vorschreibt und der Tod aller ist. Nach innen verlängert sich der Block in den borniert ichlichen Strebungen, dann in den Neurosen. Diese absorbieren, wie man weiß, ein unmäßiges Quantum verfügbarer menschlicher Kraft und verhindern, auf der Linie des geringsten Widerstandes, mit der Schlauheit des Unbewußten jenes Richtige, das unweigerlich der befangenen Selbsterhaltung widerspricht. Dabei haben die Neurosen es um so leichter, können um so besser sich rationalisieren, als das selbsterhaltende Prinzip in einem Stand der Freiheit ebenso zu dem Seinen kommen müßte wie die Interessen der anderen, die es a priori schädigt. Neurosen sind Stützen der Gesellschaft; sie vereiteln bessere Möglichkeiten der Menschen und damit das objektiv Bessere, das die Menschen herbeiführen könnten. Die Instinkte, die über den falschen Zustand hinausdrängen, stauen sie tendenziell auf den Narzißmus zurück, der im falschen Zustand sich befriedigt. Das ist ein Scharnier im Mechanismus des Bösen: Schwäche, die sich womöglich als Stärke verkennt. Am Ende wäre der intelligible Charakter der gelähmte vernünftige Wille. Was dagegen an ihm für das Höhere, Sublimere, vom Niedrigen Unverschandelte gilt, ist wesentlich seine eigene Bedürftigkeit, die Unfähigkeit, das Erniedrigende zu verändern; Versagung, die sich zum Selbstzweck stilisiert. Gleichwohl ist nichts Besseres unter den Menschen als jener Charakter; die Möglichkeit, ein anderer zu sein, als man ist, während doch alle in ihrem Selbst eingesperrt sind und dadurch abgesperrt noch von ihrem Selbst. Der eklatante Mangel der Kantischen Lehre, das sich Entziehende, Abstrakte des intelligiblen Charakters, hat auch etwas von der Wahrheit des Bilderverbots, welches die nach-Kantische Philosophie, Marx inbegriffen, auf alle Begriffe vom Positiven ausdehnte. Als Möglichkeit des Subjekts ist der intelligible Charakter wie die Freiheit ein Werdendes, kein Seiendes. Er wäre verraten, sobald er dem Seienden durch Deskription, auch die vorsichtigste, einverleibt würde. Im richtigen Zustand wäre alles, wie in dem jüdischen Theologumenon, nur um ein Geringes anders als es ist, aber nicht das Geringste läßt so sich vorstellen, wie es dann wäre. Trotzdem ist vom intelligiblen Charakter nur insofern zu reden, wie er nicht abstrakt und ohnmächtig über dem Seienden schwebt, sondern in dessen schuldhaftem Zusammenhang, und von ihm gezeitigt, stets wieder real aufgeht. Der Widerspruch von Freiheit und Determinismus ist nicht, wie das Selbstverständnis der Vernunftkritik es möchte, einer zwischen den theoretischen Positionen des Dogmatismus und Skeptizismus, sondern einer der Selbsterfahrung der Subjekte, bald frei, bald unfrei. Unterm Aspekt von Freiheit sind sie mit sich unidentisch, weil das Subjekt noch keines ist, und zwar gerade vermöge seiner Instauration als Subjekt: das Selbst ist das Inhumane. Freiheit und intelligibler Charakter sind mit Identität und Nichtidentität verwandt, ohne clare et distincte auf der einen oder anderen Seite sich verbuchen zu lassen. Frei sind die Subjekte, nach Kantischem Modell, soweit, wie sie ihrer selbst bewußt, mit sich identisch sind; und in solcher Identität auch wieder unfrei, soweit sie deren Zwang unterstehen und ihn perpetuieren. Unfrei sind sie als nichtidentische, als diffuse Natur, und doch als solche frei, weil sie in den Regungen, die sie überwältigen – nichts anderes ist die Nichtidentität des Subjekts mit sich –, auch des Zwangscharakters der Identität ledig werden. Persönlichkeit ist die Karikatur von Freiheit. Die Aporie hat den Grund, daß Wahrheit jenseits des Identitätszwanges nicht dessen schlechthin Anderes wäre, sondern durch ihn vermittelt. Alle Einzelnen sind in der vergesellschafteten Gesellschaft des Moralischen unfähig, das gesellschaftlich gefordert ist, wirklich jedoch nur in einer befreiten Gesellschaft wäre. Gesellschaftliche Moral wäre einzig noch, einmal der schlechten Unendlichkeit, dem verruchten Tausch der Vergeltung sein Ende zu bereiten. Dem Einzelnen indessen bleibt an Moralischem nicht mehr übrig, als wofür die Kantische Moraltheorie, welche den Tieren Neigung, keine Achtung konzediert63, nur Verachtung hat: versuchen, so zu leben, daß man glauben darf, ein gutes Tier gewesen zu sein.
Fußnoten
1 [*] Die Kantischen Gedankenexperimente sind nicht unähnlich der existentialistischen Ethik. Kant, der wohl wußte, daß der gute Wille sein Medium in der Kontinuität eines Lebens hat und nicht in der isolierten Tat, spitzt im Experiment, damit es beweise, was es soll, den guten Willen in die Entscheidung zwischen zwei Alternativen zu. Jene Kontinuität gibt es kaum mehr; darum klammert Sartre sich einzig an die Entscheidung, in einer Art Regression aufs achtzehnte Jahrhundert. Während jedoch an der Alternativsituation Autonomie demonstriert werden soll, ist sie heteronom vor allen Inhalten. Kant muß im einen seiner Beispiele für Entscheidungssituationen einen Despoten aufbieten; analog stammen die Sartreschen vielfach aus dem Faschismus, wahr als dessen Denunziation, nicht als condition humaine. Frei wäre erst, wer keinen Alternativen sich beugen müßte, und im Bestehenden ist es eine Spur von Freiheit, ihnen sich zu verweigern. Freiheit meint Kritik und Veränderung der Situationen, nicht deren Bestätigung durch Entscheidung inmitten ihres Zwangsgefüges. Als Brecht dem kollektivistischen Lehrstück vom Jasager, nach einer Diskussion mit Schülern, den abweichenden Neinsager folgen ließ, hat er jener Einsicht, seinem offiziellen Credo trotzend, zum Durchbruch verholfen.
2 [*] Die »Vorstellung gewisser Gesetze« läuft auf den Begriff der reinen Vernunft hinaus, die ja Kant als »das Vermögen der Erkenntnis aus Prinzipien« definiert.
3 [*] »Unter einem Begriffe der praktischen Vernunft verstehe ich die Vorstellung eines Objects als einer möglichen Wirkung durch Freiheit. Ein Gegenstand der praktischen Erkenntniß als einer solchen zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung, dadurch er oder sein Gegentheil wirklich gemacht würde, und die Beurtheilung, ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei oder nicht, ist nur die Unterscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diejenige Handlung zu wollen, wodurch, wenn wir das Vermögen dazu hätten (worüber die Erfahrung urtheilen muß), ein gewisses Object werden würde.« (Kant, Kritik der praktischen Vernunft, WW V, Akademie-Ausgabe, S. 57.)
4 [*] »Denn das, was uns nothwendig über die Grenze der Erfahrung und aller Erscheinungen hinaus zu gehen treibt, ist das Unbedingte, welches die Vernunft in den Dingen an sich selbst nothwendig und mit allem Recht zu allem Bedingten und dadurch die Reihe der Bedingungen als vollendet verlangt. Findet sich nun, wenn man annimmt, unsere Erfahrungserkenntnis richte sich nach den Gegenständen als Dingen an sich selbst, daß das Unbedingte ohne Widerspruch gar nicht gedacht werden könne; dagegen, wenn man annimmt, unsere Vorstellung der Dinge, wie sie uns gegeben werden, richte sich nicht nach diesen als Dingen an sich selbst, sondern diese Gegenstände vielmehr als Erscheinungen richten sich nach unserer Vorstellungsart, der Widerspruch wegfalle; und daß folglich das Unbedingte nicht an Dingen, sofern wir sie kennen (sie uns gegeben werden), wohl aber an ihnen, sofern wir sie nicht kennen, als Sachen an sich selbst angetroffen werden müsse: so zeigt sich, daß, was wir anfangs nur zum Versuche annahmen, gegründet sei.« (Kant, Kritik der reinen Vernunft, WW III, Akademie-Ausgabe, S. 13f.)
5 [*] »Hegel war der erste, der das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit. ›Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird.‹ Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. Es gilt dies mit Beziehung sowohl auf die Gesetze der äußern Natur, wie auf diejenigen, welche das körperliche und geistige Dasein des Menschen selbst regeln – zwei Klassen von Gesetzen, die wir höchstens in der Vorstellung, nicht aber in der Wirklichkeit voneinander trennen können. Freiheit des Willens heißt daher nichts andres als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können. Je freier also das Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist, mit desto größerer Notwendigkeit wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt sein; während die auf Unkenntnis beruhende Unsicherheit, die zwischen vielen verschiednen und widersprechenden Entscheidungsmöglichkeiten scheinbar willkürlich wählt, eben dadurch ihre Unfreiheit beweist, ihr Beherrschtsein von dem Gegenstande, den sie grade beherrschen sollte. Freiheit besteht also in der, auf Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die äußere Natur; sie ist damit notwendig ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung.« (Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Berlin 1962, Bd. 20, S. 106.)
6 [*] »Hieraus erhellt nun, daß der Schematismus des Verstandes durch die transcendentale Synthesis der Einbildungskraft auf nichts anders, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in dem inneren Sinne und so indirekt auf die Einheit der Apperception als Function, welche dem innern Sinn (einer Receptivität) correspondirt, hinauslaufe. Also sind die Schemata der reinen Verstandesbegriffe die wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objecte, mithin Bedeutung zu verschaffen, und die Kategorien sind daher am Ende von keinem andern als einem möglichen empirischen Gebrauche, indem sie bloß dazu dienen, durch Gründe einer a priori nothwendigen Einheit (wegen der nothwendigen Vereinigung alles Bewußtseins in einer ursprünglichen Apperception) Erscheinungen allgemeinen Regeln der Synthesis zu unterwerfen und sie dadurch zur durchgängigen Verknüpfung in einer Erfahrung schicklich zu machen.« (Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 138.)
7 [*] Dem Tenor der Kritik der reinen Vernunft gemäß ist dort noch die entgegengesetzte Intention anzutreffen: »Je übereinstimmender die Gesetzgebung und Regierung mit dieser Idee eingerichtet wären, desto seltener würden allerdings die Strafen werden, und da ist es denn ganz vernünftig (wie Plato behauptet), daß bei einer vollkommenen Anordnung derselben gar keine dergleichen nöthig sein würden.« (Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 248.)
8 [*] »Wir können also mit der Beurtheilung freier Handlungen in Ansehung ihrer Causalität nur bis an die intelligibele Ursache, aber nicht über dieselbe hinaus kommen; wir können erkennen, daß sie frei, d.i. von der Sinnlichkeit unabhängig bestimmt, und auf solche Art die sinnlich unbedingte Bedingung der Erscheinungen sein könne. Warum aber der intelligibele Charakter gerade diese Erscheinungen und diesen empirischen Charakter unter vorliegenden Umständen gebe, das überschreitet so weit alles Vermögen unserer Vernunft es zu beantworten, ja alle Befugniß derselben nur zu fragen, als ob man früge: woher der transcendentale Gegenstand unserer äußeren sinnlichen Anschauung gerade nur Anschauung im Raume und nicht irgendeine andere gebe.« (Kant, Kritik der reinen Vernunft, a.a.O., S. 376f.)
9 [*] »Diese ›Entfremdung‹, um den Philosophen verständlich zu bleiben, kann natürlich nur unter zwei praktischen Voraussetzungen aufgehoben werden.« (Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, Berlin 1960, S. 31.)
10 [*] Kurz nach der Publikation von Heideggers Hauptwerk konnte bereits an Kierkegaards Existenzbegriff dessen objektiv-ontologische Implikation und der Umschlag des objektlosen Innen in negative Objektivität nachgewiesen werden. (Vgl. Theodor W. Adorno, Kierkegaard. Konstruktion des Ästhetischen, Frankfurt am Main 1962, S. 87ff. [GS 2, s. S. 70ff.])
11 [*] »Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann.« (Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, § C, WW VI, Akademie-Ausgabe, S. 230.)
12 [*] Dem Begriff des Intelligiblen ist bequem vorzurechnen, es wäre verboten, unbekannte Ursachen der Erscheinungen auch nur in äußerster Abstraktion positiv zu erwähnen. Mit einem Begriff, über den schlechterdings nichts sich sagen läßt, wäre nicht zu operieren, er wäre gleich Nichts, Nichts auch sein eigener Gehalt. Daran hatte der deutsche Idealismus eines seiner wirksamsten Argumente gegen Kant, ohne daß er sich viel bei der Kantisch-Leibniz'schen Idee des Grenzbegriffs aufgehalten hätte. Gegen Fichtes und Hegels plausible Kritik an Kant indessen wäre zu remonstrieren. Sie folgt ihrerseits der traditionellen Logik, welche von etwas zu reden als eitel verwehrt, was nicht auf Sachgehalte zu reduzieren sei, welche die Substanz jenes Begriffs ausmachten. Die Idealisten haben, in ihrer Rebellion gegen Kant, übereifrig das Prinzip vergessen, dem sie gegen jenen folgten: daß die Konsequenz des Gedankens zur Konstruktion von Begriffen nötige, die keinen Repräsentanten an positiv bestimmbarer Gegebenheit haben. Der Spekulation zuliebe denunzierten sie Kant als Spekulanten, schuldig des gleichen Positivismus, dessen sie ihn bezichtigten. In dem angeblichen Fehler der Kantischen Apologie des Dinges an sich, den die Konsequenzlogik seit Maimon so triumphal beweisen konnte, überlebt in Kant die Erinnerung an das gegen die Konsequenzlogik widerspenstige Moment, die Nichtidentität. Darum hat er, der die Konsequenz seiner Kritiker gewiß nicht verkannte, gegen diese protestiert und sich lieber des Dogmatismus überführen lassen als die Identität zu verabsolutieren, deren eigenem Sinn, wie Hegel rasch genug erkannte, die Beziehung auf ein Nichtidentisches unabdingbar ist. Die Konstruktion von Ding an sich und intelligiblem Charakter ist die eines Nichtidentischen als der Bedingung der Möglichkeit von Identifikation, aber auch die dessen, was der kategorialen Identifizierung entschlüpft.
13 [*] Zum Verhältnis der Kantischen Willenslehre und der von Leibniz und Spinoza vgl. Johann Eduard Erdmann, Geschichte der neueren Philosophie, Neudruck Stuttgart 1932, insbes. Vierter Band, S. 128ff.
14 [*] »Den innigsten Dank, mein höchstschätzbarer und geliebtester Freund, für die Eröffnung ihrer gütigen Gesinnungen gegen mich, die mir sammt Ihrem schönen Geschenk den Tag nach meinem Geburtstage richtig zu Handen gekommen sind! Das von Hrn Loewe, einem jüdischen Maler, ohne meine Einwilligung ausgefertigte Portrait, soll, wie meine Freunde sagen, zwar einen Grad Ähnlichkeit mit mir haben, aber ein guter Kenner von Mahlereyen sagte beym ersten Anblick: ein Jude mahlt immer wiederum einen Juden; wovon er den Zug an der Nase setzt: Doch hievon genug.« (Aus: Kants Briefwechsel, Band II, 1789–1794, Berlin 1900, S. 33.)