Zo saß hinten in einem Raum voller Diplomaten und blickte aus dem Fenster in Terminator, während die ovale Stadt majestätisch über die versengten Wüstengebiete des Merkurs rollte. Der halbelliptische Raum unter der hohen klaren Kuppel der Stadt wäre ein schöner Luftraum zum Fliegen gewesen; aber die örtlichen Behörden hatten das als zu gefährlich verboten - eine der vielen faschistischen Vorschriften, die das Leben hier behinderten. Der Staat als Kindermädchen, was Nietzsche so treffend als Sklavenmentalität bezeichnet hatte, lebte hier am Ende des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts immer noch prächtig und tauchte praktisch überall wieder auf. Die Hierarchie baute ihre behagliche Struktur in all diesen neuen Provinzsiedlungen wieder auf: Merkur, die Asteroiden, die äußeren Systeme - überall außer auf dem edlen Mars.

Hier auf dem Merkur war es besonders schlimm. Seit Wochen liefen in Terminator Verhandlungen zwischen der Marsdelegation und den Merkuriern; und Zo war ihrer überdrüssig - sowohl der Versammlungen wie der Verhandelnden vom Merkur, einer geheimnistuerischen eingebildeten Gruppe oligarchischer Mullahs, die gleichzeitig hochnäsig und katzbuckelnd waren und die neue Ordnung der Verhältnisse im Sonnensystem noch nicht begriffen hatten. Zo wollte sie und ihre kleine Welt vergessen, nach Hause gehen und fliegen.

Aber andererseits war sie in ihrer Tarnung als untergeordnete Stabsassistentin bisher eine ganz unbedeutende Figur bei den Verhandlungen gewesen. Und jetzt, als die Verhandlungen wegen der sturen Verständnislosigkeit dieser glücklichen Sklaven knirschend zum Stehen kamen, nahm sie einen Adjutanten des höchsten Anführers in Terminator beiseite, den man recht malerisch den Löwen des Merkurs nannte, und bat ihn um eine private Zusammenkunft. Der junge Mann, ein Ex-Terraner, war freundlich. Zo hatte sich seines Interesses schon lange zuvor vergewissert - und sie zogen sich auf eine Terrasse außerhalb der Stadtbüros zurück.

Zo legte dem Mann eine Hand auf den Arm und sagte freundlich: »Wir sind sehr besorgt, daß, wenn Merkur und Mars eine solide Partnerschaft eingehen, Terra sich zwischen uns einkeilen und uns gegeneinander ausspielen könnte. Wir haben die zwei größten der verbleibenden Schwermetallressourcen, die es noch im Sonnensystem gibt; und je mehr sich die Zivilisation ausbreitet, desto wertvoller wird das. Und die Zivilisation breitet sich ganz gewiß weiter aus. Das ist schließlich ja das Accelerando. Metalle sind wertvoll.«

Und der natürliche Bestand an Metallen auf dem Merkur war, obwohl schwer zu gewinnen, wirklich eindrucksvoll. Der Planet war nur etwas größer als der Mond, und dennoch kam seine Schwerkraft fast der des Mars gleich, ein sehr handfestes Anzeichen seines schweren Eisenkerns. Dazu kamen verschiedene noch edlere Metalle, die durch Risse in der von Meteoriten zerfurchten Oberfläche erkennbar waren.

»Ja...?« fragte der junge Mann.

»Wir meinen, wir brauchen eine deutlichere Form von...«

»Kartell?«

»Partnerschaft.«

Der junge Merkurier lächelte. »Wir glauben nicht, daß wir von irgend jemand gegen den Mars ausgespielt werden.«

»Offenbar. Aber wir.«

Einige Zeit, zu Beginn der Kolonisation, hatte es so ausgesehen, als ob es dem Merkur ausgezeichnet ginge. Die Kolonisten besaßen nicht nur Metalle, sondern waren auch der Sonne so nahe, daß sie die Möglichkeit hatten, einen großen Teil solarer Energie anzuzapfen. Allein schon der Widerstand zwischen den Buchsen der Stadt und den sich ausdehnenden Schienen hatte große Mengen davon erzeugt; und noch mehr steckte im Potential der Solarkollektoren. Kollektoren im Orbit schickten inzwischen etwas von diesem Sonnenlicht zu den neuen Kolonien im äußeren Sonnensystem hinaus. Von der ersten Flotte schienenlegender Wagen 2142 an über die rollende Konstruktion von Terminator in den 2150ern und während der ganzen 2160er und 70er hatten die Merkurier sich für reich gehalten.

Aber jetzt war das Jahr 2181, und mit der erfolgreichen weiten Verbreitung verschiedener Arten von Fusionsenergie war Energie spottbillig, und Licht war reichlich vorhanden. Die sogenannten Lampensatelliten und die in der Hochatmosphäre der Gasriesen brennenden Gaslaternen erhellten das ganze äußere System. Infolgedessen waren die reichen Solarressourcen des Merkur unbedeutend geworden. Merkur war wieder einmal nicht mehr als ein metallreicher, aber furchtbar heißer und gleichzeitig kalter Ort geworden, eine mühsame Aufgabe. Und nicht einmal terraformbar, um ihn auszubeuten.

Ein erheblicher Absturz in ihrem Wohlstand, wie Zo den jungen Mann ohne große Feinheit erinnerte. Das bedeutete, sie müßten mit ihren günstiger plazierten Verbündeten im System zusammenarbeiten. »Sonst besteht ein sehr reales Risiko, daß die Terraner wieder die Vorherrschaft übernehmen.«

»Die Erde ist viel zu sehr in ihre eigenen Problemen verstrickt, um jemand andern zu gefährden«, erwiderte der junge Mann.

Zo schüttelte entschieden den Kopf. »Je größer die Schwierigkeiten sind, in denen Terra steckt, desto größer ist die Gefahr für uns übrige. Wir sind besorgt. Darum denken wir, daß wir, wenn ihr kein Abkommen mit uns treffen wollt, ein eigenes Stadt- und Schienensystem auf dem Merkur werden errichten müssen, unten in der südlichen Hemisphäre, das dort im Terminator fahren wird, wo es einige der besten Metallvorkommen gibt.«

Der junge Mann war schockiert. »Das könntet ihr nicht ohne unsere Erlaubnis tun!«

»Wirklich?«

»Auf dem Merkur kann es keine Stadt geben, wenn wir das nicht wünschen.«

»Wieso, was wollt ihr machen?«

Der junge Mann schwieg.

»Jeder kann tun, was er will, oder?« sagte Zo. »Das gilt für jeden.«

Der junge Mann überlegte. »Es gibt nicht genug Wasser.«

»Nein.« Der gesamte Wasservorrat des Merkur bestand aus ein paar kleinen Eisablagerungen innerhalb von Kratern an den beiden Polen, aber viel mehr gab es nicht. »Immerhin würden ein paar direkt zu den Polen gelenkte Kometen helfen.«

»Und ihr Aufprall das Wasser an den Polen wegsprengt! Nein, das würde nicht funktionieren. Das in diesen polaren Kratern ist nur ein winziger Teil des Wassers aus Jahrmillionen von Kometen, die mit dem Planeten kollidiert sind. Das meiste Wasser ging beim Aufschlag in den Weltraum verloren oder ist weggebrannt. Das selbe würde geschehen, wenn jetzt Kometen hier aufschlügen. Es wäre für euch ein Nettoverlust.«

»Die Computermodelle schlagen Möglichkeiten aller Art vor. Wir könnten es immerhin versuchen und abwarten.«

Der junge Mann trat gekränkt zurück. Und richtig so. Man konnte eine Drohung nicht viel deutlicher ausdrücken, als es gerade geschehen war. Aber bei Sklavenmoral waren das Gute und das Dumme oft dasselbe. Darum mußte man deutlicher werden. Zo änderte ihre Miene nicht, obwohl die Empörung des jungen Mannes fast eine Qualität von Commedia dell'arte angenommen hatte, die recht komisch war. Sie trat näher an ihn heran und betonte damit den Größenunterschied zwischen ihnen. Sie überragte ihn um einen halben Meter.

Er sagte zwischen den Zähnen: »Ich werde dem Löwen Ihre Mitteilung überbringen.«

»Vielen Dank!« sagte Zo und beugte sich hinunter, um ihn auf die Wange zu küssen.

Diese Sklaven hatten für sich eine herrschende Kaste von Physiker-Priestern geschaffen, die für Außenstehende ein Buch mit sieben Siegeln waren, aber wie alle guten Oligarchien vorhersehbar und stark in ihrem äußeren Handeln. Es würde eine Allianz geben. So verließ Zo ihr Büro und ging vergnügt die Stufen der Dämmerungswand hinunter. Ihre Arbeit war getan, und so würde die Gesandtschaft höchstwahrscheinlich bald zum Mars zurückkehren.

Sie betrat das Konsulat des Mars auf halbem Weg durch die Wand und schickte einen Anruf an Jackie, um ihr mitzuteilen, daß der nächste Zug getan war. Danach ging sie auf den Balkon, um zu rauchen.

Ihr Farbsehvermögen steigerte sich unter dem Einfluß der chromotropischen Substanzen, die ihrer Zigarette beigemischt waren; und die kleine Stadt unter ihr wurde ganz phänomenal, wie die Phantasie eines Fauvisten. Vor der Dämmerungswand erhoben sich die Terrassen in immer schmaleren Steifen, bis die höchsten Gebäude (natürlich die Amtsräume der Stadtherrscher) nur noch eine Linie von Fenstern unter den Großen Toren und der klaren Kuppel darüber waren. Die Dächer und Balkone drängten sich unter den grünen Baumwipfeln unter ihr. Die Balkone hatten alle Mosaikfußböden und -wände. Unten auf der ovalen Fläche, die den größeren Teil der Stadt einnahm, waren die Dächer größer und dichter beisammen; das Grünzeug war in bebauten Feldern zusammengefaßt, die unter dem Licht schimmerten, das von gefilterten Spiegeln in der Kuppel herunterkam. Alles zusammen sah wie ein Faberge-Ei aus, fein ausgeführt, bunt und hübsch in der Art, wie alle Städte es waren. Aber in einer davon gefangen zu sein... Nun, man konnte nichts weiter damit anfangen, als die Stunden möglichst unterhaltsam zu verbringen, bis es hieß heimzukehren. Ein Teil der Vornehmheit war ja schließlich aufopfernde Pflichterfüllung.

So schlenderte sie die Treppenstraße der Wand hinunter zu Le Dome, um sich gesellig mit Miguel, Arlene und Xerxes zu treffen und der Schar von Komponisten, Musikern, Autoren und anderen Künstlern und Ästheten, die sich in dem Cafe herumtrieben.

Das war ein wilder Haufen. Die Krater des Merkur waren vor Jahrhunderten alle nach den berühmtesten Künstlern in der Geschichte der Erde benannt worden. Und so rollte Terminator vorbei an Dürer und Mozart, Phidias und Purcell, Turgenjev und Van Dyke. Anderswo auf diesem Planeten waren Beethoven, Imhotep, Mahler, Matisse. Murasaki, Milton und Mark Twain. Homer und Holbein berührten sich mit den Rändern, Ovid schmückte den Rand des viel größeren Puschkin, Goya überlappte Sophokles. Van Gogh lag innerhalb von Cervantes, Chao Meng-Fu war voller Eis und so weiter in höchst kapriziöser Weise, als ob das Nominierungskomitee der Internationalen Astronomischen Union eines Abends betrunken gewesen wäre und fröhlich Wurfpfeile mit Namen auf eine Karte geschleudert hätte. Es gab sogar einen Hinweis zur Erinnerung an diese Party: eine große Böschung namens Pourquoi Pas.

Zo billigte dieses Verfahren durchaus. Aber die Auswirkungen auf die derzeit auf dem Merkur lebenden Künstler war äußerst katastrophal gewesen. Da sie ständig mit dem unbestreitbaren Kanon der Erde konfrontiert waren, hatte sie eine überwältigende Besorgnis um Beeinflussung verkrüppelt. Immerhin hatten ihre Parties eine entsprechende Großartigkeit gewonnen, die Zo durchaus genoß.

An diesem Abend zog die Schar nach einem ausgiebigen Trinkgelage in der Kuppel, während die Stadt gerade zwischen Strawinski und Vyasa durchrollte, durch die engen Gassen der Stadt auf der Suche nach Krawall. Einige Blocks entfernt platzten sie in eine Zeremonie von Mithraverehrern oder Zoroastriern - auf jeden Fall Sonnenanbetern - hinein, die in der lokalen Regierung Einfluß hatten und vielleicht sogar ihr Kern waren. Ihr schrilles Pfeifen löste rasch die Versammlung auf und führte zu einem Handgemenge. Sie mußten rasch verschwinden, um eine Arrestierung durch die lokalen Ordnungskräfte zu vermeiden, die die Menge in der Kuppel als Spaßpolizei bezeichnete.

Danach gingen sie zum Odeon, wurden aber wegen ungebührlichen Benehmens rausgeworfen. Dann kreuzten sie die Gassen des Vergnügungsviertels und tanzten vor einer Bar, wo lauter schlechter Kommerz gespielt wurde. Aber es fehlte einfach etwas. Zo fand ihre erzwungene Heiterkeit zu traurig, als sie ihre verschwitzten Gesichter ansah. Sie schlug vor: »Laßt uns hinaus auf die Oberfläche gehen und an den Toren der Dämmerung Dudelsack spielen!«

Niemand außer Miguel zeigte Interesse. Sie waren Würmer in einer Büchse. Sie hatten vergessen, daß es einen Boden gab. Aber Miguel hatte versprochen, sie oft nach draußen zu führen. Und jetzt, da ihre Zeit auf Merkur nur noch kurz war, war er schließlich fast gezwungen, sie zu begleiten.

 

Die Gleise von Teminator waren zahlreich. Jeder glatte graue Zylinder erfaßte etliche Meter über dem Boden eine endlose Reihe dicker Pfeiler und bewegte sich daran entlang. Während die Stadt majestätisch nach Westen glitt, passierte sie kleine Plattformen, die zu unterirdischen Transferbunkern führten, gehärteten Rollbahnen für Raumschiffe ä la Ballard und Schutzräumen in Kraterrändern. Das Verlassen der Stadt wurde streng überwacht, was nicht überraschend war. Aber Miguel hatte einen Paß, und so aktivierten die beiden damit das südliche Stadttor, traten in die Schleuse und in eine U-Bahnstation namens Hammersmith. Dort zogen sie sperrige, aber geräumige Schutzanzüge an und gingen durch eine Schleuse in einen Tunnel und hinauf auf den versengten Staub des Merkur.

Nichts hätte sauberer und karger sein können als diese schwarzgraue Wüste. In diesem Zusammenhang war Zo das betrunkene Kichern von Miguel noch lästiger als sonst; und sie drehte das Interkom ihres Helm so weit herunter, bis es nur noch ein Flüstern war.

Es war gefährlich, von der Stadt nach Osten zu gehen. Selbst stillzustehen war gefährlich. Aber sie hatten vor, den Rand der Sonne zu sehen. Zo trat gegen die Steine, während sie nach Südwesten wanderten, um einen Blick auf die Seite der Stadt zu werfen. Sie wünschte, sie könnte über diese schwarze Welt fliegen. Vermutlich würde irgendein Raketenrucksack das ermöglichen; aber soweit sie wußte, hatte sich hier niemand bemüßigt gesehen, einen zu bauen. Also trotteten sie statt dessen dahin und hielten nach Osten Ausschau. Bald würde die Sonne über diesem Horizont aufgehen. Jetzt wurde über ihnen in der ultradünnen Atmosphäre aus Neon und Argon feiner, durch Elektronenbeschuß aufgewirbelter Staub in dem Bombardement durch die Sonne zu einem schwachen weißen Nebel. Hinter ihnen war das Oberteil der Dämmerungswand ein blendendes reines Weiß, das man selbst durch die schweren Differentialfilter ihrer Helmmasken nicht anschauen konnte.

Dann verwandelte sich der flache Horizont vor ihnen in Nähe des Kraters Strawinski in ein Silbernitratbild seiner selbst. Zo starrte hingerissen auf die explosive und phosphoreszierende tanzende Linie. Die Sonnenkorona, wie ein Brand in einem silbernen Wald knapp über dem Horizont. Zos Geist wurde gleichermaßen entflammt. Wenn sie könnte, wäre sie wie Ikarus in die Sonne geflogen in einer Art von spirituellem sexuellem Hunger; und in der Tat stieß sie genau die gleichen orgiastischen Schreie aus. Solch ein Feuer, solch eine Schönheit! In der Stadt nannte man das den Sonnenrausch - ein guter Name. Auch Miguel empfand das so. Er sprang von einem Felsen nach Osten mit weit ausgebreiteten Armen, wie Ikarus, der zu starten versucht.

Dann kam er unbeholfen im Staub herunter; und Zo konnte seinen Schrei auch mit fast heruntergedrehter Lautstärke ihres Interkoms hören. Sie lief zu ihm und sah den unmöglichen Winkel seines linken Knies, stieß selbst einen Schrei aus und kniete sich neben ihn. Selbst durch den Anzug fühlte sich der Boden kalt an. Sie half ihm auf, indem sie sich seinen Arm über die Schulter legte. Dann drehte sie die Lautstärke ihres Interkoms hoch, obwohl er laut stöhnte. Sie sagte: »Halt den Mund! Nimm dich zusammen und paß auf!«

Sie fielen in einen Rhythmus und hüpften nach Westen hinter der zurückweichenden Dämmerungswand her, die am oberen Ende ihrer hohen Glockenkurve hell leuchtete. Sie wich vor ihnen zurück. Es gab keine Zeit zu verlieren. Aber sie stürzten immer wieder. Beim dritten Mal schrie Miguel, im Staub hingestreckt, während die Landschaft eine blendende Mischung von reinem Weiß und reinem Schwarz war, vor Schmerzen auf und stöhnte: »Geh weiter, Zo, geh und rette dich selbst! Es gibt keinen Grund, weshalb wir beide hier draußen sterben!«

»Halt's Maul!« sagte Zo grob und raffte sich auf.

»Geh!«

»Das werde ich nicht! Sei jetzt still, und laß mich dich tragen!«

Er wog ungefähr ebenso viel, wie er auf dem Mars gewogen hätte. Siebzig Kilo mit dem Anzug, schätzte sie. Es war mehr eine Sache des Gleichgewichts als sonst etwas. Während er hysterisch plapperte: »Laß mich los, Zo! Wahrheit ist Schönheit und Schönheit ist Wahrheit. Das ist alles, was du weißt und wissen mußt«, beugte sie sich vor und legte ihre Arme unter seinen Rücken und seine Knie, was ihn wieder zum Schreien brachte. »Sei still!« schrie sie. »Genau das ist die Wahrheit und deshalb schön.« Und sie lachte, während sie, ihn auf den Armen, lostrabte.

Er versperrte ihr die Sicht auf den Boden direkt vor ihnen. Darum mußte sie sich mit Schweiß in den Augen in dem blendenden Weiß und Schwarz nach vorn orientieren. Aber sie stapfte mit befriedigender Geschwindigkeit auf die Stadt zu.

Dann fühlte sie Sonnenlicht im Rücken. Das war wie Nadelstiche, sogar durch ihren stark isolierten Anzug. Ein massiver Anstieg des Adrenalinspiegels. Vom Licht geblendet, stolperte sie durch eine Art von Tal, das tiefer hinein in die Dämmerung führte. Dann zurück in die scheckige Zone von Licht durchschossener Schatten, ein verrücktes Chiaroscuro. Danach langsam zurück in die eigentliche Schattenzone, wo alles düster war, außer der von oben herunterblitzenden feurigen Stadtmauer. Zo schnappte nach Luft und war jetzt eher von der Anstrengung erhitzt als vom Sonnenlicht. Und doch genügte der Anblick des leuchtenden Bogens am Gipfel des Stadt, um einen zum Mithras-Verehrer zu machen.

Natürlich gab es, selbst wenn die Stadt direkt über ihnen war, keinen direkten Weg, wieder in sie hineinzugelangen. Sie mußte an ihr vorbeilaufen zur nächsten Untergrundstation. Minute um Minute völlig aufs Laufen konzentriert. Schmerz machte sich bemerkbar, eine Folge der Milchsäure in ihren Muskeln. Und da war sie endlich, voraus am Horizont: eine Tür im Hügel neben den Schienen. Weiter und weiter über den glatten Regolith stapfend. Sie hämmerte heftig an die Tür, und sie wurden in die Schleuse und dann ins Innere gelassen, wo man sie verhaftete. Aber Zo lachte die Spaßpolizei nur an und setzte ihren und Miguels Helm ab. Dann küßte sie den stöhnenden Miguel mehrere Male für seine Ungeschicklichkeit. In seinem Schmerz merkte er das nicht. Er war an sie geklammert wie ein Ertrinkender an einen Lebensretter. Sie schaffte es nur, sich aus seiner Umklammerung zu befreien, indem sie ihn leicht an sein verletztes Knie stieß. Bei seinem Geheul lachte sie laut auf und fühlte, wie ein Ruck durch sie ging. Soviel Adrenalin, so wundervoll, noch weit seltener als jeder sexuelle Orgasmus und deshalb noch kostbarer.

Also küßte sie Miguel immer und immer wieder - Küsse, die er nicht bemerkte. Und dann drängte sie sich durch die Spaßpolizei. Sie beanspruchte diplomatischen Status und dringende Hilfe. Sie sagte: »Schaut nicht so dumm. Gebt ihm ein paar Medikamente! Heute abend geht ein Shuttle zum Mars. Ich muß abreisen.«

»Vielen Dank, Zo!« rief Miguel. »Ich danke dir, du hast mir das Leben gerettet!«

»Ich habe meine Heimreise gerettet«, sagte sie lachend. Sie kehrte um und küßte ihn noch einmal. »Ich bin es, der dir danken sollte! So eine Gelegenheit! Vielen, vielen Dank!«

»Nein, ich danke dir!«

»Nein, ich danke dir!«

Und er lachte selbst in seinem Schmerz. »Zo, ich liebe dich.«

»Und ich liebe dich.«

Aber wenn sie sich nicht beeilte, würde sie ihr Shuttle verpassen.