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Das neue Jahr brach an, und alles nahm seinen gewohnten Gang – ohne Abwechslung, aber auch ohne böse Überraschungen. Eva mühte sich von früh bis spät, ihr Pensum an Wollgarn zu spinnen und gemeinsam mit Niklas dafür zu sorgen, dass etwas zu essen auf den Tisch kam und die Stube einigermaßen ordentlich aussah. An den Sonn- und Feiertagen ging es dann in die Kirche, mit dem üblichen Spaziergang danach, und abends fiel sie erschöpft in einen unruhigen Schlaf, aus dem fast jede Nacht irgendwelche Fratzen und Schreckensbilder sie herausrissen. Anfangs, in den ersten Wochen nach ihrer Krankheit, war es vorgekommen, dass sie ihr Laken nass pinkelte und sie es mitten in der Nacht, in aller Heimlichkeit, abziehen und sich auf irgendwelche Lumpen betten musste. Da lag sie dann oft stundenlang wach, beschämt, wütend und verzweifelt zugleich, und war ihrer Angst, die in der Dunkelheit immer am ärgsten war, ausgeliefert.

Dabei hatte sich Gallus Barbierer ihr nie wieder genähert. Seltener denn je hielt er sich zu Hause auf, sie sahen einander eigentlich nur noch während der Mahlzeiten, wobei Eva seinen Blicken auswich, so sehr ekelte ihr vor ihm. Und auf dem Weg zur Messe ließ sie ihn jedes Mal vorausgehen, um sich im Kirchenschiff weitab von ihm einen Platz zu suchen.

Zu ihrer großen Erleichterung war auch der Nachtwächter nie wieder bei ihnen aufgetaucht. Ihr Verlöbnis galt zwar nach wie vor, und wenn sie Bomeranz sonntags vor Sankt Gertraud begegnete, schien er sie mit seinem triefenden Blick zu verschlingen – aber dabei blieb es. Trotzdem wurde Eva diese innere Unruhe niemals los, ihr war, als ob etwas in ihr unablässig zerrte und zog, und an manchen Tagen schlug ihr Herz bis zum Hals, ohne ersichtlichen Grund. Sie fühlte sich wie eine Gefangene, festgekettet in einem Kerker auf Lebenszeit.

Am Sonntag auf Quasimodo, dem ersten warmen Tag des Jahres, erschien ein Trupp Gaukler vor der Stadt. Sie schlugen ihr Lager am Ufer des Inns auf, um an den Nachmittagen ihre Künste in den Gassen der Stadt zu präsentieren. Von den Bürgern als umherschweifendes Gesindel geschmäht, wurden in Windeseile die Wachen an Toren und Mauern verstärkt, dennoch strömten Alt und Jung in Scharen herbei, um die Possenreißer, Akrobaten und Musikanten zu bestaunen. Selbst die Stadtväter waren so begeistert, dass sie den Spielleuten anlässlich des anstehenden Jahrmarkts für ein dreitägiges Gastspiel drüben in der alten Stadt, auf dem Residenzplatz, Lizenz gewährten.

Auch Eva war wie gebannt, aber weniger von den beiden Hauptattraktionen, einem zottigen Tanzbären und einem Riesen, der Steine zerkaute wie andere Leute Honigkuchen – zumal sie nicht einen einzigen Pfennig übrig hatte, den sie für die Darbietungen hätte bezahlen können. Was sie weitaus mehr anzog, war das schrille und bunte Völkchen selbst, das tägliche Treiben zwischen den Karren und Zelten auf den Uferwiesen. Dorthin zog es sie nach ihrem täglichen Gang zum Webermeister, den gleichermaßen neugierigen wie ängstlichen Niklas dicht an ihrer Seite, auch wenn ihnen das beim Heimkommen einige Male eine kräftige Maulschelle bescherte. Sie sahen den Kindern beim Üben zu, wie sie auf Händen gingen oder in atemberaubenden Saltos durch die Luft wirbelten, lauschten den Trommlern und Pfeifern, beobachteten, wie junge Hunde zu Kunststücken abgerichtet wurden. Was Eva aber am meisten überraschte, waren die Frauen und Mädchen: Wie stolz und selbstbewusst sie sich gaben! Frank und frei taten sie ihre Meinung kund, tauschten Scherzworte aus, die oft ebenso grob und unflätig waren wie die der Mannsbilder. Die Haare trugen sie offen, packten überall mit an, und vor allem ließen sie sich nichts sagen und vorschreiben. Diese Frauen standen den Männern in nichts nach!

Immer häufiger ertappte Eva sich bei Tagträumen, das unglückselige väterliche Haus für immer zu verlassen und mit den Gauklern zu ziehen. Einfach heimlich und unbemerkt abzuhauen und all das Elend hinter sich zu lassen, diese armselige, düstere Stube samt ihrem Stiefvater und dem fetten alten Bomeranz, dem sie dereinst als Frau gehören sollte! In solchen Momenten schalt sie sich selbstsüchtig und dumm: Niemals würde sie den kleinen, schutzlosen Bruder im Stich lassen, niemals ihre Schwester Josefina verlassen, den einzigen Menschen, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. So war sie beinahe erleichtert, als die Spielleute eines Tages weiterzogen.

Da erst fiel ihr auf, was sie in den Wochen zuvor vor lauter Traumtänzerei gar nicht bemerkt hatte: Josefina war plötzlich so verändert. Sie fand keine Zeit mehr für ihre gemeinsamen Sonntagsspaziergänge, und wenn sie dann einmal während ihrer Besorgungen untertags hereinschneite, legte sie irgendeine Köstlichkeit wie ein Stück Obst oder einen Kuchenrand auf den Tisch und verschwand wieder mit geröteten Wangen.

«Ich glaub, Josefina ist verliebt», sagte Niklas eines Tages.

Eva starrte ihn an. «Wie kommst du bloß auf so was?»

«Ich hab sie gestern mit dem jungen Herrn gesehen, bei Sankt Salvator, ganz allein. Sie haben die ganze Zeit so gekichert und gegackert, dass sie mich gar nicht bemerkt haben, als ich vorbei bin.»

«Bist du dir da sicher?»

«Aber ja.» Fast beleidigt schob er die Unterlippe vor.

Eva schüttelte den Kopf. Das konnte nicht wahr sein – der Lindhorn-Sohn tändelte mit seiner Dienstmagd! Da erinnerte sie sich plötzlich, wie oft schon Josefina den jungen Konrad erwähnt hatte, scheinbar am Rande, aber immer mit einem leichten Lächeln im Gesicht. Sie würde sich doch hoffentlich nicht ins Unglück stürzen? So blöd konnte ihre Schwester doch gar nicht sein, dass sie nicht wusste, dass all diese Herrensöhnchen gleich waren, sich nur ihren Spaß machten mit dem Dienstpersonal.

Es sollte noch einige Zeit dauern, bis Josefina wieder einmal sonntags nach dem Kirchgang vor Sankt Gertraud erschien. Es war Mitte Mai, und der Duft nach frischem Grün und blühenden Holderbüschen drang bis in die engen Gassen der Innstadt.

«Lässt dich auch mal wieder blicken?», knurrte ihr Stiefvater, nachdem Josefina ihn mit abweisender Miene begrüßt hatte. Als sie keine Antwort gab, hielt er sie am Arm fest.

«He, ich red mit dir! Oder bist jetzt was Bessres, dass du deinem Vater keine Antwort mehr gibst?»

«Du bist alles andre, nur nicht mein Vater», zischte Josefina gerade so laut, dass Eva und Niklas es hören konnten. Wieder einmal wünschte sich Eva, sie könnte ihrem Stiefvater nur halb so mutig die Stirn bieten wie ihre Schwester. Die wurde bestimmt von keinen Albträumen mehr geplagt. Verächtlich sah Josefina jetzt Gallus Barbierer nach, wie der in seinem schlurfenden Schritt in Richtung Rappen abzog, und murmelte: «Soll er sich doch zu Tode saufen.»

Ausgerechnet heute hing Niklas wie eine Klette an seiner ältesten Schwester. Dabei brannte Eva darauf, endlich mit ihr allein zu sein. Schließlich versprach sie dem Jungen ihren Anteil von dem Stück Zuckerbrot, das Josefina mitgebracht hatte, und Niklas trollte sich in Richtung Flussufer.

Josefina nahm Eva beim Arm. «Lässt dich der Alte jetzt in Ruh?», fragte sie leise.

Eva nickte nur. Sie wollte nicht daran denken und schon gar nicht darüber reden. Stattdessen fragte sie: «Geht es dir gut bei den Lindhorns?»

Josefina lachte. «Du siehst ja: so gut, dass sie mir Geschenke für euch mitgeben. Nicht dass du denkst, ich hätt das Zuckerbrot geklaut.»

«Hör mal, Josefina. Stimmt das mit dem jungen Konrad und dir?»

Augenblicklich stieg ihrer Schwester eine flammende Röte in das hübsche Gesicht, und Eva wusste, dass Niklas recht hatte.

«Wer sagt so was?», fragte Josefina.

«Ist doch gleich. Dann stimmt es also.»

«Du verstehst das nicht.» Josefinas Stimme klang plötzlich gereizt. «Konrad ist anders. Er meint es ernst.»

Eva biss sich auf die Lippen. Das war ja noch ärger, als sie befürchtet hatte.

«Stell dir vor», fuhr Josefina fort, «er will nach Wien, zu seinem Oheim. Irgendwann im nächsten Jahr, und dann nimmt er mich mit.»

«Nach Wien?» Fassungslos blieb Eva stehen.

«Jetzt glotz nicht wie ein Schaf! Wenn wir erst geheiratet haben, hol ich dich und Niklas nach.»

«Und das glaubst du ihm alles?»

«Konrad liebt mich wirklich! Er ist der wunderbarste Mann der Welt.»

«Josefina! Du bist nichts als eine armselige Magd! Und er ist der Sohn eines reichen Kaufmanns, eines Ratsherrn obendrein.»

Wieder lachte Josefina – ein wenig zu laut, wie Eva fand. «Ich wär nicht die Erste, die ein feiner Herr geheiratet hätt. Und jetzt freu dich lieber mit mir. Oder bist du etwa neidisch?»

 

Es war alles andere als Neid, was Eva in jenem Augenblick empfunden hatte. Vielmehr machte sie sich seither ernstliche Sorgen um ihre Schwester, mehr noch als um Niklas und sich selbst.

Als sich dann im Juni dieser Konrad Lindhorn tatsächlich nach Wien davonmachte, allein, nur in Begleitung eines Knechts, ahnte Eva, dass das Verhängnis bereits seinen Lauf nahm. Eines Morgens kam Josefina, mitten in der Woche, bei ihnen in der Löwengrube hereingeschneit, die Augen rot und verheult.

«Er ist einfach weg, von einem Tag auf den andern», schluchzte Josefina, nachdem sie Niklas auf die Straße geschickt hatten. «Und Madlena, die Wäscherin, hat mir zugesteckt, dass er in Wien der Tochter eines steinreichen Gewürzhändlers versprochen ist.»

«Das hättst dir doch denken können! Der Kerl ist nicht wert, dass du um ihn weinst», versuchte Eva zu trösten. «Ein Hallodri ist der, ein elender Lügenbeutel! Sei froh, dass du ihn jetzt los bist und nicht erst, wenn alles zu spät ist.»

Da brach Josefina zusammen. Ihr Oberkörper sank auf die Tischplatte, von Schluchzern geschüttelt, ihren Kopf hielt sie unter den Armen vergraben. In Eva keimte ein entsetzlicher Verdacht.

«Hast du – hast du bei ihm gelegen?» Eva gelang es kaum, das Furchtbare auszusprechen.

Statt einer Antwort heulte Josefina nur noch lauter.

«Herr im Himmel!» Eva zog ihre Schwester fest an sich, als könne sie sie damit vor dem drohenden Unheil beschützen.

«Dabei hat Konrad mir die Ehe versprochen! Bei Gott und allen Heiligen!» Josefinas Stimme wurde zu einem Flüstern. «Sonst hätt ich mich doch nie drauf eingelassen! Und jetzt bleibt meine Monatsblutung aus. Seit vielen Wochen schon.»

«Du musst zu einer weisen Frau, zu einer Hebamme», stotterte Eva. Dabei kannte sie sich in solchen Dingen selbst nicht aus. «Solche Frauen können einem manchmal weiterhelfen, hab ich gehört. Sie können eine Schwangerschaft ungeschehen machen. O Gott, Josefina – niemand darf wissen, was geschehen ist. Im schlimmsten Fall musst du aus der Stadt und irgendwo heimlich niederkommen. Das Kleine kann ja ins Findelhaus, irgendeine Möglichkeit wird’s schon geben.»

«Wenn das Kind kommt, bring ich es um! Und mich selbst gleich dazu!»

Erschrocken ließ Eva ihre Schwester los. «Das ist eine Todsünde! Versprich mir, dass du an so was nicht mal mehr denkst. Und jetzt geh rasch nach Haus zu deiner Herrschaft, damit sie nichts merken. Vielleicht wird alles gar nicht so schlimm.»

 

Dabei war es längst zu spät. Madlena hatte ihrer Herrin brühwarm gepetzt, dass der junge Konrad und die Barbiererin in Unehren beieinandergelegen hätten, bald jede Nacht. Und jetzt bekomme die Magd ihre weibliche Gerechtigkeit nicht mehr. Darum sei der junge Herr auch so überstürzt nach Wien gereist.

Am selben Tag noch musste Josefina ihr Bündel packen und das vornehme Haus am Residenzplatz für immer verlassen. Mit eingezogenen Schultern, das Gesicht aschfahl, die Augen glanzlos – so stand Josefina vor ihren Geschwistern im Türrahmen und hatte gar nichts mehr von der stolzen, selbstbewussten Schönheit, die Eva immer so an ihr bewundert hatte. Klein und grau stand sie da und wiederholte ein ums andre Mal mit tonloser Stimme: «Ich steig in die Donau!» – bis Niklas schließlich lautstark zu heulen begann. Da erst wurde Eva bewusst, dass sie rasch handeln mussten.

«Los, schnell, bevor Vater zurück ist.» Sie packte ihre Schwester beim Arm und zog sie aus dem Haus, quer über die Gasse. In ihrer Not wusste sie nur einen einzigen Menschen, der ihnen vielleicht helfen konnte: die Hoblerin.

Die erkannte auf den ersten Blick, wie es um Josefina stand.

«Mädchen, Mädchen, was machst du nur für Sachen?« Energisch schob sie Josefina auf die einzige Bank in ihrer armseligen, aber blitzblank geputzten Stube und holte einen Becher Wein.

«Jetzt trink erst mal. Weißt, wer der Kindsvater ist?»

«Ja.» Josefina hielt mit zitternden Händen den Becher an die Lippen. Eine ganze Weile herrschte bedrücktes Schweigen im Raum. Von unten drangen die Rufe eines Krämers herauf, der seinen Karren durch die enge Gasse lenkte. Schließlich ergriff Eva das Wort:

«Es ist der älteste Sohn ihres Dienstherrn, der Sohn vom Ratsherrn Lindhorn.»

Die Alte runzelte die Stirn. «Das klingt nicht gut. Andrerseits – bei so hohen Herrschaften will man Aufsehen vermeiden.» Sie sah Josefina eindringlich an. «Ist’s mit Gewalt geschehen?»

Josefina schüttelte heftig den Kopf. Erneut liefen ihr die Tränen über die Wangen.

«Oje. Also aus Liebe. Und jetzt, wo der Herrgott euch die Frucht dieser Liebe schenkt, lässt dich der Kerl sitzen. Ist es nicht so? Wie lang ging das schon zwischen euch beiden?»

«Seit Weihnachten», schluchzte Josefina. Eva starrte unwillkürlich auf den Rock ihrer Schwester: Wölbte sich da nicht schon deutlich der Bauch unterhalb des Schnürmieders?

«Noch ist die Schlacht nicht verloren.» Die Hoblerin nahm nun selbst einen kräftigen Schluck aus dem Becher. «Ein Kindsvater wird gemeinhin zur Verantwortung gezogen, allein schon, um für das Kind aufzukommen. Ob er nun Lindhorn heißt oder Hans Hungerbein. Daher wird sich der Herr Magistrat hüten, das Ganze zur Anzeige zu bringen, so dumm wird er nicht sein. Eher wird er eurem Vater ein bisserl Geld bieten, damit er stillschweigt. Dafür wird er allerdings wollen, dass Josefina wegzieht und das Kind anderswo zur Welt bringt. Euer Vater sollte also baldmöglichst den alten Herrn aufsuchen und ihm andeuten, dass er mit einem solchen Handel einverstanden ist.»

«Aber – wo soll ich denn hin?» Josefina sah die alte Witwe erschrocken an.

«Ihr werdet doch irgendwo Verwandtschaft haben?»

In diesem Augenblick hörten sie jemanden im Treppenhaus poltern und brüllen. Der Stiefvater!

«Wo ist das verkommene Miststück? Dieses Hurenweib! Ich dreh ihr den Hals um!»

Krachend schlug seine Faust gegen die Wohnungstür. Josefina sprang von der Bank und presste sich in der hintersten Zimmerecke gegen die Wand.

«Mach sofort auf, Hoblerin! Ich weiß, dass meine Töchter hier sind.»

«Nicht, wenn Ihr euch aufführt wie ein Tollhäusler! Das hier sind meine vier Wände.»

«Wart nur, du falsche Schlange – ich hetz dir die gesamte Passauer Scharwache auf den Hals.»

Zu Evas Erstaunen nahm die Alte einen Schürhaken vom Küchenbord und stellte sich schützend vor Josefina. Eine solche Beherztheit hätte sie der bresthaften Frau gar nicht zugetraut. Dann gab die Hoblerin ihr ein Zeichen, die Tür zu entriegeln. Mit glühend rotem Kopf stürzte Gallus Barbierer herein.

«Halt! Keinen Schritt weiter! Sonst schlag ich Euch ein Loch in den Schädel!»

Die Hoblerin hob den eisernen Haken. Barbierer war nicht minder überrascht über die wehrhafte Alte und verharrte tatsächlich auf der Stelle.

«Du drohst mir? Das hat Folgen, das schwör ich dir! Und jetzt gib mir die Josefina raus, dass ich sie aufs Rathaus bringe.»

«Sagt mir erst, warum!»

«Warum, warum! Geh doch rüber, in die Stadt – da pfeifen’s die Spatzen von allen Dächern. Rumgehurt hat sie und sich dann auch noch den Ranzen füllen lassen von irgendeinem geilen Mannsbild. Pfui Schande!»

«Das ist nicht wahr!» Eva ballte die Fäuste. «Dieser Konrad Lindhorn hat sie belogen und betrogen. Vor Gericht gehört der!»

«Halt die Goschn!» Barbierer verpasste ihr eine Maulschelle. «Und jetzt geh mir aus dem Weg, Hoblerin! Oder soll ich dich gleich mit ins Loch nehmen?»

«Ins Loch? Was soll das heißen?»

«Das heißt, was es heißt. Lindhorn hat meine saubere Tochter bei Gericht angezeigt. Wegen mannigfacher Unzucht nämlich und in Unehren empfangener Leibesfrucht. Nicht nur an dieses Herrensöhnchen hat sie sich nämlich rangeschmissen – für zig hergelaufene Mannspersonen hat sie die Haxn breitgemacht! Die Wäscherin kann’s bezeugen.»

Da begann Josefina zu schreien. «Diese Lügnerin! Diese dreckige Schlampe!» Ihre Stimme überschlug sich. «Nichts davon ist wahr! Konrad wollt mich heiraten.»

Ihr Stiefvater lachte böse.

«Das kannst dem Richter erzählen. Ich jedenfalls bring dich jetzt zum Ratsgefängnis und werd dich höchstselbst gefänglich einziehen, in meinem Amt als Büttel.» Er spuckte aus. «Hab doch immer gewusst, was für ein verdorbenes Stück du bist.»

Die Hoblerin fasste ihn beim Arm. «Hört zu, Gallus Barbierer. Hört mir zu als Mensch und Nachbar, als Vater dieser beiden Mädchen. Lasst uns zusammen beim Magistrat eine Fürbitte einbringen. Dann kommt sie vielleicht mit einer Geldstrafe davon und mit einer Verbannung ins väterliche Haus. Ich fleh Euch an: Bittet mit mir um Gnade und zeigt Euch bereit, Josefina und ihr Kind, wenn sie denn schwanger ist, bei Euch aufzunehmen.»

«Niemals!» Er schüttelte ihren Arm ab.

«Aber sie ist Eure Tochter!»

«Was gehen den Bock seine Lämmer an? Und von wegen Tochter – sie ist eine Hure, eine ausgestrichene, gottverdammte Erzhure!»