38 Maggie

Ich hatte alles, was ich wollte, und habe es versaut. Caleb hat mich geliebt; alles, was ich tun musste, war, ihm meine Narben zu zeigen, um ihm zu beweisen, dass ich ihm vertraue und seine Liebe erwidere.

Aber das habe ich nicht geschafft. Etwas zog mich in mein schützendes Schneckenhaus zurück.

Ich habe Mom heute Morgen gesagt, ich sei zu krank, um in die Schule zu gehen, daher liege ich im Bett. Das Kleid, das Mrs Reynolds mir gekauft hat, hängt in meinem Schrank – eine grausame Erinnerung an den romantischsten Abend meines Lebens. Ich habe Caleb für mich gewonnen und ihn ebenso schnell wieder verloren.

Als er mich nach Hause brachte und wir uns verabschiedeten, versuchte er ein Lächeln und sagte, wir wären schon immer Freunde gewesen und würden auch Freunde bleiben.

Und das ist doch das Wichtigste, oder?

Also warum habe ich dann den ganzen Morgen über geweint?

Ich rufe bei Mrs Reynolds an, um zu sehen, wie es ihr nach gestern Abend geht.

Mr Reynolds hebt ab. »Hallo?«, sagt er, seine Stimme zittert.

»Hallo, ich bin’s, Maggie … Margaret. Ist Mrs Reynolds zu Hause?«

Mr Reynolds sagt eine sehr lange Zeit gar nichts und in meinem Hals bildet sich ein dicker Kloß.

»Meine Mutter ist heute Morgen gestorben, Maggie.«

»Nein«, flüstere ich, während mein Leben einstürzt und mich unter sich begräbt. »Das kann nicht sein. Wir waren zusammen. Gestern Abend hat sie noch getanzt und gelacht und …«

»Sie war dankbar, dich in ihrem Leben zu haben«, sagt er. »Sie hat dich wie eine Enkeltochter geliebt. Mehr noch, sie hat dich als Freundin betrachtet.«

»Wo ist sie? War sie allein, als sie starb?«

Mr Reynolds atmet zitternd aus. »Sie haben sie gerade in einem Krankenwagen weggebracht. Sie ist im Schlaf gestorben, ohne Schmerzen. Ihr Herz war schon seit Jahren krank, Maggie. Es war nur eine Frage der Zeit.«

Tränen rinnen meine Wangen hinunter, während ich mich an die Zeit erinnere, die wir in den letzten Monaten zusammen verbracht haben. Sie hat mir so viel über das Leben beigebracht. »Die Narzissen … sie wird nicht da sein, wenn sie aus der Erde kommen«, sage ich, mit den Gefühlen kämpfend.

»Mama hat diese Narzissen geliebt, nicht wahr?«

Ich weiß nicht, was ich sonst noch zu ihm sagen soll. Mrs Reynolds war vielleicht alt, aber sie hatte noch so viel vor. Mom und mich zum Essen einzuladen, die Narzissen im Frühling blühen zu sehen, Irinas Kuchen zu essen.

»Ich werde sie vermissen.«

»Ich weiß. Sie hielt nicht viel von Beerdigungen. Sie hat immer gesagt, sie wären nur eine Entschuldigung für deprimierte Leute, sinnloses Zeug zu plappern.«

Ich lächle wehmütig. »Das klingt ganz nach ihr.« Erst gestern hat sie mir genau das vorgeworfen, was mich daran erinnert … »Das Kleid. Sie hat ein Kleid gekauft.«

»Das blaue, das über dem Stuhl in ihrem Zimmer hängt?«

»Ja. Wenn sie beerdigt wird …« Die Worte bleiben mir im Halse stecken.

»Ich werde mich darum kümmern. Hör zu, falls du rüberkommen und dir etwas aussuchen möchtest, bevor wir das Haus verkaufen, bist du jederzeit willkommen.«

»Sie können das Haus nicht verkaufen.« Die Narzissen, der Pavillon … alles, was ihr in den letzten zwei Monaten so viel bedeutet hat, soll umsonst gewesen sein?

Am Abend fährt Mom mich zum letzten Mal bei Mrs Reynolds vorbei. Sie hält meine Hand, als Lou uns begrüßt. »Nimm dir, was immer du möchtest, Maggie.«

In der Waschküche liegt sauber und gefaltet das Mumu. Damit hat Mrs Reynolds mich beschützt, sie hat damit meine Kleider davor bewahrt, dreckig zu werden. »Kann ich das hier haben?«, frage ich.

Mr Reynolds scheint überrascht, dass ich es haben möchte, aber er sagt: »Ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, was immer du möchtest.«

Es gibt noch zwei Dinge, die ich gerne hätte. Ich gehe in die Küche und durchsuche die Schränke, bis ich es finde. Mom sieht Mr Reynolds an, der ihren Blick verwundert erwidert und ratlos die Schultern zuckt. »Es muss hier irgendwo sein. Aha.« Ich ziehe eine der oberen Schubladen auf und auf einem alten, fleckigen und zerfledderten linierten Blatt Papier steht ihr Lieblingsbutterplätzchenrezept.

»Noch etwas?«

»Eine Sache noch.«

Mom und Mr Reynolds folgen mir auf den Dachboden. Ich gehe auf die Truhe zu und öffne sie. Den Bilderrahmen hochhaltend sage ich: »Das ist das Letzte.«

Mr Reynolds sagt: »Es gehört dir.«

Ich sehe das Bild von zwei wild verliebten Menschen an ihrem Hochzeitstag an.

Mögen sie beide in Frieden ruhen.