Die Alliierten in Harstad

April 1940

 

Am 15. April 1940 nähert sich eine kleine Barkasse dem Hafen von Harstad. Hinten, am Heck, flattert, das sehen die Harstader, die sich am Kai versammelt haben, mit Erleichterung, nicht die Flagge der deutschen Kriegsmarine. Die Offiziere tragen englische Uniformen. Sobald sie an Land gegangen sind, melden sie sich bei den Behörden der Stadt. In den nächsten Stunden steuern Transportschiffe die Bucht vor Harstad an. Sie bringen alliierte Truppen, die mit Booten an Land gesetzt werden und der kleinen norwegischen Stadt bald ein anderes Gesicht geben: Irish Guards, französische Alpenjäger, Fremdenlegionäre, Inder in weißen Uniformen mit Turban, Schotten im Kilt, Australier und viele schwarze Soldaten.

John erzählt beim Mittagstisch, dass jetzt mindestens 16 000 fremde Soldaten in der Stadt sind, die selbst nur 4000 Einwohner hat. Schulen, Hotels und auch Kirchen werden als Unterkunft requiriert und Panzer, Lastwagen und Militärjeeps fahren auf und ab. Noch liegt eine dünne Schneedecke über der Landschaft, aber das nützt den Landstraßen rund um Harstad nichts – sie werden zermahlen unter dem groben Profil der Zwillingsreifen und dem Scheppern der eisernen Panzerketten.

»Es gibt keinen Zweifel«, meint John Berthung, »unsere Stadt ist zu einem alliierten Hauptquartier geworden.« Da die Alliierten mit einem Luftangriff der Deutschen rechnen, werden an vielen Stellen der Stadt Luftschutzbunker und Unterstände angelegt. Die Deutschen sind zwar nur bis Narvik gekommen, aber die Unruhe unter der Bevölkerung in Harstad wächst. »Man weiß gar nicht, wie es um uns herum aussieht und in welcher Lage wir wirklich sind«, klagt Annie und denkt vor allem an ihren Sohn: »Wenn wir doch nur etwas von John hören würden!«

»Tore und John werden sicher bald zurückkommen«, hofft Lillian, ohne recht daran zu glauben. Es ist überhaupt alles so unwirklich, was in diesen Wochen passiert: Vom Wohnzimmerfenster der Berthungs sieht man jetzt auf ein Maschinengewehr und zwei englische Soldaten, die den Himmel nach den Flugzeugen der Luftwaffe absuchen.

An manchen Tagen kommt Lillian ihre Heimatstadt wie eine einzige große Filmkulisse vor: Aus der Methodistenkirche ist ein großes Proviantlager geworden. Gleich daneben steht eine Feldbäckerei, in der Tag und Nacht gearbeitet wird und aus der sich der Duft von frisch gebackenem Brot über das ganze Viertel ausbreitet. Gleich daneben schneidet ein Friseur in englischer Uniform seinen Kameraden die Haare. Auf der Straßenkreuzung steht ein Inder und regelt mit weißen Handschuhen den Verkehr. Ab und zu marschieren schottische Soldaten zu den Klängen des Dudelsacks vorbei. Die Alliierten machen ihre eigenen Läden auf, in denen die Soldaten Tabak und Konserven kaufen können, und wer keine Büchsen mag, kann in die neuen Restaurants und Bars gehen. Daneben blüht der Handel mit der Bevölkerung. Vertrieben wird alles, Wein, Tabak, Schokolade und anderes aus den Beständen der Truppe. Das Arbeidersamfunnet, das Gewerkschaftshaus, wird kurzerhand in »Arctic Empire« umbenannt und ist jetzt ein Club, in dem an jedem Abend Unterhaltungsshows für die Soldaten geboten werden.

Man könnte darüber lachen oder staunen, wenn da nicht die großen Geschütze wären, die vor der Stadtgrenze stehen, und die vielen Kriegsschiffe, die jetzt auf dem Vågsfjord liegen.

Zudem werden zunehmend deutsche Flugzeuge gesichtet. In großer Höhe, jenseits der Reichweite der Flak. Die meisten ihrer Bomben fallen nur ins Hafenbecken, aber wenn doch ein Schiff getroffen wird, steigt schwarzer Rauch auf.

In Harstad wird immer neues Kriegsmaterial in Stellung gebracht. Und es kommen immer mehr Soldaten. »Ich erkenne unsere Stadt nicht mehr wieder«, seufzt Annie an einem Abend. Die Familie sitzt vor dem Radio und hört die Abendnachrichten. »Es ist aber auch ein bisschen aufregend«, denkt Lillian, aber das behält sie lieber für sich. Und auch, dass sie jeden Abend für Tore und ihren Bruder John betet.