typen ab?« Ich weiß nicht, warum ich gefragt habe. Es ist nicht so, als ob es mich interessierte. Ich lege eine Hand an ihre Taille, bereit, sie wegzustoßen, falls sie noch näher kommt. Ich habe keine Lust mehr, ihre Schachfigur zu sein.
»Ich wollte doch nur eine Reaktion von dir. Es hat funktioniert. In den letzten Wochen hast du mir nichts gegeben, keine Gefühle, keine Ermutigung. Brian glaubt, du bist in Maggie Armstrong verknallt. Ist das nicht lächerlich?
Ich will ihr gerade antworten, als die Tür aufgeht. Drew kommt herein und sieht mich und Kendra eng zusammen stehen, einander berührend, als würden wir uns umarmen. Es ist nicht so, wie es aussieht, aber es sieht übel aus.
»Ich will’s gar nicht wissen«, sagt Drew und geht rüber zum Pissoir. Ehe er seinen Reißverschluss öffnet, wendet er Kendra den Kopf zu. »Könntet ihr das vielleicht irgendwo anders beenden?«
»Es ist nichts, was ich nicht schon gesehen hätte«, sagt Kendra zu Drew, tritt einen Schritt zurück und löst sich gänzlich von mir.
Drew lacht kurz auf. »Klar, du hast vielleicht bald all meine Freunde durch, aber ich werde mein Schicksal ganz bestimmt nicht in deine Hände legen.«
»Nach dem, was ich gehört habe, würde eine Hand schon reichen«, gibt Kendra zurück.
»Schluss jetzt«, sage ich. »Kendra, geh zurück zu Brian. Drew, erledige endlich dein Geschäft.«
Verletzt, dass ich sie nicht verteidigt habe, stürmt Kendra aus der Männertoilette, aber nicht ohne vorher Drew noch »Arschloch« zuzumurmeln, der mit »Schlampe« antwortet.
Als Drew sich die Hände wäscht, sagt er zu mir: »Caleb, glaubst du etwa, was mit Kendra anzufangen, sei die Antwort? Hör zu, überlass Brian die Schlampe und such dir jemand Neues.«
»Es ist ein bisschen komplizierter als das.«
Drew schnalzt missbilligend mit der Zunge, genau wie Mrs Reynolds. »Du machst es kompliziert.«
Da trifft es mich wie ein Blitz.
Zum zweiten Mal an diesem Tag hat Drew völlig recht. Ich lasse zu, dass Kendra mich manipuliert, anstatt dafür zu sorgen, dass es andersherum ist. Ich muss mich nicht lieb Kind bei ihr machen. Ich kann sie einfach hinter mir herjagen lassen, ohne ihr die Chance zu geben, ihre Beute jemals zu erlegen. Wow, ich bin die ganze Sache völlig falsch angegangen. Ich kann nicht glauben, dass die Lösung so einfach sein soll. Ich hole mein Portemonnaie raus und reiche Drew einen Zwanziger. »Hier, zahl damit meine Rechnung. Ich hau ab.«
»Du musst nicht gehen. Ich werde Brian nicht erzählen, was zwischen dir und Kendra gelaufen ist.«
»Ehrlich gesagt, wär mir das im Moment völlig schnuppe«, sage ich. Dann verlasse ich die Männertoilette und verschwinde durch die Hintertür.