15
Am selben Abend ging ich im Turm ins Arbeitszimmer hinauf und setzte mich an die Schreibmaschine, obwohl ich mich völlig hohl fühlte. Die Fenster standen weit offen, aber Barcelona wollte mir nichts mehr erzählen, und ich war unfähig, eine einzige Seite zu füllen. Alles, was ich heraufbeschwören konnte, erschien mir banal und leer. Ich brauchte meine Worte nur nochmals zu lesen, um zu sehen, dass sie kaum das Farbband wert waren. Ich hörte die Musik nicht mehr, die ein passables Stück Prosa aussendet. Nach und nach tröpfelten Andreas Corellis Worte wie ein langsames, wohltuendes Gift in mein Denken.
Es fehlten mir noch mindestens hundert Seiten, um diese x-te Folge der verschrobenen Abenteuer abzuschließen, mit denen sich Barrido und Escobillas eine goldene Nase verdient hatten, aber in diesem Moment wurde mir klar, dass ich sie nicht beenden würde. Ignatius B. Samson war erschöpft auf den Gleisen vor der Straßenbahn liegen geblieben, er hatte sich auf allzu vielen Seiten ausgeblutet, die nie das Licht der Welt hätten erblicken dürfen. Aber bevor er abgetreten war, hatte er mir noch seinen Letzten Willen diktiert: Ich sollte ihn ohne Förmlichkeiten bestatten und ein einziges Mal im Leben zu meiner eigenen Stimme stehen. Er vermachte mir sein beträchtliches Arsenal an Rauch und Spiegeln. Und bat mich, ihn zu entlassen, er sei dazu geboren, in Vergessenheit zu geraten.
Ich raffte die bereits geschriebenen Seiten seines letzten Romans zusammen und steckte sie in Brand. Dabei spürte ich, wie mir mit jeder Seite, die ich den Flammen übergab, ein Stein vom Herzen fiel. An diesem Abend wehte eine feuchtwarme Brise über die Dächer, kam durch mein Fenster herein und trug Ignatius B. Samsons Asche mit sich hinaus, um sie in den Gassen der Altstadt zu verstreuen, damit Ignatius B. Samson dort immer wohne, obwohl seine Worte für immer verstummten und sein Name dem Gedächtnis selbst seiner treusten Leser entfiel.
Am nächsten Tag wurde ich bei Barrido und Escobillas vorstellig. Die Empfangsdame war neu, irgend so ein Fräulein, das mich nicht erkannte.
»Ihr Name?«
»Hugo, Victor.«
Sie lächelte und stöpselte an der Telefonzentrale, um Herminia zu benachrichtigen.
»Doña Herminia, Don Victor Hugo ist da und möchte Señor Barrido sprechen.«
Sie nickte und beendete die Verbindung.
»Sie sagt, sie kommt sofort.«
»Arbeitest du schon lange hier?«, fragte ich.
»Eine Woche«, antwortete sie beflissen.
Wenn meine Berechnungen stimmten, war das die achte Empfangsdame, die Barrido und Escobillas in jenem Jahr beschäftigten. Die Angestellten, die direkt der verschlagenen Herminia unterstellt waren, konnten sich immer nur kurze Zeit halten, denn wenn die Giftige entdeckte, dass sie im Gegensatz zu ihr bis vier zählen konnten, befürchtete sie, von ihnen in den Schatten gestellt zu werden, was in neun von zehn Fällen auch geschah, und beschuldigte sie des Diebstahls, der Unterschlagung oder sonst einer unsinnigen Verfehlung. Sie setzte Himmel und Hölle in Bewegung, bis Escobillas ihnen den Laufpass gab und drohte, ihnen einen Meuchelmörder auf den Hals zu hetzen, sollten sie ihre Zunge nicht im Zaum halten.
»Wie schön, dich zu sehen, David«, sagte die Giftige. »Du siehst besser aus, sehr gesund.«
»Es hat mich halt eine Straßenbahn überfahren. Ist Barrido da?«
»Was du immer für Ideen hast. Für dich ist er jederzeit da. Er wird sehr glücklich sein, wenn ich ihm sage, dass du uns besuchen kommst.«
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich.«
Sie führte mich in Barridos Büro, das aussah wie die Kulisse einer Schmierenkomödie, vollgepfropft mit Teppichen, Kaiserbüsten, Stillleben und ledergebundenen Bänden, die er en gros erworben hatte, wahrscheinlich waren es reine Attrappen. Barrido schenkte mir sein öligstes Lächeln und gab mir die Hand.
»Wir können es alle gar nicht erwarten, die neue Folge zu bekommen. Sie sollen wissen, dass wir die beiden letzten neu aufgelegt haben und dass man sie uns aus den Händen reißt. Fünftausend weitere Exemplare. Wie finden Sie das?«
Ich fand, es müssten mindestens fünfzigtausend sein, beschränkte mich aber auf ein unbeeindrucktes Nicken. Barrido und Escobillas hatten das, was in der Barceloneser Verlegerzunft doppelte Auflage genannt wurde, wie ein welkendes kostbares Blumenbouquet immer weiter mit frischen Blüten gestreckt. Von jedem Titel gab es eine offizielle Auflage von einigen tausend Exemplaren, wofür dem Autor eine lächerliche Beteiligung bezahlt wurde. Wenn das Buch danach gut lief, gab es in Wahrheit eine oder viele geheime Auflagen mit Zehntausenden von Exemplaren, für die der Autor keine Pesete sah. Diese konnte man von der ersten Auflage gut unterscheiden, denn Barrido ließ sie in einer alten Wurstfabrik in Santa Perpetua de Mogoda drucken, und beim Durchblättern schlug einem unverkennbar der Geruch nach geräucherter Paprikawurst entgegen.
»Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten für Sie.«
Barrido und die Giftige wechselten einen Blick, ohne die Grimasse zu lockern. In diesem Augenblick materialisierte sich Escobillas in der Tür und schaute mich mit nüchtern-verdrießlicher Miene an, als nähme er mit bloßem Auge Maß für einen Sarg.
»Sieh nur, wer uns besuchen gekommen ist. Was für eine angenehme Überraschung, nicht wahr?«, fragte Barrido seinen Teilhaber, der bloß nickte und dann fragte:
»Was sind das für schlechte Nachrichten?«
»Sind Sie ein wenig im Rückstand, lieber Martín?«, fügte Barrido freundschaftlich hinzu. »Wir können uns sicher anpassen …«
»Nein. Es gibt keinen Rückstand. Es wird einfach kein Buch geben.«
Escobillas trat einen Schritt vor und zog die Brauen hoch. Barrido kicherte vor sich hin.
»Was heißt das, es wird kein Buch geben?«, fragte Escobillas.
»Das heißt, dass ich es gestern verbrannt habe und dass keine einzige Manuskriptseite mehr da ist.«
Ein unheilschwangeres Schweigen breitete sich aus. Barrido machte eine versöhnliche Handbewegung und deutete auf den sogenannten Besuchersessel, ein schwärzliches, eingefallenes Monstrum, in das man Autoren und Lieferanten quetschte, damit sie auf Barridos Augenhöhe zu sitzen kamen.
»Setzen Sie sich, Martín, und erzählen Sie. Etwas macht Ihnen Sorgen, ich sehe es. Sie können sich bei uns aussprechen, Sie gehören ja zur Familie.«
Die Giftige und Escobillas nickten voller Überzeugung und dokumentierten das Ausmaß ihrer Hochschätzung mit einem Blick berückter Ergebenheit. Ich blieb lieber stehen. Alle taten es mir gleich und schauten mich an wie eine Salzsäule, die jeden Moment zu sprechen beginnt. Barrido schien vor lauter Lächeln schon das Gesicht zu schmerzen. »Na?«
»Ignatius B. Samson hat sich umgebracht. Er hat eine Erzählung von zwanzig Seiten hinterlassen, in der er in enger Umarmung mit Chloé Permanyer stirbt, nachdem beide Gift geschluckt haben.«
»Der Autor stirbt in einem seiner eigenen Romane?«, fragte Herminia verwirrt.
»Das ist sein avantgardistischer Abschied vom Fortsetzungsroman. Ein Detail, bei dem ich mir sicher war, dass es Ihnen sehr gefallen würde.«
»Und könnte es nicht ein Gegengift geben oder …?«, fragte die Giftige.
»Martín, ich brauche Ihnen wohl nicht in Erinnerung zu rufen, dass Sie es sind und nicht der angeblich verstorbene Ignatius, der einen Vertrag unterschrieben hat«, sagte Escobillas.
Mit einer Handbewegung brachte Barrido seinen Kollegen zum Schweigen.
»Ich glaube, ich weiß, was mit Ihnen los ist, Martín. Sie sind erschöpft. Seit Jahren zermartern Sie sich unermüdlich das Hirn, was dieses Haus zu schätzen weiß und wofür wir Ihnen dankbar sind. Sie brauchen eine Atempause. Ich verstehe das. Wir alle verstehen das, nicht wahr?«
Barrido schaute Escobillas und die Giftige an, die ein entsprechendes Gesicht aufsetzten und nickten.
»Sie sind ein Künstler und wollen Kunst machen, hohe Literatur, etwas, was Ihrem Herzen entströmt und Ihren Namen den Stufen der Weltgeschichte in goldenen Lettern einprägt.«
»So, wie Sie es erklären, klingt es lächerlich«, sagte ich.
»Weil es lächerlich ist«, führte Escobillas an.
»Nein, ist es nicht«, unterbrach ihn Barrido. »Es ist menschlich. Und wir sind menschlich. Ich, mein Teilhaber und Herminia, die als zartfühlende Frau und sensibles Wesen die Menschlichste von uns allen ist – ist es nicht so, Herminia?«
»Ja, mehr als menschlich«, stimmte die Giftige zu.
»Und da wir menschlich sind, verstehen wir Sie und wollen Ihnen helfen. Weil wir stolz auf Sie sind und überzeugt, dass Ihre Erfolge auch unsere Erfolge sein werden, und weil in diesem Haus letztlich die Menschen und nicht die Zahlen zählen.«
Nach seiner Ansprache legte Barrido eine Kunstpause ein. Vielleicht erwartete er Beifall von meiner Seite, aber als er sah, dass ich stumm blieb, fuhr er ohne weitere Verzögerung fort.
»Aus diesem Grund schlage ich Ihnen Folgendes vor: Nehmen Sie sich sechs Monate Zeit, wenn nötig neun, eine Geburt ist immerhin eine Geburt, und ziehen Sie sich in Ihr Arbeitszimmer zurück, um den großen Roman Ihres Lebens zu verfassen. Wenn Sie ihn haben, bringen Sie ihn uns, und wir werden ihn unter Ihrem Namen veröffentlichen und dabei sämtliche Trümpfe ausspielen und alles auf eine Karte setzen. Weil wir auf Ihrer Seite sind.«
Ich schaute Barrido und dann Escobillas an. Die Giftige war drauf und dran, vor Ergriffenheit in Tränen auszubrechen.
»Natürlich ohne Vorschuss«, präzisierte Escobillas. Euphorisch schlug sich Barrido die Faust in die Hand. »Was sagen Sie nun?«
Noch am selben Tag nahm ich die Arbeit auf. Mein Plan war ebenso einfach wie wahnwitzig. Tagsüber würde ich Vidals Buch neu schreiben und nachts an meinem arbeiten. Ich würde sämtliche Schliche und Kniffe, die mir Ignatius B. Samson beigebracht hatte, zum Leuchten bringen und sie auf den Rest an Würde und Ehrbarkeit anwenden, der in meinem Herzen, wenn überhaupt, noch verblieben war. Ich würde aus Dankbarkeit, Verzweiflung und Eitelkeit schreiben. Ich würde vor allem für Cristina schreiben, um ihr zu beweisen, dass auch ich in der Lage war, meine Schuld bei Vidal zu begleichen, und dass David Martín, auch wenn er kurz davor war, tot umzufallen, das Recht hatte, ihr in die Augen zu schauen, ohne sich seiner lächerlichen Erwartungen schämen zu müssen.
Zu Dr. Trias ging ich nicht mehr. Ich sah keine Notwendigkeit darin. Wenn ich kein Wort mehr würde schreiben, ja denken können, würde ich es als Erster merken.
Ohne Fragen zu stellen, gab mir mein zuverlässiger, wenig skrupulöser Apotheker so viele Kodeinpralinen, wie ich verlangte, und ab und zu auch eine andere Köstlichkeit, die Feuer an die Adern legte und vom Schmerz bis zum Bewusstsein alles in die Luft sprengte. Über meinen Arztbesuch und die Testergebnisse sprach ich mit niemandem.
Meine Grundbedürfnisse deckte ich mit der wöchentlichen Bestellung bei Can Gispert, einem wundervollen Lebensmittelgeschäft in der Calle Mirallers hinter der Kathedrale Santa María del Mar. Die Bestellung war immer die gleiche und wurde mir von der Tochter des Inhabers ins Haus geliefert, einem jungen Mädchen, das mich anstarrte wie ein erschrockenes Reh, wenn ich sie im Vorraum zu warten bat, bis ich das Geld geholt hätte.
»Das ist für deinen Vater, und das ist für dich.«
Ich gab ihr immer zehn Céntimos Trinkgeld, die sie wortlos entgegennahm. Jede Woche klingelte sie mit der Bestellung an meiner Tür, und jede Woche gab ich ihr zehn Céntimos Trinkgeld. Neun Monate und einen Tag, so lange, wie ich brauchte, um das einzige Buch zu schreiben, das meinen Namen trug, sah ich keinen Menschen öfter als dieses junge Mädchen, dessen Namen ich nicht kannte und dessen Gesicht ich jede Woche wieder vergaß, bis sie erneut vor meiner Schwelle stand.
Ohne Vorankündigung blieb Cristina unseren allnachmittäglichen Treffen fern. Ich fürchtete bereits, Vidal hätte unsere Kriegslist durchschaut, als ich eines Nachmittags, da ich sie nach fast einer Woche Abwesenheit immer noch erwartete, im Glauben, sie sei es, die Tür öffnete und Pep davor stehen sah, einen der Diener aus der Villa Helius. Er brachte mir ein sorgsam versiegeltes Paket von Cristina, das Vidals vollständiges Manuskript enthielt. Pep erklärte mir, Cristinas Vater habe ein Aneurysma, das ihn praktisch zum Invaliden gemacht habe, und sie habe ihn in ein Sanatorium in den Pyrenäen gebracht, nach Puigcerdà, wo es anscheinend einen jungen Spezialisten für solche Krankheiten gab.
»Señor Vidal hat sich um alles gekümmert«, sagte Pep, »ohne auf die Kosten zu achten.«
Vidal vergaß seine Diener nie, dachte ich nicht ohne einige Bitterkeit.
»Sie hat mich gebeten, Ihnen das persönlich zu übergeben. Und ich soll niemand etwas davon sagen.«
Der Bursche überreichte mir das Paket, erleichtert, das mysteriöse Ding loszuwerden.
»Hat sie dir irgendeinen Hinweis gegeben, wo ich sie notfalls finden kann?«
»Nein, Señor Martín. Ich weiß nur, dass Señorita Cristinas Vater in einem Sanatorium namens Villa San Antonio eingewiesen worden ist.«
Einige Tage später stattete mir Vidal einen seiner Impromptu-Besuche ab und blieb den ganzen Nachmittag über bei mir, trank meinen Anis, rauchte meine Zigaretten und sprach über das Unglück, das seinem Fahrer zugestoßen war.
»Unglaublich. Ein baumstarker Mann, und fällt mit einem Windhauch bewusstlos um und weiß nicht einmal mehr, wer er ist.«
»Wie geht es Cristina?«
»Das kannst du dir ja vorstellen. Ihre Mutter ist schon vor Jahren gestorben, und Manuel ist ihr einziger Angehöriger. Sie hat das Familienalbum mitgenommen und zeigt es dem Armen jeden Tag in der Hoffnung, er erinnere sich an etwas.«
Während Vidal sprach, lag der Stapel seines Romans – oder müsste ich sagen, meines Romans? – umgedreht auf dem Verandatisch, einen halben Meter von seinen Händen entfernt. Er erzählte, da Manuel derzeit nicht da sei, habe er Pep – anscheinend ein guter Reiter – gedrängt, sich in die Kunst des Autofahrens zu vertiefen, doch im Moment sei sein Fahrstil noch unmöglich.
»Geben Sie ihm Zeit. Ein Auto ist kein Pferd. Das ganze Geheimnis besteht in der Übung.«
»Jetzt, da du es sagst – Manuel hat dir Fahrstunden gegeben, nicht wahr?«
»Ein paar«, gestand ich. »Und es ist nicht so leicht, wie es aussieht.«
»Wenn sich dieser Roman, über dem du sitzt, nicht verkauft, kannst du immer noch mein Fahrer werden.«
»Wir wollen doch den armen Manuel nicht vorzeitig beerdigen, Don Pedro.«
»Eine geschmacklose Bemerkung«, gab er zu. »Tut mir leid.«
»Und Ihr eigener Roman, Don Pedro?«
»Ist auf gutem Weg. Cristina hat das fertige Manuskript nach Puigcerdà mitgenommen, um es ins Reine zu tippen.«
»Ich freue mich, Sie so zufrieden zu sehen.« Vidal lächelte siegesgewiss.
»Ich glaube, es wird etwas Großes werden. Nach so vielen schon verloren geglaubten Monaten habe ich die ersten fünfzig Seiten wieder gelesen, die Cristina abgetippt hat, und über mich selbst gestaunt. Ich glaube, auch du wirst staunen. Du wirst sehen, dass ich dir noch einiges beibringen kann.«
»Daran habe ich nie gezweifelt, Don Pedro.«
An jenem Nachmittag trank Vidal mehr als sonst. Mit den Jahren hatte ich gelernt, die ganze Bandbreite seiner Besorgnisse und Bedenken zu erkennen, und ich nahm an, dies war nicht einfach ein Höflichkeitsbesuch. Nachdem er meinen gesamten Anisvorrat liquidiert hatte, schenkte ich ihm ein großzügiges Glas Brandy ein und wartete.
»David, es gibt Dinge, über die wir beide noch nie gesprochen haben …«
»Über Fußball zum Beispiel.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich höre, Don Pedro.«
Er schaute mich lange an und zögerte.
»Ich habe immer versucht, dir ein guter Freund zu sein, David. Das weißt du doch, nicht wahr?«
»Sie sind sehr viel mehr gewesen als das, Don Pedro. Ich weiß es, und Sie wissen es auch.«
»Manchmal frage ich mich, ob ich mit dir nicht hätte ehrlicher sein müssen.«
»In welcher Beziehung?«
Vidal tauchte den Blick in sein Brandyglas.
»Es gibt Dinge, die ich dir nie erzählt habe, David. Dinge, über die ich mit dir vielleicht schon vor Jahren hätte sprechen müssen …«
Ich ließ einen Augenblick verstreichen, der zu einer Ewigkeit wurde. Was immer Vidal mir auch erzählen wollte – es war klar, dass aller Brandy der Welt es nicht aus ihm herausbrächte.
»Machen Sie sich keine Gedanken, Don Pedro. Wenn Sie Jahre damit gewartet haben, kann es auch noch bis morgen warten.«
»Morgen habe ich möglicherweise nicht mehr den Mut, es dir zu erzählen.«
Mir wurde bewusst, dass ich ihn noch nie so angsterfüllt erlebt hatte. Etwas war ihm im Herzen stecken geblieben, und allmählich berührte es mich unangenehm, ihn in diesem Zustand zu sehen.
»Lassen Sie uns Folgendes machen, Don Pedro. Wenn Ihr Buch und mein Buch veröffentlicht werden, treffen wir uns, um darauf anzustoßen, und Sie erzählen mir, was Sie mir zu erzählen haben. Sie laden mich in eines der piekfeinen Restaurants ein, wo man mich nur mit Ihnen hereinlässt, und berichten mir alles, was Sie auf dem Herzen haben. In Ordnung?«
Als es dunkel wurde, begleitete ich ihn zum Paseo del Born, wo neben dem Hispano-Suiza Pep in Manuels Uniform wartete, die ihm fünf Nummern zu groß war, genau wie das Auto. Die Karosserie war mit frischen Kratzern und Beulen verziert, die einem in der Seele wehtaten.
»In gemächlichem Trab, ja, Pep?«, riet ich ihm. »Kein Galopp. Langsam, aber sicher, als wär’s eine Schindmähre.«
»Ja, Señor Martín. Langsam, aber sicher.«
Beim Abschied umarmte mich Vidal kräftig, und als er einstieg, hatte ich das Gefühl, das Gewicht der ganzen Welt laste auf seinen Schultern.