Es war eine wirre Zeit. Der Bevölkerungsdruck bewegte jetzt alles. Der allgemeine Plan, um die hypermalthusianischen fahre zu überstehen, war ausgearbeitet und wirkte recht gut. Jede Generation wurde kleiner. Nichtsdestoweniger gab es jetzt 18 Milliarden Menschen auf der Erde und 18 Millionen auf dem Mars. Und es wurden ständig mehr geboren, und es zogen auch während der ganzen Zeit immer mehr Menschen von der Erde zum Mars um. Die Leute in beiden Welten schrien: Genug, genug!

Wenn die Terraner hörten, wie die Marsianer »Genug!« schrien, wurden einige von ihnen wütend. Der Begriff der Beförderungskapazität bedeutete nichts vor den reinen Zahlen und den Bildern auf den Schirmen. Die Globale Regierung des Mars tat unablässig, was sie konnte, um mit dieser Wut fertig zu werden. Sie erklärte, daß der Mars mit seiner dünnen neuen Biosphäre nicht so viele Leute ernähren könnte wie die fette alte Erde. Sie setzte auch die Raketenindustrie des Mars auf das Shuttlegeschäft an und erweiterte rasch ein Programm zur Umwandlung von Asteroiden in schwebende Städte. Dieses Programm war ein unerwarteter Ableger von dem, was als Teil ihres Strafvollzugswesens gedient hatte. Seit vielen Jahren war die Strafe für schwere Verbrechen auf dem Mars die totale Verbannung vom Planeten gewesen, die mit einigen Jahren Haft und Sklavenarbeit in einer neuen Asteroidensiedlung begann. Nachdem sie ihre Strafe abgedient hatten, war der Marsregierung gleichgültig, wohin die Verbannten gingen, solange sie nicht auf den Mars zurückkehrten. Also gab es unvermeidlicherweise einen ständigen Strom von Menschen nach Hebe. Sie wurden ausgeschifft und dienten ihre Zeit ab, um dann woanders hin zu ziehen. Manchmal hinaus zu den immer noch dünn bevölkerten äußeren Satelliten, manchmal zurück ins innere System, aber oft zu einer der vielen Kolonien in den ausgehöhlten Asteroiden, die gerade eingerichtet wurden. Da Vinci und einige andere Koops stellten sie her und verteilten Aktien für den Start dieser Siedlungen, und viele andere Organisationen taten dasselbe; denn das Programm war eigentlich recht einfach. Kontrollteams hatten im Asteroidengürtel zu Tausenden Kandidaten für die Bearbeitung gefunden und hinterließen für die Besten von ihnen die Ausrüstung für ihre Umgestaltung. Dann machte sich eine Schar von sich selbst vermehrenden Grabe-Roboter an einem Ende des Asteroiden an die Arbeit, die sich wie Hunde ins Gestein wühlten, den meisten Abraum in den Weltraum schleuderten und den Rest zur Herstellung und Betankung weiterer Mineure benutzten. Wenn der Fels ausgehöhlt war, wurde das offene Ende abgedeckt und das ganze Ding in Rotation versetzt, so daß die Zentrifugalkraft innen ein Äquivalent zur Schwerkraft herstellte. Starke Lampen, die Sonnenreihen oder Sonnenflecke hießen, wurden in den Zentren dieser hohlen Zylinder angebracht und lieferten eine Beleuchtung, die dem Tag auf der Erde oder dem Mars entsprach. Das Ge wurde auch so eingestellt, daß es kleine den auf dem Mars und der Erde äquivalente Städte gab, genau wie für alles andere auch, zumindest was das Licht anging. Viele der kleinen Welten experimentierten mit recht geringen Ge-Stärken.

Es gab zwischen diesen neuen Stadtstaaten einige Allianzen und oft auch Verbindungen zu Gründerorganisationen auf der Heimatwelt. Aber es gab keine Gesamtorganisation. Seitens der unabhängigen, besonders jener, die größtenteils von Exilanten des Mars besetzt waren, hatte es in den frühen Tagen einiges recht feindseliges Verhalten gegenüber Durchgangsreisenden gegeben, einschließlich der Versuche, auf Raumschiffe Passagezölle zu erheben, die so schreiend hoch waren, daß es an Piraterie grenzte. Aber neue Shuttles bewegten sich mit sehr hohen Geschwindigkeiten durch den Gürtel und hielten sich etwas oberhalb oder unterhalb der Ebene der Ekliptik, um Staub und Schmutz zu vermeiden, die mittlerweile in großen Mengen vor den Asteroiden dümpelten. Es war schwierig, von diesen Schiffen ohne ihre völlige Zerstörung Zoll zu erheben, was schwere Entschädigungen herausforderte. Darum hatte sich der Trend zum Zoll als kurzlebig erwiesen.

Jetzt, da sowohl die Erde als auch der Mars einen Bevölkerungsdruck erfuhren, der immer schärfer wurde, taten die Koops des Mars alles, was sie konnten, um die rasche Entwicklung neuer Asteroidenstädte anzuregen. Sie errichteten auch große neue Siedlungen unter Kuppeln auf den Monden von Jupiter und Saturn und neuestens auch Uranus. Neptun und vielleicht Pluto würden folgen. Die großen Satelliten der inneren Gasriesen waren gigantisch, praktisch kleine Planeten, und hatten jetzt alle Bewohner, die mit Terraformprojekten anfingen, die, je nach lokaler Gegebenheit, mehr oder weniger langfristig angelegt waren. Keiner von ihnen konnte rasch terraformt werden; aber bei allen schien es, zumindest in gewissem'Umfang, doch möglich. Ein paar boten gar die verlockende Gelegenheit einer ganzen neuen Welt. Zum Beispiel kam Titan allmählich aus seinem Stickstoffdunst heraus, da Siedler, die auf den kleineren Monden in der Nähe lebten, die Oberfläche des großen Mondes erwärmten und Sauerstoff in seine Atmosphäre pumpten. Titan hatte die richtigen flüchtigen Substanzen für Terraformung, und obwohl er wegen seiner großen Entfernung von der Sonne nur ein Prozent der Einstrahlung der Erde bekam, lieferte eine umfangreiche Serie von Spiegeln ständig mehr zusätzliches Licht; und die Einheimischen erwogen die Möglichkeit freier Deuteriumfusionslampen, die Titan umkreisen und noch stärker erhellen würden. Das wäre eine Alternative zu einer anderen Einrichtung, genannt Gaslaterne, die die Leute vom Saturn bisher nicht hatten einsetzen wollen. Diese Gaslaternen flogen durch die oberen Atmosphären von Jupiter und Uranus. Sie sammelten und verbrannten Helium, dessen Licht durch elektromagnetische Scheiben nach außen gespiegelt wurde. Aber am Saturn hatte man sie abgelehnt, weil man das Aussehen des Ringplaneten nicht stören wollte.

Also waren in all diesen äußeren Orbits die Kooperativen des Mars sehr geschäftig und halfen den Marsianern und Terranern, in eine der neuen kleinen Welten auszuwandern. Und als der Prozeß weiterging, und hundert und dann tausend Asteroiden und kleine Monde eine Bevölkerung und einen Namen erhielten, fing der Prozeß Feuer und wurde zu etwas, das manche die >explosive Diaspora< nannten und andere einfach das >A ccelerando <.

Die Leute fanden an der Idee Gefallen; und das Projekt gewann einen Schwung, der überall bemerkt wurde und ein zunehmendes Gefühl für die menschliche Schaffenskraft, ihre Vitalität und Vielfalt ausdrückte. Man verstand das Accelerando auch als Reaktion der Menschheit auf die extreme Krise durch den Bevölkerungsanstieg, die so hart gewesen war, daß sie die Überschwemmung der Erde von 2129 vergleichsweise nur wie eine etwas größere Sturmflut erscheinen ließ. Es war eine Krise, die eine endgültige Katastrophe hätte auslösen können, ein Absinken in Chaos und Barbarei. Statt dessen wurde ihr aber frontal mit dem größten Aufblühen von Zivilisation in der Geschichte begegnet. Einer neuen Renaissance.

Viele Historiker, Soziologen und andere Beobachter des gesellschaftlichen Lebens versuchten, die lebensprühende Natur dieses höchst selbstbewußten Zeitalters zu deuten. Eine Schule von Historikern, genannt die Sintflutgruppe, blickte auf die große Überschwemmung der Erde zurück und erklärte, daß sie die Ursache der neuen Renaissance gewesen sei. Ein erzwungener Sprung auf eine höhere Ebene. Eine andere Schule von Denkern zog die sogenannte Technische Deutung vor. Die Menschheit hatte wieder einen Übergang zu neuer technischer Kompetenz durchgemacht, der, wie sie behaupteten, etwa jedes halbe Jahrhundert seit der ersten industriellen Revolution stattfände. Die Sintflutgruppe neigte dazu, den Ausdruck Diaspora zu verwenden, die Techniker bevorzugten Accelerando.

Dann schrieb und veröffentlichte die Marshistorikerin Charlotte Dorsa Brevia eine gewichtige vielbändige Metageschichte, wie sie sie nannte, die behauptete, daß die große Flut tatsächlich der Auslösepunkt gewesen sei, der zu technischen Fortschritten geführt und den Mechanismus zu neuen Möglichkeiten in Gang gesetzt hätte; aber der spezifische Charakter der neuen Renaissance sei durch etwas viel Elementareres verursacht werden, nämlich den Übergang von einem globalen sozio-ökonomischen System zum nächsten. Sie beschrieb, was sie einen >residual-emergenten Komplex überlappender Paradigmem nannte, wonach jede große sozio-ökonomische Ära zu etwa gleichen Teilen aus benachbarten Systemen ihrer unmittelbaren Vergangenheit und Zukunft zusammengesetzt wäre. Die Perioden direkt davor und danach waren indessen nicht als einzige beteiligt. Sie bildeten den Großteil eines Systems und enthielten dessen widersprüchlichste Komponenten; aber zusätzliche wichtige Merkmale kamen von besonders ausdauernden Aspekten archaischer Systeme sowie auch schwachen zögernden Vorahnungen von Entwicklungen, die erst viel später aufblühen würden.

Darum bestand, um ein Beispiel anzuführen, Feudalismus für Charlotte aus den Resten des überkommenen Systems absoluter religiöser Monarchie und dem aufkommenden System des Kapitalismus - mit wichtigen Nachklängen noch archaischeren Kastenwesens und leichten Andeutungen eines späteren individualistischen Humanismus. Der Zusammenstoß dieser Kräfte verlagerte sich im Laufe der Zeit, bis die Renaissance des sechzehnten Jahrhunderts das Zeitalter des Kapitalismus einleitete. Danach bestand der Kapitalismus aus widersprüchlichen Elementen eines absterbenden Feudalismus und einer emporkommenden künftigen Ordnung, die nur in ihrer eigenen Zeit definiert werden konnte, die Charlotte Demokratie nannte. Und jetzt, so behauptete Charlotte, befand man sich - zumindest auf dem Mars - im demokratischen Zeitalter selbst. Darum war Kapitalismus wie alle anderen Epochen die Kombination zweier scharf gegensätzlicher Systeme gewesen. Die Unverträglichkeit seiner wesentlichen Bestandteile wurde durch die unglückliche Erfahrung mit dem kritischen Schatten des Kapitalismus, dem Sozialismus, unterstrichen, der über wahre Demokratie theoretisiert und nach ihr gerufen hatte. Aber im Versuch ihrer Realisierung hatte er die in jener Zeit verfügbaren Methoden benutzt, nämlich die gleichen feudalen Methoden, wie sie im Kapitalismus vorherrschten. Darum hatten sich beide Versionen der Mischung am Ende als ebenso destruktiv und ungerecht erwiesen wie ihr gemeinsamer Vorfahr. Die feudalen Hierarchien im Kapitalismus hatten sich in den lebendigen sozialistischen Experimenten gespiegelt. Und so war die ganze Ära ein scharfer chaotischer Kampf geblieben, der etliche unterschiedliche Versionen des dynamischen Kampfes zwischen Feudalismus und Demokratie zum Ausdruck brachte.

Aber auf dem Mars war endlich dem kapitalistischen Zeitalter das demokratische Zeitalter entsprungen. Und auch dieses Zeitalter war gemäß der Logik von Charlottes Paradigma zwangsweise ein Aufeinandertreffen von Altem und Neuem, von den strittigen konkurrierenden Resten des kapitalistischen Systems und einigen sich abzeichnenden Aspekten einer Ordnung jenseits von Demokratie, die man noch nicht voll beschreiben konnte, da es sie bisher nie gegeben hatte, die aber Charlotte >Harmonie< oder Allgemeinen Guten Willem zu nennen wagte. Diesen spekulativen Sprung machte sie teils durch genaue Untersuchung der Unterschiede zwischen kooperativer Ökonomie und Kapitalismus und teils durch Annahme einer noch weiteren metahistorischen Perspektive und Identifikation. Sie legte eine breitere allgemeine Entwicklung in der Geschichte, die Kommentatoren ihre >Große SchaukeUnannten, eine Bewegung von den tiefen Hierarchien unserer urtümlichen Vorfahren auf der Savanne zu der sehr langsamen, unsicheren, schwierigen und nicht determinierten freien Erscheinung einer reinen Harmonie und Gleichheit zugrunde, die dann die allerrichtigste Demokratie kennzeichnen würde. Diese beiden langfristigen zusammenstoßenden Elemente hatte es immer gegeben, wie Charlotte behauptete, und diese hätten die große Schaukel erzeugt, wobei die Balance sich bisher in der ganzen menschlichen Geschichte zwischen ihnen langsam und unregelmäßig verlagerte. Dominante Hierarchien hatten jedem jemals realisierten System zugrunde gelegen; aber zur gleichen Zeit waren demokratische Werte immer eine Hoffnung und ein Ziel gewesen, das im Selbstbewußtsein jedes Primaten zum Ausdruck kam und damit in der Ablehnung von Hierarchien, die ja immer gewaltsam aufgezwungen werden mußten. Und so, wie die Schaukel dieser Metageschichte im Laufe der Jahrhunderte die Balance verlagerte, so hatten die bemerkenswert unvollkommenen Versuche der Errichtung einer Demokratie langsam an Kraft gewonnen. Einst hatte ein sehr kleiner Prozentsatz von Menschen in sklavenhalterischen Gesellschaften wie dem antiken Griechenland oder dem revolutionären Amerika als Gleiche unter Gleichen gegolten; und hatte sich in den späteren kapitalistischen DemokratienA nur wenig erweitert. Jedesmal wenn aber ein System zum nächsten überging, war der Kreis gleicher Bürger mehr oder weniger weiter aufgeblüht, bis jetzt nicht nur alle Menschen (theoretisch beinahe) gleich waren, sondern auch Tiere in Betracht gezogen wurden und sogar Pflanzen, Ökosysteme und die Elemente selbst. Diese Erweiterungen der >Bürgerschaft< betrachtete sie als einen der Vorläufer des sich abzeichnenden Systems, das nach der Demokratie an sich kommen könnte - Charlottes postulierte Periode utopischer >Harmonie<. Diese dunklen Ahnungen waren schwach und Charlottes fernes erhofftes System eine vage Hypyothese. Als Sax Russell die späteren Bände ihres Werkes las und eifrig über den endlosen Beispielen und Argumenten (denn dieser Bericht ist eine strenge Verkürzung ihrer Arbeit, nur eine Zusammenfassung) brütete und aufgeregt ein allgemeines Paradigma zu finden suchte, das ihm die Geschichte endlich verdeutlichen würde, fragte er sich, ob dieses vermeintliche Zeitalter universeller Harmonie und guten Willens jemals ausbrechen würde. Er hielt es für möglich oder sogar wahrscheinlich, daß es eine Art von asymptotischer Kurve in der menschlichen Geschichte geben könnte - vielleicht wie der Ballast eines Körpers -, der vom Zeitalter der Demokratie noch festgehalten, stets aufwärts kämpfend, nie zurückfallend, aber auch nie weit vorankommend, sich weiterbewegte. Aber er war auch der Meinung, daß dieser Zustand an sich schon gut genug wäre, um als eine erfolgreiche Zivilisation zu gelten. Genug war schließlich eine Wohltat.

Auf jeden Fall war Charlottes Metageschichte sehr einflußreich und lieferte der sich explosiv beschleunigenden Diaspora eine Art Lehrbeispiel, an dem man sich orientieren konnte. Damit wurde sie in die kleine Liste von Historikern aufgenommen, die den Lauf ihrer eigenen Zeit beeinflußt hatten, und in der sich Denker wie Piaton, Plutarch, Bacon, Gibbon, Chamfort, Carlyle, Emerson, Marx und Spengler befanden - und auf dem Mars vor Charlotte Michel Duval. Die Leute begriffen jetzt in der Regel, daß der Kapitalismus die Kollision von Feudalismus und Demokratie gewesen war, und daß die Gegenwart das demokratische Zeitalter war, wo Kapitalismus und Harmonie aufeinander prallten. Und sie verstanden auch, daß ihre Ära auch immer noch etwas anderes werden konnte. Charlotte beharrte darauf, daß es so etwas wie historischen Determinismus nicht gäbe, sondern nur die wiederholten Anstrengungen der Menschen, ihre Hoffnungen zu verwirklichen. Daraus schufen die Analytiker durch retroaktive Erkenntnis solcher Hoffnungen eine Illusion von Determinismus. Es hätte aber alles Mögliche geschehen können. Die Menschen hätten in allgemeine Anarchie verfallen können. Es hätte sich ein universeller Polizeistaat herausbilden können, um die fahre der Krise zu >kontrollieren<. Aber da sich die großen Metanationalen auf der Erde in Wirklichkeit alle zu Kooperativen im Besitz der Arbeiter gewandelt hatten, und das Volk seine eigene Arbeit kontrollierte, war es für den Moment eine Demokratie. Das hatte diese Hoffnung letztendlich bewirkt.

Und jetzt war ihre demokratische Zivilisation dabei, etwas auszuführen, wozu das vorige System niemals imstande gewesen wäre, das bloß ein Überbleibsel der hypermalthusianischen Periode war. Jetzt konnten sie allmählich den fundamentalen Wechsel in den Systemen erkennen, in diesem zweiundzwanzigsten Jahrhundert, das sie im Zuge waren zu verwirklichen. Sie hatten das Gleichgewicht verlagert, um auch in den neuen Verhältnissen zu überleben. In der kooperativen demokratischen Ökonomie sah jeder, daß viel auf dem Spiel stand. Und ein jeder profitierte von dem frenetischen Ausbruch koordinierter Konstruktion, der überall im Sonnensystem um sich griff.

Die blühende Zivilisation schloß nicht bloß das Sonnensystem jenseits des Mars ein, sondern auch die inneren Planeten. In dem üppigen Wachstum von Energie und Vertrauen arbeitete sich die Menschheit in Areale vor, die zuvor als unbewohnbar gegolten hatten. Plötzlich zog auch die Venus eine Schar neuer Terraformer an, der Geste von Sax Russellfolgend, die die großen Spiegel des Mars umgesetzt und eine grandiose Vision für die letztliche Besiedelung jenes Planeten ausgearbeitet hatte, der in so vieler Hinsicht die Schwester der Erde war.

Selbst der Merkur hatte seine Siedlung. Obwohl man zugeben mußte, daß er für die meisten Belange der Sonne zu nahe war. Sein Tag währte 59 Erdentage, sein Jahr 88 Erdentage, so daß drei seiner Tage gleich zwei Jahren waren. Das war kein Zufall, sondern ein Knoten auf dem Weg zur Gezeitenkopplung, die beim Mond um die Erde herrschte. Die Kombination dieser zwei Perioden ließ den Merkur sehr langsam durch seinen Sonnentag rollen, während dessen Hemisphäre der hellen Seite viel zu heiß wurde und auf der Nachtseite extrem abkühlte. Darum war die einzige derzeit auf dem Planeten befindliche Stadt eine Art enormer Eisenbahnzug, der auf Gleisen um den Planetenfuhr, die sich auf 45° nördlicher Breite befanden. Diese Schienen waren aus einer metallkeramischen Legierung hergestellt, die den ersten der vielen alchemistischen Tricks der Merkurphysiker darstellte und der Hitze von 800 K auf der hellen Mittagsseite widerstand. Die Stadt selbst hieß Terminator undfuhr über diese Schienen mit ungefähr drei Kilometern in der Stunde, wodurch sie innerhalb des Terminators blieb, der Zone des der Frühdämmerung vorausgehenden Schattens, der auf den meisten Stellen des Gelände etwa zwanzig Kilometer breit war. Eine leichte Ausdehnung der Gleise, wenn sie der Morgensonne ausgesetzt waren, führte die Stadt täglich nach Westen, da sie auf eng sitzenden Buchsen ruhte, die so gestaltet waren, daß sie die Stadt von der Ausdehnung fort bewegten. Diese Bewegung war so unerbittlich, daß Widerstand gegen sie an einer anderen Stelle der Buchsen große Mengen elektrischer Energie erzeugte, wie auch die von der Stadt hinterhergeschleppten Sonnenkollektoren, die ganz oben auf der hohen Dämmerungswand saßen und die ersten scharfen Strahlen des Sonnenlichts einfingen. Selbst in einer Zivilisation, in der Energie billig war, war Merkur erstaunlich gesegnet. Und so verband er sich mit den weiter draußen befindlichen Welten und wurde zu einer ihrer hellsten. Und hundert neue sich bewegende Welten wurden jedes Jahr eröffnet. Rollende Städte, kleine Stadtstaaten, jeder mit seiner eigenen Verfassung, einer bunten Mischung aus Siedlern, Landschaft und Lebensart.

Und dennoch lag, bei allem aufblühenden menschlichen Bemühen und Vertrauen in das Accelerando, ein Gefühl von Spannung, von Gefahr in der Luft. Denn trotz Bautätigkeit, Emigration, Siedlungen und Wohnraum gab es immer noch achtzehn Milliarden Menschen auf der Erde und achtzehn Millionen auf dem Mars. Und die halbdurchlässige Membran zwischen den zwei Planeten war von dem osmotischen Druck dieses demographischen Ungleichgewichts stark gekrümmt. Die Beziehungen zwischen den beiden waren gespannt, und viele fürchteten, daß ein Stich in die gespannte Membran alles zerreißen würde. In dieser bedrängten Lage bot die Geschichte wenig Trost. Bisher war man mit ihr gut zurechtgekommen; aber noch nie zuvor hatte die Menschheit auf eine kritische Notlage mit langfristiger sinnvoller Vernunft reagiert. Massenhysterien hatte es schon immer gegeben. Und sie waren noch immer dieselben Tiere, die in früheren Jahrhunderten, wenn es für sie um Existenz und Überleben gegangen war, einander rücksichtslos abgeschlachtet hatten. Also konstruierten und diskutierten die Leute, wurden wild, warteten unbehaglich auf erste Anzeichen, daß die ältesten Superalten sterben würden. Sie blickten scheel auf jedes Kind, das sie sahen. Eine gestresste Renaissance, die eilends am Rande eines manischen goldenen Zeitalters lebte. Das Accelerando. Und niemand konnte sagen, was als nächstes geschehen würde.