31
Die berauschenden Rosen des Lasters
Meinste, wir ham’nen erledicht?«, fragte
Nell. Sie hockte auf dem Bett und bohrte einen langen Finger in den
nackten Leib des Mannes. Sein Gesicht lag in den Kissen vergraben,
und Halstücher fesselten Knöchel und Handgelenke an bronzene
Bettpfosten. Die feinen, weißen Baumwolllaken waren mit Flecken
übersät.
Gedankenverloren kleidete Mary Jane sich an. Es war
nicht leicht, sich ohne Spiegel einen Hut aufzusetzen.
»Mary Jane?«
»Marie Jeanette«, verbesserte sie. Sie liebte den
Klang des Namens, als wäre er Musik. Sie hatte alles darangesetzt,
ihren irländischen Akzent abzulegen, bis sie bemerkte, dass er den
Männern gefiel. »Das geht jetzt schon bald ein ganzes Jahr so. Ich
heiße Marie Jeanette, Marie Jeanette Kelly.«
»Kelly passt aber nich besonders zu ›Marie
Jeanette‹, Herzogin.«
»Ach was. Papperlapapp.«
»Der Kerl, der wo dir mit nach Parih genomm’ hat,
der hat uns kein’ Gefalln getan.«
»Dich mitgenommen hat.«
»Soll nich’ wieder vorkomm’, Herzogin.«
»Und red bloß nicht schlecht von meinem ›Onkel
Henry‹. Das war ein vornehmer Herr. Und ist wahrscheint’s immer
noch einer.«
»Wenner nich’ grad an’n Franzosen verreckt, die wo
de ihm angehängt hast«, sagte Nell mit gespieltem Ernst.
»Halt gefälligst dein vorlautes Mundwerk.«
Endlich war Mary Jane mit ihrem Hut zufrieden. Sie
bekümmerte sich sehr um ihr Äußeres. Zwar mochte sie eine Kokotte
sein, die sich in einen Vampir verwandelt hatte, doch würde sie
sich gewiss nicht gehenlassen und zu einem schauerlichen
Fuchsgesicht werden wie Nell Coles.
Die andere Frau saß auf dem Bett und betastete den
Hals des Dichters, der klebrig war von seinem Blut.
»Wir ham’nen erledicht, Mary Jane. So mausetot als
wie der is, tut er sich bestimmt bald verwandeln.«
»Marie Jeanette.«
»Ja, un’ ich bin Comtessa Eleonora Francesca von
un’ zu Speck un’ Siffel.«
Mary Jane blickte an Algernon hinunter. Sein Leib
war mit winzigen alten und neuen Bissen nachgerade übersät.
Purpurrote Striemen zierten Rücken und Gesäß. Er hatte seine
eigenen Ruten mitgebracht und sie ermuntert, ihn aus Leibeskräften
zu verprügeln.
»Der ist ein alter Hase, Nell. Da braucht’s schon
ein bisschen mehr als wie’ne Peitsche und paar Liebesbisse, den
ollen Hurenbeutel kleinzukriegen.«
Nell tauchte einen Finger in das Blut, das sich in
Algernons Rücken sammelte, und führte ihn an ihre rauen Lippen. Mit
jedem Mondaufgang wuchsen ihr neue Haare. Inzwischen musste sie
selbst Stirn und Wangen bürsten und strich ihr dichtes rotes Haar
zu einer flammenden Mähne zurück. Sie war anders als die anderen,
was ihren Geschäften wohl bekam. Ihre Kunden hatten einen
eigenartigen Geschmack. Sie rümpfte die breite Nase, als sie von
Algernons Blut kostete. Nell war eines jener Mädchen, die beim
Trinken von »Gefühlen« überwältigt wurden. Mary Jane war froh, dass
es ihr nicht ebenso erging.
Nell verzog das Gesicht. »Schmeckt bitter«, sagte
sie. »Was is’n das überhaupt für’n Kerl?«
»Sein Freund hat mir gesagt, er war Dichter.«
Ein vornehm gekleideter Herr hatte sie angeworben
und ihnen den Wagen von Whitechapel nach Putney bezahlt. Das Haus
lag fast schon auf dem Lande. Wie Mary Jane gehört hatte, war
Algernon krank geworden und hatte sich nun zur Genesung an die
frische Luft begeben.
»’n Haufen Bücher, was?«
Im Gegensatz zu Mary Jane konnte Nell weder lesen
noch schreiben. Das kleine Schlafzimmer stand voller
Büchergestelle.
»Ob er die alle selbs’ geschrieben hat?«
Mary Jane nahm ein prachtvoll gebundenes Buch aus
dem Gestell und schlug es auf.
»›O Sohn Galiläas, dir ist’s zu danken: Die
Welt, sie ist ergraut an deinem Atem‹», las sie laut vor.
»›Von den Wassern Lethes wir tranken, an der Fülle des Todes wir
uns labten.‹«
»Hört sich hübsch an. Meinste,’s geht über
uns?«
»Wohl kaum. Ich glaub, es geht über unsern Herrn
Jesus.«
Nell verzog das Gesicht. Sie wand und krümmte sich
vor dem Kruzifix und ertrug es nicht, wenn in ihrer Gegenwart der
Name Christi fiel. Mary Jane hingegen ging zur Kirche, so oft sich
die Gelegenheit ergab. Man hatte ihr erzählt, dass Gott alles
verzieh. Schließlich war der Herr aus dem Grabe auferstanden und
hatte die Menschen ermuntert, von seinem Blut zu trinken. Genau wie
Miss Lucy.
Mary Jane stellte das Buch an seinen Platz zurück.
Algernon begann zu schlucken, und Mary Jane hob seinen Kopf. Etwas
steckte ihm im Hals. Sie half ihm aufzustoßen wie einem Säugling
und ließ seinen Kopf wieder sinken. Ein rötlicher Fleck sickerte
ins Kissen.
»Steig hernieder und erlöse uns von der Tugend, o
Mutter der Pein«, sagte er deutlich vernehmbar. Dann verlor er
wieder das Bewusstsein und begann zu schnarchen.
»Hört sich doch noch recht lebendig an,
oder?«
Nell lachte. »Ach, geh mir doch fort, du
irländische Kuh!«
»Silber und Sichel mir Wunden schlagen, doch böse
Worte kann ich ertragen.«
Die andere Frau knöpfte sich das Hemd über ihren
pelzbewachsenen Brüsten zu.
»Kitzeln die ganzen Haare denn nicht?«
»Bis jetz’ hat sich jedenfalls noch keiner
beschwert.«
Der Dichter hatte lediglich eine ordentliche Tracht
Prügel verabreicht
haben wollen. Als sein Rücken mit Blut überströmt war, hatte er
sich von ihnen beißen lassen. Für jeden anderen hätte das den
sicheren Tod bedeutet. Danach war er ruhig gewesen wie ein
Säugling.
Seit ihrer Verwandlung machte Mary Jane nicht mehr
allzu oft die Beine breit. Zwar wollten manche Männer es gern auf
die altmodische Art, doch wollten die meisten nur gebissen und zur
Ader gelassen werden. Schaudernd vor unsittlicher Lust dachte sie
an das Gefühl zurück, als Miss Lucy sich an ihre Kehle gesetzt und
mit winzigen Zähnen an ihrer Wunde genagt hatte. Dann der Geschmack
von Lucys Blut, und das Feuer, das sie durchströmte, sie
verwandelte.
»Peinsame Mütter, soso«, sagte Nell und gürtete ihr
Kleid um die mit dichtem rotem Haar bewachsene Taille.
Mary Janes warmblütiges Dasein war ihr nur mehr
nebelhaft im Gedächtnis. Sie war mit Henry Wilcox nach Paris
gefahren; so viel wusste sie. An Irland und ihre Geschwister aber
konnte sie sich beim besten Willen nicht entsinnen. Von ihren
wenigen Bekannten hatte sie erfahren, dass sie von Wales nach
England gekommen, in einem Freudenhaus im West End gehalten worden
war und einen Ehemann begraben hatte. Dann und wann befiel sie eine
flüchtige Erinnerung, wenn ihr ein vertrautes Gesicht begegnete
oder sie ein altes Andenken entdeckte, doch ihr einstiges Leben war
wie ein Kreidebild im Regen: verwischt und zerlaufen. Seit ihrer
Verwandlung aber trübte nichts mehr ihren Blick, als ob ein
schmutziges Fenster reingewaschen worden sei. Bisweilen, wenn ihr
das von Gin geschwängerte Blut eines anderen in den Adern strömte,
kam ihr altes Ich zum Vorschein, und sie fand sich kotzend in der
Gosse wieder.
Nell beugte sich über Algernon, setzte die Lippen
an einen Biss auf seiner Schulter und begann lautlos zu saugen.
Mary Jane fragte sich, ob das Blut eines Dichters kräftiger sein
mochte als
das eines gewöhnlichen Menschen. Womöglich redete Nell demnächst
nur noch in Versen und Reimen. Das wäre vielleicht ein Spaß.
»Nun lass ihn schon in Frieden«, sagte Mary Jane.
»Der hat genug gehabt für seine Guinea.«
Lächelnd setzte Nell sich auf. Sie bekam allmählich
gelbe Zähne, und ihr Zahnfleisch war ganz schwarz. Bald würde sie
in den Dschungel von Afrika auswandern müssen.
»Dass der im Ernst’ne Guinea blechen tut. So viel
Moos kann’s doch gar nich’ geben inne Welt.«
»In unserer Welt jedenfalls nicht, Nell. Aber er
ist nun mal ein feiner Herr.«
»Mit feine Herrn kenn ich mich aus, Mary Jane. Die
meisten von den’ sinn billich un’ gemein, so wie’ne Woche altes
Schweineblut. Un’ klamm wie’n Rattenarsch dazu.«
Arm in Arm verließen sie das Zimmer und stiegen die
Treppe hinab. Algernons Freund Theodore erwartete sie bereits. Er
musste wohl ein guter Freund sein, wenn er Mary Jane und Nell bis
heraus nach Putney brachte und obendrein auch noch die ganze Zeit
lang achtgab. Viele Menschen hätten dies als widerwärtig angesehen,
doch Theodore war neugeboren und demnach liberal gesinnt.
»Wie geht es Swinburne?«, fragte er.
»Er wird’s überleben«, erwiderte Mary Jane. Die
meisten Mädchen hatten für einen Kunden wie Algernon nichts als
Verachtung übrig. Wenn sie einen makellos gekleideten Herrn
erblickten, malten sie sich aus, wie er sich nackt vor Schmerzen
wand und krümmte, und verlachten ihn, weil er eine ordentliche
Tracht Prügel einer anständigen Partie vorzog. Mary Jane erging es
anders. Vielleicht hatten sich mit ihrer Verwandlung auch ihre
Empfindungen geändert, was die Dinge anbetraf, welche die Menschen
miteinander trieben. Manchmal träumte sie davon, singenden
Engeln die Kehlen zu öffnen und sie zu besteigen, wenn sie mit dem
Tode rangen.
»Wie sehr er euch Frauen doch liebt«, sagte
Theodore. »Er schwärmt von euren ›kalten, unsterblichen Händen‹.
Sonderbar.«
»Er weiß eben, was ihm gefällt«, entgegnete Mary
Jane. »Es ist schließlich nichts Schändliches dabei, eine Vorliebe
für das Außergewöhnliche zu hegen.«
»Nein«, pflichtete Theodore ihr zögernd bei. »Ganz
und gar nichts Schändliches.«
Sie standen im Empfangszimmer. An den Wänden hingen
die Porträts berühmter Männer, und alles war voller Bücher. Mary
Jane hatte sich ein Bild von den Champs-Elysées aus einer
illustrierten Zeitschrift herausgeschnitten und es an die Wand
ihres Zimmers in Miller’s Court geheftet. Einst, als sie noch
warmblütig gewesen war, hatte sie gespart für einen Rahmen, doch
Joe Barnett, ihr damaliger Freier, entdeckte die Pennies in einem
Krug und vertrank sie. Für ihre Geheimniskrämerei hatte er ihr ein
blaues Auge geschlagen. Nach ihrer Verwandlung hatte sie Joe
hinausgeworfen, nicht jedoch ohne ihm das Veilchen mit Zinsen
heimzuzahlen.
Theodore gab ihnen jeder eine Guinea und geleitete
sie hinaus zum Wagen. Mary Jane verstaute die Guinea sicher in
ihrem Beutel, Nell hingegen musste sie in die Höhe halten, so dass
sich das Mondlicht in ihr spiegelte.
Mary Jane vergaß nicht, Theodore eine gute Nacht zu
wünschen und zu knicksen, wie Onkel Henry es sie gelehrt hatte. Da
manche Herren neugierige Nachbarn hatten, empfahl es sich, zu tun
wie eine feine Dame. Ohne sie zu beachten, verschwand Theodore im
Haus, noch ehe sie sich aufgerichtet hatte.
»Himmelarsch,’ne ganze Guinea!«, rief Nell aus.
»Für’ne Guinea hätt ich ihm glatt in die Schellen gebissen.«
»In die Kutsche mit dir, du ordinäres Flittchen«,
schimpfte Mary Jane. »Was bildest du dir eigentlich ein?«
»Das will ich dann wohl gerne tun, Herzogin«, sagte
sie und quetschte sich durch die Tür, wobei sie ihr Hinterteil
kräftig hin und her schwang.
Mary Jane folgte ihr in den Wagen und setzte
sich.
»He, du«, brüllte Nell den Fuhrmann an, »na’ Haus,
un’ mach den Gäulen bisschen Dampf.«
Mit einem Ruck setzte sich die Droschke in
Bewegung. Nell spielte noch immer mit ihrer Goldmünze. Sie hatte
versucht, sie durchzubeißen. Nun polierte sie das gute Stück mit
ihrem Halstuch.
»Die nächsten vier Wochen bin ich runter vonne
Straße«, sagte sie und leckte sich die Fangzähne. »Ich zieh rauf
ins West End, such mir’nen Gardisten mit’nem Schwengel wie’n
Feuerwehrschlauch un’ saug dem Burschen den Saft aus den
Adern.«
»Und wenn das Geld alle ist, stehst du wieder in
der Gosse und legst dich in den Dreck, damit irgendein
schwabbeliger Suffkopp dich besteigen kann.«
Nell zuckte mit den Achseln. »Ich glaub kaum, dass
ich’n Prinzen heiraten werd. Genauso wenig wie du, Marie Jeanette
de Kelly.«
»Ich stell mich nicht mehr auf die Straße.«
»Bloß weil über dem Bett, wo drin de vögeln tust,’n
Dach is, isses noch lang keine Kirche.«
»Keine Fremden mehr, so viel ist sicher. Nur noch
Herren, die ich kenne.«
»Un’ wie ich die kenne.«
»Du solltest auf mich hören. Wenn ich’s dir doch
sag, es ist nicht ungefährlich, dieser Nächte auf der Straße.
Solang der Ripper unterwegs ist.«
Nell blieb ungerührt. »In Whitechapel müsster bis
in alle
Ewichkeit jede Nacht’ne Hur abmetzeln, bis er an mich kommt. Es
gibt Tausende wie uns, un’ die wird’s auch noch geben, wenn der
längst inner Hölle schmort.«
»Er metzelt sie jetzt zwei auf einmal.«
»Geh mir doch fort!«
»Du weißt genau, dass es stimmt, Nell,’s ist schon
über eine Woche her, dass er sich an Cathy Eddowes und der Stride
vergangen hat. Der kommt wieder.«
»Den will ich sehn, wenner so was bei mir probiern
tut«, sagte Nell. Sie knurrte, und ihre Wolfszähne schimmerten.
»Dem tät ich erst’s Herz rausreißen, un’ dann tät ich das
Scheißding fressen.«
Mary Jane musste lachen. Doch es war ihr voller
Ernst. »Das einzig Sichere ist, nur noch bekannte Herren zu
bedienen, Nell. Kunden, die du kennst und denen du vertraust. Das
Beste wäre, einen Herrn zu finden, der dich aushält. Vorzugsweise
außerhalb von Whitechapel.«
»Das Einzigste, wo se mich halten täten, is der
Zoo.«
Mary Jane war schon einmal ausgehalten
worden. In Paris, von Henry Wilcox. Er war Bankier, ein wahrhafter
Finanzkoloss. Er war ohne seine Gattin ins Ausland gegangen, und
statt ihrer hatte Mary Jane die Reise mit ihm angetreten. Obschon
er den Leuten weiszumachen versuchte, dass sie seine Nichte sei,
verstanden die Franzosen ihr kleines arrangement nur allzu
gut. Als er weiterreiste, in die Schweiz, ließ er sie bei einem
liederlichen alten Froschfresser zurück, an dem sie keinerlei
Gefallen fand. Wie es sich ergab, hatte »Onkel Henry« sie beim
Kartenspiel verloren. Paris hatte ihr wohl gefallen, und doch war
sie zurückgekehrt nach London, wo sie verstand, was die Leute
sprachen, und außer ihr selbst niemand mit ihrem Leben
spielte.
Als sie Whitechapel erreichten, graute bereits der
Morgen. Zunächst hatte sie nicht gewusst, dass es für ihresgleichen
tunlich
war, aus der Sonne fortzubleiben, und so hatte sie sich die Haut
verbrannt, bis diese barst und platzte. Sie hatte Hunde gerissen,
um sich an ihrem Lebenssaft zu laben. Es hatte Monate gedauert, bis
sie mit anderen Neugeborenen Schritt zu halten vermochte.
Als sie dem warmblütigen Kutscher Anweisungen
erteilte, stellte sie mit heißem Schaudern fest, dass der Mann sich
vor seinen Vampirpassagieren zu Tode fürchtete. Für vier Shilling
Sixpence hatte sie von dem Gewürzkrämer McCarthy ein Zimmer unweit
der Dorset Street gemietet. Ein Gutteil der Guinea würde sie für
den Mietrückstand aufwenden müssen, damit McCarthy ihr vom Leibe
blieb. Doch der Rest gehörte ihr allein. Vielleicht fand sie ja
einen Bilderrahmer?
Als sie aus der Kutsche gestiegen waren, rollte
diese rasch davon und ließ sie am Bordstein zurück. Nell begleitete
die Flucht des Fuhrmanns mit zotigen Gebärden und heulte wie ein
drolliges Tier. Selbst um die Augen und hinter den spitzen Ohren
wucherte ihr roter Pelz.
»Marie Jeanette«, krächzte eine Stimme im Schatten.
Jemand stand im Bogengang von Miller’s Court. Der Kleidung nach zu
urteilen ein feiner Herr.
Sie lächelte, als sie die Stimme erkannte.
Dr. Seward trat aus dem Dunkel. »Ich habe die halbe
Nacht auf dich gewartet«, sagte er. »Ich wollte …«
»Sie weiß genau, was Sie wollten«, fuhr Nell
dazwischen, »un’ Sie sollten sich was schäm’.«
»Wirst du wohl still sein, Pelzgesicht«, sagte Mary
Jane. »So spricht man nicht mit einem Gentleman.«
Nell reckte ihre Schnauze in die Luft, zerrte ihr
Halstuch zurecht und trottete, übertrieben schnaubend wie ein
Varieté-Sternchen, davon. Mary Jane bat an ihrer Stelle um
Entschuldigung.
»Wollen Sie nicht hereinkommen, Dr. Seward?«,
fragte sie. »Bald geht die Sonne auf. Ich brauche meinen
Schönheitsschlaf.«
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte er. Nervös
reckte er den Hals. Das hatte sie bei ihren Kunden schon des
Öfteren beobachtet. Wenn sie erst einmal gebissen waren, kamen sie
immer wieder.
»Nun gut, dann folgen Sie mir.«
Sie führte ihn zu ihrem Zimmer und ließ ihn ein.
Erste Sonnenstrahlen fielen durch das schmutzige Fenster auf die
faltenlose Bettdecke. Sie schloss die Vorhänge.