27.

CORELLIA


Während er mit enormer Geschwindigkeit die Straße entlangschoss und zu beiden Seiten hohe Gebäude vorbeizuckten, so schnell, dass er keinerlei Einzelheiten, nicht mal ihre Farbe registrierte, geschweige denn ihre Bauweise, hielt Hau seine Aufmerksamkeit auf das Gefährt unmittelbar vor seinem eigenen gerichtet. Es war eine schwarze Scheibe mit drei feurigen Öffnungen, Schubdüsen, die nach hinten in seine Richtung wiesen - das Heck eines corellianischen YT-5100-Bombers der Shriek-Klasse, genau wie sein eigener. Es ärgerte ihn, dass Wedges Bomber die Führung übernommen hatte - das war ein unnatürlicher Zustand, und er hatte vor, ihn so rasch wie möglich zu beheben.

Von vorn blitzte Laserfeuer über sein Cockpit hinweg, und der Bildschirm, der die Daten über seinen Schildstatus anzeigte, leuchtete am Rande seines Blickfelds rot auf, ein Anzeichen dafür, dass sein Shriek getroffen worden war -allerdings hatte es keine Erschütterung gegeben, also musste es sich um einen Streifschuss handeln. Er sah, wie Wedges Shriek schwankte und ein bisschen zur Seite rutschte, ein erfolgreicher Versuch, der Masse an Laserfeuer auszuweichen, die von weiter vorne auf ihn zukam. Das, wurde Hau bewusst, war seine Chance, sich an die Spitze zu setzen.

Er sah eine weitere Abfolge roter Blitze vor sich, konzentrierteres Laserfeuer, und schätzte, dass die geballtesten Salven von der Backbordseite auf dem Shriek abgeschossen wurden. Er flog einen Schlenker. gab Schub auf

seine Düsen.

Wedge glitt erneut zur Seite, um dem schlimmsten Beschuss auszuweichen, und Hans zeitlich perfekt angepasste Beschleunigung brachte ihn neben Wedges Bomber und dann ein Stück davor. Han donnerte mitten in das dichteste Laserfeuer, und sein Schildmonitor leuchtete alarmierend hell auf - aber dafür flog er jetzt an der Spitze.

Vor ihm, zu nah, befand sich der künstliche graue Berg des Terkury-Wohnkomplexes. des Gebäudes, unter dem er in weniger als einer Sekunde hindurchfliegen sollte.

Er zog den Abzug seiner ersten Ladung von Erschütterungsraketen, in dem Wissen, dass die Raketen die Straße zu spät aufreißen würden, dass sich die herum wirbelnden Trümmer nicht rechtzeitig legen würden. Er dachte daran, abzudrehen, himmelwärts zu fliegen - eine Selbstmordaktion, wenn man an die ganzen Laserstellungen und die Schiffe der Galaktischen Allianz dachte, die ihnen auf den Fersen waren und dann imstande wären, auf ihn zu feuern, aber nicht so selbstmörderisch, wie in die Seite dieses Gebäudes zu krachen -, doch an seiner Steuerbordseite gab es einen gelben Blitz, als Wedges Raketen, bereits gezündet, an ihm vorbeischössen und in die richtige Stelle der Straße einschlugen. Mit einem Mal verwandelte sich die Straße in eine sich ausbreitende Wolke aus Trümmern, Staub und Flammen.

Han tauchte ab und hielt auf eine Stelle unmittelbar unterhalb des Zentrums der Wolke zu. Zwei oder drei Sekunden lang würde er blind fliegen, aber er kannte die Entfernungen, die Abstände, die Tiefe. Er wartete den Bruchteil einer Sekunde, bis sein Bauchgefühl ihm sagte, dass er sich unter der Straßenebene befinden musste, dann stabilisierte er den Bomber und feuerte seine zweite Ladung Raketen ab.

Er passierte die erste Wolke. Überall um ihn herum waren Stützsäulen aus Durabeton und die weite Fläche leerer unterirdischer Hangars, unbeleuchtet, sodass ihm diese Einzelheiten von der Einsatzanzeige im Sichtfenster vor ihm in Blauschattierungen präsentiert wurden. Dann trafen seine Raketen, und die Wand direkt voraus explodierte in einer zweiten Wolke. Er schoss hindurch und stieg auf, vertraute auf seinen Instinkt und sein Timing.

Und dann war da über ihm der Himmel, getönt durch die Präsenz militärischer Schilde. »Werfe Artillerieladung ab«, sagte er und drückte die Knöpfe, die die Dutzende Zielleitdroiden aus seinem Bombenschacht

hinauskatapultieren würden.

Auf seine Worte folgte ein sonderbares Echo, und ihm wurde klar, dass es Wedges Stimme war. Wedge hatte seine eigene Artillerieladung abgeworfen und verkündete dies im exakt gleichen Moment wie Han.

Das Sichtfenster wurde schwarz. Die Vibrationen und das Gefühl, dass sich der Shriek bewegte, hörten auf. Einen Moment lang wurde das Cockpit allein vom Glühen der verschiedenen Anzeigetafeln erhellt, auf die Han während der Mission nicht einen einzigen Blick geworfen hatte; dann erleuchtete helleres Licht von hinter ihm den Raum, als sich die Zugangsluke des Simulators öffnete.

Han seufzte und benutzte die Metallstufen über seinem Kopf, um rückwärts aus dem Simulator und in einen schwach erhellten Korridor zu klettern. Dort befand sich noch eine Einstiegsluke, identisch mit seiner, ein paar Meter rechts von ihm, und zwei weitere zu seiner Linken; Wedge Antilles stand neben einer davon, genau wie Han mit dem feschen grünschwarzen Fluganzug und dem Helm eines Shriek-Pi-loten bekleidet. Er war bereits dabei, seine Luke zu schließen.

Wedges Gesichtszüge wurden vom getönten Komplettschutzvisier seines Helms komplett verborgen, doch er klappte das Visier hoch, um Han anzustarren. »Du musst nicht an der Spitze sein, weißt du«, sagte er. »Davon hängt der Erfolg der Mission nicht ab.«

Han drehte seinen Helm um ein Viertel und zog ihn nach oben hin ab. Er schenkte Wedge sein unausstehlichstes Grinsen, das, das Leia von Zeit zu Zeit beinahe zu Handgreiflichkeiten verleitete. »Sicher weiß ich das.«

Wedges Miene war unerbittlich. »Ist dir der Teil aufgefallen, wo das Gerangel um die Führungsposition dazu geführt hat, dass du dein Raketenabschussfenster verpasst hast? Erinnerst du dich daran?«

»Du hast mir ziemlich gut den Rücken freigehalten«, sagte Han. »Du zeigst als Pilot einiges an Potential. Vielleicht solltest du über eine Laufbahn beim Militär nachdenken.«

Gegen seinen Willen grinste Wedge knapp. »Und du solltest darüber nachdenken, im Team zu spielen.« Er streifte seinen eigenen Helm ab.

»Ich bin ein Teamspieler«, protestierte Han. »So lange der Rest des Teams hinter mir bleibt.«

»Deine Flugmanöver beunruhigen mich.«

»Oooh. General Antilles ist beunruhigt.«

»Denn wenn du als dünner roter Schmierfilm auf der Oberfläche von Tralus endest, wird Leia mich für den Rest meiner Tage verfolgen, was dann bloß noch ein oder zwei sein könnten, wenn sie wütend genug ist.«

Han nickte. »Um ehrlich zu sein, ist das ein gutes Argument.

Ich schlage vor, du sorgst dafür, dass ich am Leben bleibe.«

»Antilles!« Das war eine neue Stimme, die sich als Ruf von der anderen Seite der Simulatorenkammer erhob - und die Stimme war so durchdringend wie die von Han. »Wo sind Sie?« Die Stimme kam näher, der Sprecher befand sich unmittelbar hinter der Ecke.

Wedges Augen wurden groß, und Han wusste, dass er selbst den gleichen Gesichtsausdruck zur Schau stellte. Das war die Stimme von Thrackan Sal-Solo, der nicht wusste, dass Han an dieser Mission beteiligt war - oder dass sich Han und Leia auch nur auf Corellia aufhielten.

Han blickte gehetzt vor und zurück, aber der Korridor mit den Shriek-Simulatoren war eine Sackgasse.

Wedge tat so, als würde er seinen Helm aufsetzen. Han kam der Aufforderung nach und klappte das Visier zu. Einen Moment später umrundete Sal-Solo die Ecke, um vor ihnen stehen zu bleiben. Hinter ihm - bemüht, zu ihm aufzuschließen - trotteten vier CorSic-Wachen her. Einen Augenblick später kamen die letzten Einheiten des Gefolges, zwei YVH-Kampfdroiden. um die Ecke.

Sal-Solo stemmte die Hände in die Hüften, eine Geste streitlustiger Ungeduld. »Nun?«

Wedge warf ihm einen Blick zu. »Nun was?«

»Wie läuft das Missionstraining?«

»Es läuft sehr gut. Wir haben soeben die dritte von drei aufeinanderfolgenden Simulationen mit dem erwarteten Schwierigkeitsgrad erfolgreich abgeschlossen. Morgen werden wir anfangen, den Schwierigkeitsgrad zu vernunftwidrigen Extremen hochzuschrauben.«

»Gut, gut. Genau das habe ich mir gedacht. Ich habe mir gerade oben im Kontrollraum die Aufzeichnungen der

Simulatoren angesehen.« Sal-Solo sah Han an. »Wer ist das?«

»Kriegsminister Thrackan Sal-Solo, erlaubt mir, Euch meinen Missionspartner vorstellen zu dürfen, Aalos Noorg. Aalos hat den Großteil seiner Laufbahn im Genossenschaftssektor verbracht, bis die Krise hier ihn davon überzeugt hat, nach Hause zu kommen. Aalos, nimm deinen Helm ab.«

Han legte die Hände auf seinen Helm und tat so, als versuchte er, ihn in seiner Halsschließe zu drehen, setzte dabei aber in Wahrheit keinerlei Kraft ein. Natürlich rührte sich der Helm nicht von der Stelle. Er tat so, als versuchte er es erneut, und dann, Verzweiflung mimend, gab er vor. sein Helmvisier öffnen zu wollen. Auch das Visier blieb stur geschlossen.

»Prototyphelme«, sagte Wedge. »Offensichtlich müssen sie daran noch einige Fehler beseitigen.«

»Macht nichts, macht nichts.« Sal-Solo traf vor und streckte die Hand aus. »Es ist immer schön, einen Patrioten zu treffen.«

Han schüttelte ihm die Hand. Mit tiefer Stimme sprechend und murmelnd, sodass seine Worte undeutlich klangen, sagte er: »Ich möchte denen da oben danken, dass mein Helm klemmt, weil das deinen Gestank aus meiner Nase fern hält.«

Sal-Solo warf Wedge einen verwirrten Blick zu. »Was hat er gesagt?«

»Er möchte Euch und seinem Glück danken, weil er sich nie hätte träumen lassen, dass man ihn für diesen Einsatz aussuchen würde.«

»Ah. Keine Ursache.«

Han fügte hinzu: »Und ich würde dich gern an einen Bantha ketten und dich durch fünfzig Kilometer Pfeilblumen und fleischfressender Pflanzen schleifen, bis von dir bloß noch ein Schandfleck übrig ist.«

Wedge räusperte sich. »Aalos, sei nicht so überschwänglich mit deinem Loh. Der Staatschef wird denken, du versuchst ihm zu schmeicheln.«

»Was er sagt, spielt keine Rolle.« Sal-Solo klopfte Han auf die Schultern. »Was zählt, ist eine erfolgreiche Mission. Machen Sie weiter so!« Er drehte sich um und marschierte mit großen Schritten so schnell, wie er gekommen war, davon; seine Eskorte beeilte sich, zu ihm aufzuschließen.

Als Sal-Solo und sein Gefolge die Kammer vorlassen hatten, zog Han seinen Helm wieder ab.

»Das«, sagte Wedge, »war knapp.«

»Zu knapp.«

»Lass uns einen Drink nehmen, um zu feiern, dass wir noch mal davongekommen sind.«

»Zwei Drinks.«


LORRD-STADT, LORRD


Ben wurde von jemandem geweckt, der seinen Fuß schüttelte. Gereizt öffnete er ein Auge, um Jacen am Ende seiner Pritsche stehen zu sehen. »Zeit aufzustehen«, sagte Jacen.

»Lssmichersmaaufwachn.«

»Zieh dich an, schnapp dir deine Ausrüstung.«

Ben schaffte es, sein anderes Auge zu öffnen. Er setzte sich auf. »Hat Dr. Rotham noch mehr Quasten übersetzt?«, fragte er.

»Nein. Es gibt einen weiteren Zwischenfall, bei dem sie um die Hilfe von Jedi gebeten haben.«

»Oh.« Ben versuchte sein Hirn dazu zu bringen, korrekt zu arbeiten. »Ich hoffe, diesmal fliegt nicht wieder was in die Luft.« »Da wird wieder was in die Luft fliegen, nicht wahr?«, sagte Ben.

Jacen nickte abwesend. »Vermutlich.«

Sie standen gleich außerhalb einer drängelnden, verunsicherten Menge am Rande eines großen Platzes. Der Durabeton der Oberfläche des Platzes war mit flussgeglätteten Kieselsteinen intarsiert, was die Oberfläche ästhetisch ansprechend und gekünstelt natürlich wirken ließ, und selbst aus dieser Entfernung war sie dunkel von Wasser.

Auf der anderen Seite des Platzes, direkt vor der Lorrd-Akademie für Aquastudien, befand sich ein gewaltiges Transparistahlaquarium. Es war aufwändig so entworfen worden, dass es genauso aussah wie die Art von Aquarium, die man in den Wohngemächern so ziemlich jeder Unterkunft fand oder im Schlafzimmer eines jeden neugierigen Kindes, doch es hatte die Größe einer dreistöckigen Privatresidenz. Eine Quarren- oder Mon-Calamari-Familie hätte darin glücklich sein können, hätten ihre Mitglieder eine exhibitionistische Ader gehabt. Treppenstufen und ein kleiner Freiluftaufzug waren an der schmaleren Südwand angebracht, und über die Oberseite erstreckte sich ein mächtiger Durastrahlträger, der das Gewicht des Gehäuses mit den Wasseraufbereitungs- und Überwachungsgeräten trug.

Das Wasser war aus dem gigantischen Behälter abgelassen worden - aus diesem Grund verdunkelte die Flüssigkeit den Platz in einem beträchtlichen Umkreis um das Aquarium herum. Auf dem Grund des Aquariums, im Innern, befand sich die Silhouette der Innenstadt von Lorrd-Stadt, einschließlich des berühmten Verwaltungsgebäudes der Universität, gestaltet als weißer Turm, und des großen Studentenversammlungsgebäudes. Sie waren als Miniaturen nachgebildet und in prunkvolleren Farben, als die Originalgebäude sie aufwiesen. Zwischen diesen Gebäuden, über die bunten Steine, den Kies und die sterbenden Wasserlebensformen stolpernd, die den Boden des Aquariums bedeckten, drängten sich Vertreter vieler Spezies - Ben sah Menschen, Bothaner, Mon Calamari und Verpinen darunter. Sie alle schenkten dem Wesen ihre ungeteilte, furchtsame Aufmerksamkeit, das jetzt in der Südostecke des Aquariums stand.

Er war ein Mensch, kräftig, zwei Meter groß und mindestens hundertfünfzig Kilo schwer, von denen ein beträchtlicher Teil Muskeln waren. Er hatte dunkles Haar, einen Schnurrbart und einen Kinnbart, kurz geschnitten, aber nicht sonderlich gepflegt, wie ein Weltraumpirat aus einer Holoserie für Kinder. Er trug strenge schwarze Gewänder. In seiner linken Hand hielt er eine Blasterpistole und in seiner rechten einige kleinere Gegenstände, die der Jedi nicht erkennen konnte.

Außerdem trug er einen Menschenmann. Ein dunkelhäutiger, durchschnittlich großer Mann in mittleren Jahren war mit einer Reihe von Klebebandringen an seinen Rücken geheftet. Er war Rücken an Rücken an den größeren Mann gebunden, sodass sie in unterschiedliche Richtungen schauten.

»Dieser Mann«, sagte Nelani, »ist offensichtlich verrückt.«

Laut Augenzeugen war das Aquarium wenige Stunden zuvor noch voller Wasser und Wasserlebensformen gewesen, die ihrem üblichen Tagwerk aus trägem Herumschwimmen oder einander auffressen nachgingen. Dann war eine Gruppe von Arbeitern oder Schlägern eingetroffen, angeführt von dem großen Mann. Während einige von ihnen die Notfallventile des Aquariums geöffnet hatten, um das Wasser quer über den

Platz zu verströmen, hatten andere die Besucher des Museumsbereichs der Akademie zusammengetrieben, sie hierhergeführt und sie gezwungen, die Stufen zu erklimmen und in das Wasser zu springen, bevor zu viel davon abgelaufen war. Dort hatten sie gepaddelt, verängstigt und unglücklich, während die Schläger dem Anführer eine letzte Geisel auf den Rücken geschnallt hatten und dann geflohen waren. Sobald die Lorrd-Sicherheitskräfte einzutreffen begannen, war der Geiselnehmer in das Becken gesprungen und hatte zusammen mit den anderen gepaddelt, bis das Wasser den Boden des Aquariums erreicht hatte.

»Was wissen wir über ihn?«, fragte Nelani.

Leutnant Samran, der ein paar Meter entfernt über Kommlink die Aktivitäten seiner Sicherheitsoffiziere dirigierte, sah sie an und schüttelte den Kopf. »Wir wissen nicht, wer er ist. Wenn Sie mit ihm reden, tun Sie uns den Gefallen, das herauszufinden. Wir wissen aber, dass er einem unserer Offiziere seine Kommlinkfrequenz gegeben hat.« Erhielt ihnen einen kleinen Fetzen Schmierpapier hin, den Ben entgegennahm. Ben stellte sein Kommlink auf die dort aufgeschriebene Frequenz ein. Samran fuhr fort: »Wir wissen außerdem, dass er behauptet, dass zwischen seinem Rücken und dem seiner Geisel Sprengstoff eingeklemmt ist. Das Ding in seiner rechten Hand ist vermutlich eine Zündvorrichtung. Oh, und er will mit Lorrds Lieblings-Jedi sprechen.« Er warf Nelani einen rechtfertigenden Blick zu. »Seine Worte, meine Dame, nicht meine.«

»Natürlich.«

»Hatten Sie irgendwelchen Erfolg damit, seine Männer aufzuspüren?«, fragte Jacen.

Samran schüttelte den Kopf. »Sie trugen alle schlichte schwarze Kleidung und Stoffmasken. Als sie flohen, mischten sie sich unter die Menge auf den Straßen oder verschwanden in mehreren Dutzend öffentlichen Gebäuden. Sie könnten überall sein.« Er deutete auf den nahen Rand der Menge.

»Ich denke«, sagte Jacen zu Nelani, »dass ich diesmal Gebrauch von meinen Vorrechten als Ranghöherer mache und zuerst mit dem Mann rede.«

»Vergiss nur nicht, dass du ihn diesmal nicht in die Luft jagen kannst, ohne dabei ein unschuldiges Leben zu opfern«, sagte sie.

»Gehen wir.« Jacen führte die anderen Jedi auf dem langen Marsch über den leeren Platz an. Während sie gingen, nahm Ben Jacens Kommlink und stellte es ebenfalls auf die Frequenz des Geiselnehmers ein.

Sie waren bloß zwanzig Meter von der eindrucksvollen Transparistahlwand des Aquariums entfernt, als sie sahen, wie sich die Lippen des Geiselnehmers bewegten. Die Kommlinks von Jacen und Ben übermittelten seine Worte: »Hallo, Jedi.«

Jacen stoppte, und die anderen kamen hinter ihm zum Stehen. »Ich würde ja Guten Morgen sagen«, sagte Jacen. »aber wie es aussieht, haben Sie verhindert, dass dies für einige Leute ein guter Morgen wird. Mich eingeschlossen. Ich hatte eigentlich vor. lange zu schlafen.«

Der Geiselnehmer schwang herum, um seine Gefangenen zu mustern. Dabei schien er das Gewicht des Mannes, der auf seinen Rücken geschnallt war, nicht einmal zu spüren. Die Jedi erhaschten einen Blick auf diese Geisel, einen kahl werdenden Mann mit Furcht im Gesicht, bevor der Geiselnehmer wieder herumwirbelte, um sie anzusehen. »Sie haben sich gelangweilt«, sagte der Geiselnehmer. »Warum wären sie sonst hier? Jetzt langweilen sie sich nicht mehr. Sie werden für den Rest ihres Lebens von diesem Tag erzählen können. Ich tue ihnen einen Gefallen. Ich erlaube ihnen, sich im Glänze meiner vergänglichen Berühmtheit zu sonnen.«

»Literaturkritiker«, sagte Nelani.

Die Augenbrauen des Geiselnehmers schössen nach oben. »Um ehrlich zu sein, ich wurde tatsächlich literarisch ausgebildet. Genauer gesagt, in Literatursynchronisation. Das ist der Prozess, bei dem bekannte Geschichten, die auf verschiedenen Welten kursieren, miteinander verschmelzen und ihre archetypischen Charaktere vereinheitlicht werden, wenn die jeweiligen Planeten einer galaktischen Gemeinschaft beitreten. Also ist Literaturkritik durchaus Teil meines Berufs.«

»Sie sehen mehr wie ein Profiringer aus«, sagte Ben.

Der Geiselnehmer sah erfreut aus. »Das hätte ich vermutlich auch werden sollen. Dann hätte mein Leben mehr Freuden für mich bereit gehalten.«

»Wie ist Ihr Name?«, fragte Jacen.

»Ich bin Dr. Movac Arisster. Aus Lorrd-Stadt, Lehrstuhl an der Universität für Pangalaktische Kulturelle Studien.«

»Ich bin Jacen. Das ist Nelani. und das ist Ben. Sie haben angedeutet, dass Sie mit Jedi sprechen wollen. Warum? Weil Ihnen das jemand vorgeschlagen hat?«

»Ja.« Arisster schien unbekümmert darüber, dass Jacen sein Geheimnis erahnt hatte. »Das Bemerkenswerteste daran ist, wer es tat. Haben Sie jemals von Aayla Secura gehört?«

Jacen nickte. Er war bei etlichen Gelegenheiten über diesen Namen gestolpert - bei seinen frühen Studien an der Jedi-Akademie und anschließend auf seinen Reisen zu Planeten, die er besucht hatte.

Aber offensichtlich hatte Ben und Nelani den Namen noch nie gehört. Arisster wandte sich daher an sie. »Sie war eine

Jedi-Meisterin, gegen Ende der Alten Republik. Angeblich wurde sie von Klontrupplern erschossen, wie so viele aus eurem Orden damals. Eine blaue Twi'lek, und Holos. die von ihr überdauert haben, zeigen, dass sie ein wunderschönes Gesicht hatte und von prächtiger Gestalt war. Nun. während ihrer Laufbahn diente sie den Leuten auf vielen Planeten und hat Eingang in die folkloristischen Überlieferungen mehrerer primitiver Kulturen gefunden, wo sie häufig mit örtlichen historischen Persönlichkeiten oder Göttinnen-Charakteren verschmolzen wurde.« Arisster verlor einen Moment lang die Konzentration und starrte in die Ferne. »Selbst heute noch schreiben gebildete Immigranten aus diesen Kulturen fiktive Werke über sie, einige davon erstaunlich lasziv.«

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Jedi zu. »Sagen Sie mir, Jacen, machen die Leute das auch mit Ihnen? Geschichten über Sie schreiben und Sie mit unwahrscheinlichen Liebespartnern verkuppeln?«

Jacen ignorierte die Frage. »Aayla Secura hat Ihnen gesagt, dass Sie das hier machen sollen?«

»Nein.« Arisster schüttelte so nachdrücklich den Kopf, dass es den Körper des Mannes gleich mit schüttelte, der an ihn geschnallt war. »Ich habe mich dazu entschlossen, dies hier zu tun. Dann kam Aayla Secura - oder besser: jemand in ihrer Gestalt - zu mir und schlug vor, dass ich die Jedi herkommen lassen solle, um mit ihnen zu reden.«

Jacen bedachte ihn mit einem verwirrten Stirnrunzeln. »Zu welchem Zweck?«

»Um Einlass in euren Geschichtskreislauf zu erhalten natürlich. Ich bin ein Niemand, und ich sterbe. In sechs Monaten wird unheilbarer Krebs, der vermutlich von einem Strahlungsleck verursacht wurde;, vor vielen Jahren auf einer

Reise, und der meine Lungen und andere Organe befallen hat, mich umbringen. Niemand wird je von mir erfahren. Doch jetzt werde ich mir ein kleines bisschen literarischer Unsterblichkeit sichern, als Mann, als ganz normaler Menschenmann ohne irgendwelche kämpferischen Talente oder Macht-Fähigkeiten, der einen Jedi bezwungen hat.«

Arisster lehnte sich dichter zu dem Transparistahl und starrte Jacen angespannt an. »Ich will Ihnen dafür danken, dass Sie hier sind. Ich bin sicher, Nelani ist eine fähige und loyale Jedi-Ritterin. aber sie ist nicht berühmt. Mit Jacen Solos Lebensgeschichte verbunden zu sein, ist um so vieles besser.«

»Sie wollen mich bezwingen? Wie?«

»Indem ich Ihnen ein glückliches Ende verwehre.« Arissters Verhalten wandelte sich von heiter zu beinahe entschuldigend. »Dieser Apparat in meiner rechten Hand ist der Auslöser für die auf meinen Rücken geschnallte Bombe. Womit ich nicht Haxan hier meine, sondern echten Sprengstoff, der zwischen unseren Körpern klemmt. Wenn ich den Zünder loslasse, geht die Bombe hoch. Und falls Sie darüber nachdenken sollten, Ihre Jedi-Kräfte einzusetzen, um meine Hand zu packen. Nun. zu viel Druck, und sie geht ebenfalls hoch. Auch andere Dinge lassen sie hochgehen. Schlüsselworte, die ich vielleicht ausspreche. Ein zu langes Schweigen zwischen zwei Schlüsselwörtern. Ein Tastendruck auf einem Datenpad, oder eine Laserschaltung von Verbündeten, die diese Ereignisse womöglich verfolgen.«

»Berühmt zu sein, wird Ihnen nichts nützen, wenn Sie tot sind«, sagte Ben.

»Stimmt. Aber das ist etwas, was ich schon immer sein wollte, und ich werde in dem Wissen sterben, es erreicht zu haben. Ich werde so lange mit Ihnen reden, bis Sie davon überzeugt sind, dass man mich nicht aufhalten kann. Sie wurden Jedi-Gedankentricks einsetzen, von denen ich bereits weiß, dass ich dagegen immun bin, oder andere Techniken, die ebenfalls nicht funktionieren werden. Dann werde ich mich mitten zwischen diese Gruppe nasser, verängstigter, nach Fisch riechender Touristen werfen und mich in die Luft sprengen.«

»Das ist egoistisch«, sagte Nelani. »Auf zerstörerische, grausame Weise egoistisch.«

Arisster schnaubte amüsiert. »Alle Entscheidungen, die man trifft, sind egoistisch. Warum sind Sie eine Jedi geworden? Vermutlich aufgrund Ihres Verlangens, die Galaxis zu verbessern, was nichts anderes bedeutet, als dass Sie Leuten, die Ihre Ansichten nicht teilen, Ihre Sicht dessen aufzudrücken, was gut ist und was nicht.«

»Was. wenn ich verspreche, Sie berühmt zu machen?«, sagte Jacen. »Wenn ich Ihnen mein Wort darauf gebe? Sie könnten mich als so eine Art Helfer begleiten, und ich würde Sie in eine gefährliche Situation nach der anderen bringen. Glauben Sie mir, unter diesen Umständen würden Sie keine sechs Monate durchhalten, und womöglich täten Sie tatsächlich sogar etwas Gutes, bevor Sie sterben.«

Arisster sah ihn blinzelnd an, offensichtlich verdattert. »Daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber. nein.«

»Warum nicht?«

»Nun, Sie könnten lügen. Jedi lügen. Außerdem könnte mich die Krankheit dahinraffen, bevor ich irgendwelche Gefechte miterlebt habe. Und drittens: Als Begleiter bin ich allenfalls eine Fußnote, und ich könnte ganz trivial vergessen werden. Auf diese Weise jedoch werde ich mit Ihrer Laufbahn fest verknüpft sein.«

»Ich verstehe.« Jacen verstummte, grübelnd.

Ben konnte spüren, wie in Jacen Bedauern und Feierlichkeit wuchsen. Sein Mentor unternahm nichts, um es zu verbergen, und durch die Macht strömten die Gefühle von ihm fort. Das machte Ben nervös, und er verschränkte die Arme wie gegen einen kalten Wind.

»Oh, bitte.« Arisster starrte Jacen tadelnd an. »Sie können doch noch nicht aufgegeben haben. Sie haben noch keine Tricks versucht - es sei denn, dieses Assistentenangebot war ein Trick -. und Sie haben noch nicht gebettelt.«

»Ich habe nicht aufgegeben«, sagte Jacen. In seiner Stimme lag eine leise Traurigkeit. »Könnte ich bitte mit Ihrer Geisel sprechen?«

»Natürlich.« Arisster drehte sich zuvorkommend um und wirbelte den anderen Mann herum, damit er die Jedi anschauen konnte. Der Mann war blass und sah aus, als wäre er drauf und dran, sich zu übergeben.

»Ihr Name ist Haxan?«, fragte Jacen.

»Ja, Serom Haxan.«

»Es tut mir sehr leid, Serom.« Jacen wich rückwärts von dem Aquarium zurück.

Ben und Nelani wichen ebenfalls zurück, hielten mit Jacen Schritt. »Was wirst du tun?«, fragte Nelani.

»Was ich tun muss.«

Sie waren ein halbes Dutzend Schritte weit bekommen, bevor Arisster es bemerkte. Er schwang herum, um sie anzuseilen. »Was machen Sie da?«, fragte er.

»Uns in - wie ich hoffe - sichere Entfernung bringen«, sagte Jacen.

Arisster stand einen langen Moment wie gelähmt da, lange genug, dass die Jedi ein weiteres halbes Dutzend Schritte rückwärts machen konnten. Dann wirbelte er herum, um auf die anderen Gefangenen zuzustürmen.

Jacen streckte seine geöffnete Hand aus und ballte sie zu einer Faust.

Arisster und Haxan verschwanden, umhüllt von einem unförmigen Feuerball.

Feuer und Rauch füllten das Aquarium, und der Knall der Explosion rollte über den Platz - aber gedämpft durch die Transparistahlwände des Aquariums, schmerzte er Ben wesentlich weniger in den Ohren als die Detonation auf dem Raumhafen.

Und der Transparistahl hielt. Die nächstgelegene Wand wölbte sich leicht unter der Wucht der Explosion, doch die anderen drei krümmten sich nur einen Moment lang, bevor sie wieder ihre ursprüngliche Form annahmen, und der Großteil der Explosionswucht wurde nach oben gelenkt.

Sofort stürmten die Jedi wieder vor, hin zu der Transparistahlwand, und versuchten, durch den Rauch zu spähen, der das Innere des Tanks verhüllte. Der Rauch lichtete sich bereits, stieg empor, und sie konnten Männer und Frauen sehen, die hinter den verkohlten Ruinen der Nachbildung von Lorrds Innenstadt hervorkamen. Keiner von ihnen schien schwer verletzt zu sein - Ben sah Rauch auf ihren Gesichtern, etwas Blut von Schotterschrapnell.

»Notfallmannschaften!«, rief Nelani und winkte Samran und seinen Agenten zu. »Hierher!«

Die Notfallmannschaften benutzen eine tragbare Winde, um Sanitäter in den Tank hinabzulassen und damit zu beginnen, Arissters Geisel vom Grund des Aquariums zu holen. Niemand wagte sich an den grausamen Blutschlick heran, der den größten Teil dessen darstellte, was von Arisster und Haxan

übrig geblieben war.

Unterdessen hörte Ben, wie Nelani und Jacen einige Meter entfernt wieder anfingen zu streiten.

»Bist du wahnsinnig?«, fragte Nelani. »Wir haben keine einzige andere Möglichkeit versucht als dein Ich-mache-dich-zu-meinem-Begleiter- Angebot.«

»Es gab keine anderen Möglichkeiten«, sagte Jacen. »Er hatte recht. Er hatte gewonnen. Das Einzige, was wir tun konnten, war, das Ausmaß seines Sieges einzugrenzen. Das bedeutete, ihn nur ein Leben nehmen zu lassen statt vieler.«

»Das kannst du nicht wissen. Wir haben nicht versucht.«

»Du konntest seine Entschlossenheit spüren, seine Stärke.« Jacens Tonfall tadelte sie. »Er hatte beschlossen, heute zu sterben. Wenn jemand beschließt zu sterben, ist es schwer, ihm das wieder auszureden.«

»Haxan hatte nicht beschlossen zu sterben.«

»Stimmt. Aber es war klar, dass er das würde, ganz gleich, was wir getan hätten.«

»Nein.«

»Wofür war die Blasterpistole, Nelani?«

Das brache sie abrupt zum Schweigen. »Was?«

»Die Blasterpistole, die er in der Hand hielt. Wofür war die?«

»Um Gehorsam zu erzwingen?«

Jacen schüttelte den Kopf. »Dafür hatte er seine Bombe. Die Bombe war alles, was er brauchte, und das wusste er. Also, wofür war der Blaster?«

»Was glaubst du, wofür er war?«

»Um im Laufe des Nachmittags Geiseln zu erschießen, eine nach der anderen. Um sie zu erschießen und uns ob unserer Hilflosigkeit zu verhöhnen.«

Sie dachte darüber nach. »Vielleicht.«

»Definitiv. Und mit dem Ersten, den er erschossen hätte, wäre unser Verlust, unser Versagen, bereits genauso schwerwiegend gewesen wie das, dem wir uns jetzt stellen müssen - ein unschuldiges Leben. Mit zwei Erschossenen wären wir bereits erheblich schlechter dran gewesen als jetzt. Und so weiter.«

Sie starrte ihn einen langen Moment an. und Ben konnte in ihrer Miene eine tragische Maske aus Enttäuschung und Desillusionierung ausmachen. »Jacen, du hast einen guten Grund für alles, was du tust. Aber mein Bauchgefühl sagt mir. dass du falsch liegst.«

»Dein Bauchgefühl - oder die Macht.«

»Mein Bauchgefühl.«

»Was sagt dir die Macht?«

»Nichts. Die Macht sagt mir nichts darüber, was gerade passiert ist.«

»Dann war es keineswegs die falsche Entscheidung.« Jacen wandte sich ab, um zurück zu dem Jedi-Speeder zu gehen.