Sieben

Im Anflug auf Hela

2615

 

 

Die Räubertochter fiel wie eine goldene Schneeflocke durch das stauberfüllte Vakuum des interplanetaren Raums. Seit Quaiche Morwenna verlassen hatte, waren drei Stunden vergangen; seine Botschaft an die königliche Kommandantin der Gnostische Himmelfahrt schlängelte sich, ein dünner Photonenfaden, noch immer durch den Weltraum. Quaiche verglich sie mit den Lichtern eines Zuges, der durch die Weiten eines stockdunklen Kontinents fuhr, und erschauerte angesichts der riesigen Entfernungen, die ihn von anderen intelligenten Wesen trennten.

Aber er hatte schon schlimmere Situationen überstanden, und diesmal war der Erfolg immerhin zum Greifen nahe. Die Brücke auf Hela war noch da; sie war keine Halluzination der Sensoren, kein Hirngespinst, geboren aus seinem verzweifelten Wunsch, etwas zu finden. Und je näher er kam, desto höher wurde die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein echtes technisches Artefakt war und nicht irgendetwas anderes. Quaiche hatte sich oft genug irreführen lassen – von geologischen Formationen etwa, die aussahen wie auf dem Reißbrett entworfen, von einem Bildhauer liebevoll geformt oder in Massenproduktion hergestellt –, aber mit diesem Objekt war nichts von alledem zu vergleichen. Sein Instinkt sagte ihm, dass hier nicht die Geologie am Werk gewesen war, aber die Frage, wer – oder was – das Ding geschaffen hatte, war nicht so leicht zu beantworten. Schließlich sah es immer noch so aus, als wäre 107 Piscium vor ihm von niemandem besucht worden. Eine Mischung aus heiliger Scheu, Angst und wilder Hoffnung ließ ihn erschauern.

In seinem Blut erwachte das Indoktrinationsvirus, ein Ungeheuer, das sich herumwälzte und verschlafen ein Auge öffnete. Es war immer gegenwärtig, aber meistens schlief es und störte ihn weder im Traum noch im Wachen. Wenn es aufwallte, durch seine Adern tobte und ihm in den Ohren dröhnte wie ferner Donner, hatte er Visionen. Dann sah er bunte Kirchenfenster am Himmel und hörte Orgelmusik im subsonischen Grollen der Korrekturschübe, die aus den Triebwerken seiner winzigen Landefähre kamen.

Quaiche zwang sich zur Ruhe. Gerade jetzt durfte das Virus nicht die Oberhand gewinnen. Später, wenn er wieder wohlbehalten auf der Dominatrix saß, mochte es ihn seinethalben in einen sabbernden, Unsinn brabbelnden Idioten verwandeln. Aber nicht jetzt und nicht hier. Jetzt brauchte er seinen klaren Verstand so dringend wie nie zuvor.

Das Monster gähnte und schlief weiter.

Quaiche war erleichtert. Er hatte also doch noch eine gewisse Kontrolle über das Virus.

Er kehrte in Gedanken zur Brücke zurück, doch diesmal war er vorsichtiger und ließ sich nicht von dem kosmischen Schauer überwältigen, der beinahe das Virus geweckt hätte.

Konnte er wirklich ausschließen, dass sie von Menschen errichtet worden war? Menschen luden ihren Müll schließlich überall ab. Ihre Schiffe spuckten Radioisotope aus und hinterließen glitzernde Streifen auf Monden und Planeten. Aus ihren Raumanzügen und Habitats entweichende Atome umgaben bis dahin atmosphärelose Himmelskörper mit hauchdünnen Gashüllen. Die Partialdrücke der einzelnen Gase waren todsichere Indizien. Menschen deponierten Navigationstransponder, Servomaten, Brennstoffzellen und Abfälle. Kleine gelbe Schneebälle aus Menschenpisse umkreisten wie kleine Ringsysteme die Planeten. Man fand auch menschliche Leichen, und hin und wieder – häufiger, als Quaiche gedacht hätte – waren es Mordopfer.

Es war nicht immer ganz einfach, aber Quaiche hatte ein besonderes Gespür entwickelt: Er kannte die Zeichen und wusste auch, wo er zu suchen hatte. Und um 107 Piscium waren keine Spuren menschlicher Anwesenheit zu entdecken.

Dennoch hatte irgendjemand diese Brücke gebaut.

Vielleicht waren seither Jahrhunderte vergangen; dann wären inzwischen die meisten Spuren verwischt. Aber wenn die Brückenbauer nicht extrem reinlich gewesen waren, müsste doch noch irgendetwas zu finden sein. Quaiche hatte noch nie gehört, dass jemand in diesem Ausmaß Großreinemachen betrieben hätte. Und warum hätte man das Bauwerk so weit von den großen Handelszentren entfernt versteckt? Selbst wenn sich gelegentlich Besucher in das System verirrten, lag 107 Piscium keinesfalls an den großen Handelsrouten. Wollten diese Künstler nicht, dass jemand ihr Werk sah?

Vielleicht war genau dies ihre Absicht gewesen: Vielleicht sollte das Bauwerk hier stehen und im Licht von 107 Piscium funkeln, bis jemand es zufällig fände? Vielleicht war Quaiche auch so spät noch die ahnungslose Zielscheibe eines Jahrhunderte umspannenden kosmischen Witzes?

Aber das glaubte er nicht.

Sicher war nur, dass es ein schwerer Fehler gewesen wäre, Jasmina mehr zu verraten, als er es getan hatte. Zum Glück hatte er der Versuchung widerstanden, ihr seinen Wert zu beweisen. Wenn er jetzt mit einem sensationellen Fund zurückkam, würde er als jemand dastehen, der sich äußerster Zurückhaltung befleißigt hatte. Nein, seine letzte Nachricht war in ihrer Kürze genau richtig gewesen. Er war stolz auf sich.

Jetzt war das Virus doch erwacht, vielleicht hatte sein fataler Stolz es aktiviert. Er hätte seine Gefühle im Zaum halten müssen. Aber nun war es zu spät: Der Punkt, bis zu dem sich das Feuer noch ersticken ließ, war überschritten. Noch konnte er freilich nicht sagen, ob es ein schwerer Anfall werden würde. Er murmelte zur Beschwichtigung ein paar lateinische Phrasen. Wenn er den Forderungen des Virus zuvorkam, fielen die Attacken manchmal etwas milder aus.

Gewaltsam wie ein Betrunkener, der sich zu konzentrieren versucht, lenkte er seine Gedanken wieder auf Haldora. Ein merkwürdiges Gefühl, auf eine Welt zuzustürzen, der er selbst ihren Namen gegeben hatte.

In einer interstellaren Kultur, die lediglich lichtschnelle Verbindungen kannte, war die Nomenklatur ein schwieriges Geschäft. Alle großen Raumschiffe hatten Datenbanken, in denen verschiedene Sterne samt ihren Welten und deren Trabanten gespeichert waren. In den Kernsystemen – im Umkreis von einem Dutzend Lichtjahren von der Erde – war es kein Problem, man behielt einfach die Namen bei, die Jahrhunderte zuvor bei der ersten interstellaren Erkundungswelle vergeben worden waren. Doch sobald man auf unerforschtes Gebiet vordrang, wurde das Verfahren unübersichtlich und kompliziert. Wenn die Dominatrix behauptete, die Welten um 107 Piscium hätten niemals Namen bekommen, dann hieß das nur, dass in der Schiffsdatenbank nichts darüber verzeichnet war. Doch diese Datenbank war vielleicht seit Jahrzehnten nicht mehr ernsthaft aktualisiert worden; die anarchistischen Ultras hielten nicht viel vom Informationsaustausch mit einer zentralen Behörde, sondern verständigten sich lieber direkt von Schiff zu Schiff. Wenn zwei oder mehr Lichtschiffe zusammentrafen, verglichen sie ihre Nomenklaturtafeln miteinander und brachten sie auf den neuesten Stand. Wenn Schiff Nummer eins einer Gruppe von Welten und den dazugehörigen geografischen Merkmalen Namen zugewiesen hatte und Schiff Nummer zwei keine aktuelleren Einträge für diese Himmelskörper fand, pflegte es diese Namen in seine Datenbank aufzunehmen. Dort wurden sie manchmal so lange als provisorisch gekennzeichnet, bis ein drittes Schiff bestätigte, dass sie noch frei waren. Stimmten die Einträge zweier Schiffe nicht überein, dann wurden die Datenbanken gleichzeitig aktualisiert, und die jeweilige Welt erhielt zwei gleich wahrscheinliche Namen. Widersprachen sich die Einträge bei drei oder mehr Schiffen, dann wurden die Einträge verglichen, und falls zwei oder mehr gleiche Einträge zeitlich vor einem dritten lagen, so wurde letzterer gelöscht oder in einer Unterdatei für fragliche oder inoffizielle Bezeichnungen gespeichert. War ein System tatsächlich zum ersten Mal benannt worden, dann eroberten die neuen Namen mit der Zeit die Datenbanken der meisten Schiffe, doch das konnte sich über Jahrzehnte hinziehen. Quaiches Tafeln waren nur so aktuell wie die der Gnostische Himmelfahrt, und da Jasmina wenig Kontakt mit anderen Ultras pflegte, konnte er nicht ausschließen, dass das System bereits mit anderen Namen versehen war. In diesem Fall würden seine eigenen, liebevoll ausgewählten Bezeichnungen immer wieder aussortiert werden, bis sie schließlich nur noch auf der untersten Prioritätsebene der Schiffsdatenbanken herumgeisterten – oder vollends gelöscht wurden.

Doch zunächst und vielleicht noch auf Jahre hinaus hatte er hier das Sagen. Er hatte die Welt Haldora genannt, und solange niemand Einspruch erhob, war dieser Name so offiziell wie jeder andere. Morwenna hatte allerdings Recht. Er hatte eigentlich nur freie Namen aus den Nomenklaturtafeln genommen und sie dem nächstbesten Objekt angeheftet, zu dem sie halbwegs passten. Sollte sich das System tatsächlich als wichtig herausstellen, dann müsste er vielleicht etwas mehr Sorgfalt walten lassen.

Wenn sich die Brücke als echtes Artefakt erwiese, würde diese Welt womöglich zum Ziel zahlloser Pilgerfahrten.

Quaiche lächelte. Vorerst waren die Namen gut genug; wenn sie ihm nicht mehr gefielen, konnte er sie später immer noch ändern.

Er kontrollierte die Entfernung: Hela war nur noch gut einhundertfünfzigtausend Kilometer weit weg. Bis vor kurzem hatte sich die helle Seite des Mondes noch als flache Scheibe gezeigt, graubraun wie schmutziges Eis, unterbrochen von matt weißen, ockergelben, blassblauen und helltürkisen Streifen. Inzwischen war die Scheibe dreidimensional geworden und wölbte sich ihm entgegen wie ein blindes menschliches Auge.

Hela war klein, aber nur im Vergleich zu erdähnlichen Planeten. Für einen Mond waren die Werte ganz beachtlich: Es maß von Pol zu Pol dreitausend Kilometer und stand mit seiner mittleren Dichte am oberen Ende der Liste von Trabanten, die Quaiche kannte. Es war sphärisch und wies nur wenige Einschlagkrater auf. Die Atmosphäre war zu vernachlässigen, aber die Oberflächentopologie ließ erkennen, dass es in jüngerer Vergangenheit zu geologischen Veränderungen gekommen sein musste. Auf den ersten Blick schien der Mond mit Haldora in gebundener Rotation zu stehen und seiner Mutterwelt immer dieselbe Seite zuzuwenden, aber die Kartografiesoftware hatte dann doch eine geringe Restrotation entdeckt. Bei gebundener Rotation wäre die Rotationsperiode genau so lang gewesen wie ein Umlauf: in diesem Fall vierzig Stunden. Für den Mond der Erde und viele andere Monde, die Quaiche besucht hatte, galt: Von einem bestimmten Punkt der Oberfläche aus betrachtet, stand der Planet, um den der Mond kreiste – sei es die Erde oder ein Gasriese wie Haldora –, immer an derselben Stelle am Himmel.

Auf Hela war das nicht anders. Selbst wenn man hier am Äquator eine Stelle fände, wo Haldora genau über einem stand und zwanzig Grad des Himmels verdeckte, würde der Planet abdriften und sich in einem 40-Stunden-Umlauf um knapp zwei Grad verschieben. In achtzig Standardtagen – etwas mehr als zwei Standardmonaten – versänke Haldora unter Helas Horizont, um einhundertsechzig Tage später auf der gegenüberliegenden Seite wieder aufzutauchen. Nach dreihundertzwanzig Tagen stünde es wieder wie zu Anfang des Zyklus im Zenith.

Die relative Abweichung zwischen der Umlaufperiode von Hela und einer rotationsgebundenen betrug nur ein Zweihundertstel. Rotationsbindungen waren eine unvermeidliche Folge der Gezeitenkräfte, die auf zwei in geringer Entfernung umeinander kreisenden Körper einwirkten, aber bis der Ausgleich vollständig war, dauerte es lange. Vielleicht hatte Hela die gebundene Konfiguration noch nicht erreicht und musste noch langsamer werden, oder es war in jüngerer Zeit – etwa bei einer Streifkollision durch einen anderen Himmelskörper – erschüttert worden. Eine dritte Möglichkeit wäre eine Störung des Orbits durch eine gravitationelle Wechselwirkung mit einem schweren dritten Körper.

Alle drei Alternativen waren denkbar, wenn man wie Quaiche die Geschichte des Systems nicht kannte. Doch die Unvollkommenheit störte ihn. Sie war so enervierend wie eine Uhr, die fast genau ging. Auf Erscheinungen wie diese hätte er wohl verwiesen, wenn jemand behauptet hätte, der Kosmos sei das Ergebnis eines göttlichen Schöpfungsaktes. Welcher Schöpfer hätte so etwas zugelassen, wenn ein winziger Schubs genügt hätte, um den Fehler zu korrigieren?

Das Virus in seinem Blut erreichte Siedetemperatur und wallte auf. Es mochte solche Überlegungen nicht.

Er zwang sich, wieder an Helas Topografie zu denken, ein sicheres Thema. Vielleicht ließ sich die Brücke von ihrem Standort her erklären. Sie war mehr oder weniger ost-westlich ausgerichtet, also in Rotationsrichtung des Mondes. Sie befand sich sehr nahe am Äquator und überspannte einen tiefen Einschnitt, das auffallendste geografische Merkmal. Der Riss begann unweit des Nordpols und zog sich schräg über den Äquator nach Süden. Am breitesten und tiefsten war er in Äquatornähe, aber auch viele hundert Kilometer nördlich oder südlich davon war er noch sehr beeindruckend.

Er hatte ihm den Namen Ginnungagap-Spalte gegeben.

Die Spalte fiel von Nordosten nach Südwesten ab. Westlich davon lag in der nördlichen Hemisphäre eine geologisch komplexe gebirgige Hochebene, der er den Namen Westliches Hyrrokkin-Hochland gegeben hatte. Das Östliche Hyrrokkin-Hochland zog sich um den Pol herum und grenzte von der anderen Seite her an die Spalte. Im Süden des westlichen Gebirges, aber immer noch nördlich des Äquators, befand sich ein Massiv, dem Quaiche den Namen Glanzheidenkette beschert hatte. Südlich des Äquators erhob sich ein weiterer Gebirgszug, die Gullveig-Kette. Westlich davon waren zu beiden Seiten der Tropen die Gudbrand-Spitze, die Kelda-Ebene, das Ödland von Vigrid und das Jord-Horn zu erkennen. Für Quaiche hatten all diese Namen einen berauschend historischen Klang, so als hätte diese Welt bereits eine reiche Geschichte, geprägt von siegreichen Eroberungen und mühsamen Grenzüberschreitungen, bevölkert von Heerscharen von kühnen und tapferen Helden.

Natürlich kehrte sein Blick bald wieder zur Ginnungagap-Spalte mit ihrer wundersamen Brücke zurück. Noch waren kaum Einzelheiten zu erkennen, aber die Brücke war ganz offensichtlich zu fein gegliedert, zu kunstvoll gestaltet und zu zierlich für eine Landzunge, die durch einen Erosionsprozess entstanden war. Sie war bewusst an diese Stelle gebaut worden, und Quaiche hatte nicht den Eindruck, als hätten dabei Menschen die Hand im Spiel gehabt.

Was nicht heißen sollte, dass die Menschen dazu nicht fähig gewesen wären. Sie hatten in den letzten tausend Jahren eine Menge vollbracht, und eine Brücke – selbst eine Brücke von so makelloser Eleganz, wie sie hier die Ginnungagap-Spalte überspannte – über eine vierzig Kilometer breite Schlucht zu schlagen, wäre kein allzu verwegenes Unterfangen gewesen. Doch dass Menschen sie hätten bauen können, hieß noch nicht, dass sie es auch getan hatten.

Dies war Hela. Ein Mond weit draußen im nirgendwo. Wozu sollte ein Mensch hier eine Brücke bauen?

Aliens dagegen? Das wäre eine andere Sache.

Zwar reiste die Menschheit seit sechshundert Jahren durch den Weltraum, ohne je einer Zivilisation zu begegnen, die auch nur annähernd die Bezeichnungen intelligent, Werkzeuge gebrauchend oder technisch verdient hätte. Aber es hatte solche Kulturen einst gegeben. Ruinen fanden sich auf Dutzenden von Welten, Überreste nicht nur einer, sondern acht oder neun verschiedener Zivilisationen. Und dabei hatte man bisher nur im Umkreis von wenigen Dutzend Lichtjahren vom Ersten System gesucht. Wie viele hundert oder tausend tote Völker in den Weiten der gesamten Galaxis ihre Spuren hinterlassen haben mochten, konnte man nur ahnen. Was für Wesen mochten auf Hela gelebt haben? Waren sie auf diesem Eismond entstanden, oder war er nur eine Zwischenstation auf einer längst vergessenen Wanderschaft in grauer Vorzeit gewesen?

Wie mochten sie ausgesehen haben? Gehörten sie zu einer der bekannten Kulturen?

Immer eins nach dem anderen. Diese Fragen mussten warten. Zuerst musste er die Brücke untersuchen und ihr Alter und ihre Zusammensetzung bestimmen. Aus der Nähe wären vielleicht Einzelheiten zu erkennen, die von den Sensoren jetzt noch nicht erfasst wurden. Vielleicht ließ sich die Hela-Kultur durch weitere Funde eindeutig einer der Kulturen zuordnen, die er bereits studiert hatte. Oder die Funde bewiesen genau das Gegenteil: dass es sich um eine Kultur handelte, auf die bisher noch niemand gestoßen war.

Wie auch immer, die Entdeckung war von unschätzbarem Wert. Jasmina konnte auf Jahrzehnte hinaus den Zugang zu Hela kontrollieren und damit das Prestige zurückgewinnen, das sie in den vergangenen Jahrzehnten eingebüßt hatte. Sie mochte von Quaiche enttäuscht gewesen sein, aber dafür musste sie ihn einfach belohnen.

Von der Konsole der Räubertochter ertönte ein Signal. Das Suchradar hatte erstmals ein Echo aufgefangen. Da unten gab es ein metallisches Objekt. Es war nicht groß und saß irgendwo in den Tiefen der Spalte ganz nahe an der Brücke.

Quaiche justierte das Radar, um sich zu vergewissern, dass das Echo keine Täuschung war. Doch es verschwand nicht. Er hatte das Objekt bisher noch nicht entdeckt, aber es wäre für seine Sensoren auch kaum zu erfassen gewesen. Die Dominatrix hätte es überhaupt nicht bemerkt.

Das machte ihn misstrauisch. Er war so sicher gewesen, dass noch nie ein Mensch bis hierher vorgedrungen war, und nun bekam er eine Signatur, die genau zu einem Stück Weltraumschrott passte.

»Nimm dich in Acht«, ermahnte er sich.

Auf einer früheren Mission hatte er auf einem Mond, der etwas kleiner war als Hela, etwas Verlockendes entdeckt und war darauf zugeflogen, ohne sich vorzusehen. Kurz vor der Landung hatte er ein ähnliches Radarecho aufgefangen und einen kurzen Blitz gesehen. Doch er hatte seine Bedenken in den Wind geschlagen und den Anflug fortgesetzt.

So war er direkt in die Falle gelaufen. Ein Teilchenstrahlgeschütz hatte sich aus dem Eis geschoben und sein Schiff anvisiert. Der Strahl hatte sich durch die Panzerung gefressen. Quaiche wäre fast gebraten worden. Er hatte es gerade noch geschafft, sich in Sicherheit zu bringen, doch das Schiff und er selbst hatten schwere Schäden davongetragen. Er war genesen, und das Schiff war repariert worden, aber noch Jahre danach hatte er überall solche Fallen gewittert. Es kam vor, dass Dinge vergessen wurden: Automatische Drohnen, die jemand Jahrhunderte zuvor abgeworfen hatte, um Eigentums- oder Schürfrechte zu verteidigen, funktionierten oft noch lange, nachdem ihre ursprünglichen Besitzer zu Staub zerfallen waren.

Quaiche hatte Glück gehabt: Die Drohne oder das automatische Geschütz war beschädigt gewesen und hatte nur noch einen schwachen Strahl abgegeben. Er war mit einer Warnung davongekommen. Man musste immer auf alles gefasst sein. Und jetzt war er in akuter Gefahr, den Fehler von damals zu wiederholen.

Er ging die Möglichkeiten durch. Das Metallecho war ein schwerer Schlag. Es weckte Zweifel, dass die Brücke so alt und so fremd war, wie er gehofft hatte. Aber um das herauszufinden, musste er viel näher heran, womit er auch der Quelle des Echos näher käme. Wenn es tatsächlich eine Drohne war, ginge er ein nicht unerhebliches Risiko ein. Allerdings war die Räubertochter ein gutes Schiff, wendig, intelligent und schwer gepanzert. Eine Maschine voller List und Tücke. Reflexe nützten bei relativistischen Waffen wie Teilchenstrahlgeschützen wenig, aber die Tochter konnte die Quelle des Echos ständig überwachen, um eventuelle Bewegungen vor dem Schuss zu entdecken. Sobald das Schiff Verdacht schöpfte, konnte es ein schnelles zufallsgesteuertes Ausweichmanöver fliegen, das es der Strahlenwaffe unmöglich machte, seine Position zu berechnen. Das Schiff kannte die physiologischen Toleranzen von Quaiches Körper und würde nicht davor zurückschrecken, ihn fast zu töten, um ihn zu retten. Und wenn es wirklich wütend wurde, würde es sich seinerseits mit Mikrowaffen zur Wehr setzen.

»Es ist gut so«, sagte Quaiche laut. »Ich kann noch tiefer gehen und dennoch unbeschadet aus der Sache herauskommen. Alles klar!«

Aber er musste auch an Morwenna denken. Die Dominatrix war weiter weg, gewiss, aber sie war auch träger und weniger reaktionsschnell. Eine Strahlenwaffe hätte Mühe, das Shuttle abzuschießen, aber unmöglich wäre es nicht. Und der automatische Wachposten könnte auch andere Waffen wie etwa Zielsuchraketen einsetzen. Vielleicht gab es sogar ein weit verzweigtes Netz von solchen Posten, die miteinander kommunizieren konnten.

Verdammt, dachte er. Es brauchte nicht einmal eine Drohne zu sein. Vielleicht war es nur ein metallhaltiger Felsblock oder ein abgeworfener Treibstofftank. Aber er musste das Schlimmste annehmen. Er musste Morwenna am Leben erhalten. Und die Dominatrix musste in guter Verfassung sein, um zu Jasmina zurückkehren zu können. Er durfte nichts tun, was seine Liebste oder das Schiff gefährdete, das jetzt ihr Gefängnis war. Wenn er sie nicht beide irgendwie schützen konnte, musste er die Mission jetzt abbrechen. Und das wollte er nicht. Aber wie sollte er sich seinen Fluchtweg offen halten, ohne stundenlang warten zu müssen, bis sich die Dominatrix mit seiner Geliebten in sicherer Entfernung von Hela befand?

Natürlich. Die Antwort lag auf der Hand. Sie starrte ihm geradezu ins Gesicht. Eine wunderbar schlichte Lösung, die sich aufs Eleganteste die hiesigen Gegebenheiten zunutze machte. Warum war er nicht schon früher daraufgekommen?

Er brauchte das Shuttle nur hinter Haldora zu verstecken.

Nachdem er die erforderlichen Vorkehrungen getroffen hatte, stellte er die Verbindung zu Morwenna wieder her.

Offenbarung
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