6
Die Büchse der Pandora
Was sollen wir denn machen?«, rief ein Neugeborener mit Schiebermütze. »Wie sollen wir denn verhindern, dass dieser Satansbraten weiter unsere Frauen abschlachtet?«
Wütend versuchte Coroner Wynne Baxter, der Unruhe Herr zu werden. Er war ein großspuriger Politiker in mittleren Jahren und, so hatte Geneviève gehört, bei den Leuten nicht eben beliebt. Anders als ein Richter am Hohen Gerichtshof hatte er keinen Hammer und war daher gezwungen, mit der flachen Hand auf sein Holzpult einzuschlagen.
»Sollte es noch einmal zu einer derartigen Störung kommen«, rief Baxter mit wildem Blick, »sehe ich mich genötigt, den Saal räumen zu lassen.«
Der mürrische Rohling, der auch zu Lebzeiten schon wie ein Hungerleider ausgesehen haben mochte, trottete zu seiner Bank zurück. Er saß umringt von ähnlichem Gesindel. Diese Sorte war Geneviève nur allzu vertraut: lange Schals, zerrissene Röcke mit von Büchern ausgebeulten Taschen, schwere Stiefel, dünne Bärte. In Whitechapel tummelten sich die Anhänger von allerlei Rotten republikanischer, anarchistischer, sozialistischer oder sonst wie aufrührerischer Konfession.
»Ich danke Ihnen«, sagte der Coroner mit spöttischer Stimme, während er seine Notizen ordnete. Der Unruhestifter fletschte die Fangzähne und murmelte wütend vor sich hin. Den Neugeborenen missfiel es außerordentlich, wenn ein Warmblüter das Sagen hatte. Doch lebenslange Katzbuckelei schon beim leisesten Stirnrunzeln eines Beamten hinterließ nun einmal ihre Spuren.
Heute war der zweite Tag der Untersuchung. Gestern hatte Geneviève an der Rückseite des Saals gesessen, während die verschiedensten Zeugen zu Herkunft und Werdegang Lulu Schöns aussagten. Sie ragte deutlich aus dem Gros der East-End-Dirnen heraus. Die Gräfin Geschwitz, eine männische Vampirfrau, behauptete, sie sei mit dem Mädchen aus Deutschland gekommen, und geizte nicht mit allerlei Einzelheiten aus Lulus Vergangenheit: eine unablässige Folge falscher Namen, halbseidener Bekanntschaften und verstorbener Ehemänner. Falls man ihr bei der Geburt einen Namen gegeben hatte, so war er niemandem bekannt. Einem Telegramm aus Berlin zufolge wurde sie im Zusammenhang mit der Erschießung eines ihrer letzten Gatten noch immer von der deutschen Polizei gesucht. Sämtliche Zeugen - eingeschlossen die Geschwitz, die sie auch verwandelt hatte - waren unzweifelhaft in Lulu verliebt oder begehrten sie doch wenigstens über die Maßen. Die Neugeborene hätte es gewiss zu einer der grandes horizontales Europas bringen können, doch hatten Torheit und Unglück sie dazu verdammt, ihre Freier auf den ärmlicheren Straßen Londons für vier Pence mit einer Stehpartie beglücken zu müssen und sie schließlich in die todbringenden Arme von Silver Knife getrieben.
Während der gesamten Aussage überlegte Lestrade halblaut, wie die Büchse der Pandora wohl zu öffnen sei. Es stand beinahe zweifelsfrei fest, dass die einzige Verbindung zwischen dem Whitechapel-Mörder und seinen Opfern erst im Augenblick ihres Todes zustande kam, und doch durfte die Polizei bei ihren Ermittlungen die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass es sich um die vorbedachte Tötung bestimmter Frauen handelte. In der Commercial Street waren Abberline, Thick und die anderen damit beschäftigt, die Biografien der Nichols, der Chapman und der Schön, die es an Detailgenauigkeit mit jeglicher Lebensbeschreibung eines großen Staatsmannes aufzunehmen vermochten, zusammenzutragen und zu vergleichen. Wenn sie zwischen den Frauen eine Verbindung herstellen könnten, die über die Tatsache hinausging, dass es sich bei allen dreien um Vampirprostituierte handelte, würde sie das vielleicht zu ihrem Mörder führen.
Als die Untersuchung, die am Nachmittag begonnen hatte, in den Abend hineinreichte, interessierte Baxter nur mehr, was die Schön in der Nacht ihres Todes getrieben hatte. Mit vor frischem Blut nachgerade strotzendem Gesicht sagte die Geschwitz aus, Lulu habe ihren gemeinsamen Dachboden zwischen drei und vier Uhr morgens verlassen. Die Leiche war von Constable George Neve entdeckt worden, als dieser um kurz nach sechs Uhr seinen Rundgang machte. Nachdem Lulu vermutlich mitten auf der Chicksand Street verstümmelt worden war, hatte der Mörder ihre Leiche vor der Türe einer Kellerwohnung deponiert, in der sich zu diesem Zeitpunkt eine polnisch-jüdische Familie aufhielt, deren jüngste Tochter allein annähernd so etwas wie Englisch sprach. Sie alle gaben an, wie das Kind nach einem wirren, auf Jiddisch geführten Wortstreit übersetzte, sie hätten nichts gehört, bis Constable Neve sie aus dem Schlaf riss, indem er ihnen gleichsam die Haustüre einschlug. Rebecca Kosminski, die selbstgewisse Sprecherin, war der einzige Vampir der Familie. Geneviève sah ihresgleichen nicht zum ersten Mal; Melissa d’Acques, die Chandagnac verwandelt hatte, war eine wie sie gewesen. Zwar mochte Rebecca durchaus zur großmächtigen Matriarchin einer weit verzweigten Sippe aufsteigen, doch würde sie niemals erwachsen werden.
Nervös umherzappelnd schimpfte Lestrade in einem fort über den »Bauernschwank«, welcher ihm hier geboten werde. Es wäre ihm weitaus lieber gewesen, den Schauplatz des Verbrechens abzusuchen, statt auf einer harten, für Zwölfjährige mit zähem Hinterteil und kurzen Beinen bestimmten Holzbank zu sitzen, doch durfte er sich Fred Abberline nicht allzu häufig in den Weg stellen. Schwermütig berichtete er Geneviève, dass Baxter für die Ausführlichkeit seiner Befragungen bekannt sei. Charakteristisch für die Herangehensweise des Coroners waren ein obsessives, um nicht zu sagen ermüdendes Beharren auf unwichtigen Einzelheiten und die derbe Resolutheit seiner Resümees. In seiner Schlussbemerkung zum Falle Annie Chapman hatte Baxter aufgrund von im Middlesex Hospital zufällig belauschten Klatschgeschichten die Theorie entwickelt, dass ein amerikanischer Arzt entweder selbst der Mörder sei oder aber in den Diensten des Mörders stehe. Gerüchten zufolge hatte der unbekannte Arzt, der die Physiognomie der Untoten erforschte, zwanzig Guineas für ein frisches Vampirherz geboten. Dies verursachte vorübergehend großen Aufruhr, da Abberline den Ausländer aufzuspüren versuchte; schließlich jedoch ergab es sich, dass Vampirherzen, wenn auch leicht versehrt, unter der Hand in jedem Leichenhaus schon für die geringe Summe von einem Sixpence zu haben waren.
Baxter hatte die Untersuchung kurz vor Mitternacht vertagt und die Befragung am Morgen wieder aufgenommen. Inzwischen lag auch das Obduktionsergebnis vor, und auf der Tagesordnung standen in der Hauptsache die Aussagen einiger Ärzte, die sich in der Leichenhalle des Armenhauses von Whitechapel gedrängelt hatten, die sterblichen Überreste Lulu Schöns zu untersuchen.
Als Erster trat Dr. George Bagster Phillips, der - in Toynbee Hall wohlbekannte - Polizeiarzt von Abteilung H in den Zeugenstand, der sowohl die vorläufige Untersuchung der Leiche in der Chicksand Street wie auch ihre Obduktion vorgenommen hatte. Seine Aussage brachte jedoch nichts weiter zutage, als dass Lulu Schön durch einen Stich ins Herz getötet und nachher ausgeweidet und enthauptet worden sei. Es bedurfte einiger Hiebe auf das Richterpult, um der Empörung Herr zu werden, die sich auf diese nicht ganz unerwarteten Enthüllungen erhob.
Nach dem Gesetz waren gerichtliche Untersuchungen an einem öffentlichen Ort durchzuführen und der Presse freier Zugang zu gewähren. Da Geneviève bereits einige Male als Zeugin ausgesagt hatte, wenn ein Almosenempfänger in Toynbee Hall verstorben war, wusste sie, dass sich die Zuhörerschaft gewöhnlich auf einen verdrossenen Lohnschreiber der Central News Agency und den ein oder anderen Freund oder Verwandten des Verschiedenen beschränkte. Heute jedoch war der Vorlesungssaal noch übervölkerter als gestern. Die Bänke waren so dicht besetzt, als lieferten Con Donovan und Monk sich auf der Bühne einen Revanchekampf um die Meisterschaft im Federgewicht. Neben den Reportern, welche die vorderen Plätze mit Beschlag belegten, bemerkte Geneviève eine Horde hagerer, vorwiegend untoter Frauen in buntfarbigem Aufzug, ein Häuflein vornehm gekleideter Herren, einige uniformierte Kollegen Lestrades sowie eine Handvoll Sensationssüchtige, Geistliche und Sozialreformer.
In der Saalmitte saß, trotz der überzähligen Besucher umringt von freien Stühlen, ein langhaariger Vampirkriegsmann. Er war kein Neugeborener und trug die Uniform der Karpatischen Garde des Prinzgemahls samt stählerner Harnischbrust und - zum Zeichen der besonderen Gunst seines Gebieters - bequastetem Fez. Sein Gesicht war verwittertes weißes Pergament, und seine Augen, blutrote Murmeln in diesem Meer aus toter Haut, schnellten unentwegt hin und her.
»Wissen Sie, wer das ist?«, fragte Lestrade.
Geneviève wusste es nur zu gut. »Kostaki, einer von Vlad Tepes’ Gefolgsleuten.«
»Bei denen kommt mir das kalte Gruseln«, meinte der neugeborene Kriminalbeamte. »Die Ältesten.«
Geneviève hätte beinahe laut aufgelacht. Kostaki war jünger als sie. Er hatte sich schwerlich aus Neugierde hierherbegeben. Der Palast zeigte Interesse an Silver Knife.
»Nacht für Nacht sterben in Whitechapel Menschen Tode, wie nicht einmal Vlad Tepes sie ersinnen könnte, oder leben ein Leben, das schlimmer ist als jeder Tod«, sagte Geneviève, »dennoch tun wir von einem Jahr aufs nächste gerade, als sei London uns ebenso fern wie Borneo. Aber geben Sie ihnen eine Handvoll blutiger Morde, und Sie können vor lauter Schaulustigen und lüsternen Philanthropen keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.«
»Vielleicht hat es damit ja auch sein Gutes«, erwiderte Lestrade.
Baxter dankte Dr. Bagster Philips, entließ ihn und rief Henry Jekyll, MD, DCL, LLD, FRS et cetera, in den Zeugenstand. Ein würdevoller, ehemals offenbar ansehnlicher, bartloser Mann von etwa fünfzig Jahren näherte sich dem Richterpult und leistete den Eid.
»Wo immer ein Vampir getötet wird«, erklärte Lestrade, »ist Jekyll nicht weit. Er hat schon etwas recht Verwunderliches an sich, wenn Sie verstehen, was ich meine …«
Dem Naturforscher, der zunächst eine ausführliche und anatomisch genaue Schilderung der Grausamkeiten vortrug, warmes Blut zu attestieren, hatte nur insofern seine Berechtigung, als dass er kein Vampir war. Dr. Jekylls außerordentliche Selbstbeherrschung ließ einen beängstigenden Mangel an Mitgefühl für den menschlichen Gegenstand dieser Untersuchung vermuten, doch lauschte Geneviève voller Interesse - welches gewiss größer war als das der gähnenden Reporter in der ersten Reihe - den Erklärungen, um die Baxter ihn ersuchte.
»Wir wissen noch zu wenig darüber, welche präzisen Veränderungen die sogenannte ›Verwandlung‹ des Lebenden in einen Untoten beim Menschen hervorruft. Exakte Kenntnisse sind schwer zu erlangen, und der Aberglaube schwebt über diesem Thema wie der Nebel über London. Die Öffentlichkeit ist meinen Studien mit Indifferenz, ja sogar Feindseligkeit begegnet. Wir alle könnten aus der Forschung unseren Nutzen ziehen. Vielleicht versetzte sie uns in den Stand, jene Klassen, die für solch tragische Vorfälle wie den Tod dieses Mädchens die Verantwortung tragen, aus unserer Gesellschaft zu tilgen.«
Unter den Anarchisten wurde Unmut laut. Ohne Klassen war all ihr Tun und Handeln sinnlos.
»Ein Gutteil dessen, was wir über den Vampirismus zu wissen glauben, ist nichts weiter als Legende«, fuhr Dr. Jekyll fort. »Der Pflock durchs Herz, die silberne Sichel. Zwar ist der Leib eines Vampirs von bemerkenswerter Zähigkeit, doch scheint jede schwererwiegende Verletzung der lebenswichtigen Organe zum wirklichen Tode zu führen, wie in diesem Fall geschehen.«
Baxter machte »Hm« und fragte den Arzt: »Dann ist der Mörder Ihres Erachtens also nicht nach der womöglich als abergläubisch zu bezeichnenden Methode des gewöhnlichen Vampirmörders zu Werke gegangen?«
»Das will ich meinen. Ich möchte einige Umstände zu Protokoll geben, und sei es, um unverantwortlichem Journalismus a priori einen Riegel vorzuschieben.«
Bei einigen Reportern regte sich leiser Widerspruch. Ein Schnellzeichner, der unmittelbar vor Geneviève Platz genommen hatte, fertigte mit flinken Fingern ein Porträt Dr. Jekylls, das zweifellos in der Illustriertenpresse Verbreitung finden würde. Er setzte dunkle Schatten unter die Augen des Zeugen, um ihn unglaubwürdiger erscheinen zu lassen.
»Wie auch die Nichols und die Chapman wurde die Schön nicht mit einem hölzernen Pflock oder Spieß durchbohrt. Ihr wurden weder Knoblauchzehen noch Teile einer Hostie oder gar aus einer Heiligen Schrift herausgerissene Seiten in den Mund gestopft. Weder bei noch in der Nähe ihrer Leiche wurde ein Kruzifix oder sonst ein kreuzförmiger Gegenstand gefunden. Die Feuchtigkeit ihrer Röcke sowie die Wassertropfen in ihrem Gesicht rührten allem Anschein nach von der Kondensierung des Nebels her. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Leichnam mit Weihwasser besprengt wurde.«
Der Künstler, vermutlich der Mann von der Police Gazette, zeichnete Dr. Jekyll buschige Augenbrauen und versuchte das dichte, gleichwohl makellos frisierte Haar des Zeugen filziger aussehen zu lassen. Er trieb es jedoch zu weit mit der Entstellung seines Modells, riss das Blatt schimpfend von seinem Block, knüllte es in seine Tasche und begann von vorn.
Baxter machte sich einige Notizen, ehe er mit der Befragung fortfuhr. »Würden Sie so weit gehen zu behaupten, dass der Mörder mit den Funktionen des menschlichen Körpers - ob Vampir oder Warmblüter - vertraut war?«
»Ja, Coroner. Zwar lässt das Ausmaß der Verletzungen auf gesteigerten Enthusiasmus schließen, doch wurden die eigentlichen Wunden - man möchte fast sagen: Inzisionen - mit einigem Geschick beigebracht.«
»Verdammich, Silver Knife is Arzt«, rief der Anführer der Anarchisten.
Sogleich befand sich der Gerichtssaal ein zweites Mal in hellem Aufruhr. Die Anarchisten, je zur Hälfte Warmblüter und Neugeborene, stampften schreiend mit den Füßen, während andere lauthals zu debattieren begannen. Kostaki sah sich um und brachte mit eisigem Blick zwei Geistliche zum Schweigen. Baxter verletzte sich an der Hand, als er zum wiederholten Male auf sein Pult einhieb.
Geneviève bemerkte einen Mann an der Rückseite des Gerichtssaals, der den Aufruhr mit kühlem Interesse verfolgte. Wie er dort stand, in vornehmer Kleidung, mit Umhang und Zylinder, hätte man ihn für einen sensationslüsternen Zuschauer halten mögen, wäre seine entschlossene Miene nicht gewesen. Er war kein Vampir, dennoch - anders als der Coroner oder Dr. Henry Jekyll - schien er keineswegs beunruhigt, sich in Gesellschaft so vieler Untoter zu befinden. Er stützte sich auf einen schwarzen Stock.
»Wer ist denn das?«, fragte sie Lestrade.
»Charles Beauregard«, antwortete der neugeborene Kriminalbeamte und verzog verächtlich die Lippen. »Haben Sie noch nie vom Diogenes-Club gehört?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wenn man von ›höchster Stelle‹ spricht, so ist der Club damit gemeint. Offenbar nehmen wichtige Leute Interesse an dem Fall. Und Beauregard holt für sie die Kastanien aus dem Feuer.«
»Ein stattlicher Mann.«
»Wenn Sie meinen, Mademoiselle.«
Der Coroner hatte die Ordnung wiederhergestellt. Ein Gerichtsdiener hatte sich soeben aus dem Saal gestohlen und kehrte nun mit sechs neugeborenen Constables zurück. Sie stellten sich, wie eine Ehrengarde, in einer Reihe an der Wand auf. Die Anarchisten brüteten dumpf vor sich hin. Ihre Absicht war es offenbar, genug Unruhe zu stiften, die Stimmung aufzuheizen, jedoch nicht genug, damit der Coroner ihre Namen zu Protokoll nehmen ließ.
»Falls man es mir gestatten möchte, würde ich die sich aus der Äußerung dieses Gentleman ergebende Frage gern beantworten«, sagte Dr. Jekyll. Baxter nickte. »Allein die Kenntnis von der Lage der wichtigen Organe lässt nicht unbedingt auf eine medizinische Vorbildung des Täters schließen. Sofern es lediglich in seiner Absicht liegt, einen Lebenden zum wirklichen Tode zu befördern, vermag ein jeder Schlächter die Nieren durchaus ebenso sauber zu entfernen wie ein Chirurg. Dazu braucht es nichts weiter als eine ruhige Hand und eine scharfe Klinge, und beides findet man in Whitechapel zuhauf.«
»Haben Sie eine Vermutung bezüglich des Werkzeugs, dessen der Mörder sich bedient hat?«
»Offenbar irgendein Messer. Versilbert.«
Bei diesem Wort ging ein Aufschrei des Entsetzens durch die Bänke.
»Stahl oder Eisen hätte schwerlich solchen Schaden tun können«, fuhr Dr. Jekyll fort. »Die Physis der Vampire ist dergestalt beschaffen, dass mit gewöhnlichen Waffen beigebrachte Wunden binnen kürzester Zeit verheilen. Gewebe und Knochen werden neu gebildet, ebenso wie einer Eidechse der Schwanz nachwachsen kann. Silber wirkt diesem Prozess entgegen. Allein Silber vermag einem Vampir solch dauerhafte, tödliche Verletzungen zuzufügen. Insofern findet sich die Fantasie des Volkes, das dem Mörder den Namen ›Silver Knife‹ gegeben hat, in den vorliegenden Tatsachen auf das Trefflichste bestätigt.«
»Sie sind mit den Fällen Mary Ann Nichols und Eliza Anne Chapman vertraut?«, fragte Baxter.
Dr. Jekyll nickte. »Ja.«
»Sind Sie nach Vergleich dieser Vorfälle zu einem eindeutigen Schluss gelangt?«
»Jawohl. Alle drei Morde sind ohne den geringsten Zweifel das Werk ein und derselben Person. Es handelt sich um einen linkshändigen Mann von durchschnittlicher Größe, dessen Körperkraft die Norm bei weitem übersteigt …«
»Mr. Holmes hätte aus einem Aschekrümel seiner Zigarre den Mädchennamen seiner Mutter herauslesen können«, murmelte Lestrade.
»… möchte ich hinzufügen, dass, betrachtet man den Fall mit den Augen eines Außenstehenden, der Mörder nach meinem Dafürhalten kein Vampir ist.«
Der Anarchist war aufgesprungen, doch ehe er auch nur den Mund auftun konnte, hatten die Constables des Coroners ihn schon umringt. Da es ihm zu guter Letzt gelungen war, das Publikum zu bändigen, notierte Baxter diebisch grinsend den abschließenden Punkt von Dr. Jekylls Aussage und dankte dem Zeugen.
Geneviève bemerkte, dass der Mann, nach dem sie Lestrade befragt hatte, gegangen war. Sie überlegte, ob Beauregard wohl auch von ihr Notiz genommen haben mochte. Ihrerseits war eine Verbindung hergestellt. Entweder hatte sie eine ihrer »Einsichten«, oder sie war zu lange ohne Nahrung geblieben. Nein, es gab keinen Zweifel. Der Mann vom Diogenes-Club - worum auch immer es sich dabei handeln mochte - war wesentlich in die Angelegenheit des Whitechapel-Mörders verstrickt, sie wusste nur noch nicht, in welcher Eigenschaft.
Der Coroner begann sein wohlgefeiltes Resümee, beschied auf »vorsätzlichen Mord durch eine oder mehrere unbekannte Personen« und setzte hinzu, bei dem Mörder Lulu Schöns handele es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um denselben Mann, der am 31. August Mary Ann Nichols und am 8. September Eliza Anne Chapman um ihr Leben gebracht hatte.
Die Vampire
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