23. Dezember 2013
Sankt-Anna-Schärengarten, Schweden

«Wir haben jetzt keine Zeit dafür», sagte der Mann.

Etwas Flehendes lag in seiner Stimme. Eine Spur Hoffnungslosigkeit in seinen Worten, die eben noch so vernünftig, besonnen geklungen hatten.

Klaras Blick ließ ihn nicht los. Die innere Leere, die sie empfand, wollte nicht weichen, aber für einen Moment war sie von einer gleißenden Wut verdrängt worden. Die Knöchel ihrer rechten Hand taten weh, dort, wo sie seine Schläfe getroffen hatten. Alles, was sich seit dem Mord an Mahmoud in ihr aufgestaut hatte, plötzlich hatte es sie überwältigt, sie die Beherrschung verlieren lassen.

Aber jetzt merkte sie, wie der Zorn nachließ, wie die Welt um sie herum wieder Konturen bekam. Sie wollte diese herrliche Wut festhalten, versuchte sich darauf zu konzentrieren, damit sie nicht versickerte, zurück in den Abgrund, und sie mit dem Gefühl der Leere und dem Kummer allein ließ. Aber sie ließ sich nicht greifen. Rann wie Sand durch ihre Finger.

Klara setzte sich auf das Sofa. Ihr Kopf war schwer, schien plötzlich Tonnen zu wiegen. Sie musste ihn in die Hände stützen. Irgendwo neben sich nahm sie Gabriellas Duft wahr. Irgendwo, vielleicht in ihrem Nacken, spürte sie die rauen Hände ihres Großvaters. Nach einer Ewigkeit wandte sie ihr Gesicht wieder dem Mann zu.

«Du sagst also, dass du uns lebend aus dieser Sache rausbringen kannst? Am besten erzählst du, wie.»

Der Mann ging erneut vor ihr in die Hocke. Dort, wo sie ihn mit ihrer Faust getroffen hatte, zeichnete sich bereits eine rote Stelle ab.

«Du hast eine ganz schön üble Rechte», bemerkte er mit einem leisen Lächeln auf den Lippen.

Etwas an diesem Lächeln kam ihr so vertraut vor, viel zu vertraut. So viele Fragen, die sie nicht stellen konnte. So viele Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen und auf die Zukunft verschoben werden mussten.

«Was machen wir jetzt?»

«Zuerst muss ich mir ein Bild davon machen, was auf dem Laptop ist», sagte er. «Das ist eure Verhandlungsgrundlage.»

Er hielt einen Moment inne, bevor er fortfuhr. Es schien, als würde er einen unbestimmten Zweifel hegen.

«Mein Auftrag lautet, den Rechner zu sichern und mich zu vergewissern, dass ihr keine Kopien des Materials angefertigt habt. Meine Chefin hat mir die Befugnis erteilt, euch zu versichern, dass die Angelegenheit damit erledigt ist. Dass alles vorbei ist, wenn ihr den Laptop übergebt.»

Er sagte es auf eine seltsame Art, als schwankte er oder wäre unschlüssig. Als nagte etwas an ihm, das ihm keine Ruhe ließ.

«Aber ich vertraue meiner Chefin nicht», fügte er schließlich hinzu. «Ich vertraue niemandem. Wenn ihr ihnen den Rechner überlasst, bleibt euch nichts, um zu verhandeln. Und wenn ihr nichts zum Verhandeln habt, seid ihr rechtlos. So viele sind schon gestorben. Wenn ihr auch noch draufgeht, spielt das keine Rolle für sie. Beziehungsweise, natürlich spielt es eine Rolle, sie sind ja keine Ungeheuer. Aber das Risiko bei diesen Informationen ist zu groß. Wenn ihr nach allem, was ihr gesehen habt und was ihr wisst, euren einzigen Trumpf hergebt …»

Er verstummte, drehte den Kopf zum Fenster. Etwas dort hatte seine Aufmerksamkeit gefesselt. So hockte er einen flüchtigen Moment da, bis er aufstand und erstaunlich schnell, fast graziös, den Raum durchquerte. Aus der Dufflebag neben der Tür zog er ein Maschinengewehr in Tarnfarben. Ein metallisches Geräusch erklang, als er ein Magazin einsetzte. Ein Klick, als er das Fernrohr darauf befestigte. Er schloss seine Jacke, zog die Kapuze hoch.

«Wartet hier. Und was immer ihr tut, haltet euch von den Fenstern fern.»

Mit diesen Worten öffnete er leise die Tür und verschwand in der Dunkelheit.

«Was geht hier vor?», flüsterte Gabriella. Sie umklammerte Klaras Hand fester.

«Er hat es auch gehört», meldete sich Klaras Großvater zu Wort. «Einen Motor. Es klingt, als würde sich ein Boot nähern.»