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Zum Tag der Hochzeit wurde der 1. August bestimmt.

Eva fragte sich später noch oft, warum sie nicht wenigstens am nächsten Tag alles zurückgenommen hatte. Warum sie ihr Leben und Kathrins Leben einfach so auf diesen Abgrund hatte zuschlittern lassen. Vielleicht lag es daran, dass sie an jenem Abend so außer sich gewesen war vor Freude, vielleicht auch, dass sie an ihre zweite Haut als Mann bereits so gewöhnt war, dass ihr eine Heirat mit einer Frau gar nicht so absonderlich erschien, vielmehr als Lösung für ihre verzwickte Lage. Und auf ihre Art liebte sie Kathrin ja tatsächlich.

Ganz sicher aber hatte sie sich von der Glückseligkeit ihrer Freundin anstecken lassen. Kathrin hatte sogleich eine ganz genaue Vorstellung, wie alles vor sich gehen sollte. Sie würde mit dem Kaplan sprechen und ihm ihre offizielle Heiratsabrede anzeigen, mit der Bitte, für die Hochzeit alles in die Wege zu leiten. Keiner würde sich nun mehr das Maul zerreißen über sie beide, sie würden zusammen sein können, wie und wann sie wollten.

«Bestimmt kannst du bald das Bürgerrecht erwerben, wenn das Geld erst mal für Haus und Grund reicht», hatte sie ihr gesagt. «Dann bist nicht länger Beisasse hier, ohne jegliche Rechte. Und die Zunft kann dir den Buckel runterrutschen.»

Dass sie beide verschiedenen Glaubensrichtungen angehörten, war noch das Geringste. Da Kathrin als Spitalmutter besondere Rücksichten nehmen musste auf den Bischof und das Domkapitel, hätte sie sich niemals, wie die anderen Bürger und Beisassen der Stadt, zu den Lehren Luthers bekennen dürfen. So wechselte Eva, der solche Dinge einerlei waren, die Konfession. Der Kaplan der Spitalkirche freute sich sichtlich, wieder ein Schäfchen für seine Herde gewonnen zu haben, und drückte fortan beide Augen zu, wenn Eva im Spital ein und aus spazierte. Schließlich waren sie nun vor aller Welt einander versprochen.

Zum Verlöbnis bekam Eva von ihrer Freundin ein Goldstück, als Anlage für Haus und Grund, sie selbst schenkte ihr einen zierlichen silbernen Ring und das Jagdhütchen. In einem mit Seidenpapier ausgeschlagenen Kästchen überreichte sie es ihr nach dem Abendessen.

«Das ist doch viel zu schön für mich einfaches Weib», sagte Kathrin und strich lächelnd über den roten Samtbesatz, an dem der golddurchwirkte Schleier befestigt war.

«Aber du musst es tragen, versprich es mir.»

«Ja.» Kathrin klappte das Kästchen wieder zu. «Am Tag unserer Hochzeit.»

Letztlich beruhigte sich Eva damit, dass es bis dahin noch eine lange Zeit sei – Zeit genug, um ihrer Freundin die Wahrheit zu gestehen, in der Hoffnung, sie würde sie verstehen und sie dank ihrer Liebe nicht verraten. Sie verschloss an dem Abend ihres Verlöbnisses schlichtweg die Augen davor, dass etwas schiefgehen könnte. Und betrank sich zum zweiten Mal in ihrem Leben. Längst war sie nicht mehr Herr ihrer Sinne, als Kathrin ihr zu später Stunde einen Gutenachtkuss gab, der sich in einen innigen Kuss wie zwischen Mann und Frau verwandelte.

Das Letzte, was sie beim Einschlafen dachte, war: Nie wieder darf das geschehen!

 

Fortan verbrachte Kathrin die Nacht von Samstag auf Sonntag in der Lederergasse und Eva die Nacht von Sonntag auf Montag im Spital. Es kam tatsächlich zu keiner Annäherung mehr, dafür sorgte Eva, indem sie hin und wieder in scherzhafter Weise die Freundin ermahnte, anständig und tugendhaft zu bleiben. Es war wieder wie früher, wenn sie wie zwei alberne Mädchen schwatzten und gackerten, um dann Arm in Arm oder Hand in Hand einzuschlafen.

Dann kündigte sich der Sommer mit seinen kürzeren Nächten und den ersten schwülen Tagen an. Eines Abends gingen sie in Kathrins Zimmer zu Bett, nachdem sie stundenlang über Meister Hasplbeck hergezogen hatten, der inzwischen wie ein Hündchen der Küchenmagd hinterherscharwenzelte. Wie immer drehte sich Eva zur Wand, während Kathrin sich für die Nacht fertig machte.

«Du kannst dich umdrehen.»

Eva blieb der Mund offen stehen. Wie Gott sie geschaffen hatte, stand ihre Freundin im fahlen Abendlicht, ihre großen, festen Brüste glänzten, ihre Wangen glühten.

«Was ist mit dir?» Kathrin versuchte zu lächeln. «Hast etwa noch nie eine nackte Frau gesehen?»

Eva blieb stumm.

«Oder gefall ich dir nicht?»

«Doch – schon. Du bist wunderschön.»

«Dann komm!» Sie streckte ihr die Hand entgegen.

Evas Herz begann zu rasen. «Warte – ich find, es ist noch zu früh … Wir sind doch noch nicht verheiratet.» Sie schluckte. «Vielleicht sollt ich besser gehen.»

«Bitte geh nicht!», flüsterte Kathrin. Dann fing sie an zu weinen. Hastig zog sie sich wieder ihr Hemd über den Kopf und kroch unter die Bettdecke. «Ich bin so dumm. Wie eine käufliche Metze hab ich mich benommen», schluchzte sie.

«Aber nein.»

Eva setzte sich zu ihr an den Bettrand und strich ihr übers Haar.

«Es ist nicht deine Schuld, Kathrin. Ich … ich sollte dir …» Eva brach ab. Es ging nicht. Sie brachte es nicht übers Herz. Noch nicht.

 

Dieses Erlebnis lastete fortan wie eine dunkle Wolke über ihnen. Die unbekümmerte Vertrautheit kehrte nicht wieder zurück. Dabei spürte Eva mehr denn je, wie sehr sie an Kathrin hing, so sehr, dass sie selbst nicht mehr wusste, was es für eine Bewandtnis mit ihr hatte. Nie wieder machte Kathrin Anstalten, sie zu verführen, nur einmal nachts war Eva aus dem Tiefschlaf erwacht, weil Kathrin ihre Hand genommen und unter ihr Leibchen geführt hatte. Noch ganz benommen spürte Eva die samtweiche Haut über den prallen Brüsten, es war ein schönes Gefühl – dann war sie hellwach! Sie zog ihre Hand weg, drehte sich auf die andere Seite und gab unter leisem Schnarchen vor zu schlafen.

In Wirklichkeit lag sie fast die ganze Nacht hindurch wach und dachte darüber nach, wie sie jetzt wohl noch unbeschadet den Hals aus der Schlinge ziehen konnte. Oder zumindest der Sache ein Ende bereiten, ohne die Freundin zu verletzen und zu verlieren. Doch die einzige Lösung, auf die sie immer wieder stieß, schien ihr zu sein: stillhalten und abwarten.

Aber ihre Verlobte machte ihr einen Strich durch die Art Rechnung. Als sie sich am nächsten Morgen verabschiedete, drehte sich Kathrin im Türrahmen noch einmal um. Ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Trotziges, was Eva noch nie an ihr gesehen hatte.

«Warum», fragte Kathrin, «ziehst du niemals zum Schlafen dein Hemd aus, nicht mal jetzt, wo es nachts so warm ist? Ist irgendetwas mit deiner Männlichkeit? Gibt’s was, wofür du dich schämst? Oder» – ihre Stimme wurde leiser – «oder bereust du dein Eheversprechen schon?»

«Nein, nein!»

Eva schüttelte den Kopf, so heftig, als wolle sie damit diese plumpe Lüge aus dem Kopf haben. Denn nichts bereute sie mehr, als dieser besten aller Freundinnen etwas gelobt zu haben, was sie niemals würde einlösen können. Aus reinem Eigennutz, nur auf die eigenen Vorteile bedacht, hatte sie Kathrin betrogen und stolperte jetzt von einer Lüge in die nächste. Was war sie nur für ein schlechter Mensch!

«Dann hast du mich also noch immer lieb?»

«Aber ja, Kathrin! Es ist nur – es kam doch alles recht schnell, weißt du. Gib mir einfach ein bisserl Zeit.» Eva spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte. «Bitte glaub mir eins: Ganz gleich, was geschieht – ich hab dich sehr lieb!»

 

Unter der Anspannung dieser Lebenslüge ging es Eva zunehmend schlechter. Immer häufiger krampfte sich ihr Magen urplötzlich zusammen, Kopfschmerzen quälten sie, und bei der Arbeit wurde sie immer fahriger. Einmal verschnitt sie ein kostbares Stück Seide, was ihr prompt einen Abzug vom Lohn einbrachte. Die gemeinsame Zeit mit Kathrin vermochte sie kein Quäntchen mehr zu genießen, schließlich begann sie nach Ausflüchten zu suchen, warum sie sich nicht mehr so häufig treffen konnten.

Es war Ende Juni, wenige Tage nach Johanni, als das Unwetter vollends über sie hereinbrach. An diesem drückend heißen Tag, an dem einem jede Bewegung zu viel wurde, brachte ihr ein Knabe ein zerknittertes, mit Dreck- und Fettflecken übersätes Schreiben. Eva stieß mit ihm im Hauseingang zusammen, als sie eben auf dem Weg ins Spital war. Seit vorgestern lag Kathrin dort nun selbst als Kranke danieder. Sie hatte einen heftigen Sommerkatarrh, und Eva wollte nach ihr sehen. Dafür hatte sie eigens früher Feierabend gemacht.

«Von wem ist das?», fragte sie den rotznäsigen, barfüßigen Jungen und drückte ihm einen Pfennig in die Hand.

«Meister Fuchs hat es aus Straubing mitgebracht.»

Eva unterdrückte einen Jubelschrei: Dann musste das ein Brief von Niklas sein! Das Zweite, was sie in diesem Moment dachte, war: Ich hab dem Schiffsmann Unrecht getan, er ist doch eine ehrliche Haut. Und das Dritte: Woher weiß Niklas, dass ich in Regensburg als Adam Auer lebe? Davon hatte sie ihm nämlich wohlweislich kein Wort verraten.

An Ort und Stelle, mitten im Hauseingang, riss sie den mit Wachs versiegelten Umschlag auf.

 

Straubing, auf Sankt Vitus, den 15. Tag Junii anno etc. 1565

Meine geliebte Schwester!

Da staunst du, nicht wahr? Vor sechs Wochen habe ich durch Meister Fuchs deine Nachricht erhalten, und in den nächsten Tagen wird er auf dem Rückweg von Linz hier anlegen und meine Antwort an dich mitnehmen. Dieser Schiffsmeister fährt übrigens auch in unserem Auftrag Waren nach Linz. Ich hab ihm gesagt, du seist ein guter Freund von mir.

Es war so einfach herauszufinden, wo du steckst: Ich musste nur bei Meister Fuchs nachfragen, wer ihm das Schreiben übergeben habe – und schon wusste ich, dass du selber das warst! Ein sehr junger, dunkelhaariger, recht kleiner Schneidergeselle namens Adam Auer! Adam wie unser großer Bruder – du bist und bleibst verrückt, geliebte Schwester!

Jetzt also lebst du in Regensburg! Wie ich dich kenne, hast du dein gutes Auskommen, und wie ich dich ebenfalls kenne, wirst du nicht an diesem einen Ort bleiben. Aber ich flehe dich an: Bleibe wenigstens bis zum Erntemonat! Dann nämlich komme ich mit dem Oheim nach Regensburg, geschäftehalber. Ich hatte so lange gebettelt, bis er einwilligte, mich mitzunehmen.

Keine Angst: Wir können uns ganz heimlich treffen, du als Adam Auer – ich würde dich niemals verraten. Hauptsache, wir sehen uns endlich wieder. Aber ein bisserl Hoffnung hab ich schon, dich zu überreden, heimzukommen nach Straubing. Der Muhme geht es nämlich gar nicht gut. Sie wird immer schwächlicher und kränklicher, du wärst ihr eine große Hilfe.

Mir selbst geht es allerbestens: Die Deutsche Schule ist ein Kinderspiel, und der Oheim überträgt mir schon sehr viele eigene Aufgaben. Ich habe es wunderbar getroffen, dank dir, liebe Schwester. Noch nie habe ich dir gedankt, dass du mich hierhergebracht hast. Das tue ich hiermit von Herzen!

Jetzt will ich schließen, denn wir sehen uns ja bald wieder. Trägst du noch den Marderzahn, den ich dir geschenkt habe? Er soll gut auf dich achtgeben!

In großer Liebe, dein gar nicht mehr so kleiner Bruder Niklas.

Postskriptum: Spürst du, dass ich bei dir bin, wenn sich ein Regenbogen übers Land spannt? Ich hab das nicht vergessen.

 

Eilig faltete sie den Brief zusammen und machte sich auf den Weg in Richtung Donaubrücke. Die Hitze hing schwer in den Gassen, dennoch wurde Evas Schritt immer schneller, bis sie schließlich im Laufschritt die Donau überquerte. Sie musste einfach ihre Freude mit Kathrin teilen. Warum sollte sie auch nicht von Niklas erzählen – schließlich brauchte sie ihr ja nicht gleich auf die Nase zu binden, dass er nach Regensburg kommen wollte.

Melcher, der Torwart, grüßte sie freundlich und bestellte gute Besserung an die Kranke. Im Schatten der Hofkastanie faltete Eva nochmals den Brief auseinander und las ihn ein zweites, dann ein drittes Mal durch. Sie konnte es immer noch nicht fassen: Der kleine, zarte Niklas, den sie einst huckepack durch die Gassen getragen hatte, mauserte sich zum erfolgreichen Kaufmannsgehilfen! Wie sehr sie ihm das gönnte!

Sie faltete das Papier zu einem winzigen Viereck, steckte es in den Gürtel und ging statt ins Siechenhaus hinüber in den Garten. Dort suchte sie ihren Lieblingsrosenstrauch, den in zartem Rosa, und schnitt mit einem Messerchen, das sie stets am Gürtel trug, eine Knospe für Kathrin ab. Nicht ohne sich vorher nach allen Seiten umgeschaut zu haben, denn oftmals streifte hier der Bader durch die Reihen, auf der Suche nach Kräutern, Schnecken oder irgendwelchem Gewürm.

Seit ihrer Genesung befiel Eva jedes Mal, wenn sie das Siechenhaus betrat, ein Gefühl der Beklemmung. Zu deutlich stand hier der Geruch nach Tod und bitterer Armut im Raum, hinzu kamen das Stöhnen und die Schmerzensschreie der Siechen. Kathrin hatte ein Bett für sich, gleich unter dem Fenster, der frischen Luft wegen. Man hatte sie in den Saal geholt, um sie besser im Blick zu haben, denn seit dem Vortag hatte sie hohes Fieber.

«Schläft sie?», fragte sie den Spitalknecht voller Angst, der sogleich auf sie zugekommen war.

«Ja. Und ich bitt dich, Adam: Weck sie nicht auf. Ich hab ihr einen Schlaftrunk gegeben, weil sie so starke Schmerzen auf der Lunge hat.»

Der Anblick der Freundin zog Eva das Herz zusammen: Sie lag wie aufgebahrt auf dem Rücken, das totenbleiche Gesicht leicht zur Seite geneigt, umrahmt von ihrem offenen, aschblonden, sanftgewellten Haar. Die Lippen waren geöffnet und hatten alle Farbe und Frische verloren. Nur das Flattern ihrer geröteten Augenlider verriet, dass Leben in ihr war.

«Wird sie wieder gesund?»

«Aber gewiss doch. Mach dir um deine Braut keine Sorgen, sie ist bei uns in besten Händen. Und wie sich erst Meister Hasplbeck kümmert!»

Ein Pfeil der Eifersucht durchfuhr sie. Dieser Pustelstecher, dieser Quacksalber – der sollte bloß seine gichtigen Finger von Kathrin lassen! Sie legte ihr die Knospe neben das Kopfkissen.

«Sag ihr, dass die Blume von mir ist», bat sie den Knecht. «Und dass ich morgen wiederkomm.»

«Mach ich.»

Als Eva wieder draußen stand, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Würde sich diese Hitze heute überhaupt noch einmal legen? Am liebsten würde sie ein erfrischendes Bad in der Donau nehmen, wie die Mägde, Knechte und Kinder, deren ausgelassenes Johlen vom Badanger herüberschallte. Aber solcherlei Vergnügen blieben ihr nun einmal verwehrt.

«Hast du nicht was verloren, lieber Adam?»

Eva schrak zusammen. Vom Spitalgarten her kam Meister Hasplbeck auf sie zugewackelt.

«Dir ist da was aus dem Gürtel gefallen, vorher, als du die Blume gestohlen hast.»

«Gestohlen – von wegen! Die Knospe hilft einer Kranken bei der Genesung, genau wie die Kräuter dort.»

Dann stutzte sie, und ein eisiger Schrecken durchfuhr sie: Der Bader streckte ihr in seiner offenen Hand Niklas’ Brief entgegen. Das durfte nicht sein – wenn er ihn nun gelesen hatte?

Doch der Blick des Männleins war kalt und undurchdringlich. «Dein Wort in Gottes Ohr, junger Mann. Eine gesegnete Nachtruhe denn auch.»

Hastig nahm sie das Papier an sich, das auf eben die winzige Art zusammengefaltet war wie zuvor, und ging ohne ein weiteres Wort zur Schönen Pforte, wo Melcher sie hinausließ. Hörte sie die beiden Männer hinter der Mauer nicht miteinander flüstern? Und war das nicht das hämische Lachen des Baders?

Als sie zur Nacht auf ihrem Strohsack lag und sich hin und her wälzte, fand sie keinen Schlaf. Sie schob es auf die Hitze, die hier, unterm Dach, nicht weichen wollte. Ihre Beine und Arme zuckten, als seien sie eigenständige Wesen, ihr Rücken war so verspannt, dass er schmerzte. Schließlich stand sie auf und schenkte sich im schwachen Mondlicht einen Schluck Wasser ein.

Im selben Augenblick krachte es gegen die Tür. «Aufmachen, Adam Auer! Sofort!»

Eva setzte den Becher ab, holte tief Luft und rief: «Ja, ich komme.»

Einen letzten Blick ließ sie durch das Zimmer schweifen, doch sie fand nichts, was sie vermissen würde. Sie schlüpfte in ihre Schuhe, zog das Wams über das Hemd und öffnete die Tür.

«Gehen wir», sagte sie zu den beiden Steckenknechten, die sie, wie es ihr schien, voller Unglauben angafften. So hatte es irgendwann kommen müssen, und darüber wurde sie vollkommen ruhig.

 

Im Schein der Fackeln durchquerten sie die engen, düsteren Gassen der Handwerkervorstadt, ohne einer einzigen Menschenseele zu begegnen. Rechts und links hatten die Steckenknechte sie beim Arm gepackt, die Knüppel kampfbereit in der freien Hand.

Erst als sie auf dem Platz vor dem Rathaus standen, durchbrach der Jüngere die Stille.

«Ist es wahr, dass du ein Weib bist?»

«Als solches hat Gott mich geschaffen, ja!»

Sie vermochte nicht mehr, mit unverstellter Stimme zu sprechen, und fast hätte sie darüber gelacht.

«Potzsackerment! Was für ein Schelmenstück!» Der Ältere leuchtete ihr ins Gesicht. «Ich glaub es einfach nicht!»

«Habt ihr noch alle beinand, hier Plauderstunde zu halten?», polterte es aus dem stockdunklen Laubengang unter dem Festsaal. «Sofort bringt ihr die Gefangene her.»

Die Büttel zogen sie an den jetzt leeren Bänken der Bäcker und Fleischhauer vorbei bis vor eine schmale Seitentür, wo ein Gerichtsdiener sie erwartete.

«Los, vorwärts! Rein mit dir!»

Unsanft stieß der Gerichtsdiener Eva einige Stufen hinunter in einen schmalen, dunklen Gang.

«Was habt Ihr vor?», fragte sie. Ihre Stimme war nur mehr ein raues Flüstern.

«Wirst schon sehen. Morgen bring ich dich zur Befragung.»

Und so landete sie in jener Nacht, wie es allen Übeltätern und Spitzbuben dieser Stadt geschah, im Loch unter dem Rathaus. Blieb allein in der kleinen Kammer, im Stockdunklen, angekettet auf einem schmutzigen Haufen Stroh.