Kapitel 30

Der Geruch in der Tasche war intensiv. Catrin roch frisches Leder, scharfen Farbgeruch und einen Hauch von Pausenbrot, das sich wohl schon seit einer Weile nicht mehr hier befand, vermutlich, weil der junge Herr es verspeist hatte. Butter und Käse. Ausnehmend wundervolle Butter und wirklich exzellenter Käse. Fort. Die Aromen der verschiedenen Substanzen bauten sich in ihrem Geist zu deren Bild zusammen. Sie wusste genau, wie das belegte Brot ausgesehen hatte. Noch genauer wusste sie, wie es geschmeckt haben würde. Ihr Geruchssinn war beunruhigend präzise. Beinahe fühlte sie sich ein wenig angeekelt, wenn auch nur auf rein intellektueller Ebene. Der fast verschwundene Duft eines lang schon verzehrten Butterbrots sollte wahrhaftig nicht solche extremen Hungergefühle in ihr auslösen. Es war ganz und gar ungehörig.

Dennoch blieb die Tatsache, dass sie fast in alles gebissen hätte, das auch nur im Entferntesten an Nahrung erinnerte. Sie war schrecklich müde und am Verhungern.

Es war dunkel in der Tasche, doch sie konnte erstaunlich gut sehen. Alle ihre Sinne waren auf eine neue Ebene gehoben worden. Die Sinne einer Katze.

Sie schauderte und versuchte, sich nicht zu bewegen. Wenn sie sich nicht anständig benahm, würde er sie rauswerfen. Also war es besser, sich überhaupt nicht zu bewegen. Sie wollte nicht von ihm rausgeworfen werden. Sie hatte ihn gleich erkannt. Der gutaussehende junge Mann war eben jener, der die Nacht zuvor versucht hatte, ihr gegen das Monster beizustehen. Daran war etwas geradezu kismethaft Unausweichliches. Zweimal hatte sie sich in seine Arme geflüchtet, und zweimal hatte er sie in diesen Armen gehalten und den Kampf gegen ihren Feind aufgenommen.

Er hatte überlebt. Er musste gegen die Spinne gekämpft haben, und sie fragte sich, wie es ihm gelungen war, unbeschadet davonzukommen. Sie hatte um den Fremden getrauert, der in der Schlacht gegen das Unbesiegbare ihr Ritter geworden war. Offenbar hatte er die Spinne immerhin eine Weile aufgehalten, sonst wäre Catrin nicht so weit gekommen, bevor das Biest sie wieder einholte. Sie erinnerte sich mit Grauen an die Kreatur, deren zahnstrotzende Mäuler, scharfe, lange Krallen, deren hungrige Gier und nachtschwarze Aura. Sie hatte gespürt, wie es sie wollte, hatte seinen Wunsch gefühlt, seine Beute zu schnappen, sie niederzuwerfen, seine Klauen in ihren Körper zu treiben. Der junge Mann war nur ein winziges Hindernis auf dem Weg des Monsters zu seinem Ziel gewesen. Zu ihr.

Was immer das Monster auch war, es hatte sich mehr für sie als für ihn interessiert. Zum einen hatte es ihn nicht gefressen, und zum anderen war er noch ein Mensch und sie nicht.

Sie war eine Katze.

Sie hatte Stunden gebraucht, um zu verstehen, dass sie kein Mädchen mehr war, sondern ein Tier, ein Vierfüßer, ein Mäusejäger. Es vollständig zu begreifen, das würde ihr wohl nie gelingen. Sie mochte Katzen, hatte sie immer gemocht, doch sie hatte sich nie überlegt, wie es sein mochte, eine zu werden. Es war undenkbar, unerhört. Es war jenseits jeder Logik und jeden Begreifens. Die Gesetze der Physik, die doch für die ganze Welt galten, konnten eine solche Transformation gar nicht zulassen. Also war es unmöglich, und alle ihre Sinne wehrten sich dagegen.

Er musste mit Magie zu tun haben. Das achtbeinige Ungeheuer konnte zaubern und hatte sie gejagt, gestellt und verzaubert. In eine Katze verwandelt. Sie spürte beinahe noch, wie sie durch eine andere Version der Wirklichkeit fiel wie durch plötzliches Eis. Dieses Gefühl hatte sie einen Augenblick lang komplett im Griff gehabt, doch ihr Sinn war so vollständig auf Flucht ausgerichtet, ihre Todesangst hatte sie gebeutelt und die Panik vor etwas, dessen Existenz sie nicht fassen konnte, sie immer weitergetrieben. Die Spinne musste sie verhext haben. Offenbar. Eine andere Erklärung hatte Catrin nicht.

Nur – warum hatte das Wesen das getan?

Sie zweifelte nicht, dass das Ungeheuer sie töten und fressen wollte, oder noch schrecklichere Dinge mit ihr vorhatte, die sie sich nicht vorstellen konnte und schon gar nicht wollte. In ihrer Phantasie lag sie bereits hilflos auf dem Rücken, spürte, wie sich die Klauen in ihr Fleisch bohrten. Allein die Vorstellung, von acht dolchbewehrten Beinen und zwei geifernden Mäulern zerrissen, zerfetzt und gefressen zu werden hatte ihr das Herz zu Eis gefrieren und sie den Schmerz in ihren Gedanken schon vorwegnehmen lassen.

Doch das Wesen hatte sie in eine Katze verwandelt – und ihr somit die Flucht ermöglicht.

Es ergab keinen Sinn. Sie begriff es nicht. Warum hatte das Vieh sie durch die ganze Stadt bis zu einer Sackgasse gejagt, aus der es kein Entrinnen gab, um sie dann so klein zu machen, dass sie durch ein Loch im Zaun entkommen konnte? Warum hatte es so geschrien, als sie durch den Spalt davonstob? Frustriert und wütend hatte es geklungen. Hatte es vielleicht einen Fehler gemacht? War ein Zauberspruch missglückt? Konnten Zaubersprüche so völlig danebengehen?

Sie wusste es nicht. Sie hatte nie an Zauberei geglaubt. Sie wusste um Menschen, die behaupten, sich mit den arkanen Künsten abzugeben, doch wie ihr Vater auch hatte sie sie nur für Salonmagier gehalten, für Trickbetrüger, Bauernfänger, platte Schwindler. Man befasste sich in ihren Kreisen nicht mit Zirkusakteuren, auch wenn sie angeblich Meister ihres Fachs waren. Es gehörte sich schlichtweg nicht.

Die Welt existierte innerhalb der Parameter physikalischer Gesetze. Die ernstzunehmende Naturkunde kannte keine pony-großen Spinnen mit zwei Köpfen. Die Physik besagte, dass man nicht im einen Moment eine junge Dame sein konnte und im nächsten eine junge Katze. Allein die Massendifferenz musste das unmöglich machen. Sie musste ihren Vater fragen.

Nur konnte sie das nicht. Sie war eine Katze und hatte keinen Vater, den sie fragen konnte. Ihr eigener Vater, der berühmte Herr Professor Lybratte, würde sie nicht wiedererkennen. Er mochte Katzen nicht besonders. Wenn sie sich ihm näherte, würde er sie entfernen lassen. Niemand würde wissen, dass sie ein Recht hatte, in ihrem Haus zu verweilen, wenn sie dorthin zurückging. Niemand würde ihr ein Quartier oder Essen anbieten. Niemand würde ihr helfen können.

Sie hatte ihr Zuhause verloren. Mit plötzlicher Heftigkeit durchfuhr sie der Schrecken dieser Erkenntnis und fraß sich in ihre Seele. Sie hatte nichts und niemanden. Sie war ganz allein auf der Welt, von Monstern verfolgt und unfähig, sich in Sprache auszudrücken. Sie würde dies nicht überleben. Es gab Dinge, die jungen Mädchen zustießen, wenn sie hilflos und allein waren.

Doch diese Dinge waren ihr nicht zugestoßen. Sie war eine Katze.

Zunächst hatte sie bebend auf dem Kohlenhaufen in jenem Keller gestanden, in dem sie vor ihrem Verfolger Zuflucht gesucht hatte. Lange hatte sie sich nicht gerührt, nur versucht zu begreifen, wie es ihr gelungen war, durch eine faustgroße Öffnung in einem Zaun zu kriechen. Es war unmöglich. Es hatte einige Minuten gedauert, bis sie festgestellt hatte, dass sie auf allen vieren stand und nicht aufrecht. Ihre Sinne, die plötzlich um ein Vielfaches schärfer waren, lieferten ihr Informationen über ihre Umgebung, die sie schlichtweg überforderten. Sie zu analysieren hatte sie einige Zeit gekostet.

Als sie an sich hinunterblickte, hatte sie ihre Pfötchen gesehen. Sie hatte sie bewegt. Sie gehorchten ihr. Ein Muskel, der ihr völlig neu war, ließ ihre Krallen hervorschnellen und wieder verschwinden. Vor Schreck war sie fast von dem Kohlenhaufen heruntergepurzelt.

Als das Monster nach einer Weile nicht – wie erwartet und befürchtet – am Fenster auftauchte, hatte sie sich schließlich gerührt, ohne recht zu wissen, was sie nun tun sollte. Dem Keller entkam sie durch ein weiteres Fenster, und dann lief sie von Hinterhof zu Hinterhof, über Mauern und durch finstere Gassen, die ihr trotz der dunklen Nacht seltsam hell und gut beleuchtet vorkamen.

Die ersten Male kam sie bei Sprüngen schlecht auf. Den Abstand zu ermessen, den sie mit einem Sprung überbrücken musste, war eine neue Herausforderung. Manchmal erreichte sie die nächste Mauer nur mit den Vorderpfoten und kämpfte sich dann ungeschickt mit den Hinterbeinen nach oben, bis ihr Körper dort war, wo er hinsollte. Dann wieder schoss sie übers Ziel hinaus und landete jenseits der Mauer, die sie zu erklimmen versucht hatte. Die Angst, die sie durchzuckte, wenn sie so sprang, war überwältigend. Doch letztlich wusste ihr Körper besser als ihr Geist, wie man auf allen vieren landete. Ihre Pfoten schafften es irgendwie immer, den Boden als erstes zu berühren. So hatte sie sich nicht ein einziges Mal wehgetan. Sie sah nur ungeschickt und dumm dabei aus, und das fand sie recht peinlich.

Hunde rührten sich, Ratten zischten, Mäuse brachten sich in Sicherheit. Die Welt der Hinterhöfe war verwahrlost und schmuddelig, eine Welt, die ihr als Tochter eines reichen und einflussreichen Mannes bisher völlig verschlossen geblieben war. Sie hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass sie diese hässliche Seite des Lebens nicht kannte. Dass sie privilegiert war, wusste sie. Dass sich das so schnell ändern konnte, hatte sie nicht geahnt. In einer einzigen Sekunde. Als Strafe für eine einzige Übertretung der Regeln des Anstands.

Eine zu hohe Strafe dafür, dass sie nur einen Brief hatte expedieren wollen.

Was sie nun tun sollte, wusste sie nicht. Was tat man, wenn einen jemand in ein Tier verwandelte? Unter all den Unterrichtsstunden, die sie durchlitten hatte, war nicht eine gewesen, die sie auf eine solche Situation vorbereitet hätte.

Sie wollte zu Hause sein, im Bett, und einige Male versuchte sie verzweifelt aufzuwachen.

Doch sie war wach. Dies war kein Traum. Sie würde ihr Bett nie wiedersehen, ihr Zuhause auch nicht, sofern sie nicht jemanden fand, der sie zurückverwandelte. Eine Katze wollte sie nicht bleiben, obgleich sich trotz all ihrer Angst auch ein neues Gefühl einstellte. Das absoluter Freiheit, wie sie sie noch nie gekannt hatte.

Sie fragte sich erneut, was wohl Lord Edmond geschehen war. Hatte ihn das Ungeheuer umgebracht? Der Gedanke lähmte ihr die Atmung. Oder war er nun auch eine Katze und lief in einem Hinterhof herum? Waren vielleicht alle Katzen verzauberte Menschen? Ein paar Dinge würde das erklären.

Sie hoffte, dass er überlebt hatte. In Stücke gerissen zu werden war nicht nur grausam, sondern auch unwürdig. Sie sah sein schönes, eindringliches Gesicht voller Blut vor sich. Schnell versuchte sie, das Bild zu unterdrücken. Sie wollte ihn nicht verlieren. Nicht so. Sie fühlte sich ihm so seltsam nah, als hätte sie ihn ein Leben lang gekannt. Seinen Tod würde sie kaum ertragen. Sie hatte ihre leibliche Mutter und ihren kleinen Bruder verloren. Auf gewisse Weise sogar ihren Vater. Lord Edmond konnte sie nicht auch noch verlieren. Er war das einzige, was noch übrig war, der einzige, der ihrem Herzen noch ein Heim bieten konnte.

Wo war diese Spinne nur hergekommen, und wo war sie hin? War sie noch in der Nähe? Jagte sie sie noch? Würde sie ihr bereits an der nächsten Ecke wieder entgegenkrabbeln und sie verfolgen? Was war das für ein Blitz gewesen, der an ihr vorbeigezuckt war?

Der erste Hof, in den sie sich nach ihrer wilden Flucht verkrochen hatte, brachte weitere Unbill in Form der nassen Dusche von irgendetwas Undefinierbarem.

Sie brauchte einige Zeit, sich von dieser Attacke und von der Erkenntnis, dass derlei Benehmen ihr gegenüber nun an der Tagesordnung sein würde, zu erholen. Mit einem Mal war die Riesenspinne nur noch ein Feind unter vielen. Sie lief voller Jammer und Elend weiter, allein und frierend, und fand schließlich einen einigermaßen geschützten Ort, der einen sicheren Eindruck machte.

Hier gab es eine Pferdetränke mit Pumpe, Wasser glitzerte im Becken, und ihr wurde mit einigem Schrecken bewusst, wie ekelhaft schmutzig sie war. Kohlestaub lag auf ihrem Fell und Schlamm bedeckte ihre Pfoten. Sie hatte keine Schuhe an. Genauer gesagt hatte sie gar nichts an. Ihr Kleid war auf der anderen Seite des Zaunes zurückgeblieben.

Sie musste sich waschen. Ehe sie irgendetwas anderes tat, musste sie sich dringend säubern. Es war mit einem Mal von ungeheurer Wichtigkeit. Zwingend erforderlich.

Sie erklomm den hölzernen Rand der Tränke und besah sich ihr Spiegelbild im Wasser. Es war, wie es war. Sie sah ein rotes Tigerkätzchen mit großen Augen und riesigen Ohren, eine so hübsche Katze wie sie ein hübsches Mädchen gewesen war. Hübsch, aber nicht besonders aufregend, und dreckig und verklebt, doch das zumindest konnte man ändern.

Sie streckte ihre Pfote gen Wasser, aber nur, um sie eine Sekunde später schon wieder zurückzuziehen. Es war kalt, und es war geradezu widerlich nass. Dass Wasser überhaupt so nass sein konnte, war ihr früher nie aufgefallen. Trockner hätte sie es bei Weitem vorgezogen.

Das war lächerlich. Sie war eine zivilisierte junge Dame, keine Katze. Sie sah nur wie eine aus. Katzen mochten kein Wasser, sie aber schon. Die Tränke war nicht tief. Nicht einmal eine Katze konnte darin ertrinken. Sie musste nur hineinspringen, untertauchen und sich waschen.

Sie gab ihrem Körper das Kommando, ins Wasser zu springen, doch das Fleisch war weniger willig als der Geist. Der mochte ja menschlich sein. Ihr Körper hingegen war das ganz offensichtlich nicht, und Katzen sprangen nicht in Wannen mit Wasser.

Eine Weile blieb sie reglos am Rand sitzen, dachte über ihre Möglichkeiten nach und darüber, was sie um Himmels willen mit ihrem Schwanz anstellen sollte, der jetzt, da sie nicht mehr panisch floh und über Mauern hechtete, irgendwie sehr im Weg war, zumindest wenn man drüber nachdachte. Sie zuckte ärgerlich mit der Schwanzspitze. Vermutlich durfte man einfach nicht dran denken. Sobald man drüber nachdachte, machte es einen nervös.

Schließlich sprang sie, ein Triumph des Geistes über das schwache Fleisch. Sie berührte das Wasser mit einem kaum unterdrückten Fauchen. Einen Augenblick später stand sie auf dem Boden neben der Tränke, mit fürchterlich nassen Füßen, aber sonst unversehrt – und unbenässt. Wie ihr eigener Körper es vermocht hatte, sich mitten im Sprung umzudrehen, sich von nichts als einer Wasseroberfläche abzustoßen, um trockenes Land zu erreichen wusste sie nicht.

Sie war eine Katze. Sie mochte wie ein Mensch denken. Doch sie reagierte wie eine Katze. Niemand würde ihr je glauben, dass sie ein verzaubertes Mädchen war. Sie würde Katze bleiben bis ans Ende ihrer Tage, und Katzen wurden nicht wirklich alt? Oder doch? Sie mochte also jeden Augenblick sterben. Neun mal hintereinander, statt einmal richtig, und jedes Mal mochte es wieder ein grauenhafter Tod sein.

Catrin unterdrückte ein lautes Jammern. Klagen würden nur noch mehr nasses Wasser zu Tage fördern. Sie setzte sich in den Schatten der Tränke und begann, sich das Fell mit der Zunge zu reinigen. Nach einiger Zeit erst merkte sie, was sie da tat, und fühlte sich ein wenig angeekelt. Es war ein wirklich scheußlicher Gedanke, all den Schmutz und Dreck abzulecken, den sie in dieser einen Nacht angesammelt hatte.

Trotzdem konnte sie nicht aufhören, bevor sie nicht wirklich und endgültig sauber war.

Mit der aufgehenden Sonne schienen ihre Gedanken in Verzweiflung versinken zu wollen, während ihr Körper nach einem Unterschlupf suchte. Außerdem musste sie irgendwann etwas essen, und es sollte besser keine Maus sein.

Sie erschauerte. Ihr Fell stand ihr hoch, und ihre Krallen fuhren sich ganz automatisch aus. Sie lehnte sich zurück, streckte sich, zog sich aus der lähmenden Verzweiflung, dehnte jeden einzelnen Muskel und jede Sehne. Das fühlte sich gut an.

Vielleicht würden ihr die Magierlogen helfen können. Sofern die nicht voller Schwindler waren, was ihr allerdings recht wahrscheinlich vorkam.

Wo man eine solche Einrichtung finden mochte, wusste sie allerdings nicht. Vielleicht sollte sie zuerst einmal ein Zuhause finden. Nette Leute, die sie füttern und hinter den Ohren kraulen würden. Es wäre ausgesprochen schön, dort gekrault zu werden, und es wäre wirklich nett, gefüttert zu werden. Am nettesten wäre es, sicher und warm zu sein und ohne Gefahr zu verhungern, gefressen, zerfetzt oder ertränkt zu werden. Ganz besonders nicht ertränkt.

Sie brauchte ein Versteck, in dem sie in aller Ruhe weitere Schritte planen konnte. Sie war als Katze klein und unerfahren, aber als junge Frau wusste sie doch genug von der Welt, um einen Plan zu machen und ihn durchzuführen. Einen Plan, genau so etwas brauchte sie. Irgendeinen Plan – und irgendetwas zu essen. Was auch immer. Nun, vielleicht nicht absolut alles.

Auf halber Höhe lief ein Fries die Mauer entlang. Ihre Katzenaugen schätzten den Weg ein. Von der Tränke auf die Tonne. Von der Tonne ans Fenster, vom Fenster aufs Sims. Machbar.

Während die Sonne aufstieg, tat Catrin es ihr gleich. Sie tarierte ihre Sprünge vorsichtig aus. Sie landete mit ausgefahrenen Krallen und hielt sich sofort fest. Sie fiel nicht.

Fast den ganzen Tag blieb sie auf dem Sims über dem Hof verborgen liegen. Unter ihr ging es nach einer Weile geschäftig zu, und ihr wurde klar, dass sie nicht den Mut besaß, hinunterzuklettern und sich ins Gewühl dieser kleinen, elenden Hinterhofwelt zu stürzen. Außer Sichtweite fühlte sie sich entschieden sicherer.

Erst am Nachmittag entschloss sie sich, das Versteck zu verlassen. Ihr Hunger hatte inzwischen ihre Angst an Heftigkeit eingeholt. Ein Fenster öffnete sich nicht weit von ihr. Sie roch Schinken, Käse, Butter, Brot, Milch und Würstchen, viele Würstchen. Viel zu viele. Ein oder zwei würde doch niemand vermissen, oder?

Sie sprang und erreichte das Paradies.

Für kurze, allzu kurze Zeit war sie eine sehr glückliche Katze.

Sekunden später rannte die Tochter des reichen Professors Lybratte um ihr Leben. Hunde waren gerade so schlimm wie Riesenspinnen, wenn sie zwanzig Mal so groß waren wie man selbst. Die Spinne hatte wenigstens nicht gesabbert.

Nicht, dass das Vieh sie zu Tode schlabbern würde. Es würde sie zerfetzen.