Kapitel 1

Der Mann fiel wie eine gefällte Eiche, langsam, schwerfällig und mit einer widerwilligen Würde. Er fiel ohne vorherige Warnung, rollte nur seine Augäpfel hoch, bis seine Pupillen unter den Lidern verschwunden waren, und kippte um.

Fünf junge Männer im Alter zwischen siebzehn und dreiundzwanzig Jahren sprangen auf, rannten nach vorne, um ihn zu fassen und seinen Sturz abzufangen. Sie erreichten ihn nicht rechtzeitig. Im Grunde war das nicht ihr Fehler, sondern der ihres Lehrers.

Professor Eberhard Schrebel bestand immer darauf, dass seine Studenten weit von ihm entfernt saßen, da ihre ungeordneten Gedanken ihn zutiefst störten. Die Studenten hielten sich brav an diese Maxime, denn sie fanden, dass ihr Dozent selbst auf die Entfernung noch ein recht reizbarer Mann war. Professor Schrebel war ein hoher Meister der arkanen Künste und somit ein Mensch mit weit erhöhter Wahrnehmungsgabe, was es einfach machte, ihn aus der Ruhe zu bringen. Unordnung jeder Art war ihm ein Gräuel, und seiner – maßgeblichen – Meinung nach gab es nichts Ungeordneteres als die wirren Gedanken der fünf Studenten, die seine Kunst zu erlernen suchten.

Die letzten Worte, die er von sich gegeben hatte, bevor er umfiel, hatten gelautet:

„Das Erlernen der Wahrnehmung von Energielinien ist die Grundvoraussetzung für jede Art von Fortschritt in den arkanen Künsten. Bisweilen scheinen sie einem auszuweichen. Dann wieder mögen sie beinahe penetrant sein in ihrer Intensität. Es bedarf eines fleißigen Studiums und unablässiger Übung, sie zu erfassen und korrekt zu bemessen. Noch mehr Wissen und Kunstfertigkeit ist gefordert, will man sie beeinflussen oder gar beherrschen. Können Sie sie sehen, Mr. McMullen? Ja? Dachte ichs mir doch. Gut. Ein wenig zäh sind sie heute, nicht wahr? Beinahe flagrant in ihrer …“

Diesen Satz hatte er nicht beendet. Der junge Mann, den er als Mr. McMullen angesprochen hatte, erreichte ihn als erster, da er auch als erster losgelaufen war, und zwar – so sah es zumindest aus –, noch bevor der Mann überhaupt gestürzt war.

Doch auch er konnte den Sturz nicht verhindern.

Nun standen die jungen Herren um ihren gefallenen Meister versammelt. Der mächtige Mann lag auf dem Boden, sein schwarzer Gehrock war in Unordnung, seine Krawatte verrutscht, der graue Haarschopf durcheinander. Seine Augen waren halb geöffnet, und sein Atem ging flach und mühsam.

„Was ist geschehen?“, fragte Hendrik Deiss, mit siebzehn Jahren der Jüngste in der Gruppe.

„Ich weiß nicht“, antwortete Ian McMullen, der das Gefühl hatte, dass die Frage an ihn gerichtet war, obwohl der Kommilitone ihn nicht direkt angesprochen hatte. „Er ist ohnmächtig geworden. Oder so was.“

„Hast du irgendwas gemacht, was er nicht vertragen hat?“, fragte ein weiterer Kommilitone misstrauisch. Gerald Sievers konnte sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass in der Anfängerklasse von fünf Neulingen einer dabei war, der alle anderen an Fähigkeiten übertraf, ohne vernünftigen Grund. Oder zumindest ohne akzeptablen Grund.

„Sei nicht albern. Natürlich nicht.“ Ian McMullen fuhr sich nervös mit der Hand durch sein rotblondes Haar. Er war blass, doch das war er meist. Zum einen von Natur aus, zum anderen hatte ein besonderes Ereignis in seinem Leben, bei dem er einer ungeheuren Menge von Fey-Energie ausgesetzt gewesen war, seine stete Blässe noch verstärkt. „Ich wüsste gar nicht wie. Selbst wenn ich es wüsste, warum sollte ich?“

„Weil du es kannst?“

Ian wurde abwechselnd bleich und rot. Das Universum hatte Regeln, und Dinge zu tun, nur weil man es konnte und aus keinem anderen Grund, bedeutete Chaos. Chaos war das, was Magier gemeinhin zu vermeiden suchten. Chaos war der Feind.

„Nein. Er ist ein verdammt mächtiger Meister, und ich – genau wie du – studiere die arkanen Wissenschaften im ersten Jahr. Wie du sehr wohl weißt, verdammt noch mal.“

„Ja. Ich habe läuten hören, dass man darüber berät, dich in die Secunda hochzustufen, ohne dich auch nur zu prüfen“, sagte ein dunkelhaariger junger Mann Anfang zwanzig. Er lächelte, doch das Lächeln war nicht dazu angetan, Fröhlichkeit zu verbreiten.

Sieben Jahre dauerte das Grundstudium eines zukünftigen Magiers. Diese Jahre zählte man in Numeralia vorwärts anstatt rückwärts, wie es in den Gymnasien üblich war. Die Prima des Jahres 1867 bestand aus fünf jungen Herren, die sich in allem unterschieden außer ihrem ungeheuren Lerneifer und Wissensdurst. Sonst hatten sie nichts gemein, nicht einmal ihre Abstammung – weder geographisch, noch was den jeweiligen sozialen Stand anging.

„Sie werden mich kein Jahr überspringen lassen“, antwortete Ian, „und die Maxime, immer offen für neue Information und neue Erfahrungen zu sein, war keine Aufforderung, auf Getratsche zu hören, Schreiner.“ Manchmal ging Ian McMullen die ganze Aufmerksamkeit, die sein besonderes Talent hervorrief, leidlich auf die Nerven. Die Bewunderung war genauso lästig wie der Neid.

Der dunkelhaarige junge Mann ihm gegenüber starrte ihn verdrießlich an.

„Aber du könntest …“

„Könnte ich nicht, und würde ich nicht. Es hat auch keiner vorgeschlagen. Sie würden altehrwürdige Regeln nie so beugen. Außerdem …“

„Außerdem sollten wir den Großmeister über Meister Schrebel informieren und Hilfe holen“, unterbrach eine vierte Stimme ruhig. Man konnte sich darauf verlassen, dass Paul Blaken immer einen kühlen Kopf bewahrte.

„Da hast du recht.“

Blaken löste sich von der dunkel gekleideten Gruppe und strebte der Tür zu.

„Er hat was über Energielinien gesagt und dass sie irgendwie seltsam wären. Was hast du denn gesehen, McMullen?“, fragte Schreiner.

„Sie sahen etwas anders aus als sonst.“

Die übrigen drei Kommilitonen starrten ihn an, einer voller Bewunderung, einer misstrauisch, einer neidisch. Es war recht ungewöhnlich für einen Studenten im ersten Jahr, die Kraftlinien sehen zu können, die die ganze Welt umspannten und die die Matrix formten, aus der Arkanwissenschaftler schöpften, um ihre Umgebung zu beeinflussen. Man brauchte dazu mehr als nur magisches Talent. Das hatten alle Akolythen der Aroria-Loge, sonst wären sie nicht Akolythen geworden. Man konnte sich nicht selbst aussuchen, Student des Arkanen zu werden, man wurde auserwählt – und getestet, geprüft, noch einmal geprüft, beinahe zerlegt und auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Monatelang war man nichts als „Kandidat“.

Die meisten Kandidaten schickte man mit entsprechend manipuliertem Gedächtnis wieder fort. Die, die man schließlich auswählte, bestanden diese Wahl aufgrund ihres Talents, ihres Charakters und ihrer überragenden Fähigkeiten. Dann lagen mindestens sieben Jahre des Studiums vor ihnen, um vom Akolythen zum Adepten zu graduieren, und sieben weitere Jahre, um den Rang des Meisters zu erreichen. Magister Arcaniae, das war es, was sie alle letztlich zu sein anstrebten. Sie waren stolz, und sie waren entschlossen. Sie waren ernsthaft, fleißig und zielstrebig.

Trotzdem konnte nur einer in der Prima Aroriae Energielinien sehen.

„Was meinst du damit?“

McMullen zuckte die Achseln und richtete sich nervös die Krawatte. Die Loge gab keine genauen Vorschriften, was Bekleidung anging, bestand aber darauf, dass die Kleidung der Studenten gedeckt, unauffällig und möglichst nicht zu modisch war. Das war einer der Preise, die man dafür zahlte, irgendwann einmal ein Meister zu sein. Geheimlogen wünschten geheim zu bleiben. Dass sie zunehmend auch als die Alma Mater übernatürlicher Wissenschaft ernstgenommen werden wollten, kollidierte ein wenig mit diesem uralten und überkommenen Konzept.

„Na, anders eben. Eher wie Stahlkabel als wie Spinnweben. Nur für einen Moment allerdings.“

Die Tür öffnete sich, und eine Gruppe von fünf Herren mittleren Alters und mehr traten ein und gingen zu dem darniederliegenden Kollegen. Sie blickten äußerst besorgt drein, und manchen stand schon ein Anflug von Panik ins Gesicht geschrieben.

„Du lieber Gott“, sagte der Jüngste, Meister Wilhelm Bartel, der sich mit Herr Professor anreden ließ, weil er die äußerst moderne Ansicht vertrat, dass die Loge nichts anderes war als ein weiterer Ort höherer Bildung und somit im Grunde in die Münchner Universität integriert gehörte. „Nicht auch noch Schrebel!“

Er kniete sich neben seinen gefallenen Kollegen.

„Magieinduziertes Koma.“ Er sah zu den Studenten auf. „Was ist geschehen?“

Die jungen Männer sahen einander an.

„Er fiel einfach um“, sagte Hendrik Deiss. „Er war mitten in einem Satz, sagte gerade etwas über Energielinien, dann verrollte er die Augen und kippte um.“ Er sah besorgt aus, als erwartete er, dass man ihn dafür zur Verantwortung ziehen würde. „Es tut mir leid“, fügte er etwas linkisch hinzu.

„Was tut Ihnen leid? Ihr Meister? Oder etwas, das Sie nicht hätten tun dürfen?“, fragte ein hagerer, mausiger Mann um die Sechzig. Seine Augen hatten eine nagetierhafte, knopfäugige Intensität. Alle fünf Studenten wichen seinem Blick aus, obgleich sie sich tatsächlich ganz unschuldig fühlten.

„Es tut mir leid, dass das passiert ist“, beeilte sich der junge Mann zu versichern. „Aber wir haben nichts gemacht. Es ist einfach so geschehen.“

Ian seufzte und wusste, dass im nächsten Moment alle Blicke zu ihm wandern würden. So war es dann auch.

„Was ist mit Ihnen, McMullen? Haben Sie irgendeinen Trick probiert?“

„Natürlich nicht, Meister Valerios. Ich lauschte Meister Schrebels Ausführungen zu den Energielinien. Er fragte mich, ob ich sie sehen könne …“

„Konnten Sie?“, unterbrach der Mann mit dem graubraunen Haar.

Ian nickte. Jeder wusste, dass er das konnte. Man sollte meinen, sie würden irgendwann aufhören, danach zu fragen. Doch sie konnten sich nicht daran gewöhnen. Energielinien zu sehen bedeutete, einen hohen Grad an Wahrnehmung zu besitzen, wie man ihn erst von einem Tertianer oder Quartaner erwarten konnte. Die ersten beiden Studienjahre waren dazu gedacht, diese Wahrnehmung zu schulen und außerdem möglichst viel Theorie in die Köpfe der Schüler zu stopfen, um sie auf die eigentliche Kunst vorzubereiten. Sprachen, Mythologie, alte Schriften, vergleichende Religionswissenschaften, Politik und Philosophie waren die Hauptfächer.

„Ja. Er kommentierte ihre Beschaffenheit. Sie waren dick, wie Kabel. Nur einen Augenblick lang. Sie schlugen durch ihn hindurch – fast wie ein Blitz, der sich sein Ziel sucht.“

Einen Atemzug lang war es still.

„Wie ein Blitz? Das habe ich aber anders gespürt“, sagte ein liebenswürdiger, rundgesichtiger Herr Mitte Fünfzig. „Sie meinen, es war nur eine gezackte Linie?“

„Nein. Es war mehr als eine. Wie viele weiß ich nicht. Es ging ungeheuerlich schnell. Ich glaube, er stand wohl genau da, wo zwei dieser Linien sich kreuzten.“

„Sie müssen lernen, präziser zu beobachten, Mr. McMullen.“

„Ja, Großmeister. Es tut mir leid. Es passierte so schnell, und ich hatte so etwas auch noch nicht gesehen.“

Die Tür öffnete sich noch einmal, und zwei jüngere Adepten betraten den Raum. Großmeister Urqhart gab ihnen ein Zeichen, und sie hoben den Ohnmächtigen hoch.

„Bringen Sie ihn auf sein Zimmer und ins Bett. Wir müssen sehen, dass wir es ihm später bequem machen.“

„Später?“, fragte Meister Bartel. „Warum nicht jetzt?“

„Weil ich jetzt eine Großversammlung einberufe. Die Loge muss zusammenkommen.“

„Die Akolythen auch?“

„Ganz besonders die. Wenn dieses Phänomen weiter zuschlägt und unsere altgedienten Brüder ausschaltet, werden sie sich vielleicht über kurz oder lang in der Position befinden, sich selbst darum kümmern zu müssen.“

Sie starrten den Großmeister an. Keiner sagte etwas.

„Meine Herren“, fuhr er fort, „eine arkane Bewusstlosigkeit mag Zufall sein. Zwei sind verdächtig. Drei sehen mir nach einer formidablen Attacke aus. Wir werden uns in zwanzig Minuten im Refektorium treffen, um die Dinge zu diskutierten. Das sieht alles nicht gut aus.“

„Es sieht ausgesprochen böse aus“, pflichtete Meister Valerios bei und warf Ian einen sprechenden Blick zu. Bruder in einer Magierloge zu sein war eine Ehre, wenngleich auch eine geheime Ehre. Eine Magierloge zu verraten würde von der Loge selbst geahndet werden.

Die Bestrafung durch eine Gruppe mächtiger Meister und Adepten des Arkanen würde nicht nur unangenehm sein, sondern über alle Maßen tödlich verlaufen.

„Gehen Sie jetzt. Wir werden unsere Diskussion bald weiterführen. Bis dahin möchte ich ein paar private Worte mit Mr. McMullen wechseln. Meister Valerios, seien Sie so nett, mir zu assistieren. Sie anderen bitte ich, den Raum zu verlassen.“

Wieder waren alle Augen auf Ian gerichtet, und er merkte, wie er zu schwitzen begann. Er stand wieder im Mittelpunkt. Er war sicher, dass die Akolythen und Meister hofften, er sei der Schuldige. Wenn er für dies alles verantwortlich war, musste die Münchner Niederlassung der Aroria-Loge keine weiteren Nachforschungen anstellen.

Wenn er tatsächlich verantwortlich war, würden sie ihn töten. Der Tod einer Spruchquelle konnte mitunter ein möglicher Weg sein, besagten Spruch zu beenden. So viel war ihm bekannt.

Er sah zu, wie sich der Raum leerte. Nur Hendrik schaute sich noch einmal nach ihm um. Ian nickte ihm zu, stand ansonsten jedoch still und reglos in der Mitte des Raumes.

Er vergeudete seine Zeit nicht damit, seine Unschuld zu beteuern. Er war ziemlich sicher, dass er es nicht gewesen war, doch auf der anderen Seite misstraute auch er den Kräften, die ihn verändert hatten, genauso wie ihm die Änderungen selbst reichlich suspekt waren. Der Traumweber, der Sí, der Ians Sein für eine Weile mit ihm geteilt hatte, war letztlich zu unergründlich, um abschließend beurteilt zu werden. Sich einen Körper zu teilen bedeutete nichts anderes, als zwei unterschiedliche Seelen in ein Gefäß zu pressen.

„Sie hatten, wie ich mich erinnere, ein Problem damit, mesmerisiert zu werden?“ fragte der Großmeister.

„In der Tat. Als ich noch Kandidat war, fanden es meine Prüfer schwierig, mich mental zu fassen. Sie mussten einiges an Gewalt dazu anwenden. Dennoch gelang es nicht immer.“

Meister Valerios stand direkt hinter ihm und fasste von hinten an seine Schläfen.

„Sie müssen mit daran arbeiten, sich uns zu öffnen.“

„Ich verstehe.“

„Dieser Feyon, der Ihren Körper besetzt hielt, hat Ihre Resistenz gegen arkane Manipulation massiv gesteigert“, erläuterte der Großmeister. „Das hat Vorteile. Freilich auch Nachteile.“

„Ich weiß. Es tut mir leid. Aber ich mache es nicht mit Absicht.“

„Was machen Sie nicht mit Absicht, McMullen?“, fragte Meister Valerios.

„Ich blockiere nicht absichtlich den Mesmerismus. Das habe ich nie getan.“

Der Großmeister hatte blassblaue Augen. Er war mit Mitte Fünfzig ausnehmend jung für die Position, die er innehielt, doch seine Macht war beinahe greifbar. Ians Herz schlug ihm bis in den Hals, während er Schmerz und Erniedrigung erwartete.

Dennoch schickte es sich nicht, Angst zu zeigen. Er war Akolyth der Aroria-Loge und stolz darauf. Eine andere Wahl stand ihm auch gar nicht offen. Meister zu sein hieß, Dinge zu tun, weil sie nötig waren und nicht, weil man sie tun konnte. Es hieß auch, das Notwendige zu ertragen und nicht davonzulaufen.

„Konzentrieren Sie sich auf meine Augen, McMullen!“

Während er noch versuchte, sich auf den Gedanken zu konzentrieren, dass er dem Großmeister den Zugang zu seinem Innersten gewähren musste, trat ihm gleichsam von hinten jemand die mentale Tür ein. Der schreckliche Schmerz ließ ihn aufschreien, und er sank in die Macht der Meister, während er versuchte, sich nicht gegen die beiden Männer zu wehren, die seinen schmerzerfüllten Sinn durchforschten. Fragen prasselten wie Gewehrfeuer.

Er kam zu sich und lag auf dem Boden. Meister Valerios Gesicht war dicht über seinem.

„Trinken Sie!“, sagte er, und Ian spürte, wie man ihm ein Fläschchen an die Lippen drückte. Er nahm gehorsam einen Schluck. Gin. Die Loge hielt nichts von Alkoholkonsum – außer in medizinischen Notfällen. Er hustete. Er zitterte, fühlte sich schwach, und es war ihm einigermaßen übel. Blut lief ihm aus der Nase, ein deutliches Zeichen für Überanstrengung.

„Tut mir leid, dass wir Sie so quälen mussten“, sagte der Großmeister, der sich auf einem Stuhl neben ihm niedergelassen hatte. Seine Stimme klang freundlich und besorgt. „Aber jetzt können wir immerhin sicher sein, dass es nicht irgendetwas ist, was Sie unbewusst tun.“

„Oder mutwillig“, fügte der Spanier hinzu.

„Großmeister, Professor Valerios“, murmelte Ian und versuchte, seine Gedanken zu ordnen und das Durcheinander in seinem Sinn aufzuräumen, das er dort zu fühlen glaubte, „bei allem nötigen Respekt: Wenn Sie mir nicht trauen, dann sollten Sie mein Gedächtnis löschen und mich nach Hause schicken. Sie hätten mich gar nicht erst aufnehmen dürfen.“

„Sie nicht aufzunehmen hätte bedeutet, eine große Chance zu verpassen, mein lieber junger ... Bruder. Ihre Begabung ist außergewöhnlich, Ihr Fey-Erlebnis macht Sie einzigartig. Aroria kann es sich nicht leisten, Ihr Potential zu vergeuden. Zudem ist Ihr Onkel einer unserer besten Männer. Er hat sich für Sie eingesetzt, und ich unterstütze seine Bewertung. Dennoch müssen wir die Fey-Überbleibsel in Ihnen sowohl gründlich beobachten als auch untersuchen. Das haben Sie immer gewusst. Sie haben sich dennoch entschlossen, diesen Pfad in Ihrem Leben einzuschlagen.“

„Ja, Großmeister.“

„Jetzt werden wir die Angelegenheit im Plenum besprechen, aber was immer auch dabei herauskommt – haben Sie ein Quartier außerhalb der Loge?“

Ian sah ihn erstarrt an.

„Ja. Mein Onkel hatte mir geraten, eine Wohnung außerhalb zu nehmen, damit ich mich besser erholen kann.“ Er erblasste mit einem Mal vor Schreck. „Heißt das, Sie werfen mich raus?“

„Natürlich nicht. Keinesfalls. Wir werden uns nur alle etwas weiter verteilen. Wenn wir hier nicht alle wie Schießbudenfiguren nebeneinander aufgereiht stehen, mag es derjenige, der uns angreift, – wer immer es ist – ein wenig schwerer haben. Zum Studium kommen Sie natürlich weiter in die Loge.“